Zwölf Uhr nachts schreckte ich auf. Ich war allein, denn Stefan hatte mich noch am Abend verlassen. Er meinte, dass es eine dumme Idee gewesen wäre, hier, in dieser Einöde abzusteigen. Von Romantik weit und breit keine Spur. Tatsächlich hatten wir uns eingebildet, in diesem alten Gemäuer, mit dem weitläufigen Gelände drumherum, unsere Gefühle füreinander wieder aufleben zu lassen.
Wie stand es noch in der Anzeige? Einsam gelegene Villa für romantische Stunden zu zweit. Wie konnte ich nur auf so etwas reinfallen? Ja, einsam war es hier, weiß Gott. Nicht einmal ein streunender Hund würde sich hierher verirren, da war ich mir sicher. Von innen war diese Villa auch nicht gerade das gelbe vom Ei.
Stefan war mit dem Auto weggefahren. Ich hatte mich geweigert, mitzufahren. Vor morgen früh würde er nicht zurück sein, so hatte er gemeint. Ich ärgerte mich über mich selbst. Ein schönes, gemütliches Hotel mit einem wunderbar heißem Bad wäre wohl jetzt genau das Richtige gewesen. Stattdessen war ich hier, ohne fließend heißes Wasser und Strom gab es auch keinen. Hatte ich das etwa in der Anzeige überlesen? Oder blieb das einfach unerwähnt?
Ich zog die Decke über meine Schultern, denn die Kälte machte mir zu schaffen. Das Feuer im Kamin war schon längst erloschen.
Mir kam ein Gedanke! Stefan, sicher würde er zurückkommen, wenn ich ihn darum bitten würde. Mein Handy, verdammt wo hatte ich es zuletzt hingelegt? Es musste sich noch in meiner Tasche befinden. Gott sei Dank, da war es. Verflucht, kein Empfang!
Was war das? War da nicht ein Schatten am Fenster? Ich war mir sicher, dass da irgendjemand war. Aber niemand würde sich doch die Mühe machen, die Fassade hinaufzusteigen. Immerhin war das Zimmer, in welchem ich mich befand, im dritten Stockwerk. Schon wieder! Ganz deutlich hatte ich ihn wahrgenommen, diesen Schatten, welcher sich an der Fassade bewegte. Der Vollmond verriet seine Präsenz. Wer, um alles in der Welt, trieb hier nachts sein Unwesen. Mir wurde unwohl, bei dem Gedanken daran, dass nur bestimmte Wesen vorwiegend nachts unterwegs waren. Vampire!
Nein, das war absurd. Und wenn es doch einer war? Wollte er etwa mein Blut? Vor Angst zog ich die dicht gewebten Vorhänge vors Fenster. Nein, mich würde er nicht bekommen.
Was sollte ich jetzt tun? Die Dunkelheit, welche mich umgab, machte mir zu schaffen. Vielleicht war dieser Blutsauger schon längst in mein Zimmer eingedrungen und befand sich in meiner unmittelbaren Nähe. Ich schärfte meine Sinne, um jedes noch so kleinste Geräusch in mir aufzunehmen. Das alte Gemäuer knackte in allen Ecken. Ja, er war da, ganz bestimmt.
Mir kamen diese Vampirfilme in den Sinn. Meistens lag das Opfer engelsgleich und nichtsahnend in seinem Bett. Dann sah man die Gardine im Winde wackeln und er kam herein, der rassige Vampir, der ein Bösewicht war, aber irgendwas magisches besaß, dessen man sich nicht entziehen konnte. Dann beugte er sich über die jungfräuliche Gestalt und seine spitzen Zähne bohrten sich in ihren Hals hinein. Die Verwandlung war dann eher nicht so schön.
„Ich will nicht sterben!“, rief ich in den Raum hinein, ohne mich zu rühren. Nichts geschah.
Ich riss die Vorhänge auf. Ich brauchte das Licht des Mondes, unbedingt! Meine Augen durchsuchten nervös das Zimmer. Nur ich war sein einziger Bewohner. Mein schneller Atem beruhigte sich wieder. Wo war er hin, dieser Geist der Nacht? Vorsichtig blickte ich zum Fenster hinaus. Also alles doch nur Einbildung?
Ein leichter Wind war aufgekommen, der die Wipfel der Bäume hin und her wiegte. Wenn doch Stefan hier wäre, um mich in den Arm zu nehmen, dann wäre meine zurückkehrende Angst nur halb so schlimm, denn ich sah deutlich, dass sich zwischen den Büschen etwas bewegte. War da nicht ein Knurren? Nein, das konnte nicht sein. Der Wind war mittlerweile so stark, dass er kein Geräusch durchsickern ließ.
Ich zuckte zusammen. Eindeutig hatte ich zwei leuchtende Punkte wahrgenommen, welche einem Augenpaar sehr nahe kamen. Vielleicht ein Tier, was sich verlaufen hatte? Aber welches Tier besaß schon solche stechend gelben Augen? Mir blieb die Luft weg. Ein Werwolf! Ich zitterte am ganzen Leibe.
Starker Regen prasselte plötzlich an das Fenster. Ich fühlte mich einem Nervenzusammenbruch nahe. Der Wind fauchte wie ein junger Wolf, welcher nach seiner Mutter rief. Ich blickte auf die Uhr. Wie konnte das sein? Die beiden Zeiger standen immer noch auf der zwölf.
Ich verkroch mich im Bett. Dieser Spuk musste doch irgendwann ein Ende haben.
Da waren doch Schritte, eindeutig. Sie kamen nicht aus meinem Zimmer, sondern aus der Etage über mir. Nein, nein, dieses Mal nahm ich all meinen Mut zusammen. Auf alles würde ich vorbereitet sein. Ich öffnete die Schubladen meines Nachtschränkchens. Tatsächlich fand ich das, nach was ich gesucht hatte. Ich nahm eine von den Kerzen heraus, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Die Holztreppe knarrte, als ich mich endlich dazu entschlossen hatte, hinaufzugehen.
Als ich die letzte Stufe erklommen hatte, traf mein Augenmerk auf eine geöffnete Tür. Genau darunter befand sich doch mein Schlafzimmer. Ich stutzte. War es nur Zufall, dass gerade diese Tür offen stand?
Vorsichtig und so geräuschlos wie möglich, bewegte ich mich fort. Wenn hier tatsächlich jemand war, dann würde ich ihn in flagranti erwischen.
Mein Herz schlug mir bis zum Halse, als ich schließlich eintrat. Wusste ich es doch, kein Lebenszeichen. Doch halt, was war das! Meine Gesichtsmuskeln waren wie gelähmt. Was ich erblickte, war nicht etwa eine menschliche Gestalt, sondern ein in die Jahre gekommener Schaukelstuhl, welcher vor und zurück wippte. Ein Schrei löste sich aus meinem Innersten. Die Kerze fiel zu Boden und erlosch. So schnell ich konnte, lief ich zurück, in mein Zimmer und verkroch mich unter meiner Bettdecke.
Es war hell, als ich erwachte. Eine Gestalt stand an meinem Bett. Stefan war zurückgekehrt.
„Na, wie war deine Nacht?“, fragte er.
Gähnend erhob ich mich. „Ziemlich langweilig“, antwortete ich.
Nun ist es doch passiert. Stefan und ich sind nicht mehr zusammen. Wie soll ich es ausdrücken. Er war ein super Typ, aber doch irgendwie ein bisschen langweilig. Am Anfang unserer Beziehung war das mal anders. Er wollte immer raus, irgendwas unternehmen. Nein, ich bin kein Couch-Potado hatte er immer wieder betont. Doch dieser Zustand der Veränderung zog sich schleichend hin, bis irgendwann alles so eingespielt war, als sei es nie anders gewesen. Meine Eltern mochten Stefan. Irgendwie stellte er den perfekten Schwiegersohn dar. Immer äußerst höflich. Sogar vor Komplimenten, was die Kochkunst meiner Mutter an betraf, schreckte er keineswegs zurück. Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter liebend gern herum experimentierte, was Gewürze und Kräuter an betraf. Nicht immer passten die Dinge zusammen. Mein Vater sagte nie etwas dazu, seine Zunge war mittlerweile so allerlei gewohnt. Na und Stefan, der fand das Essen immer köstlich.
Jetzt kam er nicht mehr und meine Eltern waren ziemlich mitgenommen, als ich unser Aus bekanntgab.
Ein Platz blieb immer leer, wenn ich vorbeikam und das war der von Stefan. Manchmal war die Stimmung fast so, als sei jemand gestorben. Aber das würde sich bald ändern, so Gott will.
Denn ihr werdet es nicht glauben, was mir neulich passiert ist. Meine Freundin Marlene und ich wollten uns einen schönen Weiberabend in einem griechischen Restaurant machen. Dort war Live-Musik angesagt. Super, dachte ich, nach Griechenland wollte ich sowieso irgendwann mal. Das sollte sozusagen die Einstimmung dazu sein.
Das Lokal war an diesem Abend gut besucht. Zum Empfang gab es gleich einen Begrüßungsschnaps. Dann wurden wir an unseren Tisch geführt, der als einziger noch auf seine Gäste wartete. Rechts und links von uns saßen jeweils zwei ziemlich verliebte Pärchen, welche nur Augen für sich zu haben schienen.
Als Stefan und ich uns kennengelernt hatten, verschlug es uns manchmal auch hierher. Genauso mussten wir gewirkt haben, denn damals waren diese Schmetterlinge im Bauch noch vorhanden. Jetzt waren sie verschwunden, hatten sich einen anderen Besitzer gesucht.
„Jetzt ein Sirtaki!“, rief plötzlich jemand, aus der Menge heraus, was mein Interesse erweckte. Irgendwo waren ein paar junge Männer aufgesprungen, welche sich in einer Reihe aufgestellt hatten, um auf ihren Einsatz zu warten.
Marlene, welche mittlerweile schon eine halbe Flasche Wein und drei Schnäpse intus hatte, hielt nichts mehr auf ihrem Stuhl. Ja, sie war schon immer eine kleine Tanzmaus, deren Beine einfach nicht stillstehen konnten. Ich dagegen, war gerade nicht in Stimmung, denn irgendwie bereute ich jene Trennung mit Stefan plötzlich. Aber Marlene, wäre nicht Marlene, wenn sie aufgegeben hätte, mich mitreißen zu wollen. Sie zog an meinem Arm herum, bis ich schließlich aufgab. Sie schob mich irgendwo zwischen zwei der Tänzer und suchte sich dann selbst ihren Platz. Es war nicht einfach, den richtigen Takt zu finden. Mein Nachbar, zu meiner rechten, gab sich große Mühe, mich in jene Tanzart einzuweihen, denn Sirtaki war nicht gleich Sirtaki.
Wir lachten, da ich alles irgendwie wieder durcheinander brachte. Erst jetzt trafen sich unsere Blicke. Die Luft blieb mir weg. Welche Augen und welch ein Lächeln. Wieso musste ich jetzt plötzlich an meine Mutter denken? Womöglich, weil dieser Mann dieses „Schwiegermutternettigkeitssyndrom“ besaß? Würde er auch das Essen meiner Mutter loben, auch wenn es nicht unbedingt genießbar wäre? Womöglich war er so einer.
Wie absurd. Wieso machte ich mir gerade jetzt Gedanken über meine Mutter? Vorerst zumindest, wollte ich ihnen meinen Freund, wenn ich mal einen kennenlernen würde, fürs erste vorenthalten. Ich zweifelte an mir selbst. Nein, ich bräuchte meine Zeit, um über die Trennung mit Stefan hinwegzukommen.
Irgendwann war das Lied zu Ende. Marlene und ich gingen zu unserem Tisch zurück. Noch ein Schnaps und noch einer, dann war Marlene schlecht. Sie hielt sich ihren schmerzenden Kopf. Meinen Vorschlag, doch den Nachhauseweg anzutreten, nahm sie gern entgegen.
Als wir die Ausgangstür schon fast erreicht hatten, sprach mich der Sirtakitänzer an. Er reichte mir einen kleinen Zettel mit seiner Telefonnummer drauf. „Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder“, meinte er mit diesem unwiderstehlichen Lächeln, was mich für eine kurzen Moment gefangen nahm. Marlene zupfte an mir herum. Sie musste unbedingt an die frische Luft. So war das Minidate abrupt zu Ende.
Am nächsten Tag ging ich, wie gewohnt zur Arbeit. Es fiel mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Noch am Abend wollte ich diesen geheimnisvollen Mann anrufen, um mehr über ihn zu erfahren. Diese Telefonnummer, wo hatte ich sie nochmal hingelegt? Na irgendwo würde ich sie schon wiederfinden. Schließlich war mein Chaos ziemlich geordnet.
Endlich hatte ich Feierabend. Meine Mutter hatte mich gebeten, ihr noch ein paar frische Kräuter vorbeizubringen. „Alles, was das Regal hergibt“, hatte sie gemeint.
Ich tat ihr den Gefallen. Es war nicht mehr viel da, denn immerhin war es schon später Nachmittag.
Mein Vater verzog ein wenig das Gesicht, als ich die fünf Töpfe auf dem Küchentisch platzierte.
„Morgen Abend wird es ein Festessen geben!“, frohlockte meine Mutter.
„Gibt es denn was zu feiern?“, fragte ich verblüfft.
Hatte ich etwa den Hochzeitstag meiner Eltern vergessen?
Schnell wurde ich aufgeklärt. „Ich habe heute Vormittag Marlene getroffen. Sie hat gemeint, du hättest einen netten, jungen Mann kennengelernt. Willst du ihn nicht morgen Abend mal zum Essen mitbringen?“
Mir wurde plötzlich flau im Magen. Das ging gar nicht!
„Du weißt doch, dass dein Vater sehr an Stefan hing. Sie haben doch immer zusammen Schach gespielt. Seine Laune würde sich bestimmt bessern, käme wieder ein junger Mann ins Haus. Weißt du, ob dein Freund Schach spielen kann? Wenn nicht, das wäre auch nicht so schlimm. Dein Vater ist ein guter Lehrer.“
Ich schluckte. Was sollte ich jetzt sagen? Das ich den Mann, aus dem griechischen Restaurant, doch eigentlich gar nicht näher kannte, schien jetzt zweitrangig zu sein. Marlene hatte sich da wohl etwas zusammengereimt. Und ich musste die Sache jetzt ausbaden.
„Morgen kann er nicht, da muss er lange arbeiten“, versuchte ich die Sache aus der Welt zu schaffen. Mir fiele es doch niemals im Traume ein, den Unbekannten, gleich bei unserem ersten Date, zu meinen Eltern mitzuschleppen.
„Schade“, meinte meine Mutter enttäuscht und platzierte die Kräutertöpfchen ein wenig beleidigt auf dem Küchenregal.
„Vielleicht können wir ja einen anderen Termin vereinbaren. Ich komme aber gern zum Essen“, versuchte ich die Sache schön zu reden. Meine Mutter ließ sich darauf ein.
Nach einer Stunde ging ich dann nach Hause. Den ganzen Abend und die halbe Nacht suchte ich diesen gottverdammten Zettel mit jener gewissen Telefonnummer. Fehlanzeige! Mir war nach heulen zumute. Auf keinen Fall konnte sie doch im Müll gelandet sein. Wie sollte ich nur meinen Eltern erklären, dass mein angeblicher Freund nicht mehr vorhanden war?
Gleich am nächsten Tag wollte ich ihnen reinen Wein einschenken. Irgendwann würde ich schon jemanden kennenlernen und dann würde ich ihn ganz bestimmt mitbringen.
Ich brachte es allerdings nicht fertig, ihnen die ganze Wahrheit aufzutischen.
„Heute scheint sowieso alles schiefzugehen“, meinte meine Mutter. „Seit heute früh versucht dein Vater den Abfluss freizubekommen. Alles war bisher vergebens.“
Plötzlich klingelte es an der Tür.
„Das muss der Monteur sein. Macht denn mal jemand auf?“, sprach mein Vater ziemlich genervt, da er sich immer noch am Abfluss zu schaffen machte.
Da meine Mutter mit Tischdecken beschäftigt war, blieb mir keine andere Wahl, als selbst zur Tür zu gehen.
„Was du!“, meinte ich ziemlich verblüfft. Denn vor mir stand wahrhaftig der Sirtakitänzer.
„Ich soll hier einen Abfluss reparieren“, meinte der Blaumann ziemlich überrascht.
Meine Mutter, welche ihre Ohren überall zu haben schien, stand plötzlich neben mir.
„Sie sind also Sophies neuer Freund? Ich habe ja wirklich nicht geglaubt, dass sie, um diese Zeit noch arbeiten müssen, sowie sie es behauptet hat.“
Mir war die ganze Angelegenheit ziemlich peinlich. Mein Kopf nahm augenblicklich die Farbe eines Feuermelders an.
„Na, was ist denn nun!“, rief mein Vater ungeduldig. Der Sirtakitänzer eilte an uns vorbei, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Schnell war alles repariert.
„Wollen sie nicht zum Abendessen bleiben? Ich habe doch so viel gekocht“, meinte meine Mutter.
„Aber gern. War eh mein letzter Auftrag für heute“, folgte prompt die Antwort.
„Können sie Schachspielen?“, warf plötzlich mein Vater ein.
„Eigentlich nicht, aber mein Onkel, der das griechische Restaurant besitzt, der kann hervorragend Schach spielen. Er hat wohl auch schon ein paar Preise gewonnen.“
Mein Vater wirkte beglückt. „Ein echter Grieche, der Schachspielen kann?“
Für mich war das alles nicht so geplant, wie die Situation es jetzt hergab. Irgendwie war Stefan plötzlich vergessen. Antonio, so wie er sich nannte, hatte bereits das Herz meiner Eltern erobert. Aber ob er meines bekommen würde, jenes war fraglich. So leicht war ich schließlich nicht zu erobern.
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Die ganze Nacht fand ich keinen Schlaf. Den halben Abend lang hatte ich mit Antonio telefoniert. Wir redeten über Gott und die Welt. Ich hätte für die Ewigkeit an seinen Lippen hängen können, so verführerisch empfand ich seine Stimme. Und nun endlich schien es um mich geschehen zu sein. Denn gesehen, hatten wir uns in letzter Zeit kaum. Tagsüber war er mit seinem Job beschäftigt und abends half er im Restaurant seines Onkels aus. Es fehlte ihm einfach die Zeit, um sich mit mir zu verabreden. Ich nahm es so hin, wie es war. Sicher würden auch mal bessere Zeiten kommen. Für eine richtige Beziehung fehlte mir schließlich selbst noch der Mut.
Zwei, dreimal war ich Stefan begegnet. So rein zufällig. Das erste Mal ging ich gerade von der Arbeit nach Hause. Dicke Wolken überdeckten die Sonne und es dauerte auch nicht lange, da regnete es so stark, dass ich binnen zwei Minuten bis auf die Haut nass war. Stefan stand plötzlich vor mir. Obwohl es schon längst zu spät war, breitete er einen Schirm über mir aus. Ich war so verblüfft, dass ich keine Worte fand.
„Du kannst ihn haben, wenn du willst“, sprach er etwas irritiert.
Womöglich wäre jetzt ein: „Dankeschön“, meinerseits angebracht gewesen, doch war ich unfähig dazu, jene Worte auszusprechen. Denn mit Stefan hatte ich wahrlich nicht gerechnet. So ging er davon und ich tat nichts anderes, außer ihm hinterher zu schauen. Als er nicht mehr zu sehen war, kamen meine Lebensgeister zurück. Und dabei hätte ich ihm doch zu gern gesagt, dass mir alles so leid tat. Für die schönen Momente wollte ich ihm danken. Nun war es zu spät.
Zwei Tage später sah ich ihn wieder. Ich war mit Marlene im Cafe um die Ecke verabredet. Da saß er, ganz in unserer Nähe, in weiblicher Begleitung.
