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Alle Elfen sind Idioten!!!


Alle Elfen sind Idioten!!!




„Dieses verfluchte, bescheuerte, dumpfsinnige, hirnlose, dämliche, absolut unvernünftige und vor allem nutzlose Vieh!!!“ Tensy schmiss ihre Tasche mit soviel Feingefühl auf den Tisch im Seminarraum, dass ihre beste Freundin und Cousine vor Schreck aus ihrem Schlaf gerissen wurde.
Verschlafen rieb sie sich die Augen und versuchte aus Tensys Kommentar schlau zu werden. Viola liebte ihre Cousine über alle Maßen, aber sie mochte es einfach nicht um ihren morgendlichen Schönheitsschlaf vor Kursbeginn gebracht zu werden. Also seufzte sie und meinte nur träge: „Warum musst du heute morgen schon wieder so laut meckern?“ Tensy warf ihr einen erbosten Blick zu. „Ich meckere nicht! Ich kommentiere lediglich Tatsachen und das weißt du auch!“ Genervt setzte sie sich auf ihren Stuhl und trommelte ungeduldig mit ihren Fingernägeln auf den Tisch. Viola wusste, dass sie darauf eingehen musste, falls sie wenigstens noch fünf Minuten Schlaf haben wollte. „Also, was war los? Und vor allem, wer ist es diesmal?“
Tensy, die eigentlich Hortensia hieß, obwohl sie diesen Namen hasste, wie eigentlich vieles, kniff ihre Augen zusammen und begann: „Heute morgen wollte ich, wie jeden Tag, mit meinen Blumen sprechen und was war, als ich in den Garten ging?“ Ihre Stimme wurde dabei immer lauter und aufgebrachter, was Viola dazu veranlasste etwas von ihr weg zu rücken. Vorsichtig fragte sie: „Was war denn, als du in den Garten gegangen bist?“ Ihre Cousine ballte die Fäuste und wahrscheinlich knirschte sie auch mit den Zähnen, außerdem glaubte Viola auch ein Knurren gehört zu haben.
„Sie waren weg! Alle! Ausnahmslos! Keine einzige Blüte war mehr da! Das war er, das weiß ich einfach!“ Es verwunderte sie immer wieder, wie untypisch Tensys Verhalten war, zumindest für eine Elfe. Auf der anderen Seite entsprach sie selbst eigentlich auch nicht diesem Raster. Sie zuckte nur mit den Achseln und sah ihre Cousine wieder eher desinteressiert an. „Wirklich alle, Tensy?“ Diese warf ihr nur einen verärgerten Blick zu. „Ja, alle! Mein Garten sieht schrecklich aus. Nur grün und jede Menge Stängel, die wie riesige Stricknadeln in den Himmel ragen!“ Sie gestikulierte wild in der Luft herum, woraufhin sich eine Strähne aus ihrem dunkelbraunen Haar löste. Genervt versuchte die Elfe, die Strähne wieder in ihre komplizierte Flechtfrisur zu stecken, was ihr jedoch nicht gelang und nur zur Folge hatte, dass sich noch weitere Strähnen lösten. Resigniert gab sie auf und sah Viola erwartungsvoll an. „Was willst du jetzt von mir hören? Ich war es bestimmt nicht und er, wie du ihn immer so nett nennst, war es auch nicht!“ Tensy knurrte kurz: „Und das weißt du natürlich, weil du ihm ja auch auf Schritt und Tritt folgst, oder?“ Viola senkte beschämt den Kopf. Ihre Cousine wusste also, dass sie für den Neuzugang in ihrem Seminar schwärmte, dabei wollte sie das eigentlich vermeiden. Tensy konnte sehr gemein bei solchen Dingen werden. Sie hielt nämlich nichts von Schwärmereien, Liebeleien oder anderen nutzlosen und unlogischen Nichtigkeiten, wie sie es zu nennen pflegte.
„Woher weißt du davon?“ Die Elfe wollte wissen wodurch sie sich verraten hatte. Ihre Cousine war dabei auch wie immer sehr ehrlich. „Du meinst, mal abgesehen davon, dass du ihn die ganze Zeit angestarrt hast, seid er hier aufgetaucht ist oder meinst du eher die Tatsache, dass du immer den ganzen Tisch vollsabberst, wenn er etwas sagt?“
„Ich sabbere nicht!“ versuchte sie sich zu verteidigen.
