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Es kann nur noch besser werden

Bärbel Schoening

 

 

Bei uns Zuhaus

 

Es kann nur noch besser werden…

Zweiter Band

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es kann nur noch besser werden…

1

Der Herbst ist im Anmarsch und die Herbstferien haben begonnen. Ich liege im Bett und würde dort am liebsten den ganzen Tag verbringen. Leon ist mit seinem Fußballverein für eine Woche in die Eifel gefahren und Laura mit Freundin und deren Eltern für eine Woche nach Mallorca. Im Haus ist es totenstill und Hermann Josef scheint schon im Büro zu sein; ich habe also mit Rambo das Reich für mich allein. Ich hatte mir die Ferienwoche so schön vorgestellt; Hermann und ich endlich mal allein zuhause. Im Geiste stellte ich mir Tagesausflüge oder Radtouren mit ihm vor, Picknick am See oder Grillabende in unserem Garten.

„Du weißt doch, dass ich nicht spontan Urlaub nehmen kann, Vera! Die Quartalsabrechnungen müssen gemacht und pünktlich rausgeschickt werden!“, war sein Kommentar und ich hatte das Gefühl, dass er sich darauf sogar freute. Eigentlich hatte ich gehofft, dass Hermann sich in dieser Woche frei nehmen würde; bei den vielen Überstunden, die er hat. Weit gefehlt. Durch das Fenster fällt diesiges Licht und es scheint ein herbstlicher Tag zu werden. Ich recke und strecke mich und muss mich zwingen, aufzustehen. Ich hieve mich schweren Herzens aus dem Bett, werfe mir den Bademantel über und gehe in die Küche. Ganz schön still hier, richtig unheimlich, denke ich. Deswegen stelle ich die Espressomaschine an, um wenigsten ein zischendes Geräusch zu hören. Rambo sitzt ruhig und schläfrig in seinem Körbchen und linst mich aus einem Auge an.

„Na mein Guter? Auch keine Lust, in den Tag zu starten?“, streichle ich ihm übers Fell. Er gibt ein leichtes Knurren von sich und ich denke, ihm fehlen, genau wie mir, jetzt schon die Kinder.

„Nach dem ich meinen Kaffee getrunken habe, gehen wir beide erstmal eine lange Runde; hast du gehört? Vielleicht treffen wir ja Rudolf und die Pudelmama, die wir lange nicht mehr gesehen haben! Na, was meinst du, Rambo?“

Er hebt kurz den Kopf und döst weiter vor sich hin. Auf die Pudeldame wird er genauso viel Lust haben, wie ich. Der Espresso ist fertig und ich gehe zum Briefkasten, um mir die Zeitung zu holen, bevor ich mir das schwarze Gold durch die Kehle fließen lasse. Es war spät, bzw. früh geworden, bei unserem Treffen gestern. Claudi hatte Geburtstag und Jenny und mich ins feinste Restaurant der Stadt eingeladen. Sie wollte nicht alleine zu Hause sein, da ihr Mann schon wieder unterwegs war; dieses Mal in den Staaten, wie sie uns erzählte. Während ich den Espresso genieße, lasse ich den gestrigen Abend noch einmal vor meinem geistigen Auge ablaufen. Alles war so wundervoll, der Schampus floss in Strömen und das tolle Buffet war mit mediterranen Köstlichkeiten bestückt, nur für uns Drei! Einfach köstlich! Zwischendurch rief Claudis Mann kurz an, um seiner Frau zu gratulieren. Da die Verbindung sehr schlecht war, dauerte das Gespräch auch nicht sehr lange. Ich sah die Enttäuschung in Claudis Gesicht, die sich aber schnell wieder fasste.

„Lasst uns feiern, Mädels! So jung kommen wir nicht mehr zusammen! Prost auf unsere Freundschaft! Ihr seid die Besten!“, rief sie und wir stießen zum hundertsten Mal mit Champagner an. Wir hatten eine Menge Spaß und feierten ausgelassen bis heute früh. Wie ich nach Hause gekommen bin, keine Ahnung. Der smarte, dunkelhaarige Kellner, der den ganzen Abend hinter dem Buffet stand und uns mit all den Köstlichkeiten verwöhnte, immer wieder die leeren Teller füllte hat, so glaube ich, das Taxi bestellt. Wir haben den ganzen Abend wie wild mit ihm geflirtet und er ließ alles tapfer über sich ergehen; der Schöne! Gut, dass ich nicht mehr weiß, was wir ausgelassenen und beschwipsten Weiber ihm alles an den Kopf geworfen haben… der braucht sicher heute eine halbe Packung Aspirin! Zum Glück treffe ich ihn nicht mehr. Ich würde vor lauter Scham das Loch im Boden suchen. Ich gehe unter die Dusche, ziehe mir meine bequemste Kleidung an, trage ein bisschen Rouge auf und sehe gleich viel frischer aus. Bevor ich die Stellenanzeigen durchsuchen will, gehe ich mit Rambo Gassi, obwohl der immer noch faul in seinem Körbchen liegt.

„Na, hast wohl auch keine Lust, der hübschen Pudeldame zu begegnen, was? Dann gehe ich eben alleine! Das hast du dir jetzt selbst zuzuschreiben, mein Lieber!“ Er hebt schnell den Kopf und ist genauso fix an der Haustür.

„Siehst du? Wo ein Wille, da ein Weg! Geht doch!“

Er springt an mir hoch und fiepst vor Freude. Er kann es kaum erwarten, bis ich ihm die Leine anlege, ein paar Leckerli einstecke und los geht’s. Danach werde ich Claudi anrufen und mich für den wunderschönen Abend bedanken. Im Park begegnen uns fremde Hunde; weit und breit ist nichts von Rudolf, dem Labrador und der Pudeldame zu sehen. Sicher waren sie heute früh schon unterwegs, denn jetzt haben wir kurz nach eins. Rambo scheint voller Energie, im Gegensatz zu mir. Er tollt und springt herum, als würde er den ganzen Tag am liebsten draußen bleiben. Ich gehe noch schnell beim Bäcker vorbei und kaufe zwei Croissants, die so richtig kalorienarm sind; die brauche ich jetzt! Nach gut einer Stunde Sauerstoff, bin ich schon wieder müde und denke an einen kurzen Mittagsschlaf, bevor Hermann nach Hause kommt. Zuhause angekommen frühstücke ich in aller Seelenruhe und schaue mir die Stellenangebote an. Es sieht düster aus, für Frauen in meinem Alter. Putzstellen werden genug angeboten; die habe ich hier Zuhause jeden Tag.

