Ein paar Tage vor Weihnachten war Frau Weiß damit beschäftigt, die letzten Einkäufe für das Fest zu tätigen. Schon vor Wochen hatte sie mit der Planung begonnen. Denn, wie immer, sollte das Weihnachtsfest perfekt werden.
Von innen und außen war das Haus, bis ins kleinste Detail ausstaffiert. Die Verwandtschaft sollte, wie in jedem Jahr, aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.
Frau Weiß kontrollierte noch einmal ihren Einkaufzettel. Ja, sie hatte wohl alles.
In Gedanken versunken, trat sie schließlich den Weg zu der überfüllten Kasse an.
Seit dem letzten Weihnachtsfest war viel passiert. Ihre Schwester Silke und deren Mann Harry waren zerstritten. Silke hatte ihr am Telefon erzählt, dass sie sich ungeliebt und vernachlässigt fühlte.
Ja, Harry war eher ein stiller Typ, der nur selten aus sich herausging. Aber so war Harry schon immer gewesen und Silke hatte ihn schließlich so genommen, mit allem drum und dran.
Währenddessen Silke ihr Dasein, als Hausfrau und Mutter bestritt, war Harry fast den ganzen Tag außer Haus.
Natürlich waren am Heiligabend auch ihre Schwiegereltern Margot und Franz Weiß wieder mit von der Partie. Margot würde wieder sagen: „Kind, du machst dir viel zu viel Arbeit.“ Und im gleichem Atemzug käme: „Ach, wie schön du alles wieder hergerichtet hast. Ich hätte dafür keine Nerven mehr.“
Ja, Nerven hatten die ganzen Weihnachtsvorbereitungen reichlich in Anspruch genommen. Das ganze Haus in eine weihnachtliche Stimmung zu versetzen, entwickelte sich jedes Jahr, zu einer stressigen Tortour.
Bernd, ihr Mann, war beim Paketdienst angestellt. Seit Tagen schon, leistete er unzählige Überstunden, um die Weihnachtsüberraschungen, welche sich in den vielen Paketen befanden, rechtzeitig auszuliefern.
Die Kasse, im Supermarkt, war von gestressten Menschen umlagert, die nur eines im Sinn hatten, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Ein Vergnügen war das wahrlich nicht, kurz vor Weihnachten einkaufen zu gehen.
Silvia Weiß überlegte kurz. Sie drehte sich noch einmal um. Sie bog ab, zum Tierfutterregal. Nein, eine Dose Katzenfutter, das stand nicht auf ihrem Einkaufzettel. Aber trotzdem legte sie gleich drei davon in ihren Wagen.
Lina, ihre Tochter, hatte sich diese Weihnachten so sehr eine Katze gewünscht. So wie die, welche sich immer hinter der Garage herumdrückte und so herzergreifend miaute. Doch Bernd war strikt dagegen. Eine Katze, im Haus, das käme für ihn nicht in Frage.
Lina hatte die Katze Mia getauft. Jeden Tag, gleich nach der Schule, suchte sie nach dem Kätzchen. Manchmal war sie da und manchmal nicht.
Ihr Vater hatte ihr erklärt, dass Mia ein schöner Zuhause besäße und Katzen, im Allgemeinen, Streuner seien.
Lina wollte das nicht verstehen. Für sie stand fest, Mia befand sich auf der Suche nach einem neuen Heim.
Über die Lippen, von Frau Weiß, huschte ein sanftes Lächeln. Täglich bekam Mia heimlich eine kleine Schüssel mit Futter. Und wenn sie später wieder hinausging, um das Schälchen zu holen, war alles verputzt. Mia war sehr zutraulich, schlich Frau Weiß immer schnurrend um die Beine, um ihre Freude auszudrücken.
Die Schlange, an der Kasse, hatte sich gelichtet. Silvia Weiß nahm die Gelegenheit wahr, um sich anzustellen. Die Kassiererin begrüßte sie mit einem hochrotem, stressgeplagtem Gesicht, als sie schließlich an der Reihe war.
Die frische Luft tat Silvia gut, als sie den Supermarkt verließ. Noch ein, zweimal durchgeatmet, dann ging es auch schon weiter. Die Einkäufe wurden im Auto verstaut.
Bernd hatte heute Schicht, bis achtzehn Uhr. Da war er vor sieben nie zu Hause. Lina war heute den letzten Tag, vor den Ferien, in der Schule.