„Das ging aber schnell!“, merkte Marlene mit einem sarkastischen Unterton an. „Wie läuft´s denn mit Antonio so?“, fragte sie etwas vorsichtig.
„Wie, was?“, fragte ich verwirrt. Denn, dass Marlene etwas gesagt hatte, war mir nicht entgangen. Irgendwas mit Antonio.
Marlene war zwar meine beste Freundin, mit welcher ich gern meine Zeit verbrachte, doch jetzt, just in diesem Moment, hätte ich mir gewünscht, dass mein Gegenüber Antonio gewesen wäre. Ich musste mich wohl mit dem Gedanken abfinden, dass Stefan noch immer ziemliche Chancen in der Damenwelt besaß. Nein, diese Verbindung würde doch nie und nimmer halten, auf keinen Fall! Am Anfang sind sie doch alle Blender. Obwohl wir nie an diese Geschichten: Ich gehe gerne tanzen und liebe romantische Abende glauben, fallen wir doch immer wieder darauf rein. Irgendwann, wenn der Fisch am Haken hängt, dann wachen wir auf. Schleichend waren jene Versprechungen entschwunden. Man fragt sich dann, hatte er diese Worte tatsächlich einmal ausgesprochen oder war es nur reine Einbildung?
Die junge Frau war hübsch, ein nettes Lächeln lag auf ihren Lippen. Ein verliebtes Lächeln womöglich?
Ich musste über mich selbst schmunzeln. Niemals! Stefan und diese Blondine? Er stand doch gar nicht auf blond. Oder bevorzugte er jetzt blond, weil ich ihn verlassen hatte? Wie oft hatte er betont, dass er meine braunen Haare so schön fand.
„Willst du nun was bestellen, oder nicht?“, hörte ich Marlenes leicht verärgerte Worte.
Ich versuchte mich zu konzentrieren. „Aber klar. Einen Cappuccino und ein großes Stück Schokotorte bitte“, kam prompt die Antwort.
Die Bedienung notierte alles und verschwand.
„Soll ich Stefan vielleicht fragen, ob er zu uns herüberkommen will?“, kam Marlene auf den Punkt.
„So ein Quatsch, wie kommst du nur auf so eine absurde Idee?“, meinte ich, so desinteressiert wie möglich.
„Na, seit dem wir hier sind, starrst du ihn ständig an. Man könnte glatt denken, du seist eifersüchtig.“
„Nein, ich doch nicht. Stefan kann sich doch treffen, mit wem er will. Schließlich sind wir ja nicht mehr zusammen“, antwortete ich, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Zum Glück tauchte die Bedienung wieder auf. Das Stück Schokotorte kam mir jetzt gerade recht. Ich schaufelte es in mich hinein, als hätte ich tagelang nichts gegessen. Als ich wieder aufblickte, waren Stefan und seine Begleitung gerade dabei, das Cafe zu verlassen. Mich traf es, wie ein Schlag. Lag seine Hand tatsächlich auf dem Hinterteil jener Blondine? Sicher tat er das mit Absicht, um zu zeigen, du mein Herzchen, bist nicht die einzige Frau auf der Welt.
„Hast du Lust, morgen Nachmittag mit mir shoppen zu gehen?“, meinte ich zu Marlene.
Keine Frage, Marlene sagte zu, denn Stunden in den Geschäften zu verbringen, war ihre Leidenschaft. Mein Frust musste schließlich irgendwie abgebaut werden. Aber welcher Frust? Aber doch nicht wegen Stefan? Das war doch lächerlich! Gleich morgen wollte ich mich mit Antonio verabreden.
Der nächste Tag begann recht harmonisch. Auf der Arbeit lief es gut und ich freute mich auf den Nachmittag mit Marlene.
Die Einkaufpassage war ein Paradies für Frauen. Klamottenläden, aller Art, reihten sich aneinander.
Gleich das erste Geschäft nahmen wir in Beschlag. Shirts, Hosen, kein Ständer war vor uns sicher.
Es dauerte auch nicht lange, da war mein Arm völlig überladen. Jetzt hieß es erst einmal: Anprobieren. Ich steuerte die einzig freie Kabine an. Doch soweit kam ich nicht, denn mir blieb plötzlich die Luft weg. Vor einer der Kabinen saß Stefan. Noch hatte er mich nicht gesehen. Sollte ich unbemerkt verschwinden? Nein, das war wohl keine gute Idee. Ich straffte meine Haltung und schritt an ihm vorbei.
„Hallo Sophie!“, erklang plötzlich Stefans Stimme.
Ich tat überrascht: „Na, so ein Zufall. Was machst du denn hier?“ So eine blöde Frage, dachte ich.
Was sollte wohl Stefan in einem Damengeschäft schon machen. Bestimmt kaufte er keine Sachen für sich. Mir schwante schlimmes. Nein, nicht diese Blondine. Das konnte doch nicht sein ernst sein.
Urplötzlich ging der Vorhang der Kabine neben uns auf. Meine Mundwinkel glitten automatisch nach unten. Tatsächlich stand die Blondine vor uns und das in einem hautengen Kleid. Ich wollte in die einzig freie Nebenkabine flüchten, welche zumindest vorhin noch unbesetzt war. Eine junge Frau kam mir jedoch zuvor.
„Und Stefan, wie findest du´s? Kann ich so etwas überhaupt tragen?“, sprach die Blondine, ein wenig überheblich.
„Nein, das kannst du nicht. Du bist viel zu dick für dieses Kleid!“, lag es mir auf der Zunge. Obwohl das nicht unbedingt der Wahrheit entsprach, denn diese Superblondine schien wirklich perfekt zu sein.
Endlich wurde eine der Kabinen frei. Ich verschanzte mich in ihr. Ich war drauf und dran, sie nicht eher wieder zu verlassen, bevor Stefan verschwunden war. Ich lugte durch den Spalt. Verdammt, noch immer hatte er sich nicht von der Stelle gerührt. Er konnte ja nicht ewig da sitzen bleiben. Drei, vier endlose Minuten zogen ins Land. Dann bewegte er sich tatsächlich, um sich von seinem Platz zu erheben. Ich atmete auf. Vorsichtig verließ ich schließlich mein Versteck.
„Und, hast du was gefunden?“, sprach mich plötzlich Marlene von der Seite an. Ich zuckte zusammen, denn noch immer lag ich auf der Lauer.
„Nein, davon passt nichts“, log ich mit einem schlechten Gewissen, denn statt irgendetwas anzuprobieren, hatte ich einzig und allein meine Zeit damit erbracht, mich um Stefan zu kümmern.
„Na, dann auf zum nächsten Geschäft, schließlich will das Geld unter die Leute gebracht werden“, sprach Marlene sichtlich gut gelaunt.
Hoffentlich erwartete mich da nicht schon wieder Stefan, kam es mir in den Sinn.
Gleich heute Abend wollte ich Antonio anrufen. Dann würden wir zusammen ins Cafe um die Ecke gehen. Vielleicht wäre dann auch Stefan rein zufällig da.
Es sollte ein schöner Urlaub in Griechenland werden. Sommer, Sonne, Strand und Meer.
Leider vertrug Antonio die Klimaanlage nicht. Schon am zweiten Tag wurde er von einer mächtigen Erkältung heimgesucht, was den Urlaub ins Stocken brachte. Das führte am vierten Tag dazu, dass er keine Lust mehr dazu hatte, das Bett zu verlassen. Zwei Stunden hielt ich sein Gejammer aus, dann war es mir zu viel.
Kann sein, dass ich nun ein Bild von Egoismus abgab, aber für mich war das nichts, mich stundenlang auf dem Zimmer aufhalten zu müssen. Mich drängte es hinaus. Ich wollte tanzen gehen.
„Du siehst ja, dass es mir schlecht geht. Für mich fällt heute das Gehopse aus“, meinte Antonio mit einem Hustenanfall als Abgang.
Ob er nun übertrieb oder nicht, das war nicht so richtig durchschaubar. Tatsache war allerdings, dass sich Antonio in unserer Beziehung nie zum Tanzbären entwickelt hatte. Immer war er mir zuliebe mitgegangen. Das hatte ich ihm immer hoch angerechnet.
„Du musst auf mich keine Rücksicht nehmen. Ich komme ganz gut alleine zurecht“, bekam ich prompt zu hören.
„Ach, alleine macht das doch auch keinen Spaß“, sprach ich ein wenig niedergeschlagen.
Gerade heute Abend sollte im Hotel die Post abgehen und ich verplemperte meine Zeit in einem stickigen Zimmer, weil ab jetzt die Klimaanlage tabu war.
„Du könntest dir ja mal für eine Stunde die Füße vertreten. Einen Cocktail trinken oder so“, machte mir Antonio zum Vorschlag.
„Ich weiß nicht“, stotterte ich herum, „so ganz allein?“
Antonio setzte sich ein wenig auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Es ist doch hier, im Hotel, da wirst du schon nicht verloren gehen. Einmal mit dem Fahrstuhl runter und dann wieder hinauf“, versuchte er zu scherzen.
„So ein Stündchen könnte ich ja mal verschwinden. Du wirst gar nicht merken, dass ich weg war“, meinte ich überschwänglich, erhob mich und steuerte geradewegs den Kleiderschrank an.
Ich hatte mir extra für die Abende mit Antonio ein paar schicke Teile mitgenommen, um ihn ein bisschen auf Touren zu bringen und nun sollte ich alleine gehen? Antonio würde mich doch nie in so einem Aufzug gehen lassen.
Ich entschied mich für eine leichte Bluse, an der ich die Knöpfe bis oben hin schließen konnte, das lenkte Antonio hoffentlich von der Länge meines Rockes ab, der ziemlich kurz war.
Soweit es möglich war, zog ich ihn herunter. Die Schuhe behielt ich erst mal lieber in der Hand.
„Kann ich denn so gehen?“, fragte ich etwas unsicher. Antonio begutachtete mich mit prüfenden Blick. So richtig schien er nicht einverstanden zu sein, aber dennoch blieb ihm nichts weiter übrig, als mich ziehen zu lassen.
Der Gang wirkte ziemlich leer. Die meisten Gäste waren wohl schon längst auf dem Fest. Am Fahrstuhl wartete ein junger Mann, welcher etwas genervt wirkte.
„Ist denn der Fahrstuhl kaputt?“, fragte ich etwas spöttisch.
„Der hält überall, aber nicht hier“, vernahm ich plötzlich die Stimme des Wartenden, der mir einen flüchtigen Blick zuwarf. Ein zweites Mal schoss sein Kopf herum. „Tragen sie ihre Schuhe immer spazieren?“
Verflixt! Noch immer hielt ich meine Pumps in der Hand. „Nein, eigentlich nicht“, sprach ich mit hochrotem Gesicht.
Einen Schuh hatte ich an, da ging der Fahrstuhl auf. Mir blieb nun nichts weiter übrig, als hinein zu humpeln.
„Gehen Sie auch auf das Fest?“, versuchte ich meinen Begleiter abzulenken, denn der Fahrstuhl war auf drei Seiten verspiegelt, sodass ich in allen Perspektiven zu sehen war, als der zweite Schuh den passenden Fuß fand.
Ehe mein Mitfahrer einen Satz von sich geben konnte, ging auch schon die Fahrstuhltür auf. Herein traten zwei ziemlich beleibte Damen, welche nicht aufhören konnten, zu kichern. Ich beneidete sie, um ihren Spaß. Ihre Fröhlichkeit machte auch vor unserem Begleiter nicht halt. Tatsächlich erhoben sich seine Mundwinkel und mich raffte es augenblicklich dahin. So ein wunderschönes Lächeln war mir noch nie begegnet. Ich dachte an Antonio, um mein Glotzen zu unterbinden. Ja, mein Grieche, der besaß das schönste Lächeln der Welt, redete ich mir ein.
Endlich waren wir in der richtigen Etage angekommen. Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich. Ich ließ den Anderen den Vortritt. So konnte ich als Schlusslicht ein paar Knöpfe meiner Bluse öffnen, denn ich hasste es, so zugeschnürt zu sein. Einen oder zwei Cocktails wollte ich trinken und dann würde ich wieder zurück aufs Zimmer gehen, das hatte ich mir fest vorgenommen.
Ich steuerte geradewegs die Bar an, soweit das möglich war, denn Gäste waren reichlich vorhanden.
Von weitem hatte ich ihn schon ins Visier genommen, jenen freien Barhocker, der der meinige werden sollte. In dem Moment, als ich ihn erreichte, fand sich plötzlich der Mann aus dem Fahrstuhl neben mir ein. Jetzt mussten wir beide lachen.
„Natürlich steht er Ihnen zu. Ich glaube, dass Sie eine Sekunde eher da waren“, meinte er.
„Darf ich mal durch?“, sprach der Herr zu unserer rechten, welcher drei Gläser mit Bier davontrug.
Ich starrte auf den leeren Barhocker, den der Bierträger vorher eingenommen hatte.
„Na, da habe ich ja nochmal Glück gehabt, jetzt brauchen wir uns nicht um den einen Hocker zu streiten.“
Mir wurde mulmig, als der junge Mann sich neben mich setzte. War das jetzt wie ein Date? Dabei wollte ich doch nur in Ruhe und ganz allein einen Cocktail trinken und dann gleich wieder verschwinden. Antonio war bestimmt nicht mehr wach. So war es auch nicht schlimm, eine Stunde länger zu bleiben.
„Was trinken Sie?“, riss mich mein Nachbar aus meinen Gedanken heraus.
„Sex on the Beach“, schoss es, ohne nachzudenken aus mir heraus.
Der junge Mann schluckte.
„Mein Name ist übrigens Christoph“, sprach er und reichte mir seine Hand entgegen.
Für einen Moment zögerte ich, doch dann nahm ich sie an. Was war schon dabei, jemanden die Hand zu schütteln.
Wie ein Stromschlag schoss es durch meine Adern, als ich seine wärmende Hand spürte. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen, intensiven Augenblick. Nein, nein, das wollte ich nicht. Schnell blickte ich weg.
Mein Nachbar wirkte plötzlich verunsichert. „Na, dann werde ich mich mal unters Volk mischen“, sprach er etwas kleinlaut und erhob sich.
Ich sah ihm hinterher. Aber anstatt erleichtert zu sein, spürte ich nur Enttäuschung. Wie gerne hätte ich doch mit Christoph ein wenig geplaudert.
Von „Sex on the Beach“ hatte ich nun genug. Ich bestellte mir einen „Badita de coco“ und dann noch einen und noch einen. Als ich mich schließlich erhob, um den Rückzug anzutreten, erspähte ich in der tanzenden Menge meinen Christoph. Wirklich ein gutaussehender Kerl, so muskulös und hochgewachsen. Ein perfekter Typ für einen Seitensprung, schoss es mir durch den Kopf.
Was mich dann überkam, konnte nur mit meinem erhöhten Alkoholkonsum in Verbindung gestanden haben. Ich tanzte diesen Christoph buchstäblich an. Der wusste zuerst gar nicht, wie ihm geschah. Aber dann lockerte sich seine Haltung. Beherzt ergriff er meine Hüften und zog mich zu sich heran. Seine Lippen lagen plötzlich auf den meinigen. Wie besessen küssten wir uns. Mir war egal, was die Leute um uns herum in diesem Moment dachten. Antonio war weit weg. Womöglich war unsere Beziehung nie eine richtige gewesen, überkam mich mein schlechtes Gewissen.
Christophs Hand tauchte in meinen Ausschnitt ein. Seine Finger umschlossen meine Brust. Ein leichtes Stöhnen drang über meine Lippen. Hier und jetzt wäre ich dazu bereit gewesen, mich ihm hinzugeben, wären wir nur allein gewesen.
„Willst du immer noch Sex on the Beach?“, fragte er zweideutig.
Ja, ich war willig, das war ich wirklich, doch sah ich plötzlich, vor meinem geistigen Auge, das Gesicht Antonios, der mich anglotzte, als hätte ich etwas schlimmes verbrochen.
„Ich bin nicht alleine hier“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.
Schlagartig ließ Christoph mich los.
„Verdammt! Ich wollte wirklich...“, meinte ich verärgert.
„Zimmer Nr. 2255“, meinte mein Gegenüber und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Der Abschied fiel mir unsagbar schwer. Dennoch musste ich Christoph stehen lassen. Mein Blick richtete sich auf meine Uhr. Viertel vor drei. Eine Katastrophe.
Den Fahrstuhl nahm ich nicht, das dauerte mir zu lange. Lieber nahm ich die Treppen. Völlig außer Atem kam ich schließlich in der vierten Etage an. Mein Blick fiel unwillkürlich auf eine bestimmte Zimmernummer. Die Zahlen 2255 leuchteten mich auf eine magische Weise an. Oh, nein, schnell weg!, dachte ich. Unser Zimmer lag auf der anderen Seite, nicht weit entfernt.
Leise schloss ich die Tür auf. Antonio war sicher noch wach und bereit, mir eine Szene zu machen. Fehlanzeige! Sein Schnarchen war schon von weitem zu hören. Ich war enttäuscht. Eine Szene wäre mir tatsächlich in diesem Moment lieber gewesen. War ich Antonio wirklich so egal?
Ich hielt mir die Ohren zu, weil ich das laute Schnarchen nicht mehr ertragen konnte. Ich musste hier raus und das sofort.
Auf dem Gang war nichts mehr los. Vielleicht noch ein Drink an der Bar? Sicher war Christoph schon längst in sein Zimmer verschwunden. Aus lauter Neugier legte ich mein Ohr an die Tür. Natürlich war nichts zu hören.
„Willst du vielleicht zu mir?“, vernahm ich plötzlich Christophs Stimme.
Schlagartig drehte ich mich zu ihm um. Warum sollte ich ihm etwas vorlügen? Oder mir? Ja, ich hatte ihn aufgesucht, um mit ihm hemmungslosen Sex zu machen.
Christoph schloss die Tür auf. Ich ging voraus und entledigte mich Stück für Stück meiner Sachen, bis ich splitternackt war. Christoph tat das gleiche. Plötzlich packte er mich von hinten an den Hüften. Mir wurde schwindlig, vor Erregung. Aufs Bett schafften wir es nicht mehr. Wir bogen rechts ins Bad ab. Ich hielt mich am Waschbecken fest, als Christoph in mich eindrang. Wir sahen uns im Spiegel an, was uns ein wenig zum Schmunzeln brachte. Meine Brüste wippten hin und her, was meinen Liebhaber anmachte. Wie besessen schob er mein Becken vor und zurück, was mich zum Orgasmus brachte. Kurz darauf erreichte auch Christoph seinen Höhepunkt.
Wir beide waren völlig fertig, als es vorbei war. Erschöpft ließen wir uns schließlich auf dem Bett nieder.
„Wieso bist du alleine hier?“, fragte ich.
Christoph stützte seinen Kopf auf seinen Arm und blickte mich von der Seite her an, „Meine Freundin und ich haben uns kurz vor unserem Urlaub getrennt. Die Reise war bezahlt und sie wollte nicht mehr mit.“
„Na, dann kannst du ja machen, was du willst. Bei mir ist das ein bisschen anders. Nicht weit von hier, wartet mein Freund auf mich. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich ihm sagen soll, wenn ich dort gleich wieder auftauche.“
Tatsächlich entwickelte sich in mir ein schlechtes Gewissen. War ich doch nicht hierher gekommen, um mich auf ein Abenteuer einzulassen. Aber Christoph war ja nur mein Liebhaber für eine Nacht gewesen. Irgendwie fand ich das ein bisschen schade.
„Wie heißt du eigentlich?“, wollte Christoph wissen.
„Was spielt das für eine Rolle, wenn wir uns sowieso niemals wiedersehen?“, tat ich geheimnisvoll.
