Die Nacht war kurz gewesen für Markus Bendorf. Er hatte Bereitschaft gehabt und war kaum zum Schlafen gekommen. Sein letzter Patient – zu dem er noch um halb sechs gerufen wurde - hatte einen Schlaganfall erlitten. Zufällig war der Ehefrau aufgefallen, dass ihr Mann zusammengekauert am Küchentisch saß. Als sie in den frühen Morgenstunden zur Toilette ging, war er nicht mehr ansprechbar gewesen. Geistesgegenwärtig wählte sie sofort die Telefonnummer des Bereitschaftsarztes. Sie schilderte ihm aufgeregt und stockend, wie sie ihren Mann in der Küche vorgefunden hatte. Markus Bendorf tippte bereits am Telefon auf einen Schlaganfall bzw. auf einen Herzinfarkt und bestellte umgehend den Rettungswagen. Er machte sich sofort auf den Weg. Weinend und mit zitternder Stimme empfing die Ehefrau den Arzt schon im Hauseingang und zerrte ihn förmlich hinauf in den ersten Stock zu ihrer Wohnung.
„Ich glaube, mein Mann ist tot, Herr Doktor!“, schluchzte sie und suchte Halt am Treppengeländer.
„Ich schaue mir ihren Mann erst mal an, Frau Brenner!“, beruhigte Bendorf die älteren Dame, die völlig aufgelöst und verzweifelt vor ihm stand.
Auf dem Weg nach oben stellte er der verstörten Frau gezielt einige Fragen, die für ihren Mann lebensrettend und von großer Wichtigkeit sein würden. Neben der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift: Hier wohnen Amalie und Johann Brenner. Er fand beim Eintreten in die Küche einen etwa 70-Jährigen Mann vor, der auf einem Stuhl mit seinem kompletten Oberkörper nach links gesackt war. Bendorf holte sein Blutdruckgerät aus dem Arztkoffer und maß Herrn Brenner zunächst den Blutdruck. Der Puls war kaum tastbar und sein Blutdruck viel zu niedrig. Der Arzt sah sofort, in welchem desolaten Zustand sich der ältere Herr befand, setzte eine Braunüle und hängte ihm eine Infusion an, während er beruhigend auf die Ehefrau einsprach. Nur wenige Minuten später kam der Rettungswagen und Herr Brenner wurde mit Blaulicht ins Kölner Klinikum gefahren.
Bendorf flehte zum Himmel, dass der Patient nicht schon die ganze Nacht so in der Küche gesessen und seine Frau ihn früh genug entdeckt hatte...
Die Stadt wirkte wie leergefegt. Einige Obdachlose lungerten verloren vor einem Kiosk herum, der mindestens schon seit einer Stunde geöffnet hatte. Die Arbeiter der Stadtreinigung kehrten mit ihren breiten Besen über die Bürgersteige und fischten mit einer verlängerten Metallzange die Papierschnipsel auf, die von den Nachtschwärmern gedankenlos zurückgelassen worden waren.
Die Ampel sprang auf Rot und Bendorf schaltete das Autoradio ein. Mit einer leichten Wehmut dachte er an Hanna, seiner Frau, die noch gut eine halbe Stunde in ihrem Bett verbringen durfte, bevor sie aufstand, um für die Kinder das Frühstück herzurichten. Er würde Hanna gleich aus der Praxis anrufen und ihr einen schönen und positiven Tag wünschen. Bei diesem Gedanken huschte ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. Die Ampel sprang auf Grün und er setzte seine Fahrt in aller Ruhe fort.
Zehn Minuten später erreichte Bendorf seine Praxis. Er fuhr auf den Hofparkplatz des Mehrfamilienhauses und betrat die Praxis durch den Hintereingang. Eine himmlische Ruhe empfing ihn und Bendorf atmete erst einmal durch. Im Büro sprang der Anrufbeantworter mehrmals an und er hörte, wie einige Patienten ihre Rezeptwünsche auf das Band sprachen. Er schüttelte den Kopf und sein Blick fiel auf die große Uhr an der Wand.
„Kaum zu fassen! Es ist gerade mal halb sieben am Morgen und der Patient weiß zu dieser Stunde genau, welche Tabletten in seinem Sortiment fehlen!“, dachte er laut und ging kopfschüttelnd in die Praxisküche, um die italienische Kaffeemaschine einzuschalten.
