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Freundinnen




Ein Paar Augen schauen mich an. Sie schauen in die Runde. Sie lächelt schüchtern und geht durch den Raum. Ich lasse sie sich neben mich setzen. In meinem Augenwinkel kann ich sie beobachten. Sie schaut zu Boden. Ihre Haare sind honigblond und ihr Gesicht kalkweiß. Um mein neidisches Bauchgrubengefühl noch deutlicher hervorzuheben, muss ich noch erwähnen wie lang ihre Haarpracht ist. Ein Anblick! Meine Haare sind dunkelbraun. Kein Bär würde meine kurzen Haare verschlingen wollen. Meine Figur erwähne ich erst gar nicht. Sie ist schlank und hat ein schönes Kleid an. Doch sie ist schüchtern. Deswegen interessiert sich keiner im Klassenzimmer für sie. Am nächsten Tag setzen wir uns alle um. Die Lehrerin möchte das so, weil sich die Jungen in ihren langweiligen Sachunterrichtstunden blendend verstehen. Außerdem verstehen sie die Kunst des Smalltalks. Ihr Lachen verstummt, als nach der letzten Ermahnung der Smalltalk fortgeführt wurde. Ich muss grinsen. Mir gefällt es nicht, wenn sie gackern. Oder mit Papierkügelchen aus Kakaostrohalmen durch das saubere Zimmer schießen. Nun muss sich Julia trauen. Oder ich erleichtere ihr das. Und beginne mit ihr ein Gespräch. Dieses Gespräch war der Anfang einer Kinderfreundschaft. Doch ich wurde immer wieder enttäuscht. Enttäuscht war ich darüber, dass sie mich nie zu einem ihrer Geburtstage eingeladen hatte. Es gab immer Geburtstage! Beziehungsweise lud sie mehrere Mädchen aus meiner Klasse ein und am nächsten Tag erfuhr ich von der Feier. Mehrere Male ließ ich mir das gefallen. Und die Freundschaft hielt. Bis sie umzog.

Im Nachhinein kann ich sie nicht mehr als Freundin betrachten. Sie war es nie. Und ich werde sie nie mehr sehen, denn ich bin auch umgezogen. Menschen kommen und gehen. Ich gehe und lasse meine wahren Freunde zurück, die ich im Lauf meines weiteren Lebens kennen und schätzen gelernt habe.

In der weiterführenden Schule lerne ich Svenja und Bianca kennen. Wie so üblich beginnt eine Freundschaft mit einer Sitzplatznachbarschaft in der Schule. „Darf ich mich neben dich setzen?“, so Svenja. Also verbrachten wir die Realschule miteinander. Bis zur 10. Klasse. Unsere Freundschaft muss einiges aushalten. Wer ist jetzt meine beste Freundin? Meistens ging es darum in Streits. Seitdem ich Julia kenne, weiß ich dass ich keine beste Freundin brauche. Es ist eine Idealvorstellung. Oder ein Wunsch aus dem tiefsten Herzen. Doch eigentlich auch nur eine Realschulvorstellung die im Kindergarten beginnt. Wenn ich eine Freundschaft pflege, dann kann daraus eine gute Freundschaft werden. Am besten fängt man damit an, die Person zum Geburtstag einzuladen. Nach der Realschule geht es weiter. Mit unserer Freundschaft. Das wusste ich schon in der 10. Klasse, dass wir so etwas schaffen können. Seitdem wir unsere Erfahrungen mit der ersten Liebe oder dem Alkohol gemacht haben, weiß ich, dass uns immer unsichtbare Fäden verbinden werden. Diese Fäden sind Erinnerungen, die nun in unseren Köpfen verankert sind. Du wirst dich immer an deine erste Liebe erinnern. So erinnere ich mich auch daran wie die erste große Liebe einen Keil zwischen mir und Inés trieb. Ich lerne sie noch in der Realschule kennen. Richtig kennen. Irgendwann am Anfang der Realschule habe ich sie zum ersten Mal gesehen,
aber nur als Schwester des Freundes meines Bruders betrachtet. Nicht ganz als Freundin. Uns verbindet eben noch keine Sitzplatznachbarschaft. Diese Sitzplatznachbarschaft kommt in der Realschule und sie hält auch noch als wir ein ganzes halbes Jahr kein Wort gewechselt- oder nur das Nötigste miteinander kommuniziert haben. Ein Schneesturm. Und der Stolz. Der Stolz siegt und wir schweigen uns an. Es schmerzt. Dieser Schmerz ist noch gut in meiner Erinnerung.

Doch am schönsten ist es, wenn der Stolz besiegt wird. Wenn beide den Stolz auf Eis legen, dann kann eine eingefrorene Freundschaft wieder Früchte tragen. Und im Herzen ein warmes Feuer des Glückes entfachen. Diese wohlige Wärme, wie die eines Kamins, durchströmt meinen Körper, als wir uns gegenseitig wieder Freundinnen nennen. Freundinnen für das Leben.


Dieses kleine Memo widme ich Inés, meiner Freundin, die Svenja verloren hat. Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels. Liebe Inés ich hoffe der Stolz fesselt euch nicht und ihr werdet euch in der tiefsten Dunkelheit wieder erkennen.

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Tag der Veröffentlichung: 29.12.2009

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