Das Buch ist autobiographisch und beschreibt eine wahre Begebenheit der DDR-Geschichte. Es ist versehen mit 4 zusätzlichen Kapiteln zu den historischen Zusammenhängen. Den Opfern der Staatssicherheit der DDR gewidmet die mehrheitlich bis heute schweigen. Es wird Zeit die Erinnerungen aufzuschreiben, denn es leben nur noch 47.000 davon unter uns, die Ältesten sind bereits 85 Jahre alt. Die DDR taugt nicht zur Legendenbildung, war aber 40 Jahre Realität, davon 28 Jahre Mauer im geteilten Deutschland. Ein Ort der historischen Begegnung ist die Stasiopfergedenkstätte in Potsdam Luisenstraße 54. Ein Bau der Zeit seines Bestehens ein Gefängnis gewesen ist. Erbaut 1893, übernommen von der Gestapo im III.Reich, gefolgt vom russischen NKWD nach dem Ende des II.Weltkrieges und schließlich vom MfS dem Ministerium für Staatssicherheit.
Es ist nicht daran zu tun, eine Opferelegie zu schreiben, sondern aufzuzeigen, dass Unrecht geschehen ist, das unheilbar ist. Es sind zwei verschiedene Begrifflichkeiten, das juristische Ereignis und die Ereignisse im Gefängnis. Das Leiden ergibt sich nicht aus den Realitäten eines Gefängnisses, sondern aus dem Bewusstsein, unschuldig dort gewesen zu sein. Juristisch wurde einst ein Urteil gesprochen „Im Namen des Volkes“ eben in der DDR, in gleicher Sache wurde ein Urteil gesprochen
„Im Namen des Volkes“ eben in der BRD, 16 Jahre später. Beide Urteile ergingen auf der gleichen rechtlichen Grundlage, der Verfassung der DDR von 1968. Im ersten Urteil hieß es schuldig, im zweiten Urteil Freispruch. Die Gefängniszeit zwischen diesen beiden Urteilen ist als verlorene Lebenszeit juristisch unheilbar wie ebenso die Folgen daraus, für die Biografie und Gesundheit. Das macht es schwierig niederzuschreiben, es gelingt nicht an einem Stück, will man objektiv bleiben und nicht als Opfer weiter leiden. Zweimal wurde geurteilt über die Sache selbst, von den Verantwortlichen für das Unrecht wurde niemand verurteilt.
Kein ehemaliger Stasimitarbeiter, keiner der ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi, kein Gefangenenwärter. Über allem schwebt das Ideal des Rechts als hohes Gut. Nur kann man das nicht essen oder sonstig als Vermögen verbuchen, man kann damit nichts wirklich beginnen, außer eben erinnern. Details bleiben z.T. ausgeblendet, weil es nicht möglich ist, chronologisch zu schreiben in der „Haft der Erinnerungen“ an eine Zeit, von der man nicht wirklich weiß, ob es denn hätte anders sein können, wenn es das erste Urteil nicht gegeben hätte. Nein, diese Alternative bestand nicht, damals nicht und nicht heute in den Nächten der Erinnerung. Es ist tatsächlich so, dass die Alternativen undenkbar sind. Als Opfer des Unrechts ist ein Schuldeingeständnis nicht möglich.
In dieser Ausgabe bleiben Details aus dem Gefängnis ausgespart. Ein Beispiel ist die Hygiene in einem Gefängnis, hier kurz abgelegt, vielleicht für ein späteres Kapitel. Zu reden wird sein über Einzelhaft, 4-Personenzelle und schließlich eine 20-Mannzelle. Eine jede Zelle hat die immer gleiche Einrichtung, Bett, Stuhl und Tisch und eine Toilette. Befindlicher wird diese Einrichtung in einer 4-Mannzelle. Die Toilette ist nicht abgegrenzt, sondern offener Bestandteil in einer Zelle. Bei 4 Gefangenen nutzt ständig jemand das Klo, während die anderen 3 Gefangenen geduldig zusehen, was sollten sie auch sonst machen.
So etwas wie eine Privatsphäre gab es nicht. Wer halt gerade muss, wird halt müssen. Duschen das Gleiche, einmal pro Woche gingen 4 Männer gleichzeitig in eine Zelle zum Duschen, nackt, wie Mutter Natur sie geschaffen hat. Damit verbunden sind die Geschichten wie „nur ja nicht die Seife fallen lassen und sich bücken“ oder immer zusehen, dass man „den Hintern an der Wand hält“. Zahlreiche Anekdoten rund um Duschen und Klo ließen sich schildern, ein eigenes Kapitel im Umfang. Es gibt keine peinlicheren und hilfloseren Orte als eine Kloschlüssel und eine Massendusche. Das aber war es ja nicht, das Unrecht das geschehen war, und um dessen Darstellung es schlussendlich geht.
