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Ich wachte morgens auf, machte mich fertig und fuhr dann arbeiten. Es ist kein schlechter Job, aber mein Traum ist es auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte und von irgendwas muss man ja leben. Als ich gerade so schön auf meinen Bildschirm starrte, klingelte mein Telefon. Ich hob ab.
„Ja?“ Der Empfang war relativ schlecht, was wohl auch an der lauten Geräuschkulisse im Hintergrund lag.
„Hallo? Wer ist da?“ Es wurde etwas leiser und man hörte eine Tür zuschlagen.
„Hi, was machst du heute Abend?“
„Warum? Wahrscheinlich nichts, da ich morgen zufällig arbeiten muss!“ Diese Antwort schien meinen Anrufer aber in keiner Weise zu beeinflussen.
„Komm schon, du musst auch kommen. Das wird DIE Party!“ Ich verdrehte die Augen. Wie oft hatte ich das schon gehört?
„Wann und wo?“ Ich hatte eigentlich nicht wirklich Lust darauf, aber ich hatte auf gar keinen Fall Lust nach Hause zu fahren und meine Wände anzustarren oder so andere interessante Dinge.
„Ich hol dich um 8 Uhr ab! Bis dann!“
Ich legte auf und starrte wieder auf meinen Bildschirm. Wahnsinnig spannend!
Mir war natürlich klar, dass wenn ich heute Abend zu Hause sitzen würde, wahrscheinlich irgendjemand anrufen würde, der mich unsinnige Dinge fragen würde. Dinge wie: Na, wie sieht es denn Beziehungstechnisch bei dir aus?
Mal ehrlich, warum sollte ich mir diesen Stress antun? Ich wurde je in meinen Gedankengängen unterbrochen, da mein Chef auf einmal neben mir stand.
„Unser neuer Kunde verlangt ein Gespräch! Ich habe vorgeschlagen Sie hinzuschicken. Bis heute Abend will ich einen Bericht sehen!“ Mit diesen Worten ging er wieder. Einen Kommentar konnte ich mir verknei-
fen, aber eine Grimasse schnitt ich trotzdem, als er mir den Rücken zu wandte. Ich holte mir einen Kaffee und kramte anschließend in meinen Schubladen nach der Adresse des Kunden, die ich vor einigen Tagen genervt irgendwohin geschmissen hatte.
Der Auftrag war schnell erledigt und weil der Kunde zufrieden war, war es mein Chef auch. Demnach musste ich nicht am nächsten Tag, einem Samstag, arbeiten. Das war nicht nur schön, sondern notwendig. Aber auch das ist eine andere Geschichte. Ich konnte mich also auf einen schönen Abend und gemütliches Ausschlafen freuen.


So dachte ich zumindest...


Vollkommen erschöpft wachte ich morgens auf. Ich hatte sichtlich Probleme meine Augen zu öffnen, was meiner Meinung nach auch daran liegen könnte, dass es da draußen so verdammt hell war. Nur dunkel erinnerte ich mich daran, wie ich hierher gekommen war. Eins wusste ich aber mit Sicherheit, ich war zu Hause.
Mühselig rappelte ich mich auf und schlich, vielmehr kroch ich, ins Bad. Zumindest steuerte ich die ungefähre Richtung an. Bereits im Flur fiel mir ein merkwürdiger Geruch auf. Es war, ich konnte es anfangs nicht mal näher beschreiben, penetrant, jedoch leicht metallisch. Noch machte ich mir darüber jedoch keine Gedanken, die sollten noch folgen.
Als ich es endlich ins Bad schaffte, fiel mir zuerst wieder eine Merkwürdigkeit auf. Der Spiegel über dem Waschbecken war seltsam verzerrt. Nachdem ich mir etwas Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, wusste ich auch warum. Er war kaputt.
Das Muster erinnerte an die ersten Versuche von Kleinkindern gerade Linien zu zeichnen.
Wie war das nochmal? Scherben bringen Glück und ein zerbrochener Spiegel Pech?
Mein Seufzen hörte man wahrscheinlich bis zu den Nachbarn.
Ich versuchte ernsthaft in meinen Erinnerungen nach der Ursache zu suchen, fündig wurde ich allerdings nicht. Zumindest fand ich nichts, dass logisch gewesen wäre und nichts mit diversen Horrorfiguren zu tun hatte.
Erinnerungsfetzen sprangen fröhlich in meinem Kopf herum und spielten Fangen.
Ich war gestern mit Freunden auf einer Party. Ich glaube, die fand sogar auf dem Land statt. Hatte der Gastgeber nicht Geb-
urtstag? Waren wir überhaupt dort?
