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»Schreib darüber eine Rezension. Die soll morgen früh der Aufhänger im Kulturteil sein!« Mit dieser Anweisung legte Erwin Frisch, Chefredakteur der Neuen Zeit, seiner Mitarbeite-rin Sandra Gossert einen Kriminalroman auf den Tisch. Seine kleinen, dunklen Augen sprühten dabei vor Ironie und sein Mund verzog sich zu einem bösen Lächeln, während er sich mit einer Hand über sein korrekt frisiertes Haar fuhr. Sandras Anblick ließ ihn wieder einmal daran denken, wie wichtig ein perfektes Auftreten war. Man musste immer auf sich achten, egal wie geringfügig seine Stellung auch sein mochte.
Sandras Äußeres wurde zunehmend zu einer Zumutung für ihn – weite, labberige Klamotten, ungepflegte, blau gefärbte Haare, und dazu war sie ständig noch ungeschminkt, was sie sich bei ihrem Gesicht wirklich nicht erlauben konnte.
Nun näherte er sich Susanne, die wie immer perfekt gestylt war. Und die ihn immer verliebt anlächelte, wenn er ihr eine Aufgabe zuschob. Egal, welche. »Ich habe etwas über unseren Freund Hans Pont von der Deutschen Allgemeinen herausgefun-den.«
Erstaunte Blicke von allen Schreibtischen quittierten diese Bemerkung, obwohl alle Anwesenden wussten, dass Frisch den Chef des Konkurrenzblattes hasste und keine Gelegenheit ausließ, ihn zu attackieren. Aber dieses Lächeln war verdächtig, er schien wirklich einen Trumpf in der Hand zu halten.
»Wie wir wissen, ist seine Zeitung eine Tochtergesellschaft der Holding Global-Gruppe. Irgendwie ist er an Insiderinforma-tionen gekommen, die er dafür genutzt hat, seine Aktien im richtigen Augenblick mit großem Gewinn zu verkaufen. Das wird ihm jetzt endlich das Genick brechen.«
»Okay! Ich mache daraus einen Aufreißer«, flötete die attraktive Journalistin.
»Bist du dir eigentlich für gar nichts zu schade«, giftete Sandra ihre Kollegin an. »Merkst du denn nicht, dass unser lieber Chef der Deutschen Allgemeinen einfach nur schaden will, ohne wirkliche Beweise? Das sind doch nur bösartige Unter-stellungen.«
»Liebe Sandra! Rede bitte nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst«, wies Erwin seine aufmüpfige Mitarbeiterin lautstark zurecht. »Dir habe ich ein Buch gegeben, das du übers Wochenende lesen und rezensieren sollst. Vielleicht kriegst Du wenigstens das hin.«
Sandra drehte das Buch in ihren Händen, entzifferte den ihr unbekannten Namen eines mexikanischen Autors und funkelte ihren Chef böse an.
»Ich habe dir doch eine Rezension über den neuen Krimi von Miranda Wellenstein vorgelegt – ›Mord um Mitternacht‹. Das ist wieder einmal hervorragend geschrieben, superspan-nend und spielt außerdem noch bei uns im Saarland. Warum willst du diese Rezension nicht bringen?«
»Wer bestimmt eigentlich, was in meiner Zeitung gedruckt wird und was nicht?« Erwin baute sich drohend vor seiner Redakteurin auf. Hatte sie schon wieder vergessen, dass er nicht nur der Chefredakteur der Neuen Zeit war, sondern zu-gleich auch deren Besitzer? Was bildete sich diese Schnepfe mit ihren lächerlich blau gefärbten Haaren eigentlich ein?
»Ich sehe nicht ein, warum wir ständig völlig unbekannten Autoren aus dem Ausland eine Chance geben und unsere einheimischen Talente wie die Wellenstein ignorieren«, wider-sprach Sandra mit einem vor Aufregung glühend roten Gesicht.
Der Chef konnte ein überhebliches Grinsen nicht unterdrü-cken. Er wusste, am Ende gaben immer alle klein bei, auch Sandra. Die Kollegen ließen ihre Blicke neugierig zwischen ihm und Sandra hin und her schweifen, sie fragten sich, wie lange es noch dauern würde, ehe der Chef auch dieses Duell gewann.
Susanne sog deutlich hörbar die Luft ein. Jetzt kam der Moment der Wahrheit. Susanne war sein Darling in der Redaktion, auf sie konnte er sich immer verlassen, nicht nur im Job. Und sie verzieh ihm all seine Fehler. Deshalb passierte es öfter, als ihm selbst recht war, dass er sie versetzte. Ihre letzte Verabredung hatte er wegen einer jungen, sexy Bewerberin total vergessen. Aber diese Brigitte Felten, die sich auf eine Stelle im Feuilleton beworben hatte, war einfach zu süß. Und zu heiß. Viel heißer, als er das je erwartet hatte. Insgeheim hatte Erwin längst beschlossen, Brigitte einzustellen und diese blauhaarige Kampflesbe zu entlassen.
»Ist dir eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, dass Erwin selbst am Besten weiß, wie man eine Zeitung führt?«, fragte Susanne ihre Kollegin in herablassendem Tonfall. »Die Neue Zeit gibt es schließlich nicht erst seit heute.«
Frisch horchte amüsiert auf und wartete gespannt, wie die-ser Disput weitergehen würde.
