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Die Nacht lag dunkel über Chicago und trotz dass überall Straßenlaternen standen und ihr warmes Licht auf die Straße warfen, war es irgendwie dunkler als sonst. Unheilvoller. Die Finsternis lag auf den Straßen.
Das Scheinwerferlicht drang nur gedämpft an Colins stechend blauen Augen. Ein ernster Ausdruck lag auf seinem Gesicht, während er sich suchend umsah.
„Komm raus, komm raus wo immer du bist!“, murmelte der 17-jährige und ließ seine Hand langsam zu seinem Gürtel wandern. Colin kniff seine Augen zusammen und lauschte. Nach einer Weile zischte er wütend und stampfte trotzig mit dem Fuß auf. Wieder hatte er keinen dieser verdammten Halbdämonen gefunden.
Langsam klärte sich der Blick des Jungens wieder und die gespenstische Finsternis löste sich von der Straße. Abermals drang ein zischender Laut aus Colins Mund, bevor er sich umdrehte und die Straße herunterlief. Nach ein paar Minuten bog er in eine dunkel Seitenstraße ein, die Hand noch immer an seinem Gürtel. Misstrauisch sah sich Colin um. Einmal. Zweimal. Seiner Meinung nach konnte man mit Dämonen und den anderen Viechern nicht zu vorsichtig sein.
Plötzlich wurde Colin von den Füßen geworfen und landete unsanft auf dem Boden. Noch im Fall hatte er seinen Dolch gezückt und hielt ihn schützend vor sich, als er auf dem Boden lag. Er hörte nur ein glockenhelles Lachen und sein Dolch wurde ihm aus der Hand geschleudert. Colin sah ihm nach, bis er klirrend gegen eine Mülltonne schlitterte und dann dort liegen blieb. Die silberne Klinge strahlte ein schwaches Licht aus. Gerade als er versuchte aufzustehen, drückte ihn jemand – etwas – zu Boden. Der Junge versuchte sich zu bewegen, doch half es nichts. Die Kraft, mit der er zu Boden gedrückt wurde, war einfach zu groß. Wutentbrannt starrte Colin in das Gesicht über ihm und blutrote Augen starrten zurück.
„Was...? Lass mich los!“, rief Colin und versuchte sich aus dem eisernen Griff zu befreien, was ihm allerdings nicht gelang. „Du wagst es, dieses Gebiet zu betreten?“, zischte eine Colin wohl bekannte Stimme. Er merkte, wie eine Hand von dem Mädchen ihm am Kragen packte. Einen Sekundenbruchteil später wurde er hoch gehoben und gegen eine Mauer gepresst. Der schwache Schein einer Laterne erhellte die beiden Gesichter und Colin knurrte leise. „Mary... hätte ich mir denken können! Verdammt noch eins, lass mich los!“, keuchte Colin und trat nach dem Mädchen vor ihm, welches nur spöttisch lächelte und unbeeindruckt von den Tritten des Jungen weitersprach.
„Woher nimmst du dir das Recht, dieses Gebiet zu betreten, Sheitor

?“, fragte sie zischend, „Ich bin die Wächterin dieser Stadt. Ich habe dich verbannt und du hast dich dieser Entscheidung zu unterwerfen!“ Mary blitzte Colin wütend an. „Ach und versuch lieber nicht weiter, dich zu befreien. Du hättest keine Chance gegen mich.“ Zur Unterstreichung ihrer Warnung verzog sie die Lippen zu einem bösartigen Lächeln und entblößte dabei ihre spitzen Eckzähne.
Colin hörte auf zu treten und blieb – wenn auch widerwillig – ruhig. Feindseelig starrten sich die Beiden an. Mehrere Minuten schwiegen sie so, bis hinter Mary ein leises Räuspern zu hören war, Die Vampiren umfasste Colins Kehle mit einer Hand und drehte sich um. Den Jungen immer noch an die Mauer pressend. „Was?“, fragte Mary und bemühte sich gegenüber der anderen Vampire nicht allzu gereizt zu klingen. Doch bevor einer von ihnen etwas erwidern konnte, hellte sich Marys Gesicht schlagartig auf und ein erfreutes Lächeln zierte ihre Lippen.
“Mike! Wie schön, dass du wieder da bist! Was führt dich zu mir?“
Erst jetzt bemerkte Colin die anderen Vampire hinter Mary. Außer Mike standen dort noch vier weitere, die Colin misstrauisch beäugten. Mit ebenso roten Augen wie Mary sie hatte, sahen sie Colin mit einem Hauch von Spott, Wut und Ehrfurcht an. Wie glühende Kohlen stachen ihre Augen aus der Dunkelheit hervor, wo gegen Colins tiefblaue Augen ohne Licht kaum zu sehen waren. Einen Moment dachte Colin darüber nach, lenkte dann aber seine Aufmerksamkeit wieder auf Mary. Mike trat ein paar Schritte vor und sah Mary fast schon entschuldigend an. Dann begann er zu reden. Oder zu erklären. Je nachdem. Die Worte des Vampirs verstand Colin nicht. Er redete zu schnell und nur die schnellen Bewegungen seiner Lippen deuteten überhaupt daraufhin, dass er überhaupt redete. Die Reaktion Marys auf die Worte Mikes konnte Colin dafür umso stärker erkennen. Ihr Gesicht verfinsterte sich und sie überlegte einen Moment, bevor sie antwortete. „Kümmer du dich bitte darum, ja?! Ich habe noch etwas zu erledigen...“ Mit einem vielsagenden Blick deutete sie auf Colin und Mike nickte.
„Ja, ich gehe sofort!“, sagte er und drehte sich um. Mary wies zwei der dastehenden Vampire an, Mike zu folgen. Dass er nun nur noch mit drei Vampiren hier war, beruhigte Colin zwar nicht sonderlich, doch war er schon etwas erleichtert darüber, nun von zwei Augenpaaren weniger angestarrt zu werden.
Schließlich wandte sich Mary wieder Colin zu und lächelte spöttisch, als dieser keuchend nach Luft schnappte. Trotzdem löste sie ihren Würgegriff etwas.
„Ihr seid so schwach...“, hauchte sie und kam Colins Gesicht näher. Als sie ihn anlächelte, blitzten ihre Zähne auf. „Als ob ihr uns besiegen könntet...“ Sie lachte leise und strich mit ihrer freien Hand über Colins Wangen. „Hättest du dich doch für die Vampire entschieden und nicht gegen sie...“ Mary sah dem Jungen bedauernd in die Augen, doch konnte Colin auch noch etwas anderes darin entdecken. Wut... Trauer... er wusste es nicht. „Zu schade...“, hauchte sie direkt an Colins Ohr und spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Fast schon zufrieden lächelte Mary und schüttelte leicht den Kopf. „Siehst du? Wärst du bei mir geblieben, müsstest du nun nicht fürchten, von mir umgebracht zu werden.“ Amüsiert sah Mary Colin an. Dieser war vollkommen erstarrt, hatte die Augen weit aufgerissen und versuchte sich abermals Marys Griff zu entwinden. „Nana...“, machte diese aber nur und verstärkte den Griff, bis Colin anfing zu würgen. Dann lockerte sie ihn wieder. „Ich sage es nochmal: Du hättest keine Chance gegen mich, also lass es!“ Zum Ende hin wurde Marys Stimme zischender und sie verdrehte leicht genervt die Augen. Doch dann lächelte sie wieder etwas. Colins Gesicht war mittlerweile sehr blass. Fast so blass wie ihres und vielleicht könnte Colin so sogar als vollkommen neuer Vampir durchgehen. Es amüsierte Mary, dass sie Colin Angst einjagte. „Beruhige dich...“, flüsterte sie und näherte sich Colin wieder. Langsam fuhr sie mit ihren Lippen an seiner Wange hinab bis zu seinem Hals. Dort, wo sie seinen pulsierenden Herzschlag unter der Haut fühlen konnte, blieb sie. „So... verlockend...“, hauchte Mary und man hörte die Spannung aus ihrer Stimme heraus. Dann öffnete sie den Mund. Colin spürte ihre spitzen Zähne an seinem Hals und versuchte sich von der Vampirin wegzubeugen. Mary drückte ihn allerdings nur umso fester gegen die Mauer. Wehrlos war er nun. Sein Messer, welches vielleicht die einzige Waffe gegen Mary war, lag zu weit von ihm entfernt. Und sollte er auch nur versuchen, sich wieder zu befreien, konnte Mary zubeißen um ihn töten, bevor er überhaupt die Chance hatte, sich richtig zu wehren.
