Nicht Shakespeare, sondern Europa - in Eurokrise und Krimkonflikt. Russland hat Fakten geschaffen auf der Krim und alte Ängste belebt. Die der Balten und Polen, damit nicht genug, auch die der Deutschen, abhängig zu sein vom russischen Bären. Alte Erinnerungen wurden wach gerufen. Im Zweiten Weltkrieg standen sich auf der Krim 1 Mio. Soldaten - Deutsche, Italiener, Rumänen und Russen gegenüber. Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges ist bekannt. Bis heute werden die Tataren misstrauisch beäugt, gar einst mit den Deutschen kollaboriert zu haben und heute islamisch zu sein.
So verläuft Geschichte, einst wie auch heute.
„Wir“ erklären die Finanzkrise zur Geschichte, obwohl deren Ursachen nicht behoben sind und keine Vorsorge getroffen ist für die Zukunft. Die weltweiten Schulden im Ergebnis der Finanzkrise betragen 100 Billionen Dollar (73 Billionen Euro), das ist nicht Geschichte, sondern die Gegenwart. Es besteht keine Idee, wie diese Summen jemals bezahlt werden können außer von den nachfolgenden Generationen. Im Übrigen sind es die Generationen, von denen Kanzlerin Merkel (CDU) meinte: „Wir müssen an die künftigen Generationen denken.“
„Danke, Frau Merkel“, hallt es aus der Zukunft zurück, „es wäre denn besser gewesen, Sie hätten nicht an uns gedacht.“ Da klopft Russland an die Tür Europas und meldet sich zurück in der Geschichte - mit Macht. Als wir noch mitten in der Finanz-, Schulden- und Eurokrise beten: „Herr, mach, dass es nicht noch schlimmer kommt!“ Und siehe da, es kommt noch schlimmer.
Wir haben keine wirkliche Waffe in der Hand, aber die Abhängigkeit vom russischen Gas, das nicht allein, da gäbe es noch den Rohstoff Seltene Erden aus China. Nicht auch das noch, Russland und China in einem Satz. Es gibt noch kein Europa und Deutschland gar allein gegen die Welt? Es braucht schon sehr viel Optimismus, hieraus kein Menetekel zu erkennen.
Deutschland will Europas Hegemon sein, gar diktieren, was andere Staaten zu tun oder zu lassen haben, aber Russland seinen alten Anspruch auf das Baltikum und Polen verweigern? Ein wirklicher Antagonismus. Die Wirtschaft kann es nicht in ihrer Abhängigkeit von den Rohstoffen dieser Welt und ihrer Unfähigkeit, ohne Subventionen des Staates überhaupt unternehmerisch tätig zu werden. Diese Eliten und Leistungsträger, die Kanzlerin Merkel so sehr fördern will, laufen auf Krücken.
Die Politiker können es auch nicht, sie haben ja erst diese Abhängigkeiten von Russland und China geschaffen. Es reichte ein Blick auf Syrien dieser Tage, das als nicht mehr zu retten angesehen wird nach dem Jubel über die arabische Revolution. Dort hat der Westen, nicht Deutschland, destabilisiert, um Diktaturen zu beseitigen. Das Ergebnis ist zwiespältig, die Diktaturen sind weg, der Westen nicht mehr zuständig, das Neue gehört den Völkern dort überlassen.
Blicken die Balten dorthin, erhalten sie einen Einblick über das Wesen des Westens. Das ist der Ausblick auf ein Machtvakuum, wie es im Osten Europas gerade entsteht und Russland genau an dieser Stelle eingreift, um die Macht zu übernehmen. Der Punkt für Europa und damit für den Euro ist, wie viel Macht oder Ohnmacht besitzt Europa? Das lässt den Euro zu Papier werden, jederzeit ersetzbar durch ein anderes Papier, gleich, was da aufgedruckt wird. Es reichte aus, Geld darauf zu schreiben.
Die Herrschaft darüber haben die Banken, nicht die Politik und damit nicht die Demokratie, sondern die Oligarchen. Die Demokraten ergeben sich hilf- wie machtlos. Oder, um einen weiteren Altkanzler der Deutschen zu bemühen - Helmut Schmidt (SPD): „Wer Visionen hat, braucht einen Psychiater.“
Europa hat keine Vision, sondern ist eine Fiktion.
