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Bärbel Schoening

Wollte mich nur mal kurz bei dir melden…

Einem grauen Morgen begegnet man am besten mit Farbe, zum Beispiel mit buntem Geschirr. Ich hole ein rotes Gedeck aus dem Schrank und stelle es auf den Tisch. Lorenzo und Antonia schlafen noch tief und fest. Ich liebe diese Sonntage, alleine zu frühstücken, Illustrierte durchzublättern und zu lesen, welcher Promi mit wem zurzeit zusammen oder gerade mit seiner Trennung beschäftigt ist - denn schließlich muss man ja mitreden können – in meinem angefangenen Roman weiter zu lesen oder mir einfach nur einen Cappuccino nach dem anderen zu machen. Ich lese gerade über die Krise im Hause Tom Cruise und denke: Welch einen Glückstreffer ich mit meinem Lorenzo getroffen habe. Gut, er ist etwas langsam und das Gerücht, die italienischen Männer seien temperamentvoll und leidenschaftlich stimmt nur bedingt. Es sind die italienischen Frauen, die das Temperament haben und nicht die Männer. Okay, die Leidenschaft herrschte am Anfang unserer Beziehung und das ist immerhin schon zehn Jahre her. Nichtsdestotrotz hat Lorenzo sie noch im Blut und ab und zu bekomme ich sie auch zu spüren. Antonia ist unsere einzige Tochter, die er abgöttisch liebt. Die Italiener stehen auf Bambini und die Väter erlauben ihren Kindern alles besonders dann, wenn es Mädchen sind.
Ich schlage seufzend die Illustrierte zu und entscheide mich spontan, meine Schwester anzurufen.
„Ja, Hallo?“, dringt es etwas verschlafen in meinem Ohr.
„Nicht Hallo! Ich bin es, deine Lieblingsschwester Biene“, entgegne ich etwas zu laut und
überschwänglich und sehe förmlich, wie sie sich ein Ohr zu hält und das Gesicht verzieht.
„Ja, du hörst richtig! Bin gerade mit Frühstück fertig und dachte mir: Ruf doch mal deine kleine Schwester an und erzähle ihr, was es seit ihrem letzten Besuch für Neuigkeiten gibt! Ist doch ne gute Idee von mir, oder?“ sprudelt es aus mir heraus.
„Ja, ja nicht schlecht aber so früh am So…?“, will sie noch sagen aber ich lasse sie den Satz nicht aussprechen, da ich ja weiß, wie er enden wird.
„Tja, leider konntest du ja nicht auf Antonias Geburtstagsfeier sein; ich sage dir: Die war vielleicht toll! Immerhin ist sie zehn Jahre alt geworden und du kannst dir ja vorstellen, was hier in der Wohnung los war. Du warte mal! Gerade sehe ich, wie ein Polizeiauto vor unserem Haus hält und zwei Polizisten aussteigen. Sie sehen sich das Haus von oben bis unten an und sprechen in ihre Geräte. Gestern haben sie zwei Mal bei mir geläutet, wollten aber zu meiner Nachbarin, die ihnen nie aufmacht obwohl sie immer zu Hause ist. Auch jetzt brennt wieder das Licht und sie treten einen Schritt auf den Bürgersteig und beobachten weiter das Haus. Der eine Polizist geht nun zur Tür und läutet Sturm. Was da wohl wieder los ist? Tja, nun stehen sie immer noch vor dem Haus und reden miteinander. Und das bei diesem Fieselregen!Letzte Woche war es ja noch so einigermaßen schön, die Sonne schien und immerhin hatten wir an Antonias Geburtstag zirka 17 Grad, in der Sonne versteht sich. Den Tag davor gab es ja hier dieses furchtbare Gewitter. Bei euch auch? Ich hatte morgens noch die Fenster geputzt – blitze blank versteht sich – war auch dringend nötig. Ich habe anschließend durchgelüftet und bin schnell zur Post gegangen um ein Päckchen aufzugeben. Dort sprach mich meine Nachbarin von der oberen Etage an und hat mir ihr ganzes Herz ausgeschüttet. Wusstest du eigentlich, dass ihr Mann säuft und regelmäßig in die Spielhalle geht? Tja Monika, ich kann dir sagen: die hat heftige Sorgen! Und als ich dann endlich aus dem Postamt auf die Strasse trat, fielen dicke fette Regentropfen vom Himmel und es wurden immer mehr. Pitschnass kam ich zu Hause an. Bis ich oben war, hatte sich ein heftiger Sturm zusammengebraut und von der Fensterbank alle Blumentöpfe in den Raum geschleudert. Auch der kleine bunte Glasvogel von Leonardo, den du bei deinem letzten Besuch Antonia mitgebracht hattest, lag in tausend Splittern am Boden. Mit meinem ganzen Körpergewicht habe ich dann das Fenster geschlossen und den kompletten Dreck vom Boden gewischt. Nach einer halben Stunde erst ließ der Sturm nach und es hat nur noch geregnet. Ich habe mir erst einmal einen Cappuccino gemacht und den Fernseher eingeschaltet. Und was glaubst du was da kam? KEIN EMPFANG! Nur Schnee, egal welches Programm ich einschaltete. Ich ging auf den Balkon und sah, wie unsere Satellitenschüssel zwei Etagen tiefer am Balkongeländer von Frau Schorn hing und blecherne Geräusche von sich gab. Stell dir vor Monika, wir konnten das ganze Wochenende kein fernsehen! Das war zwar nur schlimm für Antonia, denn Lorenzo und ich haben es uns gemütlich gemacht und gelesen. Ich habe ein ganzes Buch geschafft. Toll, was? Tja, so kommt man wieder zum Lesen. Lorenzo meinte:
„Wenn der Fernseher nicht funktioniert dann hat man wenigstens nicht den Druck, dass man eine Sendung versäumt!“
Das ist wieder typisch mein Mann. Immer praktisch veranlagt! Ja, ja, die Italiener Monika.
