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Bärbel Schoening

Gefährliche Rache

Seit einer Viertelstunde sitze ich nun schon hier auf dieser Bank und warte auf ihn, den Supermann, den Mörder meiner Schwester. Eine Woche zuvor hatte ich herausgefunden, wo er arbeitet und ihn stundenlang beobachtet, um seine Gewohnheiten zu erkunden. Täglich verlässt er seine Werbeagentur mit einer durchgestylten und teuren Trainingskluft, um direkt am Rheinufer seine Kilometer zu laufen. Heute scheint er sich zu verspäten; aber ich habe Zeit, alle Zeit der Welt.

Vor einem halben Jahr im Januar, während der Schnee leise vom Himmel rieselte und der Himmel blau und wolkenlos war, lag drinnen in der Wohnung meine liebe Schwester Lisa, mit Klebeband über den Mund und um die nackten Hand- und Fußgelenke gewickelt. Sie war brutal gequält worden, ihre Leiche verrottet – zwei Wochen lang unbemerkt – in der Hitze ihrer Wohnung mit zweiundzwanzig Grad Heizungstemperatur und geschlossenen Fenstern. Dieses ist die Geschichte meiner Schwester und von Paul ihrem Mörder, Chef einer Werbeagentur, der immer noch in dieser Stadt lebt.
Lisa wurde nur fünfundzwanzig Jahre. Sie arbeitete als Krankenschwester in einer Kinderklinik. Ich bin zehn Jahre älter,
Journalistin bei einer großen Zeitschrift in Bonn. Im März bin ich nach Köln gezogen, um den Tod an meiner Schwester zu rächen. Lisa war das genaue Gegenteil von mir. Sie liebte Kinder über alles und hätte gerne selbst welche gehabt. Die Menschen mochten sie und Lisa die Menschen. Sie war üppig gebaut und ihr Riesenbusen war eine Augenweide. Sie versteckte ihn immer unter XXL Kleidung. Ihr schwarzes kurzes Haar war zu einem flotten Pagenkopf frisiert. Ich fand, dass Lisas Augen das Schönste in ihrem Gesicht waren. Sie leuchteten jedem entgegen, der sie ansah. Sie war zu gutmütig und wurde oft ausgenutzt, aber das schien ihr nichts auszumachen. Ich war eher der nüchterne, sportliche Typ und die attraktivere von uns beiden. In den letzten Jahren hielten wir losen Kontakt und man entfernte sich etwas voneinander. Für mich war nur meine Karriere wichtig. Mein Beruf brachte es mit sich, dass ich spontan sein musste und eine Familie eher eine Belastung gewesen wäre. In der Vergangenheit hatte ich eine Menge Liebhaber verschlissen und diverse Affären gehabt. Heute mit fünfunddreißig Jahren empfand ich oftmals eine gewisse Leere, die sich immer breiter machte, je älter ich wurde. Dann kam der plötzliche Tod meiner einzigen Schwester dazwischen und ich musste ihren Mörder kennen lernen. Bis dahin war ich der Meinung, dass es Lisa gut ging. Woher hätte ich wissen sollen, dass sie so unglücklich war. Ich versuchte nach Kräften mich um sie zu kümmern seit dem Tod unserer Eltern. Aber mein Bestes war nicht gut genug, ich war immer nur mit mir selbst beschäftigt. Das wurde mir klar an dem Tag, als ich Lisas Tagebuch fand. Immer wieder habe ich es in den letzten Monaten gelesen vor allem den Anfang; er beginnt so hoffnungsvoll, so voller Ironie von der ich gar nicht wusste, dass sie sie besaß.
Etwas Wundervolles und Aufregendes geschieht mit mir. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch, und das verdanke ich Paul. Er sieht Dinge in mir,
die ich noch nie zuvor gesehen habe. Durch ihn mache ich eine Veränderung durch und wünsche mir, aus meinem langweiligen und trägen Leben herauszutreten und meiner Leidenschaft nachzugehen. Ich möchte mich in Pauls Gewalt begeben und ihm ganz die Zügel überlassen. Paul hat mir versprochen, mich an Orte zu führen, die ich noch nie gesehen habe. Oh, Paul! Ich habe nie gewagt, von jemandem wie dir zu träumen. Und nun gehörst du schon zu meinem Leben…
Was für ein unschuldiger Anfang, voller kindlicher Naivität. Lisas Reise fand kein unschuldiges Ende. Die nächsten Zeilen lasen sich für mich wie ein Traum. Lisas Beschreibungen - ihre ersten sexuellen Begegnungen mit Paul - sie endete als Alptraum, als langsamer Abstieg in das schwarze Herz eines bösen, sadistischen Mannes, als eine Reise in die Hölle, aus der es keine Rückkehr gab.

