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I.


Pater Thomas Süssmund war nicht ganz bei der Sache. Den ganzen Tag schon fühlte er sich nicht gut, und jetzt während des Gottesdienstes schien es ihm von Minute zu Minute schlechter zu gehen. Er hatte sich durch die Predigt gequält und während der Eucharistiefeier fast den Kelch fallen lassen. Außerdem zitterten seine Finger bei der Ausgabe der Hostien. Das war noch nie vorgekommen. Auch durch den Schlusssegen hatte er sich ziemlich schnell durchgewurstelt und einfach den Teil „…und er schenke euch gedeihliches Wetter…“ weggelassen. Und das, wo doch gedeihliches Wetter auf dem Dorf so wahnsinnig wichtig wäre, wegen der Ernte und so weiter. Dass es zwar grade erst Anfang März und an Ernte noch nicht im entferntesten zu denken war, tat jetzt mal vorerst nichts zur Sache. Die Bauern, Bäuerinnen und alten Frauen kamen in die Kirche um gedeihliches Wetter zu bekommen und wenn man ihnen die Bitte für solches verwehrte, dann stank erst mal die Luft.
„A gscheider Pfarrer war des no nia“ – „Jo was muansch denn? Der is doch aus Schwabn. De san no schlimma ois wia de Preissn!“ Diese und andere Unmutsbekenntnisse bekam Pater Thomas schon nicht mehr mit, wobei er sie vielleicht auch nicht verstanden hätte, denn mit seinem Bayerisch haperte es trotz drei Jahren im bayerischsten Hinterland immer noch. So schnell wie möglich war er in der Sakristei verschwunden und hatte sich das Messkleid abgestreift.

Er hatte schon genug Probleme, aber nun musste er sich dringend etwas einfallen lassen, denn Baumeister Alfons Meier, vom Baugeschäft Meier GmbH, würde heute seine Drohung wahr machen. Er hatte über vier Wochen zum desolaten Zustand der Wallfahrtskirche geschwiegen. Genau die vier Wochen, die er Pater Thomas zugestanden hatte, sich selbst um das Problem zu kümmern. Nachdem jedoch nichts geschehen war, weder die Dorfbewohner Bescheid wussten, noch ein Gerüst die akut einsturzgefährdete Kirche stützte, würde der Meier Alfons heute mit einer Reporterin vom regionalen Käseblatt kommen und sie über sämtliche Gefahren aufklären, die im morschen Fundament der Kirche lauerten. Und dann wäre nicht nur der mühsam aufgebaute Klosterladen dem Ruin geweiht, sondern auch der Wirt der Klostergaststätte, der endlich einen guten Eindruck auf die Dorfbewohner und auf Pater Thomas gemacht hatte, würde den Vertrag kündigen, da natürlich die Touristen ausbleiben würden. Denn warum eine einsturzgefährdete Kirche besuchen, wenn man 20 km weiter in einer vollständig stabilen Wallfahrtskirche genauso gut für sein Seelenheil beten konnte. Deshalb durfte vorerst noch niemand davon erfahren. Er würde eine Lösung finden und die Kirche würde schon so lange halten. Sie hatte immerhin schon 350 Jahre auf dem Buckel und wenn sie in der Zeit nicht zusammengestürzt war, warum sollte sie das jetzt tun. Aber wie den Meier Alfons umstimmen. Es glich sowieso schon einem Wunder, dass er ihm überhaupt die vier Wochen zugestanden hatte. Mit dem war eigentlich nicht zu spaßen. Aber ein paar Flaschen vom guten Wein aus dem Klosterladen hatten ihn tatsächlich überredet. Allerdings würde er sich jetzt bestimmt nicht mehr so leicht abspeisen lassen. Vor allem die Aussicht, dass der Meier Alfons als großer Held im Eilenbacher Anzeiger gefeiert werden könnte, der die Menschen vor einer schrecklichen Katastrophe gerettet habe, würde es nicht leicht machen ihm noch einen Aufschub aus den Rippen zu leiern.
„Also Herr Meier, jetzt hören Sie mir doch bitte zu. Ich hab doch schon eine Idee, wie ich das Ganze zu einem guten Ende bringe. Es wäre wirklich sehr freundlich von Ihnen wenn Sie mir noch einen Tag Aufschub geben könnten. Nur einen Tag! Ich muss nur noch etwas abklären. Der Herrgott wird’s Ihnen vergelten!“ – „Na, von mir aus. Aber nur wenn Sie für mi a Kerzn anzünden, in der Kirche. I trau mi do ja nimma nei. Und a paar Flaschen von dem guaden Wein warn a net schlecht.” – „Bekommen Sie alles. Und ich werde heute für Sie und Ihre Familie beten. Herzlichen Dank! Ich ruf Sie morgen noch mal an. Auf Wiederhören.“

Doch am nächsten Morgen war das Auto des Pfarrers fort und auch er nirgends aufzufinden. An diesem Tag musste die Dorfgemeinde schon wieder auf gedeihliches Wetter verzichten. Und als der Pfarrer auch am nächsten Tag verschwunden blieb, rief man die Polizei.


II.


Polizeihauptkommissar Markus Speetz fragte sich, was ihn eigentlich geritten hatte, als er der Bitte seiner Frau zugestimmt hatte, näher zu ihren Eltern zu ziehen. Er hatte seine Schwiegereltern immer gemocht und irgendwie fand er auch das Argument seiner Frau durchaus stimmig, dass sie dann immer einen Babysitter zur Hand hätten, der sich um ihre beiden Kinder kümmern könnte. Sie würden dann viel mehr zu zweit unternehmen können, hatte sie behauptet, und überhaupt ein schöneres Leben führen. Und außerdem sei frische Luft und Platz zum Austoben für Kinder in der Wachstumsphase eigentlich unabdingbar. Was sie ihm allerdings verschwiegen hatte, war die Tatsache, dass man im Prinzip nichts unternehmen konnte und schon gar nicht zu zweit. Denn das einzige Lokal im Ort hatte seiner Meinung nach den romantischen Charme eines Kuhstalls und jedes Mal die halbe Stunde nach Augsburg oder sogar die ganze Stunde nach München zu fahren, darauf hatte er wahrlich auch keine Lust. Außerdem war er sowieso die meisten Abende damit beschäftigt seine Kinder wieder sauberzuschrubben, wenn sie mal wieder ein Schlammschloss gebaut hatten, oder beim Stichlingsfang in den kleinen Bach gefallen waren. Was sollte überhaupt dieser ganze Mist, von wegen Kinder sollen auf dem Land aufwachsen. Er war in der Stadt aufgewachsen und das hatte ihm auf keinen Fall geschadet. Und jetzt saß er in der wahrscheinlich kleinsten Polizeidienststelle der Welt und konnte sich mit Fällen rumschlagen, bei denen sich in München schon die Polizeianwärter langweilten. Im Moment saß er wieder im Auto auf den Weg in Nachbardorf und fragte sich, was ihn wohl diesmal erwarten würde. Bestimmt hat jemand eine Kuh umgeschubst oder jemand hat mal wieder eine Grenze unerlaubterweise zu seinen Gunsten verschoben.

Man hatte ihn zum Kirchplatz gerufen, was prinzipiell noch nichts darüber aussagte ob dort das „Verbrechen“ geschehen war. Es war nur einfacher, die ganze Gemeinde dort zu versammeln. Denn natürlich durfte niemand etwas verpassen. Und richtig, als er um die Kurve bog, sah er sie schon stehen. Wie ein Willkommenskomitee machten sie Platz für sein Auto und er fuhr durch sie hindurch und hinauf zum Klosterparkplatz. Speetz schälte seine 1,90 m aus dem Auto und machte sich auf den Weg zum Zentrum der Menschenmenge. Mit seinen 40 Jahren war er eine imposante Erscheinung. Sein dunkelbraunes Haar trug er kurz und seine Augen schienen jeden, den sie trafen zu durchbohren. Die Menschen auf dem Kirchplatz wichen automatisch einen Schritt zur Seite als er sich näherte. Ein Gutes hat die ganze Sache ja, dachte er bei sich, zumindest hat man auf dem Dorf noch Respekt vor der Polizei.