Frau Weiß stieg ins Auto. Das Ausparken entwickelte sich zu einer komplizierten Angelegenheit. Obwohl es erst Vormittag war, war der Parkplatz reichlich gefüllt.
Plötzlich gab es einen Knall. Ein Mann stieg aus seinem Auto aus und wetterte, was das Zeug hielt. Frau Weiß, welche noch immer in ihrer Parklücke verharrte, beobachtete das ganze Spektakel vom Rückspiegel aus. Eine ältere Frau stieg aus dem anderen Auto. Der Mann kam drohend auf sie zu und baute sich vor ihr auf. Er war mindestens zwei Köpfe größer. Die Frau kam nicht einmal zu Wort. Das konnte Frau Weiß nicht so stehen lassen. Sie verließ ihr Auto und stellte sich direkt neben den Streithahn. „Mein Herr, beruhigen Sie sich. Immerhin waren Sie derjenige, welcher der Dame hinten drauf gefahren ist. Ich habe alles genau gesehen.“
Eine plötzliche Ruhe kehrte ein. Des Mannes Gesichtszüge entspannten sich. Er musste sich eingestehen, dass er die Schuld an der ganzen Misere ganz alleine trug. Die Sache wurde schließlich friedlich beendet.
Wie durch ein Wunder schien jetzt auch die ganze Hektik, welche den Parkplatz zuvor eingenommen hatte, verflogen zu sein.
Nun aber schnell nach Hause, dachte Frau Weiß. Sie wollte doch Mia noch ein Schälchen Futter hinstellen. Lina durfte davon nichts wissen, denn sie hätte das kleine Geheimnis wahrscheinlich sofort ausgeplaudert und wie Bernd darauf reagieren würde, das wusste sie nicht.
Eine halbe Stunde, vor Schulschluss, erreichte sie schließlich das Haus. Noch sah es aus, wie immer. Aber schon am Abend würde die ganze Fassade in einem vorweihnachtlichen Glanz erstrahlen. Bernd hatte an einem Urlaubstag schon früh damit begonnen, hunderte Lämpchen anzubringen. Erst am Abend war er damit fertig geworden.
Frau Weiß sprang aus dem Auto. Die kleine Futterschale hatte sie gut versteckt. Bernd schaute nie in die Kisten rein, die Silvia in einer Ecke der Garage deponiert hatte. Der Krimskrams interessierte ihn nicht. Da war die Futterschale bestens aufgehoben.
Mia wartete schon hinter der Garage auf sie. Fast war es schon ein kleines Ritual geworden, dass Frau Weiß ihr täglich eine Portion Futter hinstellte. Womöglich gehörte das Kätzchen den Nachbarn, aber die waren kaum zu Hause, sodass Mia wahrscheinlich Anschluss suchte. Weiter, wie bis zu den Garagen, ging Mia nie. Der Straßenlärm schien ihr Angst zu machen.
Noch schnell die Getränke in der Garage verstaut, den Futternapf versteckt und ran, an den Herd. Sicherlich würde Lina gleich auftauchen und alles sollte so wie immer sein.
Die Nudeln mit Tomatensoße waren schon fast fertig. Da kam Lina zur Tür herein. Sie warf ihren Ranzen in die Ecke und gab ihrer Mutter den obligatorischen Begrüßungskuss.
Silvia Weiß wusste, dass ihre Tochter nicht eher Ruhe geben würde, bis sie bei Mia vorbeigeschaut hatte.
„Wir essen in fünf Minuten“, meinte Silvia, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Lina nickte und verschwand.
Am Nachmittag kam Linas Schulfreundin, Svenja, vorbei. Mit ein paar Kissen und einer Decke ausgestattet, bauten sie sich hinter der Garage ein Lager. Svenja war in Besitz einer Gummimaus, welche ein quietschendes Geräusch von sich gab. Mia war ganz wild, auf das Spielzeug und machte wilde Sprünge, um das Mäuschen zu bändigen. Gegen achtzehn Uhr ging die Freundin dann nach Hause und nahm das Gummispielzeug wieder mit.
Am Abend kam Bernd. Natürlich lag Lina ihm in den Ohren, was es für Spaß gemacht hätte, mit Mia zu spielen. Wieder kam das allabendliche Thema zur Sprache. Das Mia bereits ein Zuhause besäße und die Besitzer sicher traurig wären, nehme man ihnen das Kätzchen weg.