Als ich Claudis Nummer wähle, ist nur der AB an: Hallo, wer mich erreichen will, muss schon etwas früher aufstehen! Wenn ich Lust und Zeit habe, rufe ich eventuell zurück! Wenn ich beides nicht habe, müsst ihr vorbeikommen! Habt einen schönen Tag. Tschüssi! Sehr lustig! Da ich nicht gerne mit der Technik spreche, werde ich später noch mal mein Glück versuchen. Sicher kuschelt sie gerade mit ihrem Lover…


*

Bevor die Kinder auf die Welt kamen, war ich im Tageszeitschriftenverlag als Kurzgeschichtenschreiberin angestellt. Einmal in der Woche schrieb ich eine Kurzgeschichte, durch die die Umlage der Zeitung gestiegen war. Die Leser*Innen warteten schon gespannt auf die nächste Wochenausgabe. Es waren Geschichten aus dem Leben, die sich im Alltag ereigneten. Ich bekam hauptsächlich positive Emails von meinen Lesern. Manche hatten sogar Ideen zu einem brisanten Thema, oder schrieben mir zum Beispiel, was sie selbst erlebt hatten, was nicht immer lustig war. Alle Emails wurden von mir gewissenhaft beantwortet. Rüdiger war mein Chef und wir kamen sehr gut miteinander aus. Natürlich bedauerte er meinen Austritt nach dem Mutterschutz und daraus sind inzwischen etliche Jahre geworden. Letzte Woche hatte ich bei Rüdiger im Verlag einen Termin und gehofft, dort wieder arbeiten zu können. Die Abteilung im Verlag war mir egal; Hauptsache raus aus dem häuslichen Einerlei. Er bot mir sofort Kaffee an und bat mich nach einer herzlichen Umarmung in sein Büro.

„Also, toll siehst du aus, Vera! Die Familie scheint dir wirklich gut zu tun!“, begann er das Gespräch und flatterte nervös mit den Augenliedern.

„Danke! Du aber auch! Die paar Pfunde mehr stehen dir gut, Rüdiger! Damals warst du einfach zu dünn für einen Mann in deiner Position!“, stellte ich fest und lächelte ihn freundlich an. Er deutete es als Kompliment und kam schnell zum Thema:

„Also, was hast du dir denn so vorgestellt, Vera?“

„Meine alte Stelle wird wohl inzwischen besetzt sein, oder?“

„Also, die ist leider gestrichen worden, da wir keinen mehr finden konnten mit so einer wunderbaren Phantasie, wie du sie hattest!“, erzählte er mir und… „Die Stelle ist seitdem auch nicht mehr besetzt worden! Leider!“ Enttäuscht nippte ich an meiner Kaffeetasse.

„Eine freie Stelle im Verlag gibt es nicht mehr?“, fragte ich und kannte eigentlich schon seine Antwort.

„Also, da ist nichts zu machen, Vera! Du weißt, wir müssen alle den Gürtel enger schnallen und sparen! Die Umlagen sind zurückgegangen und die Mitarbeiter müssen bezahlt werden; und das jeden Monat!“

„Vielleicht später, Rüdiger? Wenn jemand in Mutterschutz oder in Rente gehen würde? Dann kannst du mich jederzeit anrufen! Hörst du?“

„Also, das mache ich, Vera!“, versprach er und stand abrupt auf. Das Gespräch schien für ihn beendet zu sein und ich verabschiedete mich dann auch ziemlich schnell von dem schönen Rüdiger.

Ich war so enttäuscht, dass ich mir im erstbesten Café ein zweistöckiges Stück Torte einverleibte und einem Latte Macchiato plus Sahnehaube. Aber mal ehrlich: Was hatte ich denn erwartet, nach all den Jahren? Hermann habe ich nichts von meinem Besuch im Verlag erzählt…

Tage später klingelt das Telefon.

„Hallo! Berger!“

„Also, guten Tag schöne Vera! Ich hoffe, dass es dir an diesem wunderschönen Herbsttag so gut geht, wie mir?“, scherzt jemand gutgelaunt am Ende der Leitung.

„Ach Rüdiger! Du bist das! Danke, kann nicht besser klagen, mein Lieber!“, antworte ich und… „Was verschafft mir die Ehre?“

„Also, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich, liebe Vera! Welche möchtest du zuerst hören?“

„Zuerst die schlechte! Schieß schon los, Rüdiger!“, antworte ich ungeduldig.

„Also, es gibt für dich keinen Platz hier im Verlag, an dem du arbeiten könntest; leider, wie schon neulich erwähnt!“

„Ehrlich gesagt, dachte ich mir das schon! Und die gute Nachricht? Spann mich nicht auf die Folter, Rüdiger. Du weißt, das kann ich auf den Tod nicht leiden!“

„Also, meine Schwester geht in Mutterschutz und hat die letzten Jahre als Verkaufsleiterin in dieser Region für eine Firma, deren Hauptsitz sich im Bergischen Land befindet, gearbeitet. Sicher kennst du diese tolle, hypermoderne Küchenmaschine, mit der man braten, backen, kochen, pürieren und was weiß ich, noch alles machen kann. Sie ist sehr erfolgreich dabei gewesen, hat sich einen großen Kundenstamm aufgebaut, den du übernehmen könntest. Leider kann sie diese Tätigkeit aus Zeitmangel nicht mehr ausüben, da das dritte Kind unterwegs ist. Verstehst du? Also, da habe ich sofort an dich gedacht; du kannst gut mit Menschen umgehen, bist tolerant und diplomatisch und einfach eine ganz tolle und patente Frau!“, lobt er mich und holt tief Luft. Bevor ich antworten kann, meint er:

„Also, du kannst dir Zeit lassen und dir in aller Ruhe die Sache noch überlegen! Zurzeit ist sie im Mutterschutz und erledigt nur noch die Büroarbeiten. Ich gebe dir mal ihre Nummer und dann rufst du sie einfach an, ob du Interesse hast oder nicht! Ist das okay für dich?“

„Puh, da weiß ich noch gar nicht, ob ich das will, so von Haus zu Haus gehen und diese Küchenmaschine anpreisen. Soviel ich weiß, kostet die so um die zwölfhundert Euro, oder mehr! Außerdem, wer schon eine hat, wird sich wohl kaum eine zweite anschaffen wollen und die noch keine haben, werden evtl. das Geld nicht für diese Wundermaschine ausgeben können. Um es kurz zu machen: Danke für deinen Anruf, Rüdiger! Ich werde es mir aber durch den Kopf gehen lassen und dann mit deiner Schwester telefonieren, ja? Mach´s gut, Rüdiger!“, und lege auf.

Da weiß ich jetzt schon, dass ich der Schwester in den nächsten Tagen absagen werde; Klinkenputzen ist absolut nichts für Vera Berger! Außerdem fällt mir gerade auf, dass er jeden Satz immer noch mit ALSO anfängt, was mich damals schon furchtbar genervt hat. Manche Dinge ändern sich eben nie…



2

Hermann kommt gegen vier Uhr nach Hause und ist schlecht gelaunt.

„Wie war dein Tag, mein Schatz?“, versuche ich ihn aufzumuntern.

„Wie soll er gewesen sein?“, ist die knappe Antwort.

