Montag. Heute war ich ausnahmsweise mal noch vor meinem Wecker wach. Ich war so aufgeregt. Der erste Tag an einer Universität, was erwartet einen da? Würde ich überhaupt auch nur einen kleinen Teil von dem verstehen wovon die Professoren redeten? Wären meine Eltern stolz auf mich? Würde ich meinen namenlosen Fremden wiedersehen? Er sagte er würde auch diese Uni besuchen. So viele Fragen aber keine Antworten. Ich war schon am grübeln was ich anziehen sollte. Am besten ich würde Carmen fragen. Duschen, das war doch mal ein Geistesblitz. Danach würde ich einmal Carmen mit einem Kaffee wecken und sie dann anflehen mir bei der Kleiderfrage für heute zu helfen. Was zog man für seinen ersten Tag denn auch an? Mit dem Becher Kaffee in der Hand schlich ich mich in Carmens Zimmer. Sie schlief tatsächlich noch. „Guten Morgen Schlafmütze! Aufstehen!“ Flüsterte ich ihr ins Ohr, da ich ihr keinen Schreck einjagen wollte. Ich brauchte sie ja lebend. Sie motzte mich zwar an, streckte sich dann und gähnte herzhaft. Dann nahm sie den Kaffeegeruch war und drehte sich ruckartig in meine Richtung. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie mich sah. „Frühstück ist fertig. Es steht alles auf dem Tisch. Es ist halb 8 und wir müssen erst um 10 in der Uni sein. Also haben wir genug Zeit.“ Sie trottete mir in die Küche hinterher.
Dort angekommen lachte sie mich an und sagte „Du brauchst mich nicht zu bestechen. Ich habe mir gestern Abend schon überlegt was du heute anziehen könntest.“ Mist, sie kennt mich schon zu gut und das nach so wenigen Tagen. „Du bist meine Rettung, aber das Frühstück ist nicht nur als Bestechung gedacht. Ich war schon so früh wach und dachte mir es wäre schön vorher noch gemeinsam zu frühstücken.“ Sie fiel mir um den Hals und sagte „Das ist lieb von dir. Ich weiß doch, dass du mich nicht nur bestechen wolltest. Die Idee war total gut. So haben wir noch die Gelegenheit uns etwas zu entspannen. Ich habe ja von dir gelernt wie hilfreich das sein kann.“ Wir genossen die Ruhe vor dem Sturm. Nachdem wir gegessen hatten zeigte mir Carmen was sie sich für mich outfitmäßig überlegt hatte. Einen petrolfarbenen taillierten Pullover mit einem Wasserfallkragen, der mein Dekollete zwar betonte aber auch nicht zu viel zeigte, da ich ein weißes Top darunter tragen sollte. Außerdem harmonierte die Farbe hervorragend mit meiner Augenfarbe. Dies war auch der Grund warum ich ihn damals gekauft hatte, aber getragen hatte ich ihn nicht oft. Dazu empfahl sie mir meine weißen Jeans und meine Ballerinas. Ich sah sie wegen der weißen Jeans etwas skeptisch an. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich kann doch nicht zu dieser Jahreszeit eine weiße Jeans anziehen.“ „Natürlich kannst du die Sonne scheint doch den ganzen Tag und es ist relativ warm. Außerdem ist doch erst Anfang September. Stell dich nicht so an und tu was ich dir sage!“ Ups, ich hatte es wohl geschafft Carmen ein wenig sauer zu machen. „Tut mir leid, ich stelle nie wieder dein Urteil in Sachen Klamotten in frage, okay. Bitte vergib mir noch einmal.“ Ich setzte meinen Schmollmund auf und schon konnte sie mir nicht mehr böse sein. „Zieh nicht so einen Schmollmund, ist ja gut, dir sei noch einmal vergeben.“ Mit diesen Worten rauschte sie aus dem Zimmer. Bei ihren Worten traf mich ganz unvermittelt wieder diese Traurigkeit. Mein Vater konnte mir bei diesem Gesichtsausdruck auch nie lange böse sein. Er musste dann immer lachen und der Streit war vergessen. Diese Gedanken verdrängte ich schnell. Ich konzentrierte mich auf mein Spiegelbild. Ich war mehr wie zufrieden, meine Haare trug ich offen und sie umschmiegten mein Gesicht. Ein wenig Mascara und etwas Lipgloss und fertig war ich.
Auf dieser Uni gab es eine Einführungsveranstaltung mit allen Erstsemestler. Ich hatte die Hoffnung meinen unbekannten zu treffen. Aber als ich mit Carmen eintraf, verflüchtigte sich diese Hoffnung schnell. Ich dachte dies wäre eine KLEINE Uni. Nun ja, trotzdem fingen in allen Bereichen insgesamt 500 Studenten an. Und mindestens 400 davon waren vor uns eingetroffen. Es blieben hier und da einzelne Plätze frei, jedoch zwei Plätze nebeneinander zu finden erwies sich als schwierig. Doch Carmen hatte keine Probleme uns Plätze zu finden. Sie fragte einfach eine Gruppe schüchtern aussehender Jungen „Würde es euch etwas ausmachen, wenn meine Freundin und ich uns zu euch setzen würden? Vielleicht könntet ihr ja noch einen Platz aufrücken?“ Sie ist einfach unmöglich, denn letzt endlich Stand der Junge den sie gefragt hatte auf und überließ ihr seinen Platz und ich nahm mit sehr schlechtem Gewissen den freien Platz.
Das schlechte Gewissen verflüchtigte sich augenblicklich, als er sich zu mir runter beugte seinen Blick nicht von meinem Busen losreißen konnte und mich fragte „Hey Süße, auf meinem Schoß ist es viel bequemer als auf diesem harten Stuhl.“ Ich war geschockt. Hatte gerade dieser harmlos aussehende Schuljunge, denn anders konnte man ihn nicht beschreiben, mich sexuell belästigt? Okay das klingt hart aber Gesetze lassen sich dehnen, ganz besonders in den USA. Carmen fing an zu lachen, nicht viel konnte sie jetzt beruhigen. In dem Moment ging der Dekan zum Rednerpult um seine Begrüßungsrede zu halten. Ich musste also zu harten Mitteln greifen um den Lachanfall von Carmen zu stoppen. Ich hielt ihr Mund und Nase zu und man konnte nur noch ein röcheln hören. Nach einigen Sekunden hatte sie sich unter Kontrolle besonders da ich sie auf den Dekan aufmerksam gemacht hatte. Aber trotzdem wurden wir von allen Studenten in unserer Nähe schmunzelnd gemustert. Mir stieg natürlich die Röte ins Gesicht. Nach einer Aufbauenden Rede über den ersten Baustein einer erfolgreichen Karriere verließ der Dekan das Podium. Als nächstes war der Präsident des Studierendenrates an der Reihe. Nach weiteren drei Reden war die Eröffnung offiziell zu Ende. Direkt im Anschluss begannen unsere Kurse. Carmen und ich trennten uns da sie in ihren Modedesignkurs musste und ich in den Jurakurs.