Lina hielt sich die Ohren zu. Sie beharrte weiter auf dem Standpunkt, dass Mia ganz alleine sei.
Ihr Vater hielt dagegen. Schließlich sei das Kätzchen gut gepflegt und auch wohl genährt.
Lina gab auf und und ihr Gesicht nahm einen schmollenden Ausdruck an.
Bernd gewann immer und alle mussten notgedrungen seine Meinung akzeptieren.
Es war Heiligabend. Frau Weiß hatte schon den ganzen Vormittag in der Küche verbracht. Der Kuchen, für den Nachmittag, war gebacken. Der Kartoffelsalat, für den Abend, vorbereitet und die Gans war bereits im Ofen.
Bernd und Lina schmückten im Wohnzimmer den Weihnachtsbaum an. Denn es war in Bernds Familie schon seit jeher so gewesen, dass der Baum erst am vierundzwanzigsten seine Vollendung erlangte. Silvia hätte ihn gern schon eher aufgestellt, aber das würde die Tradition brechen, so hatte Bernds Mutter gesagt. Dem zu widersprechen, hatte keinen Sinn. Der Frieden, in der Familie, musste bewahrt werden und besonders an Heiligabend.
Frau Weiß blickte auf die Uhr. Noch eine reichliche Stunde, dann würden die ersten Gäste eintreffen. Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer verriet Silvia, dass der Weihnachtsbaum kurz vor der Vollendung stand. Jetzt blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Schnell suchte sie die Garage auf. Das Schälchen für Mia war schnell gefüllt. Das Kätzchen lauerte schon hinter der Garage.
Heute, am Heiligabend, gab es etwas besonderes, ein Gourmet-Menü, Ente in Aspik. Da ließ sich Mia nicht lange bitten. Das war auch gut so, denn die Futterschale musste schleunigst wieder verschwinden, denn Silvia wusste, dass Bernds Eltern immer eine halbe Stunde eher kamen, als ausgemacht.
Und kaum war ihr dies in den Sinn gekommen, da hörte sie auch schon jenes Hubkonzert. Margot und Franz Weiß rückten an. Es war gut für Silvia, dass Bernd und Lina das Begrüßungskomitee bildeten, so blieb ihr genug Zeit, sämtliche Beweismittel aus dem Wege zu räumen. Mia ging stiften, denn der Lärm war nichts für sie.
Jetzt gesellte sich auch Silvia zu der kleinen Gruppe. Margot machte sogleich ein besorgtes Gesicht.
„Du siehst nicht gut aus, Silvia. Du bist doch nicht krank, oder?“
Nein, Frau Weiß war nur ein wenig stressgeplagt, mehr nicht. Die letzten Tage hatten ihr ziemlich zugesetzt. Außerdem war ihr make up nicht mehr ganz frisch. Und die Haare waren auch noch nicht gemacht.
„Schön, habt ihr´s, Berdchen! Du hast wahrlich ein geschicktes Händchen“, sprach Margot und strich ihrem Jungen über die Wange.
Silvia meinte, dass es wohl besser sei, hineinzugehen, da die Kälte ihr schon bis in die Glieder zog.
Das war auch im Sinne von Franz, welcher sich endlich einen gemütlichen Platz auf der Couch suchen wollte, um ein Bierchen zu genießen.
„Was ihr euch auch wieder für Arbeit gemacht habt. Meine Nerven würden das nicht mehr mitmachen“, meinte Margot, als sie das festlich geschmückte Wohnzimmer betrat.
Silvia verschwand, um sich noch schnell ein bisschen zurecht zu machen. Bernd kümmerte sich derweil um die Gäste und Lina sprang aufgeregt um den Weihnachtsbaum herum.
„Ein Kätzchen, ein Kätzchen“, sang sie vor sich hin.
„Was denn für ein Kätzchen?“, fragte Margot Weiß etwas irritiert.
