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Kapitel 1




Ich sitze im Café. Wer bin ich überhaupt? Mein Name ist Paul, ich bin 23, hoffnungsloser Single und seit 3 Monaten jeden Dienstag und Freitag im selben Café. Das „warum“ könnt ihr euch sicher denken. Und es sind nicht die außerordentlich guten Kaffee Latte´s.
Es ist wegen ihr. Ich weiß weder ihren Nachnamen, noch wo sie wohnt, was sie macht oder wie alt sie ist. Ich weiß nur, dass sie jeden Dienstag und Freitag immer am Tischen gegenüber sitzt, in einer Zeitschrift blättert und sich darüber aufregt, dass ihr Handyguthaben aufgebraucht ist, nachdem sie nur „kurz“ mit einer Freundin telefoniert hat.
Ja ich hatte dieses angenehm betäubende kribbeln in der Magengegend und das dümmlich aufgesetzte Grinsen wenn sie mit wehenden Haaren durch die Tür kam. Ich grinste immer noch als sie auf einem Eiswürfel ausrutschte, fiel und sich unbeholfen aufrichtete. Und ich wusste nicht warum… Da schickt mir Gott schon DIE Einladung. Ich hätte ihr aufhelfen können, sie fragen können wie es ihr geht und es dann nochmal mit Nachdruck wiederholen können. Aber ich tat es nicht. So saß ich auch diesen Freitag im Café und wartete. Ich wartete lange und ich überlegte wie viele Latte Machiatos ich noch vertragen würde bis ich kotze. Dann überlegte ich warum sie nicht gekommen war. War sie auf einem Eiswürfel ausgerutscht? Hatte sie diese Woche mehr Guthaben und vertelefonierte es gerade? Oder viel schlimmer; hatte sie jemanden kennengelernt und verbrachte sie mit ihm gerade einen romantischen Abend oder saß mit ihm in einem feinen Restaurant?
Wenn ich zurückblicke war das ziemlich kindisch, was hatte ich schon für Ansprüche an diese fremde Person? Ich kannte sie ja nicht einmal, geschweige denn, dass ich mich getraut hätte sie anzusprechen. Später, um genau zu sein, 14 Bier später, begnügte ich mich mit dem Gedanken, dass doch nur Versager und total einsame und verzweifelte Singles jeden Dienstag und Freitag in dasselbe Café gehen würden.
Auch die nächsten Wochen tauchte sie nicht auf. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte und ertränkte meinen Kummer in Massen an Kaffee. Ich kann also nicht sagen, ob ich nachts wegen ihr oder dem vielen Koffein nicht schlafen konnte. Jedenfalls hatte ich Zeit zum Nachdenken. Ich fragte mich was ich bis jetzt erreicht hatte. Ich war Student für Politikwissenschaften und Politikrecht. Schon damals dachte ich mir: Man macht dich dein Studium begehrt und heiß… Meine längste Beziehung dauerte knapp 2 Jahre. Ich habe die Beziehung beendet. Wie eigentlich jede meiner Beziehungen. Ich war mir schon im Klaren, dass das ein Muster ergab und ich mich eigentlich persönlich als Beziehungskrüppel bezeichnen müsste, aber irgendetwas gab mir Anlass, genau das nicht zu denken.
Nach drei Wochen sah ich sie wieder. Sie war etwas gebräunter und trug eine neue Tasche von D&G. Wahrscheinlich war sie die einzige die nicht merkte, dass die Tasche gefälscht war, (ausgeschrieben stand dort Dollschee und Gabbahna) denn sie trug sie mit einer so anmutend, hochnäsigen Arroganz, dass jeder Gedanke, sie würde es mit Absicht tun, mein Weltbild innerhalb Sekunden hätte einstürzen lassen. Doch ich war mir im Klaren, es musste etwas passieren. Ansonsten würde ich noch mit 30 hier sitzen, Kaffees schlürfen, wenn ich nicht bis dahin schon längst an meiner Koffeinsucht gestorben bin, und einer Frau verliebt hinterher sehen die niemals gewusst hat, wer ich überhaupt bin.
„Hi“, platzte es aus mir heraus. Entweder war es der enorme Koffeinschub oder die enorme Hitze in meinem Mund, nachdem ich ohne zu überlegen meinen frischen Cappuccino herunterstürzte, die mich veranlasste aufzustehen, auf sie zuzugehen und sie anzusprechen.
„Hi“, antwortete sie. Ich dachte wow, sie hat eine Engelsstimme. „Hi“, sagte ich. Was sie leicht verwunderte, denn ich hatte es keine 30 Sekunden vorher schon mal erwähnt. „Marie“, und sie reichte mir ihre Hand. Um mich vor meinem nächsten „Hi“ zu retten trank ich ihr Wasser mit einem Zug aus. Ich glaube ein drittes „Hi“ wäre weniger peinlich gewesen. „Der Kaffee war heiß“, rechtfertigte ich mich nach Luft japsend. „Verstehe“, schmunzelte sie mir entgegen und saß dort einfach lächelnd vor mir.
Ich habe von Expeditionen gelesen, von Naturschauspielen, von den schönsten Frauen der Welt, aber ihr Lächeln ließ mich in Sphären abtauchen, deren Existenz ich jederzeit unter Eid geleugnet hätte. Sie machte alles anders.
