Bärbel Schoening
Der kleine Kobold Quarli
Quarli und die Flussratte
Vor ewig langer Zeit lebte eine Koboldfamilie mit ihren drei Koboldkindern auf dem Dachboden eines alten Bauernhauses. Kuddel war der Name des Vaters und die Mutter hörte auf den Namen Lilia. Quozo und Quiddel die Zwillinge, besuchten mit ihren acht Jahren die Koboldgrundschule. Quarli der Dreijährige und jüngste Spross der Familie, hatte den ganzen Tag nur Unsinn in seinem Koboldkopf. Seine Brüder waren das genaue Gegenteil von ihm. Quarli lärmte lieber tagsüber in der Gegend herum, als gehorsam zu sein. Kuddel tröstete seine Frau dann mit den Worten: „Sei froh, das alle drei gesund sind. Quarli wird auch noch vernünftig werden. Spätestens, wenn er die Koboldgrundschule besucht, dann hat er keine Zeit mehr für Unsinn“. „Dein Wort in Kobolds Ohr mein lieber Kuddel, hoffentlich hast du Recht damit“, meinte sie dann versöhnlich. Quarli war höchstens so groß wie eine Kaffeetasse und hatte sein Bettchen zwischen zwei Dachpfannen eingeklemmt auf einem Holzbalken stehen. Besonders nachts trieb er gerne sein Unwesen und geisterte - während der Rest der Familie schlief - durch das Haus. Niemand außer Quarli kannte die verborgenen Winkel, die dieses Haus beherbergte. Er hatte die geheimsten Ecken schon ausspioniert. Sein Lieblingsplatz war der Stall, in dem es immer noch so schön nach Mist roch. Hier tobte und lärmte er sich in der Nacht aus, wenn die anderen schliefen. Was niemand wusste war, dass er jede Nacht die Ratte Flori im Kuhstall traf. Sie war die Königin ihres Rattenstammes, der inzwischen bis auf einige wenige, ausgestorben war. Flori erzählte Quarli dann so schaurig schöne Geschichten aus dem Flussbett, das Quarli dann ganz rote Ohren vom Zuhören bekam. Oft beneidete er Flori darum, dass sie soviel erlebt hatte aber Flori meinte dann nur: „Du bist noch jung an Jahren. Wenn du ein halbes Leben erst einmal auf deinem Koboldbuckel hast, dann kannst du auch so schöne Geschichten erzählen. Warte es nur ab, die Zeit kommt schneller als du denkst, Quarli“. Aber wenn Quarli eines nicht konnte, dann war es warten. Flori war eine wunderhübsche Ratte auch wenn sie schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Ihr genaues Alter aber hatte sie Quarli bis heute noch nicht verraten und er fragte sie auch nicht danach.
Eines Nachts als alles wieder im Tiefschlaf lag, kletterte Quarli aus seinem Bettchen zwischen den beiden Dachpfannen und schlich durch die Regenrinne nach draußen. Am Ende angekommen, kletterte er heraus und rutschte an der Außenseite nach unten. Beinahe wäre er auf einer kleinen Feldmaus gelandet, konnte sich aber noch im letzten Moment festklammern, bevor er absprang. „Flori“, rief er… „Wo bist du? Ich habe eine Idee, was wir heute Nacht spielen können? Komm heraus aus deinem Versteck. Ich weiß, dass du da bist“, rief er fröhlich und tänzelte summend bis zum Misthaufen. „Mach nicht so einen Lärm, Quarli. Du weckst ja noch das ganze Haus auf. Was gibt es denn?“, blinzelte Flori aus dem Misthaufen und rieb sich ihre müden Augen. „Heute ist Vollmond und wir könnten ihn einmal besuchen, den Mond. Was hältst du davon, Flori?“, rief er begeistert und rieb sich seine Koboldhändchen. „Willst du es wirklich wissen? Gar nichts halte ich davon, Quarli. Ich habe gerade mein Nachtschläfchen gehalten, bevor du in den Stall gestürmt bist und eigentlich bin ich müde, wenn du es genau wissen willst“, sagte sie bestimmt und etwas trotzig. „Müde, müde, wenn ich das schon höre. Was ist das für ein Gefühl, wenn man müde ist“, fragte er und sah Flori fragend an. „Genau kann ich dir das auch nicht erklären. Es ist nur so, dass einem plötzlich die Augen zufallen und man anschließend in einen tiefen Schlaf fällt. Alles was dann um einen herum ist, nimmt man nicht wahr und will es auch nicht mehr“, erklärte sie ihm, rieb sich die Augen und gähnte herzzerreißend.
„Papperlapapp. Ich habe einen Plan, Flori. Du nimmst mich auf deinen Rücken und wir wandern durch die Regenrinne zum Dachboden und klettern durch die Dachluke hinaus zum Schornstein. Dann schnappen wir uns den Mond und stecken ihn in einen Sack“, rief er begeistert und war enttäuscht, das Flori nicht seine Begeisterung teilte. „Und dann? Was dann Quarli? Der Sack leuchtet dann so stark, dass der ganze Hof hell ist, deine Familie wird wach werden und denken, der Tag sei schon angebrochen. Keine gute Idee, Quarli, wenn du mich fragst“, meinte sie und kauerte sich zufrieden wieder an den Misthaufen. „Tja, dann eben nicht. Du bist eine Spielverderberin Flori, das du es nur weißt“, rief er ungehalten und weg war er.