„Wer sagt das?“
Überrascht blickte ich Christoph in die Augen. „Weil du vielleicht am anderen Ende der Welt wohnst?“
„Ich wohne in Frankfurt und du?“
„Du lügst doch“, kam es mir über die Lippen.
„Warum sollte ich?“, kam prompt die Antwort.
„Na, weil ich auch in Frankfurt wohne.“
„Da schau einer an. Wann reist ihr ab?“
„Morgen, um neun Uhr, geht unser Flug “, sprach ich abwartend.
„Bingo!“, rief Christoph. „Dann sehen wir uns am Flughafen.“
Das waren nicht die Worte, welche ich erwartet hatte. Oh Gott, Antonio und Christoph zusammen in einem Flieger, das käme einer Katastrophe nahe.
„Das geht nicht, du musst einen anderen Flieger nehmen“, sprach ich, ohne nachzudenken.
„Wir können ja so tun, als seien wir uns noch nie begegnet“, scherzte mein Liebhaber und beugte sich über mich, um mir einen Kuss zu geben. Doch dabei blieb es nicht. Seine Hände suchten sich den Weg zu meinen Brüsten und umschlossen sie. Christophs Finger bohrten sich hinein, was mich fast in den Wahnsinn trieb. Seine Lippen bahnten sich ihren Weg über meinen Hals, bis hin zu meinem Ohrläppchen.
„Ich muss zurück“, sprach ich leise.
„Aber jetzt noch nicht“, hauchte mir Christoph ins Ohr. Seine Hand glitt zwischen meine Schenkel.
Irgendwie war ich nicht mehr imstande, irgend einen klaren Gedanken zu fassen. Ich ließ es geschehen, dass Christoph erneut in mich eindrang, was mein Innerstes erbeben ließ. Ich schwebte auf Wolke sieben, als meine Füße auf seinen Schultern lagen und er seinen Höhepunkt erreichte.
Schweißgebadet trennten wir uns irgendwann voneinander.
„Der pure Wahnsinn“, ließ mein Liebhaber seinen Worten freien Lauf.
„Der jetzt ein Ende hat“, sprach ich und erhob mich augenblicklich.
Unkontrolliert zog ich mir meine Sachen über. Ich hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich, zu verschwinden, um das alles hinter mir zu lassen. Diese Liebschaft war hier und jetzt für mich beendet.
„Warte!“, rief Christoph irritiert, der plötzlich vom Bett aufsprang.
Hastig ergriff er ein Stück Papier und kritzelte ein paar Zahlen darauf. Kurz darauf hielt er mir den Zettel entgegen „Hier, meine Telefonnummer.“
Ich riss ihm das Papier aus der Hand und verschwand auf mein Zimmer. Antonios Gesicht war kreidebleich, als ich eintrat.
„Es, ich...“, fing ich an, zu stottern.
„Ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht, meine Perle. Dachte schon, dir sei was passiert.“
Mir trieb es die Tränen in die Augen, weil ich mich so schämte.
„Ich bin in der Lobby eingeschlafen“, log ich, weil ich zu feige dazu war, ihm die Wahrheit zu sagen.
Den ganzen Tag wich ich nicht mehr von der Seite Antonios. Nur zu den Mahlzeiten verließen wir unser Zimmer, ansonsten packten wir unsere Koffer oder schalteten den Fernseher ein.
Ich war froh, als der Bus, welcher uns zum Flughafen bringen sollte, endlich kam.
Ich würdigte Christoph keines Blickes, auch nicht, als er mich sachte von hinten an stupste. Zum Glück hatte das Antonio nicht bemerkt. Im Flieger saßen wir weit weg von ihm, das empfand ich als beruhigend.
In Frankfurt trennten sich unsere Wege.
„Wir sehen uns!“, rief uns Christoph hinterher, als er zu den Taxis abbog.
Antonio wirkte verdutzt. „Kennen wir den?“
„Nicht das ich wüsste. Vielleicht hat der uns mal im Hotel gesehen. Manche haben ein gutes Menschengedächtnis.“
Antonio ließ die Sache auf sich beruhen. „Gib mir doch mal den Autoschlüssel.“
Noch immer ziemlich verwirrt, kramte ich in meiner Tasche herum. Zuerst fiel mir allerdings die Telefonnummer von Christoph in die Hände. Ein Seufzer löste sich aus meiner Brust.
Vielleicht rufe ich ihn einfach mal an, um mich mal - nur so - mit ihm zu treffen.
Heute war endlich der Abend der Abende. Antonio hatte mich zu seinem Onkel ins griechische Restaurant eingeladen. Seit Tagen hatte er mich regelrecht vernachlässigt, was er auf dem schnellsten Wege wiedergutmachen wollte. Ja, ich hatte mir vorgenommen, es mit Antonio noch einmal zu versuchen. Denn jeder hatte doch eine zweite Chance verdient.
Ich rümpfte die Nase. So stimmte das sicherlich nicht ganz. Naja, Stefan war außen vor, der zählte irgendwie nicht. Er hatte ja nie so richtig versucht, mich zurückzugewinnen. Ich durchsuchte meinen Kleiderschrank. Heute Abend wollte ich besonders hübsch aussehen.
Ein schwarzes Kleid, vorn ziemlich ausgeschnitten, fiel mir in die Hände. Das hatte ich noch nie angehabt. Jetzt fiel es mir wieder ein. Ich hatte nie das passende darunter gefunden.
Ich kramte nach dem Telefon. Meine Freundin Marlene hätte bestimmt nichts gegen einen Stadtbummel einzuwenden. Sie ging ja bekanntlich äußerst gerne shoppen.
Marlene sagte natürlich gleich zu. Und so trafen wir uns vor der Einkaufspassage. Am Eingang des ersten Geschäftes begrüßte uns gleich ein riesiger Ständer mit Ware zum Sommerschlussverkauf. Marlene packte alles über ihren Arm, was ihrer Größe entsprach. Ich dagegen, verzog mich gleich in die Dessous-Abteilung. Ich brauchte ja was, für untendrunter.
Ein kurzer Blick auf Marlene gerichtet, sagte mir, dass wir wohl vor einer Stunde das Geschäft nicht wieder verlassen würden.
Plötzlich wurde mir mulmig. War das nicht? Noch einmal schaute ich genauer hin. Das war doch Christoph oder nicht? Na klar. Allerdings war er nicht allein hier. Seine hübsche Begleiterin wirkte ziemlich aufgedonnert. Das war ja abzusehen, dass der eine Freundin hatte. Ach, hätte ich nur besser auf die Telefonnummer aufgepasst, die er mir gegeben hatte. Die war nämlich plötzlich verschwunden. Und ich wusste nicht, ob ich sie verlegt hatte oder ob Antonio der Übeltäter war.
Ich schnappte mir ein paar schicke BH´s, um mich in die Kabine zu verziehen.
Schnell streifte ich mir den ersten über. Ich war geschockt, als ich in den Spiegel schaute. Zwei Riesenberge glotzten mich an. Das war ja mindestens Doppel-D. Ob das Antonio gefallen würde?
Plötzlich ging der Vorhang der Kabine zurück.
„Besetzt!“, rief ich genervt.
„Ich weiß“, lautete prompt die Antwort.
Ich konnte es nicht glauben, aber vor mir stand wahrhaftig Christoph. Sein verschmitztes Lächeln brachte mich fast um den Verstand.
„Was du da trägst, gefällt mir. Dein Typ kann sich glücklich schätzen. Der ist doch nicht hier, oder?“, sprach er leise. Dann packte er mich an den Hüften und zog mich zu sich heran.
„Nein, nein, wir treffen uns erst heute Abend, beim Griechen, um die Ecke.“
Verdammt, für diese Antwort hätte ich mich selber ohrfeigen können. Jetzt wusste doch Christoph, wo ich heute Abend zu finden war. Ich versuchte mich zu beruhigen. Ohne Vorbestellung lief dort gar nichts. Also hatte ich wohl nichts zu befürchten.
„Wieso hast du mich nicht angerufen?“, fragte er ein wenig vorwurfsvoll.
„Die NNNummer ist weg“, stotterte ich.
„Das kann man schnell ändern“, hauchte mir Christoph ins Ohr.
„Aber was ist mit deiner Freundin, da draußen? Wird sie nicht nach dir suchen?“, sprach ich etwas unsicher.
„Das ist nur eine gute Bekannte. Die ist erst mal beschäftigt, so viel, wie die Klamotten mit in die Kabine genommen hat.“
Eine gute Bekannte also, schoss es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich so eine, wie ich es war. Zumindest hatte ich auch nichts von Marlene zu befürchten, denn die hielt sich auch gern in den Umkleidekabinen der Einkaufspassage auf.
Christophs Hände lagen plötzlich auf meinen Brüsten. Mir wurde schwindlig.
Es war nicht einfach, sich zu zweit, in einer Kabine, die Klamotten vom Leib zu reißen. Aber ja, ich wollte es, ich wollte Christoph. Die Musik war zum Glück laut genug, um das eine oder andere lustvolle Stöhnen, was unseren Kehlen entwich, zu überspielen.
Ich war wie benommen, als Christoph die Kabine wieder verließ. Ich setzte mich auf den kleinen Hocker und musste erst mal zur Ruhe kommen.
Ob Marlene schon draußen wartete? Eilig streifte ich mir die Jeans und das Shirt über und zog den Vorhang zurück.
„Na endlich“, hörte ich Marlenes Stimme.
Ihr kritischer Blick traf mich, wie eine Faust. „Das geht ja gar nicht“, sprach sie.
Also hatte sie doch etwas mitbekommen? Mir war das irgendwie peinlich. Wie sollte ich mich bloß erklären?
„Du hast dein Shirt verkehrt herum an“, meinte Marlene.
Tatsächlich waren die Innennähe außen.
„So ein Mist!“, kam es mir über die Lippen.
Ich wollte zurück, in die Kabine, doch eine andere war schneller und schob sich an mir vorbei. Dann eben die nächste. Doch nicht eine war mehr frei. Marlene hatte eine grandiose Idee. Hinten, in der Herrenabteilung war es ziemlich ruhig.
„Du hockst dich einfach hinter einen Klamottenständer und drehst das Shirt um.“
Eine super Idee. So ersparte ich mir das lästige Warten an den Kabinen.
Noch einmal drehte ich mich um. Die Luft war rein. Ich tauchte hinter dem Ständer ab. Mein Shirt hatte ich mir schon fast über den Kopf gezogen, da bekam ich einen Fußtritt.
„Verdammt nochmal!“, schimpfte ich. „Haben Sie denn keine Augen im Kopf?“
„Wie soll ich Sie sehen, wenn Sie hier auf dem Boden hocken“, sprach mich jemand an.
Jetzt hatte ich mich endgültig von meinem Shirt getrennt.
Zuerst sah ich die Schuhe meines Gegenüber. Dann glitt mein Blick entlang der Hosenbeine. Tolle Jeans dachte ich noch, bevor meine Augen hinauf, in das Gesicht des Mannes schossen.
Wie vom Blitz getroffen, schrie ich auf: „Stefan, du?“
Stefan sagte gar nichts. Er glotzte mir nur auf meine Brüste, welche ein wenig aus meinem BH herausgerutscht waren. Sofort fing ich an, sie in die rechte Position zu befördern.
„Bist du denn allein hier? Wo ist deine Freundin?“, überbrückte ich die Zeit.
„Wir haben uns vor zwei Monaten getrennt. Ich bin wahrscheinlich beziehungsunfähig“, sprach er leicht deprimiert.
Mein Shirt war jetzt wieder, so wie es sein sollte. Ich richtete noch kurz meine Haare und wollte los.
„Und wie läuft es bei dir?“, wollte Stefan wissen.
„Super!“, kam es, wie aus der Pistole geschossen.
Stefan griff plötzlich nach meiner Hand. „Weißt du, Sophie. Ich bereue unsere Trennung wirklich sehr. Hast du nicht Lust, das kommende Wochenende mit mir zu verbringen? Wir könnten uns ein schönes, kuscheliges Hotel suchen.“
„Das geht auf keinen Fall“, fing ich an, zu protestieren. „Immerhin bin ich ja mit Antonio zusammen und der ist sehr eifersüchtig“, betonte ich noch zusätzlich.
„Okay“, meinte Stefan enttäuscht. „Dann will ich dich nicht länger aufhalten.“
Ein bisschen fühlte ich mich schlecht, als er sich umdrehte, um zu gehen.
Marlene saß noch immer auf ihrem Platz, als ich mich zu ihr gesellte.
„War das nicht...“, fing sie an, laut zu denken.
„Du brauchst nicht weiter zu fragen. Er war es“, beantwortete ich ihre Frage.
Ich wirkte deprimiert und Marlene schlug vor, doch lieber nach Hause zu gehen. Ich stimmte ihr zu.
Auf Shopping hatte ich nun wirklich keine Lust mehr.
Wir gingen zur Kasse. Währenddessen Marlene sechs ergatterte Kleidungsstücke auf den Ladentisch legte, blieb mir nur mein Wonderbra.
„Wir telefonieren!“, verabschiedete ich mich von Marlene.
Oh Gott, was für ein verrückter Tag. Ich spürte noch immer Christophs Hände auf meinem Körper. Verdammt, ich musste mich unbedingt auf andere Gedanken bringen. Schnell rief ich mir Antonio ins Gewissen. Wie spät war es überhaupt? Nervös blickte ich auf die Uhr. Nur eine Stunde noch?
Ich riss mir die Jeans und das Shirt vom Leib, dann die Unterwäsche. Jetzt schnell noch unter die Dusche und dann hieß es, aufbrezeln.
Ich quetschte meine Brüste mit dem Wonderbra zusammen. Ich sah aus, wie nach einer OP. Dann zog ich das Kleid über. Wow! Das war ja der Hammer. Niemand wird wohl heute Abend in der Lage sein, mir ins Gesicht zu blicken. Antonio wird da sicher nicht widerstehen können.
Es klingelte an der Tür. Schnell noch einmal einen letzten Blick in den Spiegel gerichtet. Ein paar wilde Strähnen ins Gesicht gezogen und noch ein wenig Parfüm. Dann stolzierte ich, wie eine Diva, auf dem roten Teppich, zur Tür.
Natürlich traf Antonios erster Blick meinen gut bestückten Vorbau.
„Du siehst toll aus“, war der Satz, den ich hören wollte.
Ich schmiegte mich verliebt an ihn heran und er legte seine Arme um mich.
„Du weißt ja nicht, wie ich mich auf diesen Abend freue“, hauchte ich in sein Ohr.
Antonio küsste mich so intensiv, wie schon lange nicht mehr. Ich war plötzlich zuversichtlich, was unsere Beziehung an betraf. Ja, wir waren ein Paar und würden es auch bleiben.
Eng umschlungen erreichten wir schließlich das griechische Lokal seines Onkels, was an diesem Abend wieder gut besucht war. Natürlich war für uns der beste Tisch reserviert.
Antonios Onkel Dimitrios, brachte sogleich eine Flasche Rotwein zu uns an den Tisch. Ich sah genau, wie er Antonio zuzwinkerte. Sogar seine Gedanken konnte ich erraten, die da lauteten: Da geht noch was, mein Junge.
Ich wurde plötzlich von Unsicherheit überrollt. Sicher war das zu viel, was ich vor mir hertrug. Selbst Dimitrios kam nicht drumherum, sich mit seinen Augen, in meinem Ausschnitt zu verfangen.
Mir war das schon ein bisschen peinlich. Aber da musste ich jetzt durch.
Dimitrios wirkte ziemlich aufgelöst, als er uns die ausgewählten Vorspeisen brachte. Schweißperlen
liefen ihm von der Stirn herunter.
„Wo ist den Jannis? Hat der nicht heute Schicht?“, wollte Antonio von seinem Onkel wissen.
Der Angesprochene verzog das Gesicht. „Seine Frau hat vor einer halben Stunde Wehen bekommen. Er hat sie erst mal ins Krankenhaus gefahren. Er will aber später noch kommen. Nicht zu ändern. Bis er da ist, muss ich mich alleine durchschlagen.“
Ein gequältes Lächeln huschte über das Gesicht von Dimitrios. Mir blieb die Vorspeise im Halse stecken. Mir war klar, dass Antonio seinen Onkel nicht im Stich lassen würde. Es fiel mir wirklich schwer, ihn gehen zu lassen. Nun saß ich alleine am Tisch. Das war irgendwie zu viel für mich. Ich musste unbedingt an die frische Luft.
Ich hatte mir gerade eine Zigarette angezündet, als ich neben mir Schritte vernahm. Antonio machte sich also Sorgen, um mich. Wie lieb, dachte ich.
Doch es war nicht Antonio, der neben mir auftauchte, es war Christoph. Das hätte ich mir ja denken können. Mir war jetzt wirklich nicht nach Konversation zumute.
„Ich bin eigentlich nur hier, um dir meine Telefonnummer zu geben. Dann hau ich auch schon wieder ab. Vielleicht ist dir irgendwann mal langweilig, dann könnten wir uns ja mal treffen.“
Christoph drückte mir einen Zettel in die Hand. Ich steckte ihn ein, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
„Also dann, bis irgendwann“, sprach er und drehte sich von mir weg, um den Rückzug anzutreten.
Ich weiß nicht, was mich plötzlich überkam, als ich die Worte: „ Eigentlich will ich gar nicht, dass du gehst“, gebrauchte.
Aber ich fühlte mich in diesem Moment so allein, so wirr im Kopf.
Christoph kam zurück. Ich schlang meine Arme um ihn, um ein bisschen körperliche Wärme zu suchen. War er vielleicht gar kein Sterblicher? War er vielleicht ein Engel, der vom Himmel gefallen war? Oh nein, was für absurde Gedanken. Wahrscheinlich hatte ich schon ein, zwei Gläser Wein zu viel induss.
Ich schmiegte mich an Christophs Brust, um seinen Herzschlag zu spüren.
„Du siehst heute richtig sexy aus, meine kleine Sophie. Wären wir doch jetzt ganz woanders.“
Christophs Finger glitten zwischen meine Beine. Ich schloss die Augen und genoss die kleine Massage.
Im Unterbewusstsein drang eine Stimme an mein Ohr, die meinen Namen rief. Ich zuckte zusammen und drängte Christoph von mir weg. Ich lief um das Haus herum und da stand plötzlich Antonio vor mir.
Verlegen kratzte er sich am Kopf. „Jannis kommt heute nicht mehr, weil seine Frau noch immer in den Wehen liegt. Und du weißt ja selbst, dass mein Onkel nicht mehr der jüngste ist. Es tut mir so leid. Ich mache es wieder gut, das verspreche ich.“
Ich war mächtig verärgert, aber dennoch konnte ich Antonio nicht böse sein.
„Weißt du was!“, sprach ich. „Wie wäre es, wenn du morgen Abend zu mir kämst. Dann koche ich für uns etwas schönes und danach machen wir es uns gemütlich.“
Antonio wirkte erleichtert.
„Jetzt gehe ich am besten erst mal nach Hause. Du musst ja schließlich noch arbeiten“, meinte ich und gab Antonio einen Kuss.
Er ließ mich ungern alleine gehen. Aber es war nicht weit, bis zu meiner Wohnung.
Außer Sichtweite holte ich den kleinen Zettel aus meiner Tasche. Christoph war sicher noch nicht weit weg. Ich würde ihn einfach mit nach Hause nehmen. Tatsächlich ging er ans Telefon.
„Wo bist du?“, fragte er.