Strafverfolgung nimmt jeder Staat vor, die Folge davon sind Gefängnisse. Das sind andere Orte mit einer anderen Sozialisation und anderen Normierungen, mit nicht geschriebenen Regeln. Die Wärter sind die Feinde, die Mitgefangenen sind die Kameraden. In vielen Dingen in gleicher Not, in ebenso vielen Dingen ungleich im Haben und Sein. Die Gefängniszeit gehört zu der Geschichte, wie eben auch das Urteil, das einen dorthin brachte. Die Zeit danach gehört nicht mehr dazu. Im Aspekt des Gefängnisses war man vorher frei und nachher auch wieder. Das ist der gesuchte Begriff, wenn Unrecht zur Unfreiheit führt und der Umgang damit.
Vielleicht erfolgt später der Versuch, die Stasi Akte einzubinden und zu veröffentlichen, weil Bilder mehr sagen als all die vielen Worte. Es ist nicht die Scheu vor dem Aufwand, das jetzt noch nicht zu tun, sondern die eigene Befindlichkeit damit. Denn bei allem auch, die Ereignisse sind geschehen in einer anderen Zeit, deren Kontext nur schwer zu beschreiben ist. So eine Gefängniszelle ist ein trister Ort, nicht so, wie es heute im Boulevard geschildert wird. Aber als Lebensmittelpunkt für einen Gefangenen bietet eine Zelle auch Möglichkeiten. Noch einmal die Erwähnung einer Kloschüssel, die keiner besonderen Beschreibung bedarf.
Wir hatten damals die Ausführung mit Druckspüler. Wenn man die Spülung drückte und mit der Bürste kräftigt schrubbte, bildete sich ein Unterdruck, das Wasser lief ab und die Kloschüssel war schlicht leer, ohne Wasser. Wenn das Gleiche im selben Abwasserstrang eine andere Zelle tat, gab es zwei leere Kloschüsseln und damit eine Sprechverbindung, Knasttelefon genannt. Wie kommt man auf so einen Gedanken? Nun, die Wärter betrieben einen gewissen Aufwand, die Kommunikation zu unterbinden, zumal zwischen zwei Zellen. So macht Not erfinderisch und die Gefangenen suchten nach aller Art Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung und Kommunikation.
Es war sicher etwas mehr Aufwand erforderlich, wie sollte schließlich die andere Zelle erfahren, dass und wann die Verbindung hergestellt werden soll. Aber auch daran war gedacht, ohne das jetzt hier zu schildern. Ein Gefängnis ist zwar abgeschottet aber keinesfalls isoliert. Die Gefangenen schaffen sich die Möglichkeiten für Nachrichten untereinander wie ebenso Nachrichten nach draußen. Seither sind über drei Jahrzehnte vergangen, selbst einem interessierten Wärter würde hier nichts Neues geschildert, was dieser selbst in den Jahren nicht bereits erfahren hätte.
Es gehört sich nicht, darüber zu schreiben, auch als ehemaliger Gefangener redet man nicht mit den Feinden. Die geschilderte Funktion einer Klospülung unterliegt der BMSR-Technik, ein Unterrichtsfach, das zur Allgemeinbildung an den DDR-Schulen gehörte, damit gebe ich nichts von mir, was irgendwie neu wäre. Wie aber beschreibt man eine Gefängniszelle aus den Zeiten der DDR ohne kleine Beispiele zu benennen, was dort alltäglich geschehen ist? Warum überhaupt beschreiben? Wegen der Freiheit, die man zuvor hatte und nachher wieder erlangte. Nicht der philosophische Freiheitsbegriff, sondern der alltägliche.
Der Alltag draußen ist vielfältig und selbstbestimmt, der drinnen im Gefängnis ist reglementiert und befehlsorientiert, wie eine Zelle ein verflucht enger Ort ist, aus dem auch kein Fluchtinstinkt befreit. Eine Kleinigkeit vielleicht noch: In der ganzen Zeit im Gefängnis habe ich keine Mücke, keine Fliege und keine Spinne jemals in einer Zelle gesehen. Selbst Insekten meiden diese Orte. Genau solche Kleinigkeiten geben einen Eindruck davon, was Gefangene beobachten und wahrnehmen, an jedem einzelnen Tag. Nicht, weil einen die Fliege an der Wand nicht mehr stört, sondern eine solche Fliege gar nicht da ist, wie tausend andere Dinge auch nicht. Eben das macht ein Gefängnis zu einem bedrückenden Ort, erst recht, wenn man unschuldig dort ist.
Ab hier schließt sich der Kreis, wo Unschuldige sind, können die Schuldigen nicht fern sein. Die Wärter taten ihren Dienst, weil es so ihre Pflicht war. Deshalb wurde kein Wärter jemals zur Verantwortung gezogen, nur wir Opfer bleiben mit unserer Unschuld allein in der Geschichte zurück. Diese Art Unrecht ist juristisch nicht heilbar. Eine Handlungsalternative, das Gefängnis zu vermeiden, bestand nicht. Auch mit Akteneinsicht und in Kenntnis der Stasiakte erfährt man nicht alles. Viele Seiten sind abgedeckt mit dem Hinweis „Betrifft Rechte Dritter“. Die Opfer erfahren nicht, was diese Dritten für einen Beitrag zum Geschehen geleistet haben.
