Blind Date
Blind Date
Er saß an dem kleinen, runden Tisch.
Für die rote Rose – er hatte sie in dem schwer süsslich duftendem Blumenladen ausgesucht, bei der hübschen Frau mit der grünen Schürze mit den darauf aufgenähten Stoffsonnenblumen - hatte er sich eine kleine Vase bringen lassen. Langsam und mit prüfenden Blicken schob er sie in die Mitte des runden Tischchens. Schön fand er die Rose. In der Vase stand sie einsam vor ihm, und er fühlte sich, jetzt, als er sie so betrachtete, irgendwie auch einsam. Er beugte sich nach vorne und verschob sie erneut um eine Winzigkeit. Mit hin und her eilenden Blicken prüfte er, ob sie nun wirklich in der Mitte stand. Alles musste perfekt sein.
Er hatte diesem Tag mit großen Erwartungen entgegen gefiebert, ihn mal mit Besorgnis, mal mit Freude auf sich zukommen sehen. Je näher er ihm kam, desto häufiger wurden die ständigen Wechsel, die in unregelmäßigen Abständen wie ein Pendel, von der einen Seite zur anderen tauschten; eine Mischung aus Gefühlen, die schön und schaurig zugleich waren. Dass man sich so fühlen konnte - so lebendig, überraschte ihn.
Besonders in den letzten Tagen hatte er sich in diesen Emotionen verfangen. Sie umschlangen ihn wie dicke Seile, zogen ihn mit unsichtbarer Kraft und hielten ihn Nachts wach. Ständig war er durch seine Wohnung gelaufen, wusste nicht, wie er diese Nervosität besiegen und sich zur Ruhe bringen konnte. Er sah aus dem Fenster, setzte sich auf die Couch, schaltete den Fernseher ein, schaute durch die Programme, ohne sich auf die Bilder einlassen zu können, schaltete den Fernseher wieder aus, ging zum Fenster und irrte mit seinen Blicken über die vertraute Aussicht. Er überprüfte mehrmals am Abend den Inhalt seines Kühlschrankes, obwohl er nichts neues hineingestellt hatte, ließ überall kleine Staubflusen verschwinden, die auf wundersame Weise an anderen Orten wieder zum Vorschein kamen, und ordnete seine Büchersammlung neu. Auch hatte er sich schon Tage vorher immer wieder im Spiegel betrachtet, Mimiken geübt - Wie ihr wohl dieses Lächeln gefällt oder dieser interessierte Blick. Der Mundwinkel leicht nach oben gezogen, aber noch nicht perfekt - Er zog sich immer wieder um, probierte neue Zusammenstellungen aus, die Hose zu dem Hemd, das Paar Schuhe, welches sind die passenden Strümpfe, bis er sich schließlich für eine Kombination entschied, die ihm am sympathischsten war, weil er sie so eigentlich immer trug.
Jetzt saß er an dem kleinen, runden Tisch. Die Rose, genau in der Mitte, in der schmalen, eckigen Glasvase. Die Vase gefiel ihm wirklich sehr gut. Er überlegte, ob er sich nicht auch so eine, vielleicht auf seinen Küchentisch stellen sollte. Er würde den Barmann fragen, wo man sich so eine kaufen kann. Sie gefiel ihm wirklich sehr gut, die kleine Vase, mit der Rose darin, die ihm so einsam vorkam. Steht sie auch wirklich mittig?
Er sah auf die Uhr. Viel zu früh. Er war ungefähr 45 min vor der ausgemachten Zeit im Café eingetroffen. Er hatte es in seiner Wohnung nicht länger ausgehalten, die dicken Seile zogen ihn raus. Er wollte auf jeden Fall vor ihr dort sein, den schönsten Platz aussuchen. Der runde Tisch, rechts vom Eingang, direkt am großen Schaufenster zur Strasse, schien ihm der Beste zu sein. Wenn sie ins Cafe kommt, müsste sie sich erst einmal umdrehen, damit sie ihn sehen kann, ist dann vielleicht etwas verunsichert, weil sie nicht genau weiß, ob er es ist. Sie hatten sich ja nie zuvor gesehen. Das wäre ein kleiner psychologischer Vorteil, dachte er.