Plötzlich stieß sich Mary von Colin ab und biss sich auf die Lippe. „Aber...naja...“ Colin merkte, wie viel Überwindung es Mary gekostet hatte, sich von ihm loszureißen und ihn nicht zu beißen, und doch lag ein Lächeln auf seinen Lippen. Mary hatte Colin losgelassen, als sie sich von ihm abgestoßen hatte.
„Was ist?“, fragte er frech und grinste Mary schelmisch an, „Versuchst du anständig zu werden?“ Er lachte. Doch nur kurz. Er stoppte, als er unerwartet von Mary herumgeworfen und mit aller Kraft gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert wurde. Colin hörte, wie seine Knochen brachen, doch nahm er den Schmerz nicht wahr. Noch nicht. Zu überrascht war er von diesem plötzlichen Angriff. Er blieb reglos auf dem Boden liegen – einen Arm seltsam verrenkt – und sah mit halb geschlossenen Augen, wie Mary wütend auf ihn zukam.
„Pass auf, was du sagst!“, knurrte sie und hob Colin wieder am Kragen hoch. Mit zornig blitzenden Augen sah sie ihn an. „Ich hätte dich töten können. Wolltest du das? Kannst du ruhig haben!“ Mary fletschte ihre Zähne und setzte sie wieder an Colins Hals an. Er atmete schwer und rasselnd, doch hielt er die Luft an, als er spürte, wie die spitzen Zähne Marys seine Haut durchbohrten. Abwehrend hob Colin die schmerzenden Hände und versuchte schwach, Mary von sich wegzudrücken, bevor er es aufgab.
Mary hing an seinem Hals und trank gierig. Sie genoss es, wie die warme Flüssigkeit ihren Hals hinablief. Am liebsten wollte sie so lange trinken, bis Colin blutleer war, doch wusste sie, dass das nicht erlaubt war. Mit jedem anderen hätte sie das machen können, aber nicht mit Colin. Er hatte noch etwas zu erledigen. Widerwillig löste sie sich von dem Jungen, der die Augen mittlerweile geschlossen hatte und leckte sich das restliche Blut von den Lippen. Dann lauschte sie. Colins Herz schlug – noch. Verstohlen sah Mary zu der Bisswunde an Colins Hals, doch hatte sie sich unter Kontrolle. Sie wandt den Blick ab und sah in Colins Gesicht. Dann ließ sie ihn unachtsam auf den Boden fallen, wie ein Spielzeug, das ausgedient hatte, und wollte sich abwenden. Aber... sollte Colin sterben, würde sie ziemlichen Ärger bekommen. Man... wie sehr sie es doch hasste... Mit missbilligendem Blick nahm Mary ein kleines Fläschchen aus ihrer Tasche, kniete sich neben den Jungen und gab Colin den Inhalt davon zu trinken. Es war ein einfaches Mittel, welches das Herz kräftigte. Normalerweise gaben Vampire es ihren Opfern zu trinken, damit es ein noch größerer Genuss – und ein größerer Spaß – war, ihr Blut zu saugen, doch in diesem Fall war es einfach dazu da, dass Colin überlebte.
Schon nach einem Augenblick hörte Mary, wie sich Colins Herzschlag stärkte und wandte sich endgültig ab. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Wut wieder. Wut auf die hohen Minister, die ihr verboten hatte, Colin zu töten. Mary verschwand mit den zwei übrigen Vampiren, welche belustigt, doch ein wenig verunsichert zugesehen hatten, in der Seitenstraße und Colin blieb allein liegen. Ein dünnes Rinnsal Blut floss aus seinem Mund und tropfte auf den Asphalt, wo es eine kleine Pfütze bildete. Die Wunde an seinem Hals blutete nicht. Man sah „nur“ den deutlichen Biss von Mary.
Nach ein paar Minuten öffnete Colin wieder die Augen. Sein Körper schmerzte noch immer und er konnte sich kaum bewegen, doch trotzdem führte er seine Hand an seinen Hals und stieß einen wütenden Laut aus, als er mit seinen Fingerspitzen über getrocknetes Blut fuhr. Bei den Bewegungen seiner Hand und seines Armes, zuckte ein starker Schmerz durch Colins Körper und ließ ihn zusammenfahren, worauf ein viel stärkerer Schmerz durch seine Glieder fuhr. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und sein Körper verkrampft.
„Verdammte Vampire...“, keuchte er leise und schloss für einen Moment die Augen. Erschrocken öffnete er sie wieder, als Schritte hörte, die Näher kamen. „Hallo?“, fragte er leise und blickte angestrengt in die Dunkelheit, die vor ihm lag. Hoffend, eine Kontur zu erkennen, doch sah er nichts außer schwarz. Nach einem Moment erhöhte sich das Schritttempo. Die Person rannte direkt auf Colin zu.
„Colin? Colin!“, rief eine helle Stimme und schluchzend stürzte ein Mädchen auf den Jungen zu, der daraufhin vor Schmerz aufstöhnte.
„Ann...?“, fragte er mit krächzender Stimme. Das Schluchzen des Mädchens hörte für einen Augenblick auf und es lächelte Colin glücklich und mit Tränen in den Augen an.
„Ja...“, flüsterte sie und drückte Colin abermals an sich. Als dieser zischend die Luft einsog, ließ sie ihn erschrocken wieder los. „Oh... du bist verletzt!“, sagte diese erschrocken und zog ihr Handy aus ihrer Hosentasche, auf dem sie wie verrückt drauf herum tippte. „Was machst du?“, fragte Colin, der interessiert auf den leuchteten Bildschirm des Handys starrte. Apropos Handy... der Junge steckte seine Hand in eine Jackentasche von ihm, kramte kurz darin herum und zog dann ein verbeultes, kleines Ding heraus. „Oh man...“, seufzte er, als er sich das Gerät genauer ansah. Das war einmal ein Handy gewesen. Es musste kaputt gegangen sein, als er gegen die eine Wand geschleudert wurde. Mit einem mitleidigen Blick auf Colin und sein Handy steckte Ann ihres weg und nahm dann Colins Hand.
„Alles wird gut...“, flüsterte sie immer und immer wieder. Trotz des Mittels von Mary, war Colin stark geschwächt und konnte sich kaum bewegen. Er war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, doch kämpfte er verzweifelt dagegen an. Irgendwann wurde er zu geschwächt und merkte, wie seine Augenlider schwerer wurden. Ann hielt noch immer die Hand des Jungen und sah ihn verzweifelt an. Nach ein paar Minuten hörte er schließlich auf, sich gegen seine Müdigkeit zu wehren und schloss die Augen. Zuletzt hörte er noch Schritte von zwei Menschen und dann wurde es schwarz um ihn herum.