»Deine Meinung ist hier absolut nicht gefragt«, fauchte Sandra zurück. »Du machst für den Chef die Beine breit. Wer würde da noch Objektivität von dir erwarten?«
»Jetzt gehst du zu weit«, kreischte Susanne.
Frisch hätte diese Szene gerne noch weiter verfolgt, aber er wusste, dass er sich einschalten musste. Einen Zickenkrieg durfte er in seiner Zeitung nicht durchgehen lassen, allein schon wegen der anderen Mitarbeiter.
»Sandra, du schreibst die Rezension über das Buch, das ich dir gegeben habe. Und wenn dir die Bücher der Wellenstein so gut gefallen, kannst du ihnen ja bei Amazon fünf Sterne geben. Aber in meiner Zeitung ist dafür kein Platz.«
»Ich habe keine Lust, über irgendeinen Autor zu schreiben, dessen Geschichten hier keinen interessieren, während eine Autorin, die spannende Geschichten aus unserem Umfeld bringt, von dir ignoriert wird. Aus welchen Gründen auch immer«, gab Sandra ihrem Chef weiterhin Kontra.
»In Ordnung! Ich habe verstanden.« Er wandte sich zu Susanne, die ihn mit großen Augen anschaute. »Würdest du bitte die Rezension schreiben?«
Susanne nickte und schnappte sich das Buch von Sandras Schreibtisch.
Dann wandte sich Frisch mit einem bösen Blick wieder in Richtung Sandra und sagte: »Du kannst du dir am Montag deine Papiere abholen.« Ein erschrockenes Raunen ging durch den Raum. »Ich werde am Wochenende deine Kündigung schreiben.«
Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz seiner neuen italienischen Designerschuhe um und ging zügig auf den Ausgang zu. Durch die hohen Glasscheiben konnte er über der Saarbrücker Innenstadt dicke, schwarze Wolken erkennen, die sich am Himmel auftürmten. Auch die Luft fühlte sich auf einmal drückend und extrem schwül an. Auf seiner Stirn bildeten sich bereits erste Schweißtropfen.
Wie ärgerlich. Er hatte gleich eine Verabredung mit dieser süßen Bewerberin. Und dieses Date würde er bestimmt nicht platzen lassen. Er bekam ja schon einen Höllenständer, wenn er nur an diese Frau dachte. Nein, in einem völlig verschwitz-ten Outfit wollte und würde er sie nicht treffen, immerhin erwartete er noch einiges von diesem Abend.
Er öffnete die schwere Eingangstür. Ein warmer, heftiger Windstoß blies in die Büroräume der Redaktion.
Einen kurzen Augenblick beobachtete er Passanten, die sich ausnahmslos im Eilschritt bewegten, als versuchten sie, noch vor dem Gewitter ins Trockene zu gelangen. Frisch trat dennoch hinaus. Ein bisschen Regen würde ihm doch nicht einen lustvollen Abend verderben.
Doch kaum war der erste Regentropfen in seinem Gesicht gelandet, stürmte er zurück in das Redaktionsgebäude, schüt-telte sich und fragte in die Runde: »Hat jemand von euch einen Regenschirm?«
Genau in diesem Augenblick kam Manfred Sost aus den hinteren Räumen, in denen sich das Archiv der Zeitung be-fand, ins Redaktionsbüro.
»Manfred, altes Haus«, rief Frisch erfreut. »Wie ich dich kenne, hast du garantiert einen Schirm dabei. Alte Männer gehen doch nie ohne Schutzschild vor die Tür, oder?«
»Natürlich nicht, Jungspund«, gab Manfred zurück. Er war der Einzige hier, der so mit dem Chef sprechen konnte, weil er schon bei der Neuen Zeit gearbeitet hatte, als Erwin tatsächlich noch ein Kind war. »Ich habe meinen Schirm nur für junge Leute dabei, die noch nicht weit genug sind, um selbst an so was zu denken.«
»Wie gut, dass ich dich habe«, beteuerte Frisch. »Wo ist das Teil?
Er konnte seine Ungeduld nicht mehr verhehlen. Die Fel-ten würde bestimmt nicht ewig auf ihn warten, dafür war sie viel zu attraktiv. Sie hatte ihn in ihre Wohnung eingeladen. Und er malte sich in Gedanken schon aus, wie dieser Abend in ihrem Schlafzimmer enden würde. Allein die Erinnerung an ihren bisher einzigen Sex unter freiem Himmel ließ ihn ahnen, dass es für diese wilde Verführerin in ihren eigenen vier Wän-den keine Tabus geben würde. Frisch musste aufpassen, dass niemand sah, woran er dachte, während er auf den Archivar wartete.
Endlich tauchte Sost wieder auf und hielt ihm einen Schirm entgegen. Wie erwartet, war es wirklich ein Altherrenschirm – schwer, plump, mit einem viel zu dicken Griff aus massivem Holz. Aber das war Frisch in diesem Augenblick egal. Haupt-sache, er kam rechtzeitig zu Brigitte Felten. Und in ihr Bett!

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Texte: Solibro Verlag
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2011

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