Meine erste Begegnung mit ihm soll wie ein Zufall aussehen. Ich habe mir alles angeeignet, was aus Lisas Tagebuch zu erfahren war; jetzt ist es an der Zeit, sich direkt mit diesem Mann auseinanderzusetzen. Ich wünschte, ich könnte die Finger von der Sache lassen, aber eine innere Kraft treibt mich voran. Ich muss wissen, wer Lisas Mörder ist und will, dass er seine gerechte Strafe bekommt.
Wie ich so meinen Rachegedanken nachhänge sehe ich, wie er die Agentur verlässt und auf mich zukommt. Auch ich habe mich in meine Trainingssachen geworfen und erhebe mich etwas unbeholfen von der Bank, während ich mein Bein lang strecke und leicht mit dem Fuß wippe. Nun ist Paul auf gleicher Höhe, ein kurzer Blick zu mir, ein charmantes Lächeln und er läuft an mir vorbei in Richtung Rheinufer. Ein paar Minuten warte ich noch ab und dann folge ich ihm unauffällig. Im Gegensatz zu mir, ist er im Training und super in Form, was mich ärgert.
Er entschwindet so langsam meinen Augen und ich bleibe fluchend und
erschöpft zurück. Nach einer heißen Dusche zu Hause, lese ich weiter in
Lisas Tagebuch. Morgen ist ja auch noch ein Tag, an dem ich wieder laufen darf.
Ich stehe an einem Baum und heuchle vollkommene Erschöpfung. Von weitem sehe ich ihn schon, wie gleichmäßig er auf mich zuläuft. Beneidenswert, denke ich. Eigentlich sieht er gar nicht wie ein Mörder aus, im Gegenteil. Mitte vierzig, dunkelhaarig, brauner Teint und immer topp gekleidet. Der Mann scheint nie zu schwitzen, sieht nie müde und erschöpft aus, hat Stil, was seine Kleidung betrifft und anscheinend auch ein Superbenehmen. Nun bleibt er neben mir stehen und reckt und streckt seinen astralen Oberkörper gen Himmel.
„Hallo, hält der Baum Sie oder halten Sie den Baum?“ Ich beiße die Lippen zusammen, lächle dann aber doch und antworte freundlich:
„Nach was sieht es denn aus?“
„Ach, ich weiß es nicht. Sie sind aus der Übung was? Übrigens, Paul Mönning“, lacht er und reicht mir seine Hand, während er meine etwas zu lange drückt.
„Cornelia, aber alle nennen mich Conny, angenehm“, sage ich und schaue direkt in ein paar dunkelbraune Augen.
„Wollen wir den Rest zusammenlaufen, Conny?“, fragt er während er noch immer meine Hand streichelt. Ich nicke nur und wir laufen fast schweigend und mindestens drei Kilometer nebeneinander her. Von weitem erspähe ich ein kleines Café und hoffe inbrünstig, dass wir endlich eine Pause machen. Paul jedoch zeigt nicht die Spur von Müdigkeit und läuft weiter.
„Der nächste Biergarten kommt nach eineinhalb Kilometern, Conny. So lange halten Sie doch noch durch, oder?“, meint er lachend während er im Gegensatz zu mir anscheinend noch über reichlich Sauerstoff verfügt.