So kann Europa nichts werden, nicht zum Staat und nichts sonst. Es kann in den eigenen Völkern keine Glaubhaftigkeit gewinnen, heute nicht und nicht morgen. Dafür hätte es die Eurokrise nicht gebraucht, ein Ergebnis falscher Politik. Eine Politik, die Banken für systemrelevant erklärte und damit schuldfrei gesprochen hat von dem Desaster, welches Banken und die Gier angerichtet haben. Der politische Entwurf war, seit Altkanzler Konrad Adenauer (CDU), ein Europa für alle zu schaffen. Dieser Entwurf ist nun „60 Jahre und kein bisschen weise, aus dem Leben nichts gelernt“ (Curd Jürgens). Es gibt nicht nur keine Vision, es gibt auch kein Ziel.
Die Geschichte wird einst berichten, der Euro hat alles zerstört. So einfach ist es nicht, Geschichte hört nicht einfach auf, auch die Geschichte Europas nicht. Sie wird ständig fortgeschrieben, sie ist ein dynamischer Prozess. Kein Imperium hat je überlebt, nicht das alte Römische Reich, nicht das 1000-jährige Reich deutscher Nation. Europa hat seine Chancen auch in der Zukunft, etwas für die Menschen zu werden. Nur braucht es dafür nicht den Euro und nicht die Oligarchen des Geldes, sondern unabänderlich Demokratie zuerst. Auch das ist ein wunder Punkt Europas: Welche der verschiedenen Demokratieentwürfe dürften es denn sein - für alle? Darauf zuerst muss sich Europa verständigen, auch mit dem Willen, diese dann gefundene Demokratie für alle Beteiligten zu verteidigen.
Noch aber ist Europa nicht so weit, es ist gerade erst dabei, einen neuen gemeinsamen Feind zu finden, der sich mit Russland gerade anbietet. Oder es müsste Russland aufnehmen in seinen Kreis, statt es auszugrenzen. Unser Problem ist auch, dass wir nicht sagen können, „Euroland ist mein Land“, denn das ist es nach seiner inneren Verfassung nicht.
Auch das ist ein unglaublicher Vorteil Russlands, von dem die Russen sprechen als „Mütterchen Russland“, gleich, was auch immer ihnen in ihrer Geschichte darin widerfahren ist. Es ist ihre Heimat. Etwas, was der Euro nicht bieten kann. Europa kann eine Heimat der Nationen werden, dafür aber braucht es den Euro nicht. Es braucht dafür seine Völker und Menschen, die von sich sagen können: „Wir sind Europäer.“ Soweit ist die Geschichte noch nicht und kann auch nicht getrieben werden. Geschichte ist ein Prozess der Entwicklung, zuweilen von sehr langer Zeit.
Der Euro gehört als Fehlgeburt zu dieser Geschichte dazu, von ihm aber hängt die Zukunft nicht ab. Nur weil Ideologen glauben, dass der Euro eine kluge Idee sei, die man den Menschen nur verkaufen müsste. Historisch betrachtet ist der Euro nur Geld, wie andere Währungen vor ihm bereits auch.
Die Deutschen müssten es eigentlich wissen. Es hatte einst die Rentenmark, die Reichsmark, die DM und für die Ostdeutschen die Mark der Deutschen Notenbank (MDN). Gemeinsam ist diesen, dass sie in nur einhundert Jahren alle in den Orkus der Geschichte eingegangen sind. Und mit diesen auch das Kaiserreich Wilhelm II., die Weimarer Republik, das III. Reich, die DDR.
Der Euro, 2002 eingeführt, gelangte 2007 in seine Krise, dessen Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Das Referendum auf der Krim ist gelaufen, Russland hat die Krim als souveränen Staat anerkannt. Die EU nicht, sie hält die Volksabstimmung für völkerrechtswidrig. Warum? Was ist auf der Krim anders als in Schottland oder Katalonien, denen ein Referendum noch bevorsteht? Die Krim wird wirtschaftlich zu keinem Zeitpunkt eigenständig sein können. Nur hat das weder die NATO noch Europa in den Balkanstaaten interessiert, als sich Jugoslawien auflöste, sich Staaten wie Kosovo, Albanien, Serbien und Montenegro bildeten. Was also ist so viel anders auf der Krim? Die Bevölkerung der Krim hatte die Wahl zwischen Europa und Russland, abhängig davon, was diese heute ihnen bieten können. Vor dem Hintergrund, was genau bietet Europa der Ukraine, außer genau nichts?
Russlands Präsident Putin hat sich genommen, was er wollte, Europa hat zugesehen, die NATO hat eingesehen, dass sie keine Macht im Osten hat. Noch während die Politik Europas mit einem Handelskrieg droht, verkaufen deutsche Konzerne wie RWE die Ölförderung an ein russisches Konsortium und BASF ist mitten im Geschäft der South Stream Pipeline. Die deutschen Banken sind mit 17 Milliarden Euro in Russland im Geschäft, die europäischen Banken mit 194 Milliarden Euro. Wie glaubwürdig kann da die Politik mit einem Handelskrieg drohen? Oder welche glaubhaften Versprechen kann sie nach Osten geben, gleich, ob es um Estland, Lettland, Litauen oder Polen geht? Was ist mit Deutschland?