„Beim Griechen, gleich um die Ecke“, säuselte ich. „Neben der Litfaßsäule, um genauer zu sein.“
„Rühr dich ja nicht vom Fleck. Ich bin gleich da.“
Ich legte auf. War ich denn vom Teufel besessen? Ich war doch mit Antonio zusammen und das sollte auch so bleiben. Schleunigst zu verschwinden, wäre jetzt wohl angebracht gewesen. Aber leider überkam mich dieser Gedanke zu spät. Christoph stand mir plötzlich gegenüber und umschlang mich mit seinen Armen, sodass ich nicht mehr entkommen konnte.
„Schön, dass du dich gemeldet hast. Was hast du jetzt mit mir vor?“
Ich schluckte, da ich doch meine Meinung, was unser Stelldichein an betraf, geändert hatte.
„Wir könnten zu dir gehen, wenn du willst“, beantwortete Christoph seine Frage selbst.
„Ja, warum nicht?“, sprach ich schließlich, nur um irgendetwas zu sagen.
Christoph packte mich unerwartet an den Hüften und warf mich über seine Schulter.
„Und wo müssen wir jetzt lang?“, meinte er schelmisch.
Meine Zweifel waren endgültig beseitigt. Ich musste lachen, als ich hinter uns, ein fein gekleidetes Ehepaar entdeckte. Was jetzt wohl in deren Köpfen vorging?
Ich rief: „Helfen Sie mir. Ich werde entführt!“
Mit schüttelnden Häuptern bogen sie in die nächste Straße ab.
„Ich glaube es nicht, die haben sich einfach aus dem Staub gemacht, anstatt mir zu helfen“, beschwerte ich mich.
„Dein Hilferuf klang wahrscheinlich nicht glaubwürdig genug“, spöttelte mein Entführer.
An der Eingangstür des Mietshauses gab mich Christoph wieder frei. Ich schloss die Tür auf und hastete in die dritte Etage.
„Na warte!“, rief mein Verfolger. „Gleich hab ich dich und dann bist du fällig.“
„Oder du“, konterte ich.
Natürlich holte mich Christoph, kurz vor meiner Wohnungstür ein. Von hinten bekam er meine Hüften zu fassen. Das Licht im Flur ging aus. Ich stützte mich an der Tür ab und mein Liebhaber schob mir das Kleid über die Schenkel. Oh ja, hier und jetzt sollte er mich verführen.
Plötzlich ging das Licht wieder an. Christoph ließ augenblicklich von mir ab und ich zog mein Kleid wieder herunter.
Ich blickte die Treppenstufen hinab. Niemand tauchte auf.
Ein Räuspern drang an mein Ohr. Erschrocken blickte ich mich um. Auf der Hälfte der Treppe, welche hinauf in den vierten Stock führte, saß Stefan.
„Ich wusste ja nicht...“, stammelte er herum.
Mit dem Blick auf meine Begleitung gerichtet, meinte er noch: „Hey Antonio, endlich lernen wir uns mal kennen. Sophie ist wirklich eine Top-Frau. Also leg dich ins Zeug.“
„Das ist nicht Antonio, das ist Christoph“, sprach ich leicht genervt.
Stefan verzog das Gesicht. Drei waren einfach einer zu viel. So kam es, dass Christoph den Anfang machte.
„Du kannst mich jederzeit anrufen“, sprach er kurz angebunden und nahm die Treppe nach unten. Jetzt gab es nur noch Stefan und mich.
„Was machst du eigentlich hier?“, wollte ich wissen.
„Na, ich dachte du überlegst dir das nochmal, mit dem Wochenende.“
Ich verdrehte die Augen. „Nein, da wird nichts draus. Schließlich bin ich mit A...“ Ich bekam das Wort einfach nicht heraus.
„Dann muss ich das wohl so hinnehmen. Falls du deine Meinung ändern solltest, dann melde dich bei mir. Meine Nummer hast du ja.“
Das waren Stefans letzte Worte, bevor auch er das Haus verließ.
So hatte ich mir den Abend wahrhaftig nicht vorgestellt. Ich schloss die Tür auf, ging in meine Wohnung und schmiss die Tür vor Wut ins Schloss. Wieso passierte das immer mir, bemitleidete ich mich selbst.
Irgendwann schlief ich auf der Couch ein. Am Morgen wachte ich schweißgebadet auf. Ich konnte mich noch genau an meinen Traum erinnern. Stefan hatte mich die ganze Nacht lang verführt. Selbst im Schlaf kam ich nicht zur Ruhe. Ich musste mir eingestehen, auch wenn es nur ein Traum war, hatte ich doch ziemlichen Spaß. Ich fragte mich, wie das weitergehen sollte.
Schon wieder überkam mich dieses mulmige Gefühl in der Magengegend. Ja, es war das schlechte Gewissen, was mich heimsuchte.
Vor zwei Tagen hatte mich Stefan angerufen. Er wollte wissen, ob ich mir das mit dem Wochenende nochmal überlegt hätte. Natürlich lag mir auf der Zunge, zu sagen: „Du weißt doch, dass es aus ist. Und dabei sollten wir es auch belassen.“
Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Stattdessen sah ich, vor meinem geistigen Auge, seinen nackten Körper vor mir. Genauso, wie ich es im Traum wahrgenommen hatte.
Eigentlich war ja nichts dabei. Immerhin waren wir Freunde, nur Freunde.
„Ein bisschen über die alten Zeiten reden“, hatte er gemeint.
Tatsächlich sagte ich zu. Wegfahren oder besser gesagt, einfach mal abhauen, war eine gute Idee. Ich musste unbedingt über die Beziehungskiste mit Antonio nachdenken. Immerhin hatte ich es noch nicht fertiggebracht, ihm die Wahrheit zu sagen. Der Mut fehlte mir einfach dazu, einen Schlussstrich unter unsere Beziehung zu ziehen. Ich wollte ihm einfach nicht wehtun.
„Mit wem fährst du weg?“, wollte Antonio schließlich wissen, als ich ihm von dem bevorstehenden Wochenende erzählte.
Einen kurzen Moment hielt ich inne. Verdammt, was sollte ich ihm jetzt nur sagen?
„Mit Marlene“, sprach ich ein wenig kleinlaut.
Ich spürte genau, wie Antonio, welcher sich am anderen Ende der Leitung befand, ein Stein vom Herzen fiel. Im gleichen Augenblick ärgerte ich mich über mich selbst. Wieso war ich nicht dazu fähig, die Wahrheit zu sagen?
„Rufst du mich dann an, wenn du wieder da bist?“, meinte er.
„Aber klar doch. Auf jeden Fall!“, versprach ich ihm.
Ich legte den Hörer auf und ließ mich in den Sessel fallen. Ich musste Marlene anrufen, unbedingt. Sie war für zwei Tage zu ihrer Mutter nach Darmstadt gefahren. Morgen, am Samstagabend, wollte sie zurückkommen, was mir recht gelegen kam. Ich wollte sie darum bitten, meine Liaison mit Stefan zu decken.
Das dritte Mal hatte ich es jetzt schon probiert, sie zu erreichen. Fehlanzeige! Niemand ging ran.
Ich kramte in den Schubladen meines Wohnzimmerschrankes herum. Irgendwo musste sie doch sein, die Telefonnummer ihrer Mutter. Diese kleinen Zettel machten mich noch wahnsinnig. Man nahm sich vor, sie an einen Platz zu legen, an dem man sie immer wiederfinden würde. Aber meine Plätze waren überall. Ich gab es schließlich auf, weiterhin nach der Nummer zu suchen.
Am Abend wollte ich es noch einmal probieren.
Ich entschied mich dafür, ein paar Sachen für das bevorstehende Wochenende zusammenzupacken. Stefan hatte mir nicht verraten, wohin es ging. Es sollte eine Überraschung sein. Ein biederer Pulli, Hose und Jacke wanderten in meine kleine Reisetasche. Bei der Unterwäsche war ich mir unschlüssig. Auf jeden Fall sollte Stefan nicht in den Sinn kommen, ich sei bereit, für eine neue Beziehung. Nur zum Quatschen brauchte ich schließlich keine sexy Klamotten. Für den Fall, dass wir womöglich ein Lokal aufsuchen würden, packte ich mir noch einen Rock und eine Bluse ein. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukam.
Bis spät in den Abend hinein, versuchte ich Marlene zu erreichen. Na gut, dann eben morgen, dachte ich und warf verärgert das Telefon in die Ecke. Dann ging ich ins Bett.
Ich schreckte auf, als mich das Telefon weckte. Na endlich! Das wurde ja auch Zeit, dass Marlene etwas von sich hören ließ. Aber es war nicht Marlene, es war Stefan. „In einer Stunde bin ich bei dir, um dich abzuholen“, sprach er gut gelaunt.
Ich blickte auf die Uhr. Es war neun Uhr morgens. Eine unruhige Nacht lag hinter mir. Mein Kopf dröhnte. Wie sollte ich das in einer Stunde nur schaffen? Ich kam doch jetzt schon kaum aus dem Bett.
Ich quälte mich schließlich hoch und schlürfte unter die Dusche. Ein Aufschrei entfleuchte meiner Kehle. Schon wieder nur eiskaltes Wasser. Erst gestern hatte ich mich deswegen doch bei der Hausverwaltung beschwert. Vielleicht sollte ich einfach die Miete kürzen. Aber das war wohl jetzt auch egal. Ich drehte den Hahn wieder zu, ging in die Küche, um mir einen extra starken Kaffee zu machen. Der wirkte wie ein Jungbrunnen. Jetzt war ich wacher.
Rein in die Klamotten und dann ran, an den Spiegel. Ich wollte ja nicht aussehen, als hätte ich noch ein Kopfkissen im Gesicht.
Pünktlich, auf die Minute klingelte es an der Tür. Ich schnappte mir meine kleine Reisetasche und machte mich auf den Weg, nach unten.
Stefans Anblick warf mich fast um, als ich ihm entgegentrat. Ich drückte ihn einen Kuss auf die Wange, denn zu persönlich wollte ich nun auch nicht werden. Ein männlich herbes Duftwässerchen umspielte meine Nase.
„Schön, dich zu sehen“, sprach Stefan, mit einem verspielten Lächeln auf den Lippen.
Galant öffnete er mir die Autotür auf der Beifahrerseite. „Darf ich bitten?“
Ich fühlte mich plötzlich, wie eine Prinzessin. Nur, dass Stefans Fortbewegungsmittel kein weißes Pferd war, sondern ein weißes Auto. Das war wohl auch besser so. Vor allen Dingen bequemer.
„Wo fahren wir eigentlich hin?“, wollte ich wissen.
„Kannst du dich noch an das romantische Haus erinnern, wo es uns beide damals hin verschlagen hatte? Du fühltest dich sicher von mir im Stich gelassen, als ich einfach verschwand. Danach war es nicht mehr so, wie es vorher war. Ich werde es wieder gut machen, ganz bestimmt.“
Ich dachte nach. Ein romantisches Haus? Welches romantische Haus? Mir schwante plötzlich schlimmes. Nein, nicht der alte Gruselkasten von damals. Daran hatte ich nun wirklich keine guten Erinnerungen.
Wir bogen in das Waldstück ab und zum Vorschein kam wirklich meine Befürchtung. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel.
Stefan warf mir den Schlüssel entgegen. „Hier, schließ auf!“
Notgedrungen tat ich dies. Die Tür jaulte auf, was mich bereits in Angst und Schrecken versetzte. Allerdings hielt das nicht lange an, denn ein Anflug der Verblüffung löste diesen Zustand ab.
Die Eingangshalle war in ein Meer aus roten Blütenblättern getaucht.
„Was hast du vor?“, fragte ich ein wenig irritiert.
„Ich will, dass du ein unvergessliches Wochenende hast“, sprach er mit gedämpfter Stimme und ergriff meine Hand. Dann ging er mit mir die Treppe hinauf. Wir bogen in ein Zimmer ab. Ich wusste genau, was sich dahinter verbarg, schließlich war ich ja vor Jahren schon einmal hier gewesen.
Stefan drehte den Hahn der Badewanne auf. Seit wann gab es hier warmes Wasser und Strom? Kam es mir in den Sinn.
Mit einem süß-säuerlichen Lächeln tänzelte Stefan auf mich zu. Unweigerlich ging ich ein paar Schritte zurück. „Du glaubst doch nicht im ernst, dass ich jetzt mit dir da rein steige?“
Stefan wirkte plötzlich ein wenig beleidigt. „Du hast es doch früher auch gern gehabt, wenn wir in der Badewanne Sex hatten.“
Ich verdrehte die Augen. „Stefan, du solltest dir nicht allzu viele Hoffnungen machen. Ich will dich nicht belügen. Ich kann mir eine Beziehung mit dir einfach nicht mehr vorstellen.“
„Wer sagt denn was von einer Beziehung?“, fiel mir Stefan ins Wort. „Wir machen uns einfach ein schönes Wochenende und dann gehst du zu deinen Antonio zurück oder dem anderen Kerl aus dem Treppenhaus.“
Zorn stieg in mir auf. „Mit solchen Worten bekommst du mich aber nicht rum“, sprach ich beleidigt.
Stefan drehte den Wasserhahn ab und entledigte sich seiner Klamotten. Meine Augen klebten förmlich an seinem Körper. Noch immer besaß er einen durchtrainierten Body, was in mir eine plötzliche Hitzewelle heraufbeschwor. Ich sah ihm zu, wie er in die Wanne stieg.
„Kommst du oder bist du plötzlich zur heiligen Jungfrau mutiert?“, sprach er frech.
Er nahm das Duschbad in die Hand und rieb sich seine Schultern samt Brustkorb damit ein.
Verdammt nochmal! Was hatte ich schon zu verlieren?
Um es ein wenig spannender zu machen, knöpfte ich langsam meine Bluse auf. Mir entging nicht, dass Stefan jeden Handgriff genau verfolgte.
Die Bluse warf ich von mir und dann meine Unterwäsche. Ich ließ mir Zeit, schließlich wollte ich ihn noch ein bisschen Zappeln lassen. Doch dann bekam mich Stefan zu fassen und zog mich zu sich, in die Wanne hinein.
Schneller wie gedacht, lag ich auf ihm. Meine Brüste streiften seine Haut. Stefan presste mich noch näher an sich heran. Seine Hände packten meinen Hintern.
„Komm schon, steck ihn rein!“, hauchte er mir ins Ohr.
Ich startete einen Versuch. Allerdings war die Wanne ziemlich schmal, sodass es mir nicht so richtig gelang, seinen Wunsch zu erfüllen.
Kurzerhand drehte ich mich um und streckte ihn mein Hinterteil einladend entgegen. Stefan fackelte nicht lange. Ich zuckte ein wenig zusammen, als sein bestes Stück, ziemlich schnell, in mir verschwand.
„Langsam! Wir haben doch alle Zeit der Welt“, sprach ich, um ihm ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber Stefan war so in Fahrt, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Mit mehreren heftigen Stößen beendete er unsere Liaison.
„Verdammt nochmal!“, fing er an zu fluchen. „Ich konnte mich einfach nicht beherrschen.“
Wir stiegen aus der Wanne.
„Gibt es denn irgend etwas Essbares hier im Haus oder hast du mich nur hierher geschleppt, um mit mir zu schlafen?“, versuchte ich zu scherzen. Was allerdings nach hinten los ging, da Stefan sich noch immer Gedanken darüber machte, ob er mich nun glücklich gemacht hatte oder nicht.
Natürlich war er viel zu schnell gekommen und ich hatte das Nachsehen, aber die Nacht war ja noch jung, sagte ich mir.
Wir gingen in die Küche. Der Schampus und ein paar kleine Köstlichkeiten waren, wie von mir nicht anders erwartet, im Kühlschrank bereitgestellt. Stefan öffnete die Flasche, die, wie er zuvor, ziemlich unter Druck stand. Das kühle Nass sprudelte im hohen Bogen heraus und landete auf meinen Brüsten. Wir mussten beide lachen.
„Wie appetitlich“, meinte Stefan und begann damit, seine Zunge über meine Haut gleiten zu lassen. An Essen war nun nicht mehr zu denken.
Ich hatte plötzlich eine Idee. „Warte hier! Ich bin gleich zurück.“
Der Flur war kaum beleuchtet, als ich die Treppe hinab ging. Gänsehaut legte sich auf meine nackte Haut. Alte Erinnerungen stiegen plötzlich in mir hoch. Ängstlich wanderte mein Blick die Stufen hinab. Ich wollte nur meine Reisetasche holen, mehr nicht. Aber wo hatte ich sie bloß hingestellt?
Ein Schrecken durchfuhr mich plötzlich. War das nicht das Knarren der Eingangstür?
Ich traute mich nicht, nachzusehen. Stattdessen schnappte ich mir meine Tasche und rannte die Treppen wieder hinauf.
„Stefan, ich glaube, da hat sich jemand ins Haus geschlichen!“, rief ich ziemlich aufgeregt.
„Das kann nicht sein“, wehrte er ab. „Ich weiß genau, dass ich die Tür von innen zugeschlossen habe.“
Er umschloss mich mit seinen Armen. „Das Haus ist alt, da kann es schon mal sein, dass es hier und da ein bisschen spukt. Sicherlich sind die Geister neugierig, was wir hier so treiben.“
Vielleicht hatte Stefan recht. Diese blöden Erinnerungen, von damals, waren einfach in mein Hirn zurückgekehrt. Ich musste mich unbedingt auf andere Gedanken bringen.
Ich kramte in meiner Tasche herum. Da war es ja, das kleine Fläschchen mit dem Bodyöl, was ich Stefan verführerisch unter die Nase hielt.
„Du zuerst“, hauchte ich.
Stefan ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit dem Rücken zu mir gekehrt, warf er sich aufs Bett. Ich hockte mich auf ihn und begann damit, seinen Rücken einzuölen. Ein entspanntes Stöhnen trat über seine Lippen, was mich zu mehr animierte. Ich beugte mich über ihn und rieb meine Brüste an seiner Haut.
Stefan machte eine plötzliche Drehung, sodass ich neben ihn aufs Bett fiel.
„Jetzt bin ich aber dran!“, sprach er ziemlich erregt, öffnete das kleine Fläschchen und rieb sich die Handflächen mit dem Öl ein.
Ein Aufschrei der Lust drang aus meiner Kehle, als er anfing, mir die Brüste zu massieren. Als seine Finger dann zwischen meine Beine glitten, war ich nur noch Wachs in seinen Händen. Wie eine Marionette ließ ich mich von ihm leiten. Stefan stopfte mir ein Kissen unter mein Hinterteil, dass mein Becken höher kam. Meine Beine berührten seine Schultern, als er seine Männlichkeit in mir verschwinden ließ.
Er gab den Ton an und ich folgte seinen Bewegungen. Unsere Lustschreie durchzogen das alte Gemäuer. Hier, in dieser Einöde konnte man so herrlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Hier war auch kein hellhöriger Nachbar, der an die Wand klopfte, wenn es ihm zu viel wurde.
Wir hatten uns so verausgabt, dass wir irgendwann vor Erschöpfung einschliefen.
Es war schon taghell, als ich ein Klopfen, was von der Eingangstür kommen musste, vernahm.
Ich holte mir aus dem Bad eines der großen Handtücher und schlang es um meinen Körper.
Das Klopfen wurde energischer, als ich die Treppe herunter ging. Zur Vorsicht griff ich nach einem zweiflammigen Kerzenleuchter, welchen ich neben dem Eingang wahrnahm.
„Wer ist da!“, rief ich lauthals, den Kerzenständer zum Angriff bereithaltend.
„Ich bin es, Marlene!“, vernahm ich unerwartet die Worte meiner Freundin.
Ich riss die Tür auf und Marlene fiel mir schluchzend in die Arme.
„Du wirst mich hassen dafür, was ich getan habe“, sprach sie unter Tränen.
