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Bärbel Schoening

Schwesternliebe

Genia schlürfte genussvoll an ihrem Cocktail und beobachtete dabei die Hotelhalle. In der nächsten Stunde musste er eintreffen der „Super Schönheitschirurg“, der Cynthia, ihre Zwillingsschwester nach einem Gesichtslifting entstellt sich selbst überlassen hatte. Davor war sie eine bildhübsche junge Frau, beruflich erfolgreich als Maklerin, allein stehend und sie hätte mit ihrem Leben rundherum zufrieden sein können, wenn da nicht der „Schönheitswahn“ in ihr getobt hätte. Cynthia erkundigte sich im Internet nach dem besten Chirurgen und schien ihn in Dr. Markwart gefunden zu haben. Markwart war ein gut aussehender Mittvierziger, erfolgreich bei der Damenwelt und seine Klinik befand sich auf Mallorca. Stars und Sternchen wurden von ihm verschönert und ab und zu hatte er auch nichts gegen eine kleine Affäre, obwohl er auf seiner Homepage beteuerte, sehr glücklich mit seiner Frau seit nunmehr zwölf Jahren zu sein. Jedoch die Presse berichtete immer wieder über kleine „Skandälchen“ wie er sie selber grinsend nannte, wenn eine Kamera auf ihn gerichtet war. Trotz seines Erfolgsbarometers hatte er bei Cynthia Pfusch am Gesicht fabriziert und Genia war nach Venedig gereist, um sich an ihm zu rächen. Sie konnte es nicht mehr mit ansehen, wie Cynthia sich seit der OP verändert hatte. Sie zog sich zurück, lief nur noch mit Sonnenbrille durch die Gegend und arbeitete seitdem zu Hause. Alle Schadensansprüche die sie gestellt hatte, waren im Sande verlaufen.
Nun war es endlich an der Zeit, dass Genia sich der Sache annahm und diesem Schwein - wie sie ihn insgeheim nannte - eine Lektion zu erteilen, damit Cynthia endlich aus ihrer Depression und Litargie heraus kam und wieder Freude am Leben fand.
Genia arbeitete als Laborantin und hatte einen genauen Plan. Sie las auf Markwarts Homepage, dass er nach Venedig ins Hotel Gallini reisen und an einem Kongress ein Referat über den Schönheitswahn in Deutschland halten wollte. Sie hatte genau bis zum Wochenende Zeit, um ihren mörderischen Plan in die Tat umzusetzen. Ihre Informationen hatte sie von Tonio dem Barkeeper, den sie cocktailtrinkend und flirtend in der einen Woche die sie schon da war, ausgequetscht hatte. Genia hatte nie Probleme mit Männern gehabt und im Flirten war sie Weltmeisterin. So wollte sie Markwart auf sich aufmerksam machen und dafür war ihr jedes Mittel recht.
Das Hotel Gallini befand sich im Stadtzentrum, nur 200 m vom Markusplatz entfernt und war mit ***** Sternen ausgezeichnet. Seit einem Jahrhundert ist es in Familienbesitz und verfügte über ein luxuriöses Ambiente. Im Speisesaal machte Genia die Bekanntschaft von Lydia. Beide Frauen waren sich sofort sympathisch, obwohl Jahrzehnte dazwischen lagen. Sie kamen ins Gespräch und Lydia erzählte so ganz nebenbei, das sie in Hessen zu Hause sei, viel reisen würde, von ihren kleinen Straffungen an Hals und Gesicht in den letzten fünf Jahren und das Markwart Hand an sie gelegt hatte.
„Gucken Sie doch nicht so entgeistert, Kindchen!“, lachte sie und warf ihre grauen Haare nach hinten.
„Ich wette Sie denken jetzt: Diese alte verschrumpelte Schachtel, was versteht die schon von Lifting, stimmt´s? In Ihrem Alter habe ich auch
nie einen Gedanken daran verschwendet und die Weiber verurteilt, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen wollten“, meinte sie keck.
„Nein, natürlich denke ich das nicht“, protestierte Genia und wurde rot dabei.
„Es ist keine Frage des Alters, Kindchen. Das Reisen in ferne Länder schärft die Sinne und man bekommt eine andere Sichtweise. Wenn man über die finanziellen Mittel verfügt – und das tue ich -- warum nicht? Es kommt ganz allein auf die Einstellung an, die man zu seinem Körper hat und darauf, ob man noch ein großes Feuerwerk vom Leben erwartet. Aber Sie Kindchen, eine so schöne junge Frau und dann alleine unterwegs, da stimmt doch etwas nicht. Habe ich Recht?“ Dabei sah sie Genia forschend an und fuhr fort:
„Ich denke, Sie sind in einer geheimen Mission hier. Ich habe Sie schon ein paar Tage beobachtet, wie sie den halben Tag an der Cocktailbar mit Tonio verbringen. Nichts für ungut, aber in meinem Alter hat man genügend Zeit und Muße, sich einen Reim auf die Hotelgäste zu machen und sich die besten Geschichten auszudenken. Übrigens, ich heiße Lydia“, plapperte sie munter drauf los und reichte Genia spontan die Hand.
„Genia, angenehm“, antwortete diese erfreut.
Dann erzählte Lydia, dass sie mit Markwart auch nicht zufrieden gewesen sei.
„Sehen Sie Genia, hier am Ohr“, dabei schob sie ihr Haar hinters Ohr und zeigte auf eine breite unebene Narbe, während sie näher an Genia heranrückte.
„Darum trage ich die Haare lang und kann sie seitdem nicht mehr zusammenbinden. Sieht scheußlich aus, Kindchen, was?“, meinte sie und bedeckte die Narbe schnell wieder mit ihrem Haar. Genia nickte und nahm einen Schluck aus ihrem Cocktailglas.
Lydia winkte Tonio zu sich heran und deutete auf Genias Glas:
„Für mich das Gleiche, Tonio. Scheint ja zu schmecken! Verraten Sie mir mal den Inhalt, Tonio?“, blinzelte sie ihm zu.
„Isse nichte meine Resept, Signora. Isse von Genia frreie errfunden unde leeckärr“, antwortete er grinsend in einem gebrochenen Deutsch.
„Naja, dann mal her damit, Tonio“, forderte sie ihn auf und steckte sich lustvoll eine Zigarette zwischen ihr weißes Gebiss.
Sie erzählten sich noch eine Weile – jede aus ihrem Leben – und hatten ihren Spaß dabei.
Das alles war vor ein paar Tagen gewesen und nun saß Genia mit ihrem eigens kreierten Cocktail an der Bar und wartete auf Markwart. Sie würde ihn unter tausenden erkennen. Zig Mal war er ihr als Alptraum begegnet. Zu diesem Zweck trug Genia ihr rotes Seidenkleid, das sich hauteng um ihren schlanken Körper legte. Ihre schwarzen Haare hatte sie hochgesteckt und mit einer mit Brillianten besetzten Haarspange gebändigt. Sie sah umwerfend mit ihrer dunkel gebräunten Haut aus, wie sie da so an der Bar saß. Bewundernde Blicke trafen Genia; besonders von Männern jeden Alters.
Einige Hotelgäste checkten aus, andere kamen an. Es war Mittag und Tonio hatte Genia verraten, dass die Ärzte um diese Zeit eintreffen würden. Ihren wachen Augen entging nichts und da sah sie ihn. Er unterhielt sich angeregt mit einer Frau mittleren Alters, die sehr apart war. Markwart gestikulierte mit einer freien Hand während er an der anderen einen Samsonite Trolly hinter sich herzog, und dabei seinen ganzen Charme an die Kollegin versprühte. Er war ganz Gentleman und durchquerte langsam – immer noch redend – die Hotelhalle.
„Mit Sicherheit bietet er ihr sein Zimmer an“, dachte Genia, warf sich in die richtige Position und setzte ihr verführerischtes Lächeln auf.
Da! Markwart blieb stehen und starrte wie hypnotisiert in Richtung Bar.
Genia wusste sofort, dass sie ihn in ihren Bann gezogen hatte. Ihre Blicke trafen sich. Seine Begleitung redete weiter auf ihn ein und zog ihn am Ärmel in Richtung Rezeption. Nichts. Seine Augen fixierten Genia und er bewegte sich in Zeitlupe auf sie zu. Innerlich frohlockte Genia über ihre Genialität. Das Spiel konnte beginnen.

