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Bärbel Schoening

Enttäuschung

Es ist still, zu still für mich. Die Dunkelheit legt sich über meinen Körper und hüllt mich ein. Ich kann nicht schlafen. Habe nur einen Gedanken; Jochen.
Der heutige Tag begann normal wie immer. Ich hatte mir den Nachmittag frei genommen, um mich mit Jochen zu treffen. Er war mein Lebensgefährte seit drei Jahren. Wir wohnten nicht zusammen da Jochen fand, es sei besser so:

„Jeder für sich und doch zusammen“, meinte er grinsend und küsste mich auf den Hals, damals, als er das sagte. Es war Liebe auf den ersten Blick von meiner Seite. Bei Jochen funkte es erst beim zweiten Date. Von da an waren wir unzertrennlich. Er war ein Frauentyp, einsfünfundneunzig groß, markantes Gesicht, dunkelhaarig und dunkelgrüne  Augen, die schelmisch in die Welt blickten. Ich hatte mich zuerst in seine Augen verliebt und dann in den Rest. Trotz seines guten Aussehen war erweder arrogant noch hochnäsig und dafür liebte ich ihn. An seiner Seite fühlte ich mich wohl und sicher. Wenn wir Hand in Hand durch die Stadt gingen, sah man uns neidisch hinterher. Dann drückte ich Jochens Hand noch fester und sah ihn mit strahlenden Augen an. Es war so etwas wie „Besitzerstolz“, den ich in solchen Momenten empfand.
In dieser Zeit in der wir zusammen waren, war Reisen zu unserem Hobby geworden. Wir hatten schon einiges von der Welt gesehen. Ebenso begeisterten wir uns für das Erlernen von Sprachen. Wir besuchten kurz nachdem wir uns kennen gelernt hatten, einen Anfängerkurs für Spanisch. Das machte uns soviel Spaß, dass wir spontan den Fortgeschrittenen Kurs buchten und inzwischen beherrschen wir Spanisch in Wort und Schrift.

An manchen Abenden alberten wir herum und beschlossen, auf eine Finca zu ziehen, um dort unseren Lebensabend später einmal gemeinsam zu verbringen. Zwischen uns herrschte nicht immer heikler Sonnenschein, sonder stritten uns manchmal ganz schön hefig. Dann sprachen wir uns aus und die Sache war vom Tisch. Weder Jochen noch ich waren nachtragend. Dafür war die Versöhnung dann im Anschluss immer umso schöner. Im Freundeskreis galten wir als das „ideale Paar“ und meine Freundinnen beneideten mich um Jochen. Er war ein faszinierender Mann. Er arbeitete in der Werbebranche und kam natürlich mit fast nur schönen Menschen zusammen. Anfangs machte sich bei mir eine leichte Eifersucht breit, aber im Nachhinein wusste ich, dass ich Jochen vertrauen konnte, obwohl es ja im Leben für nichts eine Garantie gab, wie meine Mutter immer sagt. Inzwischen kannte ich seine Einstellung zur Treue und das machte mich auch so sicher.

Wieder ging mir der gestrige Nachmittag durch den Kopf. Jochen war für eine Woche beruflich unterwegs und hatte mich morgens im Büro angerufen.

„Simone? Hallo! Können wir uns heute um sechzehn Uhr im kleinen Café am Marktplatz sehen? Es ist sehr wichtig denn ich habe etwas mit dir zu besprechen. Es wäre schön, wenn du es einrichten könntest! Dann bis heute Nachmittag! Ciao!“, und dann war das Gespräch beendet.

Ich konnte ihm noch nicht einmal antworten, so schnell legte er auf. Sicher hatte er keine Zeit gehabt, schoss es mir durch den Kopf. Er hatte so förmlich geklungen. Ich rief Iris meine Freundin an und erzählte ihr davon.