Im Seminarraum angekommen, der eher wie ein Klassenraum aussah, stellte ich fest, dass es sich um einen kleinen Kurs handelte. Nur 25 weitere Studenten waren anwesend. Ich suchte mir einen Platz im guten Mittelfeld. Ich war schon immer der Meinung, dass man dort am ungefährlichsten saß, wenn es um unerwartete Fragen ging. Ich nahm mir meinen Block und meinen Stift und war Startklar. Plötzlich wurde der Stuhl links neben mir zurück gezogen und jemand setzte sich. Dieser jemand sprach mich auch gleich an. „Das ist ja eine angenehme Überraschung, dass du auch in meinem Kurs bist, mit so einem schnellen Wiedersehen hätte ich nicht gerechnet.“ Ich konnte es nicht fassen, es war der Schuljunge der mich vor nicht einmal einer halben Stunde angemacht hatte. „Die Überraschung empfinde ich nicht als so angenehm, wie es dir erscheinen mag.“ Erwiderte ich in meinem besten britischem Schulenglisch kühl. Er sah mich erstaunt an, er hatte den diskreten Hinweis offensichtlich nicht verstanden, weil er daraufhin mit seinem Stuhl noch näher rückte und von oben in meinen Ausschnitt glotzte. Ich tat als ob ich nichts bemerkte sondern blickte starr nach vorn.
Während ich noch am grübeln war wie ich diesen Kerl ein für allemal loswerden könnte legte sich eine weiße Hand auf die Schulter des Kerls neben mir. „Ich denke du sitzt auf meinem Platz. Meine Freundin war vermutlich einfach nur zu höflich dir mitzuteilen, dass der Platz schon besetzt sei.“ Mein Kopf schoss in die Höhe diese Stimme würde ich immer wieder erkennen. Mein namenloser Fremder. Ich sah ihm in die Augen. Meine Reaktion war die gleiche wie bisher auch, stumm vor mich hinstarren und keinen sinnvollen Gedanken fassen können. Der Schuljunge blickte erst ihn dann mich schweigend an, er wog einen Moment ab ob ein Streit sich lohnen könnte, er entschied dass dies offensichtlich nicht der Fall war und verzog sich. Mein Unbekannter ließ sich neben mir nieder und lächelte mich wieder mit diesem speziellen Lächeln an. Nach einer Standpauke, die ich mir selbst hielt, dass ich endlich meine grauen Zellen für ihren eigentlichen Zweck benutzen sollte, schaffte ich es mich zu bedanken. „Danke, du hast mich vor dem gerettet. Ich kenne nicht einmal deinen Namen und trotzdem bist du offenbar mein Freund.“ Als die Worte heraus waren lief ich gleich mal wieder rot an. Ich hatte mich doch gerade zum Denken entschieden und dann das. Er grinste schief und sagte „Ich heiße Robert aber nenn mich doch bitte Rob. Und es war mir ein Vergnügen dir zu helfen. Aber bitte sag mir doch wie du heißt.“ „Sarah. So ein Zufall das du genau das gleiche studierst wie ich.“ Augenscheinlich studieren nur wenige internationales Finanzrecht. Okay das ist verständlich, die pure Theorie kann wirklich sehr trocken sein. „ Ja, was für ein Zufall. Aber ein glücklicher Zufall, denn sonst hätte ich dich nicht retten können.“ „Stimmt.“ In dem Moment erschien der Professor und begann den Kurs. Während des Kurses schaffte ich es fast die ganze Zeit mit meinen Gedanken beim Thema zu bleiben. Sie schweiften nur etwa einmal alle 5 Minuten zu meinem Sitznachbarn. Ja, ich gebe es zu ein Gedanke dauerte meistens 3 Minuten an. Das heißt ich habe immerhin 36 Minuten des Kurses mitbekommen. Der Prof entließ uns mit den Worten „Die Hausarbeiten müssen jeweils zu zweit bearbeitet werden. In ihrem späteren Berufsleben werden sie auch meistens in einem Team arbeiten müssen. Daher ist dies eine gute Vorbereitung. Die Paare habe ich alphabetisch zugeordnet. Somit ergeben sich folgende Paarungen. …und zuletzt Sarah Weber und Robert White. So dann sehen wir uns nächste Woche wieder.“
Ich war ein wenig geschockt, ich sollte mit Rob zusammen an unseren Hausarbeiten schreiben. Na super, wie soll ich mich denn auf Jura konzentrieren wenn er mir gegenüber sitzt? „Was hältst du davon, wenn wir uns heute Abend so gegen halb 8 treffen und eine Strategie für die erste Hausarbeit besprechen?“ Damit hatte er mich aus meinen Gedanken gerissen. „Klar können wir machen. Wo sollen wir uns denn treffen?“ „Wie wäre es wenn ich einfach zu dir komme, dann brauchst du nicht erst zu suchen. Ich weiß ja wo die Wohnheime stehen.“ „Okay, aber meine Mitbewohnerin ist wahrscheinlich auch da.“ „Das ist ja kein Problem. Ich muss mich jetzt beeilen, ich bin mit meiner Schwester in der Mensa verabredet. Bis heute Abend.“ Mein Gehirn hing ein bisschen hinterher. Rob kommt also heute Abend zu uns. Wir bereiten die Hausarbeit vor. Diese Fakten hatte ich verarbeitet, als die Panik einsetzte. Ich redete mir selbst gut zu. ‚Ruhig Sarah, es ist doch alles in Ordnung. Es kann nichts passieren Carmen ist doch die ganze Zeit da. Rob kommt heute Abend, ihr lernt zusammen und dann geht er wieder.’ ‚Nein!’ schoss es mir dann plötzlich durch den Kopf eigentlich wäre es schön wenn doch etwas passieren würde. Aber ich kannte ihn doch gerade erst und ich weiß doch so gut wie nichts über ihn, redete ich mir selbst ins Gewissen. Ich beschloss einfach nicht weiter dran zu denken und ging zurück in unsere Wohnung. Ob Carmen wohl schon wieder da ist?