„Deshalb frage ich dich ja!“

„Wie immer stressig! Der Blödmann von Jockel kann nicht mal bis drei zählen und hat sich ohne mein Wissen die Quartalsabrechnung unter den Nagel gerissen! Er wollte sie dann schnell in die Post geben, ohne meine Kontrolle! Ich hatte so ein komisches Gefühl, dass ich sie besser nochmal durchsehen sollte und entdeckte dann, dass er sie nur überflogen hatte und nicht kontinuierlich auf Herz und Nieren geprüft hatte!“, regt er sich auf. Ich unterbreche ihn:

„Seit wann schlummern in den Quartalsabrechnungen denn Innereien?“, frage ich und finde meine Bemerkung ziemlich witzig. Mein Mann eher nicht und poltert zurück:

„Auf deine Witze kann ich heute gut und gerne verzichten, Vera! Ich will jetzt einfach nur noch meine Ruhe haben und ins Bett! Kannst du das wenigstens verstehen?“, schnauft er.

„Klar, dass hast du gerade ja laut genug verkündet! Dann leg dich mal schnell ins Bett und kuriere deine schlechte Laune an der Matratze aus!“, poltere ich zurück und setze mich mit einem Kaffee in den Garten. Dabei sehe ich, dass der Rasen voller Blätter ist. Ich hole mir eine Harke aus dem Gartenhäuschen und kehre die Blätter zusammen. Sieht jetzt viel besser aus und das wollte ich heute eigentlich mit Hermann zusammen machen. Als ich ins Haus komme, sehe ich, dass er auf dem Sofa eingeschlafen ist. Sein Tag muss wirklich stressig gewesen sein… Ich rufe meine beiden Kinder an, um mich zu vergewissern, ob es ihnen gut geht. Beide sind bestens gelaunt und megazufrieden. In der Eifel scheint die Sonne und auf Mallorca ja sowieso. Ich bin beruhigt, greife mir ein Buch und lege mich ins Bett. Rambo saust hinter mir her und macht es sich vorm Bett bequem. Kurz darauf muss ich wohl eingeschlafen sein…



3

Bei Hermann scheint eine Erkältung im Anmarsch zu sein. Er hat das Büro früher verlassen, weil er sich nicht wohlfühlt.

„Du siehst ziemlich krank aus, mein Schatz! Hast du Fieber gemessen?“, frage ich besorgt.

„Wo soll ich denn Fieber gemessen haben, he? Das Ordnungsamt verfügt über keine Fieberthermometer!“, ranzt er mich an.

„Die sollten aber dringend für alle Mitarbeiter angeschafft werden; der Winter steht vor der Tür und die Erkältungskrankheiten werden sich häufen bei dir im Amt!“, rate ich ihm.

„Papperlapapp! Du hast keine Ahnung! Ich will jetzt nur noch ins Bett!“, schnäuzt er ins Taschentuch aus seiner rot entzündeten Nase.

„Soll ich dir einen Tee machen, Hermann?“

„Neihein! Lass mich einfach nur in Ruhe! Verstanden?“, antwortet er hustend und schleicht wie ein alter Mann nach oben.

Ich verziehe mich ins Wohnzimmer und stelle den Fernseher an. Mein Gott, so ein Theater wegen einer leichten Erkältung! Das ist mal wieder typisch Mann! Ich werde ihn ab jetzt in seinem Leid alleine lassen; wäre doch gelacht! Ich weiß jetzt schon, dass bald Hilferufe aus dem Schlafzimmer zu mir nach unten dringen werden, um mir seine Wünsche mit kläglicher und heiserer Stimme mitzuteilen. Am besten lege ich mir jetzt schonmal ein Klemmbrett bereit, damit ich all die Wünsche auch akribisch aufschreibe, um ja nichts zu vergessen. Einfach lächerlich… Es dauert keine halbe Stunde, da vernehme ich Hustenorgien aus dem Schlafzimmer. Absichtlich hat er die Tür aufgelassen, damit ich hören kann, wie schrecklich krank er ist. Ich schleiche mich nach oben und sehe, wie er mit einer Wollmütze, die bis zu den Augen heruntergezogen ist, sich seinem Leiden hingibt. Um ihn herum sind geschätzte einhundert Papiertaschentücher verteilt und einen dicken Strickschal hat er sich auch noch um den Hals gewickelt. Wie er überhaupt noch Luft kriegt, ist mir ein Rätsel. Seine Nase ist so rot wie eine Clownsnase vom vielen Putzen. Mein Mann braucht dringend eine Intensivpflege; das wird mir gerade klar, wenn ich das eingepackte Wollknäuel in unserem Bett sehe. Ich gehe wieder nach unten – ganz leise versteht sich -, damit er in seinem Elend nicht gestört wird, und mache ihm einen heißen Tee mit Honig. Ein Glas Wasser mit einer aufgelösten Aspirin und ein bisschen Gebäck, dekoriere ich liebevoll auf einem Tablett und mache mich auf zur Intensivstation im zweiten Stock. Ich werde laut hustend und mit krächzender Stimme empfangen.

„Was willst du hier? Lass mich einfach in Ruhe sterben!“, hustet er und winkt mich aus dem Zimmer.

Ich kann es nicht glauben, wie er sich anstellt! Das ist wirklich filmreif! Die kleinste Erkältung wirft sie schon um, unsere Männer. Wer kann da noch vom starken Geschlecht reden? Wohl keiner… Hermann liegt noch drei Tage auf der Krankenstation und leidet vor sich hin. Er steht nur auf, wenn er auf die Toilette muss; den Rest des Tages bleibt er im Bett und leidet vor sich hin; sein klägliches Stöhnen erfüllt das ganze Haus. Ich habe mich ins Gästezimmer verzogen, da ich an den Mief, der zurzeit im Schlafzimmer herrscht, nicht ersticken möchte. Sein ganzer Körper scheint mit Herrn Wick VapoRup eingekleistert zu sein, dem Geruch nach zu urteilen. Lüften kann ich nur, wenn er in einen Tiefschlaf gefallen ist. Ansonsten hustet es Proteste. Das war´s dann wohl mit einer Woche herbstlicher Zweisamkeit. Wäre auch zu schön gewesen…



4

Die Kinder sind zurück und der graue Alltag hat mich wieder. Beide sehen erholt und gut aus, sind (noch) gutgelaunt und ich warte auf das erste Gewitter, was schon kurz darauf eintritt.

„Ich habe ganz viele Tore geschossen und der Trainer hat gemeint, dass ich das Zeug zum Profifußballer hätte!“, erzählt Leon mit leuchtenden Augen.

„Das interessiert hier keinen am Tisch, Kleiner!“, kommentiert Laura und streckt Leon die Zunge raus.

„Das ist toll, Leon und ich bin richtig stolz auf dich! Aber bis dahin hast du ja noch ein paar Jährchen Zeit, nicht wahr?“, lobe ich ihn.

„Dein Trainer muss blind sein; sonst würde er dir nicht so einen Spruch drücken!“, lacht Laura ihn aus.