„Er will dir bestimmt einen Heiratsantrag machen, meine Liebe!“, meinte sie lachend. „Schließlich kennt ihr euch doch schon eine Ewigkeit! Eine ganze Woche war er jetzt von dir getrennt und hat erst gemerkt, wie sehr du ihm fehlst! Das wette ich mit dir! Nimm dir frei heute Nachmittag und überrasche Jochen mit einer neuen Frisur! Viel Spaß euch beiden! Ich denke an dich!“, sagte sie und legte dann kichernd auf.

Wenig später war ich schon auf dem Weg zu meinem Lieblingsfriseur. Danach kaufte ich mir ein hübsches Kleid, was meiner schlanken Figur besonders schmeichelte. Ich wollte heute ausgesprochen hübsch sein, wenn ich Jochen gleich traf. Was wollte er mit mir nur besprechen? Tausend Gedanken gingen mir bis zum Nachmittag durch den Kopf. Wahrscheinlich hatte Iris Recht, es konnte sich nur um einen Heiratsantrag handeln.
Nachdem ich mir die Nägel lackiert, ein dezentes Make-up aufgelegt und nun so vor dem Spiegel stand, da fand ich mich ausserordentlich attraktiv.

Als ich kurz vor sechzehn Uhr das Café betrat, war Jochen schon da. Er saß an einem kleinen Tisch in der hinteren Ecke. Ich winkte ihm kurz zu und ging selbstbewusst und lächelnd auf ihn zu. Jochen hob kurz seine Hand und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Als ich mich zu ihm an den Tisch setzte, stand er auf und küsste mich sanft auf beide Wangen. Da hätte es mir schon auffallen müssen, dass die Begrüßung anders war, als sonst. Etwas irritiert strahlte ich Jochen an, rief nach dem Kellner und bestellte mir einen Cappuccino.

„Na, wie gefällt dir meine neue Frisur? Was sagst du zu meinem neuen Kleid? Macht es mich zu dick oder geht es noch? Was meinst du mein Schatz? Erzähl, wie war denn deine Geschäftsreise? Hast du wenigstens etwas von Paris gesehen oder nur gearbeitet? Erzähl` schon Jochen und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“

Jochen blickte mich kurz an und beantwortete die ersten beiden Fragen:

„Die Frisur steht dir prima und das Kleid ist auch sehr hübsch! Simone, ich bin aus einem ganz anderen Grund hier. Ich… "

„Ja, dann drucks doch nicht so herum! Was willst du mir denn Wichtiges sagen, dass wir uns mitten in der Woche in einem Café verabreden müssen? Du willst mir doch wohl keinen Antrag machen, was?“, fragte ich lachend und suchte nach seiner Hand. Jochen zog sie etwas zu schnell zurück, so dass ich zum ersten Male stutzig wurde. Der Kellner kam und brachte meinen Cappuccino.

„Simone, ich bin verliebt!“, kam es zögernd aus seinem Munde, während er auf den Tisch starrte.

„Ich weiß, in mich! Ich liebe dich auch und ich habe mich in den vergangenenTagen sehr alleine ohne dich gefühlt, Jochen!“ Jochen antwortete nicht sofort und sah sich unruhig im Raum um. Nun erst bemerkte ich, dass etwas anders war als sonst und stellte ängstlich die Frage:

„Was ist denn los Jochen? So rede doch mit mir!“

„Simone, ich liebe dich nicht mehr! Ich habe mich in eine andere Frau verliebt und war mit ihr in Paris. Es war keine Geschäftsreise, sondern ein privater Kurztrip“, stotterte er und spielte umständlich mit seinen Fingern. „Es geht schon ein paar Wochen so! Ich liebe diese Frau und werde mit ihr zusammen ziehen! Es tut mir wirklich Leid, Simon!“, fügte er noch leise hinzu, stand schnell auf und legte einen Geldschein für den Kellner auf den Tisch. Dann verschwand er durch die Tür, durch die ich nicht einmal vor zehn Minuten gekommen war.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich hier schon saß, nachdem Jochen fluchtartig das Café verlassen hatte. Mein Hals war trocken und die Tränen liefen unaufhaltsam. Den Schaum meines Cappuccinos hatte ich mit dem Löffel durch Dauerrühren zerstört, ohne überhaupt einen Schluck getrunken zu haben. Ich begriff die Welt nicht mehr. Eine große Verletztheit machte sich in meinem Kopf breit als mich plötzlich jemand energisch am Arm fasste. Vor mir stand meineFreundin Iris.