Von leisem Getuschel und Gemurmel wurde Colin geweckt. Vorsichtig schlug er seine Augen auf und blinzelte. Sie fühlten sich an, als hätte er tagelang nicht mehr geschlafen. Er versuchte gar nicht erst, sich hinzusetzen. Allein von den jetzigen und vorigen Schmerzen, konnte er erkennen, dass er sich mindestens eine Rippe gebrochen hatte. Stattdessen drehte er nur langsam den Kopf und blickte in Richtung der leisen Stimmen. Dort standen Ann, Nick und Lucas. Sie unterhielten sich angeregt und bemerkten erst gar nicht, dass Colin wach war. Ann brach mitten in einem Satz ab. Colin hatte ein paar Wortfetzen verstanden. Anscheinend ging es in diesem Gespräch um die hohen Minister. Eigentlich war dies ein interessantes Thema, doch kümmerte sich Colin im Moment nicht darum. Er war mit anderem beschäftigt, wie zum Beispiel seinen Schmerzen, welche gerade wieder stärker wurden. Wahrscheinlich ließ gerade irgendein Schmerzmittel in seiner Wirkung nach.
Als Ann sah, dass Colin wieder wach war, lächelte sie erfreut und trat zu ihm ans Bett.
„Na, wieder wach?“, fragte sie lächeln und betrachtete Colin, der sich seufzend über die Augen rieb.
„Hmmm...“, machte er nur zustimmend und nickte leicht. Ann kicherte darauf leise. Dann wandt sie sich an Nick und Lucas, die sich mittlerweile auch zu ihr und Colin gesellt hatten.
„Wie gehts, kleiner Bruder?“, fragte Nick und grinste Colin breit an. Lucas schüttelte daraufhin nur den Kopf und sah Colin in die Augen.
„Wie kamst du nur auf die Idee, dich mit einem Vampir anzulegen? Noch dazu mit Mary?“, fragte er vorwurfsvoll und kniff die Augen leicht zusammen, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Sie hätte dich umbringen können, das ist dir doch klar...!“ Er schüttelte verständnislos den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ann nahm Colin n Schutz.
„Aber Lucas... es konnte doch niemand ahnen, dass sie ihn angreift!“ Sie nahm Colins Hand und drückte sie leicht, während sie mit Lucas redete. Lucas schnaubte wütend.
„Doch! Und das weiß auch Colin! Nicht wahr?“, fragte er und sah Colin aus schwarzen Augen an. „Sie hatte dich verbannt und trotzdem bist du abermals in ihr Gebiet eingedrungen! Du kannst dich glücklich schätzen, dass sie dich nicht tötete... Wir hätten keine Möglichkeit gehabt, dich zu beschützen, verstehst du das?“, fragte er eindringlich und fixierte Colin mit seinem Blick, „Und deshalb...“, redete er weiter, „ darfst du dich nun nicht mehr auch nur in die Nähe der Vampire begeben, verstanden? Und damit du verstehst, wie ernst ich das meine, gibst du mir jegliche Silberwaffen, die du besitzt.“ Entsetzt weiteten sich Colins Augen und auch Ann erschrak bei dem harten Urteil Lucas'. Nur Nick blieb ruhig und zeigte keinerlei Regung. Lucas hielt Colin die Hand hin. „Fangen wir mit deinem Dolch an.“, sagte er und wartete auf eine Reaktion Colins. Gespannte Stille breitete sich im Raum aus, bis Nick etwas sagte.
„Ich glaube... zu aller Erst solltest du erst einmal das hier trinken, Colin...“, meinte er etwas unbeholfen und reichte seinem Bruder ein Glas mit einer dickflüssigen, goldenen Flüssigkeit darin. Colin, der ziemlich niedergeschlagen drein blickte, nickte nur leicht und nahm das Glas entgegen. Lucas, der noch immer die Hand hinhielt, räusperte sich ungeduldig und wippte leicht mit den Fingern. Widerstrebend wanderte Colins Hand an seinen Gürtel und tastete dort nach dem vertrauten Heft des Dolchs, doch bekam er nichts zu fassen. Fast erleichtert sah er Lucas an und bemühte sich, den Mann nicht anzulächeln.
„Ich habe ihn in der Gasse verloren...“, sagte er und zuckte leicht mit den Schultern, worauf sie zu schmerzen begannen. Ann fasste an ihren Gürtel und holte dort einen Dolch hervor.
„Ich habe ihn mitgenommen...“, sagte sie nur und hielt ihn Colin hin, ohne Lucas anzuschauen. Colin nahm den Dolch in die Hand. Er fühlte sich unglaublich vertraut in seiner Hand an.Um ehrlich zu sein, tat es ihm in der Seele weh, diesen Dolch aus der Hand zu geben. Und trotzdem tat er es. Ruckartig legte er den Dolch in Lucas' Hand und blitzte ihn finster an.
„Für wie lange?“, fragte er und hielt seinen Dolch noch immer fest. „Gib ihn mir!“, zischte Lucas kühl und ignorierte Colins Frage. Seine Hand schloss sich um den reich verzierten Griff des Dolchs und er zog ihn aus Colins Hand, der diese schnell genug weg zog, als dass ihm die scharfe Klinge schaden konnte. Lucas steckte den Dolch in seinen Gürtel und Colin sah das Heft unter seinem Pullover hervor blitzen. Zwar wollte er die Befehle Lucas' nicht missachten – wobei der schon etwas ältere Mann weitaus mehr Erfahrung hatte, als der 17 jährige Junge – doch trotzdem hatte er auch wenig Lust, sich einfach so seine wertvollste Waffe wegnehmen zu lassen. Und außerdem... sollte ihn ein Vampir außerhalb des Stammgebietes angreifen, konnte er sich nicht wehren. Lucas' Idee war eine Schnapsidee. Vollkommen hirnlos!Colin kniff die Augen vor Wut zusammen und ballte seine Hände zu Fäusten. Nick beobachtete seinen kleinen Bruder misstrauisch. Es war doch nicht möglich, dass... zu spät. In diesem Augenblick streckte Colin urplötzlich eine Hand nach seinem Dolch aus. Er bekam ihn sogar zu fassen! Nick hatte nicht geglaubt, dass Colin so weit kommen konnte und ein kleiner Funke Glaube, dass sein Bruder den Dolch an sich reißen konnte, keimte in ihm auf. Doch im nächsten Moment erlosch er wieder. Lucas' Hand schnellte nach vorn und umfasste das Handgelenk Colins, welcher daraufhin schmerzerfüllt aufschrie und den Dolch losließ. Tränen schossen ihm in die Augen.
„Ich bin ein Sheitor, verdammt! Meine Aufgabe ist es, Vampire zu töten!“, keuchte er und sah Lucas mit hasserfüllten Blicken an. Dieser lächelte nur spöttisch und ließ Colins Handgelenk los.
„Falls du es vergessen hast... Ann ist auch eine Sheitor! Uns zwar ein weitaus besserer als du! “ Lucas' Stimme war tief und rau geworden, dann wurde sie plötzlich erschreckend sanft und ruhig. „Also brauchst du nichts zu befürchten, während du hier deine Strafe absitzt.“ Lucas lächelte und zwinkerte Colin zu, der ihn nur entsetzt anstarren konnte. „Was? Aber du hast doch gesagt, dass ich nur nicht zu den Vampiren darf!“, beschwerte er sich. Verzweiflung lag in seiner Stimme. Doch Lucas, der das alles anscheinend gleichgültig hin nahm und gerade dabei war, sich abzuwenden, sah Colin nur aus seinen schwarzen Augen an. Vielleicht entdeckte Colin darin sogar einen Hauch von Bedauern.