Ich saß mich lachend zu ihr an den Tisch nachdem sie auf den Stuhl ihr gegenüber zeigte. „Ich zahle natürlich das Wasser“. „Schon gut“, sagte sie. „Wie heißt du?“. „Ich?“. Sie blickte sich verschwörerisch um flüsterte mir zu: „Nein, ich meine den Zwerg unter unserem Tisch der seit Monaten immer in dasselbe Café geht, sich mit Kaffee zuschüttet und seinen Kaffeekonsum nach meinem Urlaub in Polen sichtlich erhöht hat. Errötend beugte ich mich vor und sah unter den Tisch. Als ich wieder hochkam sah ich sie an und wir lachten gemeinsam. Ich fühlte mich wie ausgetauscht, frei, ich wollte die Welt umarmen. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählte mir, dass sie gerade ein freiwilliges soziales Jahr macht und noch nicht weiß was sie danach machen wolle. „Das Schicksal wird mir schon den richtigen Weg weisen, immerhin hatte es mich ja auch in dieses Café gebracht, oder?“. Ich grinste nur dümmlich zurück, aber das war in diesem Augenblick völlig unbedeutend. Später gab sie mir ihre Nummer und noch am gleichen Abend rief ich sie an. Wir redeten bis spät in die Nacht. Sie verschlief ihren Schichtbeginn und ließ sich krankschreiben und ich verpasste ein Seminar über die Rechtsausdrücke in einem kommunalen Verkehrsausschuss über die Planierung eines Waldweges. Ich meldete mich nicht krank, ich wäre eh nicht hingegangen. In der späteren Prüfung sollten mir drei Punkte zur Höchstpunktzahl fehlen. Verfluchte Waldwegverbreiterungsverordnung von 1997! Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir trafen uns die nächsten Tage regelmäßig. Schließlich landeten wir eines Abends bei mir. Wir hatten beide etwas getrunken und dann sitzt man sich gegenüber auf der Couch und guckt sich mit diesem berühmten Blick in die Augen den man sonst nur aus Fernsehromanzen kennt. Meine Mutter glaubt noch heute mir wäre Majonäse über ihrer Decke ausgelaufen.
Es konnte nicht besser laufen bis der Alltag uns einholte. Ich hatte durch mein Studium wenig Zeit und war oft gestresst und brauchte meine Ruhe. In ihrer Einrichtung erging es ihr nicht besser. Sie wurde herumkommandiert und musste die untersten Aufgaben verrichten.
Wir waren nun seit 8 Monaten zusammen und irgendwann kommen viele Paare an einen Punkt, an dem sie nur noch schweigend nebeneinander vor dem Fernseher sitzen und sich eine Reportage über alternative Energiegewinnung auf N24 angucken. Wie konnten wir uns schon nach 8 Monaten auseinanderleben? Rückbetrachtet auf mein Leben ist diese Frage völlig unberechtigt, aber das wusste ich damals natürlich nicht.
Wir gingen also weniger aus, unternahmen mehr mit unseren alten Freunden und es baute sich langsam eine Mauer zwischen uns auf.
Und dann war ich es wieder, der den größten Fehler seines Lebens begehen sollte. Jedenfalls dachte ich das zwei Wochen nachdem ich ihn beging. Ich traf mich mit ihr in einem Café und begann mit den unheilverkündenden Worten: Schatz, wir müssen reden.
Ja ich machte mit der Person Schluss, der ich Monatelang in einem Café hinterher träumte, mit der ich mir vorstellen konnte eine Familie zu gründen, von mir aus auch mit 10 Kinder und einem Hund, mit der Frau, mit der ich alt werden wollte. Ich dachte ich müsste das Leben genießen, mich nicht auf eine Frau festlegen, ich hatte Angst mit 25 schon alt zu sein.
Die nächsten drei Wochen wurden zu den schlimmsten meines Lebens, das kann ich heute noch bestätigen! Die leere Betthälfte beim Aufstehen neben mir machte keinen Sinn, der Frühstücksplatz neben mir, der jetzt leer blieb, machte keinen Sinn. Kochen für nur eine Person machte keinen Sinn mehr. Ich wollte Leben indem ich mein Leben aus den Händen gab, wollte jung bleiben und alterte um Jahre. Selbst N24-Reportagen machten keinen Sinn mehr!
Nach vier Wochen schlafloser Nächte und der Erkenntnis, dass eine unglückliche unerwiderte Liebe sehr ähnlich einer selbst herbeigeführten, zerstörten Liebe sein kann, man liegt nachts im Bett und quält sich die ganze mit nur einer Frage herum: „Was macht sie wohl gerade?“ , fasste ich mir ein Herz und ging abends bei ihr vorbei. Bevor ich an ihre Tür klopfen konnte wurde sie vor meiner Nase aufgerissen und ein großer, breiter Mann mittleren Alters kam mir entgegen. Schlagartig wurde mir heiß und ich begann zu zittern. Dann kehrte ich in die Realität zurück und wunderte mich warum er zusammen mit einem ähnlich aussehenden Mann ein Sofa aus der Wohnung trug. Dann fiel mir auch der offene Umzugs-LKW vor der Tür ein. Mit einem „Entschuldigung“ drängte ich mich an den beiden vorbei.