Ich versuchte weiterhin mir Gedanken über meine Situation und vor allem über mein Gedächtnis zu machen, da klingelte plötzlich das Telefon. Geschockt zuckte ich zusammen. Im Normalfall reagiere ich jedoch nicht panisch auf das Klingeln von Telefonen.
Ich überlegte, wo ich das blöde Ding eigentlich liegen gelassen hatte. Da mir dies auch nicht einfiel, folgte ich dem Klingeln. War dieses Telefon immer schon so laut?
Das Ding fand ich unter einem riesigen Berg von Kleidung begraben. Ich überlegte noch, ob das alle meine waren und ging dann dran ohne auf die Telefonanzeige zu achten.
„Ja?“
„Na, bist du auch endlich wach?“ Was sollte ich denn darauf antworten?
„Wie spät ist es?“ Meine Uhr schien die Flucht ergriffen zu haben.
„Es ist vier Uhr nachmittags! Wann kommst du?“
Kommen? Hatte ich einen Termin? Eine Verabredung? Etwas Wichtiges? Geantwortet hatte ich aber: „Was?“
„Du hast doch gestern gesagt, dass du vorbeikommen willst, um deine Kamera abzuholen!“ Welche Kamera? Und woher zum Teufel überhaupt?
„Wer ist da eigentlich dran?“
„Sag mal, geht’s dir nicht gut? Ich bins Caro!“ Warum klingen solche Leute eigentlich immer so fröhlich?
„Habe ich deine Nummer?“
„Ja, warum?“ Ich schloss kurz die Augen, um sie nicht verdrehen zu müssen.
„Ich ruf dich später zurück!“ Damit legte ich auf und fiel komatös ins Bett zurück.
Da blieb ich die nächsten fünf Stunden auch.
Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug was es dunkel, was mich sehr beruhigte.
Die Nacht ist immer noch die schönste Zeit des Tages.
In dunklen Bars oder anderen Orten, die nun mal nicht gleißend hell sind, erkennt zumindest niemand auf Anhieb, dass man nicht wirklich so perfekt ist, wie man vielleicht scheint.
Der zweite Versuch im Bad verlief ganz gut, da ich den Spiegel nicht beachtete und mich unter die Dusche verzog.
Ich musste mich allerdings festhalten, denn auf einmal hatte ich so was wie einen Flashback. Ich sah tanzende, lachende Menschen um mich herum. Dann war es wieder vorbei. Darüber nachdenken wollte ich nicht, sondern ging zurück ins Schlafzimmer um mich anzuziehen.
Wieder katapultierte mein Gehirn einen Erinnerungsfetzen in mein Bewusstsein, obwohl es auch ein Hochgeschwindigkeits-
geschoss direkt in meinen Sehnerv hätte sein können. Ich sah Augen, große dunkle Augen und sie waren nicht menschlich.
Die Augen zu schließen und darüber zu reiben hilft bei solchen Attacken durchaus. Also tat ich genau das und dachte nicht weiter darüber nach.
Ich kramte nach meinem Handy. Da ich auch dieses nicht finden konnte, versuchte ich es mit meinem Festnetztelefon zu orten, leider vergebens. Ich suchte also nach meinem kleinen Rucksack, den ich stets überallhin mitnahm.
Als ich gerade so schön in einer interes-
santen Felsformation aus Papier und Klamotten abzustürzen drohte, erdreistete sich mein Telefon wieder. Ganz schön frech das Teil. Ich erhörte es natürlich.
„Hm?“ Irgendwie war mir heute einfach nicht nach Kommunikation.
„Ist das wirklich die richtige Antwort?“ Hatten die heute etwa alle schon einen Gute-Laune-Einlauf, oder was?
„Was willst du? Soll ich etwa hallo sagen?“
„Sowas würde ich niemals am Telefon verlangen! Was hast du heute vor?“ Vielleicht jemandem mit einem Schuh das Lächeln wegzaubern?
„Ich muss noch meine Kamera von Caro abholen?“
„Kamera? Caro?“
„Nicht so wichtig. Sollen wir uns dann irgendwo treffen?“
„Da soll in der Stadt irgend so eine neue Szenebar eröffnen. Komm doch einfach zu mir und wir ziehen dann gemeinsam los. Also, bis dann!“
Wenigstens ist der Tag schon mal verplant genug in jeglicher Weise.
Ich stand mit dem Telefon in der Hand und überlegte fieberhaft, wo mein Adressbuch sein könnte. Normalerweise wusste ich immer, wo was lag in meinem geordneten Chaos. Ich fand es unter meinem Kopf-
kissen. Wahrscheinlich hatte es sich panisch darunter versteckt, als ich genervt nach anderen Dingen gefahndet hatte.