„Ja, das habe ich gesagt. Und wenn du jetzt noch aus dem Gebäude herauskommst, darfst du dich den Vampiren auch nicht nähern.“ Ohne ein weiteres Wort wandt er sich ganz von den Dreien ab und verschwand durch die schwere Tür in den riesigen Flur der Villa.
„Was meint er mit ›Wenn du jetzt noch aus dem Gebäude herauskommst‹?“, fragte Nick und sah zwischen Colin und Ann hin und her. Colin, der vollkommen verwirrt und entgeistert Lucas nachblickte, und Ann, die ebenso entgeistert, wie Colin – und noch bleicher als dieser, erst ebenfalls Lucas hinterher schaute und dann Colin mitfühlend ansah. Auf die Worte Nicks reagierte sie nicht mal ein bisschen.
Als sich Colin wieder gefasst hatte, sprang er von seiner Liege herunter und rannte zu einem der großen Fenster, die den Raum erhellten. Sie erstreckten sich von der Decke bis zum Boden. Oben waren sie aus Buntglas gemacht, welches dem Licht im sonst so kühlen und weißen Raum ein wenig Farbe schenkte. Colin riss eines der Fenster auf und hielt die Hand heraus. Besser gesagt, er versuchte es. Mit voller Wucht knallte seine Hand gegen eine unsichtbare Mauer. Verzweifelt warf sich Colin dagegen, doch nichts zu machen. Er war eingesperrt. Eingesperrt, während draußen tausende und abertausende von Vampiren und Dämonen die Balance verletzten und vernichtet werden mussten.
„Nein...“, schluchzte er und warf sich ein letztes Mal gegen die unsichtbare Wand. Ann und Nick standen noch immer still neben der nun leeren Krankenliege und waren Colin nur mit den Blicken gefolgt. Dass Lucas so eine schwere Strafe gab, hatten sie Beide nicht erwartet. Zum zweiten mal breitete sich Stille aus. Außer dem leisen Schluchzen von Colin hörte man nichts. Irgendwann fasste sich Nick wieder, stieß einen leisen Fluch aus und drehte sich dann um, um ebenfalls durch die große Holztür zu verschwinden. Nun waren nur noch Ann und Colin im Raum.
Unbehaglich. So fühlte sich Ann. Sollte sie zu Colin gehen und ihn trösten? Aber nein... das konnte er falsch verstehen... Zweifel plagten das Mädchen und sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Ihre hohen Schuhe klackten dabei unüberhörbar auf dem dunklen Parkett und Ann hörte – erschrocken von dem plötzlichen und seltsam unpassenden Geräusch in diesem Raum – auf.
Colin hörte auf zu schluchzen und sah hoch. Kalter Wind peitschte ihm in Gesicht, als er sich gegen das Hindernis lehnte, welches zwischen ihm und der Welt da draußen stand. Warum musste ausgerechnet ihm das passieren? Ihm, dem Sohn eines der Mitglieder der hohen Minister!? Was würde sein Vater wohl dazu sagen, wenn er hörte, dass sein Sohn sich nicht einmal gegen einen Vampir wehren konnte, fast von ihm getötet wurde und nun Ausgangsverbot für Gott weiß wie lange hatte? Er würde sicherlich nichts gutes denken – wobei die Beziehung zwischen Vater und Sohn ohnehin eigentlich nicht noch schlechter werden konnte. Die hohen Ministert waren die Regierung ihrer Welt. Dieser Welt mit Vampiren, Dämonen und eben den Dimensionshütern wie Colin, Ann, Lucas und Nick. Die hohen Minister waren aus den sechs Mächtigsten jeder Art zusammen gesetzt. Je ein Mitglied für eine Sppezies. Colins und Nicks Vater war der Mächtigste und Erfahrenste der Sheitore. Dann gab es noch ein Oberhaupt der Spürer - zu denen Lucas gehörte und noch einige andere Oberhäupter. Sie saßen in einer Art Zwischenwelt und bekamen alles auf der Welt mit. Schließlich gab es nicht nur in Chicago Dämonen und andere Wesen der Hölle. Zu wem die Vampire gehörten, wusste allerdings niemand so genau. Sie schlugen sich eigentlich nur in Ausnahmefällen auf eine der Beiden Seiten. Und dann schien es so, als würde es durch Zufall entschieden, wem sie halfen. Ja, die Vampire waren schon ein komisches Volk. Doch auch wenn sie machmal mit den „Guten“ kämpften, waren sie nicht bei den hohen Minisern vertreten.
Seufzend schloss Colin das Fenster und drehte sich zu Ann um, die noch immer an dem Platz stand, an dem sie schon die ganze Zeit gewesen war. Man sah ihr das Unbehagen wirklich an. Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Jungen, als er Ann prüfend ansah. Wirklich... sie war wunderschön... das schulterlange, braune Haar hing in sanften Wellen hinab und ihre warmen braunen Augen sahen ihn mitfühlend an. Sie war schlank, einigermaßen groß... einfach perfekt! Zumindest für ihn. Und für seinen Bruder... und genau da lag das Problem! Ann war mit Nick zusammen. Colin würde sie nie bekommen... Bedauernd musterte er Ann. Wusste sein Bruder überhaupt, was er an Ann hatte? Mit Sicherheit nicht. Colin riss sich von Anns Anblick los und hörte auf zu lächeln. Eigentlich war es gerade nicht der geeignetste Zeitpunkt für Freude. Kurz huschte sein Blick wieder rüber zu Ann, die nun bestürzt da stand und mit einer Hand ihre Kette umfasste, oder eher das goldene Medaillon, welches an der ebenfalls goldenen Kette hing. Im Innern des Medaillons war ein roter Stein eingearbeitet. Rubinrot, allerdings kein Rubin, sondern ein sehr wertvoller Edelstein namens Miksontat ein Stein mit großer Bedeutung für die Sheitor. Der Legende nach wurden sie mithilfe dieses Steines geschaffen.
„Das Blut der Dämonen mit dem Blut der Engel gemischt und im, durch den heiligen Stein gefallenen, Licht des Vollmondes um Mitternacht gesegnet.“, flüsterte Colin, während er das Medaillon ansah.
„Ja“, bestätigte Ann und nickte. Ein leichtes Lächeln zog sich über ihre Lippen und sie ließ ihre Kette los. „Aber wie kommst du darauf?“, fügte sie noch hinzu und legte den Kopf leicht schief.
„Ich habe mir nur dein Medaillon angesehen...“, erklärte Colin und zuckte leicht mit den Schultern. Ein wenig verlegen wandt er den Blick ab und sah wieder aus dem Fenster. Es hatte begonnen zu schneien und die Wiese vor dem großen Haus wurde von einem dünnen Film Schnee überzogen. Alles sah so friedlich aus. Eine gekonnte Tarnung, schließlich war es da draußen alles andere als friedlich. Halbdämonen und andere dämonische Wesen trieben dort ihr Unwesen – und er musste hier drinnen bleiben! Ohne jegliche Waffen oder sonst etwas. Er musste tatenlos herumsitzen, während überall in der Welt die magischen, guten Wesen gegen die Dämonen kämpften und ihr Leben ließen, während sie sich darauf verließen, dass jegliche andere ebenfalls kämpften. Colin fühlte sich, als würde er seine „Brüder und Schwestern“ verraten. Niedergeschlagen starrte er aus dem Fenster. Hatte er wirklich so eine Demütigung verdient? Nur weil er sich mit einem Vampir angelegt hatte? Das Verbot Marys ignoriert hatte?
