Organspende ist ein gesellschaftliches Grundthema, das sich mit kapitalistischen Annahmen nicht beantworten lässt. Kommerzielle Organspenden und Organhandel sind verboten und werden es zu humanen Bedingungen auch bleiben.
Noch gilt in Deutschland die Einwilligung zur Organspende als gesetzliche Voraussetzung und nicht das „Opt-out-Verfahren“ - liegt keine Erklärung für oder gegen eine Organspende vor, können die Ärzte nach eigenem Willen entscheiden. Beide Verfahren gelten für postmortale Organspenden - der Spender ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Es gilt das Gleichnis, „gestorben wird immer“, deshalb habe es immer ausreichend mögliche Spenderorgane zur Verfügung. Aber das ist in der Praxis nicht so, sonst hätte man nicht die Wartelisten und den Mangel an Spenderorganen.
Schon wird die Debatte um Lebendspende geführt, etwa über Tauschringe oder Tauschketten. Im Idealfall fänden sich freiwillige Spender auf altruistischer Basis, um eben die benötigten Organe zu spenden. Ein offensichtlich humaner Ansatz, nur ist der Mensch nicht altruistisch veranlagt und eine kapitalistische Gesellschaft gleich gar nicht. Das aber wäre nicht der Aspekt, sondern das Ergebnis einer solchen Lebendspende. Das Dilemma besteht in den Nebenwirkungen.
49,1 % der Spender leiden an kardiovaskulären Erkrankungen
45,2 % der Spender leiden an Niereninsuffizienz
47,2 % der Spender leiden an Hypertonie
Oder umgekehrt, statt eines kranken Menschen gibt es im Ergebnis zwei kranke Menschen nebst deren ökonomischer Bewertung durch eben die kapitalistisch orientierte Gesellschaft. Vorbei wäre der altruistische Ansatz, der einer Lebendspende unterstellt wird.
Es ist ja genau nicht so, dass nur „der Staat sparen muss“, wie es das aktuelle Mantra der Politik ist, auch die Krankenkassen sollen sparen. Mehr und mehr Zuzahlungen belasten heute bereits die Patienten, um das Für und Wider der Praxisgebühr wird ideologisch verbissen gekämpft, das Rentenniveau wird politisch gewollt gesenkt. Vor diesem Hintergrund „will“ oder soll eine Gesellschaft statt eines bedauerlich Erkrankten hernach zwei nicht gesunde Menschen solidarisch alimentieren?
Vor dieser Orientierung der Gesellschaft lassen sich nicht Augen und Ohren verschließen. Wenn sonstig in dieser Gesellschaft, politisch so gewollt, kein soziales Bewusstsein vorhanden ist, woher dann die Annahme, dass die Betrachtung bei einer Lebendspende sich diametral verhalten sollte?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der nicht wenige Lebensrisiken gar nicht versichert werden, für nicht noch so viel Geld.
Wer wegen einer chronischen Erkrankung erwerbsunfähig oder teilweise erwerbsunfähig wird, verliert damit auch seine Kreditwürdigkeit zusammen mit seinem Arbeitsplatz mangels Leistungsfähigkeit. Nicht selten einhergehend mit Bedürftigkeit und damit Hartz IV, von dessen Empfängern die honorige Politik sagt, dass diese Personen „faul und bildungsfern“ seien. Diese Sichtweise sollte sich ändern in Bezug auf eine Lebendspende mit den nicht unerheblichen Risiken und Medikamentenkosten? Man wird schon sehr hoch im Eiffelturm der Wissenschaft sitzen müssen, um dieser naiven Annahme auch nur einen Gedanken leihen zu können.
Auf der anderen Seite aber heißt es: „Deutschland ist ein Sozialstaat“ - so die grundgesetzliche Verpflichtung des Staates. Sozial ist die hoheitliche Aufgabe des Staates genau deshalb, weil die Gesellschaft als solches und der Mensch im Wesentlichen nicht altruistisch veranlagt sind und soziales Bewusstsein nicht zu den freiwilligen Leistungen der Menschen gehören. Selbst der Staat verweigert sich seinen Pflichten nach Kräften, die Politik provoziert absichtlich Grundgesetzkonflikte - siehe Hartz IV.