„Meine Name ist Polizeihauptkommissar Speetz. Wer von Ihnen hat die Polizei gerufen?“ fragte Speetz in die Runde. „Das wäre dann wohl ich.“, meldete sich ein etwas älterer, in schwarz gekleideter Mann, mit einem Kollar. „Pater Robert Elbar ist mein Name. Ich bin einer von zwei Priestern in diesem Dorf. Allerdings ist mein Mitbruder Pater Thomas Süssmund der, um den es hier geht. Er ist seit vorgestern Abend mitsamt seinem Auto verschwunden und hat keine Nachricht hinterlassen. Er hat zweimal die Messe verpasst. Das ist ihm noch nie passiert. Deshalb hielt ich es für besser, Sie einzuschalten.“
„Kann es nicht sein, dass es einen Notfall in der Familie gab und er überstürzt aufbrechen musste und einfach noch keine Zeit hatte jemandem Bescheid zu geben?“ fragte Speetz. Für ihn sah das ganze so aus, als hätte man erst mal die Pferde scheu gemacht, ohne die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen. „Das war auch mein erster Gedanke.“, meldete sich Pater Robert zu Wort. „Deshalb habe ich bereits seine Familie angerufen und nachgefragt. Aber dort wussten sie von nichts.“ „Hat er denn kein Handy, auf dem man ihn erreichen könnte?“ hackte Speetz weiter nach. „Doch, natürlich hat er ein Handy. So rückständig ist die Katholische Kirche dann doch nicht. Aber sein Handy ist aus. Ich habe seit er verschwunden ist, bestimmt 100mal versucht anzurufen. Aber jedes Mal die Mailbox.“, klärte ihn Pater Robert auf.

„Kann sich jemand von Ihnen vorstellen, warum Pater Thomas weggefahren sein könnte?“ Speetz war noch nicht bereit, eine natürliche Ursache auszuschließen. „Ja, i ko mia’s vorsteun!“ drängte sich ein rotnasiger, dickbäuchiger, älterer Mann nach vorne. „I bin der Meier Alfons vom Baugeschäft Meier GmbH. Und i sog der is abghaun!“ „Jetzt müssen Sie mir aber erklären warum der Pater Thomas abgehauen sein soll.“ „Oiso, i sogs eana. Vor vier Wocha, war i in da Kirche und do hob i sowas knacksn gheard. Und do hob i an Pater Thomas gfragt ob i do moi nochschaun soi. Weil i bin ja a Baumoaster und i versteh wos vo Haisa.“ Speetz unterbrach ihn. „Bitte, von was verstehen Sie was?“ „Von Häusern“ wiederholte der Maier Alfons überdeutlich. „Ja jedenfois, hob i dann nachgschaut und hob gseng, dass die Balken vo der Kirche und des Fundament ganz morsch san.“ Offensichtlich war er nicht gewillt das Bayerische ganz abzulegen und so war Speetz gezwungen sich das meiste zusammenzureimen. Aber immerhin hatte er verstanden, dass das Fundament der Kirche anscheinend schon bessere Zeiten erlebt hatte. „Und wie gings dann weiter?“ hakte Speetz nach. „Ja, des hob i hoit dann dem Pater Thomas erklärt und hob i iam gsagt, dass a eigentlich koan mehr in de Kirche neilassen derft, weil des Ding zamstürzen kannt.“ „Und wie hat Pater Thomas reagiert?“ „Der hod gsagt i soi iam vier Wocha Zeit gebn, damit a schaugn kann wiar a des am besten macht. Und dann hod a ma no sechs Flaschen vom guaden Wein ausm Klosterladen gschenkt, damit i’s koam verzeu.“, schloss der Meier Alfons seine Erzählung ab.
„Er hat ihnen also sechs Flaschen Wein gegeben, damit Sie die ganze Sache erst mal für sich behalten. Aber warum wollte er überhaupt, dass das niemand erfährt?“, Speetz musste sich schon sehr wundern, was in einem Dorf so alles passieren konnte. Einsturzgefährdete Kirche und Bestechungsversuche hätte er hier nicht erwartet. „Pater Thomas hing sehr an dieser Kirche und wollte mehr Touristen anlocken.“, schaltete sich Pater Robert ein. „Vor ein paar Jahren hat er durchgesetzt, dass die alte Klostermauer abgerissen wurde und stattdessen ein Klosterladen und eine Klostergaststätte gebaut wurden. Er hatte wahrscheinlich Angst, dass wenn die ganze Sache mit der Einsturzgefahr an die Öffentlichkeit kommt, keine Touristen mehr kommen, er den Klosterladen schließen muss und der Wirt der Klostergaststätte den Pachtvertrag auflöst.“ „Das sind alles Gründe, warum er verhindern wollte, dass die Sache an die Öffentlichkeit gerät. Aber warum haut er denn gleich ab? Damit werden doch auch noch die großen Zeitungen auf die Geschichte aufmerksam und er hat noch viel mehr Öffentlichkeit. Das gibt doch keinen Sinn.“ warf Speetz ein. „Ich könnte mir auch vorstellen, dass er Angst hatte vor der Reaktion der Dorfbewohner.“, schlug Pater Robert vor, „Immerhin hat er sie wissentlich in Gefahr gebracht. Stellen Sie sich nur vor, die Kirche wäre während eines Gottesdienstes eingestürzt…Gott sei Dank ist noch nichts passiert.“
„Ja, da können sie wirklich froh sein.“, gab auch Speetz zu. „Dann gehen wir mal davon aus, dass er wirklich Angst davor hatte in einem schlechten Licht dazustehen und den Ärger der Gemeinde auf sich zu ziehen. Wohin meinen Sie könnte er sich abgesetzt haben?“ „Gute Frage.“, überlegte Pater Robert. „Ich weiß, dass seine Familie in Augsburg wohnt, aber dort habe ich schon angerufen und da ist er nicht. Aber ich glaube, er hat eine Schwester, die in Budapest Medizin studiert. Vielleicht ist er zu ihr gefahren.“ „Das werden wir auf jede Fall überprüfen. Wir werden ihn schon finden.“, versicherte der Hauptkommissar. „Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie sofort die Kirche einsturzsicher herrichten lassen? Und lassen Sie bitte bis dahin niemanden in die Kirche. Ich werde morgen zwei Kollegen herschicken, die überprüfen werden, was Sie in die Wege geleitet haben. Wenn sich Pater Thomas bei Ihnen meldet, sagen Sie mir bitte sofort Bescheid. Ach ja, und ein Foto von ihm bräuchte ich noch für unsere Vermisstenkartei. Gut, das war’s dann! Schönen Tag noch!“

Speetz verabschiedete sich und machte sich wieder auf den Weg zum Auto.
Das war ja schon fast etwas, das man als Fall bezeichnen konnte. Ein verschwundener Priester. Das gab es auch nicht alle Tage. Glücklicherweise war Pater Robert so umsichtig gewesen, bereits ein Foto von dem Vermissten dabei zu haben, sonst hätte er noch länger in diesem Kuhdorf voller sensationsgeiler Bewohner aushalten müssen. Er würde den Fall gleich an Polizeikommissar Heinke abgeben. Der kann das ganze Telefonieren übernehmen. Zuviel Kommunikation an einem Tag war Speetz heute wirklich nicht zuzumuten.


III.