Ich hatte den Schlüssel noch nicht ganz in der Tür, als diese schon aufgerissen wurde. „Wo warst du denn so lange? Ich bin schon seit mindestens zehn Minuten hier.“ „Ganz ruhig. Vor zehn Minuten konntest du noch nicht hier sein, denn da waren unsere Kurse gerade zu Ende. Jetzt lass uns setzen einen Kaffee trinken. Ich muss dir etwas erzählen.“
So erzählte ich Carmen alles was bisher passiert war. Ich erzählte ihr von unserem Treffen am See, wie gut er aussieht, wie er mich vor diesem sexbesessenen Schuljungen gerettet hatte und von unseren Hausarbeiten, die wir jetzt zusammenschreiben müssen. Nach einer halben Stunde hatte ich ihr alles anvertraut, bis auf diesen einen Gedanken der sich in mir fest gesetzt hatte. Ich, Sarah Weber, war auf dem besten Wege mich in Rob zu verlieben.
Als sie einen Moment über meine Geschichte nachgedacht hatte, hatte sie auch schon einen Schlachtplan entwickelt. „Okay, wir haben eine Menge zu tun, zuerst das wichtigste. Du kannst mit ihm zusammenarbeiten, du musst dich nur dazu zwingen ihm nicht in diese Magischen Augen zu sehen.“ Ich verdrehte die Augen, war klar dass Carmen das nicht versteht. Mal sehen wie sie die erste Begegnung mit Rob verkraftet. Selbst dieser Schuljunge hatte so seine Probleme damit sich von seinen Augen loszureißen. „Was deine Nervosität angeht, du, gerade du solltest doch wissen wie man einen ruhigen Kopf bewahrt. Deine Klamotten für heute Abend werden wir gleich aussuchen. Ich denke wenn du dich dann noch etwas mit der Hausarbeit vor eurem Treffen auseinandersetzt dann sollte es möglich sein, dass du auch eine gute geistige Leistung abliefern wirst und nicht nur nett aussiehst.“ Damit war sie auch schon aufgestanden und halb aus der Küche geflitzt. An der Tür hielt sie noch einmal inne. „Ach ja, bevor ich es vergesse. Ich werde dir nachher noch die Grundbegriffe des Flirtens beibringen.“ Bevor ich ihr auch nur meine Tasse an den Kopf werfen konnte war sie aus der Tür verschwunden. Clever von ihr schnell zu verschwinden.
Genug Zeit um mich zu ärgern hatte ich nicht. Sie hatte recht, wenn ich mich auf das treffen vorbereite fällt es mir bestimmt leichter ruhig zu bleiben. Aufräumen brauchte ich nicht, wir waren eigentlich beide recht ordentlich und wir wohnten ja auch erst seit wenigen Tagen hier. Ich entschied mich, unsere Küche mit unserer bereits gekauften Deko zu verschönern und einige Farbakzente zu setzen. Damit war ich um halb drei fertig. Jetzt die streberhafte Vorarbeit. Gut dass ich meine Literatur für dieses Semester schon zusammen hatte. Um halb fünf erschien Carmen wieder auf der Bildfläche mit zwei großen Tragetaschen, die nicht ganz leicht aussahen. „Ich war einkaufen, ich habe alles besorgt was man zum lernen braucht. Nur weil euer Jurakram total trocken ist müsst ihr ja nicht beim lernen verhungern oder verdursten.“ „Okay was hast du alles besorgt?“ Einfach gute Mine zum bösen Spiel machen, abhalten konnte ich sie jetzt eh nicht mehr. „Nur ein paar Kekse und Getränke, die brauchten wir ja eh. Ach und dann noch den Rest der Einkaufsliste, die wir aufgestellt hatten.“ Jetzt hatte es Carmen bis in die Küche geschafft, nachdem ich ihr eine der schweren Tüten abgenommen hatte. Sie blieb plötzlich stehen und drehte sich einmal im Kreis. Dann fing sie an zu lachen. „ Wow, du warst wohl auch nicht untätig. Die Küche sieht fabelhaft aus. Ich versteh echt nicht, warum du dein so offensichtliches Talent als Innendekorateurin nicht nutzt und es zu deinem Beruf machst. Mit diesen Kleinigkeiten, die wir besorgt hatten hast du dies hier gezaubert.“ Sie schüttelte den Kopf, ging auf mich zu. Ich hatte die Tüte in der Zwischenzeit auf den Küchentisch gestellt. Zum Glück, denn Carmen sprang mich auf einmal an gab mir einen dicken Kuss auf die Wange und umarmte mich fest. Wir haben uns dann an das Abendessen gemacht, wir wollten es mit Gemüselasagne versuchen. Nach dem Essen zog ich mich um. Ich trug jetzt eine bequeme Bluejeans und dazu meinen dunkellila Lieblingspullover. Zusammen mit meinen lila Kuschelsocken sah es gut aus, aber nicht gewollt. Mit einem Wort: Perfekt. Ich brachte alle Sachen, die wir brauchen würden in die Küche. Dort gab es den einzigen Tisch, abgesehen von unseren Schreibtischen. Danach versuchte ich mich zu entspannen und kuschelte mich mit Carmen vor den Fernseher es war erst sieben. Ich hatte noch eine halbe Stunde um meine Gedanken zu ordnen. Wie Carmen es die ganze Zeit schaffte still neben mir zu sitzen, sich an mich zu kuscheln und einfach nur der Sendung folgte war mir ein Rätsel. Pünktlich um halb 8 klopfte es.
Diesmal war Carmen es die eine Ruhe ausstrahlte. Sie flüsterte mir noch zu, dass ich einfach noch einmal tief durchatmen sollte. Ich stand vor der Tür, wie empfohlen holte ich noch einmal tief Luft stellte mir sein Gesicht vor um nicht meinen klaren Verstand einzubüßen und öffnete.
Rob stand vor der Tür und lächelte mich an. Fast war meine Konzentration flöten gegangen. Aber diese Ruhe, die ich eben auf der Couch empfand hielt noch an. So schaffte ich es zurück zu lächeln und ihn herein zu bitten. Ich nahm ihn mit ins Wohnzimmer und stellte ihm Carmen vor. „Das ist Carmen meine Mitbewohnerin. Das ist Rob.“ Carmen zuckte unmerklich zusammen, lächelte ihn dann aber an und war ebenso bezaubert wie ich. Sie schaffte es nur etwas schneller zu ihrem Ich zurück. „Sarah hat mir schon viel von dir erzählt. Ich denke ich sollte mich bei dir dafür bedanken, dass du sie vor diesem Schuljungen gerettet hast. Wenn der sie verschleppt hätte, hätte ich die beste Mitbewohnerin und Freundin verloren die man sich wünschen kann.“ Er blickte sie etwas verblüfft an, er hätte wohl nicht mit so einem Wortschwall in so kurzer Zeit gerechnet. Ja Carmen war schnell. Manchmal habe ich das Gefühl sie braucht nicht mal Luft zu holen. Oder hatte er etwa ihr zögern bemerkt? Mit seiner Frage riss er mich aus meinen Gedanken. „Wo sollen wir uns denn niederlassen?“ „Ich, …, ich hatte gedacht in der Küche, dann hat Carmen hier ihre Ruhe.“ Die streckte mir nur ihre Zunge raus.
