Bärbel Schoening
Zwei nette ältere Damen
Es dämmerte schon, als ich meinen Wagen auf der anderen Seite des Hauses parkte und ausstieg. Die ganze Nacht hatte es geschneit und nun war der Schnee unter meinen Füssen klamm und nass. Ich fixierte die Strasse mit einem kurzen Blick, kein Mensch war weit und breit zu sehen. Ich hatte das Haus eine Woche lang beobachtet und mir war nichts Verdächtiges aufgefallen. Frau Maaser, eine ältere reiche Dame, jenseits der siebzig, bewohnte diese alte Jugendstilvilla, die sie wahrscheinlich geerbt hatte von ihrem verstorbenen Manne. Sie war genau meine Kragenweite. Auf alte reiche Witwen war ich spezialisiert. Natürlich hatte ich sie zuerst per Telefon kontaktiert um ihnen eine fingierte Versicherung anzubieten. Schnell war sie bereit, für heute einen persönlichen Termin mit mir zu vereinbaren. Meine Aufgabe war es in der nächsten Stunde, eine Versicherung zu verkaufen und die obligatorische Barprämie einzuheimsen und dann schnell zu verschwinden. Diese Taktik hatte ich schon einige Jahre drauf und das Geschäft lief hervorragend.
Ich drückte entschlossen die Klinke des großen Eisentores herunter, das mich zum Hauseingang bringen sollte. Vor der Haustür zupfte ich noch einmal die Krawatte zurrecht, fuhr mir mit der rechten Hand durchs Haar und öffnete den obersten Knopf meines Hemdes. Dann drückte ich etwas nervös auf den Klingelknopf. Von drinnen drangen Frauenstimmen nach außen. Es war also noch jemand bei Frau Maaser, schoss es mir durch den Kopf, als die Tür von innen plötzlich aufgerissen wurde.
„Sie müssen der nette Herr Richards sein“, sprudelte es aus dem Mund der alten Lady.
„Ja das stimmt. Ich vertrete die Firma Stolz und Lembeck. Frau Maaser?“, fragte ich vorsichtig. Das Nicken der Lady bestätigte mir, dass
ich richtig lag. Freundlich bat sie mich herein und der Duft von Weihnachtsgebäck zog durchs ganze Haus. Sie führte mich in die Eingangshalle:
„Luise! Wir haben Besuch von dem netten Herrn Richards von der Versicherung. Ich habe dir doch von ihm erzählt! Luise! Wo bist du denn nur wieder?“, rief sie ungehalten.
„In der Küche meine liebe Gertrud! Ich mache den Tee für uns und für deinen Besuch! Sonst macht ihn ja niemand hier im Haus! Wenn ich mich nicht um alles küm…“ verstummte die Stimme und eine grauhaarige attraktive Dame stand mit einem Silbertablett im Türrahmen auf das sich Gebäck, eine Teekanne und drei Tassen stapelten.
Entschuldigend bat mich Frau Maaser ins Wohnzimmer und meinte etwas leiser:
„Das ist meine Freundin Luise Gerlach. Den ganzen Tag ist sie in der Küche, Herr Richards. Als gäbe es nichts anderes auf der Welt als Kochen und Backen. Gut, ich gebe ja zu, dass ihr Weihnachtsgebäck mehr als himmlisch ist; würde ich ehrlich sein bin ich auch froh, dass sie mir den Küchenkram abnimmt. Was Haushalt, Backen und Kochen betrifft, so habe ich zwei linke Hände. Bin ja als Kind auch nie dran gekommen. Schließlich hatten wir immer Personal, da mein Vater der bekannteste Rechtsanwalt der Stadt war“, gab sie hochnäsig von sich und drückte mich in einen der dicken Clubsessel. Ich wartete bis sich die Herrschaften auch gesetzt hatten und nahm dann wieder Platz.
„Sie trinken doch Tee?“, fragte mich Frau Gerlach ängstlich.
„Natürlich sehr gerne. Besonders wenn er so wunderbar duftet“, antwortete ich ihr mit einem süffisanten Lächeln und nahm den ersten Schluck.
„Hier, unsere Nussecken, Herr Richards. Die müssen Sie unbedingt probieren!“, rief Frau Maaser begeistert aus und hielt mir die Schale direkt unter die Nase.
„Ja sehr gerne. Wenn sie so schmecken wie sie riechen, dann kann ja nichts schief gehen“, lächelte ich verlegen die beiden Ladys an und griff ohne Hemmungen zu.
„So ist es richtig, Herr Richards. Sie haben noch etwas zum Zusetzen, wobei ich ganz genau aufpassen muss, was ich esse“, meinte Frau Maaser etwas bitter und …“Aber erzählen Sie mal, wie lange sind Sie schon bei der Firma Stolz und Lembeck? Sie sind ja noch ein junger Hüpfer und haben Ähnlichkeit mit meinen Albert. Gott habe ihn selig. Nicht wahr Luise? Sieht er nicht wie Albert aus, als der noch jung war?“, bohrte sie weiter und schickte Luise so einen beschwörenden Blick, dass die gar nicht anders konnte, als ihrer Freundin Recht zu geben.