„Ach“, sprach Bernd. „Linchen liegt uns schon seit Tagen in den Ohren, dass sie sich eine Katze zu Weihnachten wünscht.“
„Eine Katze?“, ereiferte sich Margot. „Aber Bernd, Junge, du bist doch, seit deiner Kindheit, allergisch gegen solche Tiere. Du willst doch nicht krank werden, oder?“
Bernd kniff seine Lippen zusammen. Ja, das hatten ihm seine Eltern immer eingeredet und er glaubte sogar irgendwann selbst daran. Jedes Mal machte er, um jegliche tierische Zeitgenossen, welche tagtäglich seinen Weg kreuzten, einen großen Bogen. Sein Schulweg war immer der selbe gewesen, aber dennoch voller Herausforderungen, denn überall lauerte die Gefahr. Bernd kannte alle Katzen seiner Straße. Der alte Fritz, so wie sie den dicken grauen Kater, welcher drei Häuser weiter wohnte, immer riefen, war ein gemütlicher Zeitgenosse. Wenn er nicht durch den Garten schlich, dann sonnte er sich auf der Terrasse des Hauses. Auf die Straße ging Fritz nie und so konnte Bernd ganz beruhigt an dem Haus vorbeigehen. Bei der Katzendame Angel sah das schon ganz anders aus. Sie besaß so stechend grüne Augen und lag immer, zum Angriff bereit, auf dem Sims des Zaunes. Bernd hielt immer den nötigen Abstand ein, um nicht in Gefahr zu geraten.
Am Ende der Straße wohnte die Familie Meinhardt. Sie besaßen eine Katze, die Kleopatra hieß. Sie war ganz schwarz und besaß gelbe Augen. Manchmal sah Bernd, wie sie auf dem Fußweg herumspazierte, dann wechselte er die Straßenseite. Und die Sache war erledigt. Doch einmal war es anders. Kleopatra hatte beschlossen, ihm zu folgen. Bernd erstarrte innerlich, als er ihr Vorhaben wahr nahm. Währenddessen die Katzendame gemächlich übersetzte, kam ein Auto herangerollt. Die Katze blieb plötzlich, mitten auf der Straße stehen. Bernd fing an, am ganzen Leibe zu zittern. Seine Füße bewegten sich auf einmal, wie von allein. Mit beiden Händen ergriff er Kleopatra und trug sie auf die andere Straßenseite zurück. Das Auto fuhr vorbei und er Fahrer winkte ihm freundlich zu. Jetzt erst wurde Bernd bewusst, dass er diese Katze angefasst hatte. Schnell nahm er wieder den nötigen Abstand ein. Die Angst überkam ihn. Gleich würde ihn schwere Atemnot überkommen. Doch nichts dergleichen stellte sich ein. Bernd ließ es sogar zu, dass Kleopatra ihm um die Beine schlich. Von diesem Tage an, hatte sich sein Leben völlig verändert.
„Junge, du musst deiner Tochter erklären, dass ihr keine Tiere halten könnt“, riss Margot ihren Sohn aus seinen Gedanken heraus. Ihre Stimme hatte einen rauen Ton angenommen.
Ein stürmisches Klingeln, an der Tür, ließ alles weitere außer acht.
Silvia hatte die Gäste bereits in Empfang genommen. Ihre Schwester Silke, deren Mann Harry, die zwei Kinder, Kevin und Stefanie, nebst Mutter Liselotte waren eingetroffen. Die Diele wurde plötzlich zum Ort des Geschehens. Alle wollten sich gleichzeitig ihrer Stiefel und Jacken entledigen. Frau Weiß ging stiften, denn schließlich musste sie sich dem Mittagessen widmen. Gans mit Klößen und Rotkohl, dass gab es schon immer am Heiligabend. Zumindest war es Tradition in der Familie Weiß.
Silke lief ihrer Schwester sofort hinterher. Unter vier Augen konnte man schließlich die Dinge viel besser besprechen.
Währenddessen Silvia die Klöße ins Wasser gleiten ließ, fing Silke sofort damit an, ihr Leid zu klagen. Sie war der festen Überzeugung, dass Harry eine heimliche Liebe hatte.
Ein Seufzer drang aus Frau Weiß Innerstem heraus. Nein, nicht schon wieder diese Eifersuchtsnummer, dachte sie sich.
Ein Opfer war schnell gefunden. Katarina Müller hieß das Miststück, was Silkes Mann den Kopf verdreht hätte. Sie war eine Angestellte in Harrys Betrieb. Immer sehr freizügig gekleidet und auf jedes Abenteuer aus, laut Silke.
