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Liebe kommt über Nacht

Es sollte ein schöner Urlaub in Griechenland werden. Sommer, Sonne, Strand und Meer.

Leider vertrug Antonio die Klimaanlage nicht. Schon am zweiten Tag wurde er von einer mächtigen Erkältung heimgesucht, was den Urlaub ins Stocken brachte. Das führte am vierten Tag dazu, dass er keine Lust mehr dazu hatte, das Bett zu verlassen. Zwei Stunden hielt ich sein Gejammer aus, dann war es mir zu viel.

Kann sein, dass ich nun ein Bild von Egoismus abgab, aber für mich war das nichts, mich stundenlang auf dem Zimmer aufhalten zu müssen. Mich drängte es hinaus. Ich wollte tanzen gehen.

„Du siehst ja, dass es mir schlecht geht. Für mich fällt heute das Gehopse aus“, meinte Antonio mit einem Hustenanfall als Abgang.

Ob er nun übertrieb oder nicht, dass war nicht so richtig durchschaubar. Tatsache war allerdings, dass sich Antonio in unserer Beziehung nie zum Tanzbären entwickelt hatte. Immer war er mir zuliebe mitgegangen. Das hatte ich ihm immer hoch angerechnet.

„Du musst auf mich keine Rücksicht nehmen. Ich komme ganz gut alleine zurecht“, bekam ich prompt zu hören.

„Ach, alleine macht das doch auch keinen Spaß“, sprach ich ein wenig niedergeschlagen.

Gerade heute Abend sollte im Hotel die Post abgehen und ich verplemperte meine Zeit in einem stickigen Zimmer, weil ab jetzt die Klimaanlage tabu war.

„Du könntest dir ja mal für eine Stunde die Füße vertreten. Einen Cocktail trinken oder so“, machte mir Antonio zum Vorschlag.

„Ich weiß nicht...“, stotterte ich herum. „So ganz allein?“

Antonio setzte sich ein wenig auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Es ist doch hier, im Hotel, da wirst du schon nicht verloren gehen. Einmal mit dem Fahrstuhl runter und dann wieder hinauf“, versuchte er zu scherzen.

„So ein Stündchen könnte ich ja mal verschwinden. Du wirst gar nicht merken, dass ich weg war“, meinte ich überschwänglich, erhob mich und steuerte geradewegs den Kleiderschrank an. Ich hatte mir extra für die Abende mit Antonio ein paar schicke Teile mitgenommen, um ihn ein bisschen auf Touren zu bringen und nun sollte ich alleine gehen? Antonio würde mich doch nie in so einem Auszug gehen lassen.

Ich entschied mich für eine leichte Bluse, an der ich die Knöpfe bis oben hin schließen konnte, das lenkte Antonio hoffentlich von der Länge meines Rockes ab, der ziemlich kurz war. Soweit es möglich war, zog ich ihn herunter. Die Schuhe behielt ich erst mal lieber in der Hand.

„Kann ich denn so gehen?“, fragte ich etwas unsicher. Antonio begutachtete mich mit prüfenden Blick. So richtig schien er nicht einverstanden zu sein, aber dennoch blieb ihm nichts weiter übrig, als mich ziehen zu lassen.

Der Gang wirkte ziemlich leer. Die meisten Gäste waren wohl schon längst auf dem Fest. Am Fahrstuhl wartete ein junger Mann, welcher etwas genervt wirkte.

„Ist denn der Fahrstuhl kaputt?“, fragte ich etwas spöttisch.

„Der hält überall, aber nicht hier“, vernahm ich plötzlich die Stimme des Wartenden, der mir einen flüchtigen Blick zuwarf. Ein zweites Mal schoss sein Kopf herum. „Tragen sie ihre Schuhe immer spazieren?“

Verflixt! Noch immer hielt ich meine Pumps in der Hand. „Nein, eigentlich nicht“, sprach ich mit hochrotem Gesicht.

Einen Schuh hatte ich an, da ging der Fahrstuhl auf. Mir blieb nun nichts weiter übrig, als hinein zu humpeln. Ein Schuh an und den anderen in der Hand.

„Gehen sie auch auf das Fest?“, versuchte ich meinen Begleiter abzulenken, denn der Fahrstuhl war auf drei Seiten verspiegelt, sodass ich in allen Perspektiven zu sehen war, als der zweite Schuh den passenden Fuß fand.

