<<font;_bold>font;center>Unter Göttern. Eine Selbsthilfegruppe.
Teil 1
Ich bin Leiterin einer Selbsthilfegruppe, nicht irgendeiner, diese hier ist besonders, da ihre Mitglieder hauptsächlich aus Gottheiten bestehen.
Aus irgendeinem, bisher nicht näher definierten Grund, wachten alle alten Götter aus ihrem Schlaf auf. Es war kein richtiger Schlaf, mehr so was, wie ein langer Urlaub.
Sie entdeckten, dass sich die Welt verändert hatte. Einige Eigenschaften der Götter wurden nicht mehr als bemerkenswert eingestuft, sondern waren mittlerweile zum Problem geworden. Aus diesem Grund wurde diese Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen, um mit einer kompetenten Fachkraft (also mir) darüber reden zu können.
„Schön, dass ihr da seid. Setzt euch doch!“ Wir sind keine feste Gruppe. Ab und zu kommen auch andere Gestalten zu unseren Treffen. Es ist jedes Mal ein Drahtseilakt.
Der erste stand auf. Er hatte die Statur eines Eishockeyspielers mit voller Montur.
„Hallo, mein Name ist Thor. Ich bin eine nordische Gottheit und ich bin hier, weil mein Vater Odin mich hergeschickt hat. Er glaubt, ich trinke zuviel.“ Damit setzte er sich wieder. Thor hatte ein erstaunliches Trinkvermögen, aber in der heutigen Zeit ist das nichts zum prahlen, außer vielleicht auf Flatrate-Partys. Ähnlich sieht es beim nächsten Mitglied aus.
Eine Frau in eher spärlichen dunkelblauen Seidengewändern stand auf und sah herausfordernd in die Runde.
„Mein Name ist Anath. Ich bin die altsyrische Göttin des Krieges. Ich bin hier, weil ich angeblich zu Aggressionen neige.“ Dabei warf sie mir einen sehr „freundlichen“ Blick zu und setzte sich mit einer erstaunlichen Eleganz wieder auf ihren Platz.
„Hi, ich bin Diana. Römische Göttin der Jagd. Mein Bewährungshelfer hat mich hergeschickt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah trotzig in die Runde.
Fröhlich grinsend stand ein weiteres Gruppenmitglied auf: „Hm, also, ich bin Poseidon. Griechischer Gott des Meeres. Ich habe Angst vor Wasser.“
Eine Person saß immer noch und weigerte sich aufzustehen, um sich vorzustellen. Er war immer schon schwierig gewesen. Meinen auffordernden Blick beachtete er nicht mal. Ich wollte gerade etwas dazu sagen, als urplötzlich eine weitere Person auftauchte. Sie hatte eine anmutige Gestalt und war in weiße Seidentücher gewickelt. Sie kam durch das Fenster herein geflogen. „Hallöchen. Ich bin Aglaopheme und ich bin eine Sirene. Ich brauche jemanden zum Reden. Meine Schwestern...haben behauptet, dass...dass ich nicht...singen kann.“ Dabei brach sie in Tränen aus. Ich stand natürlich sofort auf und nahm sie in den Arm, um sie zu trösten.
Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, wandte ich mich nochmals dem letzten Mitglied zu. Er hatte immer noch nichts gesagt. Mürrisch sah er ab und an in die Runde, wenn er nicht gerade mit seinem Feuerzeug spielte. Er verdrehte die Augen und meinte: „Ich bin Loki. Nordischer Gott des Feuers, Auslöser des Weltuntergangs. Ich bin nur hier, weil Odin mich gezwungen hat Thor hierher zu fahren.“
Ich lächelte ihn freundlich an. „Schön. Dann können wir heute ja bei dir anfangen Loki. Du leugnest immer noch, dass du Probleme hast.“
Loki schüttelte den Kopf: „Ich habe keine Probleme! Ist noch Cappuccino da?“ Er stand auf und suchte nach koffeinhaltigen Getränken. Das war nämlich eins seiner angeblich nicht vorhandenen Probleme.
„Loki, setz dich bitte wieder hin. Du hattest schon 32 Cappuccinos! Du solltest endlich einsehen, dass du ein Problem hast. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt!“
Er sah mich recht genervt an. Das tat er eigentlich immer. „Glaubst du, dass Koffein meiner Gesundheit schaden könnte? Ich bin ein Gott. Sterben gehört nicht zu meinen Hobbys.“
Mit diesen Worten setzte er sich wieder. Da fiel mein Blick auf Thor, der wiederholt aus seinem Horn trank. „Thor! Was machst du da?“
Er sah mich ganz unschuldig an. „Nichts, ich trinke doch nur.“ Ich verdrehte die Augen.