Quarli schlich enttäuscht durch die Regenrinne nach oben in sein Bettchen zwischen den beiden Dachpfannen und kam nicht zur Ruhe. Wenn er es sich recht überlegte, dann hatte Flori schon Recht damit, was sie sagte. Was wäre, wenn seine Eltern und Brüder von der Helligkeit des Mondes aufwachen würden? Dann wäre der Teufel los und er bekam Dachbodenarrest für einen Tag du eine Nacht. Undenkbar, er würde eingehen vor Langeweile und Langeweile war das allerschlimmste für Quarli. Über den Gedanken einer neuen Schandtat schlief er im Morgengrauen ein und träumte vom Mond.
An diesem Morgen war Quarli noch müde, als er sein Beerenmüsli vorgesetzt bekam. Dauernd rieb er sich die kleinen Äuglein und der Appetit wollte sich nicht so richtig einstellen. Erst als seine Eltern ihm erklärten, dass er heute Abend ein paar Stunden alleine bleiben, und sie mit den Zwillingen zum Elternabend müssten, wurde er wach. „Es dauert nicht lange, Quarli. Du kannst doch alleine bleiben, nicht wahr?“, meinte Kuddel sein Vater. Da Quarli nicht zugeben wollte, dass er doch ein bisschen Angst habe so ganz alleine im Dachboden, nickte er heftig: „Na klar. Was soll denn schon passieren? Schließlich bin ich schon groß und sowieso müde heute Abend“, dabei gähnte er scheinheilig und stopfte das Müsli hastig in sich hinein. Er wollte es der Familie schon zeigen, wie erwachsen er in Wirklichkeit war und dazu hatte er nun zum ersten Male die Gelegenheit. Bei Einbruch der Dämmerung machten sie sich auf den Weg. Quarli war mit allen Leckereien aus der Vorratskammer versorgt worden, und das genoss er sichtlich. Nun war er mit seinem Grießbrei alleine. Etwas unheimlich kam es ihm schon vor und deshalb fing er an zu singen. Plötzlich meinte er, ein Geräusch gehört zu haben und fragte laut: „Hallo?“ Als aber keine Antwort kam redete er sich ein, er habe wohl Gespenster gehört, die es ja überhaupt nicht gibt auf der ganzen Welt, beruhigte er sich. Als dieses Geräusch dann wieder zu hören war, sang er etwas lauter und stieg in sein Bettchen zwischen den beiden Dachziegeln. Plötzlich wurde es dunkel über ihn und er fragte mit piepsiger Stimme: „Ist da jemand?“, als er ein lautes Flattern vernahm und sich unter sein Kopfkissen versteckte. „Du musst vor mir keine Angst haben“, sagte eine freundliche Stimme während Quarli zögernd mit seinem Kopf - das Kissen fest umklammert – hervorlugte und in das Gesicht eines blauen Drachen sah. Dieser lächelte ihn freundlich an. „Wer bist du und wo kommst du her?“, flüsterte er. „Ich heiße Arno und wohne schon tausend Jahre im Hühnerstall“, antwortete er lächelnd. „Wieso habe ich dich denn noch nie gesehen?“, meinte Quarli ungläubig. „Weil ich wie du meist nur in der Nacht unterwegs bin und die Gegend abfliege. Darum sind wir uns noch nie persönlich begegnet“, lächelte er und drehte eine Runde um den Schornstein. Dann kam er zurück und sah Quarli abwartend an. „Was machen wir nun?“, fragte Quarli. „Ich könnte dir einen Rundflug auf meinem Rücken spendieren, bis deine Eltern wieder zurück sind?“, grinste er. „Woher weißt du…“, stotterte Quarli und nickte heftig, So langsam hatte er Vertrauen zu Arno gewonnen. Dann breitete er seine Flügel aus und ließ Quarli zwischen ihnen Platz nehmen. „Halte dich gut fest und versprich mir, nicht zu wackeln, ja?“, meinte er noch und hatte das Dach schon verlassen. Der Wind wehte um Quarlis Ohren und es war das Schönste, was er bis jetzt erlebt hatte. Arno stimmte ein Lied an und Quarli summte mit. „Wie heißt das Lied?“, wollte er wissen. „Das ist der Drachen –Boogie, meine Lieblingsmelodie“, antwortete Arno und sang weiter. Sie flogen über das Dorf und Quarli war verzaubert von den vielen Lichtern, die er aus dieser Höhe zu sehen bekam. Sie steuerten den Mond an und er erzählte: „Siehst du, Quarli, wir haben Vollmond und ab morgen fliegt jede Woche ein kleiner Drache zu dem Mond und beißt ein Stückchen ab, bis nur noch eine Sichel zu sehen ist. Für die Menschen ist es dann der Halbmond, der am Abend auf sie herunter scheint“, erzählte er und nahm eine steile Kurve. „Wie schmeckt der Mond denn?“, wollte Quarli wissen. „Man sagt, er schmecke nach Erdbeerquark“, meinte Arno und flog am Kirchturm vorbei. „Schon kurz vor Mitternacht. Ich muss nach Hause. Kommst du morgen wieder und nimmst meine Freundin Flori auch mit?“ Arno schüttelte vorsichtig den Kopf, damit Quarli nicht herunterfiel: „Nein das geht nicht. Die anderen Lebewesen habe Angst vor mir und ich möchte sie nicht erschrecken. Erzähle niemandem von unserer Reise, versprochen?“
Zuerst war Quasi etwas traurig, aber dann dachte er, einen geheimen Drachen als Freund zu haben, das ist ja wohl das beste Geheimnis, was ein Kobold haben kann.
Arno brachte Quasi unversehrt zurück in sein Bettchen und Quasi träumte in dieser Nacht vom nächsten Drachenflug.
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2008
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