„Nein.“, sagte Colin mit fester Stimme und richtete sich auf. Dann drehte er sich um, marschierte an Ann vorbei und lief aus dem Krankenzimmer in den großen Flur. Ann, die er nicht einmal mehr eines Blickes gewürdigt hatte, blickte Colin ein wenig traurig hinterher, machte jedoch keine Anstalten ihm zu folgen und ließ sich auf das Bett sinken, in dem Colin vorher gelegen hatte.
Der Flur war riesig und verlieh dem ohnehin schon großen Gebäude den Anschein, noch viel größer zu sein. Entlang des breiten Ganges erstreckten sich unzählige Türen. Manche so groß und schwer wie die Tür zum Krankensaal und andere ganz normal. An den großen Türen waren Schilder angebracht, auf denen in griechischen Buchstaben die Verwendung des jeweiligen Raumes stand. Griechisch konnte jeder der Dimensionshüter, wie sie sich nannten, fließend. Es war wie eine zweite Muttersprache und so konnten sie sich jederzeit unterhalten und verständigen – aus welchem Teil der Welt sie auch kommen sollten. Außerdem war griechisch eine sichere Sprache. Kaum einer konnte sie noch, zumindest nicht fließend. Unwillkürlich musste Colin grinsen, als er über das alles nachdachte. Vielleicht klang es verwirrend, für jemanden, der sie nicht kannte. Für jemanden, der keine Ahnung von ihren Aufgaben hatte, doch für ihn selbst schienen die ganzen Sachen vollkommen klar. Er wusste, in welche Gruppen sie unterteilt wurden, welche Aufgaben sie hatten und so weiter. Er selbst war ein Sheitor. Dazu auserkoren die Finsternis von dieser Welt, dieser Dimension fernzuhalten und für den Frieden zu kämpfen. Genauso, wie Ann. - Apropos Ann! Colin hatte sie einfach stehen gelassen... der Junge zögerte leicht, als er durch den langen Flur lief und sah kurz über seine Schulter zurück zu der schweren Holztür, hinter der Ann wahrscheinlich noch immer stand. Leise meldete sich Colins Gewissen, doch er wischte die Gedanken an die vielleicht verletzte Ann weg. Um sie konnte er sich später kümmern. Zuerst musste er Lucas finden – um ihm gehörig die Meinung zu sagen. Schließlich nahm niemand einem Sheitor einfach so die Waffen weg und gab ihm Hausarrest wie einem gewöhnlichen Teenager! Selbst Lucas als mächtiger Zauberer durfte sich so etwas nicht erlauben. Mit schnellen Schritten lief Colin auf eine andere, große Tür zu, auf deren Schild das griechische Wort für Bibliothek stand. Mit einem Ruck stoß er die Tür auf und trat ein. Es war ein riesiger Raum. Bücherregale erstreckten sich vom Boden bis fast zur Decke hoch und sie alle waren wertvoll eingebunden. Meist mit dünnem, edlem Leder oder auch mit Samt und Seide. Normalerweise beeindruckte Colin es jedes mal aufs Neue, wenn er diesen Raum betrat, doch hatte er im Moment keine Augen für die Pracht, die sich ihm hier bot. Mit geradeaus gerichtetem Blick, steuerte er auf einen Sessel in der hinteren Ecke des Raumes zu. Die Lehne war zu ihm gedreht, so dass es nicht sehen konnte, wer im Sessel saß – und ob da überhaupt jemand saß, doch war er sich sicher. Lucas verschwand fast immer in diesem Raum, um sich eines der schon abgegriffenen Bücher zu nehmen und zu lesen. Man konnte schon sagen, dass die Lucas' Lieblingsaufenthaltsraum war. Wütend war Colin beim Sessel angekommen und drehte ihn ruckartig zu sich um, bereit, Lucas in sein vielleicht etwas verwirrtes Gesicht zu schauen und ihm irgendetwas an den Kopf zu schmeißen. Doch saß niemand in dem Ledersessel und Colin trat nun selber verwirrt ein paar Schritte zurück. Er hatte sich so darauf vorbereitet, mit Lucas zu streiten – hatte sich auf den Blick der rabenschwarzen Augen gefasst gemacht – und nun das. Die anfängliche Wut verrauchte augenblicklich. Colin ließ sich in das weiche, rote Leder sinken und atmete durch. Wenn Lucas nicht hier war, wo war er dann? Colin überlegte, rührte sich jedoch nicht. Irgendwie hatte er gerade keine Lust, sich mit Lucas zu streiten. Er seufzte und lehnte sich weiter im Sessel zurück. Dann legte er den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, wobei ihm auffiel, dass sie gar nicht so hoch war, wie es anfangs aussah. Durch die Fenster über den Regalen fiel Licht in den Raum. Kaltes, weißes Licht. Colin schloss die Augen. In der Bibliothek war es ruhig. Wundervoll ruhig. Langsam verstand Colin, warum Lucas sich gerne hier her zurückzog. Hier konnte man nachdenken. In Ruhe über alles nachdenken. Ein leichtes Lächeln erschien auf Colins Lippen. Und er öffnete wieder die Augen. Noch immer war nichts zu hören, doch setzte sich der Junge wieder gerade hin und stand dann auf. Der Sessel knarrte, als Colin auf die Beine kam. Genauso wie der Holzboden bei jedem Schritt leise quietschte und unter den Füßen Colins ein wenig nachgab. Nun verstand Colin auch, warum sie alle von Lucas immer bemerkt wurden, wenn er in seinem Sessel saß und las, während sie so still wie möglich über den Boden liefen. Das Holz verriet sie – und sie hatten es nie gemerkt. Amüsiert über seine eigene Blindheit lächelte Colin noch mehr, während er wieder in Richtung Tür lief. Colin würde jetzt erst einmal in sein Zimmer gehen und sich darauf vorbereiten, dass er die nächste Zeit im Haus verbrachte. Das Lächeln verschwand und er seufzte leise. Eigentlich wollte er sich nicht einfach damit abfinden, doch spürte er irgendwie, dass er sowieso keine Chance gegen Lucas hatte. Er hatte sich entschieden und an seiner Entscheidung ließ sich nichts rütteln. Nur mit Widerwillen und Bedauern gestand sich Colin diese Tatsache ein. Aber nun ja... eigentlich hatte Hausarrest auch etwas gutes... Colin konnte sich wieder mehr dem Training widmen, da er von außen so oder so keinen Druck haben würde. Er müsste nicht bei jedem Alarm seine Waffen nehmen und nach draußen stürzen, um irgendsoein Halbdämonenschwein wieder zurück in die Hölle zu schicken, nur weil jemand vollkommen hysterisch geworden war und zum Beispiel eine Schlägerei der Polizei meldete, die dann am jeweiligen Ort eintraf, die sich schlagenden auseinander riss und somit den Zorn des Halbdämons auf sich zog, der dann locker ein, zwei Menschen umbrachte. Jaja... diese Zeit konnte eigentlich ganz schön werden.

Mary schnaubte wütend und lief um Mike herum, der nervös von einem Bein auf das andere trat.