„Herr Richards interessieren doch nicht deine alten Geschichten, Gertrud. Er ist zu uns gekommen, damit wir eine Versicherung bei ihm abschließen können und wegen nichts anderem. Schließlich ist Zeit so kostbar wie Geld, oder nicht Herr Richards?“, meinte sie und goss mir noch Tee nach. Ich nahm dankend an und griff nach der vierten Nussecke. Der Clou an der ganzen Sache war, dass es die Firma Stolz und Lembeck gar nicht gab. Noch nicht einmal als Briefkastenfirma…
Bevor ich ihre Frage beantworten konnte meinte Frau Maaser:
„Sicher ist es heute sehr schwer, Versicherungen zu verkaufen, nicht wahr Herr Richards?“
„Da haben Sie wohl Recht Frau Maaser. Allerdings gibt es genug Menschen, die ein feines Gespür dafür haben, ob es der Versicherungsvertreter nur auf die Provision abgesehen hat oder ob er eine ehrliche Beratung abliefert.“, sagte ich scheinheilig und rieb mir insgeheim schon die Hände. Hier konnte ich so richtig absahnen dachte ich, nach dem ich mir die antiken Möbel, das alte Silber und die
eingerahmten Kunstschätze mit einem Blick erfasst hatte.
„Sie legen eben großen Wert auf eine gute Beratung, nicht wahr?“, meinte Frau Gerlach während sie ihren Tee umrührte und mich wie ich meine, etwas zu kritisch ansah. Stattdessen antwortete ich mit ernster Miene:
„Genau. Nur so kann eine kleine Versicherung wie unsere überleben“.
Frau Maaser streifte meinen Arm:
„Das freut mich zu hören. Wissen Sie Herr Richards, dass die meisten Versicherungsvertreter ältere Menschen wie uns übers Ohr hauen? Da soll man noch Vertrauen in die Menschheit haben! Aber bei Ihnen habe ich schon am Telefon gemerkt, dass Sie eine ehrliche Haut sind. Nicht wahr Luise? Habe ich es nicht sofort gesagt zu dir? Dieser Herr Richards ist anders!“
„Das kann ich gut nachvollziehen und es freut mich, dass ich Ihr Vertrauen gewinnen konnte“, lächelte ich zufrieden.
„Das haben Sie junger Mann. Zu hundert Prozent! Wissen Sie, wir beide sind Witwen und unsere Männer starben sehr schnell hintereinander und die Kinder sind schon lange aus dem Haus. Luise und ich haben uns zusammengetan und dieses Haus gekauft. Besser als in einem Altersheim anonym zu verrecken, oder?“, rief Frau Maaser begeistert aus und legte mir noch eine Nussecke auf den Teller.
„Da muss ich Ihnen Recht geben. Hier ist es besser als in einem Altersheim. Sie sind ja noch sehr rüstig und gehen sich gegenseitig zur Hand: Einfach ideal“, lobte ich und hielt erneut meine leere Teetasse Frau Gerlach zum Füllen hin, die mir beim Eingießen sofort eine Frage stellte:
„Sie besuchen sicher häufig Ihre Kunden zu Hause, nicht wahr?“
„Ja, das gehört zu meinem persönlichen Kundenservice. Ich lege großen Wert auf das persönliche Kennenlernen. Wenn Sie verstehen was ich meine“, antwortete ich und schaute in verständnisvolle Gesichter.
„Wenn nur jeder so wie Sie denken würde“, seufzte Frau Maaser und lehnte sich entspannt zurück.
„Es gibt in unserer Branche viele schwarze Schafe und darum ist das Misstrauen der Kunden auch sehr groß und berechtigt“, antwortete ich ernst.
„Sie sind so ein netter und aufrichtiger Mensch“, hörte ich die beiden älteren Ladys sagen, während ich einen leichten bitteren Geschmack in meinem Mund verspürte und ihn schnell mit einem Schluck Tee
herunterzuspülen versuchte.
„Wie heißt Ihre Firma doch gleich?“, stellte mir Frau Gerlach die Frage.
„Stolz und Lembeck“, erwiderte ich, als mir schwindelig wurde.
„Ja richtig, Stolz und Lembeck“, wiederholte Frau Maaser und beide Ladys sahen mich mit ausdrucksloser Miene an.
„Wissen Sie, nach Ihrem ersten Anruf haben wir uns die Mühe gemacht, Ihre Firma zu überprüfen. Leider mussten wir feststellen: Diese Firma gibt es überhaupt nicht. Wir waren darüber natürlich etwas überrascht, was Sie sich ja denken können, lieber Herr Richards“.
„Genauso überrascht, als wir die Sache mit unseren Ehemännern erfuhren. Jahrelang haben uns beide an der Nase herumgeführt und mit anderen Frauen betrogen“, fügte Frau Maaser etwas lauter hinzu.
„Deshalb haben wir es auf unsere Art geregelt“, warf Frau Gerlach ein und Frau Maaser ergänzte:
„Innerhalb einer Woche war alles vorbei und niemand kam auch nur auf die Idee, uns zu verdächtigen“, kicherte sie leise.
„Wir haben damals einen heiligen Schwur getan, uns niemals mehr von einem Mann betrügen zu lassen. Und daran halten wir bis heute fest“, sagten beide wie aus einem Mund.
Der bittere Geschmack der Nussecken machte sich in meinem ganzen Körper breit. Der Schwindel nahm zu und das Gift schien zu wirken. Die
beiden älteren Ladys schenkten mir noch ein letztes bezauberndes Lächeln, sowie es nur nette ältere Damen zustande bringen konnten.
Tag der Veröffentlichung: 05.10.2008
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