Silvia konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Harry und eine heimliche Geliebte? Das passte irgendwie nicht zusammen.
Im Wohnzimmer hatte sich mittlerweile die ganze Verwandtschaft, um den hübsch hergerichteten Esstisch eingefunden. Alle hatten sie reichlich Appetit mitgebracht und langten reichlich zu, als das Mittagessen serviert würde.
„Früher habe ich ja auch immer gerne gekocht, aber für uns zwei lohnt es bald nicht mehr. Die Gisela, welche bei uns gegenüber wohnt, lässt sich das Essen sogar bringen. Aber meinem Franz will ich das nicht antun. Er ist nun mal die gute Hausmannskost von mir gewöhnt. Da lieber plage ich mich herum“, sprach Margot und schob sich genüsslich ein Stück Gans in den Mund.
„Die Gisela meint, dass das Essen gar nicht schlecht sei und man sogar zwischen mehreren Gerichten wählen könne“, gab Franz zum Besten.
Margot rollte mit den Augen. „Du würdest dich um-gucken, mein Lieber. So gut wie bei Muttern schmeckt das bestimmt nicht.“
Bevor Franz dazu kam, ein Gegenargument auszusprechen, rief Silvia fröhlich in die Runde: „Wer hat Lust auf Nachtisch?“
„Au ja“, rief die kleine Stefanie, die die Gans verschmäht hatte.
Frau Weiß verschwand in die Küche, dicht gefolgt von ihrer Schwester Silke, welche sogleich das alte Thema wieder aufgriff. „Noch heute Abend werde ich Harry zur Rede stellen. Der muss doch denken, dass ich blöd bin. Silvester sind wir geschiedene Leute. Das kann der mit dem Flittchen zusammen feiern.“
Silvia übergab wortlos, ihrer Schwester, das Tablett mit den kleinen, gefüllten Gläschen.
Als die beiden zurück, ins Wohnzimmer kehrten, herrschte dort eine ziemliche Aufregung.
Lina saß auf ihrem Stuhl und weinte bittere Krokodilstränen.
„Berndchen, du bist doch hier der Mann im Hause. Wenn du nicht durchgreifen kannst, wer soll es dann tun?“, vernahm Silvia, die ernst klingende Stimme von Margot Weiß.
„Aber wenn sie den Wunsch nun einmal hat!“, warf Harry in die Runde.
„Harry, du hast ja gar keine Ahnung, was so eine Katzenallergie auslösen kann. Mein Berndchen war immer ganz krank, wenn er nur in die Nähe eines Tieres kam“, echauffierte sich Margot.
Harry machte ein überrascht wirkendes Gesicht. „Aber Bernd, du hast mir doch einmal von dieser Kleopatra......“
„Wer möchte Tiramisu und wer möchte rote Grütze mit Vanillesoße?“, schmetterte Silvia Weiß in die Runde.
„Ich, ich!“, rief Stefanie sofort.
Ich nehme das rotweiße Zeugs da“, meinte Kevin, als Silvia mit dem Tablett an ihm vorbei schritt.
„Kannst du nicht ordentlich mit uns reden?“, erregte sich Silke.
„Ja, heutzutage machen die Kinder, was sie wollen“, folgte nun prompt der Kommentar von Margot.
„Wie wäre es mit ein bisschen besinnlicher Weihnachtsmusik?“, schlug Bernd vor. Sprang von seinem Stuhl auf und verließ den Raum, um die Weihnachts-CD zu holen.
„Linchen, nun nimm dir doch einen Nachtisch und lass das Schmollen sein. Du bekommst doch viele andere tolle Geschenke“, versuchte die Mutter von Silvia einzulenken.
„Ja, Lina. Früher gab es für uns Kinder, ein einziges Geschenk zu Weihnachten und das hatte mein Vater damals selbst gebastelt“, ließ Margot Weiß die alten Zeiten wieder aufleben.
Bernd kam zurück und legte die CD ein. Ein Kinderchor trällerte: „Stille Nacht, heilige Nacht.....“
„Ich will Geschenke auspacken!“, posaunte die kleine Stefanie aus.
„Ich nicht!“, entgegnete Lina trotzig.
„Und ich muss nicht auspacken. Ich weiß, was ich bekomme“, meldete sich jetzt auch Kevin zu Wort, welcher direkt einmal von seinem Handy aufsah.