„Und ob, dann bist du noch total unkonzentriert, noch abwesender als sonst und ich habe den Eindruck, dass du jetzt noch mehr schläfst als vorher. Zuerst dachte ich an eine Schlafkrankheit, Wachkoma oder dass du dich in eine Katze verwandelst.“
„Wir können uns nicht in Katzen verwandeln!“
„Da wäre ich mir nicht so sicher. Aber ich hatte Recht!“ Damit verschränkte sie die Arme vor der Brust und lächelte besserwisserisch.
„Ok, das mag ja sein, aber woher willst du jetzt wissen, dass er deine Blumen geklaut hat?“ Viola hob vielsagend die Augenbrauen. Tensy schien kurz zu überlegen bevor sie antwortete: „Naja, immerhin kommt er aus Alfheim, du weißt selbst wie die dort sind!“ Dabei wurde sie immer leiser und sah sich kurz um. Eigentlich war Alfheim die Heimat aller Elfen, aber aufgrund irgendeiner Auseinandersetzung waren viele gezwungen umzusiedeln. Allerdings war das schon so lange her, dass sich sowieso kaum noch jemand an diese Zeit erinnerte. Aber es kursierten natürlich Geschichten. Viele waren erstunken und erlogen und vielleicht gerade mal unterhaltend, aber einige wenige besaßen auch ein Körnchen Wahrheit, wie auch immer das sich eingeschlichen haben mag, würde Tensy dazu sagen. Sie hielt eigentlich nichts von diesen Geschichten, aber seit der Neuzugang da war, hatte sie tatsächlich angefangen, sich näher mit den alten Märchen zu beschäftigen. Denn irgendwas war einfach merkwürdig an ihm.
„Tensy, also wirklich. Seit wann reagierst du auf diesen blöden, alten Quatsch? Letztendlich kommen wir doch alle aus Alfheim.“
„Ja, das schon, aber es ist seit 2000 Jahren keiner mehr aus Alfheim gekommen. Der hat bestimmt einen ganz schlechten Einfluss auf dich!“ Viola hob misstrauisch eine Augenbraue. Daher wehte also der Wind. Es hätte sie auch sehr gewundert, wenn Tensy auf einmal zur Rassistin werden würde. Natürlich kannte auch sie die Geschichten aus Alfheim. Der großen Heimat der Elfen, die alle abgöttisch hübsch waren und große magische Kräfte hatten und ganz toll aussahen und diese unglaublich blauen Augen hatten und...da merkte sie, dass sie mit ihren Gedanken wieder mal abschweifte. Sie warf wieder einen Blick auf ihre Cousine. Diese hatte ihren Ideenordner, ihr Notizbuch und ihren Stift herausgeholt. Sie hatte es sich nämlich in den Kopf gesetzt ein Diskussionsforum zu eröffnen und dafür brauchte sie vor allem Hilfe von Viola, die nunmal eine umgänglichere Art hatte und darum besser mit anderen Lebewesen zurecht kam. Darum wollte sie auch nichts akzeptieren, dass ihren Plan auch nur stocken ließ. Viola konnte ihre Cousine durchaus verstehen, aber sie wollte es diesmal einfach nicht. Außerdem wusste sie sowieso nicht, was der Neuzugang von ihr dachte.
Jetzt merkte sie auch, dass ihre Professorin bereits eingetroffen war und wie immer giftig in die Runde sah. Dieses Seminar war eines der langweiligsten überhaupt: „Theoretische Musik“.
Zwar beschäftigten sie sich durchaus auch mit der Geschichte der Elfenmusik, aber die meiste Zeit mussten sie verstaubte Notenblätter entziffern. Dabei durfte natürlich keiner ein Wort sagen und wehe dem, der sich mal räuspern musste.
Tensy konnte die Professorin vom ersten Augenblick nicht leiden, allerdings beruhte das auch auf Gegenseitigkeit. Am ersten Tag hatten beide den Raum betreten, sich angesehen und synchron 'Nein' gesagt. Leider war dieses Seminar Pflicht, also mussten sie einfach nur durchhalten, zumindest war das Violas Devise. Sie blätterte gelangweilt in einem Buch herum, bis ihr auffiel, dass Tensy gar nicht mit ihr sprach, sondern mit dem Neuzugang.