„Es ist gut! Erzählt mir doch mal, wie es in deinem Urlaub war? Hat es dir auf Mallorca gefallen und war alles gut mit der Familie und deiner Freundin?“, lenke ich ab.

„Was soll denn nicht gut gewesen sein? Alles easy und die Woche ging leider viel zu schnell vorbei! Ich darf in den Osterferien wieder mit denen fahren, haben sie mir angeboten. Ich darf doch, Mami, oder verbietest du mir das im nächsten Jahr? Könnte ich mir jedenfalls denken! Wenn ich auch mal ein kleines bisschen Freude haben kann, bist du immer dagegen!“, motzt sie mich an und ich schaue sie kopfschüttelnd an.

„Was soll das jetzt wieder heißen, Laura?“

„Das, was es eben heißt!“, gibt sie patzig von sich.

„Mein Gott! Gerade wieder zuhause angekommen, geht dein Gemecker schon wieder los, Laura! Bis Ostern ist es noch mindestens ein halbes Jahr und bis dahin kann noch eine Menge passieren! Außerdem hat Papa da auch noch ein Wörtchen mitzureden!“

„War ja klar! Deine Ausreden kenne ich schon; nur nicht festlegen, ja?“, raunzt sie mich an und verlässt wütend die Küche.

„Weiber! Immer das gleiche Theater! Warum habe ich keinen Bruder, Mama? Laura nervt nur noch, ehrlich! Ich dachte, die Sonne auf Mallorca hätte sie mal entspannter werden lassen; weit gefehlt! Die hat ihr wohl auch noch das bisschen Hirn verbrannt und sie ist einfach nur ätzend, wenn sie ihren Willen nicht sofort kriegt!“

„Sie ist halt in der Pubertät und die scheint nach Langzeitwirkung auszusehen!“, antworte ich meinem Sohn.

„Manno, sie wird bald achtzehn und sollte so langsam erwachsen werden!“, meint er altklug.

„Schauen wir mal und warten es ab, Leon! Irgendwann kriegt sie sich schon wieder ein und wird vernünftig werden!“, beruhige ich ihn und mich selber und bin mal wieder auf der Seite der Hoffnungslosen.

„Ok, wenn du das sagst! Was gibt´s zu essen, Mama?“

„Du kannst doch nicht immer nur ans Essen denken, Leon!“

„Ich denke ja nicht nur daran, sondern hab auch immer richtig Hunger!“

Es klingelt an der Haustür. Ich schaue durch den Spion und sehe Frau Kobold-Messerschmitt, die Nachbarin. Oh je, die ist mir gerade so willkommen, wie ein Lippenherpes. Tapfer öffne ich die Haustür.

„Tach, kann ich zwei Eier kriegen?“

„Auch Tach! Gerne! Können es auch drei Eier sein? Die habe ich noch gerade vorrätig und muss morgen sowieso einkaufen!“

„Wenn ich zwei sage, dann meine ich auch zwei und keine drei! Ist das so schwer zu verstehen, oder ham Ses mitten Ohren?“, raunzt mich diese unverschämte Person an.

„Wow, Frau Nachbarin! Heute Morgen schon einen Clown gefrühstückt?“, sage ich und lächele ihr frech ins Gesicht. Sie rührt sich nicht von der Stelle und hält mir ein kleines Tupperdöschen – wahrscheinlich für die beiden Eier – hin und verzieht keine Miene.

„Haben Sie denn meine Schwiegermutter schon gefragt?“, will ich wissen und zögere es absichtlich hinaus.

„Natürlich! Gertruda ist nicht zu Hause und darum bin ich jetzt hier!“, antwortet sie in einem giftigen Ton und bleibt bewegungslos stehen. Die beiden sind also schon beim DU angekommen, wie schön!

„Ich dachte nur, dass Sie vielleicht drei…!“

„Zwei Eier reichen vollkommen! Was ist jetzt?“

„Wollen Sie nicht kurz reinkommen?“, frage ich vorsichtig; bin ja schließlich eine höfliche Person.

„Nö! Ist ja kein Kaffeekränzchen, oder? Geben Sie mir jetzt die zwei Eier, oder nicht?“ Die Betonung liegt auf JETZT und auf ZWEI! Ich gehe langsam in die Küche, nehme zwei Eier aus dem Kühlschrank und gehe zurück zu Frau Kobold-Messerschmitt. Die steht noch genauso steif da, wie vorhin.

„Hier, bitte sehr! Bringen Sie die mir bloß nicht zurück!“, drohe ich ihr und lege die Eier behutsam in das Plastikdöschen, wobei Frau K-M den Dosendeckel mit einem lauten Knall schließt.

„Danke!“, kommt tatsächlich aus ihrem Munde, obwohl ich bis heute dachte, dass dieses Wort in ihrem Vokabular fehlen würde. Sie verschwindet schnell durch den Garten nach drüben. So eine reizende Person! sage ich laut und bin froh, dass sie nicht meiner Einladung gefolgt ist, einzutreten. Bis jetzt sind sie die einzigen Nachbarn, deren Haus an unserem auf der rechten Seite angrenzt. Links von uns steht ein Reihenhaus zur Vermietung, was schon seit einigen Monaten leer steht. Entweder ist die Miete zu hoch, oder es gibt andere Gründe. Mehrere Familien kamen mit einem Makler zur Besichtigung und das war´s dann. Es hat die gleichen Quadratmeter wie unser Haus und auch einen schönen Garten, der natürlich inzwischen sehr verwildert aussieht. Bin mal gespannt, wen wir in Zukunft als Nachbarn auf der linken Seite begrüßen dürfen… Mit den Kobold-Messerschmitts haben wir ja das große Los gezogen! Kann nur noch besser werden…




5

Gertruda hat sich endlich ein Handy zugelegt d.h., Kurt hat ihr ein Smartphone geschenkt. Das war auch dringend nötig, denn in der letzten Zeit hat sie Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis. Sie vergisst so einiges außer, ihren frechen und taktlosen Bemerkungen gegen mich, die hat sie immer noch drauf. Kurt erzählte mir, dass sie das Handy weggesperrt hat, um es nur nicht benutzen zu müssen.

„Sie hat regelrecht Angst davor und ich habe keine Ahnung, wo sie es hingelegt hat!“, erzählt er uns.

„Du wirst es bestimmt finden, Vater! Soweit kann Mutter es doch nicht versteckt haben. Muss ja im Haus irgendwo rumliegen. Ruf doch mal die Nummer an?“, schlägt Her-mann vor.

„So schlau war ich auch schon! Sie hat es ausgestellt, nachdem ich es ihr erklärt hatte, die wichtigsten Nummern eingespeichert und die An- und Austaste gezeigt habe. Seitdem hat sie es nicht mehr benutzt und irgendwo verbuddelt!“

„Sie ist in letzter Zeit ziemlich vergesslich, finde ich, nicht wahr Kurt? Ist dir das auch schon aufgefallen?“, frage ich ihn. Hermann mischt sich ein.