Sie saß auf einem Stuhl in einem leeren Zimmer vor dem Fenster und schaute anscheinend in die Wolken.
„Hi“, war das einzige was ich hervorbringen konnte. Ihre Schultern fingen an zu zittern und eine Hand wanderte in ihr Gesicht. „Hi“, schluchzte es halb von drüben.
Sie hat die Trennung nicht verstanden und wollte nicht akzeptieren, dass es vorbei war. Ich war so wütend darüber, dass ich einmal ausfallend wurde und ihr Sachen an den Kopf warf für die so schnell keine Entschuldigung zu finden war. Seitdem habe ich sie 2 Wochen nichtmehr gesehen, geschweige denn etwas von ihr gehört.
„Was soll das alles hier?“, fragte ich verwirrt und verzweifelt. „Ich fliege morgen nach New York. Meine wichtigsten Sachen werden zu meiner Mutter gebracht. Ich habe ein Fotografiestipendium bekommen und werde dort für ein Jahr professionell ausgebildet und gefördert. Das wird sicher eine gute Erfa…“, dann fing sie an zu schluchzen und nahm sich ein Taschentuch. „Tschuldigung, es fällt mir nicht leicht, das alles hier hinter mir zu lassen, weißt du?“ Und ich wusste es. Ich hätte auf sie zugehen sollen, hätte sie in den Arm nehmen sollen und ihr sagen sollen, „geh nicht!“, aber das tat ich nicht. Stattdessen wünschte ich ihr viel Glück in New York, einen guten Flug und alles Gute für ihr späteres Leben.
Ich lief die gut 7km nach Hause. Ich brauchte einen freien Kopf. Mein Leben zog an mir vorbei und das einzige was aus den Erinnerungen meiner Vergangenheit hell leuchtend hervortrat, waren die Erinnerungen an sie. Als ich am nächsten Morgen im Taxi zum Flughafen saß wusste ich, dass das folgende die wahrscheinlich einzige Aktion meines Lebens sein würde, die ich niemals bereuen würde. Der Check-In für ihren Flug war schon im Gange und ich musste mich beeilen. Es war der einzige Flug an diesem Tag nach New York, ich nahm dies als Wink des Schicksals zu verhindern, dass der Flug vollständig starten würde!
Ich rannte durch die Gänge, wartete an den Schaltern, ich durchsuchte Cafés und Bars. Ich fand sie nicht… Ich schaute zur Anzeigetafel am Flughafen und sah zwei Flüge die in 10 Minuten starten würden und über Umweg nach New York flogen. Diese Flüge zeigte mir das Internetportal des Flughafens nicht an oder ich übersah sie schlichtweg.
Ich sank auf dem Flughafenboden zusammen. Eine gewaltige, schwarze Ohnmacht umgab mich und zerdrückte mich wie einen lästigen Käfer. Ich wollte nicht nach Hause, ich wollte diesen Flughafen nicht verlassen, ich wollte es nicht wahr haben. Sie war weg.
Als ich vor meiner Haustür ankam hielt ich kurz inne. Dann brach es aus mir heraus. Meine Faust schnellte gegen die Tür und ein gellender Schrei entfuhr meiner Kehle. Danach ein weiterer weil meine Hand so sehr weh tat. Ich wollte nicht in meine Wohnung, ich wollte sie nicht sehen, ich wollte diese Stadt nichtmehr sehen, ich wollte diese Welt nichtmehr sehen. „Wie sehr man jemanden liebt, merkt man erst, wenn es zu spät ist, es ihm zu zeigen“. Wenn ich gewusst hätte wer diesen Spruch verfasst hat, ich hätte ihn mit Sicherheit umgebracht und wäre er schon tot gewesen dann nochmal, das wäre auch sicherlich einfacher für mich gewesen. Aber ich wusste es nicht. Ich war immer noch in dieser Welt, immer noch in dieser Stadt, immer noch vor meiner Wohnungstür. Als ich sie träge öffnete fiel mein Blick auf einen kleinen Umschlag zu meinen Füßen. Ich öffnete ihn vorsichtig.


"Nimm mich wie ich bin.
Ich kann dich nicht gehen lassen. Zu groß ist meine
Angst dich für immer zu verlieren.
Du hast mir die schönste Zeit meines Lebens beschert und
kein Stipendium der Welt kann mich von dir Trennen.
Ich brauche dich und du mich. Sonst wärst du wohl kaum mit einem
Taxi zum Flughafen gefahren und hättest mich dort gesucht…
Ich habe Kaffee gekocht…♥"


Tränen benetzen unsere Wangen als wir uns in die Arme fielen und uns innig küssten. Und obwohl wir nur 3 Kinder und keinen Hund haben, fühlen wir uns nach 29 Jahren immer noch genauso verbunden zum anderen wie an diesem späten Nachmittag…

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An meine große Liebe Janika.

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