Mit einem doppelten Espresso und vier Stückchen Würfelzucker, machte er sich – die Tasse in der Hand, den Zucker langsam verrührend - auf den Weg in sein Sprechzimmer, um es sich auf der Behandlungsliege noch ein wenig bequem zu machen. So mochte er seinen Espresso; mit ganz viel Zucker! Dieser Tag konnte nur gut werden, dachte Markus und… Hoffentlich war für Herrn Brenner die Hilfe noch rechtzeitig gekommen. Er würde im Laufe des Vormittags im Klinikum anzurufen und sich nach seinem Zustand erkundigen.
Bendorf musste wohl ein paar Minuten eingenickt sein, als er von einem lauten Geräusch jäh in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde.
„Morgen Doktor! So früh schon auf den Beinen bzw. auf der Behandlungsliege?“, rief Martina, seine Angestellte und schaltetet genauso geräuschvoll den Laptop und den Drucker auf dem Schreibtisch an.
„Ach, Sie sind es, Martina! Ich hoffe, Sie hatten eine weniger aufregende Nacht als ich!“, antwortete er und stieg umständlich von der Liege.
„Wie aufregend Ihre Nacht war, kann ich nicht beurteilen! Über meine letzte Nacht kann ich mich allerdings nicht beklagen, Doktor!“, gab sie keck von sich und grinste ihn frech an.
„Na, na Martina! Das Sie aber auch immer alles so wörtlich nehmen müssen!“, meinte Bendorf und schüttelte lächelnd den Kopf.
„Ich habe nur auf Ihre Frage geantwortet!“, rechtfertigte sie sich und verschwand im EKG-Raum, um dort die Geräte hochzufahren.
„Immer das letzte Wort, nicht wahr?“, rief Bendorf ihr kopfschüttelnd nach, während er in der Küche verschwand und die leere Espressotasse in die Spüle stellte. Danach ging er wieder hinüber zu seinem Sprechzimmer um Hanna, seine Frau anzurufen.
„Guten Morgen mein Schatz“, begrüßte er sie fröhlich, während sich am Ende der Leitung eine total verschlafene Stimme meldete.
„Ach, du bist es!“, meinte sie heiser und gähnte herzzerreißend in den Hörer.
„Das ist ja eine tolle Begrüßung am frühen Morgen!“, empörte sich Markus und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Wie spät ist es denn?“, erkundigte sich Hanna verschlafen.
„Kurz nach sieben, meine Schöne!“, antwortete Markus.
„Mein Gott! Gut, dass du angerufen hast! Ich hätte mit Sicherheit verschlafen! Bei den Mädchen im Zimmer ist auch noch alles totenstill! Ich danke dir mein Schatz und bis heute Abend, ja? Tausend Küsse! Hab einen schönen Tag!“, und schon hatte sie aufgelegt.
Markus Bendorf musste über seine Frau schmunzeln; er konnte sie sich in diesem Augenblick genau vorstellen, wie sie aus dem Bett sprang und über den Flur zu den Zwillingen sauste, um sie zu wecken. So war sie immer schon gewesen. Das Gegenteil von ihm. Hanna hatte ihn mit ihrem Temperament in den all den Jahren mitgerissen und er bewunderte sie für ihre Energie, die nie aufzuhören schien.
Draußen vor dem Eingang standen schon einige Patienten, die zur Blutentnahme einbestellt worden waren. Bendorf hörte, wie Martina sie aufforderte, schon mal im Wartezimmer Platz zu nehmen.
Martina Gottenbusch war seine älteste Arzthelferin und von Beginn an dabei, als er vor zehn Jahren diese Praxis übernahm. Martina war fünfundvierzig Jahre alt, wirkte aber wesentlich jünger. Sie war eine sehr ausgeglichene Person. Ihr dunkles krauses Haar hielt sie mit einem Zopf in Zaum, weil es so widerspenstig war. Das einzige was Martina nervös machen konnte war, wenn ihr die Haare während der Arbeit ins Gesicht fielen. Martina war eine attraktive Erscheinung und hatte für die Patienten stets ein liebes Wort und jedes Verständnis der Welt. In all den Jahren hatte Bendorf sie noch nie mies gelaunt erlebt. Dieses war nur eine von vielen positiven Eigenschaften, die Martina besaß. Sie strahlte Ruhe und Zufriedenheit aus und selbst die größte Hektik konnte sie nicht aus der Fassung bringen. Sie besaß das Vertrauen aller Patienten. Sie war es, die die Praxis am Laufen hielt und in ein positives Licht hüllte.