Schweiß macht sich inzwischen an meinem Körper breit und ich bleibe schon seit einiger Zeit immer weiter hinter ihm zurück. Ich hechle:
„Klar, kein Problem für mich! Die eineinhalb Kilometer, die laufe ich mit links“, lüge ich und wische mir mit dem Stirnband den Schweiß aus dem Gesicht. Endlich ist der Biergarten in Sicht und ich merke, wie Paul absichtlich langsamer läuft und auf mich wartet. Wir bestellen zwei Cola light und ich hole erst einmal tief Luft. Mein Sportsfreund stößt mit mir an mit den Worten:
„Stramme Leistung, Conny. Sie sind aus der Übung, das merkt man. Aber nichts für ungut. Wir könnten jeden Tag zusammen laufen. Ich laufe täglich, damit ich den Kopf vom Tag frei bekomme. Nur so kann ich richtig abschalten. Und wie ist es bei Ihnen?“, grinst er mich an. Ich verschlucke mich an der Cola und stottere:
„Ja, mir geht es genauso. Können wir gerne ab morgen machen, das Laufen, ich meine zusammen laufen ab morgen“, bringe ich heraus. Ich ärgere mich über mich selber. Was ist nur los mit mir? Sonst habe ich bei jedem Kerl die Übersicht und ich übe immer die Macht auf ihn aus. Was ist das heute? Schnell rufe ich mir ins Gedächtnis, weswegen ich eigentlich hier bin und dass dieser Kerl der Mörder von Lisa ist.
„Ich muss jetzt auch…“, sage ich schnell und verabschiede mich. Etwas verdutzt sieht er mich an und meint:
„Ja, tschüss bis morgen an der Bank, Conny. Ich freue mich“.
Ich laufe in die andere Richtung und will nur noch in meine Wohnung.
Auch heute hole ich Lisas Tagebuch hervor, während ich mir ein Glas Rotwein genehmige. Ich kann mich nicht richtig konzentrieren weil ich immer nur an Paul denke. Für Lisa muss er die Erscheinung des Universums gewesen sein, wenn er mich schon nach der ersten Begegnung an nichts anderes mehr denken lässt. Das ist mir schon ewig nicht mehr passiert, dass ich den ganzen Abend an einen Mann denken muss, den ich erst gestern kennen gelernt habe. All meine Affären und Bekanntschaften waren bis heute auf reinen Sex aufgebaut, völlig emotionslos. Jeder hatte sein Vergnügen und keiner irgendwelche Verpflichtungen dem anderen gegenüber; jeder kam auf seine Kosten. Ich nehme mir vor, früh schlafen zu gehen, damit ich morgen für den zweiten Lauf fit bin.
Pünktlich um achtzehn Uhr steht er gestylt an der Bank.
Ein anerkennender Pfiff, der mir gilt und sein umwerfendes Lächeln, lassen mich schon wieder in andere Regionen sinken. Er beäugt mich von oben bis unten und meint:
„Der rote Anzug steht Ihnen gut. Er ist so sexy wie Ihr Körper und passt zu Ihnen, Conny“, lächelt er und …“Wollen wir?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, läuft er los und ich neben ihm her. Heute passt er sich meinem Tempo an und ich bin ihm dankbar dafür. Im Biergarten machen wir die erste Pause und ich bekomme eine Einladung für den nächsten Abend bei ihm zu Hause. Er will für mich kochen.
Samstagabend. Ich style mich, ziehe mein enges schwarzes Seidenkleidchen an, lege mir die rote Korallenkette um den Hals, klicke zwei Clipse der gleichen Sorte an die Ohrläppchen und male meine Lippen knallrot an. Darunter trage ich einen Hauch von schwarzer Seide, man kann ja nie wissen. Ich betrachte mich im Spiegel und bin mit mir mehr als zufrieden. Meinen Superkörper sprühe ich noch mit Dolce und Gabbana ein, schnappe mir die kurze Kaschmirjacke und bin zu allem bereit, was diesen Mann angeht. Ich werde ihn heute Abend verführen und nicht umgekehrt. Schließlich verfüge ich über jahrelange Erfahrungen und weiß, wie man Kerle knackt.

Paul empfängt mich mit einem strahlenden Lächeln und haucht mir einen Kuss auf beide Wangen. Er führt mich in seine Edelstahlküche und reicht mir ein Glas Champagner. Wir stehen sehr nah zusammen und stoßen an. Beim hellen Klang der Gläser haucht er an mein Ohr:
„Auf einen romantischen Abend Conny und auf mehr.“ Wir trinken den ersten Schluck und sehen uns tief in die Augen.
„Hm, was haben Sie denn für uns gezaubert? Es riecht ja himmlisch, Paul“, sage ich um aus der Verlegenheit zu kommen.