Sie hörte gerade noch wie ihre Cousine ihn tatsächlich nach seinem Namen fragte. Normalerweise waren Neuzugänge solange Namenlos bis sie keine Neuzugänge mehr waren und das konnte mitunter auch Jahre dauern. Je nach dem was der Rat entschied, was oft damit zusammenhing, welche Talkshow sie an dem Tag gesehen hatten.
Elfen waren nunmal nicht immer nett. Eigentlich hing alles von ihrer Laune ab, wenn man mal darüber nachdachte.
„Du heißt wirklich Kari? So wie 'Ich bin der Sohn des Reifriesen – Kari'?“ Ungläubig sah sie ihn an, als er nickte.
„Warum bist du nach einem Riesen benannt?“ Er hob kurz die Augenbrauen und meinte: „Und warum bist du nach einer Blume benannt?“ Sie lächelte daraufhin. Viola sah ihre Cousine irritiert an. Normalerweise reagierte sie nie mit einem Lächeln. Die Elfe hätte eher erwartet, dass Tensy ihm den Ordner an den Kopf warf oder versuchen würde mit ihrem Stift einen Luftröhrenschnitt auszuführen.
„Also sind deine Eltern auch richtig lustige Elfen! Sie sind doch Elfen?“ Er nickte wieder und lächelte zurück. Viola sah nun beide verwundert an. Sie kam sich eher vor, wie in einem schlechten Theaterstück, dass ironisch gemeint, aber nicht so ausgeführt wurde.
Tensy drehte sich auf einmal zu ihr um. „Du bist ja wach. Sehr schön! Das ist übrigens Kari und er hat meine Blumen nicht geklaut!“ Dabei wies sie auf den Neuzugang. Viola lächelte kurz und streckte ihm ihre Hand entgegen zur Begrüßung. Er nahm sie, drückte sie kurz und sah dann wieder auf Tensy.
„Sag mal, was machst du da eigentlich? Nach Musik sieht das nicht gerade aus?“ Er meinte damit ihren Ideenordner, den die Elfe aufgeklappt auf ihrem Tisch liegen hatte.
„Ich arbeite an einem Diskussionsforum. Das ist wichtig und da wir sowas noch nicht haben, wäre es nur logisch eins aufzubauen!“ Tensy war so überzeugt davon, dass sie keinerlei Kritik zu ließ. Selbst wenn jemand etwas dagegen sagte, hörte sie einfach nicht hin oder überging denjenigen einfach.
„Mir war nicht bewusst, dass Elfen gerne diskutieren.“ Viola schüttelte den Kopf und meinte: „Das tun sie auch nicht, aber Tensy. Wenn sie keine Elfe wäre, würde sie wahrscheinlich in die Politik gehen oder Lobbyistin werden.“ Er warf Tensy einen argwöhnischen Blick. „Und du?“ Er sah Viola tatsächlich interessiert an. Vielleicht lag es auch nur daran, dass endlich mal jemand mit ihm redete und ihn nicht nur anstarrte.
„Ich wäre lieber eine Nymphe.“ Als er sie fragend ansah, verdrehte sie die Augen. „Na, du weißt schon. An einer Quelle rumhängen, entspannen, schlafen. Ab und zu einen Blick draufwerfen!“ Er nickte wieder.
„Verstehe ich das also richtig. Tensy würde lieber in die Politik gehen und du willst eigentlich nur deine Ruhe!“
Beide Elfen nickten. Kari hatte also erkannt, dass er sich ausgerechnet mit den einzigen Elfen unterhalten hatte, die sich nicht wie Elfen benahmen. Viola war der Meinung nun genügend Fragen beantwortet zu haben. Also stellte sie ihm selbst einige.
„Warum bist du eigentlich hier? Nicht, dass es ein Problem wäre, aber keiner hier versteht das so richtig.“ Viola sah ihn interessiert an und selbst Tensy wirkte zumindest nicht gelangweilt. Gequält sah er sie an, besann sich dann jedoch und seufzte nur kurz.
