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S ü c h t i g

Jeden Morgen die gleiche Hoffnung, dass ich nicht in diesem Leben aufwachen würde, was so wenig zu mir gehört, wie die Schuhe meines Nachbarn. Wo ich gerne aufwachen würde, weiß ich auch nicht so recht. Es könnte ruhig einmal woanders sein, und nicht in diesem Drecksloch.

 

Meine Haut ist käseweiß wie die einer Wasserleiche. Fett bin ich auch geworden durch meine kleinen chemischen Freunde, die ich mir täglich einwerfe. Vierzig Tropfen von dem, drei Pillen hiervon, fünf Kapseln davon und schon bin ich nicht mehr alleine und erlebe herrliche Sonnenuntergänge. Meine Hände zittern und ich bekomme nichts mehr auf die Reihe. Ich muss damit aufhören, gleich morgen. Versprochen!

 

Gestern habe ich den ganzen Tag verschlafen, oder war es vorgestern? Ich habe keine Ahnung und das ist das Schlimme an der Sache.

 

Detlef mein Sohn, verschanzt sich vierundzwanzig Stunden hinter seinem Computer. Von ihm kommen nur Wutausbrüche wie zum Beispiel: „Verdammter Wichser…“ Er ist vierundzwanzig Stunden online und auf allen Seiten, die das Netz bietet, zuhause. Ist es ein Wunder, das seine Phantasie öfter mit ihm durchgeht? Sein bisschen Bildung bezieht er aus der täglichen BILD Zeitung, genau wie Harry, sein Vater, der einmal die Liebe meines Lebens war. Beide lesen gierig die blutrünstigen Berichte wie z. B.: Familienvater tötet seine Familie mit Axt, weil Ehefrau fremdging oder: Amokläufer in München, vier Tote, Vergewaltigungen, Messerstechereien und Totschlag...

 

Das gab es zu meiner Zeit auch, aber nicht so brutal und so häufig wie heute. Jede Seite mit einer Bluttat bespickt. Gottchen, was rege ich mich auf? Mein Alltag ist längst zu einem Krimi geworden, seit Harry arbeitslos vor drei Jahren wurde. Davor war das Wort Tablette ein Fremdwort für mich.

 

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Getty Images
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2015
ISBN: 978-3-7368-8266-9

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