In den kommenden Tagen flirtete Markwart was das Zeug hielt und hatte nur noch Augen für Genia. Jede Minute machte er ihr die schönsten Komplimente und versprühte seinen ganzen Charme. Genia genoss dieses alles und wenn sie ehrlich war, mochte sie ihn auch ein bisschen. Aber diesen Gedanken strich sie sofort wieder aus ihrem Kopf und besann sich ganz schnell darauf, weswegen sie nach Venedig gekommen war. Den Kongress besuchte Markwart nur sporadisch, weil er seine begrenzte Zeit so oft wie möglich mit Genia verbringen wollte. Beide genossen das Zusammensein. Sie verschwieg ihm aber, dass sie am Sonntag schon wieder zurück fliegen musste. Sie hatte vor, die Maschine nach Frankfurt zu nehmen und dann umzusteigen in die Swiss Airlines in Richtung Genf. Zwei Wochen Urlaub in der Schweiz mussten danach einfach sein. Markwart turtelte so verliebt mit Genia, dass er noch eine Woche „dranhängen“ wollte um ihr die schönsten Plätze von Venedig zu zeigen. Genia lächelte ihn dann verführerisch an und meinte:
„Wir haben doch alle Zeit der Welt, mein Liebster. Ich genieße jede freie Sekunde mit dir“, dann küsste sie ihn zärtlich und flüsterte ihm etwas Unanständiges ins Ohr, um kurz darauf mit ihm im Zimmer zu verschwinden.