„Tja, ich soll hier lernen, wie sich eine richtige Elfe zu benehmen hat und sollte ich das nicht hinbekommen, werde ich wahrscheinlich in die Menschenwelt verbannt.“ Kari sah auf seine Hände hinab, da es ihm irgendwie peinlich war den wahren Grund seines Auftauchens preisgegeben zu haben.
„Was zum heiligen Gänseblümchen hast du angestellt?“ Tensy war vollkommen erstaunt, denn auf sie wirkte er nicht wie ein Unruhestifter oder auch nur in irgendeiner Weise unelfisch. Er seufzte wieder. „Ich habe einen Film gedreht!“ Beide Elfen sahen ihn ratlos an. „Naja, es ging um die Zerstörung Alfheims durch die Frostriesen. Es war mehr als Persiflage gemeint. Eine ironische Version unseres Alltages!“
Viola und Tensy sahen immer noch etwas ratlos drein. Ok, das war vielleicht etwas überdreht und ungewöhnlich, aber eigentlich kein Grund ihn gleich umerziehen zu lassen.
Das änderte sich jedoch als er sagte: „Ich glaube das Hauptproblem war der Titel und die Auswahl meiner Charaktere. Woher hätte ich wissen sollen, dass 'Alle Elfen sind Idioten' wörtlich genommen wird. Und das ich unsere Oberen als unfähige Dilettanten hingestellt habe, war wohl auch nicht gerade begünstigend.“
Was sagt man auf so etwas. Weder Viola noch Tensy fiel etwas ein.
Den restlichen Teil des Seminar verbrachten sie schweigend. Nur aus Tensys Richtung hörte man ab und zu ein kurzes Knurren, wenn sie wieder mal etwas nicht entziffern konnte.
Die drei Elfen hatten beschlossen, sich am Nachmittag wieder zu treffen. Kari hatte außerdem den Vorschlag gemacht sich Tensys Garten anzusehen. Vielleicht hatte er eine Idee, wer der Übeltäter sein könnte.
Im Laufe des Vormittags hatte das Wetter umgeschlagen und aus dem morgendlichen blauen Himmel war ein graues Etwas geworden, dass auf Regen schließen könnte.
Das Wetter hat enormen Einfluss auf die Elfenlaune. Den meisten verging das Grinsen und immer öfter hörte man ein leises Seufzen.
Auf Tensy hatten die tiefhängenden Wolken, wie sollte es auch anders sein, einen anderen Einfluss. Sie grinste immer mehr und während sie ihre Tasche packte, pfiff sie sogar eine kleine Melodie. Mehrmals stupste sie Viola an, die den Kopf auf ihre Bücher gelegt hatte und tief schlief. Ihre roten Locken hatten sich über den ganzen Tisch ausgebreitet.
Tensy verließ langsam die Geduld und sie stupste ihre Cousine etwas fester. Diese murmelte etwas von „nur noch zwei Minuten.“
Die Elfe nahm ihr dickstes Buch aus der Tasche und ließ es knapp neben Violas Kopf auf den Tisch fallen. Mit einem panischen Aufschrei setzte sie sich abrupt auf und rief: „Tötet die Karamellbonbons!“ Tensy warf ihr nur einen verwunderten Blick zu. Viola hatte manchmal ganz merkwürdige Träume und seit ungefähr zwei Wochen träumte sie ständig von Karamellbonbons mit Fangzähnen. Im Bereich der Traumanalyse hatte jedoch keine von ihnen Bestleistungen, also blieb der Traum nach wie vor ein Rätsel.
Die beiden Elfen gingen zusammen nach Hause. Elfenfamilien blieben gerne in der Nähe und keine zog allzuweit fort. Das hatte zur Folge, dass die Elfenpost manchmal Wochen brauchte bis sie die richtige Person gefunden hatte. Wenn alle den gleichen Nachnamen haben wird es schwierig und so etwas wie Hausnummern erschien den Elfen unnötig.
Mit Logik befassten sie sich nämlich eher selten.
Kurz nach 15 Uhr traf auch Kari bei Tensys Haus ein. Gemeinsam gingen die drei in den Garten und blickten auf die Stängel.