„Simone! Simone, was ist passiert? Was ist denn geschehen? Wo ist Jochen? Hat er dich versetzt oder warum weinst du?“, rüttelte Iris mich und sah dabei verständnislos aus. Als ich nur noch heftiger zu weinen begann, nahm Iris meinen Arm und brachte mich nach Hause. Dort füllte sie erst einmal zwei Gläser mit Rotwein und prostete mir zu, als ich sie verstört ansah und weiter weinte. Erst nach ein paar Stunden erzählte ich zögernd und verstört unter Tränen, was sich im Café mit Jochen zugetragen hatte.

„Er ist ein Schwein! Wie alle Männer, Simone und er ist keine Ausnahme wie du feststellen musst! Er gibt dir noch nicht einmal Gelegenheit zu einer gemeinsamen Aussprache! So feige ist er in Wirklichkeit! Sei froh, dass du ihn los bist! Nun gehst du zu Bett und ich bleibe bei dir, bist du eingeschlafen bist, ja? Ich melde dich für morgen krank! Es ist besser so, glaube mir! Streiche ihn aus deinem Leben; besser auch aus deinem Kopf!“

Ich war viel zu durcheinander, um etwas antworten zu können und machte alles so, wie Iris gerade entschieden hatte. Ich nahm  die Rotweinflasche mit ans Bett und war bald darauf eingeschlafen. Ein paar Stunden später wachte ich auf und war wie benebelt. Zunächst versuchte ich, mir wieder alles ins Gedächtnis zurückzurufen und das tat nur noch weh.

Das alles war erst vor wenigen Stunden passiert, und hatte mich total aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich wartotal von der Rolle und fing an, an mir selbst zu zweifeln. Was hatte ich in unserer Beziehung nur falsch gemacht, dass Jochen sich anderweitig orientiert hatte und zwar so schnell? In meinem Kopf stand das Wort „WARUM“ in Großbuchstaben.

Ich stehe am Fenster mit mit dem Glas Wein in der Hand und sehe hinaus in die Dunkelheit; ich bin der einsamste Mensch auf der Welt. Die Nacht ist mir unheimlich und ich kann mich nur in Zeitlupe von der Stelle bewegen. Ich  suche nach Antworten und finde keine. Wenn wir uns  nur gestritten hätten, okay, das wäre ein Grund mit gewesen. Aber dem war nicht so! Ich kann einfach nicht begreifen, dass er sich so schnell verlieben kann, obwohl wir noch zusammen waren. Das konnte alles nicht wahr sein! Es ist seine Neue, rede ich mir ein! Jochen ist überhaupt nicht so! Sie hat ihn beeinflusst, nur so kann es gewesen sein! Und dann steigt der Gedanke wieder auf, dass zu allem immer zwei Menschen gehören, um irgendeine Sache durchzuziehen! Ich zucke zusammen und weine leise vor mich hin.

Langsam öffne ich die Balkontür und trete auf auf den Balkon. Ich sehe hinauf zum Sternenhimmel und bemerke eine Sternschnuppe. Soll sie doch anderen Glück bringen, denke ich traurig, denn mein Glück ist vor ein paar Stunden zerbrochen und zerstört worden von dem Mann, mit dem ich noch so viele Pläne hatte! Ich schließe die Balkontür und gehe zurück ins Zimmer. Plötzlich denke ich: war diese Sternschnuppe nicht vielleicht doch ein Zeichen?

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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2008

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