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Bärbel Schoening

Kiosk Sonneneck

 





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kiosk Sonneneck

 

Mein Leben war an einem Tiefpunkt angelangt; ich fühlte mich wie eingeschlossen in einem Kokon.

„Das geschieht häufig, wenn man von einem schlimmen Erlebnis überrascht wird!“, beruhigte mich meine Hausärztin damals.

Heute ist wieder so ein Tag; am liebsten würde ich zurück ins Bett flüchten. Tausend Gedanken schwirren durch meinen Kopf, ich habe die ganze Nacht so gut wie überhaupt nicht geschlafen und nun liegt auch noch ein langer Tag vor mir, den ich irgendwie rumkriegen und ausfüllen muss. Ein Blick aus dem Fenster sagt mir, dass dieser Tag grau und regnerisch werden wird.

Hätte ich vor einem halben Jahr nicht diesen Albtraum erlebt, würde ich heute bedeutend positiver in die Welt schauen.

Es passierte beim Frühstück…

An diesem Tag hatten wir einen Tagesausflug mit dem Schiff geplant. Die Plätze waren schon vor Wochen gebucht, alles stand bereit, als Robert mich noch um eine Tasse Kaffee bat. Als ich zurück an den Esstisch kam, fand ich ihn zusammengesunken neben dem Geschirr liegen. Mir läuft es heute noch eiskalt über den Rücken, bei diesem Bild.Tage, nein Monate lang sah ich nachts die Szene vor mir; meine Ohnmacht, die Verzweiflung, mit der ich ihn schüttelte und anschrie:

„Lass den Blödsinn, Robert! Das ist nicht lustig!“

In Wirklichkeit konnte er mich da schon nicht mehr hören.

Heute weiß ich nicht mehr so genau, wie lange ich neben ihm gesessen, mich an ihn gekrallt und meine Verzweiflung herausgeschrien habe. Durch das Klingeln an der Tür fand ich langsam wieder in die Realität zurück. Es war Karin, meine Nachbarin und Freundin. Heiner und Karin hatten ebenfalls die Schiffstour gebucht und wir vier wollten uns einen schönen Tag auf dem Rhein machen. Beide waren sie fast zeitgleich vor fünfzehn Jahren ins Nachbarhaus eingezogen. Wir verstanden uns auf Anhieb und sind seitdem eng befreundet. Karin reagierte sofort. Sie rief den Rettungswagen, machte mir einen Tee und redete beruhigend auf mich ein, wie sie mir später erzählte. Nachdem mir der Notarzt eine Beruhigungsspritze verabreicht hatte, fiel ich für Stunden in einen besinnungslosen Schlaf. Tagelang stand ich noch unter Schock und war zu nichts fähig. Dies alles geschah vor einem halben Jahr und seitdem lebe ich mit Larissa, meiner Tochter, alleine in diesem viel zu großen Haus.

Ich bin froh, sie zu haben denn sie ist mein Halt und mir eine große Hilfe. Larissa ist ein sehr vernünftiger Teenager, im Gegensatz zu dem, was man immer so von Müttern hört. In der Schule hat sie keinerlei Probleme, ist fleißig und zielstrebig. Manchmal beneide ich sie ein bisschen um ihre Spontanität und Fröhlichkeit, mit der sie durch den Tag regelrecht schwebt.

Vor Roberts Tod ähnelte ich Larissa; ich feierte gerne mit Freunden, war ein humorvoller Mensch und dem Leben positiv zugewandt. Unser Haus war stets offen für Freunde und Bekannte. Ich organisierte Spieleabende, gab ziemlich oft die Gastgeberin, da Kochen meine große Leidenschaft ist, bzw. war. Mit Heiner und Karin verbrachten Robert und ich wundervolle Urlaube, an die ich gerade mit Wehmut zurückdenke. Bis heute hat meine Tochter es nicht geschafft, mich mit ihrer Fröhlichkeit und ihrer positiven Einstellung zum Leben, anzustecken. Manchmal kommt mir der Gedanke, dass sie den Tod ihres Vaters viel zu schnell überwunden hat. Im Inneren aber weiß ich, dass ich ihr Unrecht tue; sie trauert wahrscheinlich nur anders als ich. Sie ist ein junger Mensch! Ihr Alltag bietet eben mehr Abwechslung, als meiner zurzeit.

Statt unter Menschen zu gehen, sitze ich zu Hause, grübele so vor mich hin, lasse mich gehen und zerfließe in Selbstmitleid. Seit einem halben Jahr ist mein Leben auf der Strecke geblieben; ich kriege nichts mehr auf die Reihe, schotte mich ab und gehe nur im Notfall vor die Tür. Der tägliche Gang zum Friedhof ist das einzige, wo ich mal Sauerstoff bekomme. Karin und Larissa haben sich schon den Mund fuselig geredet und mir die verlockendsten Vorschläge gemacht; ich will und kann einfach nicht! Noch nicht!

Auch heute wird mein Tag genauso bescheiden und langweilig sein, wie der gestrige, morgige und der von übermorgen...

Lustlos ziehe ich mir den Bademantel an und schlurfe müde in die Küche.