Ende März hatte die Gemeinde Pater Thomas bereits so gut wie vergessen. „Der hockt auf irgenda Insel und lasst si’s guad gehn.“, war die gängige Meinung. In der Kirche befand sich seit dem Vorfall ein Gerüst, das zwar nicht besonders schön war, aber zumindest die Einsturzgefahr bannte und Pater Robert tat sein Bestes um sowohl den Klosterladen, als auch die Gaststätte am Laufen zu halten.
Ende März war nicht nur die Zeit des Vergessens, sondern auch die Zeit des traditionellen Saugtrogrennens im Dorf. Sautrogrennen bedeutete, dass sich die Burschen des Dorfes todesmutig in Sautrögen in den kleinen Fluss des Dorfes stürzten und dort ein Rennen austrugen, das durch Aufgaben wie Baumstämme sägen oder Kampftrinken noch interessanter gemacht wurde. Auch in diesem März gab es natürlich ein Sautrogrennen und wie immer ging es feuchtfröhlich zur Sache. Wem es nicht bewusst ist, dem sei gesagt, einen Sautrog durch einen Fluss zu fahren ist nicht die schwerste Sache der Welt, aber sicher auch nicht die leichteste. So ein Sautrog hat Ecken und Kanten und es ist schwer das Gleichgewicht zu halten, während man rudert. Außerdem hat er oft versteckte Löcher und läuft manchmal ziemlich schnell mit Wasser voll. Noch nie ist ein Teilnehmer wirklich trocken geblieben. Und so war es nicht verwunderlich, dass auch in diesem März wieder mehrere Teilnehmer ins Wasser stürzten. So auch der Hintermüller Michi und das Fallen des Hintermüller Michis machte die ganze schöne Vergessenstaktik des Dorfes zunichte. Denn der Michi trat am Boden des Flusses auf etwas Weiches. Und wie sich herausstellte, weilte Pater Thomas offenbar doch nicht auf einer Insel. Im Gegenteil: Er hatte das Dorf nie verlassen.

***



Die haben eine Leiche gefunden. Die haben eine Leiche gefunden. Verdammt noch mal, die haben eine Leiche gefunden! Diese Worte liefen in einer Endlosschleife durch den Kopf von Polizeikommissar Simon Heinke. Er war nun seit fast acht Jahren Polizist, ein junger, motivierter, aufstrebender Bursche, aber er hatte noch nie mit einer Leiche zu tun. Bis auf einmal: ein Herzinfarkt-Toter. Und selbst dabei war ihm schlecht geworden. Ganz ruhig und immer blässer werdend saß er jetzt im Auto neben Polizeihauptkommissar Speetz, den die ganze Sache völlig kalt zu lassen schien. Das war auch kein Wunder, schließlich hatte der in München bestimmt schon 1000 Leichen zu Gesicht bekommen. Er war wirklich froh, dass er auf dem Land seinen Polizeidienst verrichten durfte. Ein Diebstahl hier, ein Nachbarschaftsstreit da und ab und zu eine Verkehrskontrolle und das war’s dann auch. Ein schönes geruhsames Leben, so wie er sich das immer vorgestellt hatte. Und in seiner Vorstellung kamen sicher keine Leichen vor! Ganz sicher nicht! Heinke versuchte sich zu beruhigen. Er wollte sich vor seinem älteren Kollegen nicht blamieren. Eine Leiche kann einem ja eigentlich nichts mehr anhaben.

„Also, ich hab gehört, die haben ihn im Fluss gefunden.“, fing Speetz auf einmal an. „Wenn der seit Anfang März da drin gelegen hat, dann sieht er jetzt bestimmt nicht mehr schön aus. Bestimmt ziemlich aufgedunsen. Meinst du, du hältst den Anblick aus?“ „Mmmh, sicher.“, murmelte Heinke. „I schaff das scho.“ Heinke war in dieser Gegend aufgewachsen und hatte lange gebraucht, um sich das Bayerische abzutrainieren. Normalerweise sprach er perfektes Hochdeutsch, nur wenn er aufgeregt war, kam der Dialekt noch durch. „So lange du mir nicht auf die Leiche kotzt, ist alles ok. Also einfach weggehen, wenn dir schlecht wird. Ich versteh das schon. Mir ist auch schlecht geworden, bei meiner ersten Leiche. Aber man gewöhnt sich an alles!“, lachte Speetz. Ihm war aufgefallen, dass sein junger Kollege schon ganz blass um die Nase geworden war und hatte gehofft ihn ein bisschen aufmuntern zu können. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob ihm das gelungen war.

Am Fundort der Leiche angekommen, sahen sie, dass sich bereits ein Sanitäter um den jungen Mann kümmerte, der die Leiche unfreiwillig entdeckt hatte. Er schien erst mal genug zu haben, vom Sautrogfahren. Auch die anderen Fahrer hatten ihre Sautröge aus dem Wasser gezogen und sie am Ufer aufgereiht. Wieder einmal war das ganze Dorf versammelt. Und es war nicht schwer zu erraten, wo man die Leiche finden würde. Speetz und Heinke drängten sich zur Mitte des Kreises und baten die Menschen zurückzutreten. Außer ihnen war bereits die Feuerwehr anwesend, die die Leiche geborgen hatten. Und auch Pater Robert stand ganz im Zentrum des Kreises und bestätigte sogleich, was Speetz schon längst vermutet hatte. „Das ist Pater Thomas. Ich hab ihn gleich an dem Muttermal an seinem Hals erkannt.“ „Treten Sie bitte alle zurück. Sie behindern die Polizeiarbeit, wenn Sie hier so dichtgedrängt stehen.“ Speetz hasste solche Menschenansammlungen, vor allem weil sie ihn von den wichtigen ersten Schritten beim Fund einer Leiche ablenkten. „Verscheuch mal die Leute!“, forderte er Heinke auf, der immer noch ein wenig verschreckt einige Meter Abstand zur Leiche wahrte. Dieser Aufforderung kam Heike nur zu gerne nach und nach ein paar Minuten hatte er es tatsächlich geschafft, die Menschenmenge zu zerstreuen.

Währenddessen kniete Speetz über der Leiche und sprach seinen ersten Eindruck in sein Diktiergerät. „Männliche Leiche; ca. 35-40 Jahre alt; vorläufig identifiziert als Pater Thomas Süssmund; trägt schwarze Hose, schwarzen Pullover und Kollar; Leiche war offensichtlich mit Steinen beschwert; große Wunde an Kopf in Stirnhöhe; Zustand der Leiche deutet darauf hin, dass sie schon länger im Wasser lag.“ In der Zwischenzeit waren sowohl Gerichtsmediziner als auch Polizeifotograf eingetroffen und Speetz machte Platz. Er kannte den Gerichtsmediziner nicht, der extra aus Augsburg angefordert worden war, da seine Polizeidienststelle natürlich keinen beschäftigte, aber auf ihn machte er einen sehr fähigen Eindruck. „Meine Name ist Polizeihauptkommissar Markus Speetz und das hier ist Polizeikommissar Simon Heinke. Wir werden in diesem Fall ermitteln.“, stellte sich Speetz dem Gerichtsmediziner vor. „Freu mich. Mein Name ist Loth. Auf gute Zusammenarbeit.“, der Gerichtsmediziner gab beiden die Hand.

„Wie schnell werden Sie uns sagen können, wann unser Mann hier gestorben ist?“, fragte Speetz. „Das ist bei Leichen, die im Wasser gelegen haben immer so eine Sache, weil der Verwesungsprozess doch ein ganz anderer ist, als bei Landleichen, wenn ich das mal so sagen darf. Ich kann ja nicht einfach sein Bein anschneiden und die Jahresringe zählen, nicht wahr. Aber Spaß bei Seite, ich denke morgen, spätestens übermorgen werde ich alle Ihre Fragen beantworten können.“, meinte Loth. Speetz hatte bereits mit einigen Gerichtsmedizinern zusammengearbeitet und war nicht überrascht über den morbiden Humor von Loth. Er wusste, ohne Humor würde viele an dem Beruf zugrunde gehen und er wusste auch, dass er auf keinen Fall mit ihnen tauschen wollte.
Heinke, der sich noch immer nicht besonders nah an die Leiche herangetraut hatte, nahm langsam eine leicht grünliche Gesichtsfarbe an und war offensichtlich ein wenig erschrocken über den Humor des Gerichtsmediziners. „Soll ich scho moi den jungen Mann befragen, der die Leiche gefunden hat?“, fragte er Speetz, der sich immer noch mit dem Gerichtsmediziner unterhielt, hoffnungsvoll. „Klingt nach einer guten Idee! Geh schon mal vor, ich komm dann nach!“, rief ihm Speetz zu und Heinke machte sich nur zu gerne auf den Weg. Jeder Schritt weg von der Leiche, war ein guter Schritt.