„Hm, das könnte schwierig werden“, meinte Kari. Er ging näher heran und untersuchte die Blätter und Stängel genauer. Er roch auch kurz daran. Viola und Tensy sahen sich nur ratlos an. Der Elf drehte sich um und fragte: „Gab es solche Vorkommnisse in der letzten Zeit öfters?“ Tensy zuckte nur mit den Achseln. Sie interessierte sich eher wenig für den nachbarschaftlichen Klatsch. Viola dagegen war immer bestens informiert. Das lag auch daran, dass ihre Mutter Vorsitzende des Klatschkomitees war. So erfuhr sie immer alles, ob sie es nun wissen wollte oder nicht.
„Vor drei Tagen wurde bei Onkel Oregano ein Blattlausmassengrab entdeckt und gestern sind Tante Stiefies Laufenten verschwunden!“
Kari sah Viola verwirrt an: „Laufenten? Tante Stevie?“ Viola verdrehte nur die Augen, sie kam mit dem Familienhumor, was die Namen anging, auch nicht ganz klar.
„Laufenten fressen Schnecken und Stiefi, kommt von Stiefmütterchen, aber sie wird nicht so gern darauf angesprochen!“ Der Elf nickte nur und sah wieder auf die Stängel.
Akribisch ging er die Pflanzen ab. Hin und wieder kam ein „Hm!“ oder ein „Oh!“ aus seiner Richtung. Viola und Tensy beobachteten ihn nach wie vor interessiert.
Nach gefühlten zwei Stunden, aber es waren nur zehn Minuten, hatte Kari seine Bestandsaufnahme abgeschlossen und die drei Elfen gingen ins Haus.
Elfenhäuser sind nicht sonderlich groß, aber sehr gemütlich, leicht chaotisch und vor allem vollgestopft mit viel Krimskrams, den außer Elfen wohl keiner brauchte.
Kari war also überrascht als er in die Küche trat und auch im Wohnzimmer konnte er den Mund noch nicht schließen. Tensys Mutter hatte einen Putzfimmel, also sah es bei ihnen eher wie in einem Schöner-Wohnen-Katalog aus, als wie im Haus einer Elfenfamilie.
Tensy hielt ihm ein kleines Paket hin. Irritiert sah er sie an. „Du musst diese Dinger überstreifen. Meine Mutter verwandelt sich in einen Drachen, wenn du Dreck mit hineinbringst!“ Er nahm also das Paket und holte sich ein Paar Überzieher für die Schuhe heraus. Dabei warf er Viola einen fragenden Blick zu. Sie nickte und meinte: „Das ist übrigens ernst gemeint. Ihre Mutter verwandelt sich tatsächlich in einen Drachen. Keiner weiß wieso das so ist, aber wir haben uns daran gewöhnt!“
Kari sah sich nun vorsichtig um und überprüfte alle paar Schritte, ob er Dreck hinterließ. Beruhigt atmete er auf, als er nichts entdecken konnte.
„Ist dir schon etwas eingefallen?“ Tensy setzte sich auf die Couch, die mit einem Plastikschonbezug versehen war, der bei jeder Bewegung ein quietschendes Geräusch ertönen ließ.
„Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder bahnt sich hier ein schwerer Koboldbefall an oder jemand von euch hat sich mit einer Fee angelegt!“ Viola und Tensy sahen geschockt in seine Richtung und hörten für einige Augenblicke auf zu atmen. Kari seufzte und meinte: „Einen Koboldbefall halte ich für unwahrscheinlich. Die haben jetzt wahnsinnig viel zu tun seit Yggrasil die Blätter verliert!“ Yggdrasil, die Weltesche, der Wohnort der Nornen, die nordischen Schicksalsgöttinnen, die jeden Tag den Faden des Lebens spinnen.
Vor einem halben Jahr hatten alle eine E-Mail von den Nornen erhalten. Die Nachricht war kurz, aber unmissverständlich: „Ihr werdet alle sterben! Liebe Grüße Eure Nornen!“
Ragnarök, der Weltenbrand, das Armageddon, war im Kommen, mal wieder.
Deshalb waren auch alle Kobolde von ihren eigentlichen Arbeitsstellen abgezogen worden, um den riesigen Laubhaufen, der sich vor dem Haus der Nornen gebildet hatte, zu entfernen. Sie verlangten unmögliche Stundenlöhne, aber sonst wollte es keiner machen.