„Was meinen Sie, Conny? Sollen wir uns nicht duzen?“
„Ja, warum nicht?“, antworte ich fröhlich und hüpfe auf einen Barhocker. Dabei sehe ich mich ein wenig um, während er am Herd die Flamme kleiner stellt.
„Es ist ein sinnliches Menü. Nur für uns beide“, meint er und betrachtet mich ausgiebig, während er mit der Zunge über seine vollen Lippen leckt und lüstern
lächelt. Ich nehme noch einen großen Schluck Schampus, damit ich etwas lockerer werde. So kenne ich mich gar nicht! Was ist nur los mit mir! Ich diniere mit dem Mörder meiner Schwester! Wie schizophren ist das denn? All diese Fragen schießen mir kurz durch den Kopf und ich frage mich, was noch kommt an diesem Abend. Plötzlich nimmt Paul zärtlich meine Hand und hilft mir von dem Hocker. Seine linke Hand legt er um meine Taille während er mich sanft zum Tisch führt. Auch dieser ist perfekt gedeckt und ich denke: Hat dieser Typ eigentlich keinen Fehler? Während ich die Flusskrebs Tarteletts mit Creme fraiche auf Rauke genieße, gießt er mir einen trockenen Weißwein ein, und wirft mir dabei einen vielsagenden Blick zu. Wir prosten uns zu und Paul erklärt mir das Anbaugebiet des Weines bis ins Detail.
„Dieser Wein hat seinen fruchtigen und leichten Geschmack von einer Rebe, die an den Hängen des Tafelberges wächst. Die vielen Sonnenstunden machen so einen Wein aus“, ergänzt er und prostet mir erneut zu. Ich lächle ihn an und denke: Meine Erregung hat inzwischen auch die Spitze des Tafelberges erreicht, so dass ich mich nur noch schwer auf das Essen konzentrieren kann. Paul aber lässt sich nicht aus dem Konzept bringen und serviert das Hauptgericht.
„Jakobsmuscheln mit rosa Champignons in einer Kräuter-Weißweinsauce mit rotem Reis. Voila Madam, bitte sehr“, ruft er begeistert aus und serviert mir dieses göttliche Gericht. Ich schaue bewundernd auf meinen Teller und bringe nur ein „Hm, das sieht ja himmlisch aus und duftet auch genau so“, heraus.
Selbstzufrieden setzt Paul sich an den Tisch und füllt die Gläser erneut. Er faltet langsam seine Stoffserviette auseinander und beginnt zu essen. Fast zärtlich teilt er die Jakobsmuscheln und führt sie sich mit ein wenig Sauce zum Mund. Dabei schließt er genüsslich die Augen. Sicher erwartet er ein Lob von mir; das soll er haben, denn er hat es verdient. Ich werde aus diesem Mann nicht schlau! Gibt es eigentlich auch etwas, was er nicht so perfekt kann? Selbst als Mörder hatte er ein perfektes Alibi und deswegen muss ich ihn zur Strecke bringen. Da ist aber noch etwas anderes an ihm und das muss ich vorher herausfinden. Auch einer wie Paul wird irgendeine kleine Lücke in seinem Leben haben…
Ich lasse mir natürlich nichts anmerken und genieße das herrliche Essen, das er extra für mich zubereitet hat. Fast schweigend - aber dennoch genießerisch –
nehmen wir den Hauptgang ein.
„Nun folgt noch das Dessert. Ich hoffe Conny, dass das nicht der letzte Leckerbissen für heute Abend sein wird“, meint er charmant und verschwindet kurz in der Küche. Dieser Mann macht mich fertig. Er ist die Erotik pur. Ich sehe mich im Zimmer um. Das Wohnzimmer ist im Kolonialstil eingerichtet, dunkle Edelhölzer und sehr gemütlich. Überall brennen Kerzen und aus dem CD-Player rieselt klassische Musik. Alles ist stimmig hier, zu stimmig für mich.
„So, noch eine süße Verführung zum Menüabschluss: Granatapfel mit Erdbeerschaum, serviert auf einem Campari-spiegel. Na, wie hört sich das für dich an?“, grinst er selbstgefällig und reicht mir feierlich das Dessert.