Larissa ist zur Schule und hat mir auch heute wieder einen kleinen Zettel auf den Tisch gelegt, wie sie das jeden Morgen seit ein paar Wochen macht. Meist überfliege ich die und lege sie dann beiseite. Sie sagt, es seien kleine Motivationssprüchlein, die mich positiv durch den Tag begleiten sollen. Ich muss schmunzeln, denn ich halte nichts von so einem weisen Zeug. Sicher meint sie es mal wieder nur gut.

Ich stelle die Kaffeemaschine an und fülle den Toaster mit zwei Scheiben Toastbrot.

Guten Morgen liebe Mamuschka! Mach dich schick und fahre in die Stadt! Heute ist ein ganz besonderer Tag, das spüre ich! Küsschen Larissa! Ich hab dich lieb!“

Meine Augen füllen sich mit Tränen und ich denke: von wem hat sie nur diese Naivität? Ich schiebe den Zettel beiseite und zwinge mich, zu frühstücken. Auch heute habe ich mal wieder keinen Appetit, dafür aber alle Zeit der Welt. Beim Abräumen des Tisches fällt mir der Zettel wieder in die Hände und ich lese ihn mir laut vor.

Ich schmunzle erneut über die lieben Worte meiner Tochter und denke; sie hat wirklich einen leichten Hang zum Esoterischen!

Um das Haus halten zu können, muss ich mir baldmöglichst Arbeit suchen, denn mit der Witwenrente alleine werde ich das auf Dauer nicht schaffen können. Ich räume das Geschirr in die Spülmaschine, stelle den Toaster in den Schrank und schaue aus dem Fenster.

Die Sonne hat die dichte Wolkendecke von vorhin fortgeschoben und der Himmel verwandelt sich so langsam in ein helles Blau.

Ich weiß nicht warum, beschließe spontan, jetzt in die Stadt zu fahren; seit einem halben Jahr zum ersten Mal... Larissa würde es als gutes Zeichen deuten und sich darüber freuen, dass ich das Haus endlich mal verlasse.

In letzter Zeit sehe ich immer nur das Schlechte, anstatt das Gute und Positive zu schätzen zum Beispiel: dankbar zu sein, eine so tolle Tochter zu haben.

 

Marga triff eine mutige Entscheidung

 

Nach dem Duschen mache ich mich ausgehfertig; ich entscheide mich für eine bunte Bluse und eine helle Hose. Ich verlasse das Haus, fahre das Auto aus der Garage und habe Zweifel, ob meine Entscheidung richtig ist. Ich wundere mich, wie viele Menschen um diese Zeit schon unterwegs sind. Hier scheinen alle ein Ziel und eine Aufgabe zu haben. Langsam fädele ich mich in den Stadtverkehr ein; meine Hände sind schweißig, mein Herz pocht laut und der Blutdruck ist mit Sicherheit auf zweihundert angestiegen. Zum Glück finde ich schnell einen Parkplatz am Ende der Fußgängerzone und bin darüber sehr erleichtert. So kann ich durch die Einkaufsstraße bummeln und mir in aller Ruhe die Geschäfte ansehen; Zeit habe ich genug. Vielleicht kaufe ich mir sogar etwas Schickes? Lust darauf habe ich auf einmal...

 

So langsam löst sich die innere Spannung in mir und ich bin nun um einiges ruhiger als heute Morgen. Ich gehe schnurstracks in eine kleine Boutique, die mich durch ihre besondere Schaufensterdekoration anspricht. Eine junge Verkäuferin begrüßt mich freundlich und schlägt mir vor, mich in aller Ruhe erst einmal umzusehen. Das liebe ich; die meisten Verkäuferinnen stürzen sich direkt beim Betreten des Geschäftes auf den Kunden und fragen nach seinem Wunsch. In aller Ruhe schaue ich mich jetzt um und probiere das eine oder andere Kleidungsstück an, obwohl ich nicht weiß, was ich mir kaufen will. Nötig habe ich nichts, da in meinem Kleiderschrank genügend Auswahl herumhängt, was teilweise noch nicht oder nur einmal von mir getragen wurde. Ich habe Lust, mehrere Kleidungsstücke anzuprobieren und betrachte mich kritisch im Spiegel. Ich muss unbedingt wieder etwas zunehmen, denn so wie ich mich gerade im Spiegel sehe, bin ich um einige Jahre gealtert. Kurz darauf habe ich etwas Schickes gefunden und entscheide mich für einen Trenchcoat in blau und einen schicken Pullover. Ich freue mich, dass ich den Preis sogar noch herunterhandeln konnte.