Noch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung waren ehemalige Stasimitarbeiter bei der Stasiunterlagenbehörde, dessen Amtschef einst Herr Gauck gewesen ist. Ehemalige Stasimitarbeiter verwalteten die Akten über die Opfer. Derart sind die Beschwernisse mit der Erinnerung, die ein ganzes Leben Bestand haben. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die „Zeit ihren Mantel darüber legen wird“, das genau geschieht nicht. Das Anliegen ist, dass so etwas nicht wieder geschehen darf, in keiner Zeit, nur weil Politik glaubt, über dem Recht zu stehen.
Als die Karte kam „Sie brauchen nicht anzutreten, halten Sie sich für eine spätere Verwendung zur Verfügung“, da hätten die Alarmglocken schrillen müssen im September 1975. Denn für den 03.Oktober war mein Einberufungsbefehl zur NVA ausgestellt worden. Meine Gedanken waren: „Auch gut, dann brauche ich nicht zur Trachtentruppe.“ Ein paar Wochen später wurde mir vertraulich mitgeteilt, dass die Stasi erklärt habe, ich stünde außerhalb jeden Verdachtes. Wenn einen so viele gute Nachrichten erreichen, kann man sich nichts Böses denken. Noch Silvester 1975/76 leistete ich eine Doppelschicht, alles für den Aufbau des Sozialismus, warum wohl sonst, einst in der DDR mitten im Kalten Krieg.
Im Januar war es anders, früh am Morgen, so gegen 7:00 Uhr rückten vier Herren an und eröffneten meiner Mutter, dass sie mich sprechen wollten. So wurde ich lieblos geweckt, ich solle mich anziehen und mitkommen zur Klärung eines Sachverhaltes. Schlaftrunken zog ich mich an, während meine Mutter fragte, ob sie mir ein Frühstück machen sollte. Ich verneinte und sagte: „Lass gut sein, bin gleich wieder zurück, wir frühstücken dann in Ruhe.“ Dass es mit der Ruhe wohl nichts werden würde, ahnte ich, als ich meine erste Jacke anzog und einer der Herren mich abtastete. Gut 10 oder 15 Kugelschreiber hatte ich in den Taschen, die ich herausnehmen sollte. So zog ich die Jacke aus, griff die nächste Jacke mit dem gleichen Ergebnis, wieder befanden sich Kugelschreiber darin.
Bei endlich der dritten Jacke verstand ich, dass ich wohl keine Kugelschreiber mehr brauchen würde. Abgang, Einstieg in ein Zivilfahrzeug mit zwei der vier Herren und Abtransport in die Stasizentrale. Da sah ich auf einem langen Flur, was wohl der Grund sein könnte für meine Anwesenheit. Vor jeder Zimmertür stand einer meiner Freunde, mit mir waren wir an diesem Morgen 21 Personen zur Klärung eines Sachverhaltes. Eine Endlichkeit später im Verhörzimmer war die erste Frage, ob ich wüsste, warum ich hier sei? Wusste ich nicht, also sagte ich: „Macht die Akte wieder zu, kann nur ein dummer Jungenstreich sein.“
War es nicht, sonst hätte es der Vorführung von 21 jungen Leuten nicht gebraucht. Über den Verlauf des Tages erfuhr ich mehr und mehr, was der Grund der Veranstaltung wohl sein könnte. Den wahren Anlass erfuhr ich erst gut 16 Jahre später, nicht aber an diesem Tag und an keinem anderen. Zunächst sagte ich noch, nun macht mal schnell, Mutter wartet zu Hause mit dem Frühstück auf mich. Das tat sie vermutlich auch, nur diese Herren der Stasi hatten es nicht eilig. Bis so ein Verhörprotokoll auf einer Schreibmaschine mitgeschrieben ist, kann das eine Ewigkeit dauern. Zumal jede Aussage nochmals vorgelesen wird und der Delinquent widerspricht:
„So habe ich das nicht gesagt.“ Raus mit dem Blatt Papier aus der Maschine, ein neues eingespannt, von vorn neu getippt, bis das Wort sitzt und der Delinquent zufrieden ist. Das frisst Zeit und nagt an der Geduld. Pausen sind nicht vorgesehen. Laufend diese Störungen, irgendwer kommt ins Zimmer, flüstert dem Verhörenden was ins Ohr und los geht die Befragung, wobei der Delinquent schweigen will. Was DIE nicht wissen, brauchen DIE auch nicht zu protokollieren. Dann geht das auch schneller und ab nach Hause zu Muttern, der Kaffee wird schließlich kalt. So wurde es 10:00 Uhr und schließlich Mittag, am Nachmittag habe ich das Frühstück abgeschrieben, na vielleicht klappt es ja mit dem
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Bildmaterialien: Franz von Soisses
Cover: Soisses Verlag
Lektorat: Cornelia von Soisses
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2019
ISBN: 978-3-7487-2203-8
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