„Mutter ist wie immer! Das redet ihr euch doch mal wieder ein!“, empört er sich.

„Du siehst sie ja nur beim Sonntagsfrühstück oder in der Woche mal ganz kurz, da du tagsüber im Büro bist! Aber Kurt hat sie den ganzen Tag um sich und ich muss gestehen, dass mir ihre Zerstreutheit schon länger aufgefallen ist! Am Sonntag hat sie zum Beispiel das Brötchen von Lauras Teller genommen und auf den Käsebelag noch eine Scheibe Wurst gelegt und dann hineingebissen! Das muss doch auch dir aufgefallen sein, Hermann! Ich habe nichts gesagt und sie essen lassen. Laura war verwundert, hat sich aber auch nichts anmerken lassen und zu einem neuen Brötchen gegriffen!“

„Das ist mir gar nicht aufgefallen. Wenn ihr meint! Mach doch mal einen Arzttermin mit Mutter! Dann sind wir auf der sicheren Seite, Vater!“

„Daran habe ich auch schon gedacht und werde morgen beim Hausarzt einen Termin für sie machen! Der kann verschiedene Tests machen und danach wissen wir mehr!“ verspricht er und schaut ein bisschen sorgenvoll aus.


*

Die Schule hat wieder begonnen und Leon hat einen neuen Klassenlehrer bekommen, der ziemlich sportbegeistert ist. Leon lobt ihn in den höchsten Tönen und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Bei Laura sieht es ganz anders aus; sie sitzt die Zeit bis zum Abitur im nächsten Jahr einfach ab, wie sie gestern sagte.

„Im nächsten Jahr machst du Abitur und ihr werdet doch sicher in diesem Schuljahr schon darauf vorbereitet werden, oder nicht?“

„Ja und? Was willst du mir damit sagen?“

„Das weißt du genau!“

„Du musst es ja wissen; da spricht die Fachfrau ohne Abi! Ganz toll!“, knallt sie mir an den Kopf.

„Ich spreche zu dir als deine Mutter, die sich Sorgen und Gedanken um dich macht! So sieht das aus, mein Fräulein!“, antworte ich und zwinge mich, ruhig zu bleiben. Oh Wunder! Sie hält doch tatsächlich jetzt ihren Mund und stülpt sich schnell die Kopfhörer über. Vielleicht sollte Hermann mal mit seiner Tochter ein ernsteres Wort reden, was Sache ist. Laura wird ihr Abitur mit Bravour schaffen, da bin ich mir ganz sicher. Aber ich finde, dass sie von ihrem hohen Ross mal runterkommen sollte, auch wenn sie nicht viel für die Schule tun muss. Trotzdem kommt Jonas zwei Mal in der Woche zur Mathenachhilfe. An diesen Tagen ist Laura so einigermaßen normal. Inzwischen kommt er nicht nur zur Nachhilfe, sondern die beiden sind miteinander eng befreundet, was mir gefällt. Er ist ein vernünftiger Jugendlicher mit erstklassigen Manieren. Neulich sprach ich mal das Wort Verhütung an, als ich mit Laura alleine war.

„Was glaubst du eigentlich, was wir hier machen, Mama?“, ranzte sie mich an.

„Ich weiß es nicht! Sag du es mir, Laura!“, antwortete ich ruhig.

„Das wüsstest du wohl gerne, was? Wir lernen für Mathe und chillen! Wie du hörst, alles ganz harmlos! War´s das jetzt?“

„Ihr kennt euch nun schon eine ganze Weile, seid euch sympathisch und da bleibt es ja nicht aus, dass ihr euch früher oder später näherkommt!“, stottere ich.

„Wenn es soweit ist, werde ich dir Bescheid geben!“, antwortet sie patzig und etwas milder… „Ja, Jonas ist schon toll und ich mag ihn ganz besonders gerne! Aber bis auf eine Umarmung und ein Küsschen hier und da, ist noch nichts Sexuelles passiert! Ehrlich nicht, Mama!“, beruhigt sie mich und ihre Augen leuchten wie zwei Wunderkerzen.

„Schön, dass wir mal so offen miteinander über dieses Thema sprechen können, Laura! Irgendwann kann ich mit dir ja mal zum Frauenarzt gehen; wenn du es für nötig hältst, ja?“, schlage ich vor und umarme mein kleines, großes Mädchen.




6

Zum Glück hat Kurt Gertrudas Handy gefunden und zwar, eingewickelt in einem Berg schmutziger Wäsche im Wäschekorb. Schonend hat er ihr alles noch einmal geduldig beigebracht; aber sie war mit den Gedanken ganz woanders und hat nicht zugehört.

„Du meinst, dass du Ahnung hast; stimmt aber nicht, Kurt! Laura und Leon haben mehr Ahnung als du und darum gehe ich jetzt rüber zu meinen Enkeln!“, beschließt sie, schnappt sich das Handy und verlässt das Haus.

„Laura, Leon, kommt mal runter! Oma will euch dringend sprechen!“, ruft sie, bevor sie Hallo sagt.

„Was ist denn, Oma?“, fragt Laura, die sofort auf der Matte steht. (sicher denkt sie, dass Oma ihr ein Scheinchen überreichen will, da sie Geld immer gebrauchen kann…) Gertruda fummelt mit dem Smartphone herum, was noch betriebsbereit ist.

„Kannst du mal gucken, was da los ist? Habe ich das jetzt kaputt gemacht, Laura?“, fragt sie ängstlich.

„Das ist das Klingelzeichen, Oma! Du bekommst gerade einen Anruf! Einfach auf den grünen Hörer drücken und annehmen!“, erklärt ihr Laura.

„Grüner Hörer? Wo ist denn hier ein grüner Hörer, Laura? Ich habe keinen Hörer, der grün ist; guck mal selber!“

„Oma, der ist da auf der schwarzen Taste und grün gemalt! Da drückst du jetzt drauf und sagst Hallo!“

„Aber ich weiß doch nicht, wer mich da gerade anruft?“, ruft sie verzweifelt.

„Das hörst du dann, wenn du die grüne Taste drückst und dich mit Namen meldest, Oma!“, mischt sich Leon jetzt ein.

„Ihr macht mich ganz kribbelig! Was soll ich denn jetzt sagen? Hallo oder meinen Namen, he?“

„Am besten beides!“, rät Laura ihr. Gerade will Gertruda diese Taste drücken, da hört das Klingeln auf.

„Vielleicht ist das auch ganz gut so; wer weiß, welcher Spinner mich da sprechen wollte!“, jubelt sie erleichtert.

„Du hättest dir schon viel früher ein Handy anschaffen sollen, Oma, dann wüsstest du heute, wie es funktioniert!“, schimpft Laura mit ihr.

„Papperlapapp! Wer ein Handy hat, ist immer erreichbar und gehört zum Personal!“, belehrt sie ihre beiden Enkel und rauscht aus dem Zimmer.