Dann suche ich mir ein Café, um ein zweites Frühstück einzunehmen. Zum ersten Mal habe ich richtig Appetit. Sicher hat es mit den Menschen zu tun, die hier in der Sonne sitzen und es sich gutgehen lassen. Inzwischen ist am Himmel kein einziges Wölkchen mehr zu sehen und auch die Temperatur ist angestiegen. Es ist angenehm warm und bis auf einen Platz auf der Außenterrasse, sind alle Tische besetzt, vorwiegend mit Frauen, mittleren und älteren Jahrgangs. Ich nehme Platz an dem kleinen Bistrotisch in der Ecke. Von hier aus habe ich die ganze Straße im Blick. Leute zu beobachten haben Robert und ich immer gerne gemacht. Wir dachten uns aus, welchem Beruf die einzelnen Personen nachgehen würden, oder ob das turtelnde Pärchen verheiratet oder nur eine Affäre miteinander hat usw. Eine freundliche Bedienung reißt mich aus meinen Gedanken und fragt nach meinen Wünschen. Ich entscheide mich für das kleine Frühstück mit einem Cappuccino. Genüsslich verrühre ich den Schaum in meiner Tasse und beobachte den Nachbartisch, an dem eine junge Mutter mit ihrem niedlichen kleinen Mädchen mit blonden Locken sitzt und sie löffelweise mit Eis füttert. Es scheint die Lieblingseissorte der Kleinen zu sein, denn sie kann nicht genug davon bekommen. Sie strahlt mich ununterbrochen an und ihr kleiner Mund ist rundherum mit Eis beschmiert. Selbst das T-Shirt hat Erdbeereis abbekommen. Ich kann nicht anders, als das Kind immerzu anzusehen, da es mich in einem fort anstrahlt. Ich frage mich gerade, wo war ich in den vergangenen sechs Monaten nur? Eingeigelt, schlechtgelaunt, depressiv hatte ich das Leben abgeschrieben, meine Lebendigkeit aufgegeben... Wie ich die Menschen um mich herum so betrachte, geht es mir von Minute zu Minute besser. Ich bestelle mir noch einen Cappuccino und einen kleinen Erdbeerbecher; die Kleine hat mich auf den Geschmack gebracht... Während ich genüsslich mein Eis löffele, sehe ich auf der anderen Straßenseite einen Kiosk, bei dem die Jalousien heruntergelassen sind. An der Tür klebt ein großer gelber Zettel, auf dem eine Telefonnummer steht.

„Schon wieder eine Insolvenz! Das ist wirklich schade!“, sage ich halblaut und schüttele bedauerlich den Kopf.

Die Mutter des Kleinkindes dreht sich zu mir hin:

„Entschuldigung, von wegen Insolvenz! Meinen Sie den Kiosk da drüben?“

„Naja, ich habe nur etwas zu laut gedacht! Dabei ist die Lage doch hier perfekt, nicht wahr?“, füge ich schnell hinzu. Die junge Frau rückt mit dem Kind und ihrem Stuhl näher an meinen Tisch heran.

„Den Kiosk gab es schon, als ich noch ein Kind war. Dort kaufte ich mir diese leckeren süßen Erdbeergummis für zehn Pfennig, bei Frau Reichel! Wissen Sie, davon bekam man immer so eine rote Zunge!“, erzählt sie begeistert und wischt dabei mit einem Papiertaschentuch ihrer Tochter das Eis aus dem Gesichtchen.

„Was ist mit Frau Reichel? War sie zu alt oder warum musste sie den Kiosk schließen?“, frage ich neugierig.

„Sie bekam einen Schlaganfall! Jetzt lebt sie in einem Pflegeheim! Morgens um sechs machte sie jahrzehntelang ihren Kiosk auf, samstags wie sonntags. Sogar Heiligabend hatte sie bis sechszehn Uhr geöffnet! Der Kiosk war ihr Leben, müssen Sie wissen!“

„Und jetzt wird er abgerissen oder verpachtet?“

„Abgerissen wird er wohl nicht! Ich denke, ihr Sohn wird ihn vielleicht renovieren und dann eventuell verpachten oder ganz verkaufen! Gehen Sie gleich doch mal vorbei und schauen, was auf dem gelben Zettel steht!“, rät sie mir und... „Nun müssen wir aber weiter und deinen Bruder aus der Kita abholen, nicht wahr Prinzesschen?“, meint sie und streicht ihrer Tochter liebevoll durchs Haar.

„Einen schönen Tag noch!“, wünsche ich den beiden und die Kleine winkt mir so lange zu, bis beide mit dem Fahrrad um die Ecke verschwunden sind.

Nach meinem ausgiebigen Frühstück bin ich neugierig geworden und gehe rüber zum Kiosk. Dann notiere ich mir die Telefonnummer. Ich habe keine Ahnung, warum…

 

„Das Viertel ist nicht gerade erste Sahne!“, erzähle ich Larissa beim Mittagessen und bezweifele, ob ich meine fixe Idee überhaupt in die Tat umsetzen soll bzw., kann.

„Das wäre doch vielleicht etwas für dich, Mami! Du kämest wieder mit Leuten zusammen, hättest eine Aufgabe und wir könnten auch in unserem Haus wohnen bleiben. Na, wie findest du meine Idee? Ist sie nicht großartig?“, sprudelt es aus ihr heraus.

„Nun mal langsam, mein Fräulein! Wir haben nichts in der Hand, außer dieser Handynummer. Um ehrlich zu sein, der Kiosk sah schon ziemlich heruntergekommen aus. Sicher wird er in nächster Zeit abgerissen werden, denn er kann ja nicht monatelang leer stehen.“

„Das ist mir auch klar! Aber denk doch bitte mal an die Zeit zurück, als du im Einzelhandel gearbeitet hast, bevor ich auf die Welt kam. Die Arbeit hat dir immer so viel Freude gemacht, du warst bei den Kunden sehr beliebt und immer mit viel Herzblut dabei. In einem Kiosk ist es nichts Anderes, außer der Ware, die du verkaufen musst!“

„Das stimmt natürlich. Ich hatte schon länger von so einer Beschäftigung geträumt, seit du aus dem Gröbsten raus bist! Aber dein Vater war immer dagegen, dass ich arbeiten wollte. Ich finde jedoch, dass wir das alles langsam angehen sollten. So etwas muss genau überlegt werden, Larissa. Ich lasse mir noch ein paar Tage Zeit und rufe dann vielleicht den Besitzer an, okay?“

„Perfekt! So machen wir das!“

Als ich heute Vormittag in der Stadt war, umgeben von vielen Menschen, habe ich mich wieder lebendig gefühlt und so gut, wie schon lange nicht mehr. Ich musste feststellen, dass mir der Kontakt zu den Menschen in dem letzten halben Jahr gefehlt hat.