„So, du weißt also schon alles?“, meinte Margot, ein bisschen irritiert.
„Na klar. Das was auf meinem Wunschzettel stand“, wurden die anderen von Kevin aufgeklärt.
„Da stand doch nur Geld drauf, weiter nichts. Das kann doch nicht alles gewesen sein“, sprach Margot.
„Ich brauch nichts anderes“, entgegnete Kevin.
„Aber Junge, es wäre doch ungerecht, wenn die Mädchen schöne Dinge auspacken und du nichts weiter, außer Geld in deinen Händen hast“, mischte sich jetzt auch Hannelore ein.
„Ich würde vorschlagen, die Kinder gehen jetzt auf ihre Zimmer und wir bereiten das Wohnzimmer für die Bescherung vor“, meinte Silvia und brachte das Tablett mit den leeren Dessert-gläsern in die Küche zurück.
„Warte, ich helfe dir“, meinte Silke und eilte ihrer Schwester hinterher.
Natürlich kam wieder das leidliche Thema Harry, zur Sprache. „Irgendwie hat sich Harry verändert. Dieses Flittchen tut ihm gar nicht gut. Er wird schon sehen, was er davon hat. Ob die ihm jeden Abend was kochen würde, glaube ich nicht. Bei der würde Harry garantiert verhungern. Aber lange mache ich das nicht mehr mit.“
„Silvia, in welchem Schrank stehen nochmal die Weingläser?“, wurde die traute Zweisamkeit der beiden Schwestern, von Bernds Stimme jäh beendet.
„Ganz rechts!“, rief Silvia und drückte ihrer Schwester eine Flasche Rotwein in die Hand.
„Ich glaube, dass Harry weiß, was er an dir und den Kindern hat. Und er ist nicht anders, als sonst.“
Silkes Lippen zogen sich angestrengt zusammen. Was sollte sie darauf jetzt noch antworten.
Im Wohnzimmer ging es hoch her. Die Geschenke fanden ihren Platz unter dem Weihnachtsbaum. Mal rechts mal links, dann wieder auf einem anderen Platz. Bis alles stimmig war.
Silvia rief die Kinder zusammen, denn wie jedes Jahr unternahm man, vor der Bescherung, den obligatorischen Weihnachtsspaziergang, welcher bei der Familie Weiß schon immer Tradition war.
„Kevin, nun mach doch mal dein Handy aus, du weißt doch, wie Margot darauf reagiert“, sprach Silke ihren Sohn an, dem das ganze Weihnachtsspektakel ziemlich auf die Nerven ging.
„Na, da wollen wir mal den Weihnachtsmann suchen gehen“, gab Margot, so wie jedes Jahr, zum Besten.
„Aber Omi, alle wissen doch, dass es den gar nicht gibt“, meinte Stefanie daraufhin.
„Ja früher, da war das alles anders. Da haben die Kinder noch lange an den Weihnachtsmann geglaubt“, sprach Hannelore. „Heutzutage kommt man auch nicht so richtig in Weihnachtsstimmung, wenn es keinen Schnee mehr zu Weihnachten gibt. Das Schlittenfahren wird bald aussterben, da bin ich mir sicher.“
„Ja, so wird es wohl kommen, viele Traditionen sind dem Untergang geweiht“, betonte Margot.
„Sozusagen, Schnee von gestern“, entgegnete Kevin, welcher schon wieder mit seinem Handy beschäftigt war.
„Kevin! Nun mach endlich dieses Ding aus“, schimpfte Silke, zum wiederholten Male.
„Vielleicht wird Weihnachten irgendwann ganz abgeschafft“, meldete sich Harry zu Wort.
„Dann würde die Industrie pleite gehen. Wo doch an Weihnachten die Geschäfte am Besten laufen“, sprach Bernd.
„Mir ist langweilig. Wann gibt es Geschenke?“, rief plötzlich die kleine Stefanie dazwischen.
„Ja, du freust dich noch auf Weihnachten, nicht wahr? Geschenke gehören einfach dazu“, meinte Hannelore und schloss das Kind in ihre Arme.
Zu Hause angekommen, war Stefanie die Erste, welche das Wohnzimmer in Beschlag nahm. Wie aufgezogen, hüpfte sie um den Weihnachtsbaum herum.