„Du hast ihn also nicht gefunden...“, begann sie und blieb vor dem Vampir stehen. Dieser nickte leicht und schluckte. Mike war sich sicher. Würde sein nun lebloses Herz noch schlagen. Würde es jetzt rasen. Seine Angst noch mehr verraten, als er es eh schon tat. Dennoch zwang er sich, nicht vor Mary zurückzuweichen, als diese ihn aus zornigen, blutroten Augen ansah. Im nächsten Moment wurde ihr Blick sanft. „Und warum hast du ihn nicht gefunden?“, sie legte den Kopf leicht schief und blinzelte. „Er hat... seine Spuren... verwischt...“, stammelte Mike und trat doch einen Schritt zurück. Doch sein Ziel, damit den Abstand zwischen sich selbst und Mary zu vergrößern, wurde leider nicht erfüllt, da sie im nächsten Moment schon wieder bei Mike war und so vor ihm stand, wie sie es schon vorher getan hatte.
„Dann wirst du ihn halt finden, verstanden?! Und es ist mit dieses mal egal, ob er seine Spuren verwischt, oder nicht! Verdammt, du bist ein Vampir!“ Sie hob die Hände und rüttelte Mike an den Schultern. „Wir Vampire lassen uns nicht von einem Ziel abbringen, nur weil wir die Spur zu unserem Ziel nicht mehr haben.“ Sie lächelte Mike aufmunternd zu, der das Lächeln nun erwiderte und sich, nachdem Mary ihn losgelassen hatte, umdrehte, um mit ein paar anderen Vampiren, die am Rande des Platzes gestanden hatten, wieder in die Dunkelheit zu verschwinden. Mary seufzte leise und rieb sich mit einer Hand die Augen. Dann blickte sie sich um und sah in die Gesichter der restlichen Vampire. Sie alle standen auf dem kreisrunden Platz um Mary herum und sahen sie mit ausdruckslosen Gesichtern an. „Holt ihn mir...“, zischte Mary und sah zu Boden. „Holt mir ihn und seine verdammte Tochter!“ Rief sie wütend und trat mit Kraft gegen einen Felsen, welcher daraufhin zerbarste und seine Splitter sich überall auf der Wiese verteilten. Einige Vampire zögerten nicht, drehten sich sofort um und folgten Mike in die dunkle Nacht. Einige andere folgten ihnen nach kurzem Zögern. Nur drei Vampire blieben noch bei Mary. Einer von ihnen saß auf einem seltsam unnatürlich geformten Stein. Er war viereckig und flach und ragte gerade aus dem Boden heraus. Der Vampir hatte kurze, dunkelblonde Haare und genauso rote Augen, wie seine Artgenossen. Er war groß und über seinen gesamten Körper spannten sich Muskeln, die unter dem eng anliegenden T-Shirt gut zu erkennen waren. Er blickte Mary geduldig an. Auch sein Gesicht war ausdruckslos. „Mary...“, begann er und stand auf. Nachdem er sich den Dreck von der Hose geklopft hatte, ging er langsam auf sie zu und griff eine Hand von ihr. Mary hatte sie zu Fäusten geballt und starrte wieder auf den Boden.
„Und holt mir Colin...“ stieß sie aus zusammengebissenen Zähnen hervor, sah jedoch nicht auf. Der Junge bedeutete den anderen Vampiren zu gehen und wandt sich danach wieder Mary zu, die allerdings noch etwas hinzufügte. „Aber lebend!“ Die zwei Letzten hielten kurz inne, nickten dann und rasten ebenfalls in die Dunkelheit. „Es ist mir egal, was die hohen Minister mit ihm vorhaben.“, sagte Mary und kniff die Augen für einen Moment zusammen. „Er gehört mir. Mir ganz allein!“ sie öffnete die Augen wieder und sah den Vampir an, der ihre Hand hielt. Auf seinem Gesicht erschien ein verständnisvolles Lächeln und er nickte.
„Nur dir.“, hauchte er. Dann nahm er auch die andere Hand Marys und zog sie zu sich heran, bevor er seine Lippen auf ihre presste. Leidenschaftlich. Die Vampirzähne machten beiden nichts aus. So scharf und gefährlich sie auch waren – ihnen selbst konnten ihre Zähne nichts anhaben. Mary erwiderte den Kuss. Ihr Hände wanderten in die Haare des Anderen und zogen ihn näher zu sich. Er zog Mary an ihrer Taille an sich heran. So standen sie einige Zeit lang ineinander verschlungen, bevor sie aufhörten zu küssen und sich in die Augen sahen. Beide lächelten.
„Ich liebe dich, Christian...“, flüsterte Mary und lehnte ihren Kopf gegen Christians Brust. Er strich ihr liebevoll durch die langen, braunen Haare.
„Ich dich doch auch.“, antwortete dieser und lächelte sanft. Dann rückte er etwas von Mary ab und legte seinen Arm um ihre Schultern. „Na komm, schauen wir mal, wie deine Vampire die Aufgabe mit Colin bewältigen...“, sagte er leise und grinste. Mary lächelte ebenfalls und nickte. Zusammen verließen sie den Platz und sprangen über ein zugeschlossenes Tor. Friedhof stand in großen Lettern darauf.

Colin saß auf seinem Bett und las. Draußen war es dunkel geworden und er hatte seine Nachttischlampe an. Er seufzte leise und schlug das dicke Buch in seiner Hand auf. „Dunkelheit und Licht.“ Ein Lächeln legte sich auf die Lippen des Jungens, als er die Vertrauten Worte las. „Als ob dies solch Gegensätze seien, wie alle sagen!“ Seufzend legte sich Colin hin und hob das Buch über seinen Kopf, um weiter zu lesen. Doch auch wenn dies sein Lieblingsbuch war... und auch viele Abschnitte aus dem richtigen Leben eines Sheitors dargestellt waren... diesmal konnte sich der Junge einfach nicht dafür begeistern. Schon nach so kurzer Zeit fehlte es ihm, Dämonen zu jagen, Vampiren hinterherzuschleichen, oder einfach nur in sein Lieblingscafé zu gehen. Apropos Vampire... Colin wollte unbedingt wissen, was Mary erst davon abgehalten hatte, ihn zu beißen. Warum hatte sie gesagt, sie dürfe es nicht? Nachdenkend legte Colin das Buch weg und setzte sich wieder auf. Normalerweise beachtete Mary keinerlei Verbote. Sie war der mächtigste Vampir in dieser Stadt und wenn die Vampire einen Sitz bei den hohen Ministern hätten, würde sie diesen höchstwarscheinlich übernehmen. Warum also, achtete sie jetzt darauf, was sie durfte und was nicht? Es beschäftigte Colin so sehr, dass er gar nicht merkte, wie sein Bruder ins Zimmer kam. Erst als er sich neben ihn stellte, blickte er seinen großen Bruder an. Er hatte einen schwarzen, bodenlangen Mantel an, darunter ein ebenso schwarzes T-Shirt und eine schwarze Hose.
„Was ist?“, fragte Colin und machte Nick Platz, welcher sich auf die Bettkante setzte. Er kramte kurz in seiner Manteltasche und holte dann Colins Dolch hervor.
„Ich habe ihn in der Waffenkammer gefunden.“, meinte er nur, überreichte Colin das Messer und stand dann wieder auf, um zur Tür zu treten. Doch anstatt hinauszugehen, blieb er stehen und drehte sich zu seinem Bruder um. „Ja komm jetzt! Oder willst du die ganze Zeit nur hier herum liegen?“ Nick machte einen Wink mit der Hand und schritt dann naus dem Zimmer.