„Nun komm erst mal rein. Dann erzählst du mir, was passiert ist“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Wie hast du mich eigentlich gefunden? Und wieso bist du nicht ans Telefon gegangen?“
Marlene war ein einziges Nervenbündel, als sie mir berichtete, dass sie ihr Handy Zuhause vergessen hätte. Deshalb sei sie nicht erreichbar gewesen.
„Ich bin überall herumgefahren, um dich ausfindig zu machen. Dann fiel mir dieses alte Haus ein. Du warst doch vor Jahren schon mal hier, nicht wahr?“
Zu einer Antwort meinerseits kam es nicht, denn Stefan kam gerade die Treppe herunter. Marlenes Kinnlade fiel nach unten, denn Stefan war immer noch splitternackt. Als er Marlene entdeckte, hielt er sich sofort die Hand vor sein bestes Stück.
„Oh, ich wusste nicht, dass wir Besuch haben“, sprach er ein wenig verlegen und nahm den Weg zurück, in die obere Etage.
„Das ist doch... Das war doch...“, stotterte Marlene herum. „Du hast doch nicht etwa...?“
„Ja, wir hatten Sex, wenn du es genau wissen willst“, kam ich auf den Punkt.
„Und was ist mit Antonio?“, fragte sie etwas irritiert.
„Ich weiß nicht. Kann sein, dass wir gar nicht mehr zusammen sind. Wenn ich wieder Zuhause bin, werde ich mich mit ihm treffen. Dann sehen wir weiter. Aber was wolltest du mir eigentlich sagen?“, versuchte ich den Faden wieder aufzunehmen.
„Ach“, stöhnte Marlene. „Du weißt doch, dass meine Mutter, wenn ich sie besuche, immer etwas an mir auszusetzen hat. Man kann ihr einfach nichts recht machen. Ich hatte wirklich den Kopf voll, als ich nach Hause gefahren bin. Ich wollte einfach nur raus, meine Sorgen mit ein paar Gläsern Wein runter spülen. Bei dir hat niemand aufgemacht und bei meinem Handy war das Akku leer. So bin ich dann alleine losgezogen. Habe mich in einer Bar niedergelassen. Von der Seite sprach mich jemand an. Ich war überrascht, wen ich da sah. Es war Antonio. Wo ist denn Sophie? Ich dachte, ihr seid zusammen übers Wochenende weggefahren, sprach er mich an. Ich wusste ja nicht, dass du mich als Alibi benutzt hattest“, meinte Marlene.
„Oh nein!“, meldete sich mein schlechtes Gewissen zu Wort. „Das war ja mal ein Schuss ins Abseits.“
„Das kannst du wohl sagen. Ich wusste gar nicht, wie ich mich aus der Affäre ziehen sollte.“
„Wenn du nur dein blödes Handy dabei gehabt hättest“, schob ich Marlene die Schuld in die Schuhe.
„Woher sollte ich denn wissen...“, sprach sie in Tränen aufgelöst.
Ich schloss sie in meine Arme. „Es tut mir leid. Du kannst wirklich nichts dafür. Alles ist einzig und allein meiner Dummheit zuzuschreiben“
Jetzt fing Marlene noch mehr an, zu jammern. „Weißt du, wir haben uns dann volllaufen lassen, quasi unseren aufgestauten Ärger runter gespült. Ich hab´s nicht drauf angelegt, wirklich nicht, weil Antonio doch mit dir zusammen ist. Ich gebe zu, dass ich mit im geflirtet habe. Das hat sich irgendwie so ergeben. Er hat mich dann kurz allein gelassen. Das ich mich nicht vom Fleck rühren sollte, hatte er gemeint. Mir wurde schnell bewusst, dass ich zu weit gegangen war, so habe ich dann das Weite gesucht. Ich wollte einfach schnell nach Hause. Doch kurz vor dem Ausgang spürte ich plötzlich, wie eine Hand blitzschnell meinen Arm ergriff. Antonio hatte mich erwischt. Er zog mich mit sich, in eine der dunklen Ecken.“
Ich schluckte. „Heißt das etwa, dass du mit Antonio Sex hattest? Einfach so?“
Marlene holte tief Luft, denn das: „Ja“, was aus ihrem Munde herauskroch, kam ihr nicht leicht über die Lippen.
Ich konnte es kaum glauben. Meine biedere Marlene und Antonio hatten tatsächlich Sex in einer dunklen Ecke, in irgendeiner Bar, wie verrucht.
„Ich weiß, so etwas macht eine beste Freundin nicht. Du wirst mich jetzt hassen, für den Rest deines Lebens. Aber ich habe es ja nicht anders verdient.“
„Ach, Quatsch“, beendete ich schlagartig Marlenes Reumütigkeit. „Warum sollte ich dir böse sein, wo ich doch diejenige bin, die den ganzen Mist verzapft hat.“
Ich kam nicht drumherum, ein Grinsen über meine Lippen gleiten zu lassen. „Hat sich die ganze Sache wenigstens für dich gelohnt?“
Marlene boxte mich gegen die Schulter. „Du wieder“, sprach sie errötend.
„Ich hab noch was für dich“, sprach sie weiter und kramte in ihrer Hosentasche herum. „Das musst du letztens bei mir verloren haben:“
Marlene reichte mir ein kleines Stück Papier. Ich faltete es auseinander.
„Das gibt es doch nicht! Das ist ja die Telefonnummer von Christoph. Die habe ich schon überall gesucht“, meinte ich überrascht.
Marlene grinste. „Ein schnuckliger Typ. Nicht wahr?“
„Oh ja“, fing ich an, zu schwärmen. Das Wochenende mit Stefan war fast vorbei und wunderschön gewesen, doch an Christoph kam er einfach nicht heran. Noch heute Abend würde ich ihn anrufen, sofern mir die Nummer nicht wieder abhanden kommen würde.
Marlene fuhr wieder nach Hause. Vielleicht geradewegs zu Antonio. Immerhin musste sie jetzt kein schlechtes Gewissen mehr haben, denn ich hatte ihr mein okay gegeben.
Ich dagegen eilte die Treppe hinauf. Noch auf den Stufen ließ ich mein Handtuch fallen. Ein paar Stunden blieben uns noch, bevor auch wir nach Hause zurückfahren würden. Die wollte ich nutzen, denn wer weiß, ob ich Stefan noch mal so nahe sein würde.
Ein bisschen neidisch war ich schon auf Marlene, als sie mir dieses Monstrum von Ring unter die Nase hielt. Es war ein Verlobungsring von Antonio. Erst gestern hatte er sie damit beschenkt.
Ich dagegen, war sie los, alle meine Liebschaften. Stefan, Antonio und auch Christoph. Besagten hatte ich nämlich letztens im Einkaufscenter erwischt. Er hielt eine Schwarzhaarige im Arm und es sah nicht so aus, als sei sie nur eine gute Bekannte.
Ich hatte mich an ihre Fersen geheftet, um mir ein Bild über die Lage zu machen. Als er sie küsste, brach eine Welt für mich zusammen. Irgendwie hatte ich es geahnt. Er war einfach zu perfekt, um treu zu sein.
Sein dummes Gesicht war auf jeden Fall eine Genugtuung für mich, als ich mich aufmachte, zufälligerweise an ihm vorbeizulaufen. Ich setzte noch einen drauf, indem ich mich dazu hinreißen ließ, meinen Arm in die Höhe zu heben, um einem wildfremden Mann zuzuwinken, um Christoph in den Glauben zu versetzen, dass ich auf ihn nicht angewiesen wäre. Blöderweise blickte der fremde Kerl mir entgegen und rührte sich nicht von der Stelle. Was sollte ich jetzt tun? Vorbeizugehen wäre wohl keine gute Idee, zumal Christophs Augen noch immer auf meiner Gestalt lagen.
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend lief ich geradewegs auf den Wartenden zu. Ich kam mir vor, wie die Hauptdarstellerin in einem Schnulzenfilm. Der Regisseur rief mir zu: „Gib dein Bestes, damit es echt wirkt.“
Unsicher drehte ich mich noch einmal nach Christoph um. Vielleicht war er ja gar nicht mehr da. Leider war er es doch und sogar die Schwarzhaarige schien für den Moment vergessen zu sein, zu sehr war er mit mir beschäftigt.
Der Fremde glotzte mich an und schien auf eine Erklärung meinerseits zu warten.
„Also, ich glaube, ich habe Sie verwechselt“, stammelte ich, um irgendetwas von mir zu geben.
„Ist das dein Freund, da drüben?“, sprach mein Gegenüber plötzlich.
„Nicht direkt, aber ein bisschen schon“, rutschte es mir über die Lippen.
Was dann geschah, verblüffte mich zutiefst. Der Fremde hatte wohl die Situation erkannt. Der Schnulzenfilm, in dem wir uns befanden, erlangte seinen Höhepunkt. So vertraut, als würden wir uns schon ewig kennen, legte der Unbekannte seine Arme um mich und drückte seine Lippen auf die meinigen.
Ich hörte den Regisseur rufen: „Der Film ist im Kasten. Das kam echt glaubwürdig rüber, Leute.“
Der Fremde meinte: „Er schaut noch immer her. Das tut sicher sehr weh, sowie sein Gesichtsausdruck wirkt.“
Ich traute mich nicht, nur einen einzigen Blick zu riskieren. Eigentlich war mein Plan nur, irgendeinem männlichen Wesen zuzuwinken, aber die ganze Sache war dann doch irgendwie aus den Fugen geraten und ich steckte mittendrin.
Was mich ziemlich verärgerte, war die Tatsache, dass Christoph nicht vorhatte, seine Position verlassen zu wollen, was den Schwindel ziemlich erschwerte.
„Na dann, auf zum Finale“, sprach mein unbekannter Freund, ergriff meine Hand und dann schritten wir zusammen an Christoph vorbei. Auch der Schwarzhaarigen war die Situation nicht verborgen geblieben. Mit ihrer Handtasche schlug sie auf Christoph ein, was ein bisschen komisch wirkte.
Draußen angekommen, fing mein Begleiter plötzlich an, in ein schallendes Gelächter zu verfallen.
„Ich glaubs nicht. So in Trottel“, spöttelte er.
Christoph, ein Trottel? Nein, das war er wirklich nicht. Wut überkam mich, sodass ich diesem Kerl eine Ohrfeige verpasste. Dann lief ich einfach davon.
Ja, so war es gewesen. Und jetzt ärgerte ich mich immer noch darüber, dass ich Christoph ausspioniert hatte.
Womöglich hätte ich heute ein Date mit ihm gehabt und danach hätten wir uns geliebt, bis in die frühen Morgenstunden. Wer brauchte schon eine Beziehung? Ich jedenfalls nicht.
Marlene strahlte und ich war zu tote betrübt. Sie hatte ihren Antonio und ich?
Mein Weg führte mich in den Supermarkt meines Vertrauens. Die größte Packung Schokoeiscreme sollte mich über meinen inneren Schmerz hinwegtrösten. Ich aß die ganze Packung leer, dann war mir schlecht.
Ich griff zum Telefon und wählte Christophs Nummer. Er ging nicht ran. Sicher war er nicht gewillt, mit mir zu reden. Diese Schwarzhaarige lag jetzt wahrscheinlich in seinen Armen.
Stefan fiel mir ein. Der würde mich nicht im Stich lassen, davon war ich überzeugt. Eine verschlafene Frauenstimme meldete sich jedoch, am anderen Ende, was mich ziemlich verblüffte.
Ich hasste sie alle, diese Scheißkerle, welche es nicht wert waren, geliebt zu werden.
Fast die ganze Nacht quälte ich meine Fernbedienung. Die Sender rauf und runter, ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis. Irgendwann fielen mir dann doch die Augen zu.
Am Morgen wurde ich durch ein energisches Klingeln an der Tür geweckt. Schlaftrunken schlürfte ich zur Tür.
Marlene hatte gute Laune und frische Brötchen mitgebracht. Was ich an diesem Samstagmorgen so gar nicht gebrauchen konnte.
„Was machen wir heute noch?“, fragte sie erwartungsvoll.
„Ich glaube, ich bleibe heute lieber zu Hause. Irgendwie fühle ich mich nicht gut“, beklagte ich mein inneres Leid.
Marlene winkte ab. Sie kannte mich nur allzu gut und wusste genau, was ich für ein Problem besaß.
„Lass uns Schuhe kaufen gehen, das ist gut fürs Gemüt“, schlug sie vor.
Das war wohl die beste Lösung, um meine miese Laune zu vertreiben.
Gesagt, getan. Eine reichliche Stunde später betraten wir gut gelaunt das Einkaufscenter.
Unser Lieblingsschuhgeschäft befand sich in der oberen Etage, sodass wir die Rolltreppe nahmen.
„Ich habe vorige Woche ein paar tolle, schwarze Highheels gesehen, die werde ich...“, nahm ich Marlenes Stimme wahr, allerdings nur, bis zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Typen entdeckte, welcher sich links von mir, auf der Rolltreppe nach unten befand. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Dann suchte mich das schlechte Gewissen heim. Ich hatte mich damals mit einer Ohrfeige von ihm getrennt, was ich irgendwie verdrängt hatte.
Ich blickte ihm nach, bis er unten angekommen war. Vielleicht hatte er mich ja gar nicht wiedererkannt. Ein Schrecken durchfuhr allerdings meine Glieder. Anstatt seiner Wege zu gehen, nahm er wiederum die Rolltreppe, welche nach oben führte.
„Marlene, ich muss dringend aufs Klo“, sprach ich ziemlich in Eile und lief im schnellen Schritt voran.
Ewig verstecken konnte ich mich dort allerdings auch nicht. Um etwas Zeit zu schinden, holte ich meinen neuen Lippenstift aus der Handtasche, um ihn Marlene zu präsentieren. Denn auch für Kosmetik, aller Art, war sie gern zu haben.
„Toll, den kaufe ich mir auch“, meinte sie begeistert. Allerdings hatten die neuen Schuhe Priorität.
Lange konnte ich Marlene nicht hinhalten, denn diese schwarzen Highheels riefen nach ihr, so musste ich notgedrungen, mein sicheres Versteck aufgeben.
In die Realität des Einkaufscenters zurückgekehrt, durchwanderte mein Blick die einkaufswütige Menschenmenge. Und als ich mich schon fast in Sicherheit wiegte, entdeckte ich ihn, auf der gegenüberliegenden Seite der Geschäftspassage. Sein suchender Blick verriet mir, dass er noch nicht aufgegeben hatte, mich ausfindig zu machen.
Im Schatten von Marlene bewegte ich mich weiter, bis wir das Schuhgeschäft erreicht hatten. Hier fühlte ich mich wieder sicher. Alles war gut überschaubar.
Währenddessen sich Marlene in ihrer eigenen, kleinen Schuhwelt bewegte, verzog ich mich in den hinteren Teil des Ladens. Von hier aus konnte ich den Eingang gut beobachten. Fluchtmöglichkeiten gab es genügend, denn der Laden war ziemlich groß.
Marlene tauchte plötzlich neben mir auf. Sie war sich unschlüssig, was die schwarzen Highheels an betraf.
„So richtig kann ich mich nicht entscheiden“, meinte sie. „Angezogen gefallen sie mir irgendwie nicht mehr.“
Ich hatte dazu gar keine Meinung, weil ich heute irgendwie nicht in Shoppinglaune war.
„Aber die mit den kleinen Riemchen, die sehen doch toll aus, oder?“, ersuchte sich Marlene bei mir den nötigen Rat und wechselte augenblicklich das Schuhwerk.
Ich blickte ihr auf die Füße. „Die stehen dir“, sprach ich leicht überfordert.
„Ich habe das Gefühl, die sind mir zu klein“, ging das Gespräch weiter.
„Dann nimm sie doch einfach eine halbe Nummer größer“, entgegnete ich unruhig.
Der Laden hatte sich mittlerweile ziemlich gefüllt und ich hatte den Überblick verloren.
„Sei doch so lieb und frag mal die Verkäuferin, da drüben, ob sie die nächste Größe noch am Lager hat“, bat mich Marlene.
Ich nahm den Schuh und machte mich auf den Weg.
„Ich schaue gern einmal nach“, entgegnete mir die Verkäuferin und verschwand daraufhin durch eine angrenzende Tür.
Keine fünf Minuten dauerte es, dann war sie wieder da. Und sie kam nicht mit leeren Händen. Tatsächlich hatte sie noch ein Paar in Marlenes Größe gefunden. Ich bedankte mich und steuerte kurzerhand auf Marlene zu.
Hinter dem nächsten Regal kamen allerdings meine Füße zum Stillstand. Ich glaubte nicht, was ich da sah. Hatte sich dieser Kerl doch tatsächlich hierher, in den Laden verirrt. Und jetzt saß er neben Marlene und probierte ein paar Turnschuhe an. Sie schienen wahrhaftig sogar ein paar Worte auszutauschen, was mir gar nicht behagte.
Die Worte der netten Verkäuferin, ob sie mir behilflich sein könne, kamen mir gerade recht. Kurzerhand drückte ich ihr die Schuhe in die Hand und verwies auf Marlene, welche noch immer auf ihrem Platz verharrte. Fürs erste war meine Freundin beschäftigt, sodass mir ein wenig Spielraum blieb, mich hinter einem der Regale in der Kinderschuhabteilung zu verstecken. Hier würde sich dieser Typ bestimmt nicht hin verirren.
Die Verkäuferin kam zurück. Ich packte mir ein paar von den Minischuhen, um nicht aufzufallen.
„Die sind hübsch, nicht wahr? Die habe ich meiner Tochter auch gekauft. Welche Größe suchen Sie?“
Oje, welche Größe? Mit Kinderschuhen kannte ich mich nun überhaupt nicht aus.
„Ich glaube, dass es besser ist, wenn ich meine Tochter mitbringe, damit sie sich die Schuhe selbst aussuchen kann“, stammelte ich herum und verschwand.
Das Glück schien auf meiner Seite zu sein, denn Marlene war allein.
„Wo warst du denn die ganze Zeit? Hier ist gerade irgendein Simon aufgetaucht, der behauptet hat, dich zu kennen“, bekam ich prompt zu hören.
„Schade, da habe ich ihn wohl verpasst“, sprach ich ziemlich erleichtert.
„Du hast Glück, er kommt gleich wieder. Der hatte nämlich das gleiche Problem, wie ich. Die Schuhe waren ihm zu klein, ist das nicht verrückt?“
Darauf konnte ich keine Antwort geben, so verblüfft war ich.
„Woher kennst du den überhaupt? Hast mir gar nichts von ihm erzählt“, hakte Marlene nach.
„Eigentlich kennen wir uns nur flüchtig“, stammelte ich, um irgendetwas zu sagen.
Ich musste mir eingestehen, dass meine Flucht, hier und jetzt, zu Ende war, denn was blieb mir anderes, als mitanzusehen, wie Simon, so wie er sich nannte, schnellen Schrittes auf uns zukam. Das paar Schuhe, was er in der Hand hielt, schien an Nebensächlichkeit zu gewinnen, als er meine Gestalt ausmachte. Wortlos stand er mir gegenüber und rieb sich die rechte Wange, als wären dort noch immer Schmerzen vorhanden.
Ich fand es lächerlich und wand mich Marlene zu. „Du wolltest doch noch unbedingt diesen Lippenstift kaufen, oder nicht?“
Marlene stimmte mir zu. Eine Meinung zu den Schuhen hatte sie aber immer noch nicht. So verließen wir den Laden mit leeren Händen. Was mir recht kam, denn dieser Simon hatte sich für die Turnschuhe entschieden und war gezwungen, sich an der Kasse anzustellen. So blieb mir ein kleiner Vorsprung.
„Der ist nett“, sprach Marlene.
„Wer?“, stellte ich mich unwissend.
„Na, dieser Simon“, brachte es Marlene auf den Punkt.