Wir gingen in die Küche und fingen mit der Vorarbeit für die Hausarbeit an. Wir lasen die Aufgabenstellung und besprachen diese. Danach machten wir uns an die Lösungsansätze. Wir teilten ein, wer welche Aufgabenteile ausformulieren würde und damit hatten wir es für heute geschafft. Wir hatten eineinhalb Stunden erfolgreich zusammen gearbeitet, ich war so stolz auf mich. Ich schaffte es nicht nur mich die ganze Zeit auf die Arbeit zu konzentrieren, nein ich schaffte es auch gute Beiträge zu leisten. Wir unterhielten uns noch etwas über die neuen Professoren und Fächer. Ich erfuhr, dass er sehr gut in diesem Bereich war, er hatte eine Menge Vorwissen. So fragte ich ihn schließlich „Du scheinst bereits eine Menge über die Juristerei zu wissen, sind deine Eltern auch Anwälte oder woher stammt es?“ Bei dem Gedanken an seine Eltern zuckte ich kurz zusammen. Okay ich dachte es sei kurz. Es schien als würde er wieder einmal abwägen was er mir erzählen konnte. „Ich habe einfach bereits viel zum Thema gelesen. Waren deine Eltern Anwälte? Du scheinst ähnlich fasziniert zu sein wie ich.“ Er hatte die Vergangenheitsform bei der Frage nach meinen Eltern verwendet, woher wusste er dass sie nicht mehr lebten? Ich weiß 100%ig, dass ich ihm das nie erzählt habe. „Woher weißt du dass meine Eltern nicht mehr leben?“ „Du wirktest gerade so traurig, als du nach meinen Eltern fragtest, und gestern Abend hattest du geweint. Äh, da dachte ich mir eben das deine Eltern vor kurzem verstorben sein müssen.“ Das schockte mich, war ich so durchschaubar? „Ja, stimmt sie sind … Vor drei Monaten sind meine Eltern bei einem Verkehrsunfall gestorben.“ Ich hatte es so versucht, aber diese eine Träne konnte ich nicht zurück halten. Er streckte seine Hand aus fing die Träne mit seinem Daumen auf. Dabei sah er mir in die Augen und es schien als würde es ihm leid tun, dass er mir nicht den Schmerz ersparen konnte. Er sah mich fast entschuldigend an. Ich merkte mit leichter Verspätung, dass seine Hand ganz kalt war. Seine Haut schien auch sehr hart zu sein. Seine Haut war nicht nur so weiß wie die von einer dieser Porzellanpuppen, sie fühlte sich auch so an. Kaum war mir das aufgefallen, war seine Hand auch schon verschwunden. Vielleicht hatte ich mir das auch nur alles eingebildet. Nach dieser Geste schien er sehr verlegen zu sein. Er hatte es auf einmal sehr eilig nach Hause zu kommen. Also verabschiedete ich mich von ihm an der Tür und schloss diese mit einem seufzen hinter ihm.
Carmen hatte sich schon in ihr Zimmer verzogen und ich wollte auch nur noch ins Bett. Hatte in der letzten Nacht ja nicht viel Schlaf bekommen. Wieder einmal lag ich auf meinem Bett tief in Gedanken versunken. Ich war mir inzwischen sicher, dass ich mich in Rob verliebt hatte. Wann es passierte, wann ich mein Herz an ihn verlor? Genau in diesem einen Augenblick in dem er versuchte mir meinen Schmerz zu nehmen. Ich bin halt doch nur eine hoffnungslos romantische Frau. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
Mein Wecker riss mich aus diesem unglaublichen Traum. Rob stand vor mir an der Tür, ich wollte ihn verabschieden, auch wenn ich mir insgeheim wünschte er würde noch etwas bleiben. Er legte mir seine Hand an die Wange, doch diesmal beugte er sich zu mir vor. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Er kam näher und näher. Ich jubilierte innerlich, er würde mich küssen! Und dann wurde ich wach. Typisch, genau so läuft es doch immer. Immer ist dieser Wecker nur 10 Sekunden zu früh dran. Ich bin davon überzeugt, dass die Weckerindustrie irgendwie die Wecker manipuliert. Dadurch klingeln sie immer dann, wenn man im Traum am glücklichsten ist. Aber bei Alpträumen lassen die sich immer Zeit. Das ist doch reine Schikane.
Immer noch genervt von der Weckerindustrie kam ich in die Küche, in der mich Carmen mit einem Kaffee begrüßte. Ich bin mir sicher, sie ist ein Engel. Ein hyperaktiver Engel, aber ein Engel. Nach meinem ersten Schluck schien sie sicher zu sein, dass es jetzt ungefährlich ist mich auf Rob anzusprechen. „Hör mal, ich weiß ja nicht ob Rob wirklich so ein netter Kerl ist. Irgendetwas an ihm macht mir Angst.“ Ich sah sie verwirrt an, Rob soll einem Angst machen. Nun gut, wenn er es darauf anlegt ist er dazu bestimmt in der Lage aber sie hat doch bisher keinen Grund anzunehmen, dass er dies auch absichtlich tun würde. „Ich versteh nicht was du meinst. Er war immer nett zu mir. Er hat mir immer geholfen und hat versucht mich zu trösten.“ „Ja, ich weiß du hast mir das ja alles erzählt, aber irgendetwas an ihm ist merkwürdig.“ Wir ließen das Thema fallen und ich ging zu meinem Kurs. Carmens erster Kurs wäre erst später.
Im Seminarraum angekommen sah ich auch schon den Schuljungen der mich mal wieder anzüglich anlächelte. Ich entschied mich für einen Platz am genau gegenüberliegenden Ende des Raumes. Kurz vor Beginn der Vorlesung erschien Rob neben mir. Er setzte sich lautlos hin und drehte sich zu mir um. „Ich hoffe du hast nichts dagegen wieder in einem Kurs neben mir zu sitzen.“ „Nein, natürlich nicht. Wir kommen ja gut als Sitznachbarn aus.“ So langsam gelang es mir in seiner Gegenwart ruhig zu bleiben. Ja sein Aussehen wirkt immer noch überwältigend auf mich, aber ich schaffte es mittlerweile trotz Verblüffung zu denken. Für mehr Worte war keine Zeit, denn die Professorin betrat gerade den Raum.