*

In zwei Wochen veranstaltet die Schule ein großes Herbstfest und alle Eltern, Geschwister und Verwandten sind herzlich eingeladen. Lauras Klasse probt seit Wochen Romeo und Julia für das Herbstfest. Beim Vorsprechen war Laura die Beste und darf die Julia spielen. Ich weiß, dass sie wunderbar Theater spielen kann; vor allem Zuhause. Ich habe das Gefühl, dass sie zum ersten Mal Freude daran hat und es nicht ätzend, öde oder sonst was findet. Frau Gerbrandt ist die neue Lehrerin für Kunst und Musik und sie hatte die Idee mit der Theateraufführung zum Herbstfest. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, sie kennenzulernen, spätestens begegnen wir uns ja beim Herbstfest. Laura jedenfalls ist schwer begeistert von Frau Gerbrandt und das will was heißen. In Lauras Zimmer wird fleißig Text geübt und Jonas hört sie ab, wie ich neulich mitbekommen habe. Die beiden scheinen sich prima zu verstehen und irgendwie beruhigt mich das. Heute Mittag kommt meine Tochter schlechtgelaunt und heulend von den Proben.

„Diese blöde Schnepfe! Ich habe alles auswendig gelernt und konnte den Text fehlerlos sprechen! Trotzdem war sie nicht mit mir zufrieden und will mir jetzt die Rolle wegnehmen!“, tobt sie und läuft aufgebracht hin und her.

„Die Rolle der Julia? Wer will sie dir wegnehmen?“, frage ich und verstehe im Moment nur noch Bahnhof.

„Die blöde Gerbrandt! Sie will, dass die doofe Britta meine Rolle übernimmt! Stell dir das mal vor, Mama!“, heult sie und kann sich nicht beruhigen.

„Dabei kann die sich nicht einmal einen Satz merken, weil sie einfach nur blöd ist! Alle in der Klasse haben protestiert, aber die Gerbrandt bleibt hart!“, schluchzt sie weiter und fällt in meine Arme. Ich streichele über ihren Kopf und versuche, sie zu beruhigen.

„Irgendetwas muss doch passiert sein, dass du die Julia nicht mehr spielen darfst!“

„Nichts ist passiert, Mama! Ehrenwort! Bevor die Probe begann, hat Frau Gerbrandt bei der blöden Britta gestanden, mit ihr geflüstert und sie freundschaftlich auf die Schulter geklopft. Dann habe ich meinen Text fehlerfrei aufgesagt und alle haben mir applaudiert! Danach hat Frau Gerbrandt mich zu sich gerufen, und mich aus der Rolle genommen! Diese blöde Pissnelke! Das ist sowas von ungerecht, Mama und ich verstehe nicht, warum?“, heult sie weiter und ich reiche ihr ein Taschentuch für die vielen Tränen, die wie ein Wasserfall aus ihren schönen Augen fließen.

„Ich werde heute Nachmittag Frau Gerbrandt anrufen! Sie wird sicher eine Erklärung für ihre Entscheidung haben, okay?“, tröste ich meine, in Tränen aufgelöste Tochter. Im Stillen hoffe ich, dass Frau Gerbrandt ihre Entscheidung rückgängig machen wird, denn sonst wäre Laura noch unerträglicher, als sie jetzt schon ist. Ich denke da in erster Linie an mich…

Nach dem Mittagessen greife ich zum Hörer und wähle die Nummer von Frau Gerbrandt. Leider höre ich nur ihre Telefonstimme auf dem Anrufbeantworter: Hallo, Sie sprechen mit dem Anschluss von Hildegard Gerbrandt! Leider bin ich momentan nicht erreichbar, da ich gerade mit wichtigen Dingen beschäftigt bin! Sie können mir gerne Ihre Telefonnummer hinterlassen und ich werde sie beizeiten zurückrufen! Vielen Dank!

Ok, ich spreche unsere Nummer auf den AB und warte auf ihren Rückruf.




7

Stunden später klingelt endlich das Telefon; das muss Frau Gerbrandt sein, denke ich und sie ist es tatsächlich.

„Guten Tag, Frau Berger! Haben Sie heute schon Mal angerufen? Ich habe Ihre Nummer auf dem Anrufbeantworter gesehen und im Hintergrund so ein schlimmes Jaulen gehört, als würde ein Tier gequält!“

„Ach ja, das war unser Hund Rambo! Der ist eifersüchtig, wenn einer von uns telefoniert!“

Pause und schweres Atmen am anderen Ende der Leitung.

„Was kann ich denn für Sie tun, Frau Berger?“

„Für mich eigentlich weniger, Frau Gerbrandt, sondern eher etwas für meine Tochter Laura!“, antworte ich schnippisch.

„Ich verstehe nicht, was...!“

„Sie verstehen ganz gut! Sie haben ihr die Rolle der Julia entzogen und sagen Sie mir bitte auf der Stelle, warum?“, poltere ich und muss mich am Riemen reißen, dass ich nicht noch lauter werde. Laura sitzt mir gegenüber und hält aufmunternd beide Daumen hoch.

„Ach das!“, gibt sie kleinlaut von sich und schüttelt jetzt sicher ihren Kopf.

„Ja, genau! Das! Was war der Grund, Frau Gerbrandt?“

„Ja, will mal so sagen! Ihre Tochter steht oft genug im Mittelpunkt und auch die Rolle der Julia hat sie schon in kürzester Zeit auswendig gekonnt! Die schüchterne Britta, die in der Klasse keinerlei Freunde hat, stand mal wieder am Rande des Geschehens. Ihre Mutter hat mich angerufen und sich beklagt, dass sie in dem Stück nicht mitspielen kann, als einzige aus der Klasse. Da dachte ich…!“

„Da dachten Sie…, unterbreche ich sie, „dass das Stück lieber stotternd aufgeführt werden soll, als perfekt durch Laura und ihrem Romeo? Stimmt das, Frau Gerbrandt?“

„Ja, das habe ich!“

„Von wegen! Sie sind eine gescheiterte Schauspielerin und lassen Ihren Frust an den Kindern aus! Wie kann man nur Laura die Rolle der Julia streichen, wo sie die so gut beherrscht?“

„Frau Berger, beruhigen Sie sich bitte wieder! Ich kann das erklären!“, antwortet sie jetzt kleinlaut.

„Danke! Kein Bedarf! Entweder bekommt meine Tochter ihre Rolle wieder, oder ich bin morgen beim Direktor! Wo gibt es denn so ein Geschmiere zwischen Lehrer und Eltern? Also, was ist jetzt, Frau Gerbrandt?“

„Ich werde es mir überlegen, Frau Berger!“

„Aber bitte nicht zu lange; sonst bin ich schneller beim Direktor, als sie gucken können!“

„Ja, alles gut, Frau Berger!“

„Hoffentlich!“, antworte ich und lege auf. Laura kommt auf mich zu und umarmt mich lange:

„Ich wusste gar nicht, dass du so viel Courage hast, Mama!“

„Wenn es um meine Kinder geht, laufe ich zu Hochtouren auf, wie du gerade gehört hast! Ungerechtigkeit kann ich erst recht nicht leiden! Du kannst die Julia spielen, wetten?“ Mit einem dicken Schmatzer verabschiedet sich meine Tochter und tänzelt mit dem Handy am Ohr nach oben in ihr Zimmer. Die neue Nachricht von ihrer mutigen Mutter, wird ab jetzt die Runde machen, da bin ich mir ganz sicher…




8

Hermann setzt sich zu mir aufs Sofa und schaut griesgrämig drein.