„Nicht schlecht“, lobe ich … und „Alles alleine gemacht?“ Er nickt:
„Neben dem Laufen ist Kochen meine dritte Leidenschaft“, flüstert er mir zu. Plötzlich beugt er sich zu mir über den Tisch und reicht mir ein Löffelchen seines Erdbeerschaums. Genüsslich schließe ich die Augen und lasse ihn in jeden Winkel meines Mundes kreisen und dann auf der Zunge langsam zergehen. Als ich die Augen wieder öffne, schnappt er mich und setzt mich auf seinen Schoß. Er streicht durch mein Haar, berührt mein Gesicht mit seinen schlanken, zarten Fingern und haucht mir Küsse ins Ohr. Mit der anderen Hand öffnet er langsam, ja fast zärtlich meinen Reißverschluss am Kleid und tastet genauso zärtlich über meinen Rücken. Mir läuft ein Schauer nach dem anderen darüber und ich halte meine Augen geschlossen. Nur so kann ich seine Berührungen genießen. Meine Schwester Lisa ist ganz weit weg von mir und ich will auch gar nicht an sie denken. Jetzt nicht!
Plötzlich steht er auf und trägt mich ins Schlafzimmer. Wie selbstverständlich schlinge ich meine Arme um seinen Hals und küsse ihn auf den Mund, lang und intensiv. Ich bin erregt wie schon lange nicht mehr. Er lässt mich aufs Bett plumpsen, zerrt mir das Kleid vom Leib und wirft meine Schuhe in irgendeine Ecke des Zimmers. Ich rieche den Duft von Vanille und Honig; auch hier brennen Kerzen und ich höre aus der Ferne leise Musik. Ein heißes, brennendes Verlangen steigt in mir hoch und macht sich in meinen tiefsten, inneren Regionen breit. Ich rücke näher an ihn heran.
Er riecht verdammt gut. Feiner Schweiß hat sich auf seinen Armen gebildet und glänzt leicht im Kerzenschein.
„Alles in Ordnung? Sag doch was! Du guckst so seltsam“, flüstert er mir erregt ins Ohr, während er sich die Kleidung vom Körper reißt. Statt zu antworten, drehe ich mich in seine Richtung, lege meine Beine leicht gespreizt über seinen Schoß, gerade soweit, dass er meine samtige Haut bis zu meinem Slip sehen kann. Unwillkürlich wandert sein Blick dorthin. Seine Lippen zittern. Ich nehme seine Hände und lege sie auf meine Beine. Sie fühlen sich dort gut an und ich stelle mir gerade vor, was diese Finger noch alles für mich tun könnten. Leise stöhne ich auf. Die Lust überwältigt mich. Er küsst mit den Lippen zärtlich meinen Busen. Ich bewege mich mit den Hüften auf ihn zu, drängend. Ich atme schwer und ich will ihn. Meine Lust wird nahezu unerträglich. Ich stöhne, beide bewegen wir uns nun schneller, heftiger, fordernder. Seine Hände greifen nach meinem Hintern, seine Lippen umschließen meine Brustwarzen. Wir küssen und liebkosen einander, wälzen uns wild im Bett herum solange, bis unsere Körper schweißnass und erschöpft zurück in die Kissen fallen. Eine neue Welle der Erregung macht mir meine Schamlosigkeit bewusst, die ich nicht bereue. Ich drehe mein Gesicht zu Paul und versuche ihn zu küssen, ihn teilhaben zu lassen. Aber Paul hat kein Interesse mehr an mir. Er schiebt mich von sich weg. Ihm reicht es nun. Wortlos verlässt er das Zimmer und geht duschen. Ich streife meine Kleidung über meinen schweißigen Körper und verlasse sein Haus. Wütend fahre ich nach Hause: Was erlaubt sich dieser Kerl eigentlich? Was denkt der wer er ist? fluche ich im Auto bis zu meiner Wohnung. Ich nehme ein Vollbad und öffne eine Flasche Prosecco. Dann lese ich wieder dieselbe Stelle in Lisas Tagebuch. Die, in der Paul versucht hatte, Lisa mit Handschellen ans Bett zu fesseln. Arme Lisa. Es war ein Schock für sie gewesen, von dem sie sich nur schwer erholt hatte. Ich las:
Ich kam mir so hilflos, so ausgeliefert vor. Paul schien seine helle Freude daran zu haben, mich so ängstlich und panisch zu sehen. Er hatte mir wieder seinen
schwarzen Seidenschal um den Mund gebunden und knetete meinen prallen Körper. Als er nach einer halben Stunde – mir kam es wie eine Ewigkeit vor - Genugtuung verspürte, machte er mich los und ließ mich einfach so liegen. Es war die größte Demütigung seit langem für mich. Und das seltsame war, ich hatte ihn damit glücklich gemacht und das wiederum machte mich zufrieden.