Diesmal schaffte ich es sogar die gesamten 90 Minuten zu verfolgen. Als ich meine Sachen zusammenpackte drehte sich Rob zu mir um und fragte „Gehst du jetzt auch in die Mensa?“ „Ja, ich werde mich dort mit Carmen treffen, setz dich doch zu uns.“ „Das würde ich gern, kann meine Schwester sich auch zu uns gesellen?“ „Klar doch, dann lerne ich die auch mal kennen. Dann mal los.“ Wir liefen schweigend nebeneinander her. Es war jedoch kein bedrückendes Schweigen, sondern wir genossen einfach ohne Worte beieinander zu sein. So kam es mir auf jeden Fall vor.
Carmen winkte mich schon zu sich, als wir den ersten Fuß in die Mensa setzten. Ich war etwas besorgt wie Carmen auf Rob reagieren würde. So verging mir auch mein Appetit und ich schnappte mir nur etwas zu trinken und einen Apfel. „Du kannst ja nach deiner Schwester Ausschau halten und dann setzt ihr euch zu uns. Ich geh schon mal vor.“ So hatte ich eine Chance Carmen zu beknien bloß nett zu bleiben. Er kam mit einer wunderschönen Frau auf uns zu. Die Frau hatte das hübscheste Gesicht das ich jemals gesehen hatte. Sie hatte weiche Züge, große Augen, die die gleiche goldene Farbe hatte wie die von Rob. Ihre Haare vielen ihr in perfekten Locken bis zur Schulter und waren kastanienrot. Ihr voller Mund verzog sich zu einem fröhlichen Lächeln als sie erkannte zu welchem Tisch sie geführt wurde. „Sarah, Carmen, dies ist meine Schwester Marie. Ich entschuldige mich schon mal im Voraus.“ Carmen und ich wechselten einen Blick. „Hört gar nicht auf ihn. Er hat einfach nur Angst ich könnte etwas Peinliches über ihn erzählen. Zum Beispiel, das er seit er dich kennen gelernt hat nicht“ Weiter kam sie nicht. Rob sprach ihr hastig dazwischen. „Marie studiert übrigens im zweiten Semester Modedesign.“
Carmen und ich sahen uns in die Augen und fingen an loszuprusten. Wir wurden von den beiden anderen pikiert angesehen. Okay es war etwas übertrieben, aber wir waren gut drauf. Wir kriegten uns schnell wieder ein und Carmen erklärte immer noch leicht außer Atem „Sorry, es ist nur so lustig das Rob und Sarah das gleiche studieren und wir beide ebenfalls. Und diese Geschwisterstreitigkeiten sind auch sehr amüsant, wenn man sie nur als Beobachter erlebt.“ Jetzt lachten die anderen beiden auch. Während des Essens unterhielten wir uns angeregt. Ich erfuhr, dass Carmen mal Cheerleader werden wollte, aber wegen „unwiderlegbarer Differenzen“ mit ihrer Koordinationsfähigkeit von Hand und Fuß es nicht ins Team geschafft hatte. Rob und Marie erzählten, dass sie adoptiert waren und dass ihr Adoptivvater als Psychologe arbeitete und ihre Mutter einen kleinen Antiquitätenladen betreibt. Rob war einfach süß, wie er mit seiner Schwester umging. Er liebte sie offensichtlich, obwohl sie ihm so oft auf die Nerven ging. Auch wenn er der jüngere war schien er immer auf sie aufzupassen.
Das konnte ich der Erzählung über einen Ausflug entnehmen, den sie kürzlich unternommen hatten. Sie waren in Salem gewesen, Marie hatte Rob gezwungen mit ihr dort shoppen zu gehen. Auf dem Rückweg, mussten sie an einer Tankstelle am Highway anhalten um zu tanken. Er ging hinein um zu bezahlen, als er mitbekam wie ein Trucker seine Schwester bedrängte. Rob ging dazwischen und schubste den Trucker weg. „Wagen Sie es nie wieder meine Schwester auch nur anzusehen, Sie Dreckskerl.“ Schrie Rob den Trucker an, der sich ganz kleinlaut verzog. Also beschützte er nicht nur mich vor zudringlichen Kerlen. Marie meinte dazu nur „Wenn der Kerl mir wirklich etwas hätte tun wollen, hätte er sein wahres Wunder erlebt. Hört einfach nicht auf Rob, sein Beschützerinstinkt geht manchmal mit ihm durch. Als ob der mir etwas tun könnte.“
Rob und ich brachen kurz drauf zu unserer nächsten Vorlesung auf. Wir liefen wieder im Stillen einvernehmen die Gänge entlang. Einen weiteren Kurs saßen wir nebeneinander. Es viel mir immer leichter in seiner Gegenwart ich selbst zu bleiben. Ich konnte der Vorlesung folgen, fertigte diesmal auch hilfreiche Mitschriften an. Ich fühlte mich in seiner Nähe einfach wohl. Nach dem Kurs gingen wir zusammen zum Ausgang. Dort angekommen drehte ich mich zu ihm und fragte „Könntest du mir vielleicht deine Mitschrift aus dem Kurs von gestern vielleicht einmal borgen, ich war von den ersten Eindrücken so abgelenkt, dass ich das mitschreiben vergessen hatte.“ Das war nicht wirklich eine Lüge. Ich kann ja nichts dafür, wenn er falsche Schlüsse zieht und die Eindrücke mit meinen ersten Tag an der Uni verbindet. „Klar, die bringe ich dir morgen mit, wenn das früh genug ist“ antwortete er mit einem wissenden Lächeln. Hatte er mich wieder einmal durchschaut? Ach quatsch, das bilde ich mir doch nur ein. Sein Lächeln wurde breiter. Er schien sich gut zu amüsieren. Er räusperte sich und holte mich damit in die Wirklichkeit zurück. „Wo ich jetzt wieder deine Aufmerksamkeit habe, was macht ihr beide, du und Carmen denn heute Abend? Habt ihr schon etwas geplant?“ „Nein, haben wir nicht. Wieso?“ „Marie hatte mich gebeten euch ins Kino einzuladen. Sie dachte ein echtes amerikanisches Kino könnte dir gefallen. Den Film dürft ihr aussuchen.“ Mein Herz fing an wie wild zu klopfen. „Ich weiß nicht, wie Carmen darüber denkt, aber ich komme gern mit. Am einfachsten wäre es ja, wenn wir uns vor dem Kino treffen.“ „Nein, am einfachsten ist es wenn Marie und ich, dich und eventuell Carmen einfach abholen. Also sind wir um sieben bei euch. Bis dann.“ Mit diesen Worten war er schon auf dem Weg nach Hause. Ich blickte ihm noch einen Moment hinterher und seufzte. Immer verschwindet er so plötzlich. Aber heute Abend sehe ich ihn ja schon wieder.