„So, Sie haben also die Leiche gefunden. Wie heißen Sie denn?“ Heinke wollte sich auf keinen Fall ankennen lassen, dass ihm genauso schlecht geworden war, wie dem Hintermüller Michi, der immer noch wie ein Häuflein Elend auf dem Sanitäterwagen saß. „I bin der Michael Hintermüller.“, begann der junge Mann. „Und i hob den net umbrocht! Ganz sicha net! I bin bloß auf ihn drauftretn! Bitte verhaftens mi net! I muass doch moing ind Arbeit!“ Eine so große Verzweiflung hatte sich im Gesicht vom Hintermüller Michi ausgebreitet, dass sich Heinke zusammenreißen musste, nicht laut loszulachen. Dachte der tatsächlich, nur weil er die Leiche gefunden hatte, meint die Polizei gleich, „Alles klar, der hat den auch abgemurkst!“. „Jetzt kriegen Sie sich bitte mal wieder ein!“, versuchte er den Hintermüller Michi zu beruhigen. „Nur weil Sie die Leiche gefunden haben, heißt das doch nicht, dass Sie verhaftet sind. Wir müssen nur für das Protokoll den Namen des glücklichen Finders wissen.“ Anscheinend hatte der Humor des Gerichtsmediziners auf ihn abgefärbt. „Also ihr Name ist Michael Hintermüller. Wie alt sind Sie denn?“ „21. Seit letzter Woche.“, kam die schon etwas beruhigter klingende Antwort. Nachdem auch Wohnort und Beruf vom Hintermüller Michi geklärt waren und er zu seinem Verhältnis zu Pater Thomas angab „Mei, des war hoit unser Pfarrer.“, machte sich Heinke wieder auf den Weg zurück zu Speetz, der gerade dafür gesorgt hatte, dass der Tote abtransportiert werden konnte.

„Jetzt haben wir tatsächlich eine Leiche an der Backe.“ sagte Speetz zu Heinke. „Mal schauen, was da rauskommt.“


IV.


- „Oiso wensch mi frogst, dann war’s ganz klar da Baumler Hias. Der hod doch den Pfarrer no nia gmingt. Und imma hod der über de Predigt glästert.“
- „Ja, do hosch Recht, Zenz. Der kannts scho gwesen sei. Wenn der wos sauft, do woaß der doch nimma wos a macht.“
Dass diese Aussage auf dreiviertel der männlichen Dorfbevölkerung zutraf, interessierte in diesem Moment keinen. Interessant war nur, dass so schnell wie möglich ein Sündenbock gefunden wurde. Nun war aber der Baumler Hias nicht der einzige Verdächtige, auch der Schönmeister Martin und der Zankel Michi wurden der hinterhältigen Meuchelei beschuldigt. Und nachdem der Baumler Hias, der Schönmeister Martin und der Zankel Michi das natürlich nicht einfach auf sich sitzen lassen konnten, wurden auch noch der Brühlinger Paul und sogar der Meier Alfons in den Kreis der Verdächtigen aufgenommen.
Nun gehörte aber dem Baumler Hias die einzige Bäckerei im Dorf und wenn man frische Brezen und nicht „de greisligen ausm Aldi“ wollte, dann musste man sich zur Baumler Bäckerei gehen und so tun, als wäre man sich sicher, dass der Schönmeister Martin der gesuchter Mörder war. Denn der Baumler Hias war von der Schuld des Schönmeister Martin genauso überzeugt, wie der von der seinen. Im Kindergarten nämlich hatte der Schönmeister Martin dem Baumler Hias einen Spielzeugtraktor auf den Kopf gehauen. Und wer als Kind schon zu so etwas fähig ist, der bringt auch als Erwachsener einen Pfarrer um.
Der Schönmeister Martin wusste aber nur noch, dass der Baumler Hias ihm als 14jähriger die Freundin ausgespannte hatte. Und wer als Teenager schon zu so etwas fähig ist, der bringt auch als Erwachsener einen Pfarrer um. Nun gehörte allerdings dem Schönmeister Martin die einzige Metzgerei im Dorf und so kam es schließlich dazu, dass der Baumler Hias seine Semmeln ohne Weißwurst und der Schönmeister Martin seine Weißwurst ohne Semmeln essen musste.
Der Zankel Michi war von vorneherein verdächtig, weil er aufs Gymnasium gegangen war. Und wer weiß schon, was die ihm da alles beigebracht haben. Bestimmt haben die ihm erzählt, dass es Gott nicht gibt und deswegen hat der den armen Pfarrer abgemurkst. Dass der Zankel Michi halbseitig gelähmt war und kaum einen Hammer oder ähnliches halten, geschweige denn schwingen konnte, wurde vorsichtshalber mal ignoriert.
Der Brühlinger Paul und der Meier Alfons hatten ebenfalls noch ein Hühnchen zu rupfen und verdächtigten sich der Einfachheit halber gegenseitig. Vor einigen Jahren nämlich hatte der Meier Alfons dem Brühlinger Paul das Haus gemauert und der Brühlinger Paul hatte das nie bezahlt, weil die Arbeit nämlich schlampig gemacht worden war. Und wenn man dem Brühlinger Paul glaubt, dann kann jemand, der schlampig arbeitet, auch einen Pfarrer umbringen. Und der Meier Alfons schwört Stein auf Bein, dass jemand, der seine Rechnungen nicht bezahlt, auch einen Pfarrer umbringen kann. Die beiden trugen die ganze Sache dann in einem Faustkampf aus, um zu beweisen, wie wenig sie einer Fliege etwas zu leide tun konnten.
Die Verwandtschaft des jeweils vermeintlichen Meuchelmörders verdächtigte natürlich alle anderen und so kam es, dass dem Baumler Hias die gesamten Schönmeister Kunden abhanden kamen und der Schönmeister Martin natürlich die gesamte Baumler Verwandtschaft verlor, die immerhin fast ein Viertel der Dorfbevölkerung ausmachten. Und der Schwager vom Brühlinger Paul, der eigentlich sein neues Geschäft vom Meier Alfons machen lassen wollte, ging lieber ins Nachbardorf und gab dem Baugeschäft Kellner GmbH den Auftrag. Es war eine Zeit der Einbußen für das Gewerbe im Dorf.