„Also, bleibt meiner Meinung nach nur noch die Fee übrig!“
Im Gegensatz zum allgemeinen Glauben, sind Feen eigentlich überhaupt keine netten Wesen. Sie sind keine Naturgeister, die an irgendwelchen Quellen sitzen und fröhlich Blumen knabbern. Da sie auf irgendeine obskure Weise mit den Nornen verwandt sein sollen, glauben sie, dass sie sich damit auch in jedes Schicksal einmischen dürfen.
Die Elfen hatten damit ein Problem und verboten in ihrem Reich kurzerhand die Anwesenheit von Feen. Das dies ihnen gar nicht gefiel ist verständlich.
Zwar gab es seitdem durchaus den einen oder anderen Zwischenfall, aber im großen und Ganzen wurden die Grenzen gut bewacht und seit gut zweitausend Jahren war keine mehr im Reich der Elfen gesichtet worden. Scheinbar hatte sich das jetzt geändert.
Viola und Tensy wussten im Gegensatz zu Kari, dass sie eigentlich verpflichtet wären, diese Vorfälle an den Rat zu melden. Tensy fühlte sich allerdings in ihrem Stolz verletzt und wie könnte sie es zulassen, dass irgend ein idiotischer Ratself sich um die Sache kümmerte.
„In Ordnung. Also müssen wir herausfinden, was für eine Fee es sein könnte und vor allem, wie man sie herauslocken könnte. Dann möchte ich zuerst meine persönliche Rache. Anschließend kann der Rat sie ja abholen.“ Die drei nickten und berieten sich noch den gesamten Nachmittag bis in den späten Abend hinein.
Kari war aufgefallen, dass die Blätter verdächtig nach Schokolade rochen. Darum vermutete er einen Brownie. Das sind eine Art von schottischen Heinzelmännchen. Ihren Namen haben sie wegen ihrer braunen Kleidung. Außerdem lieben sie Süßigkeiten über alles. So lassen sie sich auch bezahlen.
Die drei Elfen legten um das gesamte Haus und auch im Garten Schokolade, Kekse, Bonbons und Gummibärchen aus. Außerdem hatten sie eine Lebendfalle für Feen gebastelt. Schließlich wollten sie die Fee lebendig, auch wenn Tensy anfangs den Käfig mit Stacheldraht auslegen wollte.
Gegen vier Uhr morgens des siebzehnten Tages hörten die drei Elfen, die sich auf die Lauer gelegt hatten, plötzlich laute Schreie aus dem Garten.
„Hilfe! Hallo? Ich brauche Hilfe! Ich bin gefangen!“ Tensy und Kari rannten zuerst los. Viola beließ es bei ihrem gemütlichen Gang. Immerhin war die Fee gefangen, also würde sie auch nicht so schnell abhauen.
Tensy verschränkte die Arme und sah die Fee wütend an. Diese hörte auf zu schreien und verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der schmalen Brust.
„Lasst mich sofort hier raus!“ Trotzig sah der Brownie zu Kari, den er anscheinend für den Anführer hielt. Tensy meinte nur bestimmt: „Nein!“
Die Fee warf ihr einen bösen Blick zu, spuckte auf den Boden und rüttelte an den Stäben des Käfigs: „Ihr sollt mich sofort hier rauslassen. Das ist Freiheitsberaubung!“
Viola gähnte herzhaft, während Kari sich langsam dem Käfig näherte.
„Das ist doch keine Freiheitsberaubung. Es ist eher ein unfreiwilliges Beisammensein. Außerdem hast du dich ja wohl schlimmerer Verbrechen schuldig gemacht!“
Der Brownie hörte auf an den Stäben zu rütteln und sah vorsichtig zu Tensy und dann schnell wieder auf Kari.
„Was für Verbrechen? Ich bin unschuldig. Ich habe nichts getan!“
Tensy knurrte kurz. „Nichts? Bis auf Hausfriedensbruch, Diebstahl und Nötigung!“
Verwirrt sah das schottische Wesen die drei Elfen an: „Nötigung?“
„Wegen dir sehe ich mich jetzt genötigt den Rat zu informieren.“ Viola kam nun auch näher an den Käfig und meinte: „Ich würde auch noch seelische Grausamkeit anfügen. Bei den Klamotten siehst du eher wie ein sprechender Schei....“. Kari hatte Viola schnell zur Seite gezogen, damit der Brownie den Rest des Satzes nicht verstehen konnte. Er fand, dass es so sicherer war. Er überredete Viola den Rat zu informieren. Währenddessen würden die beiden anderen Elfen den Gefangenen bewachen.