Sonntagvormittag:

Um achtzehn Uhr musste Genia auf dem Marco Polo Flughafen sein. Am Vormittag hielt Markwart noch sein Referat und nach einem gemeinsamen Mittagessen mit den Ärzten verabredete er sich mit Genia an der Bar.

Inzwischen hatte sie ihr Gepäck schon zum Flughafen bringen lassen und alles für ihre Abreise vorbereitet. Dann stieg Markwart aus dem Aufzug. Er war mit einer Jeans und einem weißen Leinenhemd bekleidet, als er auf Genia zusteuerte. Er sah umwerfend aus. Das Leben war einfach ungerecht. Es half nichts, sie musste ihren Plan noch heute verwirklichen.
Markwart begrüßte sie strahlend und nahm sie zärtlich in den Arm. Tonio mixte Genias Lieblingscocktail, den Markwart seit seinem Aufenthalt täglich genoss.
„Ich habe eine Überraschung für dich, mein Engel. Heute Abend bei einem romantischen Abendessen werde ich sie dir verraten. So lange musst du dich leider noch gedulden“, freute er sich und sah aus, wie ein kleiner Junge. Etwas Wehmut machte sich in ihr breit und fast wäre sie wieder von ihrem Vorhaben abgekommen. Gefasst sagte sie:
„Da bin ich aber mal gespannt! Gibt es überhaupt etwas, womit du mich noch überraschen kannst?“ Er nickte glücklich und küsste sie.
Kurz vor fünf. Höchste Zeit, den zweiten Cocktail bei Tonio zu bestellen, dachte sie. Markwarts Handy klingelte und er verließ für ein paar Minuten die Bar. Tonio füllte währenddessen den Kübel mit frischem Eis und Genia saß alleine an der Bar. Zeit genug, um in Markwarts Cocktail eine gefüllte Pipette Natriumhydroxid zu träufeln. Nach zirka einer Viertelstunde kam Markwart mit einem ärgerlichen Gesicht zurück. Als er Genia sah, lächelte er und prostete ihr zu.
„Gibt es Ärger?“, fragte sie vorsichtig.
„Nee, nichts Wichtiges. Lass uns lieber auf die Überraschung des heutigen Abends anstoßen, mein Engel“, meinte er und nahm einen winzigen Schluck. Er räusperte sich leicht und fasste sich an den Hals. Genia beobachtete ihn von der Seite und Markwart meinte, er habe ein leichtes Halskratzen. Es komme sicher von dem Telefonat, das er gerade mit seiner Frau geführt habe. Lieber gehe er nun aufs Zimmer um sich noch etwas auszuruhen vor dem Abendessen.
„Den herrlichen Cocktail nehme ich natürlich mit. Bis in einer Stunde, mein Engel und nicht böse sein“, meinte er heiser und schickte ihr von der Aufzugtür noch einen Luftkuss. Dann war er verschwunden.
Genia holte ihr Gepäck und verließ das Hotel fast unbemerkt. Tonio war nirgends zu sehen und das war gut. Ein Taxi brachte sie zum Flughafen. Kurz nach 22 Uhr landete sie in Frankfurt und es dauerte noch ein paar Stunden, bis sie in die Swiss Airlines umsteigen konnte.
In den frühen Morgenstunden betrat sie Schweizer Terrain und atmete erleichtert die frische Bergluft ein. Nach dem Auschecken steuerte sie einen Kiosk mit internationalen Zeitungen an und las: Bekannter Schönheitschirurg wurde nach Ärztekongress in Venedig in seinem Hotelzimmer tot aufgefunden! Ein leeres Cocktailglas fand man unter dem Bett. Commissario Vabene, der die Ermittlungen leitet vermutet, dass dem Cocktail eine ätzende Substanz untergemischt wurde, die Verätzungen der Atemwege, Schleimhäute, Luft- und Speiseröhre hervorrufen kann. Um welche Substanz es sich hierbei handelt, wird noch genauestens untersucht.

Genia sah sich das Foto von Markwart an und empfand Genugtuung. Sie bezahlte die Zeitung und wollte sie in ihre Handtasche stecken, als sie jemand auf die Schulter tippte.
„Na Kindchen, zufrieden?“
Genia drehte sich um und sah Lydia leibhaftig vor sich. Sie hatte nur eine winzige Reisetasche dabei und sah Genia eindringlich mit ihren blauen Augen an.
„Was meinen Sie, Lydia „mit zufrieden“ und was machen Sie denn hier? Verfolgen sie mich seit Venedig?“, meinte sie etwas gereizt.
„Ich werde ein paar Monate in der Schweiz bei meinem neuen Lover verbringen. Die Bergluft wird mir gut tun, Schätzchen“, grinste sie.
Ihr hintergründiges Lächeln zeigte mir, dass sie Bescheid wusste.
„Bevor wir uns verabschieden, müssen Sie mir aber noch Ihr Cocktailrezept verraten. Man kann ja nie wissen, ob es mir auch mal nützlich sein wird, Kindchen!“
Und dann zwinkerten sie sich gegenseitig zu, wie zwei alte Verschwörerinnen.


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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2008

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