Gegen halb acht erschien Petra Krause, die zweite Medizinische Assistentin, wie man Arzthelferinnen ja heute bezeichnet. Sie war das Gegenstück zu Martina; forsch, ziemlich rechthaberisch und beharrte gerne auf ihrer Meinung, ohne Rücksicht auf Verluste. Ihre Figur war eher vollschlank und die kurzen blonden Haare ließen sie ein wenig burschikos wirken. Die blauen Augen wirkten kühl und vom Naturell war sie der ernstere Typ von beiden. Sie liebte es, Martina und sogar die Patienten in einem ganz bestimmten Ton zu maßregeln. Da wagte sich kaum jemand, ihr zu widersprechen, so bestimmt äußerte sie ihre Sichtweise. Fachlich jedoch war sie topp und ebenso flink. Martina und Petra verstanden sich wohl deshalb so gut, weil Martina meist den untersten Weg ging und oft viel zu schnell nachgab.
Markus Bendorf wählte die Nummer der Klinik.
„Es geht ihm den Umständen entsprechend“, klärte ihn die Stationsschwester auf und… „Herr Brenner liegt noch auf der Intensivstation, nachdem der Chef sofort ein EEG (Elektrozephalogramm, bei dem die Gehirnströme gemessen werden) bei ihm angeordnet hatte. Rufen Sie doch gegen Mittag noch mal an, Doktor Bendorf! Dann kann Ihnen der Chef vielleicht schon mehr sagen als ich zu diesem Zeitpunkt! Die Untersuchungen müssen erst alle abgeschlossen sein, damit man weiß, wie es mit dem Patienten weitergehen soll!“, meinte sie freundlich und legte auf.
Um acht Uhr begann Bendorf mit seiner Sprechstunde.
Den ganzen Tag war ein leichter Nieselregen gefallen und die Luft war zum Schneiden dick. Die Sonne versteckte sich hinter einer dunklen Wolkendecke und kam nur selten zum Vorschein. Die meisten Patienten erschienen verstimmt in der Praxis und hatten Bendorf ihr Leid geklagt. Viele litten unter Migräne, andere wieder klagten über Übelkeit und Brechreiz. Bei zwei jungen Burschen, die noch gegen halb sechs unangemeldet die Praxis betraten, wurde Bendorf das Gefühl nicht los, dass sie nur wegen einer AU (Arbeitsunfähigkeit) kamen. In Wirklichkeit fehlte ihnen nicht das Geringste. Sie waren mit Sicherheit zu faul zum Arbeiten...
Markus Bendorf hatte pünktlich um 18 Uhr seine Praxis verlassen und war nun auf dem Weg nach Hause. Bevor er aber den Wagenschlüssel in das Zündschloss steckte, riskierte er einen Blick in den Rückspiegel und war entsetzt über das, was er sah. Seine Haut, blass und kränklich, die dunklen Ringe unter den Augen warfen Schatten und sein Blick wirkte müde und leer.
Die letzte Nacht und der ganze Tag in der Praxis waren hart gewesen und er hatte das Bedürfnis, nur noch schlafen zu wollen. Langsam schlängelte er sich in den Feierabendverkehr ein und seine Gedanken galten Hanna und den Kindern. Er verspürte in diesem Augenblick eine große Dankbarkeit und war froh, dass er eine so wunderbare Frau und drei wohlgeratene Kinder hatte. Dieses Glück sah er schon lange nicht mehr als selbstverständlich an, nachdem ihm fast jeden Tag Katastrophen von zerrissenen Verhältnissen, schwererziehbaren Kindern und von Familien, die nicht einmal am Tag in der Lage waren, ihren Kindern eine warme Mahlzeit aufzutischen, berichtet wurde. Nur durch sein privates Glück brachte er immer wieder die Kraft, die Geduld und das Verständnis für seine Patienten auf.
Er fuhr gerade an dem größten Hochhaus in Köln vorbei, als er sich erneut verinnerlichte, was er doch für ein Glückspilz war. Bendorf malte sich aus, welche Tragödien sich wohl gerade hinter den verschiedenen Fenstern abspielten und beeilte sich danach ganz besonders, schnell zu Hanna und den Kindern zu kommen.
Im Hausflur vernahm er schon die durchdringende Stimme seiner Tochter Theresa.