Dieser Kiosk geht mir nicht mehr aus dem Kopf und ich beschließe, in den nächsten Tagen diese Nummer anzurufen. Larissa meint:

„Ruf an und hör dir an, was der Besitzer zu sagen hat, Mami! Danach kennst du seine Bedingungen und du musst ja nicht sofort eine Entscheidung treffen!“ schlägt meine kluge Tochter vor und... „Alles ist unverbindlich und du vergibst dir nichts! Also, gib dir einen Ruck und ruf jetzt an!“ und... „Sollten meine kleinen Motivationszettel etwa Wunder gewirkt haben?“ Ich muss lächeln:

„Okay, du hast Recht. Ein Anruf und eine eventuelle Besichtigung sind unverbindlich und danach wissen wir mehr! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“, antworte ich schon etwas überzeugter und greife zum Hörer.

 

Am nächsten Tag um fünfzehn Uhr, haben wir unseren Besichtigungstermin mit Herrn Reichel, dem Eigentümer des Kiosks. Wir sind überpünktlich, haben sogar noch Zeit, uns die nähere Umgebung anzuschauen. Die Straßenbahnhaltestelle ist gegenüber und daneben fahren die Linienbusse in alle Richtungen ab. Kleine Gruppen von Menschen stehen wartend und rauchend an der Haltestelle.

„Optimal, Mami!“, ruft Larissa euphorisch aus und... „Manch einer besorgt sich noch schnell eine Dose Cola, eine Zeitschrift oder Zigaretten, um die Wartezeit zu überbrücken, bis die Bahn kommt!“

Ich nicke und schaue mich weiter um. Ein großer, gepflegter Park mit Holzbänken ist links von den Haltestellen angelegt mit einem riesigen Springbrunnen in der Mitte. Menschen gehen dort spazieren, ruhen sich auf den Bänken aus, blättern in einer Illustrierten oder essen Eis.

Rechts vom Kiosk – gegenüber der Haltestelle - steht ein schäbiges, mehrstöckiges Haus. Die unterste Stufe der Eingangstreppe ist nur noch zur Hälfte vorhanden, während aus den restlichen drei Stufen der Mörtel herausgebrochen ist. Nach hinten ist dieses Haus doppelt so lang und es sieht danach aus, als hätten schlaue Investoren damals eine Baulücke schließen wollen. Das Haus hat nicht einmal ein richtiges Dach, sondern ist mit einer billigen Dachpappe abgedeckt, die einen halben Meter an den Seiten herunterhängt. Auf dem Dach ist inzwischen eine Rasen- und Mooslandschaft gewachsen; es gleicht eher einer Blechdose, als einem Mehrfamilienhaus.

„Schau mal, Mami, hinter dem Haus ist ein total verwilderter Garten! Krass, was? Man könnte ihn so schön gestalten!“, meint Larissa und hakt sich bei mir unter.

Wir nähern uns dem Haus und sehen in einen Garten mit meterhohem Unkraut, krummen, morschen Holzpfosten, an denen Wäscheleinen gespannt sind.

„Von den Bewohnern scheint niemand Interesse zu haben, das große, verwilderte Grundstück mal auf Vordermann zu bringen!“, antworte ich und finde das sehr schade, dass man diese große Fläche einfach sich selbst überlassen hat. Wie es da so im Abseits steht, ein Haus in seiner ganzen Schäbigkeit, bewegt sich eine Gardine im dritten Stock hinter einem kleinen Fenster und ein Gesicht kommt zum Vorschein.

„Hier wohnt ja sogar jemand!“, meint Larissa ungläubig.

„Schau mal, nur ein paar hundert Meter vom Kiosk entfernt, beginnt die Fußgängerzone! Manche, die zur Straßenbahn oder zum Bus müssen, kommen an deinem Kiosk vorbei, um die Wartezeit zu überbrücken, bis die Bahn kommt, Mami!“

Mein Kiosk! Wie sich das anhört, Larissa! Noch ist es nicht soweit! Mal sehen, wer dieser Herr Reichel ist und was er für Bedingungen stellt! Außerdem haben wir schon viertel nach drei und es macht keinen guten Eindruck, wenn man zur ersten Verabredung zu spät kommt, oder?“

In diesem Augenblick fährt ein dunkelblauer Volvo an uns vorbei und hält direkt neben dem Kiosk. Ein Mann, Mitte Ende vierzig, gutaussehend und gepflegt, steigt aus und sieht sich suchend um.

„Das ist er bestimmt!“, ruft Larisa freudig und zieht mich über die Straße.

„Frau Hansen?“, kommt er uns entgegen und reicht mir die Hand.

„Olaf Reichel! Sie müssen meine Verspätung entschuldigen. Stau auf der Südbrücke! Nichts ging mehr! Das übliche Verkehrschaos am Freitagnachmittag, wissen Sie! Diese junge Dame ist sicher Ihre Tochter?“, meint er und begrüßt Larissa genauso freundlich wie mich.