Und wie geht es dir so?“, frage ich kurz.
„Ach, wie immer. Gestern ha…“, will sie mir erzählen, als ich schnell einwerfe:
„Hörst du es? Die Polizisten läuten nun auch bei mir! Ich werde den Teufel tun und ihnen zu dieser unchristlichen Zeit aufmachen! Den Teufel werde ich… Moment Monika, ich sehe gerade durch den Türspion, dass meine Nachbarin ihnen endlich die Tür aufmacht. Kriege leider nicht mit, um was es geht. Sei mal kurz still, Monika, denn die Polizisten sprechen ziemlich leise. Hoffentlich geht es nicht um häusliche Gewalt, das muss ich nicht noch in der unmittelbaren Nachbarschaft miterleben, oder? Mir reicht schon, wenn ich alle halbe Stunde ihre Kuckucksuhr höre. Schlimm! Sie lebt mit einem Mann zusammen erst seit ein paar Monaten. Komischer Typ, finde ich aber Lorenzo meint: „Misch dich nicht immer ein, Sabine!“. Als wenn ich das jemals getan hätte, habe ich ihn angeschrieen. Er schüttelte den Kopf und ging wieder an seinen Laptop. Männer, sage ich dir Monika! Alle sind gleich! Hörst du das auch? Nebenan rumpelt es ziemlich laut. Was das wohl wieder ist? Aber mir kann es ja egal sein. Schließlich sind die Polizisten in der Wohnung und die passen schon auf. Ach ja, so ist immer etwas los hier im Haus. Nur noch kurz Monika: Was man so alles erleben kann in unmittelbarer Nachbarschaft, du glaubst es einfach nicht! So hatte sich in dem Haus wo meine Freundin eingezogen ist, ein Schlägerpärchen eingenistet. Gottlob nicht lange, da fast jeden Tag die Polizei vor der Tür stand. Als dann das Pärchen endlich ausgezogen war, zog ein älterer Mann in diese Wohnung, der fast unsichtbar für die anderen Mieter war und mehr für sich alleine lebte. Ein paar Wochen später entdeckte man ihn tot in seiner Wohnung, mehr aber durch Zufall.
Seitdem fühlt sie sich dort nicht mehr wohl aber hauptsächlich auch deshalb, weil ständig im Haus renoviert, gebohrt und gehämmert wird. Mittagsruhe scheint ein Fremdwort für alle zu sein. Außerdem wird das Treppenhaus von den Kindern als Spielplatz genutzt. Meine Freundin hat 24 Stunden Lärm um sich und ist es satt. Ja so ist das, wenn niemand Rücksicht auf den anderen nimmt. Wo soll das nur noch hinführen, Monika? Sag du es mir, ich weiß es nicht!“
„Sabine, ich muss noch zu einem Geburtstag und melde mich morgen noch mal bei dir, ja?“ schreit meine Schwester plötzlich dazwischen.
„Nix da! Das sagst du doch jetzt nur so, weil du keine Lust hast mit mir zu reden, stimmts?“, rufe ich schnell dazwischen und rede dann flüsternd weiter.