„Du gibst mir sofort die Barbie zurück, Lena! Sonst rufe ich Claire und dann kannst du aber was erleben! Hast du mich verstanden?“, kommandierte sie ihre Zwillingsschwester und stand mit drohendem Zeigefinger und einem wichtig aufgesetztem Gesicht vor Lena, die verschüchtert in der Ecke stand und krampfhaft die Puppe umklammerte.
Bendorf hing seine Lederjacke an die Garderobe und stellte seinen Arztkoffer ins Arbeitszimmer. Lena entdeckte ihren Vater und lief ihm mit offenen Armen entgegen. Während Markus Lea die Tränchen aus dem Gesicht wischte, schlich sich Theresa an ihn heran und sah ihn keck von unten herauf an.
„Na, wie geht es meinen beiden Prinzessinnen? Wie ich sehe, seid ihr zwei ja mal wieder ein Herz und eine Seele, nicht wahr?“, versuchte er den Streit zu ignorieren.
„Ja, sind wir!“, entgegnete Theresa schlagfertig ohne mit der Wimper zu zucken und kniff Lena noch schnell ins Bein.
„Wollen wir mal in die Küche gehen und schauen, was die Mama für uns heute Abend gezaubert hat? Ich habe nämlich einen Bärenhunger! Und wie ist das mit euch?“, fragte er neugierig und nahm die beiden Mädchen - eine auf den Arm und die andere Huckepack auf die Schultern, um wiehernd wie ein Pferd in die Küche zu galoppieren.
„Oh ja! Wir haben auch einen Bääärenhunger!“, riefen die beiden im Chor und hatten einen Riesenspaß. Der Streit war wie immer sofort vergessen.
„Meine Güte Markus, geht es nicht noch lauter!“, lachte Hanna und trocknete sich die Hände an der Küchenschürze ab. Er setzte die beiden Mädchen ab und küsste seine Frau lange und leidenschaftlich. Claire, das Au-pair Mädchen aus Paris war gerade dabei, den Salat zu waschen und schlich sich diskret aus der Küche.
„Kommt ihr beiden Mäuse! Wir decken schon mal den Tisch!“, rief sie und zog Lena und Theresa ins Esszimmer.
„War es so schlimm heute?“, wollte Hanna wissen, als sie sich aus der Umarmung ihres Mannes befreit hatte und ihn mit einem kritischen Blick ansah.
„Schlimmer“, war seine Antwort und … „Ich geh schnell duschen und bin in fünf Minuten am Tisch!“, und schon war er verschwunden. Hanna sah ihrem Mann hinterher und stellte besorgt fest, wie müde er aussah. Sie nahm sich für den Abend vor, mit ihm ein Glas Wein zu trinken und es sich auf dem Sofa gemütlich zu machen.
Nach dem Abendessen brachte Claire die Zwillinge ins Bett und räumte danach den Tisch ab und die Spülmaschine ein. Danach verzog sie sich auf ihr Zimmer, um Musik zu hören und sich mit ihrer Familie über Skype zu unterhalten, wie immer am Ende eines Tages.
Claire Clement war vor einem Monat aus Paris gekommen und wollte für ein Jahr bleiben, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Sie kam aus einer Diplomatenfamilie und hatte bis dahin die Deutsche Hochschule in Paris besucht. Claire war mit ihren zwanzig Jahren ein sehr nettes und sympathisches junges Mädchen. Ihre roten Locken umrahmten ihr hübsches Gesicht, das übersät war mit kleinen Sommersprossen. Ihre Haut war makellos und zart, ja schon beinahe transparent. Sie besaß so ein ansteckendes Lachen, dass Lena und Theresa sie von Anfang an in ihre kleinen Kinderherzen geschlossen hatten. Sie war stets höflich und ihr Benehmen erstklassig.
Für die Zwillinge war Claire - als sie vor vier Wochen zu Bendorfs kam - eine Exotin; beide Mädchen starrten sie am ersten Tag unentwegt an und brachten kein einziges Wort über ihre Lippen. Das aber hatte sich inzwischen gründlich geändert. Die Zwillinge waren fasziniert von ihrem französischen Akzent und natürlich von Claire. Sie ging so liebevoll mit den Mädchen um, dass sie ihr fast immer aufs Wort gehorchten. Fast immer. Oft benutzte Claire noch die französische Sprache. Insbesondere Theresa bedankte sich seitdem immer nur auf Französisch und kam sich dabei ganz schön wichtig vor.