„So, dann wollen wir mal!“, ruft er aus und schließt den Kiosk auf.

Gespannt folgen wir ihm...

 

Beinahe wäre ich über ein dickes Kabel gestolpert, das quer auf dem löchrigen Steinfußboden liegt. Die Eisenregale an der Wand sind staubig und mit vergilbten Zeitschriften und Pappkartons gefüllt. Eine Schöller Eiskrem Fahne und das rotweiße Coca-Cola Blechschild liegen verstaubt auf der Verkaufstheke. Neben dem meterhohen Zigarettenregal stehen Bonbongläser mit bunten Drops, die zusammengeklebt und aufgereiht auf zwei Regalbrettern stehen. Rechts daneben ein Eisenschrank mit zwei Glastüren, in dem sich ein paar Würstchengläser, einige Dosengerichte, Leberwurst und ein paar abgepackte Lebensmittel befinden, deren Verfallsdatum sicher schon längst überschritten ist. Drei eingedrückte Packungen Tampons, Haarshampoo, zwei Duschgels, Rasierklingen und Einwegrasierer liegen für Kunden bereit, die vergessen haben, sich diese Artikel vom Supermarkt zu besorgen. Eine uralte Kaffeemaschine steht auf der Fensterbank mit zusammengerolltem Kabel zur Entsorgung.

„Kommen Sie!“, fordert Herr Reichel uns auf und führt uns in den hinteren Raum, wo die Bier- und Getränkevorräte, bzw. das Leergut, kistenweise gestapelt sind. Daneben steht ein großer Kühlschrank, der ziemlich neu aussieht und sich deutlich von dem restlichen Inventar unterscheidet.

„Das alles hier wirkt nicht gerade einladend, eher abschreckend auf Sie, nicht wahr?“, meint er und blickt mich verlegen an.

„Nun ja, es müsste alles komplett renoviert werden!“, antworte ich zögernd. Soll ich ehrlich sein? Das Geld habe ich nicht, Herr Reichel!“

„Der Kiosk steht nun gut seit einem dreiviertel Jahr leer und ich hatte bisher noch nicht die Zeit, mich um alles hier zu kümmern, sondern musste mich erst einmal um meine Mutter kümmern! Sie kann auf keinen Fall mehr arbeiten nach ihrem schweren Schlaganfall und möchte natürlich genau wie ich, ihren Kiosk in gute Hände wissen, verstehen Sie? Er war ihr Leben und bis zum Schluss hat sie hinter der Theke gestanden und verkauft; und das mit großer Begeisterung und sehr viel Herzblut!“, erzählt er stolz.

„Wie geht es Ihrer Mutter zurzeit?“, frage ich.

„Es geht so! Wissen Sie, meine Mutter war und ist immer zufrieden gewesen, trotz ihres schwierigen Lebens! Sie hat mich alleine großgezogen und es hat mir als Kind an nichts gefehlt! Das Pflegeheim, in dem sie jetzt wohnt, ist mehr als okay! Sie fühlt sich dort sehr wohl und es wird alles für meine Mutter getan, worüber ich sehr froh und erleichtert bin!“

Ich schaue Larissa an und kann an ihrem Gesichtsausdruck nicht erkennen, ob sie dafür oder dagegen ist, ob ich den Kiosk übernehmen soll.

„Wie sieht es denn mit der Renovierung aus? Hier müsste ja alles erneuert werden!“, bemerkt Larissa nun und blickt Herrn Reichel erwartungsvoll an.

„Sollten Sie Interesse haben, dann übernehme ich sämtliche Renovierungskosten! Ich habe eine Baufirma in Düsseldorf, das kriegen wir schon hin. Da machen Sie sich mal keinen Kopf, Frau Hansen! Sie hätten selbstverständlich Mitspracherecht, was die Einrichtung angeht, wie zum Beispiel der Bodenbelag aussehen soll und ebenso für alles andere, was angeschafft werden muss! Wissen Sie, ich will ehrlich zu Ihnen sein; bisher haben sich noch nicht so viele Interessenten für den Kiosk gemeldet. Sie scheuen die vielen Stunden, die sie hier sein müssen! Auch das kann man sich einteilen und eventuell eine Aushilfe, oder in Ihrem Fall sogar Ihre Tochter mit einbeziehen! Vielleicht zur Aufbesserung des Taschengeldes?“, blinzelt er Larissa zu.

„Könnte ich mir gut vorstellen, Mami!“, meint sie begeistert.

„Überstürzen Sie nichts, Frau Hansen, lassen Sie sich alles noch einmal gründlich durch den Kopf gehen und rufen Sie mich an, ob und wie Sie sich entscheiden!“, meint er freundlich und... „So, das war es fürs Erste, wir sind durch! Den Kundenstamm meiner Mutter – und der ist nicht gerade klein, ohne die Laufkundschaft mitzurechnen – bekämen Sie gratis dazu!“, lacht er und geht mit uns zum Ausgang.

„Vielen Dank, Herr Reichel, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben! Ich melde mich dann bei Ihnen! Einen schönen Abend!“, wünschen wir noch und gehen zum Auto. Auf dem Weg nach Hause, gehen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Ich habe gerade so meine Zweifel, ob ich mir das überhaupt zutrauen will und kann; aber auf der anderen Seite war das Gespräch mit Herrn Reichel sehr positiv und klang für mich so, dass man gut mit ihm arbeiten kann.