In unserer Wohnung angekommen, fand ich Carmen auf der Couch. Sie unterhielt sich mit Marie ganz angeregt über die Modetrends der 20er Jahre. „Das ist ja gut, dass du hier bist. Dann hast du Carmen ja bestimmt schon gefragt.“ „Zuerst einmal, Hallo. Ja sie hat mich gefragt und ich habe sie gefragt ob wir das nicht auf ein anderes Mal verschieben könnten. Ich habe heute Abend einen Nähkurs, für den ich mich angemeldet habe.“ „Und ich habe gesagt wir schicken einfach euch beide ins Kino und ich begleite sie in diesen Kurs. Ich liebe das Schneidern und Entwerfen, das kann ich mir doch nicht entgehen lassen.“ warf Marie ein. Warum glaubte ich den beiden das bloß nicht? Es mag ja sein, dass es diesen Kurs tatsächlich gibt und Carmen den besuchen wollte aber Marie doch nicht. Sie ist doch schon ein Jahr weiter, sollte sie nicht bereits nähen können, genauso wie Carmen? Müssen die beiden denn ihre Entwürfe nicht selbst herstellen? Carmen schien zu bemerken, dass ich ihnen nicht glaubte. „Weißt du es handelt sich um einen Profinähkurs. Wir bekommen dort so einige Tricks gezeigt. Sei uns bitte nicht böse.“ „Nein, ich bin doch nicht sauer. So ein Kurs ist ja wichtig für euch. Vielleicht kannst du mir da ja ein neues Oberteil für den Winter schneidern.“ „Du wirst dich vor neuen Outfits nicht retten können, wir werden beide fast nur für dich arbeiten.“ „So schlimm sieht mein Kleiderschrank auch nun wieder nicht aus.“ Marie mischte sich jetzt ein. „Oh doch, ich habe Carmen kein Wort geglaubt, als sie behauptete du hättest nicht einen Rock im Schrank. Da hat sie mir einfach deinen Schrank gezeigt und ich war entsetzt. Übrigens dein Zimmer gefällt mir sehr.“ Argh! Wie ich es hasse wenn sie so etwas behaupten, als ob ich jetzt nicht gut angezogen bin. Nur weil ich meine Jeans – Pullover – Kombinationen liebe. Marie riss mich aus meinem Ärger. „…, ich hole nur schnell dieses eine Top, es ist als ob ich es nur für dich entworfen hätte. Bis gleich!“ Und schon war Marie genauso schnell wie ihr Bruder verschwunden.
Ich sah Carmen verständnislos an. „Sie holt ein Top, dass du heute Abend ins Kino anziehen sollst. Wage es nicht dich davor zu drücken, je mehr ihre Kreationen tragen desto eher fasst sie in der Modewelt Fuß. Also ziehst du es brav an!“ Ich konnte nur noch nicken. Jetzt machte Carmen mir doch ein wenig Angst. Ich fragte sie vorsichtig um sie nicht noch mehr zu reizen „Du sag mal, kann es sein, äh das äh Marie mich mit ihrem Bruder äh irgendwie …?“ Okay das war keine richtige Frage sondern nur Gestammel. Carmen schien trotzdem die Antwort zu kennen. Sie sah mich ungläubig an. „Natürlich will sie euch verkuppeln, deswegen hat sie Rob doch dazu überredet dich ins Kino einzuladen. So langsam sehe ich auch, dass er wirklich nett ist und mein erster Eindruck wohl absolut falsch war. Komm wir fangen schon mal mit deinen Haaren an.“ „Aber bitte nicht zu übertrieben. Ich weiß, dass es dir in den Fingern juckt meine Haare wieder in eine dieser zu eleganten Hochsteckfrisuren zu verwandeln. Ich würde sie lieber offen tragen. Bitte!“ flehte ich. Sie schaffte es ihr Lachen solange zu unterdrücken bis sie mir geantwortet hatte. „Ja deine Haare können offen bleiben. Ich wollte dir doch nur diese Haarkur verabreichen, damit deine Haare wie flüssiges Gold leuchten.“ Jetzt konnte sie sich nicht mehr halten. Ich konnte nur noch fetzen verstehen. „ …solch eine Angst vor Haarnadeln, …Hundeblick, …Glück zwingen…“ Ich verzog mich einfach irgendwann in meinem Zimmer, mit der Haarkur.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch um meine Mitschriften ins reine zu übertragen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich entschloss mich, die Haarkur jetzt zu machen. Danach ließ ich mich in meinen Lesesessel fallen und vertiefte mich in meine Gedanken. Will er überhaupt mit mir allein ins Kino gehen? Was ist, wenn er jetzt nur aus Höflichkeit nicht absagt. Was mache ich wenn er doch noch absagt? Ich drehte mich immer im Kreis bis meine Tür aufgeworfen wurde und eine siegessichere Marie in mein Zimmer stürmte. „So, du ziehst als erstes dies mit der hellen Jeans zusammen an. Danach setzt du dich hierhin und hältst den Mund bis ich fertig bin.“ Ich war zu verzweifelt um mich zu wehren. Außerdem war es ja ihre Zeit, die sie verschwendete. Ich hatte mich in der Zwischenzeit nämlich davon überzeugt, dass Rob einfach nicht auftauchen wird.
Nach gefühlten drei Stunden war Marie mit mir fertig. Ich sah großartig aus. Meine Haare strahlten wirklich wie helles Gold in der Mittagssonne. Das Top von Marie hatte genau die Farbe meiner Augen, es war wirklich perfekt für mich. Sie hatte mir noch Make up aufgelegt, sodass meine Augen strahlten, obwohl ich traurig aussah. Ich drehte mich um und umarmte sie zum dank. Ich erschrak heftig, als ich sie an meinem Körper spürte. Sie war, wie soll ich es ausdrücken, hart. Es fühlte sich an, als würde ich einen großen Stein umarmen, außerdem war sie eiskalt. Ich ging einen großen Schritt zurück und sah sie mit vor Schreck geweiteten Augen an. Sie wirkte ebenso geschockt. Schnell hatte sie sich aber wieder im Griff. „Was ist denn Sarah, warum siehst du so geschockt aus, hast du dich etwa selbst nicht im Spiegel erkannt?“ Ich brauchte einen Moment um ihre Frage zu verarbeiten und eine Antwort zu finden. „Ich … ich sehe echt toll aus. Ich hätte mich fast nicht erkannt.“ Zu mehr war ich nicht fähig. Sie schien zu wissen, dass ich für das gerade erlebte erst noch einen Moment zum verarbeiten brauchte, denn sie nutzte den Moment um zu verschwinden. „Carmen und ich müssen jetzt los. Rob müsste jeden Augenblick hier sein viel Spaß euch beiden.“ Und weg war sie. Nach einem Moment hörte ich unsere Wohnungstür ins Schloss fallen.