Ehe mein Mitfahrer einen Satz von sich geben konnte, ging auch schon die Fahrstuhltür auf. Herein traten zwei ziemlich beleibte Damen, welche nicht aufhören konnten zu kichern. Ich beneidete sie um ihren Spaß. Ihre Fröhlichkeit machte auch nicht halt vor unserem Begleiter. Tatsächlich erhoben sich seine Mundwinkel und mich raffte es augenblicklich dahin. So ein wunderschönes Lächeln war mir noch nie begegnet. Ich dachte an Antonio um mein Glotzen zu unterbinden. Ja, mein Grieche, der besaß das schönste Lächeln der Welt, redete ich mir ein.

Endlich waren wir in der richtigen Etage angekommen. Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich. Ich ließ den Anderen den Vortritt. So konnte ich als Schlusslicht ein paar Knöpfe meiner Bluse öffnen, denn ich hasste es, so zugeschnürt zu sein. Einen oder zwei Cocktails wollte ich trinken und dann würde ich wieder zurück aufs Zimmer gehen, das hatte ich mir fest vorgenommen.

Ich steuerte geradewegs die Bar an, soweit das möglich war, denn Gäste waren reichlich vorhanden.

Von weitem hatte ich ihn schon ins Visier genommen, jenen freien Barhocker, der der meinige werden sollte. In dem Moment, als ich ihn erreichte, fand sich plötzlich der Mann aus dem Fahrstuhl neben mir ein. Jetzt mussten wir beide lachen.

„Natürlich steht er ihnen zu. Ich glaube, dass sie eine Sekunde eher da waren“, meinte er.

„Darf ich mal durch?“, sprach der Herr zu unserer rechten, welcher drei Gläser mit Bier davontrug. Ich starrte auf den leeren Barhocker, den der Bierträger vorher eingenommen hatte.

„Na, da habe ich ja nochmal Glück gehabt, jetzt brauchen wir uns nicht um den einen Hocker zu streiten.

Mir wurde mulmig, als der junge Mann sich neben mich setzte. War das jetzt wie ein Date? Dabei wollte ich doch nur in Ruhe und ganz allein einen Cocktail trinken und dann gleich wieder verschwinden. Antonio war bestimmt nicht mehr wach. So war es auch nicht schlimm, eine Stunde länger zu bleiben.

„Was trinken sie?“, riss mich mein Nachbar aus meinen Gedanken heraus.

„Sex on the Beach“, schoss es ohne nachzudenken aus mir heraus.

Der junge Mann schluckte.

„Mein Name ist übrigens Christoph“, sprach er und reichte mir seine Hand entgegen.

Für einen Moment zögerte ich, doch dann nahm ich sie an. Was war schon dabei, jemanden die Hand zu schütteln.

Wie ein Stromschlag schoss es durch meine Adern, als ich seine wärmende Hand spürte. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen intensiven Augenblick. Nein, nein, das wollte ich nicht. Schnell blickte ich weg.

Mein Nachbar wirkte plötzlich verunsichert. „Na, dann werde ich mich mal unters Volk mischen“, sprach er etwas kleinlaut und erhob sich. Ich sah ihm hinterher. Aber anstatt erleichtert zu sein, spürte ich nur Enttäuschung. Wie gerne hätte ich doch mit Christoph ein wenig geplaudert.

Von „Sex on the Beach“ hatte ich nun genug. Ich bestellte mir einen „Badita de coco“ und dann noch einen und noch einen. Als ich mich schließlich erhob, um den Rückzug anzutreten, erspähte ich in der tanzenden Menge meinen Christoph. Wirklich ein gutaussehender Kerl, so muskulös und hochgewachsen. Ein perfekter Typ für einen Seitensprung schoss es mir durch den Kopf.

Was mich dann überkam, konnte nur mit meinem erhöhten Alkoholkonsum in Verbindung gestanden haben. Ich tanzte diesen Christoph buchstäblich an. Der wusste zuerst gar nicht, wie ihm geschah. Aber dann lockerte sich seine Haltung. Beherzt ergriff er meine Hüften und zog mich zu sich heran. Seine Lippen lagen plötzlich auf den meinigen. Wie besessen küssten wir uns. Mir war egal, was die Leute um uns herum in diesem Moment dachten. Antonio war weit weg. Womöglich war unsere Beziehung nie eine richtige gewesen, schoss es plötzlich durch meine Gedanken.

Christophs Hand tauchte in meinen Ausschnitt ein. Seine Finger umschlossen meine Brust. Ein leichtes Stöhnen drang über meine Lippen. Hier und jetzt wäre ich dazu bereit gewesen, mich ihm hinzugeben, wären wir nur allein gewesen.

„Willst du immer noch Sex on the Beach?“, fragte er zweideutig. Ja, ich war willig, das war ich wirklich, doch sah ich plötzlich, vor meinem geistigen Auge das Gesicht Antonios, der mich anglotzte, als hätte ich etwas schlimmes verbrochen.