Morgen Abend bin ich bei Paul zum Abendessen eingeladen. Er will etwas für mich kochen. Das hat noch nie jemand für mich gemacht. Ich bin so glücklich und könnte die ganze Welt umarmen. Vorhin hat Conny mich angerufen und wieder einmal nur
von sich erzählt. Sie will sich mit mir treffen, übermorgen beim Italiener am Dom. Vielleicht erzähle ich ihr von Paul. Mal sehen, wie sie so drauf ist. Oder ich behalte mein Geheimnis erst einmal für mich. Ist vielleicht erst einmal besser so.

Das Telefon klingelt. Es ist mitten in der Nacht.
„Hallo“, sage ich und am anderen Ende der Leitung ist Paul.
„Morgen um 18 Uhr an der Bank? Gute Nacht“ sagt er und legt auf, bevor ich überhaupt etwas darauf erwidern kann. „Dieses arrogante Arschloch“, fluche ich laut und trinke den Rest der Flasche auch noch aus bevor ich weiter lese.

Conny würde mich sicher auslachen, wenn sie von Paul wüsste und nicht verstehen, dass er so eine wie mich begehrt. Er begehrt mich wirklich obwohl er mir manchmal schon Angst macht so wie bei meinem letzten Besuch bei ihm. An diesem Abend war er irgendwie anders. Seine Begrüßung war knapp und sein Kuss nicht so innig wie sonst immer. Er lag in seiner Relaxliege mit einer Zeitung und blickte nur kurz auf, als ich den Raum betrat. Sofort kam er zur Sache und befahl mir, meine Krankenschwestersachen anzuziehen, die er aus einer Schublade zog. Etwas irritiert sah ich ihn an und er wurde ärgerlich und laut, als ich mich zunächst weigerte und wissen wollte, warum er das von mir verlangte. Er lachte gehässig und das machte mir Angst was er sofort bemerkte und dann setzte Paul sein mildes, freundliches Lächeln auf, das ich so an ihm liebte. Er kannte mich ganz genau, fiel mir auf. Ich tat was er mir befahl und musste langsam durchs Zimmer schreiten. Plötzlich trat er hinter mich und legte mir einen schwarzen Schal um die Augen und befahl mir, mich auf einen Stuhl zu setzen. Ich machte alles so, wie er mir sagte aus Angst, er könne mich verlassen. Aber ganz wohl war mir nicht bei dem Gedanken. Ich spürte seinen Atem dicht vor meinem Gesicht und er flüsterte: „Wie schön du bist, Lisa! Weißt du das eigentlich? Welch ein Glück für die Patienten, die dich täglich so sehen können und ich danke dir, dass auch ich einmal für kurze Zeit in diesen Genuss komme und dich so sehen darf!“ Meine Hände waren klatschnass vor Angst und ich saß im Dunkeln, nur seine Stimme hörend. So etwas war neu für mich und ich hatte keine Ahnung, ob das normal war. Mir fehlt es ja an Erfahrung in dieser Richtung. In diesem Augenblick dachte ich an Conny. Sie hätte anders reagiert und nicht so wehrlos auf diesem Stuhl gesessen. Ich machte alles, was Paul von mir verlangte; ich war im schon hörig zu diesem Zeitpunkt und er nutzte meine Naivität schamlos für sich aus. Obwohl es mir klar war, konnte und wollte ich nicht mehr zurück. Ich konnte nicht genug von ihm bekommen, egal was er noch von mir verlangte. Er war meine große Liebe.