„Warum will er die komplette Renovierung bezahlen, Larissa?“

„Weil er happy ist, dass er so eine nette und sympathische Nachfolgerin für seine Mutter gefunden hat, Mami!“, lacht sie.

„Es ist ja noch nichts entschieden und ich werde mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen, okay?“

„Mach das und lass dir Zeit! Ich weiß aber jetzt schon, dass der Kiosk deine Zukunft ist!“, behauptet sie und schaut mich ernst an.

„Schauen wir mal“ und… „Obwohl noch nichts entschieden ist, sollten wir den Pizzaservice anrufen und den heutigen Tag feiern, ja?“

„Super Idee!“, ruft sie freudig aus und eilt zum Telefon.

Was für ein aufregender Tag, denke ich und bin irgendwie seit langem so richtig zufrieden. Zum ersten Male habe ich Pläne im Kopf und je mehr ich überlege, kann ich mir dieses Wagnis sogar vorstellen...

 

Am nächsten Morgen fahre ich wieder in die Stadt; ich möchte mir das Umfeld des Kiosks mal etwas genauer ansehen.

Ich entdecke ein Nagelstudio Pretty Nail, daneben die kleine Änderungsschneiderei Nadel und Schere und einen hypermodernen Frisörsalon Hair Style neben dem Nagelstudio. Alle Geschäfte sind in einem langgezogenen Gebäude mit Flachdach untergebracht und davor tummeln sich viele Menschen. Neben der Straßenbahnhaltestelle – die etwas zurückliegt – erblicke ich zum ersten Mal eine Kneipe mit dem Namen Bei Elli No.19, die ich gestern wohl übersehen habe. Das Städtische Gymnasium liegt zirka fünfhundert Meter vom Kiosk entfernt hinter dem Stadtpark, Larissas Schule! Dann beginnt die Fußgängerzone mit all den vielen Geschäften. Ich stelle zufrieden fest, die Lage ist perfekt und ich kann mir durchaus vorstellen, diesen Schritt zu wagen und den Kiosk zu übernehmen nach der gründlichen Renovierung, die zum Glück von Herr Reichel durchgeführt würde, sollte ich mich dafür entscheiden.

Mittags besprechen Larissa und ich noch einmal die Einzelheiten und dann wähle ich seine Nummer, um ihm meine Entscheidung mitzuteilen.

„Das freut mich sehr, Frau Hansen!“, ruft er fröhlich durchs Telefon und... „Selbstverständlich müssen wir uns noch einmal zusammensetzen, nicht nur um die Renovierung zu besprechen, sondern das alles muss auch notariell und vertraglich festgehalten werden. Wenn das alles über die Bühne gegangen ist, werde ich meinen Handwerkern so schnell wie möglich den Auftrag erteilen, damit sie mit der Renovierung beginnen können!“

„Das ist schön! Ich habe mir ein paar Notizen gemacht, wie ich mir meinen zukünftigen Arbeitsplatz vorstellen könnte! Wann hätten Sie Zeit, Herr Reichel?“

„Wie wäre es Samstag am Kiosk? Ich bringe meinen Vorarbeiter, Herrn Meurer mit, der würde dann alles ausmessen, Sie beraten und dann könnte der Umbau schon in den nächsten Wochen starten; worauf sollen wir noch warten? Den Vertrag schicke ich Ihnen noch heute zu. Sie können ihn sich in aller Ruhe durchlesen!“, meint er und ich spüre große Erleichterung in seiner Stimme.

„Und ob mir das recht ist! Schließlich freue ich mich auf den Neuanfang als Geschäftsfrau! Bis Samstag dann!“, verabschiede ich mich überschwänglich. Ich kenne mich nicht wieder, so forsch wie ich gerade am Telefon war.

Am nächsten Tag war mein Vertrag schon im Briefkasten. Ich habe ihn gleich durchgelesen und in Ruhe geprüft. Auch Heiner hat noch zur Sicherheit ein Auge draufgeworfen und ihn für korrekt befunden. Nach dieser gründlichen Überprüfung, gebe ich meine endgültige Zustimmung. Die Handwerker können loslegen…

Mir geht es gerade so richtig gut. Sollte ich endlich meinen alten Lebensmut wieder zurückgewonnen haben?

 

Es geht los mit der Renovierung

 

„Wir sollten den Umbau schon in der nächsten Woche starten; worauf sollen wir noch warten? Dann könnten die Handwerker auch sofort mit der Renovierung beginnen!“, meint Herr Reichel.

Herr Meurer, der Vorarbeiter, hatte am Samstag sämtliche Farbpaletten, Laminatmuster, Kataloge über Kühltheken und Regale mitgebracht, so dass Larissa und ich aus dem Vollen schöpfen können.

„Suchen Sie sich das aus, was Ihnen gefällt, Frau Hansen, schauen Sie nicht nach den Preisen! Schließlich müssen Sie hier arbeiten. Sie und die Kundschaft sollen sich rundherum wohlfühlen! Das wäre auch im Sinne meiner Mutter!“, betont Herr Reichel immer wieder und das lassen wir uns nicht zwei Mal sagen.