„Was machst du eigentlich hier? Warum hast du diese Verbrechen begangen?“ Kari verstand nämlich nicht wirklich das Motiv des Brownie. Dieser sah genervt auf die beiden Elfen. „Ich nehme an einem Austauschprogramm teil und ich hatte nunmal Hunger! Mehr werde ich nicht sagen ohne Anwalt!“ Vorerst genügte ihnen diese Antwort, aber Tensy überlegte schon, wie sie noch mehr aus ihm heraus bekommen könnte.
Sie hatte sich einen Ast abgebrochen mit dem sie den Brownie immer wieder piekste. Als die Elfe mit dem Stock immer höher in Richtung Kopf wanderte, hielt Kari sie jedoch auf.
„Vielleicht wäre es besser, wenn du ihm kein Auge ausstichst!“
Tensy brummelte kurz. „Aber er hat doch zwei!“ Kari hob nur die Augenbrauen.
Nach gefühlten zwei Stunden, eigentlich hatten sie fünf gewartet, kam endlich eine Eskorte des Rates in den Garten marschiert. Sie luden den Käfig mitsamt dem Brownie auf eine Schubkarre und nahmen ihn ohne einen Kommentar mit.
Die drei Elfen setzten sich in die Gartenlaube und feierten ihren Triumph mit mehreren Flaschen Apfelpunsch. Sie hatten den Übeltäter geschnappt und dafür mussten sie noch nicht mal viel tun. Kari war nach der dritten Flasche immer stiller geworden. Er schien nachzudenken. Viola war in der Hängematte eingeschlafen, wobei ihr ein Strohhalm noch zwischen den Lippen hing. Tensy holte ihre Kamera und machte ein paar Fotos. Vielleicht waren sie irgendwann mal nützlich. Dann sah sie Kari fragend an.
„Was ist los? Der Übeltäter ist geschnappt. Meine Blumen werden wieder wachsen und ich kann mich wieder voll und ganz dem Diskussionsforum widmen!“
Kari blickte nachdenklich auf. „Ich dachte nur gerade darüber nach, was wäre wenn ich diese Geschichte verfilmen würde. Vielleicht lassen sie mich dann wieder nach Hause!“ Sie nickte verständnisvoll. Tensy verließ die Laube um mit ihrer Tante zu reden. Vielleicht gab es schon Neuigkeiten über den Brownie.
Genervt und mit stampfenden Schritten kam sie zurück.
„Das glaubst du nicht. Diese nervigen...bescheuerten, dumpfsinnigen, verfluchten Viecher!“ Kari sah sie besorgt an. „Was ist los?“
Wütend schritt sie die Laube auf und ab. „Der Rat. Sie haben den Brownie freigelassen und zurück geschickt. Und das nur weil in der heutigen Talkshow von genetischen Veranlagungen die Rede war.“
Viola war auch wieder aufgewacht. „Und was hat das mit dem Brownie zu tun?“
„Er kann ja nichts für seine Veranlagungen. Die haben jetzt wirklich so ein Austauschprogramm und wenn ich mich informiert hätte, dann hätte ich gewusst, dass Blumen gerne als Beilage zu Schokolade serviert werden und das ist bei Brownies ein Nationalgericht!“
Kari und Viola konnten sich das Lachen nicht länger verkneifen. Die Situation war einfach nur lächerlich, aber bei Elfen ging es meistens so zu.
„Hört auf zu lachen. Dieser blöde Rat. Elfen sind doch wirklich Idioten!“ Damit setzte sie sich und goss sich ein großes Glas Apfelpunsch ein.
Dies ist kein Ende, aber es ein Abschluss. In einigen Tagen fängt eine neue Geschichte an und vielleicht werden die drei Elfen wieder auf Übeltäterjagd gehen oder sie versuchen einfach nur den Elfenchor vor der Tür loszuwerden.
Aus irgendeinem Grund sangen die immer wieder nur „The Show must go on!“

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Tag der Veröffentlichung: 19.10.2011

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