Paul kniete nun ganz nah vor meinem Gesicht und küsste mich auf den Mund. Langsam fing er an, mich auszuziehen und mir mit einem Gegenstand zärtlich über meine Innenarme zu ritzen. Dann leckte und küsste er die kleinen Wunden sauber. Ich stöhnte auf weil es brannte. Er nahm mir den Seidenschal ab. Paul kniete immer noch vor mir und knetete meine Brüste und gab tierische Laute von sich. Auch mich erregte dieses Spiel, das muss ich schon zugeben. Zugleich aber empfand ich eine Riesenscham bei allem, was Paul mit seinen Händen und mit meinem prallen Körper machte. Er schien es zu genießen und ich empfand Erleichterung, als ich mich wieder anziehen durfte.
Dann ließ er mich einfach so sitzen und verschwand ins Bad mit den Worten: „Wir sehen uns morgen, meine Kleine. Bis dann.“ Voller Scham und Traurigkeit, die sich mit Enttäuschung mischte, verließ ich sein Haus und fuhr zu meiner Wohnung. Dort machte ich mir Vorwürfe, dass ich für ihn nicht gut genug gewesen war und nahm mir vor, ab sofort all seine Wünsche – und seien sie noch so eklig für mich – zu erfüllen. Ich wollte ihn auf keinen Fall verlieren. Ich hatte doch nur ihn auf dieser Welt.

Bei diesen Zeilen wird es mir eiskalt. Ich bin plötzlich hellwach, trotz der Flasche Prosecco; zusätzlich zu den anderen Leckereien, die ich an diesem Abend
genossen habe. Ich muss ihm das Handwerk legen, das wird mir jetzt besonders klar und zwar so schnell wie möglich. Das bin ich Lisa schuldig.
Natürlich bin ich am nächsten Tag – es ist ein Samstag – um 18 Uhr an unserem Treffpunkt. Paul kommt strahlend auf mich zu, seinen ganzen Charme versprühend küsst er mich auf beide Wangen:
„Na, gut geschlafen?“, und gibt sich so, als wäre alles bestens. Ich lass mir auch nichts anmerken und antworte:
„Wie ein Murmeltier! Ist ja auch kein Wunder nach dem Superdinner und dem entspannten Sex mit dir“, dabei grinse ich ihn frech an.
„Den kannst du ab heute immer haben, wenn du ihn willst. Ich bin bereit! Sicher hast du noch mehr drauf und das sollten wir so schnell wie möglich ausprobieren. Heute Abend! Um acht bei mir?“, befiehlt er und ich bin einverstanden. Nachdem wir uns aufgewärmt haben, laufen wir die gewohnte Strecke bis zum Biergarten. Wir unterhalten uns über Belanglosigkeiten und niemand gibt Privates von sich preis. Warum auch? Für Paul sind nur Sex und seine Phantasien wichtig. Für mich steht dagegen eine andere Absicht im Vordergrund; ich will den Mörder meiner Schwester zur Strecke bringen. Dass ich dabei sexuelle Gelüste habe, ist mir nur Recht. Vor ein paar Jahren hat Lisa mir mal gesagt, dass ich die Menschen aussauge und eine große Egoistin geworden bin. Damals haben mich ihre Worte sehr getroffen aber in diesem Moment weiß ich, dass sie Recht damit hatte. Ich nehme mir alles, was ich kriegen kann. Der Sex mit Paul ist mehr als gut und ich nutze ihn für mich aus und mir geht es sogar gut dabei.
Heute Abend komme ich etwas legere daher als gestern. Etwas irritiert begrüßt er mich und bemerkt:
„Egal was du trägst, du siehst immer reizend aus, Conny. Am liebsten aber ist mir dein Körper, wenn du verstehst was ich meine. Also lass uns keine Zeit verlieren.“ Er schiebt mich direkt in ein Zimmer, das ich noch nicht kenne. Auf dem Tisch steht Champagner, ein Teller mit Antipasti und zwei kleine Teller mit Besteck, Servietten und zwei Gläser. Wieder einmal perfekt. Mein Blick fällt auf die wuchtigen Kerzen, die überall hier herum stehen. Paul schleicht um mich herum und fingert nach einem Feuerzeug, um die Atmosphäre anzuheizen. Ein kurzer Blick sagt mir, dass es dieses Zimmer gewesen sein muss und dieses Bett, wo Lisa die Handschellen angebracht wurden. Ich habe einen Plan und es muss mir heute gelingen, ihn zur Strecke zu bringen. Ich heuchle Entspannung vor, was mir nicht schwer fällt, noch nie schwer gefallen ist. Dabei schenke ich Paul mein schönstes Lächeln und fülle meinen Teller mit einer Feige, etwas Parmaschinken und einem Stück Melone, während er nichts ahnend unser Gläser mit Champagner füllt. Auch er greift zu und lässt alles genüsslich in seinem Mund verschwinden.