Aber ja, humanistisch wäre eine Lebendspende eine wünschenswerte Möglichkeit, nur sind Wunsch und Wirklichkeit nicht das Gleiche. Selbst bei optimistischer Annahme, es kommt (weil heute zulässig) innerhalb einer Beziehung zu einer Lebendspende von einem Lebenspartner an den anderen, was wäre denn, wenn die Beziehung auseinandergeht? Gehört der wirtschaftliche Vorteil, den der Empfänger erlangt, dann zum Zugewinnausgleich?
Dann wäre bereits an dieser Stelle der altruistische Ansatz ad absurdum geführt.
Oder was ist mit der Tatsache, je älter der Spender, je geringer der Nutzen des gespendeten Organs? Eine 70-jährige Niere würde ja in einem 20-jährigen Empfänger nicht jünger. Der Empfänger stünde über kurz oder lang erneut auf der Warteliste. Welche Sozialstruktur fände sich unter den Tauschringen und Tauschketten zusammen? Naturgemäß nehme das Verlangen nach einem jüngeren Organ zu, wie umgekehrt das Verlangen nach einem alten Organ abnehmen würde. Wieder wäre der altruistische Ansatz ad absurdum.
Einmal diese Tauschringe oder Tauschketten eingeführt, wer wollte das Bilden von Anreizen verhindern, gleich, ob auf legalem oder illegalem Wege? Warum nicht einem Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft ermöglichen durch Eheversprechen im Tausch für ein Organ? Es ist ja nachgerade nicht so, dass es keine Wirtschaftsflüchtlinge gibt und keine grenzüberschreitenden Heiraten. Wäre das Missbrauch? Aber sicher. Wer wollte den denn verhindern? Wo es Licht gibt, da gibt es auch Schatten. Bei Weitem nicht nur unter den Armen der Länder. Gerade Reiche sind im Glauben fest, sich alles kaufen zu können. Gesetzlich abgrenzen ließe sich das nicht.
Gesetze sollen das Zusammenleben in einer Gesellschaft regeln, den Missbrauch verhindern können Gesetze nicht. Regierungsamtlich wird bedürftigen Menschen in unserem Land der Missbrauch unterstellt, ganz ohne Beweis dafür. Da will man ausgerechnet bei Organspenden den schieren Altruismus unterstellen?
Und das im Angesicht der jüngsten Klinikskandale mit Organhandel, der illegal ist und trotzdem geschieht.
Wenn, dann muss die Debatte mit offenem Visier geführt werden - in welcher Gesellschaft wir leben, mit welcher Orientierung und welcher vorherrschenden Politik. Eine Lebendspende ließe sich ethisch rechtfertigen, nur ist Ethik kein Bildungsbestandteil in Deutschland und schon gar nicht Grundlage gesellschaftlichen Handelns. Die sozialistischen Staaten haben es nicht vermocht, altruistische Gesellschaften hervorzubringen, nicht mit Diktatur und nicht mit Bildungsinhalten. Woher die Annahme, dass es kapitalistischen Staaten gelingen könnte? Lebendspenden gingen den Weg allen Irdischen, sie bedürften über kurz oder lang einer Abfindung und einer sozialen Absicherung, insbesondere bei den bestehenden Risiken und Nebenwirkungen. Weil wir keine andere Gesellschaft haben und bei aller Notwendigkeit auch keine andere Gesellschaft erhalten werden in absehbarer Zeit. Da wir nicht in der Lage sind, Armut im eignen Land zu überwinden, werden wir uns damit abfinden müssen, dass Organe einen Wert haben, sobald man Handel
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Cover: Soisses Verlag
Lektorat: Cornelia von Soisses
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2019
ISBN: 978-3-7487-2325-7
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