„Nur noch eine Sekunde, Monika. Ah, jetzt geht die Tür meiner Nachbarin auf. Sie scheint in Ohnmacht gefallen zu sein und ich höre:
„Frau Aussem, können Sie mich hören?“, ruft der Polizist immer wieder und wählt eine Nummer auf seinem Handy. Ich wollte dir auch schon vor Wochen eine Mail schreiben, Monika. Aber hier ist so viel los im Haus, dass ich immer zwischen Wohnungstür und diversen Fenstern herumrenne um mitzubekommen, was da läuft. Dabei interessiert mich diese Frau Aussem überhaupt nicht. Hörst du Monika? Da kommt der Rettungswagen mit Blaulicht. Nun werden sicher Antonia und Lorenzo wach. Egal, irgendwann müssen die ja mal aufstehen! Du, ich sehe gerade, wie die Sanitäter sie auf die Trage legen und aus dem Haus bringen. Nun sind sie alle abgezischt und wir können uns endlich in Ruhe weiter unterhalten, Monika.“
„Sabine, ich muss nun aber wirklich zu meinem Geburtstag! Bin eh´ schon etwas spät dran!“, ruft sie genervt in den Hörer.
„Monika! Der Geburtstag ist den ganzen Tag und man kann kommen wann man will! So ist das überall! Apropos Geburtstag! Ich erzähle dir nur noch kurz von Antonias Geburtstag. Es war herrlich, sage ich dir! Sie hat sich auch sehr über dein Geld gefreut und es direkt auf ihr Konto eingezahlt. Du weißt ja, sie spart für ein Fahrrad. Meine Schwiegermutter ist sogar extra aus Florenz angereist mit ihrem Giuseppe. Du weißt, ihrem jungen Lover, den sie immerhin schon seit fünf Jahren hat. Er ist ja ganz in Ordnung, aber sie! Gut, dass sie weit vom Schuss lebt; sie würde sich in alles
einmischen! Einfach in alles! Das fehlt mir dann auch noch zu meinem ganzen Stress. Lorenzo bekommt das alles gar nicht mit, weil er es nicht wahrhaben will das mit seiner „Mamma“. Bei jeder Meinungsverschiedenheit stellt er sich neben die Espressomaschine und schüttet sich den Espresso direkt in die linke Herzkammer. Nach einer halben Stunde ist er wie umgewandelt und nur noch freundlich zu seiner Mamma und mir. So reagiert er bei jedem Besuch von ihr. Egal, jedenfalls geht in Bella Italia die Mutter des Geburtstagsbambini erst einmal zum Friseur, damit sie eine „bella figura“ macht, strahlend schön und gut gelaunt, dem Orkan der ankommenden Kinderschar gelassen ins Auge blicken kann. So ist das bei den Italienern, Monika. Also, nur noch kurz den Ablauf von Antonias Geburtstagsfeier:
Gegen 14.30 Uhr war Anpfiff! Endlich wurden von Lorenzo, seiner Mamma und meiner Wenigkeit Berge raffiniert belegter Minibrötchen und Minipizzen aufgefahren, von denen mal wieder nur die Hälfte angerührt wurde. Vorher hatten sich die Bambinis schon genügend Chips, Gummibärchen, Mini Mars (damit die Energie auch für den Nachmittag ausreichte), und literweise Fanta in ihre kleinen Mägen gekippt. Danach steuerten alle unweigerlich auf den Höhepunkt zu: die Geburtstagstorte mit zehn dünnen, rosafarbenen Kerzen in der Mitte. Die „Torta“ ist das absolute i-Tüpfelchen für italienische Bambini Geburtstage. Unter uns Monika: Es ist ein quadratischer Biskuit-Fladen, getränkt mit süßem Sirup, gefüllt mit rosa Creme, verziert mit bunter Sahne und - ganz wichtig! – mit der Lieblingsfigur der Geburtstagsheldin. Du weißt ja Monika, Antonia liebt diese pinkfarbenen Pferdchen mit den langen Wimpern. So eines stand dann in der Mitte der „Torta“ und sah augenzwinkernd auf die kleinen Gäste herab.