„Der heutige Abend soll etwas ganz besonderes für dich sein, mein Herz“, meint er.
„Ich habe da an etwas „Metall“ gedacht und glaube, es ist für dich kein Neuland, oder irre ich mich da vielleicht?“, meint er und sieht mich erwartungsvoll an. Zum ersten Mal kommt er für mich etwas unsicher rüber, was aber genauso schnell wieder vorbei ist. Er schreibt mir wieder vor, was ich zu tun habe. Das Maß ist voll. Mir schreibt niemand etwas vor, schon gar nicht ein Mann, denke ich und setze meinen Plan in die Tat um. „Du legst dich aufs Bett und machst alles was ich will, verstanden? Ich bin dein Herr und Gebieter“, grinst er mich selbstsicher an. Ich fingere mir in aller Ruhe das Melonenschiffchen vom Teller und führe es genüsslich zum Mund, während ich ihn dabei frech ansehe, was ihn für eine hundertstel Sekunde unsicher erscheinen lässt. Aber so einer wie Paul fängt sich schnell wieder, hat sich komplett im Griff, heuchelt Stärke vor und bietet einer Frau immer Paroli. Als ich den Teller geleert habe und er sich schon über mich hermacht, langsam, zart und mit viel Gefühl, drückt er mich sanft aufs Bett und greift hinter meinem Kopf nach den Handschellen. Im Bruchteil einer Sekunde drehe ich mich nach links, so dass er mit dem Bauch auf dem Bett liegt, mit dem Gesicht nach unten:
„Was soll das Conny? Du bist eine Spielverderberin und kannst es nicht ertragen, den zweiten Platz im Leben zu haben, was? Es ist doch nur ein Spiel“, jammert er, wie ein Kind, dem man den Ball weggenommen hat.
Er dreht sich auf den Rücken. Ich setze mich auf ihn, drücke seine Arme nach hinten an das Metallgestell des Bettes und lasse die Handschellen um seine Handgelenke klicken. Er zappelt mit den Beinen und droht mir mit entsetzlichen Worten. Ich bin in
Hochstimmung und hole mir das im Tagebuch beschriebene breite Klebeband aus der Kommode, um seine Beine zusammen zu binden. Ich streife die schwarzen Latexhandschuhe über, die er extra für mich bereitgelegt hat, während er panische Laute von sich gibt. Aus meiner Handtasche hole ich das Fläschchen E 605 forte und tropfe die Hälfte in sein Champagnerglas und flöße ihm schlückchenweise das tödliche Gift ein. Atropin wäre das Gegengift, um ihn noch am Leben zu halten. Doch wer weiß das schon und kann es ihm zu diesem Zeitpunkt besorgen? Seine Haushälterin wird erst morgen Mittag kommen und ihn so finden. Seine Augen gucken mich noch wild an und ich merke beim Verlassen des Zimmers, wie so langsam das Leben aus seinem Körper verschwindet.

Ich sitze im Flugzeug und bin auf den Weg nach Buenos Aires, tauche ab in eine 3,9 Mio. Stadt. Dort werde ich mir eine neue Identität zulegen und dann den Rest meines Lebens da verbringen. Eine freundliche Stewardess reicht mir die Tageszeitung. Ich lese die Schlagzeile fettgedruckt gleich auf der ersten Seite:
Werbechef tot in seiner Villa von Haushälterin aufgefunden! Gefesselt an Händen und Füßen!
Ist es die Rache einer seiner zahlreichen Gespielinnen gewesen?
Kölner Polizei tappt im Dunkeln und bittet die Bevölkerung um sachdienliche Hinweise, die zur Aufklärung dieses mysteriösen Mordes führen können. Tel.: 0221…
Ich falte die Zeitung zusammen, lehne mich entspannt zurück, schließe die Augen und bin für alles bereit, was mich in Zukunft erwartet. Lisa wäre stolz auf mich gewesen…

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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2008

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