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Bärbel Schoening

Mama, können Hühner denken?

„Mama, können Hühner denken?“
„Ja, ich glaube schon. Da fällt mir eine Geschichte ein, die du sicher vorm Einschlafen noch hören möchtest Linda“, erwidert die Mutter, streicht ihr zärtlich über den Kopf und beginnt zu erzählen.

Die Sonne scheint schon sehr früh und der Himmel ist übersät mit kleinen Wolken. Alma die Henne gackert zufrieden über den Hof, als sie gen Himmel schaut. Es gibt noch viel zu tun, denn heute heiratet ihre Tochter Wilma. Sie hat sich dafür den stolzesten Hahn vom Nachbarbauern ausgesucht und liegt noch in den Federn.
„Wilma, aufstehen, du verschlafenes Hühnchen! Es gibt noch soo viel zu tun und du solltest mir ein wenig zur Hand gehen!“, ruft sie energisch und wirft Wilma aus ihrem Nest.
„Schon gut, Mutter. Mach nicht immer so einen Stress! Es wird schon alles klappen, wenn du es in die Hand nimmst“, meint sie verschlafen und blinzelt aus ihren müden Augen.
„Die Ehe ist kein Zuckerschlecken mein Kind! Um deinem Mann auf Dauer zu gefallen, solltest du etwas mehr Tempo auf den Hof bringen, meine Kleine“, meint sie und drückt sich ein kleines Tränchen ab.
Bei aller Freude ist Alma auch ein bisschen traurig darüber, dass Wilma ihre Älteste bald auf den Nachbarhof übersiedelt.
„Es wird schon alles klappen“, sagt sie mehr zu sich und verlässt den Hühnerstall. Johann ihr Mann kommt aufgeregt aus der Scheune gelaufen mit einem Sack Hühnerfutter unter den Federn geklemmt:
„Alma! Was sollte ich noch mal hier mit machen? Ich bin so aufgeregt und habe es einfach vergessen“, ruft er und landet fliegend vor Almas Füße.
„Aber Johann! Wo bist du nur immer mit deinen Gedanken?“ ermahnt sie ihren Mann und denkt: „Mein Gott! Was hat er seit dem Herbst doch nachgelassen. Wo soll das nur hinführen?“ und nimmt ihm dabei den Sack Hühnerfutter aus den Federn.
„So Johann, nun hörst du mir mal zu und machst genau das, was ich dir nun sage. Hast du mich verstanden? Also: Das Hühnerfutter streuen wir auf den Weg zum Nachbarhof und zwar von diesem Hof – dabei flattert sie aufgeregt mit den Federn – bis zum Hof des Nachbarn. Du als Brautvater wirst deine Tochter bis dahin begleiten und zwar zu deinem zukünftigen Schwiegersohn. Mehr hast du nicht zu erledigen, im Gegensatz zu mir. Das wirst du doch wohl noch schaffen, Johann. Verteile das Hühnerfutter und zwar gleichmäßig, hörst du?“ gackert sie energisch und läuft schnellen Schrittes zum Stall, um nach Wilma zu sehen.
„Alles bleibt wie immer an mir hängen“, und ruft im Vorbeilaufen den anderen Hühnern zu, ihre Festtagskleidung schon mal auf der Stange auszubreiten, damit es gleich schneller geht.
Alle nicken ihr zu und verschwinden gackernd im Stall. Wilma erfrischt sich gerade in der Zinkbadewanne und putzt ihr Federkleid gründlich für ihr Fest.
Zufrieden geht Alma in die Küche, um auch dort nach dem Rechten zu sehen. Die Küchenhühner sind fleißig dabei, das Festmahl
zuzubereiten und stehen gackernd an den Tischen.
Alles läuft wie geschmiert denkt Alma und verlässt federnd die Küche.
„Es geht doch nichts über eine gute Organisation“, denkt sie zufrieden und nimmt einen großen Schluck aus der Hühnertränke.
Wilma schreitet kerzengerade über den Hof und probt zum x-ten Mal ihren Hochzeitsmarsch. Alma klatscht vor Begeisterung mit ihren Federn und ist stolz auf ihre schöne Tochter.
Allmählich kommen ein paar Wolken auf und Alma schickt ein Stoßgebet zum Hühnerhimmel, dass das Wetter sich wenigstens noch ein paar Stunden halten möge. Nach der Hochzeit ist es ihr so ziemlich egal, ob es regnet oder schneit. Jedoch in den nächsten Stunden muss es einfach sonnig und trocken bleiben. Sie hebt beschwörend ihr Federkleid und schickt dabei gackernde Rufe nach oben.
Inzwischen kehrt Johann von der Verteilung des Hühnerfutters mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zurück. Er hat das gesamte Hühnerfutter zu einem schönen schmalen Weg bis zum Hof des Bräutigams verteilt und Alma ist stolz auf ihren Johann. Sie drückt ihn ganz fest in ihre Federn und streichelt ihm anerkennend über seinen grauen Schopf.
„Ach Johann, dieser Tag dürfte nie zu Ende gehen. Was meinst du?“, säuselt sie und Johann schließt verzückt seine Augen und nickt dazu.


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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2008

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