***



Auch Speetz hatte mit Einbußen zu kämpfen. Der Bericht der Gerichtsmedizin war immer noch nicht da und zu allem Überfluss hatte auch noch sein Auto den Geist aufgegeben. Und nun saß er in dieser Todesschleuder mit dem sonst so bedächtigen Heinke, der sich offensichtlich für den nächsten Michael Schuhmacher hielt. „Verdammt Heinke, ich bin noch zu jung zum Sterben! Fahr doch mal langsamer!“, entfuhr es Speetz. „Keine Sorge, Chef! Ich könnte die Straßen hier auch blind fahren und es würde nichts passieren.“ versicherte ihm Heinke und ging trotzdem vorsichtshalber mal vom Gas. Er war nicht der Typ, der sich absichtlich mit seinem Vorgesetzten anlegte. Aber insgeheim freute er sich schon, dass auch der gestandenen Hauptkommissar nicht vollkommen furchtlos war. Bereits einige Minuten später hatte Speetz die Höllenfahrt heil überstanden und die beiden Polizisten standen vor dem Haus in dem Pater Thomas aufgewachsen war. „Ich stelle die Fragen, du schreibst mit.“, wies Speetz Heinke an. „Und ich wünsche nicht unterbrochen zu werden. Wenn dir noch eine Frage dringend unter den Nägeln brennt, dann warte bis ich fertig bin. Alles klar?“ „Alles klar.“, murmelte Heinke kleinlaut. Hätte er gewusst, dass Speetz so empfindlich auf einen etwas schnelleren Fahrstil reagieren würde, er hätte sicher den Fuß vom Gas gelassen, oder am besten gleich Speetz selbst fahren lassen. Das nächste Mal würde er es besser wissen. „Kommst du jetzt, oder was?“, raunzte Speetz in seine Richtung und Heinke beeilte sich zu seinem Chef aufzuschließen.

Speetz grummelte innerlich vor sich hin, aber nun würde er sich zusammenreißen müssen. Bei Gesprächen mit Hinterbliebenen war immer Fingerspitzengefühl gefragt. Glücklicherweise war er nicht der Erstüberbringer der Todesnachricht. Das hatte bereits ein Augsburger Kollege übernommen.
Er klingelte und keine drei Sekunden später öffnete sich bereits die Haustür und ein stattlicher Mann von ungefähr 65 Jahren stand den Polizisten gegenüber. „Herr Süssmund, unser herzliches Beileid. Mein Name ist Speetz und das ist mein Kollege Heinke. Es tut uns sehr leid, dass wir Sie in dieser schweren Zeit noch zusätzlich belasten müssen. Aber wir wollen natürlich den Mörder Ihres Sohnes so schnell wie möglich fassen.“, versuchte Speetz einen möglichst einfühlsamen Gesprächsbeginn zu schaffen. „Ja, jetzt reißen Sie sich nicht gleich ein Bein aus! Kommen Sie doch erst mal rein.“ Offensichtlich war Einfühlsamkeit bei Heiner Süssmund nicht unbedingt angebracht. Während Speetz und Heinke eintraten, redete Süssmund bereits weiter. „Wissen Sie, der Junge hat schon immer gemacht was er wollte. Mich hat’s auch nicht gewundert, als die mir erzählt haben, er wär abgehauen. Bei uns hätt er sich sowieso nicht gemeldet.“ „Hatten Sie kein enges Verhältnis zu Ihrem Sohn?“, fragte Speetz vorsichtig. „Nicht seit er dieser komischen Sekte beigetreten ist. Ich hab meinen Sohn doch nicht zur Meinungsfreiheit erzogen, dass er sich dann der katholischen Kirche anschließt. Das sind doch die Allerschlimmsten! Tun so, als wären sie so heilig und so allwissend, aber dann die Priester ins Zölibat schicken! Das kann mir doch keiner erzählen, dass das normal ist!“, Süssmund hatte sich richtig in Rage geredet, während er die Kommissare in Richtung Wohnzimmer dirigierte. Inzwischen war auch die Mutter des Toten im Zimmer erschienen und versuchte ihren Mann zu beruhigen. „Heiner, hock dich doch bitte hin. Es ist doch alles schon schlimm genug.“ Man sah ihr an, dass sie die letzte Nacht wenig geschlafen hatte und ihr der Tod des Sohnes sehr nahe ging. „Er meint das alles nicht so.“, wandte sie sich an Spretz. „Das ist nur der Schock.“ „Schock? Das ich nicht lache. Bei dem Verein wundert mich gar nichts mehr. Wahrscheinlich hat denen irgendwas nicht gepasst am Thomas und dann haben die ihn abgemurkst. So machen die das doch in der Kirche. Man muss sich doch nur die Hexenverbrennungen und die Inquisition anschauen. Seitdem hat sich doch nichts geändert! Nichts!“ Süssmund war kaum mehr zu bremsen. „Ich hab’s ihm gleich gesagt! Wenn du Pfarrer wirst, hab ich gesagt, dann wirst du dich noch wundern, was die alles mit dir machen! Aber er hat ja nie auf mich gehört! Seit er sprechen konnte, hat er immer nur nein, nein, nein gesagt und gemacht was er wollte! Als Vater verzeiht man ja einiges. Aber wo er dann katholischer Priester werden wollte, da war’s vorbei!“ Spretz hatte bis dahin geduldig zugehört, doch nun hatte er das Gefühl, die Schimpftirade unterbrechen zu müssen. „Wann haben Sie Ihren Sohn das letzte Mal gesehen, Herr Süssmund?“ „Das müsste an Weihnachten gewesen sein. Meine Frau war der Meinung wir sollten uns wieder vertragen. Aber der Junge war so stur, da war nichts zu machen.“, antwortete Herr Süssmund. „Können Sie das bestätigen?“, wandte sich Speetz nun an dessen Frau. „Ja, das stimmt. Das war kein besonders schönes Weihnachtsfest. Mein Mann hat Thomas seitdem nicht mehr gesehen. Ich hab ihn noch einmal an seinem Geburtstag im Februar besucht. Aber er war ja immer so beschäftigt, mit der Kirche und dem Laden.“, bestätigte Mareike Süssmund die Aussage ihres Mannes.

„Könnten Sie sich vorstellen, wer Ihrem Sohn etwas zu leide tun wollte? Hatte er Feinde?“, hakte Speetz jetzt weiter nach. „Woher sollen wir das wissen? Wir haben doch den Jungen kaum gesehen. Aber irgendeiner von den Kirchenfuzzis wird es schon gewesen sein. Denen ist doch alles zuzutrauen!“, schaltete sich einmal mehr Heiner Süssmund in das Gespräch ein und auch seine Frau konnte sich nicht vorstellen, wer Pater Thomas auf dem Gewissen haben sollte. Speetz wollte sich schon verabschieden, da tippte ihm Heinke auf die Schulter. Spretz hatte schon fast vergessen, dass Heinke auch da war, so wie er in der Ecke still und leise jedes gesprochene Wort notiert hatte. „Ich hätte da noch ein Frage: Herr Süssmund wo waren Sie am 3.März so gegen Abend?“, drängte sich Heinke mutig nach vorne. „Warum wollen Sie das wissen?“, frage Süssmund mit einem gefährlichen Unterton. „Das ist der Tag an dem Ihr Sohn verschwunden ist.“, erklärte Heinke. „Und wir müssen jeden im Umfeld des Toten überprüfen.“ „Woher soll ich jetzt noch wissen, was ich am 3.März gemacht habe? Ich war wahrscheinlich hier.“, gab Süssmund zurück. „Aber bei mir suchen Sie an der falschen Stelle. Schauen Sie sich mal lieber seine katholischen Freunde an, bei denen finden Sie sicher was.“


V.


„Ein Motiv und kein Alibi!“ Heinke war sich sicher den Mörder bereits vor sich gehabt zu haben. „Der alte Süssmund wollte seinen Sohn mal wieder überreden aus der Kirche auszutreten. Sie haben sich gestritten und der Vater haut dem Sohn irgendeinen schweren Gegenstand auf den Kopf. Und zack, schon hat man einen schönen Mord.“ „Mmhmm.“, brummelte Speetz. Es juckte ihn gewaltig, dass es Heinke gewesen war, der die Frage nach dem Alibi gestellt hatte. Er konnte sich nicht erklären, wie er das hatte vergessen können. Und er musste auch noch zugeben, dass Heinke nicht ganz Unrecht hatte. Der alte Süssmund schien tatsächlich ein Motiv zu haben. Auch Speetz Vater war nicht begeistert gewesen von der Berufswahl seines Sohnes, aber Heiner Süssmund spielte in einer ganz anderen Liga. Er schien richtiggehend von Hass getrieben zu sein. Und das Szenario, wie es Heinke gerade geschildert hatte, war wirklich nicht abwegig. „Lass uns mal zur Wohnung des Toten fahren, vielleicht finden wir da ein paar Hinweise.“, schlug Speetz in einem schon freundlicheren Ton vor. Immerhin konnte Heinke ja nichts dafür, dass Speetz einfach die Alibi-Frage vergessen hatte. „Klingt gut, Chef!“, erwiderte Heinke und Speetz fiel auf, dass er bereits die ganze Fahrt über noch keine Todesangst hatte haben müssen. Schnell lernen tut er ja, dachte Speetz bei sich.