Und wenn schon, dachte ich. Immerhin hatte ich diese Pleite mit Christoph noch nicht ganz überwunden. Die Sache war schwerer, als gedacht. Vielleicht bekäme Christoph auch noch eine Chance von mir, würde er mich heute noch anrufen.
Ich träumte von einem Wochenende mit ihm, irgendwo am Meer. Verdammt! Ich wollte ihn doch vergessen. Oder hatte er mich vielleicht bereits vergessen? Ich fühlte mich so schlecht, wie schon lange nicht mehr.
Diesmal war es eine große Packung Vanilleeis, welche mich wieder glücklich machen sollte. Doch die Wirkung hielt nicht lange an. So griff ich mir das Telefon und rief kurzerhand Christoph an. Als er sich am anderen Ende meldete, bekam ich kein Wort raus und legte auf. Eine Minute später rief er zurück. Aber ich ging nicht ran.
Nein, mein Lieber, so einfach würde ich es dir nicht machen. Schließlich besaß ich auch meinen Stolz.
Ihr werdet mich sicher verfluchen, für das, was ich getan habe. Christoph hatte sich am nächsten Tag gemeldet. Ich sei ihm wichtig und keine andere, hatte er beteuert. Natürlich glaubte ich ihm kein Wort. Aber dennoch war ich dumm genug, um mich mit ihm zu treffen.
Nicht bei ihm, warum auch immer, sondern im Cafe, um die Ecke. Es war gut, dass wir uns auf neutralem Boden begegneten, denn ich schwöre Euch, wären wir allein gewesen, so hätte ich mich auf ihn gestürzt, um ihn zu vernaschen, so gut sah er aus.
Mir wurde heiß und kalt zugleich, als seine Worte: „Ich habe dich so vermisst“, aus seinem Munde gekrochen kamen.
Verdammt! Er war ein Betrüger, ein Schwindler, ein Frauenheld! Und ich ein naives, schwaches, gutgläubiges Frauenzimmer, dessen Verstand abhanden gekommen war.
Christoph griff nach meiner Hand und hielt sie in der seinigen fest verankert, was mir signalisierte: Wir gehören zusammen.
Ich klebte an seinen Lippen, als er mir ein Kompliment nach dem anderen machte, was in mir Glückshormone freisetzte. Und wenn er fünfzig Frauen hätte, wäre ich die einundfünfzigste und es würde mir nicht einmal etwas ausmachen.
„Und was machen wir mit dem Rest des Tages?“, fragte Christoph.
„Weiß nicht. Das Wetter ist schön, vielleicht sollten wir in den Park gehen?“, sprach ich etwas unsicher, denn ich befürchtete, dass Christoph meine Gedanken lesen konnte. Die Worte: „Ich will mit dir Sex haben“, standen mir sicher auf der Stirn geschrieben.
„Park, klingt gut“, meinte Christoph.
So machten wir uns auf, die restlichen Sonnenstrahlen des Tages zu genießen.
Christoph legte seinen Arm um mich, Und seine Hand glitt entlang meines Hinterns. Ich fühlte mich, wie frisch verliebt. Ja, Christoph war wirklich der Mann meiner Träume, ein Märchenprinz.
Ich kicherte, wie eine albere Gans, als er mir schließlich in den Po kniff. War ich denn nicht mehr bei Verstand? Wieso führte ich mich so auf?
Als mich Christoph an der Hand packte, um mich zwischen die Büsche zu ziehen, verlor ich völlig die Kontrolle.
Ein klares: „Nein!“, von meiner Seite aus, wäre jetzt wohl angebracht gewesen, stattdessen ließ ich mich dazu hinreißen, ihm zu folgen.
Christoph legte fein säuberlich seine Jacke auf den Boden. Er meinte, so wäre es vielleicht bequemer für mich.
Es war nicht so, dass es mich nicht danach drängte, mit meinem Begleiter zu einer Einheit zu verschmelzen. Allerdings entwickelte sich in mir ein mulmiges Gefühl. Ich fühlte mich irgendwie von jedermann beobachtet. Ich befürchtete fast, dass ich nicht der Typ für Freiluftsex war.
Unsicher blickte ich mich um. Das Fleckchen Erde, auf dem wir uns befanden, bat genug Schutz vor neugierigen Besuchern. Womöglich, dass Christoph den Platz kannte. Vielleicht war er schon mit anderen Frauen hier gewesen.
Ich begab mich schließlich auf die Jacke, was meinen Begleiter die Bestätigung gab, dass ich willig war.
Eilig zog ich mir meinen Rock über die Hüften. Alles sollte schnell gehen, denn das mulmige Gefühl, was mein Innerstes einnahm, war noch nicht von mir gewichen.
Christoph hatte seien Spaß, währenddessen mich der Reißverschluss von seiner Jacke am Rücken kratzte.
„Pfui!“, hörte ich plötzlich jemanden rufen.
Ein älteres Ehepaar befand sich nicht weit entfernt von uns.
„Wenn ihr nicht augenblicklich von hier verschwindet, dann rufe ich die Polizei“, echauffierte sich der Mann.
Christoph schien das egal zu sein. Sein Höhepunkt war ihm wichtiger. Kann sein, dass er hier schon öfters erwischt wurde, kam es mir in den Sinn.
Ich brachte mein Kleid wieder in die richtige Position. Mein Rücken schmerzte. Das einzige, was ich jetzt noch wollte, war nach Hause zu gehen. Was ich dann auch tat.
„Rufst du mich an?“, verabschiedete sich Christoph von mir.
Ich nickte bereitwillig und schob ein gequältes Lächeln hinterher.
Irgendwie war ich ziemlich frustriert. War Christoph wirklich mein Traumtyp? Oder war es nur mein verletzter Stolz, dass ich nicht die Einzige in seinem Leben war? Eine Beziehung mit einem Mann, der nur mich bevorzugte, wollte ich das wirklich?
Ein Schrecken durchfuhr mich. Verdammt, ich wollte es! Dieser Gedanke machte mir Angst. War das etwa jetzt diese gewisse Torschlusspanik, welche Frauen, ab einem gewissen Alter heimtückisch überfiel? Ja, ich ging auf die Dreißig zu und meine Eltern hatten oft genug betont, dass sie sich wohl mit dem Gedanken anfreunden müssten, niemals Großeltern zu werden. War der Zug, in den Genuss einer glücklichen Beziehung zu kommen, etwa schon ohne mich abgefahren?
Am nächsten Tag ging ich gleich nach der Arbeit ins Einkaufscenter. Marlenes dreißigster Geburtstag war am Wochenende. Ich hatte Glück. Die Highheels, welche sie, bei unserer letzten Shoppingtour ins Visier genommen hatte, waren noch da.
Den Weg zur Kasse hatte ich schon genommen, da sah ich plötzlich diesen Simon, wie er mit einem kleinen Mädchen an der Hand, gezielt die Kinderschuhabteilung ansteuerte. Das konnte doch nicht wahr sein! Erst stellte dieser Kerl mir nach und dann spazierte er hier, mit seiner Tochter rein. Und sicher war er auch noch verheiratet und wohnte in einem Reihenhaus.
Hektisch holte ich mein Handy aus der Tasche, denn ich brauchte unbedingt ein Beweisfoto, welches ich dann Marlene brühwarm präsentieren wollte. Ich drückte auf den Auslöser, was nicht unbemerkt blieb.
Oh, Mist, jetzt war ich geliefert, denn Simons Gesicht wirkte nicht gerade erfreut.
Marlenes Schuhe schob ich eilig unter ein Regal, um sie später zu holen, denn jetzt war es wichtiger, die Flucht zu ergreifen.
Ich fühlte mich großartig, bei dem Gedanken daran, diesen Kerl überführt zu haben. Schade eigentlich, aber die besten Typen waren sowieso alle schon verheiratet und die, die übrigblieben, entpuppten sich immer erst später, als beziehungsunfähig.
Ich drehte mich um. Da sah ich ihn. Er stand mit dem Kind neben einer Frau, wahrscheinlich seiner Frau. Auch das noch. Sein Blick traf plötzlich auf den meinigen, was mir einen Höllenschreck versetzte. Die Schuhe von Marlene konnte ich wohl jetzt vergessen. Vielleicht waren sie ja morgen noch da.
Ich eilte zur Rolltreppe. Bloß weg hier!
Verdammt! Dieser Simon war mir tatsächlich gefolgt. Währenddessen er sich auf der Rolltreppe, mit netten Worten, Platz verschaffte, war ich gezwungen, stehenzubleiben, denn das ältere Ehepaar, was sich vor mir befand, war nicht gewillt, mich durchzulassen.
Plötzlich stand Simon hinter mir.
Na gut, er wollte es ja nicht anders. Ich beschwerte mich lautstark, bei ihm, in aller Öffentlichkeit. Weshalb er mir laufend nachstellte, wollte ich wissen. Als Stalker bezeichnete ich ihn. Jetzt blieb ihm sicher nur noch eins, selbst die Flucht zu ergreifen. Ein bisschen peinlich war mir die ganze Sache dann schon, denn alle Augenpaare waren plötzlich auf uns gerichtet.
Simon hielt mir einen Schlüssel entgegen. „Den musst du vorhin, als du mich heimlich fotografieren wolltest, verloren haben.“
Ich schluckte und lief sogleich rot an. Deshalb war er mir also gefolgt.
Die Leute, um uns herum, schüttelten ihre Häupter. Das Blatt hatte sich gewendet. Simon war nun der Held und ich die böse Hexe, die es nicht anders verdient hatte.
Ich riss Simon den Schlüssel aus der Hand und eilte davon. Die Sache hatte sich wohl nun endgültig erledigt. Er nahm die Rolltreppe, welche wieder nach oben führte. Jetzt war ich ihn hoffentlich los.
Eine viertel Stunde später, hatte ich endlich den nötigen Mut aufgebracht, um selbst wieder die obere Etage zu betreten.
Ich atmete auf, die Schuhe befanden sich noch immer unter dem Regal, wo ich sie versteckt hatte. Marlene würde sich ganz bestimmt darüber freuen, was meine miese Laune ein bisschen eindämmte.
Ein, zwei Geschäfte suchte ich noch auf, bevor ich beschloss, nach Hause zu gehen.
An der Rolltreppe stieß ich plötzlich auf Marlene. Die zog ein ziemlich verbittertes Gesicht, sodass ich schon das Schlimmste befürchtete. Sogleich nahm ich sie in den Arm und fragte vorsichtig, nach dem Grund ihres Trübsinns.
Ein paar Tränen kullerten über Marlenes Wangen, als sie mir davon berichtete, dass irgendeine blöde Tussi ihr die Highheels weggeschnappt hätte. Wo sie sich doch heute ganz sicher war, sie zu kaufen.
Blöde Tussi? Damit war ja wohl ich gemeint. Ich musste an mich halten, um nicht zu sagen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ So wütend war ich.
Für heute hatte ich echt genug. Ich wollte einfach nur nach Hause. Mich auf die Couch hocken, ein Glas Prosecco trinken, um mir einen Schnulzenfilm reinzuziehen und dabei würde ich Rotz und Wasser heulen.
Genauso verlief der Abend, bis mein Handy klingelte. Das hätte ich mir ja denken können, dass es Christoph war. Stefan und Antonio hatten ja mittlerweile kein Interesse mehr an mir. Sie befanden sich schließlich in glücklichen Beziehungen.
Ich ging nicht ran, zumindest nicht, bis zum dritten Anruf. Ich brauchte einfach jemanden, um meine Sorgen loszuwerden.
„Soll ich vorbeikommen? Dann können wir reden“, bot er mir an.
Dieses reden, was er meinte, kannte ich nur allzu gut. Nicht die Worte sprachen für sich, sondern die Taten. Christoph wäre auch nicht Christoph, wenn er tatsächlich nur zum reden käme.
Mein Schlapperpulli flog in die Ecke. Nein, so konnte ich ihm nicht unter die Augen treten. Ich fuhr alle Geschütze auf, zumindest, was das untendrunter an betraf. Für obendrüber wählte ich ein schlichtes Kleid, nur für den Fall, dass Christoph tatsächlich nur kam, um Worte sprechen zu lassen. Was ich zwar für völlig absurd hielt, aber irgendwie war nichts mehr ausgeschlossen, nach meinen vergangenen Erlebnissen.
Ich hatte gerade eine Flasche Rotwein und eine Schale mit Erdnüssen bereitgestellt, da klingelte es auch schon an der Tür. Meine Aufregung war kaum noch im Zaum zu halten. Bevor ich öffnete, atmete ich noch einmal tief durch, denn mein innerer Wille war drauf und dran, ihm um den Hals zu fallen, würde er gleich vor mir stehen. Und das wollte ich weiß Gott nicht.
„Schön, dass du gekommen bist“, sprach ich schließlich, so entspannt wie möglich.
Christophs bloßes Lächeln entfachte in mir ein Feuerwerk der Gefühle. Nein, nein, jetzt nicht schwach werden, versuchte ich meinen Drang nach Liebe fürs erste zu besänftigen. Denn mir war klar, dass wir früher oder später sowieso in der Kiste landen würden.
Christoph warf sich auf die Couch und machte sich daran, die Flasche Wein zu öffnen. Als er die beiden Gläser befüllte, hockte ich mich schließlich neben ihn. Das Knistern zwischen unseren Körpern war kaum noch auszuhalten. Vergessen waren all meine ganzen Sorgen, als wir uns aufeinander stürzten. Unsere Küsse waren heftig, ohne Zärtlichkeit, so ausgehungert waren wir vor Liebe.
„Warte!“, schmetterte ich Christoph entgegen, der seine Finger einfach nicht von mir lassen konnte. Schnell zog ich mir das Kleid aus, um mein erotisches Untendrunter zu präsentieren. Christoph zog sich das Shirt über die Schultern.
„Du siehst heiß aus, meine kleine Sophie“, säuselte er.
Das waren schöne Worte, die meinem Ego guttaten. Ich fühlte mich plötzlich, wie zwanzig und nicht, wie knapp dreißig.
Christophs Hände waren plötzlich überall. Er gab den Ton an, das mochte ich. Ja, ich war fast schon im siebten Himmel, da unterbrach das Klingeln, von Christophs Handy, die erotische Spannung zwischen uns.
Er reagierte nicht darauf, was mich ziemlich freute. Ich war seine Königin und er mein Prinz und nichts konnte uns auseinanderreißen.
Allerdings hatten wir nicht mit der Hartnäckigkeit des Anrufers gerechnet, der offensichtlich nicht gewillt war, aufzugeben.
Christoph erhob sich schließlich und holte aus der Innentasche seiner Jacke dieses, von mir verfluchte Handy heraus. Sein Blick wirkte angespannt, als er das Display in Augenschein nahm.
„Nichts wichtiges. Die Sache ist schnell erledigt. Bewege dich ja nicht vom Fleck. Ich bin gleich wieder da“, sprach er leicht nervös und wand mir den Rücken zu, um in den Flur hinauszugehen.
Ich glaubte Christoph kein Wort. Ohne zu zögern, schlich ich ihm nach.
„Heute kann ich nicht. Bin mit einem Freund Bier trinken. Ein bisschen quatschen, unter Männer. Aber morgen, da bin ich ganz für dich da“, vernahm ich Christophs Stimme.
„Du Vollidiot!“, schrie ich ihn an. „Verschwinde von hier, auf nimmer wiedersehen!“
Ich packte mir Christophs Klamotten und warf sie nach draußen, vor meine Wohnungstür.
„Sophie, hör mir zu. Nur du bist mir wichtig. Ich wollte sowieso mit Christin Schluss machen. Sie bedeutet mit nichts.“
„Aber fürs Bett ist sie sicher noch gut genug“, warf ich ihm an den Kopf und hielt demonstrativ die Wohnungstür auf. Er sollte endlich verschwinden. Und dieses Mal gab ich nicht nach.
„Ich ruf dich morgen an, dann hast du dich vielleicht wieder beruhigt“, sprach Christoph, ohne Reue zu zeigen.
„Ein Morgen gibt es nicht“, plärrte ich ihn an und warf die Wohnungstür hinter mir zu.
Ein Meer aus Tränen bahnte sich seinen Weg über meine Wangen. Jetzt ging es mir noch schlechter, als vor Christophs Auftauchen.
Die zwei Gläser Rotwein standen immer noch da. Ich trank sie beide und dann noch den Rest der Flasche.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit höllischen Kopfschmerzen. Ich was froh, dass es Freitag war, da war im Büro nicht mehr viel los. Man stand quasi schon mit einem Bein im Wochenende.
Morgen, am Samstag, war Marlenes dreißigster Geburtstag. Feiern, würden wir beim Griechen, wo sonst.
Ich hätte Christoph so gerne mitgenommen, um allen zu zeigen, dass ich auch in einer Beziehung war. Aber Fehlanzeige. Mir blieb wohl jetzt nichts weiter übrig, als allein dort aufzutauchen. Sicher war ich der einzige Single, der sich irgendwann zu einem der Pärchen gesellen würde, um ein Gespräch zu suchen.
Die Lust war mir schon vergangen, bevor der Geburtstag überhaupt angefangen hatte. Aber Marlene war meine beste Freundin, sie rechnete fest mit mir, sodass mir wohl nichts weiter übrig blieb, als hinzugehen.
Ich war nicht gut drauf, als ich am Samstagmorgen meine Augen öffnete. An mein Singleleben musste ich mich schließlich erst einmal gewöhnen. Der Kaffee schmeckte mir irgendwie auch nicht. Wie sollte das bloß heute noch enden? fragte ich mich.
Um meinen Frust zu überlisten, putzte ich einmal die ganze Wohnung durch. Danach war ich ziemlich erledigt. Der Kaffee schmeckte wieder und auch so, fühlte ich mich besser.
Ich dachte an den anstehenden Geburtstag von Marlene. In Gedanken ging ich meinen Kleiderschrank durch. Ich war mir nicht im klaren darüber, was ich anziehen sollte. Mit einem Mann, an meiner Seite, wäre es mir wohl möglich gewesen, alles zu tragen. Doch jetzt, da ich alleine dort hingehen musste, war die Sache etwas schwieriger. Vielleicht würden mich manche Männer, als Freiwild bezeichnen, wenn meine Kleidung zu sexy wäre. Allerdings wollte ich dort auch nicht mit Schlabberpulli und Jeans auftauchen. Das war einfach nicht mein Stil.
Ich warf alles, was in Frage kam, aufs Bett. Hielt die Teile mir nacheinander vor den Körper, um mich im Spiegel zu betrachten. Ich war mir unschlüssig.
Ein bisschen Aufmerksamkeit wollte ich heute Abend dennoch auf mich ziehen. Vielleicht war ja ein Pärchen dabei, dessen Beziehung nur noch, nach außen hin, vorhanden war. Welches praktisch schon in Trennung lebte. Vielleicht würde ich heute sogar meinen Traummann finden, redete ich mir ein. Schließlich war nichts unmöglich.
Ich schloss für einen Moment meine Augen und spürte die Hände des Fremden auf meinem Körper.
Um mir nicht schon wieder Christoph ins Gedächtnis zu rufen, bastelte ich mir meinen Traumtypen selber zusammen. Eine Mischung zwischen George Clooney, Jonny Depp und Brad Pitt kam dabei heraus. Doch konnte jene Gestalt, Christoph bei weitem nicht das Wasser reichen.
Mein Herzbube löste sich in Luft auf, als mich das Telefon aus meinem süßen Tagtraum in die Realität zurückholte.
Marlene war dran. Obwohl schon längst alles besprochen war, wollte sie sich noch einmal vergewissern, dass ich auch wirklich pünktlich, siebzehn Uhr, beim Griechen sein würde. Tatsächlich war ich drauf und dran, erst etwas später dort zu erscheinen. Ausreden gab es ja genug, da wäre mir schon eine eingefallen.