Kein Land ist historisch gesehen „näher“ an Russland. Sei es vormals Preußen gewesen, dessen Ursprung - die Prussen - im heutigen Polen und im Baltikum liegen, von denen die russische Zarin Katharina die Große entstammte. Preußen waren auch die Alliierten der Russen, als es gegen Napoleon ging - die Völkerschlacht Leipzig 1812 und Waterloo 1815. Preußen finanzierte Lenin und die russische Oktoberrevolution 1917.
Auf der Krim, Jalta 1943, wurde die Nachkriegsordnung Europas vereinbart und in Potsdam 1945 schließlich mit der Teilung Deutschlands besiegelt, der Staat Preußen für nicht mehr existent erklärt. Verlieren wir uns nicht in Kleinigkeiten. Die US-Armee stand bereits in Torgau bei Leipzig und übergab mit Potsdam 1945 Thüringen, Sachsen-Anhalt und Teile Sachsens den Russen. Mit Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg allein hätte es sicher keine DDR geben können. 1961 schauten die Alliierten dem Mauerbau zu. Berlin war bereits geteilt, als die Amerikaner die Luftbrücke zu Westberlin einrichteten, um diesen Teil der Stadt gegen die Russen zu verteidigen. Der Beginn des Kalten Krieges.
Einen Moment noch - für die Randnotizen der Geschichte. Russland lieferte Öl nach Ostdeutschland, die Pipeline hieß „Druschba“, endete in Leuna (bei Halle) und in Schwedt, dort wo diese Pipeline auch im Jahr 2014 noch immer endet. Die Leunawerke verkaufte Altkanzler Helmut Kohl (CDU) an Elf Aquitaine (Frankreich) und legte gleich noch 11 Milliarden DM dazu. Die PCK Raffinerie Schwedt ging u.a. an die Shell AG (Großbritannien).
Sein Nachfolger Altkanzler Schröder (SPD) verbandelte die Wintershall AG der BASF mit der russischen Gazprom zum Bau der North Stream Pipeline durch die Ostsee - an Polen vorbei. Dem nicht genug, wechselte er vom Kanzleramt in den Aufsichtsrat der Gazprom. Und nun, Vorhang auf zum nächsten Akt der Geschichte - die Ukraine und die Krim. Welche Position hat Deutschland und was kann Deutschland überhaupt tun? Darf es eigene Interessen haben? Wer in Europa könnte die deutschen Energiebedürfnisse ersetzen, die derzeit Russland bedient? Und nicht zu vergessen, ohne sich in kapitalistischer Manier an der Situation ungebührlich zu bereichern?
Norwegen könnte das, zumindest teilweise. Aber hier lauert eine Randnotiz der Geschichte. Da liegt ein Stromkabel von Norwegen nach Deutschland, das keinen Anschluss an das deutsche Energienetz hat. Denn Norwegen hat Pumpspeicherkraftwerke - Stichwort Ökostrom. Warum sollte Norwegen Öl und Gas nach Deutschland liefern ohne die Gegenforderung, dass das Unterseekabel endlich an das deutsche Stromnetz angeschlossen würde? Politisch ist alles möglich, man erklärt heute das eine und morgen das Gegenteil, falls die Wirtschaft da mitspielen würde. Jene in Vertretung von RWE, BASF oder der Autoindustrie, den deutschen Wirtschaftsinteressen in Russland, die Norwegen nicht ersetzen kann.
Ganz so einfach ist es nicht, einen Handelskrieg in Szene zu setzen, denn am langen Ende wirkt immer die Geschichte. Hierin ist Russland kein Neuankömmling. Zu den klassischen Säulen der Macht gehören Militär, Energie, Kommunikation, Medien und Ernährung. Auf diesen Säulen basieren Krieg und Frieden. Wirtschaft gibt es im Krieg wie ebenso im Frieden. Militär fällt als Option aus, gleich ob Deutschland oder Europa. Europa hat bereits Probleme, seine beschlossene Mission in Afrika überhaupt zu erfüllen, die NATO fällt aus.