***



Im Kloster angekommen, baten sie Pater Robert ihnen die Wohnung des Toten zu öffnen. „Ich glaube kaum, dass Sie dort etwas finden werden. Unsere Wohnungen sind sehr spartanisch eingerichtet und ein Priester kommt ohne viel weltlichen Besitz aus.“, erklärte der Pfarrer den Kommissaren. „Sie können sich aber gerne umschauen.“ „Es wäre nett, wenn Sie uns alleine lassen könnten. Wir sagen Ihnen Bescheid, wenn wir hier fertig sind.“ Mit diesen Worten buxierte Speetz Pater Robert aus der Wohnung. „Beten Sie zum Heiligen Antonius, wenn Sie wirklich etwas finden wollen.“, riet ihnen der Pater noch, dann verließ er gehorsam die Wohnung.

Die beiden Kommissare streiften Plastikhandschuhe über und machten sich an die Arbeit. Heinke öffnete den Kleiderschrank, während sich Speetz im Badezimmer umsah. „Im Bad ist nichts zu holen.“, informierte er seinen jungen Kollegen. „Nur das Übliche: Zahnbürste, Rasierer und so weiter.“ „Der Kleiderschrank ist auch nicht wirklich interessant.“, gab Heinke zurück. „Nur schwarze Klamotten. War wohl kein großer Modefreak.“ Speetz überlegte, „Ich schau mir mal die Kommode an. Vielleicht hat unser Pater Thomas doch noch irgendein Geheimnis.“ Ein paar Minuten arbeiteten die Kommissare stumm nebeneinander, dann stieß Heinke auf einmal einen erstaunten Schrei aus. „Jetzt schaun’s mal her, Chef! Ich glaub ich hab da was!“ Er hielt eine schwarze Plastiktüte hoch, aus der er nach und nach an die 15 DVDs holte. „Warum versteckt er die im Kleiderschrank?“, wunderte sich Speetz. „Schauen wir uns mal an, was da drauf ist.“ Heinke schob die erste DVD in den DVD-Player und drückte auf Play. Sofort erschienen zwei Männer in eindeutiger Pose auf dem Bildschirm. Erschrocken wichen beide Kommissare jeweils einen Schritt zurück. „Ja, Herrschaftszeiten! Wo geht das denn wieder aus?“, Heinke drückte wie wild auf der Fernbedienung herum. Endlich ging der Fernseher aus. Beiden Polizisten war der Schweiß ausgebrochen und sie sahen sich mit hochroten Köpfen an. „Was zur Hölle war das denn?“ Speetz konnte es nicht fassen. Mit allem hatte er gerechnet, aber damit! „Vielleicht waren die DVDs nur ein Scherzgeschenk.“, schlug Heinke in einem verzweifelt-skeptischen Ton vor. „Gleich 15 davon? Wohl kaum! Schauen wir uns noch ein bisschen um, vielleicht finden wir noch etwas.“, antwortete Speetz. „Noch etwas? Hoffentlich nicht!“, murmelte Heinke und machte sich wieder auf die Suche.

Nachdem sie weder in der Kommode, noch im Kleiderschrank auf andere interessante Dinge gestoßen waren, widmeten sie sich nun dem Schreibtisch des Priesters. Und bereits in der obersten Schublade fiel Speetz ein Stapel Briefe auf, die von einem Gummi zusammengehalten wurden. Er öffnete den Ersten und las:

Gelieber T.,
ich habe unser letztes Treffen sehr genossen, obwohl ich weiß, dass es falsch ist, was wir tun. In doppelter Hinsicht! Aber ich kann nicht ohne dich leben. Triff mich morgen um 20.00 Uhr an unserem Platz.
In Liebe
Dein M.



Jeder Brief, den Speetz öffnete enthielt eine ähnliche Botschaft und war mit M. unterzeichnet.
„Was meint der denn mit „in doppelter Hinsicht“?“, fragte Heinke. „Einmal meint er wahrscheinlich, dass Thomas Süssmund ja ein Priester war und eigentlich im Zölibat leben sollte und zum zweiten geht’s wahrscheinlich darum, dass es sich um eine homosexuelle Beziehung handelt.“, klärte ihn der Hauptkommissar auf. „Woher wollen Sie denn wissen, dass M. ein Mann ist? Könnte doch auch Martina heißen, oder?“ Heinke schien auf dem Schlauch zu stehen. „Schau’s dir doch genau an. Er unterschreibt mit „Dein M. und nicht mit „Deine M.“!“ Speetz wurde langsam ungeduldig. „Unser Toter war offensichtlich homosexuell. Und er hatte ein Verhältnis mit einem gewissen M.. Und ich wette, wenn wir diesen M. finden, dann haben wir auch den Mörder.“


VI.


„Pater Thomas, homosexuell?! Auf keinen Fall! Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen!“, Pater Robert schien völlig aus dem Häuschen zu sein. „Wir haben Beweismaterial sichergestellt, dass eindeutig darauf hindeutet, dass Pater Thomas nicht nur homosexuell war, sondern, dass er seine Sexualität auch auslebte.“, klärte Speetz den Priester auf. „Aus Ihrer Reaktion schließe ich, dass Sie nie etwas geahnt haben.“ „Natürlich nicht! Und ich weiß auch nicht was ich getan hätte, hätte ich davon gewusst. Wissen Sie, mit Homosexualität ist in der Katholischen Kirche nicht zu spaßen. Hätte jemand erfahren, dass Pater Thomas homosexuelle Neigungen hatte, wäre er aus dem Kirchendienst entlassen worden. Ich muss auch sagen, dass ich Homosexualität immer als etwas abnormales empfunden habe. Der hohe Wert von ehelicher Gemeinschaft wird von diesen Leuten nicht mehr heilig gehalten. Es geht nur noch um Spaß und dann verbreiten die auch noch dieses schreckliche HI-Virus. Also es tut mir leid, aber mir sind Homosexuelle suspekt. Und ich kann mir auch wirklich nicht vorstellen, dass Pater Thomas wirklich homosexuell war.“ Pater Robert hatte mit fester Stimme gesprochen; er war sich seiner Meinung scheinbar sicher. „Aber Pater Robert, wie erklären Sie sich dann, dass wir pornographisches Filmmaterial gefunden haben, in dem ausschließlich Männer vorkommen?“, fragte Speetz. „Jemand muss es in seiner Wohnung deponiert haben, um von dem tatsächlichen Mörder abzulenken. Eine andere Erklärung halte ich nicht für plausibel.“, erwiderte der Priester.