Ich stand immer noch am selben Fleck, als sich meine Zimmertür öffnete. Herein kam Rob. Er musterte mich ängstlich. Ich sah ihn an. Warum wirkte er ängstlich. Ist er etwas nervös, weil er denkt ich könnte sauer auf ihn sein, wenn er den Kinobesuch absagt. Er hat sich doch sogar persönlich hierhin bemüht um mir abzusagen. Sehr anständig von ihm. Aber was war das eben mit Marie, warum fühlte sie sich wie ein Stein an? Spielt mir meine Fantasie etwa streiche? Eigentlich bin ich mir aber sicher, dass es echt war was ich gefühlt hatte. Merkwürdig. Während ich immer noch reglos auf der Stelle stand, wurde Rob unruhig. „Bitte Sarah, setz dich doch erst einmal hin. Lass dir doch alles erklären.“ Ich blinzelte und sah ihn an. Okay da muss ich jetzt durch. Er will es mir erklären. Danach, ja danach … was dann? Ich riss mich zusammen. „O-Okay, lass uns ins Wohnzimmer gehen, da kannst du mir dann alles erklären.
Ich ging voran ins Wohnzimmer. Ich setzte mich in unseren Sessel, so musste er sich auf die Couch setzen. Er rang die Hände, er wusste offensichtlich nicht wo er anfangen sollte. Nach einigen Minuten, in denen ich mir das angesehen hatte, war meine Geduld erschöpft. „Jetzt sag schon was du zu sagen hast und dann kannst du gehen. Wir sehen uns dann morgen in der Uni und du kannst so tun, als ob du mich nicht kennst. Das ist schon in Ordnung.“ Sein Kopf schnellte in übermenschlicher Geschwindigkeit hoch. „Wenn es das ist was du möchtest, dann werde ich dich nicht mehr mit meiner Gegenwart belästigen. Ich werde Marie auch sagen, dass sie sich von dir und Carmen fern halten soll.“ Ich blickte ihn verletzt an. Ich versuchte wirklich nichts zu sagen, sondern es schweigend über mich ergehen zu lassen. Aber all der Frust über meine früheren Freunde, die nicht für mich da waren als ich sie brauchte, der Tod meiner Eltern und der Schmerz eines gebrochenen Herzens ließen mich wutentbrannt entgegnen. „Wieso ich, nein du willst mich doch nicht. Was hat Marie denn damit zu tun, Carmen hat sich mit Marie angefreundet sie verstehen sich so gut, wie kannst du ihnen da den Umgang verbieten nur weil du mich nicht magst. Ich kann dir nur versprechen, dass ich mich von Marie fernhalte aber verlange das nicht von Carmen.“ Ich hatte mittlerweile die Tränen in den Augen und kämpfte darum sie nicht fließen zu lassen.
Plötzlich fand ich mich stehend in Robs Armen wieder. Er drückte mich an seine Brust, die genauso hart und kalt war wie die seiner Schwester. Er fuhr mir beruhigend über den Kopf und flüsterte mir beruhigend mit seiner melodiösen Stimme ins Ohr. „Ich will mich doch nicht von dir fern halten. Ich liebe dich doch. Ich dachte, dass du mich nicht mehr willst, nachdem du gemerkt hast, dass Marie anders ist. Dir war doch klar, dass wenn Marie anders ist ich es auch bin.“ Ich schlang meine Arme um ‚meinen Stein’ und flüsterte „Ich liebe dich auch. Ich werde nie wollen, dass du mich in Ruhe lässt.“ Nach einigen glücklichen Momenten in seinen Armen fiel mir ein, dass er behauptete anders zu sein, aber wie anders. Er seufzte zog mich mit sich zur Couch und an seine Seite. Er drehte sich zu mir, sodass er mir in die Augen sehen konnte. „Du fragst was anders an uns ist. Nun das fängt mit dem offensichtlichen an. Du hast es ja schon bemerkt und fühlst es auch jetzt. Meine Haut ist für dich hart und kalt wie Stein. Aber wir unterscheiden uns noch in weiteren Punkten.“ Hier legte er eine kleine Pause ein und sah mich eindringlich an. „Ich … bin ein Vampir.“ Nun war sein Blick ehr ängstlich. Wovor hat er denn Angst?
Da verstand ich den Sinn seiner Worte. Er war ein Vampir. Ein Vampir? Haben die nicht scharfe Eckzähne, trinken Blut, schlafen in Särgen und am wichtigsten verbrannten sie nicht in der Sonne? Aber ich habe ihn doch vor der Uni gesehen im Sonnenschein. Ich war verwirrt. „Es stimmt, wir trinken Blut aber wir schlafen nicht in Särgen, die wenigsten Mythen sind wahr. Wir verbrennen nicht in der Sonne, weil wir Sonnencreme auftragen. Wenn die Sonne nicht so intensiv scheint können wir damit für etwa 30 Minuten in die direkte Sonne. Deswegen leben wir auch hier. Hier scheint eher selten die Sonne, wenn sie einmal scheint dann nicht so intensiv. Wir verbrennen auch nicht zu staub, wenn die Sonne uns doch einmal ungeschützt erwischt. Wir bekommen Verbrennungen und die schmerzen ganz schön, sind aber schnell wieder verheilt.“ Ich verstand so langsam, was er war. Da durchfuhr es mich wie ein Blitz. Wenn sie Blut tranken, dann wollte er vermutlich meins. Sonst wäre er ja nicht hier. Rob verkrampfte sich einen Moment neben mir antwortete aber auf meine Gedanken. „Ich bin nicht hier um dich zu töten. Wir leben nicht von Menschenblut. Wir leben von Tierblut.“ Das beruhigte mich. Ich erkannte aber, dass er schon seit geraumer Zeit immer auf meine Gedanken antwortete.