Ich war startklar und wollte los, da fiel plötzlich der Strom aus. Dunkelheit in meinem Flur kann lebensgefährlich sein, aber ich kannte ja die Stolperfallen. Vorsichtig tapste ich vorwärts und fand nach geschlagenen 30 Sekunden die Haus-
tür.
Es war wohl auch besser, dass ich nichts sehen konnte, vor allem die diversen blu-
tigen Schleifspuren, die in meine Küche führten.
Draußen entschied ich mich spontan für die öffentlichen Verkehrsmittel und hoffte das Terror-Rentner, Gangsta-Shit-Typen und pubertierende Pseudo-Vampir-Groupies heute mal dünn gesät waren.
In der Straßenbahn wurde ich wieder von einem Flashback innerlich zurück gerissen.
Ich sah diese dunklen, großen Augen. Dann auf einmal eine Straße, nachts, sehr dunkel, um mich herum nur Wald. Endlos erschei-
nender Wald und wieder diese Augen. Ich schüttelte den Kopf, um wieder einiger-
maßen klar zu werden und stieg bei der nächsten Haltestelle aus. Die Kamera holte ich ohne viele Worte ab und war kurz darauf auch schon bei meinem zweiten Anrufer.
Freudig wurde ich an der Eingangstür bereits von Apoll begrüßt. Er ist ein Dober-
mann und anfangs dachte ich noch, er sei eine Statue, zwar sehr lebensecht, aber eine Statue. Dieser Hund konnte ewig einfach nur da sitzen. Kein Laut, nichts!
Ich fühlte mich nie sonderlich wohl in seiner Nähe. Er hatte diese Präsenz. Seine bloße Anwesenheit reichte aus, dass man sich am liebsten vor Demut im Staub winden würde oder einfach mit der Wand verschmelzen, wäre auch eine gute Alternative. Sonst habe ich keine Probleme mit Hunden.
Vollkommen lautlos folgte mir Apoll und setzte sich neben sein Herrchen. Unschuldig sah er zu mir auf. Sein Blick verursachte wieder einen Flashback. Ich sah diese großen, dunklen Augen und dann fiel es mir ganz plötzlich wieder ein.
Ich war gestern auf dieser Party, aber ich bin früher nach Hause gefahren, da ich Kopf-
schmerzen bekam. Der Weg führte mich durch ein Waldstück und ich war allein auf der Straße. Ein Reh sprang auf die Fahrbahn. Ich hätte natürlich ausweichen können, aber lernt man nicht immer, dass man genau das nicht tun soll?
Lange Rede, kurzer Sinn, ich berührte das Reh frontal, köpfte es und nahm es an-
schließend aus einer obskuren Laune heraus mit nach Hause. Ich hatte es in mehrere Müllsäcke gepackt, leider zerrissen diese in meinem Flur und ich schleifte das Ding in die Küche. An mehr kann ich mich wirklich nicht erinnern. War es der Schock oder hatte mir jemand was ins Glas ge-
schüttet?
Ich entschuldigte mich und fuhr eiligst nach Hause. Dort weidete ich das Reh aus und fror das brauchbare Fleisch ein. Ich hatte mich vorher im Internet informiert wie das ging. Man findet wirklich alles im Netz!
Zwei Tage später lud ich einige Freunde zum Essen ein. Sie waren begeistert. Ich ernährte mich von den Beilagen.
Ich sah immer noch diese großen, dunklen Augen vor mir.
Eines hatte mich diese Geschichte gelehrt. Ich bin ein Stadtmensch und sollte mich zu meiner eigenen Sicherheit auch dort auf-
halten. Außerdem ist es sehr unwahr-
scheinlich, dass mir, wenn ich hier durch die Gegend ziehe und Fotos mache, ein Reh in die Quere kommt. Obwohl ich letztens fast von einem Eichhörnchen angefallen wurde.
Na ja, außerdem wurde letzte Woche bei mir eingebrochen und jemand hat meinen kleinen Rucksack gestohlen. Andererseits erlebt man in der Stadt trotzdem mehr und es gibt die richtig guten Cocktails, sorgsam auf die ganze Stadt verteilt.
Wer weiß, vielleicht mache ich ja mal eine Fotoserie über Rehe. Nein! Lieber nicht.
Denn wenn ich an diese großen, dunklen Augen denke, winke ich lieber der Be-
dienung zu und bestelle mir einen neuen Cocktail.
Nachts in der Stadt ist es immer noch heller als anderswo, was ich trotz aller Blendungen gutheiße.
Außerdem, wozu gibt es Sonnenbrillen?

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 13.12.2011

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