„Was hältst du von seiner Aussage?“ fragte Speetz Heinke als sie das Kloster wieder verlassen hatten. „Ich glaube ihm, dass er nicht wusste, dass Pater Thomas homosexuell war. Aber, dass jemand die DVDs und die Briefe deponiert hat, halte ich für Schwachsinn.“, antwortete Heinke. „Na dann sind wir ja zumindest einer Meinung.“, antwortete Speetz.
„Ich würde sagen, morgen fangen wir an, die Männer zu verhören, die mit M anfangen. Vielleicht gesteht ja gleich einer. So viele können das ja nicht sein.“

***



Als im Dorf bekannt geworden war, dass die Polizei nach einem Mann, mit dem Initialbuchstaben M im Namen zu fahnden begonnen hatten, entschuldigten sich der Brühlinger Paul und der Meier Alfons beieinander, dass sie sich gegenseitig verdächtigt hatten und gingen gemeinsam ein, zwei, drei Bier trinken. Dieses Besäufnis endete in einer sehr schönen Schlägerei, weil den beiden zu später Stunde wieder eingefallen war, weshalb sie sich ursprünglich nicht leiden konnten. Dem Rest des Dorfes war nun klar, dass entweder der Baumler Hias, der ja eigentlich Matthias hieß, der Schönmeister Martin oder der Zankel Michi als Mörder in Frage kommen würden. Dem Zankel Michi, da war sich das ganze Dorf einig, konnten schon so einige Schwulitäten zugetraut werden. Wenn einer noch nicht mal den Traktorführerschein hatte, dann konnte man sich über seine sexuelle Ausrichtung auch nicht sicher sein. Nun war aber der Zankel Michi der einzige Nachhilfelehrer im ganzen Dorf und weil die Mütter ihre Kinder nicht mehr zu ihm schicken wollten, wegen der möglichen Ansteckungsgefahr („Sonst werd da Bua a so oana.“), bekamen die Kinder alle schlechte Noten in Englisch, Mathematik und Deutsch. Es war eine Zeit der Einbußen für die Erziehung im Dorf.
Und weil dem Baumler Hias seine Semmeln ohne Weißwürste einfach nicht schmecken wollten und weil der Schönmeister Martin eine Semmel brauchte um den Restsenf von seinen Weißwürsten auftunken zu können, schossen beide sich ebenfalls auf den Zankel Michi als Mörder ein. Weil man bei einem Gymnasiasten ja nie weiß…

***

„So wird das nie was!“, stöhnte Speetz eine Woche später. „Ein Viertel in diesem Dorf voller Wahnsinniger heißt Martin, ein Viertel heißt Matthias und noch ein Viertel heißt Michael. Zumindest können wir die Antons ausschließen. Bis wir die alle befragt haben, bin ich alt und grau.“ „Außerdem können wir nicht ausschließen, dass unser M. aus einem Nachbardorf kommt. Eigentlich müssten wir die auch alle befragen.“, fügte Heinke hinzu. „Das ist wirklich nett, dass du versuchst mich aufzumuntern.“, brummelte Speetz. Endlich hatte er einen richtigen Fall und jetzt wünschte er sich die Zeit zurück, in der Verkehrskontrollen das Highlight eines Tages waren. Er hatte ja wirklich nicht ahnen können, dass das Ganze solche Ausmaße annehmen würde.

„Die letzten fünf Leute, die ich befragt hab, haben alle den Gleichen beschuldigt. Einen gewissen Michael Zankel. Die behaupten, dass sie bei ihm schon immer gewisse Schwulitäten festgestellt hätten, wenn ich das mal so zitieren darf. Soll ich mir den mal anschauen?“, versuchte Heinke die Stimmung wieder zu bessern. „Brauchst du nicht. Den hatte ich gestern schön im Verhör. Der arme Kerl. Wahnsinnig intelligent, aber leider halbseitig gelähmt. Der könnte nicht mal einer Fliege den Schädel einschlagen, geschweige denn einem gestandenen Mann. Und jetzt hat sich auch noch das ganze Dorf auf ihn als Mörder eingeschossen. Er redet schon vom Auswandern.“, machte Speetz Heinkes Hoffnungen zunichte. „Wieder eine Sackgasse. Also, langsam regt mi die ganze Sach doch auf, Chef.“, machte Heinke seinem Ärger Luft. „Anscheinend hat kein Mensch in diesem Dorf gewusst, dass der Pater Thomas schwul gewesen ist und geahnt hat schon dreimal keiner was. Und seine Eltern wussten auch angeblich von nichts. Wobei ich die Mutter für glaubwürdig halte würden.“, begann er die aktuelle Lage zusammenzufassen. „Im Endeffekt haben wir grad weder eine Tatwaffe, noch einen Verdächtigen, noch ein wirkliches Motiv, noch sonst irgendwas.“ Verzweiflung sprach aus seiner Stimme. „Was schlagn Sie vor, Chef?“
Speetz überlegte kurz und sagte dann: „Ich schlage vor, dass wir für heute Feierabend machen und erst mal unser Wochenende genießen. Nächste Woche sieht die ganze Sache dann bestimmt schon ganz anders aus.“ „Ja bestimmt. Aber nur wenn sich Pater Thomas wie Jesus aus dem Grab erhebt und uns sagt, wer ihn umgebracht hat.“, antwortete Heinke.


VII.


Pater Thomas hatte sich natürlich nicht aus seinem Grab erhoben und als die Kommissare am Montag morgen im Büro eintrafen, hatten sich nichts geändert, außer das der Bericht des Gerichtsmediziners endlich auf Speetz’ Schreibtisch lag. Allerdings hielt der auch keine Überraschungen bereit. Pater Thomas starb am 03.März zwischen 20.00 und 22.00 Uhr. Todesursache waren Einblutungen im Gehirn, ausgelöst durch Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Gegenstand. „Jemand hat ihm den Schädel eingeschlagen. Das hätt ich denen gleich sagen können.“, seufzte Heinke desillusioniert. „Ich würde sagen, wir verhören weiter die Michaels, Martins und Matthiase. Vielleicht kommt ja doch noch was dabei raus. Es bleibt uns ja nicht wirklich etwas anderes übrig.“, schlug Speetz vor. Und so geschah es dann auch.

Nachmittags, so gegen drei Uhr war Speetz gerade mit dem Baumler Hias beschäftigt und Heinke nahm sich den Schönmeister Martin zur Brust. Beide beschuldigten zur Abwechslung den Zankel Michael und konnten sich sonst niemanden vorstellen, der zu solchen Schwulitäten in der Lage gewesen sein könnte. „Woasch, mia san nämlich alle anständige Leut im Dorf. Do gibt’s so wos eigentlich gar net.“ Gerade als Hauptkommissar Speetz sich sicher wahr, noch ein Wort von diesem Bauern würde seinen Kopf zum platzen bringen, klopfte es an der Tür. Es war seine Sekretärin. „Hauptkommissar Speetz, ein gewisser Markus Hohenmüller möchte Sie sprechen. Er meint, Sie hätten vielleicht schon nach ihm gesucht.“

Speetz verabschiedete sich schnell vom Baumler Hias und holte auch Heinke aus dessen Büro. Der schien ebenfalls nicht unglücklich darüber, dass er den Schönmeister Martin allein lassen durfte. In der Eingangshalle erwartete sie bereits ein braungebrannter, sehr gepflegter Mann, den Spretz auf ca. 30 Jahre schätzte. „Grüß Gott, mein Name ist Hauptkommissar Speetz und das ist mein Kollege Heinke. Sie haben nach mir verlangt?“, stellte sich Speetz vor. „Mein Name ist Markus Hohenmüller. Ich glaube Sie haben nach mir gesucht. Ich bin der Freund von Thomas.“