Colin, welcher erst einmal verblüfft sitzen geblieben war, sprang hastig auf und rannte Nick hinterher. Er wunderte sich darüber, dass sein Bruder sich so gekleidet hatte. Offensichtlich hatte er etwas Bestimmtes vor, den normalerweise trugen sie keine spezielle Kleidung, sondern behielten ganz normal Shirt und Jeans an. Colin holte Nick am Eingang der Villa ein und lehnte sich an die Wand neben der Tür.
„So. Und was jetzt? Lucas hat irgendsoeinen Zauber auf mich gelegt. Damit komm ich nicht raus...“
„Pscht!“ machte Lucas nur und kniete sich vor die Tür. Eine Hand legte er auf das dunkle Holz, die andere an sein Herz. In dieser Position murmelte er einige Worte, die Colin nicht verstand. Verwirrt von dem, was sein Bruder gerade machte, betrachtete er Nick und schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte nicht gewusst, das Nick eine solche Sprache beherrschte. Offensichtlich musste er es Colin vorenhalten haben.
Als Nick fertig war, erhob er sich wieder, machte die Tür auf und bedeutete Colin, nach draußen zu gehen. Als dieser sich jedoch weigerte, schob Nick ihn einfach durch die Tür nach draußen. Verblüfft drehte sich Colin um und sah am großen Haus empor. Er konnte es noch immer nicht glauben, nun draußen zu stehen – schließlich war Lucas' Zauber sehr stark gewesen – doch nun... er war wieder frei! Wenn man das so nennen konnte. Strahlend blickte Colin Nick an.
„Wow! Danke! Wo hast du... ich meine was hast du... äh... Wie hast du das geschafft?“ Dankbar umarmte Colin seinen großen Bruder und sah ihn dann fragend an. Dieser grinste allerdings nur breit und kicherte leise.
„Familiengeheimnis. Wirst du auch irgendwann lernen.“ Mit diesen Worten klopfte er Colin auf den Rücken und schritt dann voran in Richtung Stadtrand.

Ein wenig ratlos blickten die zwei Vampire drein, als sie vor dem Heim Colins standen und an der Mauer empor sahen. Sie hatten es schon versucht. Ein Zauber hielt sie davon ab, einzutreten. Ein einfacher Schutzzauber gegen Vampire. Und, als wäre es nicht schon ärgerlich genug, dass sie es nicht schafften ihn zu durchbrechen, konnten sie keinerlei Anzeichen dafür finden, dass Colin wirklich gerade da war, oder nicht.
Also, um es kurz zu machen: Keiner der Beiden hatte auch nur die geringste Idee, wie sie ihrer Aufgabe nachgehen sollten. Nach kurzem Zögern versuchten einer , wieder in die Villa einzubrechen, doch wurde er immer wieder von einer unsichtbaren Kraft zurückgestoßen.
Ärgerlich trat er mit dem Fuß auf und wandte sich an seinen Artgenossen.
„Jake. Das klappt so nicht...“ Er seufzte und schüttelte den Kopf, während sein Partner den Zauber untersuchte.
„Du hast Recht, Daniel. Aber... das wird Mary gar nicht gefallen... Ich meine, dass...“
„Dass was?“ Ursplötzlich stand Mary vor Jake und betrachtete ihn angespannt. „Was wolltest du gerade sagen? Sprich weiter!“ Sie wippte mit dem Fuß und verschränkte die Arme.
„Nunja... ich meine, dass wir Colin wieder nicht gefunden haben...“ Jake trat etwas zurück und sah zu Boden, als er den wieder zornigen Ausdruck auf Marys Gesicht sah.
„Ihr habt ihn nicht gefunden? Was soll das heißen?“ wütend schritt Mary auf Daniel zu, blieb jedoch gleich wieder stehen. „Ich seid noch nicht alt, oder?! Ein Jahrzehnt ungefähr. Nicht wahr?“ Prüfend betrachtete Mary die beiden Vampire, welche sie nun verwirrt ansahen. Daniel nickte.
„Ja so in etwa... warum?“
„Dann ist klar. Vielleicht sollte ich ein paar ältere Vampire als Ausbilder für die noch jungen angagieren... Naja... Daniel, Jake? Ihr geht nach Hause. Sofort. Und ihr werdet noch ein bisschen Zeit damit verbringen, eure eventuelle Gabe zu erforschen und üben, eure Kräfte richtig einzusetzen, klar?!“ Mary machte einen Wink mit der Hand und die beiden Vampire verschwanden. Mit einem Seufzen wandt sich Mary zu Christian um, welcher ruhig wie immer mit verschränkten Armen hinter ihr stand und schüttelte leicht den Kopf. „Erinnerst du mich später daran, dass ich die Neuen ausbilden lassen muss?“ Christian nickte und lächelte leicht. Dankbar blickte Mary ihn an und streckte dann ihre Sinne aus. Sie spürte keinerlei Leben im Haus und in der Näheren umgebung merkte sie auch nichts. Riechen tat sie Colin auch nicht. Warscheinlich war er schon länger weg... aber da! Auf der Grasfläche neben dem Haus erblickte Mary Fußabdrücke. Mit einem triumphierenden Lächeln sah sie erst Christian an und folgte dann den Spuren.
Die Vampire hatten von Anfang an sehr gute Sinne, doch mussten sie diese noch ausbauen, um wirklich unschlagbar zu werden. Denn auch wenn ihnen normale Waffen und Gift nichts anhaben konnten, Silber schadete ihnen. Und selbst, wenn sie es schafften jeglichem Silber aus dem Weg zu gehen, so konnten sie ohne Blut nicht überleben, an welches sie erst einmal möglichst unbemerkt drankommen mussten. Manche Vampire sind deswegen schon von Mary vernichtet worden, weil sie eine Gefahr für das Geheimnis der Existenz von Vampiren waren. Mary selbst war circa 500 Jahre alt. Plus, minus ein bisschen. So genau wusste sie es nicht mehr und mit der Zeit verlor man auch jegliches Zeitgefühl, da Vampire auch nicht schlafen mussten. Sie konnten Tag und Nacht herumlaufen, waren immer wach und stark – außer natürlich, sie hatten Durst. Manche Vampire schliefen zwar, aber immer nur kurz. Schon um die eigene Unauffälligkeit zu bewahren. Nachts waren sämtliche Vampire auf den Beinen und es galt als unschick, Nachts zu schlafen und am Tag verhielten sich die Vampire wie normale Menschen, um ihnen nicht seltsam vorzukommen.
Die meisten Vampire arbeiteten auch irgendwo. Im Gegenteil zu Mary, welche es als Arbeit ansah Wächterin einer Stadt zu sein.

Verwirrt lief Colin seinem Bruder nach und sah sich immer wieder um. Es war nichts Auffälliges zu sehen. Zwar sah die außerstädtische Landschaft im Mondlicht ziemlich geheimnisvoll aus, doch irgendetwas Interessantes ab es nicht.
„Nick, wohin gehen wir? Und warum hast du solche Klamotten an?“ Fragend sah Colin seinen großen Bruder an, während er neben ihm lief. Nick bedeutete Colin nur, still zu sein und ging einfach weiter. Auf einem Hügel blieb er schließlich stehen und blickte grinsend nach vorn. Kaum war Colin ebenfalls da oben, öffnete er geschockt den Mund. Was er dort sah, war nicht mehr normal. In einem Kreis aus Fackeln standen – ebenfalls in Form eines Kreises gestellt – sechs Throne, welche trotz ihrer nicht besonders imposanten Erscheinung alle Blicke auf sich zogen. Die Sitzflächen zeigten nach außen und direkt vor jedem Thron war im Fackelkreis eine Lücke. Drumherum standen viele Menschen, obwohl Colin die Vermutung hegte, dass diese Personen dort unten keine Menschen, sondern Dimensionhüter waren.