„Du kannst meine Gedanken lesen?“ „Ja, das ist eine Gabe, die aber nicht jeder Vampir besitzt. Marie zum Beispiel kann fühlen, was Menschen empfinden. Deswegen wusste sie auch wie erschrocken du wegen ihrer Haut warst.“ „Wenn du Gedanken lesen kannst, wie bist du dann auf die irrwitzige Idee gekommen, ich wollte dass du aus meinem Leben verschwindest?“ „Ich kann deine Gedanken nur hören wenn du sie gerade denkst und du wolltest doch dass ich verschwinden sollte.“ „So war das nicht gemeint. Ich wollte doch nur nicht leiden wenn du mich nicht willst.“ Ohne ein Wort zog er mich auf seinem Schoß und umarmte mich wieder fest und streichelte meine Haare. Ich war einen Moment verdutzt aber dann schmiegte ich mich an ihn. Nach einer Ewigkeit, die mir noch zu kurz erschien, zog ich mich leicht zurück. „Was machen wir denn jetzt?“ „Ich weiß es nicht.“
Ich seufzte, kletterte von seinem Schoß und setzte mich zurück in den Sessel. Ich wollte nicht von ihm abgelenkt werden. Ich musste genau nachdenken. So ging ich immer Probleme an. Okay, er ist ein Vampir und ich ein Mensch. Er liebt mich und ich ihn. Seine Schwester ist auch ein Vampir, seine Eltern vermutlich auch. „Ja sind sie“ Dieses Gedankenlesen ist echt nervig. „Tut mir leid“ „Schon gut, kannst ja nichts dafür.“ Weiter im Text. Carmen ahnt nichts davon, oder auf jeden Fall weiß sie nicht was sie geahnt hat. Was sage ich denn Carmen? Hey Carmen, Rob ist jetzt mein Freund, wir lieben uns, da er jetzt oft bei uns sein wird werde ich ein paar besondere Snacks für ihn im Kühlschrank aufbewahren. Rob fing an zu lachen. Er hatte meine Gedanken verfolgt. Lachte er wegen meinem Sarkasmus oder wegen der Sache mit dem Freund? Meine Hand wurde auf einmal leicht umfasst. Ich blickte in Robs Augen. „Bitte zweifele nie wieder an mir, solange du es willst, werde ich dein Freund sein oder auch etwas anderes.“ Ich war überglücklich, er wollte mein Freund sein. „Wie wäre es wenn wir jetzt ins Kino gehen, es sei denn, es ist schon zu spät dafür.“
„Wir schaffen es in eine spätere Vorstellung, welchen Film möchtest du denn sehen?“ Ich wusste ja nicht einmal was lief. „Wie wäre es wenn wir es gemeinsam vor Ort entscheiden?“ „Finde ich ne gute Idee, was ist eigentlich dein Lieblingsfilm, dann kann ich mir schon mal überlegen, ob etwas läuft, was dir gefällt.“ Ich bin eine, wenn auch junge, Frau, also ist mein Lieblingsfilm entweder Titanic oder Dirty Dancing. Da ich Katastrophenfilme nicht leiden kann. „Dirty Dancing“ Ich lachte, als er das Gesicht verzog. „Mit der Reaktion hatte ich gerechnet! Keine Angst ich mag auch so manchen Action oder Horrorfilm. Ich mag nur keine tragischen Filme, die dann auch noch auf wahren Tatsachen beruhen, wie Pearl Harbor oder Titanic. Wir finden schon etwas, das uns beiden gefällt.“
Wir entschieden uns für eine Liebeskomödie. Als im Kino die Lichter ausgehen zog Rob mich nah zu sich heran. Er legte den Arm um meine Schultern und ich schmiegte mich an seine breite Brust. Auch wenn er sich kalt und hart an meiner Wange anfühlte fühlte ich mich unbeschreiblich geborgen. Rob zog mich noch ein klein wenig näher zu sich und Küsste meine Haare. Mein Herzschlag beschleunigte sich wieder einmal. Viel bekam ich von dem Film nicht mit, ich nahm nur seine Nähe war und war einfach glücklich.
Als wir das Kino verließen nahm Rob meine Hand und wir schlenderten so zum Campus zurück. Carmen und Marie erwarteten uns im Wohnzimmer, sie schienen beide angespannt zu sein. Ich vermutete aber aus unterschiedlichen Gründen. Carmen, weil sie wissen wollte, ob ihr Kuppelversuch erfolgreich war und Marie, weil sie hoffte ich sei nicht durchgedreht auf Grund der Informationen die ich zu verarbeiten hatte. Ich hatte noch längst nicht alle Fragen beantwortet bekommen, aber das würden sie noch werden. Als beide unsere ineinander verschlungenen Hände sahen atmeten sie erleichtert auf. In Gedanken sagte ich zu Rob ‚sag deiner Schwester, dass alles in Ordnung kommen wird, sie soll sich nicht so aufregen ich habe es ja überstanden. Es war ja nicht ihre Schuld.’ Er nickte mir unmerklich zu. „Wie war der Film? Ihr seid spät wieder da, was habt ihr denn noch solange gemacht?“ fragte Carmen stürmisch. „Ich erzähle dir ja alles, also mach mal langsam.“ Rob zog meine Hand zu sich und küsste meine Fingerspitzen. „Marie und ich gehen jetzt. Wir sehen uns morgen in der Vorlesung. Schlaf gut mein Augenstern und träum was Schönes. Du auch Carmen. Gute Nacht.“ Marie wünschte uns auch noch eine Gute Nacht und weg waren die beiden.
„Bevor du anfängst mich zu löchern, ergebe ich mich freiwillig. Ich hole mir nur kurz etwas zu trinken, möchtest du auch was?“ Sie schüttelte ungeduldig den Kopf und ich verschwand schnell in der Küche. Was erzähle ich Carmen denn jetzt? Die ganze Wahrheit geht nicht, aber wie viel konnte ich ihr gefahrlos erzählen. Ich atmete noch einmal tief durch und ging ins Wohnzimmer zurück.
„Rob kam mich abholen, ich war einer Panik nahe, weil … weil ich dachte er würde nur kommen um mir abzusagen. Als er mich so sah, nahm er mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Da entschloss er sich, dass wir zuerst reden sollten und dann ins Kino. Er gestand mir, dass er sich in mich verliebt hat und ich gestand es ihm auch. Danach sind wir los ins Kino. Wir haben diese Liebeskomödie gesehen. Auf dem Rückweg haben wir Händchen gehalten. Bevor du fragst, nein er hat mich nicht geküsst.“ „Wow, ich weiß einfach nicht was ich sagen soll. Ach ja doch, seid ihr jetzt zusammen?“ Carmen sprachlos, na ja fast, das hätte ich nie erwartet einmal zu erleben. „Ja, wir sind jetzt zusammen. Darf ich jetzt ins Bett?“ „Geh nur, alles weitere kannst du mir ja morgen erzählen.“ Mist, sie hat gemerkt, dass ich einiges ausgelassen hatte. Aber jetzt erst einmal schlafen.
Wieder träumte ich von meinem jetzt nicht mehr namenlosen Fremden.
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2010
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