„Und was trinkst du?“
„Met!“
„Haben wir nicht vereinbart, dass du hier keinen Alkohol mehr trinkst?“
Er sah mich vollkommen ratlos an. Thor gehört nicht unbedingt zu den hellsten. Er mag stark, groß und ein toller Kämpfer sein, aber sonst...
„Thor, Met ist Alkohol!“
„Tschuldigung.“
So geht es jedes Mal zu. Diese Truppe macht mich noch wahnsinnig!
„Also, zurück zu dir Loki! Wir haben das letzte Mal doch über Beziehungen gesprochen. Bist du immer noch der Meinung, dass es in Ordnung ist mit weiblichen Wesen so umzugehen?“
Er antwortete nicht einmal darauf. Loki bindet sich nicht gerne. Freie Liebe und so. Uns blieb jedoch keine Möglichkeit näher darauf einzugehen, da sich eine Krisensituation anbahnte. Anath war von ihrem Stuhl aufgesprungen und geradewegs auf die Sirene zugerast.
„Anath, hör auf Aglaopheme zu würgen.“ Sie ließ kurz los: „Sie hat mich beleidigt!“
„Wie hat sie dich denn beleidigt?“ Warum mache ich diesen Job eigentlich? Ich kann mich nicht erinnern, dass das so in der Jobbeschreibung stand. Wenigstens hat Anath sich wieder hingesetzt.
„Sie sagte, dass es sie gar nicht wundert, dass Baal freiwillig ins Totenreich gegangen ist, bei der Freundin! Das kann ich doch nicht auf mir sitzen lassen!“
Diana und Loki grinsten mich beide hämisch an. Ich glaube, sie mögen mich nicht sonderlich.
Ich seufzte und meinte dann: „Aglaopheme, du weißt doch, dass Baal nicht freiwillig in die Unterwelt ging und das Anath sich dann am Totengott Mot gerächt hat.“ Die Sirene nickte und senkte beschämt den Kopf.
„Gut, nachdem Loki nicht mit uns reden möchte,“ dabei warf ich ihm ein gequältes Lächeln zu, „reden wir doch über deine Aggressionen nach Baals Ableben!“ Ich sah Anath direkt an.
Sie verdrehte die Augen: „Was soll das heißen? Meine Aggressionen. Sag mir nicht, dass du ruhig geblieben wärst. Der Palast ist gerade fertig geworden. Wir hatten noch nicht mal die Einweihungsparty. Und dann kommt dieser Mot und verschlingt einfach so mein Knuffelhäschen.“ Bei diesen Worten mussten wir alle etwas schmunzeln. Da Anath schon böse in die Runde blickte, versuchte ich die Situation nicht ausarten zu lassen.
„Anath, könnte es nicht vielmehr sein, dass du gar nicht wirklich auf Mot wütend bist, sondern auf Baal. Er hat doch gewusst, was passieren würde, aber dir hat er nichts gesagt.“
Sie schaute gedankenverloren auf ihre Hände. „Mit diesen Händen habe ich Mot zerstückelt, seine Leichenteile gegeißelt, sie in Flammen gesetzt und sie zwischen Mühlsteinen zermahlen. Aber als Baal dann zurückkam, hat er nicht mal Danke gesagt!“ Sie schniefte kurz. „Das war so gemein von ihm! Da kann man doch nur aggressiv werden!“ Aglaopheme kam vorsichtig näher und reichte Anath ein Taschentuch. Dabei stieß sie jedoch aus Versehen mit ihren Flügeln eine Wasserflasche um.
Poseidon sprang, wie von einem Teufelsrochen gestochen, auf seinen Stuhl und begann laut zu schreien. Wie soll ich den nur wieder beruhigen?
Aglaopheme tröstete Anath, Diana und Loki amüsierten sich scheinbar prächtig, was mir ihr lautes Lachen deutlich signalisierte. Thor bekam von alldem nichts mit, denn er war mittlerweile auf seinem Stuhl eingeschlafen.
Ich wischte das Wasser auf und legte den Boden mit Papiertüchern aus, um Poseidon damit zu zeigen, dass alles trocken war. Zitternd kam er nach einer Dreiviertelstunde von seinem Stuhl herunter. Ich atmete dreimal tief ein und aus und wandte mich dann ein letztes Mal der Gruppe zu. „So, die Zeit ist wieder mal um. Wir sehen uns nächste Woche um die gleiche Zeit!“ Ich stand auf und ging aus dem Raum. Als erste. Wenn das so weitergeht, brauch ich wohl selber bald eine Therapie.
Tag der Veröffentlichung: 18.10.2011
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