Meine Schwiegermutter brüllte ganz laut, nachdem Antonia alle zehn Kerzchen auf einmal ausgeblasen hatte:
„Niemande verlasse diese Raum vorr der Torta. Niiiiemand!“
Lorenzo schnitt die Torta an und in Null Kommanix war sie von den hungrigen Kids verputzt worden. Ich habe mich immer wieder gefragt Monika, wo tun die das nur alles hin? Sicher werden die meisten am nächsten Tag unter starken Blähungen bzw. unter einer Diarrhoe gelitten haben. Gegen halb acht wurden die Kinder zusammen gepfiffen, sie mussten noch ein Lied singen, durften für ein Foto lächeln - müde wie
sie waren - und dann klingelte eine Mamma nach der anderen an der Tür, um ihr Bambini wieder abzuholen. Lorenzo reichte jeder Mammi noch einen halben Pappbecher mit Prosecco und dann war es das. Herrlich war es mal wieder, sage ich dir. Schicke dir die Tage mal die Fotos, die wir gemacht haben, ja? Ach so, ehe ich es vergesse:
Nachmittags sind wir dann in den Zauberkasten gefahren und haben uns mit den Kindern zwei Vorstellungen angesehen. Antonia hatte es sich so sehr gewünscht. Zuerst wollten wir Minigolf spielen, aber dazu war es zu kalt. Lorenzo schlug auch noch den Tierpark vor, aber das fand Antonia gar nicht geil und meinte, da könnten wir ja mit Oma hingehen, wenn sie mal wieder aus Italien käme. Du glaubst ja nicht Monika, was den Kids heute alles geboten wird! Wenn ich da an früher denke, oder? Was hatten wir schon im Gegensatz zu denen heute? Ach und noch was: Während wir uns für den Zauberkasten fertigmachten, ging das Telefon und ich stand schon halb im Treppenhaus. Rate Mal, wer es war?“
„Keine Ahnung. Du wirst es mir sicher jetzt sagen, Sabine. Aber beeile dich. Ich mu…“
„Klar sage ich es dir! Also eine mir unbekannte Stimme meldete sich mit einem bayrischen Dialekt:
„Hallo! Hierr ist Leonie von der Salatbarr aus München! Ich begrrüße Sie sehrr herrzlich als unserre Abonnentin! Hoaben Sie einen Wunsch?“ fragte sie mich und schien dabei zu grinsen.
„Nein habe ich nicht, da ich kein Salatabo bei Ihnen habe und in Zukunft auch keines wünsche, Sie Weisswürschtel, Sie! Ich mache meine Salate selber!“, antwortete ich gereizt und legte wütend auf.
„Ist das nicht unverschämt, Monika? So fangen die Käufer und schwupp die wupp, hast du ein Abo am Hals. Ne, mit mir aber nicht! Da müssen die schon früher aufstehen, Monika. Mit mir nicht! Na, und dann sind wir endlich los zum Zauberkasten gefahren.
„Ach eh ich es vergesse: Wir haben ja noch so ein Unikum bei uns im Hause wohnen. So eine Olle! Wie alt wird sie sein? Bestimmt noch keine sechzig. Die bechert ganz gerne einen über den Durst. Eine zeitlang ist sie im Treppenhaus immer ein paar
Stufen heruntergefallen, wenn sie den Müll nach unten bringen wollte. Das war so laut, dass die ganze Bude gewackelt hat. Beim letzten Mal hat mich die Nachbarin vom zweiten Stock dazu gerufen, als sie schon halb im Keller lag. Leider ist es uns beiden nicht gelungen, sie wieder aufzurichten, das sie ein paar Kilos zu viel hat und wir ihren schlaffen Körper nicht hoch bekommen haben. Also blieb uns nichts anderes übrig, als den Rettungswagen zu rufen usw. und so fort.
Ja und die Nachbarin in der Wohnung zu meiner linken Seite, die ist ja ganz nett aber ich habe den Eindruck, dass sie unter Verfolgungswahn leidet. Sie behauptet bei mir immer wenn sie mich denn mal im Treppenhaus sieht, dass die Frau Aussem sie nicht mag und schlecht über sie spricht. Anscheinend hört sie das Gerede über sich schon durch die Wände. Ich höre da gar nicht mehr hin und vermeide es, sie im Haus zu treffen. Immer wieder muss ich mir die ganze Story anhören und die neueste Marotte von ihr ist, dass sie durch die Sprechanlage ruft:
„Komm doch rauf zu mir! Ich bitte dich, komm doch rauf!“ Dabei steht kein Mensch unten vor der Eingangstür. Monika ich sage dir, hier wohnt ein ganz schöner Durchschnitt an merkwürdigen Menschen in einem verhältnismäßig kleinen Wohnblock mit gerade mal zwölf Wohnungen. Tja, Monika nun muss ich aber mal auflegen. Ich habe schon ganz heiße Ohren. Wie geht es dir denn so? Man hört und sieht nichts! Ich hoffe dein Leben verläuft in ruhigeren Bahnen, obwohl du ja beruflich immer viel Stress hast. Aber kein Vergleich mit den verrückten Menschen, die um mich herum sind. Ich hoffe, dass bei dir alles in Ordnung ist und melde dich mal wieder per Mail oder so. Ach, ich höre gerade, dass Antonia und Lorenzo eine Kissenschlacht in unserem Bett machen. Ich muss ihnen unbedingt erzählen, dass wir beide zusammen gesprochen haben…

Ciao Monika, melde dich doch mal wieder!


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.10.2008

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