„Was ist mit dir?“, frage ich ihn.

„Weiß nicht! Irgendwie bin ich mit mir nicht mehr so zufrieden, wie vor einem halben Jahr noch! Weißt du Vera, was mit mir los ist?“, und blickt mich erwartungsvoll an.

„Hm, ich bin in letzter Zeit auch nicht mit dir zufrieden und halte es trotzdem neben dir aus! Vielleicht sind es die Wechseljahre? Zu viel Stress im Büro? Ärger mit der Familie? Es kann alles sein!“, antworte ich und grinse in mich hinein.

„Das ist es nicht; irgendwas ist anders bei mir!“, meint er und zieht ein langes Gesicht.

„Es ist so, Hermann: der Körper entwickelt im Alter sein Eigenleben! Er setzt Fett an, wo nie welches war, geht in die Breite und nimmt zu, obwohl man die Essgewohnheiten nicht verändert hat. Haare wachsen an den Stellen, wo sie nicht hingehören, fallen aber da aus, wo sie noch wachsen sollen! Hermann, du kommst bzw. bist in dem Alter mit diesen Symptomen, mein Lieber!“, mache ich ihm klar, wovon er natürlich nichts wissen will.

„Das alles trifft bei euch Frauen vielleicht zu, aber doch nicht bei uns Männern!“, empört er sich und verlässt das Sofa. Seine Mundwinkel sind hochgetackert und er wird ab sofort vor sich hin schmollen. Tja, da muss Mann eben durch…


*

„Ich habe schrecklich schlechte Nachrichten!“, stürzt Gertruda aufgebracht in die Küche, wo ich gerade dabei bin, einen Kuchen zu backen.

„Hm, ist der nächste Termin bei deiner Frisörin Dachma abgesagt worden, oder was ist so schrecklich, Gertruda?“, scherze ich.

„Was sagst du? Ich verstehe dich nicht; sprich gefälligst lauter!“, ranzt sie mich an.

„Dein Gehör hat ziemlich nachgelassen, Gertruda! Wenn das so weitergeht, dann brauchst du ein Hörrohr! Warst du eigentlich mal beim HNO-Arzt? Da solltest du dir mal schnellstens einen Termin machen, bevor du dir einen neuen Termin bei Dachma buchst!“

„So einen Quatsch, den du da redest! Ich höre besser als du denkst! Außerdem ist es manchmal ganz gut, wenn man nicht alles hört! Weißt du, was ich meine?“ klärt sie mich auf und das ziemlich laut.

„Klar, weiß ich, was du meinst! Komischerweise hörst du immer das, was nicht für deine Ohren bestimmt ist! Ist mir schon mehrfach aufgefallen! Trotzdem solltest du mal zum Ohrenarzt gehen und einen Hörtest machen lassen!“, schlage ich ruhig vor.

„Ich war neulich beim Optiker und habe einen Sehtest gemacht und das ziemlich erfolgreich!“

„Du musst zum Ohrenarzt, Gertruda und einen Hörtest machen lassen und nicht beim Optiker einen Sehtest!“, versuche ich ihr zu erklären.

„Ich weiß! Ohren und Augen sind auf einer Linie und die stehen beide in Verbindung miteinander! Du hast ja keine Ahnung, Vera!“, schreit sie wütend und stampft mit den Füßen auf, wie ein kleines Kind.

„Was wolltest du mir denn so Schreckliches erzählen, Gertruda?“, lenke ich ab.

„Keine Ahnung! Schreckliches? Das hier ist schrecklich! Du drehst mir das Wort im Munde herum! Lass du dich lieber mal untersuchen! Mit dir stimmt schon lange was nicht, Vera! Was ich mal wieder angeblich gesagt haben soll, bildest du dir alles ein! Pfui!“, schimpft sie und läuft hinaus.

Sie lässt sich einfach nichts mehr sagen und schlägt alles in den Wind. Dabei meinen wir es doch nur gut, dass sie das nicht kapiert und immer nur das Gegenteil denkt. Nicht nur ich mache mir Sorgen, sondern auch Kurt. Manchmal kommt sie rüber und liest die Fernsehzeitung verkehrt herum. Bevor ich etwas sage, drehe ich sie auf die richtige Seite, damit sie das Programm lesen kann. Mir fällt auf, dass sie die Seiten umblättert von vorne nach hinten und wieder zurück.

Kurt war letzte Woche mit ihr beim Hausarzt, der ihr eine Überweisung zum Neurologen ausgestellt hat, wo sie nächste Woche einen Termin hat. Ich habe angeboten, dass ich mit Gertruda hinfahre, weil Kurt das alles zu sehr mitnimmt.

Übrigens: Laura darf wieder die Julia spielen und das ist wunderbar; der häusliche Frieden ist für die nächsten Wochen gerettet. Auch Britta hat eine kleine Rolle bekommen, über die sie sich sehr gefreut hat.




9

Der Termin beim Neurologen ist um zehn Uhr. Ich fahre mit Gertruda in die Tiefgarage des Ärztehauses und erkläre ihr, wo wir hinmüssen. Heute scheint sie guter Dinge zu sein und hat sogar gute Laune. Eine Fußgängerampel muss überquert werden, um zu der Praxis zu gelangen. Die Fußgängerampel springt auf Rot; wir müssen warten. Ehe ich mich versehe, läuft Gertruda über den Zebrastreifen auf die andere Seite und ruft:

„Glück gehabt!“, klatscht in die Hände und kann sich nicht mehr einkriegen vor Lachen. Mein Herz steht für Sekunden still. Autos fangen ein Hubkonzert an und die Menschen schimpfen mit ihr und sind entsetzt, über so viel Leichtsinn. Das hätte wirklich schlimm ausgehen können. Ich laufe rüber zu Gertruda und schimpfe sie lautstark aus.

„Mach nicht so eine Welle, Vera! Die Leute gucken ja schon!“, schimpft sie mit mir.

„Die gucken nicht wegen mir, sondern es geht hier um dich! Die sind entsetzt, dass eine alte Frau bei Rot einfach über die Straße rennt und sich noch halbtotlacht!“, kläre ich sie auf. Die Blicke der Leute drumherum sprechen Bände. Eine junge Frau schaut mich mitleidig an.

„Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung von meiner Mutter! Die ist genauso starrsinnig, wie diese Dame! Da kann man reden was man will; die machen einfach was sie wollen! Sie tun mir aufrichtig leid!“, schüttelt sie den Kopf und geht weiter.