Margot versuchte ihre Enkelin zur Vernunft zu bringen „Kind, siehst du nicht, dass der ganze Baum wackelt, wenn du so ein Spektakel veranstaltest?“
Silke schimpfte: „Stefanie, es gibt nicht eher Geschenke, bis du dich auf deinen Stuhl gesetzt hast.“
Was blieb dem Mädchen anderes übrig, als zu gehorchen, denn schließlich war sie die Einzige, welche es vor Spannung nicht mehr aushielt.
„So, nun aber!“, meinte Stefanie, welche ganz brav neben ihrer Mutter Platz genommen hatte. Sie hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da gab es einen mächtigen Knall.
Ziemlich geschockt starrten alle auf den Weihnachtsbaum, welcher nun eine Seitenlage eingenommen hatte.
Bernd sprang als erster in die Höhe. Seine Rettungsaktion war vergebens. Die Lichterkette, samt Weihnachtskugeln, hatte das Zeitliche gesegnet.
„Wie kann den so etwas passieren?“, meinte Margot ziemlich aufgelöst.
„Pst! Seid mal alle ruhig“, forderte Bernd. Ging zur Stereoanlage und machte die Weihnachtsmusik aus.
„Endlich!“, stöhnte Kevin.
„Pst!“, wiederholte sich Bernd. „Hört ihr das auch?“
„Was denn?“, fragte Silvia.
Plötzlich schreckten alle auf. Der Baum begann sich erneut zu bewegen. Margot stieß einen Schrei aus, als sie erkannte, was der Grund dafür war.
„Mia!“, rief Lina völlig aufgelöst und kroch zwischen die Zweige des Baumes.
„Das ist doch nicht etwa eine...“, Margot kam das Wort einfach nicht über die Lippen. „Berndchen, bring dich in Sicherheit!“, kam es ihr schließlich über die Lippen.
„Ach Mama“, stöhnte Bernd. „Ich war noch nie allergisch gegen Katzen. Das habe ich irgendwann raus gefunden.“
„Junge, sag nicht so was. Dein Vater kann es bestätigen. Er war selbst dabei, als du damals diesen Hustenanfall bekommen hast, als du das Peterle von der Gisela auf den Arm genommen hast“, ereiferte sich Margot.
Lina kroch aus dem Weihnachtsbaum heraus. In ihren Armen hielt sie Mia fest umschlungen.
„Wie ist das Kätzchen eigentlich hereingekommen?“, warf Hannelore in die Runde.
Ja wie?, fragten sich nun alle.
„Ich bekenne mich schuldig“, meldete sich Silvia zu Wort. Ich habe die Terrassentür, zum Garten, aufgemacht, um den Küchengeruch hinauszulassen, der muss Mia wohl angelockt haben. Erst nach unserem Spaziergang ist mir das aufgefallen.“
„Das ist ja krass“, sprach Kevin, welcher sein Handy aus der Hand legte. Er nahm einen Keks in die Hand und hielt ihn Mia entgegen.
„Kevin, lass das! Katzen fressen keine Kekse“ rief Silke.
„Ich habe da etwas besseres“, meinte Bernd. Verließ kurz den Raum und kam mit einer Packung Miniwürstchen für Katzen zurück.
„Wo hast du die denn so schnell aufgetrieben?“, sprach Harry belustigt.
„Naja“, stammelte Bernd. „Immer wenn ich abends von der Arbeit komme, dann gehe ich noch einmal hinter die Garage. Diese Katze liebt diese kleinen Würstchen:“
Oh ja, und wie Mia die liebte. Genüsslich verputzte sie gleich zwei davon.
„Na, wenn das so ist, dann kann ich Mia ja auch ihre Lieblingsmahlzeit, Ente in Aspik, holen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben“, fing Silvia an, zu lachen.
„Das trifft sich gut, denn jetzt kann ich endlich die Gummimaus aus meinem Versteck holen“, gab jetzt auch noch Lina zum Besten.
Von diesem Tage an, hatte die Familie Weiß eine neue Mitbewohnerin. Bernd, der Nicht-Allergiker hatte an der Terrassentür eine Katzenklappe angebracht, so konnte Mia weiterhin ihre Freiheit genießen und wenn ihr einmal der Sinn danach stand, dann besuchte sie ihre neue Familie, die sehr glücklich, über die neue Hausbewohnerin war.
Texte: Pia Richter
Bildmaterialien: pixabay
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2016
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