Lena war da eher zurückhaltender. Sie himmelte ihre Schwester – die nur ganze vier Minuten älter war als sie – regelrecht an und belohnte sie mit einem bewundernden Blick. Ganz zu Anfang versuchte Theresa, Claire zu bezirzen und Lena ein wenig gegen sie auszuspielen. Da hatte Theresa sich getäuscht; blitzschnell hatte Claire Theresas Spiel durchschaut und auf ihre sympathische Weise dem kleinen Teufel einen Strich durch die Rechnung gemacht. Seitdem versuchte Theresa es nur ab und zu noch mal mit ihrer Masche, zog dabei aber meist den Kürzeren.
Markus Bendorf machte es sich auf dem großen Sofa im Wohnzimmer bequem und entkorkte eine Flasche Rotwein. Während er beide Gläser füllte, rief er nach seiner Frau, die in der Küche herumwerkelte.
„Was machst du da eigentlich so lange? Soll ich den wundervollen Rioja etwa alleine trinken?“, rief er und schnupperte an dem Korken.
„Das würdest du wohl gerne, was? Ich bin sofort bei dir, mein Schatz!“, rief Hanna ihm zu und schon kam sie – flink wie immer - mit einem Holztablett in der Hand, auf dem ein paar Käsesorten liebevoll zusammengestellt waren, ins Wohnzimmer und ließ sich zu ihrem Mann erleichtert aufs Sofa fallen.
„Wie schön du bist!“, sagte Markus und strich seiner Frau eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Du Schmeichler“, meinte sie verlegen und prostete ihm zu.
Hanna war eine sehr attraktive Frau mit ihren dreiundvierzig Jahren. Sie versprühte noch heute den Charme eines jungen Mädchens und hatte sich kaum verändert seit dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Das war genau vor siebzehn Jahren gewesen. Damals war Hanna sechsundzwanzig und Markus zwei Jahre älter. Er war gerade mit dem Studium fertig geworden. Es war bei beiden Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ihre Augen waren es, in die sich Markus bei der ersten Begegnung sofort verliebt hatte. Er hatte zuvor noch nie so blaue Augen gesehen und sie fasziniert angestarrt ohne einen Ton zu sagen, bis sie ihn ganz plötzlich ohne Umschweife ansprach:
„Hallo, ich heiße Johanna und wer bist du? Bevor du mir deinen Namen sagst, erzähle mir lieber, was es in meinen Augen zu sehen gibt?“, meinte sie keck und blickte ihn fragend an.
„Ich…, äh…, ich sehe das Meer in deinen Augen!“, stotterte er damals und lief dabei rot an, als sie seine Hand nahm und antwortete:
„So, das Meer siehst du! Wie schön sich das aus deinem Munde anhört!“, sagte sie leise und ließ ganz langsam seine Hand los. Sie hatten sich an diesem Abend lange unterhalten, über ihre Träume, über das Leben und ihre Wünsche gesprochen.
„An was oder wen denkst du gerade, Markus?“, fragte Hanna plötzlich in seine Gedanken hinein und holte ihn wieder in die Realität zurück.
„Das möchtest du wohl gerne wissen, was?“, scherzte er und nahm sein Weinglas in die Hand.
„Auf uns und auf unsere Familie! Das Wichtigste im Leben!“, und führte das Glas zum Munde. Er probierte den ersten Schluck und schloss dabei genüsslich die Augen.
„Der Wein ist toll!“, meinte Hanna und nahm gleich noch einen zweiten Schluck.
„Apropos Familie! Wo ist eigentlich unser Sohnemann?“
„Der ist beim Training! Wie immer dienstags!“, klärte sie ihren Mann auf und musste dabei lächeln.
„Wie lange dauert sein Training denn normalerweise? Immerhin haben wir schon nach einundzwanzig Uhr und gleich wird es dunkel!“, meinte Markus besorgt und drehte nervös an seinem Glas herum. Hanna grinste ihn verständnislos an:
„Markus! Alex ist vierzehn Jahre alt und sehr vernünftig, wie du weißt! Auf ihn können wir uns verlassen! Er wird gleich nach Hause kommen! Also, genieße lieber den Abend und schalte endlich ab!“, schimpfte sie und küsste ihn auf die Stirn.
„Darum geht es doch nicht, Hanna! Ich mach mir einfach Sorgen!“, rief Markus gereizt und wollte aufspringen, als er das Geräusch eines Schlüssels vernahm.
„Siehst du! Da hast du dich mal wieder umsonst aufgeregt, mein Schatz! Alles ist okay!“, flüsterte
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Tag der Veröffentlichung: 04.07.2014
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