Ich zog mir ein schwarzes Kleid, über meine schwarze Unterwäsche, passend zu meiner zurückgekehrten miesen Stimmung.
Lange bleiben, wollte ich nicht. Vielleicht drei, vier Stunden, dann würde ich mich heimlich aus dem Staub machen.
Die ersten Gäste waren schon da, als ich eintraf. Wie von mir vermutet, nur Pärchen. Irgendwie kam ich mir jetzt schon verloren vor. Marlene schloss mich überschwänglich und völlig überdreht in ihre Arme, als sie mich wahrnahm. Ich überreichte ihr mein Geschenk, was sie gleich öffnete.
„Sophie, du Luder. Du warst das also, die mir die Schuhe vor der Nase weg geschnappt hat? Ich glaube es nicht. Das ist das schönste Geschenk, was ich bis jetzt bekommen habe.“
Antonio, der sich mittlerweile neben Marlene eingefunden hatte, wirkte ein wenig enttäuscht.
„Das kommt gleich nach Antonios tollem Geschenk“, verbesserte sich Marlene und präsentierte ihren neuen Schmuck, welcher aus Ohrringen und einer passenden Kette bestand.
„Gefällt mir. Hast du gut ausgesucht, Antonio“, setzte ich noch einen drauf.
Ich sah das siegreiche Lächeln auf seinen Lippen. Ja, die Männer waren wirklich schnell zufriedenzustellen, benutzte man nur die richtigen Worte.
Alte Erinnerungen kamen plötzlich in mir auf. Eigentlich war Antonio kein schlechter Kerl. Wir hatten nur zu wenig Zeit füreinander, das war damals unser größtes Problem. Sicher hatte er aus diesem Fehler gelernt.
Womöglich, dass er gerade, in diesem Moment, das Gleiche dachte. Zumindest strahlten seine Augen mich an, als täte ihm die Trennung leid.
Währenddessen Marlene weitere Gäste begrüßte, flüstere mir Antonio ein paar Worte ins Ohr, die da lauteten: „Ich muss unbedingt mit dir reden. In einer halben Stunde treffen wir uns draußen.“
Ich konnte nicht antworten, denn meine Gedanken spielten verrückt. Mir war klar, dass er wieder mit mir zusammen sein wollte, das hatte sein eindringlicher Blick eindeutig verraten. Das konnte ich Marlene auf keinen Fall antun, obwohl ich mich schon ein bisschen geschmeichelt fühlte. Also war ich doch auf dem Singlemarkt noch nicht abgeschrieben.
Ich suchte die Toilette auf, um meinen roten Lippenstift nachzuziehen. Vielleicht spielten Antonio und Marlene mir nur vor, dass sie noch immer in einer intakten Beziehung stecken, um den Geburtstag nicht zu ruinieren. Möglich, dass mir Marlene später, reinen Wein einschenken würde. Vielleicht hatte Antonio ihr auch gebeichtet, dass er nicht von mir loskäme.
Mein Herz pochte, wie verrückt, als ich mich nach draußen begab. Er war noch nicht da, sodass ich genug Zeit hatte, mir ein paar passende Worte zurechtzulegen. So einfach wollte ich ihn nicht zurücknehmen. Nein, ich würde ihn einfach noch ein bisschen zappeln lassen. Er sollte es zu spüren bekommen, dass ich auch meinen Stolz besaß.
Antonio tauchte auf. Seine Augen leuchteten, wie zwei funkelnde Kristalle, als sich unsere Blicke trafen.
„Hör zu“, begann ich etwas unsicher. „Marlene ist mir sehr ans Herz gewachsen und ich will keinesfalls, dass sie unglücklich ist.“
„Das will ich auch nicht“, gab Antonio mir recht. „Aber da gibt es etwas, was ich dich fragen wollte“, stammelte er herum.
„Bist du denn wirklich bereit dafür?“, hauchte ich ihm entgegen.
„Ich denke schon. Ich weiß allerdings nicht, wie Marlene darauf reagieren wird“, sprach Antonio, mit leicht zittriger Stimme.
Ja, die Situation hätte nicht schlimmer sein können. Ausgerechnet an Marlenes Geburtstag sollte Schluss sein?
Mein schlechtes Gewissen plagte mich plötzlich. Wie sollte ich Marlene wieder in die Augen schauen können, wenn ich ihr, hinter ihrem Rücken, den Freund ausspannte? Nein, heute war ihr Tag und nicht der, von Antonio und mir.
Mein Innerstes signalisierte mir, dass ich bereit war, ihn mir zu schnappen, um ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf seine Lippen zu pressen. Das durfte nicht geschehen, auf keinen Fall. So wand ich mich von ihm ab, um mich wieder unter die Leute zu mischen. Morgen würde ich Antonio anrufen, um ihm zu sagen, dass ich bereit für eine neue Beziehung mit ihm wäre.
„Soll ich es nun tun, oder nicht?“, rief mir Antonio schließlich nach.
„Wenn du den nötigen Mut dazu hast!“, kam es mir schließlich über die Lippen.
Ich hatte irgendwie genug, von der Versteckspielerei. Dann sollte es eben alle Welt erfahren, dass ich wieder mit Antonio zusammen war.
„Mehr, als nein sagen, kann sie ja nicht“, scherzte Antonio und hüpfte, voller Übermut, die vier Stufen hinauf, welche ins Restaurant führten.
Für den Moment hielt ich inne. Nicht ich war die ganze Zeit gemeint, sondern Marlene. Ich ärgerte mich über meine eigene Dummheit.
Ich setzte mich an die Bar, um mir den Ärger mit ein Paar Gläsern Wein runter zu spülen, denn ich wusste, was gleich kommen würde. Ich befand mich, wie man so schön sagt, in der ersten Reihe, um auch nichts zu verpassen. Eigentlich war mir eher danach, mich schnellstens davon zu machen, denn ich wollte mir das folgende Szenario wirklich ersparen.
Antonio schnitt an mir vorbei. Hinter seinem Rücken hielt er eine rote Rose, fest in der Hand. Er ging geradewegs auf Marlene zu, welche sich ausgelassen auf der Tanzfläche bewegte. Wäre ich noch mit Antonio zusammen, stände ich vielleicht jetzt dort und bekäme diesen Antrag.
Ein Jubelschrei durchzog die ausgelassene Gesellschaft, als sich Antonio vor Marlene hinkniete, ihre Hand nahm und diese berühmt, berüchtigten Worte aussprach.
Währenddessen Marlene ein überraschtes: „Ja“, hauchte, ertrank ich immer tiefer in meinem Selbstmitleid.
„Jannis, jetzt brauche ich einen Schnaps“, sprach ich und drehte mich von dem Geschehen weg.
Es dauerte nicht lange, da tauchte Marlene neben mir auf. Ihr strahlendes Gesicht war nicht zu übersehen.
„Ihr seid mir vielleicht zwei!“, meinte Marlene. „Wenn du Antonio nicht Mut gemacht hättest, diesen Antrag, vor allen Leuten zu stellen, dann hätte er heute bestimmt gekniffen.“
Marlene schloss mich in ihre Arme. „Ich bin dir so dankbar, dafür.“
Ich schluckte. Das die Situation mit Antonio draußen, vor der Tür, für mich ganz anders war, das behielt ich lieber für mich.
„Ich gratuliere“, sprach ich etwas kleinlaut, was Marlene nicht verborgen blieb.
„Du findest auch noch den Richtigen, davon bin ich überzeugt. Was ist eigentlich mit diesem Simon?“, sprach sie im gleichem Atemzug.
Das war das Stichwort. Eilig durchwühlte ich meine Handtasche nach dem Handy.
„Hier, sieh selbst!“, sprach ich in Rage und hielt Marlene das Beweisfoto unter die Nase.
„Der hat ein Kind?“, meinte Marlene verblüfft.
„Ja, und verheiratet ist er auch. Ich habe ganz deutlich den Ring um den Finger seiner Frau gesehen.“
„Versteh einer die Männer“, wunderte sich Marlene. „Ich hätte schwören können, dass dieser Simon erpicht darauf war, dich näher kennenlernen zu wollen. Wahrscheinlich nur, als Bettgeschichte. Danach wäre er reumütig zu seiner Ehefrau zurückgekehrt.“
Genauso sah ich die Sache auch. Ich wollte nicht mehr in irgendwelchen fadenscheinigen Verhältnissen leben. Ich wollte, wie Marlene, geheiratet werden. Einen Mann ganz für mich alleine haben, ohne ihn mit jemandem teilen zu müssen. Ich befürchtete allerdings, dass dieser besagte Mann gar nicht existierte.
Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken. Ich wollte doch immer frei sein, von jeglichen Zwängen. Wollte für immer unabhängig bleiben. Meine rosarote Brille, durch die ich die Welt sah, war mir irgendwie abhanden gekommen. Ich musste sie wiederfinden und das auf dem schnellsten Wege.
Eine Stunde später ging ich nach Hause. Schlafen, konnte ich nicht, dafür war ich viel zu aufgewühlt. Das Feinsehprogramm ließ auch zu wünschen übrig, so hockte ich mich vor den Computer. Ich tippte ein bisschen herum. An der Seite erschien plötzlich eine Anzeige. „Für alle einsamen Herzen, die den Richtigen oder die Richtige suchen. Chatten Sie in unserer Flirtline.“
Eigentlich war ich überhaupt nicht für so etwas zu haben. Ich sah den Typen lieber in die Augen, um dann ihrem Charme zu verfallen. Aber was hatte ich schon zu verlieren?
Ich füllte einen Fragebogen aus. Die wollten aber auch alles genau wissen. Als ich am Ende mein okay gab, erschien plötzlich eine Liste mit diversen Vorschlägen. Man nannte dort nicht seinen richtigen Namen, nur Pseudonyme. Ich staunte nicht schlecht. X-Men, Godzilla, Ghost-Rider, Iron Man, das Phantom, Ladykiller, und Hulk nannten sie sich. Dann gab es auch noch welche, die Schauspielernamen bevorzugten. Irgendwie blieb ich an Brad Pitt hängen, vielleicht weil der mich ein wenig an Christoph erinnerte.
„Hallo Brad Pitt, hier ist Angelina Jolie. Bist Du gerade im Netz?“, fragte ich vorsichtig.
Minuten des Wartens vergingen. Brad meldete sich nicht. Und ich fragte mich ernsthaft, was ich da tat.
Wer sich schon Brad Pitt nannte, sah mit Sicherheit nicht so aus. Falsche Angaben waren doch vorprogrammiert. Ich hatte mich auch zehn Zentimeter größer gemacht und beim Gewicht hatte ich schließlich auch ein wenig geschummelt. Ich war nicht neunundzwanzig, sondern sechsundzwanzig Jahre. Das klang nicht ganz so alt. Treffen, würde ich mich, mit solchen Typen sowieso nie.
Ein kleines Signal ließ mich aufhorchen. Ja, Brad Pitt war tatsächlich vorhanden.
„Hey Angelina, wo hast Du dich nur die ganze Zeit versteckt? Habe Dich schon überall gesucht!“ lautete seine Nachricht.
„Ich war mal kurz in Hollywood, um einen Film abzudrehen“, schrieb ich voller Übermut.
„Ach so. Und ich und deine Fußballmannschaft von Kindern musste wieder mal zu Hause bleiben. Das ist nicht fair.“
Ich war drauf und dran, zu schreiben. „Keine Bange, das mache ich irgendwann wieder gut.“
Jedoch sagte mir mein Verstand, dass ich lieber die Finger von Brad Pitt lassen sollte, um mich nicht schon wieder ins Unglück zu stürzen.
„Muss weg, mein Flieger geht“, schrieb ich stattdessen und verließ das Portal. Gleich morgen wollte ich mich wieder abmelden. Nein, diese Flirtline war wirklich nichts für mich.
Es war einfach wie verhext. Auf jedem Sender liefen an diesem Abend Filme, in denen Brad Pitt in irgendeiner Rolle zu sehen war. Sogar in den Nachrichten machten sie nicht halt vor ihm. Angelina, Brad und drei seiner Kinder wurden am Flughafen von Paparazzi verfolgt. Und auf meinem Laptop befanden sich fünf neue Nachrichten von meinem Brad Pitt. Nur einmal hatte ich zurückgeschrieben, dann nie wieder. Aber mein Verehrer besaß genug Willensstärke, um mich weiterhin mit seinen Nachrichten zu bombardieren, was mich ein bisschen nervte. Aber dennoch fühlte ich mich geschmeichelt. Denn irgendwie stand ich auf Männer, die mir zeigten, wo es lang ging. Bei denen man auch mal das schwache Geschlecht sein konnte.
Und schon wieder erreichte mich eine neue Nachricht.
„Was machst Du gerade?“, fragte mich Brad.
Also doch ein Langweiler, ohne Freunde, kam es mir in den Sinn. Sicher einer, den niemand leiden konnte. Na, warte, dachte ich.
„Ich sitze gerade in meinem Hotel in Hollywood, bei Champagner und Kaviar. Es war ein total anstrengender Drehtag. Werde gleich übermüdet ins Bett fallen. Und was machst Du so?“
Jetzt hatte Brad Pitt sicher von mir genug. Auf eine Hollywooddiva stand der sicher nicht.
„Schick mir doch mal ein Bild vom Dreh, vielleicht wo Du mit drauf bist!“, kam es prompt zurück.
„Kannst du haben“, sprach ich vor mich hin.
Ich durchwühlte die Fernsehzeitung, denn ich glaubte irgendwo ein Bild von Angelina Jolie gesehen zu haben. Da war es ja. Lara Croft in „Tomb Raider.“
Ich kicherte vor mich hin und fotografierte das Bild mit meinem Handy ab.
„Jetzt bekommst du dein Foto“, triumphierte ich und lud es auf seine Seite.
Ich stellte mir Brad Pitts dummes Gesicht vor, wenn sich gleich alle seine Hoffnungen, mein wahres Ich zu sehen, in Luft auflösen würden. Sollte er doch zuerst ein Bild von sich reinstellen, Aber wahrscheinlich war er gar zu feige dazu oder war das ganze Gegenteil von Mr. Pitt.
Ich glaubte, mich verlesen zu haben, als ich folgende Worte wahrnahm: „Du siehst heiß aus, Angelina. Können wir uns treffen?“
„Hat der denn einen Vogel?“, echauffierte ich mich lautstark. War ja klar, dass das wieder nur einer sein konnte, welcher eine Frau für gewisse Stunden suchte.
Ohne das Laptop auszuschalten, klappte ich das Ding zu, so aufgebracht war ich. Nein, nie wieder sollte dieser scheinheilige Typ etwas von mir hören. Die Sache war für mich erledigt.
Und wenn er sich doch dazu hinreißen ließ, ein Foto von sich zu posten? Vielleicht nannte er sich ja Brad Pitt, weil er ihm ähnlich sah? Ja, klar, musste ich über mich selber schmunzeln. Dann sähen die Typen, welche sich Godzilla und Hulk nannten wohl auch so aus? Um Gottes Willen, wer würde die schon kennenlernen wollen? Na, und einen Ladykiller wollte ich auch nicht unbedingt treffen.
Für den nächsten Tag hatte ich mir vorgenommen, die Schauspielerliste der Flirtline noch einmal zu checken. Vielleicht war ja auch ein Jonny Depp dabei, ein bisschen größer, als das Original wäre gut. Und Brad Pitt wäre vergessen. Ja, so wollte ich es machen.
Auf der Arbeit hatte ich Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Immer wieder schwirrte mir dieser eine
Satz im Kopf herum. „Können wir uns treffen! Können wir uns treffen!“
„Auf keinen Fall!“, drang es mir ungewollt über die Lippen.
„Wie meinen Sie das, Frau Wagner?“, sprach mich mein Chef von der Seite an.
Erschrocken blickte in sein irritiert wirkendes Gesicht. Ich nahm die Akte wahr, die er mir entgegenhielt.
„Auf kkkeinen Fall werde ich die bis momorgen liegen lassen“, stotterte ich herum.
Mein Chef schien erleichtert. Also alles nur ein Missverständnis, stand es ihm auf der Stirn geschrieben.
Ich blickte nervös auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde, bis Feierabend. Heute wollte ich ausnahmsweise mal pünktlich gehen. Diese eine Akte noch, dann wäre mein Tagwerk getan.
Um mich auf andere Gedanken zu bringen, hatte ich mich für den Nachmittag mit Marlene verabredet. Ich wollte mir ihren Rat einholen. Ich war mir wirklich unschlüssig, was die Sache mit Brad Pitt an betraf.
Als ich ihr davon erzählte, war sie sogleich Feuer und Flamme. „Brad Pitt? Den musst du unbedingt kennenlernen. Du weißt doch, dass das mein Lieblingsschauspieler ist.“
„Der sieht niemals so aus, garantiert nicht!“, kamen meine Zweifel zurück.
„Sag mal, ist das nicht dieser Simon, der da drüben am Tisch sitzt?“, durchbrach Marlene plötzlich meine Gedanken.
Mein Kopf schnippte, wie auf Knopfdruck, zur Seite. Ja, tatsächlich. Marlene hatte recht.
„Der sieht aber nicht sehr glücklich aus“, meinte sie.
Simon war nicht allein. Sein Gegenüber war die Frau aus dem Shoppingcenter. Es sah nach einem Ehestreit aus. Eine Diskussion schien im Gange zu sein. Tränen flossen und Simon redete unentwegt auf seine Tischnachbarin ein.
„Ich glaub´s nicht! Die machen doch nicht hier und jetzt Schluss miteinander? Oh man, das Mädel tut mir irgendwie leid“, äußerte sich Marlene.
„Vielleicht hat sie ihn schon x-mal betrogen und er will es nicht mehr hinnehmen!“, hielt ich dagegen.
„Nein, nein, das glaube ich nicht. Eher war es umgekehrt. Schließlich hat er ja versucht, auch bei dir zu landen“, schlug sich Marlene wieder auf die Seite des weiblichen Opfers. „Aber Gott sei Dank hast du ja noch rechtzeitig sein Spielchen durchschaut und die Kurve gekriegt.“
„Ein verheirateter Mann ist für mich tabu“, sprach ich.
„Moment mal!“, tat Marlene geheimnisvoll. „Was ist, wenn Simon dein Brad Pitt ist? Ein bisschen Ähnlichkeit ist auf jeden Fall vorhanden. Übers Internet hat er vor, sich eine Neue zu suchen, das liegt doch auf der Hand.“
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Die Haarfarbe war vielleicht ähnlich, aber der Rest? Ich unterzog Simon einer intensiven Begutachtung, welche nach hinten losging. Denn Simon hatte sehr wohl bemerkt, dass ihn zwei sensationsgierige Weiber anglotzten, als hätten sie noch nie ein männliches Wesen zu Gesicht bekommen.
Ich schluckte und kam mir ziemlich blöd vor. Marlene erging es nicht besser.
„Oh Mist“, sprach sie. „Der muss doch denken, dass wir notgeil sind.“
Nicht nur Marlenes Gesichtsfarbe nahm ein tiefes rot an. Nein, ich tat es ihr gleich, ohne das ich es verhindern konnte.
Zum Glück bewegte sich Simon nicht von seinem Tisch weg. Seine Frau verlangte immer noch, nach seiner vollen Aufmerksamkeit.
„Sollten wir jetzt nicht lieber verschwinden?“, schlug ich vor, um uns weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen.
„Das kannst du doch nicht ernsthaft wollen, nachdem wir noch nicht raus gefunden haben, ob Simon dein Bradi-Boy ist.“
„Er ist es nicht!“, entgegnete ich ein wenig genervt.
„Und wenn doch?“, ließ Marlene nicht locker.