Larissa schlägt vor, statt Kühltheke doch lieber zwei Weinkühlschränke mit Glastür für die Getränke einzukaufen, damit die Kunden gleich sehen, was sie kaufen. Die Idee gefällt sogar Herrn Reichel. Außerdem entscheiden wir uns für einen Laminatfußboden mit einem Weinkistenstempelmuster, der pflegeleicht und unverwüstlich ist. Statt einer Verkaufstheke, die viel Platz wegnimmt, meint Herr Meurer, dass er zufällig eine alte Hobelbank im Keller stehen hätte, die nur noch kurz abgeschliffen und aufgearbeitet werden müsste, was aber kein Problem für ihn sei. Die Wände sollen weiß gestrichen werden mit Patina Wirkung, so dass es wie Mauerwerk aussieht, ganz unspektakulär, wie Larissa mit leuchtenden Augen meint.

An der längeren, etwas kleineren Wand werden Metallregale für Lebensmittel wie Dosen, Gläser und andere Verkaufsartikel angebracht. Hygieneartikel, wie Toilettenpapier, Wattepads, kommen in die unteren Regalböden. Frischprodukte wie Käse, Wurstaufschnitt oder Butter, lagern im großen Kühlschrank, den Frau Reichel erst vor kurzem angeschafft hatte.

„Wie wollen Sie die Stelle vor dem Kiosk nutzen? Im Sommer bietet er Platz für zwei, drei Stehtische und Stühle“, meint Herr Reichel und blickt mich abwartend an.

„Ich würde mich für kleine, runde Tischchen mit Korbsesseln entscheiden!“, sage ich und Larissa nickt begeistert.

„Vielleicht noch zwei, drei Landhausschirme?“, meint sie augenzwinkernd zu Herrn Reichel.

„Warum nicht! Ich freue mich über die Begeisterung, mit der Sie ans Werk gehen und dass Sie ihren Kiosk so gemütlich und geschmackvoll wie möglich einrichten möchten! Er wird zu ganz neuem Leben erweckt durch Sie, Frau Hansen und das macht mich sehr glücklich!“, sagt er und man sieht ihm die Freude deutlich an.

„Das war´s fürs erste!“, meint Herr Meurer.

„Ich werde mich anschließend um die Hobelbank kümmern bzw. um den Verkaufstresen!“, schmunzelt er und verabschiedet sich schnell von uns.

„Wie lange wird denn die Renovierung dauern?“, ruft Larissa hinter ihm her.

„Tja, schwer zu sagen! Montag und Dienstag wird ausgemistet, der Container ist bestellt und ab Mittwoch könnten wir regulär mit dem Boden und den Wänden anfangen! Im Grunde genommen sind nur der Verkaufsraum und der hintere Lagerraum zu renovieren und das geht fix! Die Regale und das andere Zeugs bestelle ich heute noch bei einem Kunden von uns! Die beiden alten Fenster müssen ausgebaut werden, denn die neuen haben Sicherheitsglas! Ebenso die Eingangs- und Hoftür, beide sind aus Stahl gefertigt, auch zur Sicherheit! Da kommt so schnell keiner rein! Die Türen haben bis zu drei Wochen Lieferzeit! Dann einen Tag einbauen, aufstellen und ich schätze, dass man in vier, fünf Wochen die Eröffnung feiern kann! Das Einräumen der Waren überlassen wir den Damen, nicht wahr, Herr Reichel?“, meint er zufrieden und steigt in seinen Kombi, der vollgepackt mit Werkzeug ist.

Wir sprechen mit Herrn Reichel noch einmal alles durch. Im großen Kühlschrank hat er eine Flasche Prosecco gebunkert, drei Sektgläser zaubert er aus dem hinteren Raum und wir begießen zusammen mein neues Leben.

Ich habe den Vertrag dabei, den Herr Reichel und ich unterschreiben. Ich bin erleichtert und habe ein gutes Gefühl bei dem, was jetzt noch auf mich zukommt.

„Auf gute Zusammenarbeit! Wenn etwas nicht klappt, können Sie mich jederzeit um Hilfe bitten, egal, was es ist, sogar nachts!“, lacht er und stößt mit uns an.

Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich komme mir vor, als würde ich alles nur träumen…

„Na, na, wer wird denn weinen? Ich hoffe, es sind Freudentränen!“, blickt Herr Reichel mich von der Seite an und reicht mir ein Papiertaschentuch. Ich nicke und schnäuze viel zu laut ins Taschentuch.

„Das wird hammermäßig aussehen, wenn hier alles an seinem Platz steht, Mami!“, jubelt Larissa und tänzelt durch den Raum. Kurz darauf verabschieden wir uns mit den Worten:

„Wir telefonieren!“

Was für ein Tag! Ich denke an Robert. Er wäre so stolz auf mich gewesen für so viel Courage!

 

Als ich Zuhause ankomme, klebt ein Zettel an der Haustür.

„Morgen früh um neun Uhr bei mir zum Frühstück! Bin schon ganz neugierig auf das, was du mir nicht erzählt hast! Lieben Gruß, Karin!

Oh je, Karin habe ich total vergessen durch den Stress der vergangenen Tage und es meldet sich mein schlechtes Gewissen. Sie wird mir verzeihen. Ich bin jetzt einfach zu erschöpft, um sie noch anzurufen...