Nur den Treffpunkt - kleines italienisches Café in der Friesenstrasse – hatten sie ausgemacht, sonst nichts. Sich ein Erkennungszeichen auszudenken, daran hatten sie gar nicht gedacht. Man kannte sich ja, es würde schon schief gehen. Nur die Uhrzeit, punkt drei, und er wusste doch, wie sie aussieht, etwa 1,70, mit schulterlangem braunem, leicht gewelltem Haar, schlank, und seine Beschreibung kannte sie schließlich auch: 1,82, dunkles Haar und breite Schultern. Das musste reichen, um sich zu erkennen. Sie käme herein und würde jeden der einzelnen im Café sitzenden Herren genau betrachten. Daran würde er sie erkennen. Und wenn sie sich ganz zum Schluss ihm zuwendete, dann brächte er eine seiner so oft geübten Mundwinkelübungen zum Einsatz. Ein schickes, nicht zu aufdringliches, warmes, halb freundschaftliches, halb verliebtes Lächeln – er hatte es oft genug geübt vor dem Spiegel. Er würde aufstehen und ihre Hand drücken. Beim Gedanken daran rieb er nervös seine Finger aneinander und strich seine schwitzenden Hände über die Hose. Er würde ihren Stuhl zurechtrücken und sie säße sich elegant. Die Beine schlägt sie dann kokett übereinander und ihren weichen, dunklen Rock, würde sie sich damenhaft über die Knie ziehen. Sie reiche ihm ihren Hut und Mantel, die er zusammen an der kleinen Garderobe am Ende des Raumes, direkt neben seinem Hut und Mantel aufhängen würde.
45 min zu früh. Jetzt kam es ihm albern vor, die ganze Zeit zu warten. Bestimmt würde sie lachen, falls er es erzählte. Vielleicht behielt er es aber auch für sich.
Er sah wieder auf seine Uhr. Noch 15 min.
Er hatte seinen gleich bestellten Espresso schon ausgetrunken und überlegte, ob er noch einen trinken sollte, entschied sich aber dann, auf die Bestellung zu warten, bis sie endlich zusammen saßen. Dem dunkelhaarigem Kellner, mit diesem starken italienischem Accent, hatte er gleich mitgeteilt, dass er noch eine Begleitung erwarte. Er sei etwas zu früh gekommen, und möchte nur einen Espresso, hatte er mit einem breiten Lächeln gemeint, begleitet von hektischer, übertriebener Gestik.
Er sah sich im Cafe um, es waren nur noch wenige Tische unbesetzt. Nur ein weiterer einzelner Herr sass in der hinteren Ecke, und der entsprach nicht seinem Profil. Sie müsste ihn wohl sofort erkennen, wenn sie zu ihm drehte.
Die übrigen Tische waren mit Paaren besetzt. Zwei ältere Damen, jede mit einem dicken Stück Torte auf dem Teller, zwei junge Frauen, die eine rührte langsam in ihrem Kaffee au Lait, die andere hatte immer ihre Hand am Cappuccino, den sie gelegentlich anhob um einen kleinen Schluck zu nehmen, während sie sich unterhielten. Eine Mutter mit ihrem Sohn, der seine Beine immer in Bewegung hielt. In dauernder Rotation sah sie von ihrem Sohn zum Fenster und dann zu der großen weißen Uhr mit den schwarzen Zeigern, die über der Theke an der Wand hing. Wenn ihr Blick wieder beim Sohn angekommen war, forderte sie ihn auf, ruhig zu sitzen. Sie wartete wohl auf ihren Mann, der sie endlich nach Hause fahren sollte, dachte er sich, als eine junge Frau das Café betrat.
Sein Atem stockte, während sein Herz in dem plötzlich viel zu eng gewordenen Brustkorb explodieren wollte. Er war wie gelähmt und starrte zu ihr hin. Sie war etwa 1,70 groß, hatte braunes, leicht gewelltes Haar, das mit den Spitzen sanft auf den Schultern lag. Sie hielt inne, sah sich im Lokal um, blickte erst, wie er es vorhergesehen hatte, in den überschaubaren Teil, drehte sie sich dann in seine Richtung und sah ihm direkt in die Augen. Dann fiel ihr Blick wieder in eine andere Richtung, zu einem der leeren Tische, auf den sie dann direkt, ohne ihn noch einmal zu beachten, zuging und sich setzte. Der Kellner mit dem italienischem Accent kam, sie bestellte irgend etwas. Und flirtete sie etwa? Er starrte immer noch zu der jungen Frau, die sich munter mit dem, in typisch italienischem, lauten gebaren verhaltendem Kellner unterhielt. Er lachte ständig. Er konnte nicht hören worüber, aber das war auch egal, den er lachte sowieso über alles.