Energie fällt für einen Handelskrieg aus, für Deutschland, es fehlt an anderen Versorgungslinien für Gas und Öl. Auf Kommunikation kann niemand setzen, gleich, ob Mobilfunk oder Internet, beides sind keine deutschen Technologien. Deutschland baut keine Handys und keine Computer, ohne amerikanische Chips funktionierte in Deutschland nicht einmal das Internet. Blieben noch Fernsehen und Zeitungen, die ebenso mehr und mehr über das Internet kommunizieren. Wenigstens die Ernährung klappt, auch ohne Feta und Oliven, aber auch nur so lange, wie Kartoffeln und Schnitzel bezahlbar blieben. Mit einem Wort, Krieg ist keine Option, nicht einmal ein Handelskrieg, mangels Macht und Möglichkeit. Bliebe noch Kapital, auch Geld genannt. Das bisschen von 194 Milliarden Euro an Risiken bei den europäischen Banken kann nicht wirklich beeindrucken. In der Finanzkrise wurde allein Griechenland mit 230 Milliarden Euro gerettet, mehr die Banken, nicht so sehr die Griechen. Bei 9 Billionen Euro Staatsschulden in Euroland können die 194 Milliarden Euro der Banken im russischen Geschäft nicht einmal eine Drohkulisse bilden.
Kommt man über den Hund, kommt man auch über den Schwanz. Diese Peanuts werden im Ablauf der Eurokrise gleich mit vergraben. Umgekehrt kann auch Russland nicht verbrannte Erde spielen. Das funktionierte noch zu Napoleons Zeiten und gegen Hitler. Auch Russland muss heute auf seine Wirtschaft, eher auf seine Oligarchen achten, sprich die Kosten eines Handelskrieges. Die Krim und die Ukraine kann Russland aus der Portokasse subventionieren, solange die Handelswege funktionieren. Der Rohstoffexport Russlands finanziert seine politischen Machtinteressen. In diesem labilen Gleichgewicht begegnen sich Europa und Russland. Das rückt Deutschland in den Mittelpunkt - nicht Europa.
Wie jede andere Nation Europas hat auch Deutschland seine nationalen Interessen. Wie alle anderen nationalen Interessen sind diese mit einem Europa nicht kompatibel. Einmal mehr, ein vereintes Europa wird es nicht geben, Sonntagsreden der Politik hin oder her. So viel Macht besteht in Europa nicht. Der Euro ist nur eine Währung in Europa, aber er kann keinen Staat begründen. Bei den bestehenden Handelsungleichgewichten kann er auch keinen Staat begründen, was seine politische Idee gewesen ist. Der Euro besteht kraft politischen Willens und nicht wegen einer ökonomischen Notwendigkeit. Was wäre geworden, wenn Europa der Ukraine den Euro als Währung angeboten hätte? Nur 11 Milliarden Euro braucht die Ukraine, um den Staatsbankrott abzuwenden. Warum also hat Euroland nicht zugegriffen, als es die Chance dazu hatte, zum Schnäppchenpreis?
Auf dem EU-Gipfel, dem letzten vor der Europawahl, haben die 28 Mitgliedsländer den Austausch von Steuerdaten vereinbart, die faktische Auflösung des Bankgeheimnisses. Für Steuerhinterzieher wird es eng in Europa. Es brauchte erst die Finanzkrise, damit der Staat seinen Teil von den Reichen einfordert, den diese ihm ohnehin schulden. Wenige sind das nicht, z.Zt. gehen monatlich etwa 1000 Selbstanzeigen bei den Finanzämtern ein. Wer nach dem Urteil gegen Uli Hoeneß noch erwischt wird, lebt mit der Angst vor einer Gefängnisstrafe nebst existenziellem Totalschaden. Das dürfte die Motivation deutlich beflügeln, lieber dem Staat zu geben, was des Staates ist.
Not macht erfinderisch, das geht den Menschen wie den Staaten. Der vermittels der Finanzkrise gebeutelte Staat erweist sich als erfinderisch. Für einen Staat, wenn man ihn denn europäisch denkt, ist eine gemeinsame Finanzpolitik von grundlegender Bedeutung. Dazu gehörte jedoch auch eine Steuerharmonisierung - und nicht ein Wettlauf um den billigsten Steuerstandort. Von einer Steuerharmonisierung ist Europa noch weit entfernt. Der Auslöser für den Schritt des Steuerdatenaustausches ist nicht der europäische Gedanke, sondern die nackte Not der nationalen Haushalte. Die ließe sich mit einer Finanztransaktionssteuer effektiv lindern, daran geht die Politik jedoch nicht. Nicht europaweit und nicht einmal im Euroraum. Die nationalen Interessen liegen denn doch zu weit auseinander.
Einfacher ist es, die Bürger steuerlich heranzuziehen. Nach wie vor lassen sich durch Steuertourismus Steuern ganz legal sparen, sofern der Bürger die EU-Freizügigkeit nutzt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Franz von Soisses
Cover: Soisses Verlag
Lektorat: Cornelia von Soisses
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2019
ISBN: 978-3-7487-2414-8
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