***



„Wir haben uns vor 5 Monaten im Internet kennen gelernt. Wenn man auf dem Land wohnt, ist es nicht gerade leicht homosexuelle Männer zu treffen.“, begann Hohenmüller seine Geschichte. „Das kann ich mir vorstellen.“, nickte Speetz, der noch vollkommen unter dem Eindruck der Interviews mit den Dorfbewohnern litt. „Wir waren uns gleich sympathisch und nach ein paar Wochen haben wir uns dann getroffen. Er kam inkognito. Ich wusste nicht, dass er Priester war. Es war Liebe auf den ersten Blick.“, fuhr Hohenmüller fort und Speetz bemerkte wie er nervös mit den Fingern aus seinem Knie trommelte. Der Tod seines Liebhabers schien ihm sehr nahe zu gehen. „Aber er hat es Ihnen irgendwann gestanden? Dass er Priester war, meine ich.“, fragte Speetz. „Ja. Nach einem Monat hat er es mir gesagt. Ich wusste zuerst nicht, wie ich damit umgehen sollte. Aber unsere Liebe war sehr stark und ich hielt es nicht lange ohne ihn aus.“, antwortete Hohenmüller mit zittriger Stimme. „Aber warum haben Sie sich erst jetzt gemeldet? Pater Thomas ist schon vor drei Wochen verschwunden und dass er tot ist, wissen wir auch schon seit ein paar Tagen.“, schaltete sich Heinke in das Gespräch ein. „Ich habe die letzten vier Wochen auf dem Jakobsweg verbracht, ohne Handy und ohne Kontakt zur Außenwelt.“, antwortete Hohenmüller. Er sei schon seit längerer Zeit von Gewissensbissen geplagt worden. Da er selbst gläubiger Christ sei, hätte er schon immer Probleme mit seiner eigenen Sexualität gehabt. „Aber dann auch noch ein Verhältnis mit einem Priester zu haben…irgendwann konnte ich einfach nicht mehr.“ Er hätte beschlossen sich von seinen Sünden zu reinigen. Deshalb sei er auf den Jakobsweg gegangen. „Gestern bin ich zurückgekommen und habe in der Zeitung gelesen, dass Thomas ermordet wurde. Ich habe mich sofort auf den Weg hierher gemacht.“ „Wusste irgendjemand von Ihrem Verhältnis?“, fragte Speetz. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir waren immer sehr vorsichtig. Außer…“, überlegte Hohenmüller. „Außer?“, wiederholten Speetz und Heinke in einem Atemzug. „Nachdem ich mich von Thomas verabschiedet hatte, bin ich beichten gegangen. Ich wollte mir noch einmal alles von der Seele reden, bevor ich die ganze Sache hinter mir lassen würde.“ „Wer hat die Beichte abgenommen?“. Speetz schwante bereits Böses. „Pater Robert.“, kam die Antwort.


VIII.


Speetz ließ Heinke fahren. Er bebte innerlich vor Wut. Wenn er eins hasste, dann war das angelogen zu werden. Ihn in diesem Zustand ans Steuer zu lassen, schien noch unvorsichtiger, als sich in Heinkes Todesschleuder zu setzen. „Dieser verdammte Hurensohn!“, presste er zwischen den Lippen hervor. „Der hat uns sauber verarscht!“ „Keine Sorge, Chef. Gleich schnappen wir ihn uns. Dann kann er nur noch Gefängnisinsassen verarschen.“, versuchte Heinke seinen verärgerten Vorgesetzten zu beruhigen.
Die Kommissare hatten Glück. Die Klosterpforte stand offen und innerhalb weniger Sekunden standen sie vor der Wohnung des Pfarrers. „Pater Robert, machen Sie auf! Wir müssen mit Ihnen sprechen!“, rief Speetz und hämmerte gegen die Tür. Nichts rührte sich. „Pater Robert! Wir kommen jetzt rein!“ Die Türe war nicht verschlossen. Speetz und Heinke betraten die Wohnung. Pater Robert war nirgends zu sehen. „Du nimmst dir den Kleiderschrank vor! Ich durchsuch den Schreibtisch!“, wies Speetz Heinke an. Es verging keine Minute, bis Heinke fündig geworden war. „Chef, schaun’s moi her! Ich glaub ich hab die Tatwaffe gefunden! War ganz hinten im Schrank unter einem Bettlaken! Schaut so aus, als wärn sogar noch Blutflecken dran.“ Er hielt einen schweren Kerzenständer in der Hand.

„Jetzt ist wir den Drecksack dran.“, knurrte Speetz. „Der kommt uns nicht mehr aus!“ „Aber dazu müssen wir ihn erst mal finden.“, erwiderte Heinke. „Schau dich noch weiter um. Vielleicht finden wir noch Hinweise, wo er hin gegangen sein könnte.“, schlug Speetz vor und in diesem Moment fiel ihm auf, dass auf dem Bett des Priesters ein weißer Zettel lag.

Ich kann mit dieser Sünde nicht mehr leben. An meinen Händen klebt Blut. Und doch musste ich es tun. Diese Laune der Natur durfte nicht weiter das Wort Gottes verbreiten! Aber ich habe ihn gerichtet und werde nun mich selbst richten, an dem Ort an dem die Tat geschah. Bald werde ich mit dem gütigen Vater im Himmel vereint sein.



„Verdammt noch mal! Der will sich umbringen! Wir müssen ihn finden!“ Speetz stürzte zum Fenster. „Sein Auto ist noch da! Weit kann er nicht sein.“ „Der Kerzenständer schaut aus, wie die in der Kirche. Vielleicht ist er da!“, schlug Heinke vor. „Dann los!“ Speetz zerrte seinen Kollegen am Ärmel. Gute Ideen hat der Jungspund ja, aber der Wille zur Tat fehlt ihm noch, schoss ihm durch den Kopf.

Beide Kommissare eilten hinunter in die Kirche. „Du gehst hinten rum!“, flüstere Speetz. Er selbst machte sich auf den Weg hinunter ins Kirchenschiff. Das elektrische Licht der Wallfahrtskirche war ausgeschalten und das Gerüst warf unheimlich Schatten. Am Altar stand ein Mann im Schummerlicht. Speetz duckte sich und schlich sich weiter nach vorne. Inzwischen konnte er erkennen, dass Pater Robert mit dem Messkelch und einer Flasche Wein hantierte. Dann holte der Priester ein kleines Fläschchen hervor und träufelte den Inhalt in den Becher. Gift!, schoss es Speetz durch den Kopf und er erhob sich. „Pater Robert! Bleiben Sie ruhig! Wir möchten nur mit Ihnen sprechen!“ Mit jedem Wort machte Speetz einen Schritt auf den Priester zu.
Im Dämmerlicht konnte er nur noch erkennen, wie Robert Elbar seinen Kopf schüttelte und den Kelch zum Mund führte. Die Entfernung war zu groß. Hilflos blickte sich der Hauptkommissar um. Ein Gegenstand. Irgendetwas, das er werfen konnte. Warum hatte er nur seine Waffe im Büro gelassen!

Auf einmal hallte ein markerschütterndes Klirren durch das Kirchenschiff und Speetz konnte seinen Augen nicht trauen. Der Jungspund hatte Elbar den Becher aus der Hand geschlagen und ihn zu Boden geworfen. „Jetzt werden Sie noch ein wenig warten müssen, bis Sie tatsächlich mit Ihrem gütigen Vater vereint sind.“, sagte Speetz. „Aber wenn ich Sie wäre, würde ich mich nicht wundern wenn er Hörner und einen Schwanz hat.“

***



Es war Erntezeit im Dorf. Der neue Pfarrer hatte fleißig für gedeihliches Wetter gebetet und dementsprechend erfreulich fiel die Ernte aus. Die Bauern und Bäuerinnen und auch die alten Frauen waren zufrieden. Der Baumler Hias und der Schönhuber Martin konnten sich immer noch nicht leiden, grüßten sich aber sehr freundlich, da ihnen die Zeit ohne die Waren des anderen nur zu gut in Erinnerung waren.
Der Brühlinger Paul hatte die Rechnung vom Meier Alfons noch immer nicht bezahlt. Aber der Meier Alfons verdiente sich eine goldene Nase an der Renovierung der Wallfahrtskirche und war auf das Geld nicht mehr angewiesen. Außerdem war es schwierig einen so guten Saufkumpanen zu finden wie den Brühlinger Paul.
Der Zankel Michael hatte sich nach Australien abgesetzt. („Aba an Gymnasiaschten vermisst eh koana!“) Und der Hintermüller Michi ist nie wieder Sautrogrennen gefahren.
Es war eine schöne Zeit im Dorf.

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Tag der Veröffentlichung: 10.08.2008

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