Ich schüttelte verneinend den Kopf und wagte noch einen Blick in Simons Richtung. Er zahlte gerade die Rechnung. Danach erhoben sich die Beiden und waren im Begriff, das Cafe zu verlassen.
Da Marlene und ich den Tisch neben dem Ausgang hatten, kamen sie genau auf uns zu. Während Simons Frau mich keines Blickes würdigte, trafen seine Augen auf die meinigen. Ich hielt den Atem an. Verdammt, dieser Simon sah viel besser aus, als Brad Pitt. Sein Lächeln, sein Körper, seine Aura!
„Sophie!“ hörte ich eine Stimme, die in mein Innerstes vordrang.
Marlene fing an, mich zu schütteln. „Du musst atmen!“, sprach sie mit eindringlichen Worten.
Ich keuchte vor mich hin.
„Was ist denn geschehen?“, fragte ich irritiert.
„Du warst völlig neben der Spur!“, bekam ich von Marlene zu hören.
„Ich glaube, er ist´s!“, triumphierte ich. Zumindest erhoffte ich mir das.
„Hast du denn deine Meinung geändert? Ich denke, du willst nichts mit verheirateten Männern anfangen“, spielte Marlene den Moralapostel.
Und schon war mein Traum zerplatzt. Jetzt, wo ich wusste, wer mein Bradi war, fühlte ich mich schlechter denn je.
„Nimm´s nicht so schwer. Es gibt noch genug Brad Pitts auf dieser Welt und ein paar laufen auch sicher hier, in Frankfurt herum.“
Dieser Satz konnte mich auch nicht aufheitern. Meine Stimmung war ziemlich am Boden.
Marlene und ich trennten uns, vor dem Cafe.
„Ruf mich an, wenn es Neuigkeiten gibt“, sprach meine Freundin und drückte mir einen Kuß auf die Wange. Sie ging zu ihrem Antonio und ich zu niemandem. Nur meine einsame Wohnung wartete auf mich.
Ich befürchtete fast, dass ich mich in diesen Simon Hals über Kopf verliebt hatte. Und jetzt musste ich diesen inneren Schmerz ein Leben lang ertragen, da ich von meinem Grundsatz nicht abweichen wollte. Ich hatte wirklich nicht vor, mit einer von den eifersüchtigen Furien Bekanntschaft zu machen, deren Mann mit mir das Bett teilte.
Noch heute Abend wollte ich Jonny Depp auf der Flirtline daten. Der war bestimmt noch viel interessanter und gutaussehender, als Brad Pitt. Oh, Jonny, dann wirst du mich in ein romantisches Hotel einladen, um mich dann nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Dann wird uns ein ganzes Wochenende niemand zu Gesicht bekommen.
Meine Stimmung war wieder auf ihrem Höhepunkt. Einmal würde auch ich, meinem Traummann in die Arme rennen und vielleicht hieß derjenige zufällig Jonny Depp und wartete nur darauf, mich kennenzulernen.
Der Fluch der Karibik schien auf mich hereinzubrechen, als ich mir Jonny Depps Profil näher betrachtete. Blond, zierlich und schlank war sein Beuteschema. Blond war ich nicht und zierlich, naja. Wohl eher auch nicht. Mit den Haaren, das wäre kein Problem, aber meine weiblichen Kurven konnte ich wohl kaum verstecken. Mit den Diäten hatte ich auch so meine Probleme. Und eigentlich wollte ich so bleiben, wie ich war.
Kurzerhand löschte ich das Profil von Mr. Depp aus meiner Liste. Sollte der sich doch sein Blondchen woanders suchen.
Superman verlieh mir neue Hoffnungen. Wer schon so hieß, konnte nur super sein, redete ich mir ein. Gefühlvoll, mit viel Sinn für Romantik, stieß mir sofort ins Auge. Sicher eine schöne, ausgedachte Lüge, um der holden Weiblichkeit zu imponieren. Ein ganzer Kerl, sportlich und aktiv, stand noch als Anmerkung dabei.
Vielleicht ein Bodybuilder, der nur in seine Muskeln verliebt war? schoss es mir sogleich durch den Kopf. Sportlich klang gut und beförderte in mir, das schlechte Gewissen zu Tage. Wie oft hatte ich mir schon vorgenommen, mich abends aufzuraffen. Die neu erworbenen Laufschuhe, welche noch nie mein Haus verlassen hatten, anzuziehen. Und zu meiner Schande musste ich zugeben, dass ich immer einen Grund fand, jener körperlichen Betätigung aus dem Wege zu gehen. Mit Superman an meiner Seite, würde es mir vielleicht gelingen, meinen inneren Schweinehund zu besiegen. Zwei, drei Kilo weniger auf den Rippen wären genau das Richtige für eine ansehnliche Bikinifigur.
Das Superman auch aus Frankfurt stammte, war natürlich ideal. Ich sah das Bild schon vor mir. Ein großgewachsener, gutaussehender Typ und ich daneben. Alle Frauen würden mich um ihn beneiden. Ich schrieb sofort ein paar Zeilen, um auf mich aufmerksam zu machen. Das ich nicht aktiv Sport machte, sondern es nur meiner Wunschvorstellung entsprach, musste ich meinem Superman ja nicht unbedingt unter die Nase reiben. Und die anderen kleinen Notlügen sollten nur dazu dienen, mich interessanter zu machen, denn langweilige Profile gab es ausreichend.
Sehnsüchtig wartete ich auf eine Antwort. Nichts tat sich. Womöglich war Superman gar nicht an mir interessiert? Hatte ich vielleicht ein wenig übertrieben, mit meiner Lobeshymne auf mich selbst? Wut staute sich in meinem Innersten auf. Mit drei Gläsern Wein spülte ich meinen Ärger herunter.
In meinem Postfach befanden sich plötzlich zwei neue Nachrichten. Nun doch, dachte ich und öffnete sie mit Herzrasen. Meine Euphorie bekam sogleich einen Dämpfer, als ich wahrnahm, von wem die Nachrichten stammten. Brad Pitt war der Verfasser.
„Hey, lange nichts von Dir gehört. Bist Du krank? Muss ich mir Sorgen machen?“, schrieb er. Und die Zweite lautete: „Melde Dich bitte bei mir, damit ich weiß, dass es Dir gut geht.“
Wie konnte mich Simon das fragen? Waren wir uns doch gestern erst begegnet.
Mir kamen die ersten Zweifel, was Brad Pitts Identität an betraf. Und ich hätte es schwören können, dass es Simon sei, der mir die Nachrichten zukommen ließ.
Das der Fremde sich Sorgen machte, um jemandem, dem er noch nie begegnet war, beeindruckte mich schon irgendwie. Zumindest war ich ihm eine Antwort schuldig.
Im Postfach erschien eine neue Nachricht. Diesmal stammte sie tatsächlich von Superman. „Hallo, Du kleiner Schmetterling. Freue mich, Dich kennenzulernen.“
Ich war schon mit vielerlei Kosenamen betitelt worden, meistens Schatz, Süße oder Engelchen. Aber Schmetterling hatte mich bisher noch niemand genannt. Liebe auf den ersten Blick, war mir ja bekannt, aber Liebe auf die ersten Worte, war mir neu.
Aus dem großen Schmetterling entwickelten sich unzählige kleine, welche augenblicklich von mir Besitz nahmen und zu tausenden in meinem Bauch herumschwirrten. Ja, es klang völlig verrückt, aber ich fühlte es ganz deutlich, Superman und ich passten wohl perfekt zusammen.
Jetzt musste ich nur noch Brad Pitt loswerden. Schnell ein paar Zeilen und dann wäre die ganze Angelegenheit vom Tisch. Danach würde ich mich ganz und gar auf meinen neuen Helden konzentrieren.
„Mir geht es ausgezeichnet. Bin seit kurzem in einer festen Beziehung. Wünsch Dir viel Glück und das Dich Amors Pfeil auch irgendwann trifft.“
Ich fand, dass diese Worte eindeutig genug waren, um von weiteren Kontakten abzusehen. Aber, das glaubte nur ich, denn prompt folgte eine Antwort. „Leider war Amor schneller. Der Pfeil sitzt tief und ich glaube, dass ich ihn nicht mehr entfernen kann.“
Ich wagte mich nicht, zu fragen, wer denn die Glückliche sei, denn ich befürchtete, dass es womöglich mich treffen würde. Ich musste über mich selbst schmunzeln. Solch absurde Gedanken konnte ja nur ich haben. Brad Pitt, in mich verliebt, das war total lachhaft.
Von einer auf die andere Minute beschloss ich, mit meinem Superman Nägel mit Köpfen zu machen. Ein, zwei Tage wollte ich mit ihm, noch meine Gedanken austauschen, dann hoffte ich, auf ein Treffen. Ich wollte auf keinen Fall länger alleine bleiben. Endlich wieder die Hände eines Mannes auf meinem Körper spüren, um mich anschließend im Meer der Leidenschaft zu ertränken, war das, was ich anstrebte. In Superman steckte ich meine ganzen Hoffnungen.
Um die frohe Kunde, meiner anstehenden Beziehung, in die Welt zu tragen, rief ich sogleich Marlene an. Ich war Feuer und Flamme für meinen neuen Helden. Und Marlene freute sich mit mir, obwohl es ihr ein wenig leid tat, um Brad Pitt.
„Lass uns heute Abend feiern gehen“, schlug ich kurzerhand vor. Schließlich war mein Singleleben bald vorbei.
„Heute Abend kann ich leider nicht“, verdarb mir Marlene meine gute Laune. „Antonio will heute was für uns kochen.“
War ja klar, dachte ich. Seitdem Marlene bei Antonio eingezogen war, beanspruchte er sie, die meiste Zeit, für sich selbst. Er sah es nicht gern, wenn sie allein unterwegs war, schon gar nicht in den Abendstunden.
„Wir können uns morgen Nachmittag treffen. Im Cafe´ vielleicht?“, versuchte Marlene ihr schlechtes Gewissen zu bereinigen.
Ich lenkte ein, weil mir nichts anderes übrig blieb. Das Singledasein bedeutete unendliche Freiheit, aber dennoch war es gleichzeitig auch ein Fluch. Man musste sich immer jemanden suchen, wenn man weggehen wollte. Aber nicht mehr lange, dann wäre ich nicht mehr solo.
Ich wollte sie verdrängen, diese blöde Melancholie, welche schleichend in mir aufstieg. Unweigerlich musste ich an diesen Simon denken. Schade, dass der schon in festen Händen war. Wir hätten ein schönes Pärchen abgegeben.
„Verdammt!“, begann ich zu fluchen. „Nein, nein, so läuft das nicht.“
Den ganzen Abend lang Trübsal blasen, war mir einfach zuwider. Ich brauchte niemanden dazu, um Spaß zu haben.
Der Kleiderschrank war mein erstes Opfer. Shirts, Blusen, Röcke, alles entzog ich ihm und warf den ganzen Krempel kurzerhand auf mein Bett.
Nur zwei Straßen weiter, also ganz in meiner Nähe, gab es ein paar kleinere, gemütliche Lokale mit Livemusik. Da wollte ich hin. Ich machte einen Deal mit mir selbst aus. Würde ich heute Abend nicht meinem Traummann begegnen, so sollte es ein Zeichen für mich sein, dass Superman der einzig Richtige wäre.
Ich entschied mich schließlich für einen engen Ledermini und ein loses Shirt, was mir seitlich über die rechte Schulter hing. Die kleinen Fältchen und die blass aussehende Gesichtshaut überdeckte ich reichlich mit make up und ein tiefroter Lippenstift machte meine Lippen unwiderstehlich. Nein, heute würde ich nicht lange alleine bleiben, davon war ich überzeugt.
Mein Ziel war zum greifen nahe, aber meine Schuhe, mit den dünnen, langen Absätzen vertrugen sich wahrlich nicht mit dem steinigen Untergrund des Fussweges, auf dem sie sich bewegten. Immer wieder blieb ich hängen, sodass sich der Weg zu einer Tortour entwickelte.
Und als ob ich es geahnt hätte, steckte ich fest.
„So ein verdammter Mist!“, fing ich lautstark an, zu fluchen.
„Kann ich vielleicht helfen?“, drang eine nette Stimme aus dem Hintergrund zu mir heran.
Irritiert blickte ich mich um. Ein verblüfftes „Oh!“, drang aus mir heraus.
„Wir kennen uns doch, oder?“, sprach mein Gegenüber.
Und ob! dachte ich. War es Zufall oder Vorbestimmung, dass ausgerechnet Simon an diesem Abend meinen Weg kreuzte?
Er erkannte sofort, in welcher Misere ich steckte. Sank vor mir auf die Knie und machte sich daran, meinen Schuh aus seiner misslichen Lage zu befreien.
„Bist du allein hier?“, fragte ich kurzerhand, denn mit einer eifersüchtigen Ehefrau wollte ich mich nun wirklich nicht anlegen.
„Ich ziehe mit ein paar Kumpels um die Häuser“, sprach er zu meiner Erleichterung und verwies auf eine kleine Gruppe von männlichen Zeitgenossen, welche schon einen gewissen Vorsprung hatten.
„Und du, so ganz allein hier?“, hörte ich Simon sagen.
„Nein, nein!“, wehrte ich sogleich ab.
„Ich treffe mich gleich noch mit Freunden“, hörte ich mich sagen.
Ich betrachtete es eher als eine Notlüge. Denn wer war schon gern alleine unterwegs? Das hieße ja, man besäße keine Freunde. Das Marlene heute Abend keine Zeit für mich hatte, war kein Grund, zu glauben, dass sie sich nie mehr mit mir treffen würde.
„Dann sehen wir uns ja vielleicht heute noch“, meinte Simon und drückte mir den befreiten Schuh in die Hand.
Als Kind wurden mir wieder und wieder alle Märchen, die es gab, zur abendlichen Stunde vorgelesen, um das Einschlafen zu fördern. Ich konnte sie auswendig, allesamt und träumte nachts davon, dass ich selbst eine Prinzessin sei. Nun kam es mir so vor, als befände ich mich selbst in einem Märchen und der Traum war zur Realität geworden. Das blöde war nur, dass die Prinzen, so wie Simon, in der Märchenwelt nicht verheiratet waren, welche die schöne Jungfrau anbaggerten.
Vielleicht lebte Simon ja bereits getrennt? Zumindest machte es den Anschein, da er mit seinen Kumpels unterwegs war. Ich beschloss, ihnen unbemerkt zu folgen, um zu sehen, in welches Lokal es sie verschlug. Von Trennungsschmerz keine Spur, so musste ich feststellen, denn die Jungs schienen gut drauf zu sein. Das war für mich ein Wink des Schicksals. Simon war real, ein ganzer Kerl und Superman vielleicht eine Mogelpackung. Jetzt hatte ich noch die Wahl.
Heute waren viele Leute unterwegs und ich hatte Schwierigkeiten, meinen Simon im Auge zu behalten. Endlich betraten sie eine Musikbar und ich folgte ihnen. Schließlich sollte Amor heute etwas zu tun bekommen. Mein Märchen, in dem ich mich befand, wollte ich, an diesem Abend, auf jeden Fall mit einem Happyend ausklingen lassen.
Sie hatten den letzten noch freien Tisch ergattert und ich hockte mich auf einen Barhocker, welcher irgendwo zwischendrin unbeachtet blieb, weil keiner, wie ich, alleine da war.
Die Sicht war gut und ich erhoffte mir, dass mich Simon irgendwann entdecken würde. Und es dauerte auch nicht lange, da traf sein Blick den meinigen. Ich lachte und tat so, als sei der Mann neben mir, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, ein alter Bekannter. Dann nahm ich meinen Drink und prostete ihm zu. Der Typ, neben mir, ging zu meinem Glück darauf ein. Sein Blick musterte meine Gestalt ausgiebig, was mir eher unangenehm erschien. Ich beschloss daraufhin, die Flucht zur Toilette zu ergreifen, ehe der Lustmolch noch auf dumme Gedanken kam.
Ich schritt, wie ein Modell auf dem Laufsteg, an der kleinen Männerrunde vorbei. Ich sah ihm Augenwinkel, wie sie sich über mich unterhielten und Simon sich erhob. Wie elektrisiert setzte ich meinen Weg fort. Nicht zu langsam, nicht zu schnell.
„Hey!“, vernahm ich plötzlich seine Stimme, die mich augenblicklich zum Stillstand brachte. Ich traute mich nicht, mich umzudrehen, weil ich drauf und dran war, diesen Simon in die Arme zu rennen, um ihn voller Leidenschaft zu küssen.
„Hast du deine Freunde gefunden?“, wollte er wissen.
„Ja“, sprach ich etwas kleinlaut und drehte mich zu ihm um.
In seinen Augen brannte das Feuer der Leidenschaft und sein Körper schien der eines Gottes zu sein. Ich bewegte mich nicht, um der Versuchung zu widerstehen, ihn gleich anzuspringen.
„Ist alles ok, mit dir?“, fragte er ziemlich irritiert.
Ein banales: „Ja, ja“, war alles, was ich daraufhin zu sagen hatte.
„Die Musik ist gut. Kommst du öfters hierher?“, versuchte er das Gespräch wieder aufzunehmen.
„Manchmal“, sprach ich, obwohl ich noch nie dieses Lokal betreten hatte.
„Ich bin das erste Mal hier. Die Jungs meinten, dass es hier gut abgeht.“
Oh man, dachte ich. Quatsch doch nicht so viel. Entführ mich in irgendeine dunkle Ecke und lass mich deine Prinzessin sein.
„Ist dein Freund auch da?“, wollte Simon wissen.
Ah, jetzt ging er aber ganz schön ran. War wohl, wie die meisten hier, nur an einer schnellen Nummer interessiert. Danach würde die Sache wahrscheinlich für ihn vergessen sein und er würde mich nicht mal mehr auf der Straße erkennen. Aber so dumm war ich nicht. Ich war mir zu schade für einen Quickie.
„Und deine Frau, weiß die, was du hier so treibst?“, stellte ich die Gegenfrage.
„Welche Frau? Ich bin nicht verheiratet.“
„Ja, ja, wer´s glaubt, wird selig. Ich weiß Bescheid“, sprach ich kaum hörbar vor mich hin.
Das war ja typisch für mich, dass ich immer an die falschen Männer geriet. Und dieser Simon schien ein besonderes Exemplar zu sein. Als Lügenmärchen würde ich nun meine Geschichte benennen, Der Prinz und die Prinzessin waren nicht für einander bestimmt.
Ich drehte mich von Simon weg, um auf die Damentoilette zu flüchten, dort wollte ich erst mal meine wirren Gedanken ordnen.
Ganze zehn Minuten verharrte ich dort. Ich hoffte darauf, dass dann die Luft rein war, um schnellstens aus diesem Lokal zu verschwinden.
Fehlanzeige! Als ich die Tür öffnete, entdeckte ich Simon, der offensichtlich beschlossen hatte, auf mich zu warten. Schwups, war die Tür wieder zu und ich verbrachte noch weitere zehn Minuten im sicheren Schutz der Damentoilette.
Der zweite Versuch, mich heimlich davon zu stehlen, sah besser aus. Simon schien es aufgegeben zu haben, mir nachzustellen. Gerade, als das Gefühl der Erleichterung in mir aufstieg, bemerkte ich, wie mich jemand an der Hand packte. Meine Versuche, mich loszureißen, scheiterten, denn Simon hatte nicht vor, mich gehen zu lassen.
„Da gibt es wohl noch was zu klären, zwischen uns“, begann er und zog mich ein wenig näher zu sich heran.
Ah, jetzt würde er endlich mit der Wahrheit raus rücken und die Karten offen ausspielen. Ich war auf alles gefasst. Dann würde ich heute Abend eben wieder alleine nach Hause gehen, um mich in meinem Kissen auszuheulen und Superman wäre dann wieder mein Prinz.
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2016
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