„Was mischt die sich hier ein?“, schimpft Gertruda und wirft einen bösen Blick hinterher.

„Das machst du nie wieder! Nie wieder, Gertruda! Hast du mich verstanden!“, schimpfe ich, packe sie am Arm und schleife sie in Richtung Praxis.

Dort werden einige Tests gemacht, während ich im Wartezimmer in den Illustrierten blättern darf. Zuhause komme ich nämlich nicht dazu. Ich wundere mich, was so alles bei den Promis passiert ist in der Zwischenzeit. Ich bin einfach nicht mehr auf dem neuesten Stand… Dann holt der Herr Doktor mich herein und stellt mir einige Fragen.

„Wie lange merken Sie die Veränderung bei Ihrer Mutter schon?“

„Schwiegermutter! Naja, eigentlich erst in letzter Zeit! Es gibt Tage, da ist sie ganz normal; antwortet und spricht in ganzen Sätzen! Was haben die Tests denn jetzt ergeben?“

„Heute waren es nur fünf einfache Tests; ich wollte Ihre Schwiegermutter nicht überfordern! Man kann jetzt nicht direkt von einer Demenz bzw. Alzheimerkrankheit sprechen. Das alles bewegt sich noch im Anfangsbereich, Frau Berger! Ich würde sie gerne in zirka drei Wochen noch einmal hier sehen. Am besten, Sie kommen wieder mit und berichten mir, welche Veränderungen Sie bis dahin festgestellt haben. Es ist aber durchaus möglich, dass sich nichts bei Ihrer Schwiegermutter verändert hat; also, nichts Gravierendes. Wir werden sehen und das muss auf jeden Fall beobachtet werden. Schönen Tag noch und Ihnen alles Gute!“, verabschiedet er sich schnell von uns.

„Na, siehste! Viel Kram um Nichts! Wusste ich schon vorher!“, meint Gertruda zufrieden, als ich sie im Wartezimmer abhole.

Wir gehen zum Auto und fahren nach Hause, wo Kurt ungeduldig auf uns wartet.

„Da seid ihr ja endlich! Was hat der Doktor gesagt?“, überfällt er uns im Hausflur.

„Nichts! Ihr habt mal wieder ne Welle ins Rollen gebracht; wie immer! Alles gut!“, beantwortet Gertruda schnell seine Frage. Kurt schaut mich fragend an.

„In drei Wochen ist der nächste Termin und bis dahin sollen wir sie beobachten, ob sich irgendetwas bei ihr verändert oder anders geworden ist. Mehr gibts gerade nicht zu berichten außer, dass sich alles noch im Anfangsstadium befinden würde!“, sage ich leise zu Kurt, was ihn aber nicht zu beruhigen scheint.







10

„Kannst du mir mal sagen, was ich in der Oper soll, Vera?“

„Nein, das kann ich nicht. Warum willst du das wissen?“, frage ich Hermann, der gerade nach Hause kommt und mir zwei Opernkarten vor die Nase hält.

„Woher hast du diese Karten?“, frage ich.

„Vom Chef! Der hat sie geschenkt bekommen und keine Lust und keine Ahnung von Opern!“, klärt er mich auf.

„Genauso wenig wie wir beide, stimmt´s? Und was fangen wir jetzt damit an? Verkaufe sie doch bei Ebay, frag die Messerschmitz von nebenan oder einen von deinen Kollegen!“, schlage ich vor.

„Bis auf die Kobolde habe ich im Amt schon jeden einzelnen gefragt; kein Interesse durch die Bank! Alle finden Opern ätzend usw.!“

„Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als selbst das Opernhaus in der Nachbarstadt zu besuchen. Wann ist die Vorstellung?“

„Diesen Samstag, also übermorgen schon! Ich habe mir den Samstag auch anders vorgestellt, das kannst du mir glauben!“

„Ich mir auch! Dein Golfsonntag bleibt dir ja noch erhalten, Hermann! Vielleicht ist es schön und entspannend und man sieht, bzw. hört mal was Anderes! Wir gehen Samstag in die Oper; du und ich, Hermann und machen uns einen schönen Abend!“, versuche ich meinen Göttergatten aufzuheitern, was mir tatsächlich ein bisschen gelingt!

„Ich könnte vor Freude den Boden küssen, Vera! Also gehen wir mal zur Abwechslung in die Oper, mein Schatz!“, verkündet er munter und küsst mich auf die Stirn.


*

Es ist so weit. Wir beide sind opernmäßig verkleidet und machen uns auf den Weg zu unserem größten Abenteuer; nämlich den Abend in der Oper zu verbringen. Sämtliche Plätze sind besetzt und wir schieben uns auf unsere reservierten Plätze vor. Sanfte Töne erklingen aus dem Hintergrund. Andächtig und leise murmelnd schauen alle auf den dunkelroten Vorhang, der sich in wenigen Minuten öffnen müsste. Dann ist es so weit und nach einer Sekunde ist es mucksmäuschenstill. Jetzt folgt ein Applaus, der den ganzen Saal erfüllt, obwohl noch keiner der Sänger*Innen zu sehen ist. Nur das Orchester streichelt zart die Saiten der vielen Geigen. Nicht nur der Vorhang fällt, sondern auch nach kurzer Zeit der Kopf meines Nebenmannes auf meinen Oberarm. Vorsichtig linse ich nach links, als der Kopf zu schnarchen beginnt; er riecht penetrant nach Knoblauch. Hoffentlich muss ich nicht raus und mich übergeben, denke ich panisch. Nach gefühlten zehn Minuten, löse ich vorsichtig meinen Arm, - der sich inzwischen taub und blutleer anfühlt -, vom Kopf des fremden Mannes. Nun fällt sein Kopf eine Etage tiefer; nämlich auf meine Brust, wo er mit einem tiefen Seufzer weiterschnarcht. Auf so einem weichen Polster würde ich auch sofort in einen Tiefschlaf fallen, denke ich. Ich befinde mich gerade in einer Extremsituation und kann dem Gesang – den ich sowieso nicht verstehe -, kaum folgen. Außerdem bin ich kein Fan von dieser Musik und habe null Ahnung, warum sich gerade eine sehr junge Sängerin das Herz aus dem Leib schreit. Hermann scheint auch die große Müdigkeit eingeholt zu haben; er ruht mit seinem halben Oberkörper auf der Lehne des gepolsterten Stuhles seines Nachbarn. Ich stoße ihn sanft in die Seite; keine Reaktion. Hoffentlich beginnt er nicht auch noch zu schnarchen…

Der Kopf meines Nachbarn wird immer schwerer, so dass ich kaum noch Luft bekomme. Mein sanftes Anstupsen wird ignoriert und der Fremde auf meiner Brust beginnt jetzt sogar leise

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bärbel Schoening
Cover: Josi Saefkow
Tag der Veröffentlichung: 27.10.2023
ISBN: 978-3-7554-5885-2

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