Sein Herz schlug immer noch schnell und seine Hände schwitzen stark. Er strich sie über seine Hose.
Die Frau hatte sich mit dem Rücken zu ihm gesetzt und schien sich nicht im geringsten für ihn zu interessieren. Sie wühlte in ihrem Täschchen, nahm ihr Handy heraus und beugte sich interessiert darüber. Oder fingerte sie einfach nur so an den Tasten herum, damit sie beschäftigt aussah?
Wahrscheinlich war sie doch nicht die Frau, sein Blind Date, die er in diesem Blind Date Forum im Internet kennengelernt hatte. Sie hatten sich das erste mal vor knapp zwei Monaten bemerkt, und sich schon nach den ersten Tagen intime Privatmails zugeschickt. Er war so glücklich gewesen, wenn er nach dem langen Tag auf der Arbeit nach Hause kam, den Computer anschaltete, sich, während der Rechner vollständig hochfuhr, schnell noch ein Sandwich zurechtmachte, um dann seinen virtuellen Briefkasten zu checken, der dann immer blinkte und ihm anzeigte, dass eine Mail eingetroffen war. Er war so glücklich, als er ihre ‚blumigen’ Worte las und mehr als eine halbe Stunde brauchte, um eine passende, ‚bienige’ Antwort zu formulieren. Nach drei Wochen hatten sie sich auf einen Termin zum Blind-Date geeinigt. Das Treffen hatten sie erst für drei Wochen später vereinbart. Sie war eine vielbeschäftigte Frau. Er gab sich damit zufrieden, auch wenn er sie gerne früher gesehen hätte. Danach schrieben sie nur noch zwei mal. Sie meinte, es wäre nicht gut, sich vor dem Date zu oft zu schreiben. Er verstand es nicht, und hatte nur Ja geantwortet. Die letzten Briefe waren knapp gehalten, und es wurden nur Freu- und Aufregunsgemeinsamkeiten mitgeteilt, worüber er nicht so glücklich war.
Er sah zu der Frau. Sie passte zwar auf die Beschreibung , aber bestimmt war es nicht sie. Sie hatte ihren Mantel nicht abgelegt, und einen Hut hatte sie auch nicht. Außerdem war es ja auch noch viel zu früh, noch 10 Minuten bis Drei Uhr. Der Italiener kam und servierte lachend einen Espresso.
Sie trank schnell, winkte, bezahlte, stand auf und verließ das Lokal. Ihr braunes, welliges Haar wippte leicht im gehen, lag mit den Spitzen sanft auf den Schultern.
Es waren noch 5 min bis Drei. Sein Herz schlug wieder langsamer. Er sah aus dem Fenster. Die Leute gingen an ihm vorüber, mit Einkaufstaschen in ihren Händen. Manche gingen gemächlich, andere hektisch.
Er wartete, sah auf die Uhr. Die Zeit schien still zu stehen, jetzt, wo der Zeiger so nah an die 12 gerückt war. Er war wieder etwas aufgeregter. Sie würde doch hoffentlich pünktlich kommen? Er hielt es kaum noch aus. Dann lag der große Zeiger auf der 12. Drei Uhr. Sie hat sich verspätet, dachte er.
Er war wieder allein. Die Frau mit dem braunem Haar, die genauso aussah wie sein Blind Date, war gegangen und es war keine neue, passende Frau hereingekommen. Die Zeit war um, schon lange um. Er sass immer noch an seinem kleinen, runden Tisch, am Schaufenster des Café. Er hatte den Cappuccino bereits ausgetrunken. Die Leute auf der Strasse, Einkaufstüten schleppend, gingen an ihm vorüber. Sie beachteten sich nicht, starrten leer vor sich hin. Er sah zur Rose. Sie stand in der kleinen Vase, die mittig stand. Sie sah einsam aus, und er fühlte sich auch einsam, als er sie so betrachtete.
Sie war nicht gekommen. Er nahm seine Rose aus der Vase, winkte, bezahlte, nahm seinen Mantel, seinen Hut von der Garderobe und verließ das Café, als wäre nichts gewesen, als hätte es nie ein Blind Date gegeben.
Fürs nächste Treffen würde er sich aber ein anderes Lokal suchen, der laut lachende Italiener war ihm irgendwie unsympathisch gewesen.
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2008
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