Noch immer breit grinsend drückte Nick seinem kleinen Bruder eine schwarze Tasche.
„Zieh dich um. So kannst du nicht unter das Volk treten.“ Nick zwinkerte Colin zu und lehnte sich dann an einen alleinstehenden Baum. Colin verschwand hinter einem Busch, machte die Tasche auf und holte die gleichen Klamotten heraus, welche Nick auch an hatte. Nachdem er sich umgezogen hatte, packte Colin seine alten Klamotten in die Tasche und trat wieder zu Nick, welcher ihn prüfend anblickte. „Hmmmm... steck deinen Dolch in den Gürtel. Genauso, wie dieses Schwert.“ Nick holte ein langes Schwert mit dünner Schneide unter seinem Mantel hervor und gab es Colin. „Die Pistole steckst du in die dafür vorgesehene Schlaufe im Mantel. Ja. Das ist besser. So können wir da runter.“ Nick lächelte seinem Bruder verschwörerisch zu, welcher noch immer erstaunt drein blickte.
„Du hast 'unter das Volk treten' gesagt. Was meinst du damit?“ Colin legte seinen Kopf schief, zog seine Hände aus den Taschen des schwarzen Mantels und verschränkte sie vor der Brust. Mit den schwarzen Klamotten sah er richtig professionell aus. Wie ein Meister seines Handwerks.
„In gewissem Sinne sind wir der Adel der Dimensionshüter. So müssen wir ehrwürdig sein. Auch wenn wir nichts besonderes sind, da der Status eines hohen Ministers nicht vererbt wird außer... ach später. Auf jeden Fall müssen wir professionell aussehen. Die Ehrfurcht der anderen ist unser Ziel.“ Ein Kichern entfuhr Nick und er klopfte Colin auf die Schulter. „Na dann... auf ins Getümmel!“ Die Tasche, in welcher sich Colins Sachen befanden, ließen sie einfach liegen. Doch weit kamen sie nicht. Plötzlich wurde Colin an den Schultern gepackt und nach hinten geworfen, so dass er auf der hinteren Seite des Hügels herunterrutschte. So schnell wie es ging zückte Nick sein Schwert und riss es herum, wo es allerdings nur an einem Körper abprallte, ohne Verletzungen zu verursachen. Verwirrt taumelte Nick zurück und bekam so einen starken Tritt versetzt, dass er mit dem Rücken gegen einen der unten stehenden Throne knallte und zu den Füßen eines hohen Ministers liegen blieb.
Mit einem schadenfrohen Grinsen blickte Christian hinab auf die erschrockene Menge und lachte laut.
„Entschuldigt den kleinen Vorfall! Wir haben, was wir brauchen...“, rief er, wandt sich noch immer lachend um und folgte dann Mary zum bewusstlosen Colin. Dreckig grinsend hob er in auf und rannte dann mit Colin und Mary zurück in die Stadt.

Nick hustete leise und stemmte sich auf die Knie. Sein gesamter Körper schmerzte und doch schaffte er es nach einigen Versuchen, aufzustehen. Wütend sah er hinauf zum Hügel, wo Colin und er angegriffen worden sind. Colin! Wankend kämpfte Nick sich durch die Menschenmasse, welche sich um ihn gedrängt hatte. Manche nur wegen Schaulust, andere aber versuchten ihm zu helfen. Ohne Interesse an der angebotenen Hilfe, stürzte Nick nach vorn, keuchte und hustete Blut, doch war ihm dies egal. Er wollte wissen, wo sein Bruder war. Er wollte wissen, ob es ihm gut ging.
Als Nick zusammenbrach, kroch er weiter auf die Spitze des Hügels, wo er sich schließlich völlig entkräftet ins Gras fallen ließ. Nach einigen Sekunden wischte er sich wütend mit dem Ärmel das Blut vom Mund und kroch wieder weiter, um nach seinem Bruder zu schauen.
„Mist...“, flüsterte er und schüttelte den Kopf. „Nein! Scheiße, scheiße, scheiße!“ Nick schlug mit der Faust auf den Boden und ignorierte den Schmerz, welcher durch seine Glieder schoss. Colin war weg. Er musste entführt worden sein. Nun vollkommen entkräftet drehte sich Nick auf den Rücken und blickte plötzlich in ein ausdrucksloses Gesicht. „Vater...“, hauchte er noch und wurde dann ohnmächtig.

Mit unnatürlich starken Kopfschmerzen öffnete Colin die Augen und erst nach mehrmaligem Blinzeln konnte er schwache Umrisse in der Dunkelheit, die ihn umgab, feststellen. Wie durch einen schweren Schleier nahm Colin Geräusche wahr... es hörte sich wie Dämonensprache an. Wildes Gezischel und Geblubber. Als würde man sich ein Schleimmonster vorstellen, das versucht mit einem zu reden, es aber nicht schafft, weil es sein Maul einfach nicht vernünftig offen halten kann. Ungefähr so, nur viel, viel abscheulicher. Bei Colin löste es sogar einen Würgreiz aus, worauf die Stimme sofort verstummte. In seinem Blickfeld tauchten leuchtende, rote Augen auf und eine helle Stimme drang an Colins Ohren.
„Na, endlich aufgewacht?“ Die Augen wandten sich ab. „Also echt, Caszon, du hättest ihm weniger Mittel geben sollen!“ Als Antwort ertönte abermals das gezischte Blubbern, darauf ein amüsiertes Kichern. „Ja, ganz meine Meinung!“
„Mary, du geisteskranker Vampir... Was hast du... mit mir gemacht...?“ Colin, der wieder einigermaßen bei Bewusstsein war, keuchte vor Anstrengung und versuchte den Kopf zu drehen, was ihm allerdings nicht gelang.
„Typisch Colin. Kannst dich kaum wach halten und trotzdem versuchst du deine dir überlegenden Feinde zu provozieren. Tust du nur so, oder bist du so dumm?“ Marys Augen erschienen wieder im Dunkeln und blitzten gereizt.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Der Junge hatte sich wieder etwas erholt und bewegte vorsichtig seine Finger, welche sich langsam nicht mehr so taub anfühlten wie vorher. „Hattest du wirklich so eine Angst vor mir, dass du mir irgendwelche Drogen verabreichen musstest? Oder fürchtet sich dein Dämonenfreund so vor mir, dass er mir sogar extra viel verabreichte?“ Er kicherte leise, was in einen Hustenkrampf überging, welcher allerdings schon bald wieder aufhörte.
„Momentan ist es ziemlich dumm, so mit mir zu reden, findest du nicht auch?“, presste Mary hervor. Langsam klärte sich das Sichtfeld Colins und er konnte die Konturen von Marys Gesicht und Körper sehen.
„Ich rede mit dir, wie ich will du dämlicher Blutsauger! Verdammt, lass mich frei, dann zeige ich dir, wie dumm ich bin!“ Colin spannt die Muskeln an und zerrte an den rasselnden Ketten, die nicht nur seine Handgelenke, sondern auch seine Füße festhielten. Nur am Rande seines Bewusstsein nahm er das Abwenden Marys und den darauffolgenden Stich in der rechten Armbeuge wahr, bevor ihm wieder schwarz vor Augen wurde.

Mit gestrafften Schultern und hinter dem Rücken verschränken Händen stand Nick vor seinem Vater, welcher im Sessel der hauseigenen Bibliothek saß und mit strengem Blick zu ihm hinauf sah.

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Tag der Veröffentlichung: 06.04.2010

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