 

Die Renovierung im Kiosk schreitet zügig voran und verläuft bis jetzt reibungslos. Herr Meurer und sein Chef, Herr Reichel, haben alles im Griff. Gestern erfuhr ich, dass Herr Meurer schon seit seiner Ausbildung bei ihm arbeitet. Er ist sein bester Mann. Am Abend ruft Herr Reichel mich an, um mich über die Fortschritte im Kiosk zu informieren und mir noch diverse Einkaufstipps zu verraten, wo man am günstigsten Ware einkauft usw.

„Die Kaution und die ersten beiden Monatsmieten lassen wir unter den Tisch fallen, Frau Hansen!“, schlägt er mir plötzlich vor.

„Wie, unter den Tisch fallen?“, frage ich ungläubig und glaube, mich verhört zu haben.

„Sie bringen sehr viel Herzblut in Mutters Kiosk und außerdem frischen Wind mit der modernen Einrichtung! Ich habe meiner Mutter noch nichts erzählt, werde ihr erst die Fotos vom Kiosk zeigen. Sie wird sprachlos sein, dass weiß ich jetzt schon! Außerdem müssen Sie erst einmal Fuß fassen und sich mit den Gegebenheiten, die auf Sie zukommen, auseinandersetzen! Warten wir den ersten Monat ab, wie alles anläuft und dann schauen wir mal! Wissen Sie, zu einem Kioskbetrieb gehört eine gewisse Lebenseinstellung die da heißt: leben und leben lassen, und die haben Sie!“, meint er fröhlich. Ich spüre, dass er erleichtert ist, dass alles so formlos und positiv mit uns abläuft.

„Siehst du Mami, alles kommt zur richtigen Zeit im Leben aber erst dann, wenn es für uns stimmig ist!“, meint Larissa, blinzelt mir zu und zieht sich in ihr Zimmer zurück.

Wie Recht sie hat, meine große, kluge Tochter...

 

„Du bist mir vielleicht eine Freundin! Da erfahre ich von Larissa so ganz nebenbei am Gartentor, was du in letzter Zeit so getrieben hast!“ werde ich von Karin mit einem vorwurfsvollen Blick an der Tür empfangen. Danach folgt erst die herzliche Umarmung. Während wir frühstücken, erzähle ich Karin alles bis ins Detail, welche gravierenden Veränderungen sich seit Kurzem getan und sich noch tun werden.

„Ein bisschen mulmig ist mir schon zumute!“, gebe ich kleinlaut zu, weil ich so lange keine spontanen Entscheidungen mehr getroffen habe und auch nicht treffen musste.

„Natürlich wird es eine Umstellung für dich, Marga, aber sieh es als Herausforderung an! Der Kontakt mit Menschen wird dir guttun und dich aufblühen lassen! Schließlich bin ich ja auch noch da und stehe dir im Notfall treu zur Seite. Wenigstens die ersten vierzehn Tage, da nehme ich mir Urlaub und bin dabei!“, lacht sie und holt einen Piccolo aus dem Kühlschrank.

„Den haben wir uns aber jetzt sowas von verdient! Auf dein Wohl und auf unsere Freundschaft!“, ruft Karin und prostet mir zu.

„Auf unsere Freundschaft!“, rufe ich und nehme sie in den Arm.

Nun bin ich um einiges gelassener, als noch vor Stunden. Karin ist einfach die Beste

neben meiner Larissa...

 

Der Tag der Eröffnung rückt immer näher und ich werde komischerweise ruhiger, statt nervöser. Die Waren habe ich mit Hilfe von Karin und Heiner eingekauft und eingeräumt. Es ist alles so schön jetzt, dass ich zu Larissa sage:

„Kneif mich mal, damit ich spüre, dass das hier nicht nur ein Traum ist!“

Sie lacht und antwortet:
„Alles deins, Mami! Jetzt kannst du loslegen! Alles ist schick! In ein paar Stunden ist es soweit; die Eröffnung von deinem Kiosk!

Tage zuvor meinte Herr Reichel, dass wir uns noch den passenden Namen für den Kiosk aussuchen müssten, was gar nicht so einfach war. Vorschläge wie: Kiosk am Stadtpark, Stadtkiosk, Kiosk am Busbahnhof oder Kiosk Eck fielen uns ein, die für mich alle nicht infrage kamen. Auch Larissa war nicht richtig überzeugt. Am nächsten Morgen hatte ich`s: Kiosk Sonneneck! Ich rief Herrn Reichel an, dass er sich um das Schild kümmern möge.

 

Der erste Tag im Kiosk

 

Heute ist es soweit! Gegen halb fünf in der Frühe betreten Karin und ich den Kiosk. Um sechs Uhr wird geöffnet.

„Sicher werden so früh kaum Kunden den Weg hierher finden!“, sage ich zu Karin und räume die Packungen mit Zigaretten ins Regal.

„Wenn du dich da mal nicht täuscht, Marga! Auch um sechs sind Menschen auf dem Weg zur Arbeit, andere kommen aus der Nachtschicht und mit Sicherheit hier vorbei!“, belehrt mich Karin und sie soll recht behalten.

„Übrigens, die neue Kurzhaarfrisur steht dir sehr gut. Macht dich auf jeden Fall jünger, mindestens zehn Jahre!“, scherzt sie und ich erzähle ihr, dass ich vor zwei Tagen bei Hair Style, meinen neuen Nachbarn war, um

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.10.2021
ISBN: 978-3-7487-9708-1

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