„Ich bin nicht alleine hier“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.

Schlagartig ließ Christoph mich los.

„Verdammt! Ich wollte wirklich...“, meinte ich verärgert.

„Zimmer Nr. 2255“, meinte mein Gegenüber und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Der Abschied fiel mir unsagbar schwer. Dennoch musste ich Christoph stehen lassen. Mein Blick richtete sich auf meine Uhr. Viertel vor drei. Eine Katastrophe.

Den Fahrstuhl nahm ich nicht, das dauerte mir zu lange. Lieber nahm ich die Treppen. Völlig außer Atem kam ich schließlich in der vierten Etage an. Mein Blick viel unwillkürlich auf eine bestimmte Zimmernummer. Die Zahlen 2255 leuchteten mich auf eine magische Weise an. Oh, nein, schnell weg!, dachte ich. Unser Zimmer lag auf der anderen Seite, nicht weit entfernt.

Leise schloss ich die Tür auf. Antonio war sicher noch wach und bereit, mir eine Szene zu machen. Fehlanzeige! Sein Schnarchen war schon von weitem zu hören. Ich war enttäuscht. Eine Szene wäre mir tatsächlich in diesem Moment lieber gewesen. War ich Antonio wirklich so egal?

Ich hielt mir die Ohren zu, weil ich das laute Schnarchen nicht mehr ertragen konnte. Ich musste hier raus und das sofort.

Auf dem Gang war nichts mehr los. Vielleicht noch ein Drink an der Bar? Sicher war Christoph schon längst in sein Zimmer verschwunden. Aus lauter Neugier legte ich mein Ohr an die Tür. Natürlich war nichts zu hören.

„Willst du vielleicht zu mir?“, vernahm ich plötzlich Christophs Stimme. Schlagartig drehte ich mich zu ihm um.

Warum sollte ich ihm etwas vorlügen? Oder mir? Ja, ich hatte ihn aufgesucht, um mit ihm hemmungslosen Sex zu machen.

Christoph schloss die Tür auf. Ich ging voraus und entledigte mich Stück für Stück meiner Sachen, bis ich splitternackt war. Christoph tat das gleiche. Plötzlich packte er mich von hinten an den Hüften. Mir wurde schwindlig vor Erregung. Aufs Bett schafften wir es nicht mehr. Wir bogen rechts ins Bad ab. Ich hielt mich am Waschbecken fest, als Christoph in mich eindrang. Wir sahen uns im Spiegel an, was uns ein wenig zum Schmunzeln brachte. Meine Brüste wippten hin und her, was meinen Liebhaber anmachte. Wie besessen schob er mein Becken vor und zurück, was mich zum Orgasmus brachte. Kurz darauf erreichte Christoph seinen Höhepunkt.

Wir beide waren völlig fertig, als es vorbei war. Erschöpft ließen wir uns schließlich auf dem Bett nieder.

„Wieso bist du alleine hier?“, fragte ich.

Christoph stützte seinen Kopf auf seinen Arm und blickte mich von der Seite her an, „Meine Freundin und ich haben uns kurz vor unserem Urlaub getrennt. Die Reise war bezahlt und sie wollte nicht mehr mit.“

„Na, dann kannst du ja machen, was du willst. Bei mir ist das ein bisschen anders. Nicht weit von hier, wartet mein Freund auf mich. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich ihm sagen soll, wenn ich dort gleich wieder auftauche.“

Tatsächlich entwickelte sich in mir ein schlechtes Gewissen. War ich doch nicht hierher gekommen, um mich auf ein Abenteuer einzulassen. Aber Christoph war ja nur mein Liebhaber für eine Nacht gewesen. Irgendwie fand ich das ein bisschen schade.

„Wie heißt du eigentlich?“, wollte Christoph wissen.

„Was spielt das für eine Rolle, wenn wir uns sowieso niemals wiedersehen?“, tat ich geheimnisvoll.

„Wer sagt das?“

Überrascht blickte ich Christoph in die Augen. „Weil du vielleicht am anderen Ende der Welt wohnst?“

„Ich wohne in Frankfurt und du?“

„Du lügst doch“, kam es mir über die Lippen.

„Warum sollte ich?“, kam prompt die Antwort.

„Na, weil ich auch in Frankfurt wohne.“

„Da schau einer an. Wann reist ihr ab?“

„Morgen, um neun Uhr, geht unser Flug “, sprach ich abwartend.

„Bingo!“, rief Christoph. „Dann sehen wir uns am Flughafen.“

Das waren nicht die Worte, welche ich erwartet hatte. Oh Gott, Antonio und Christoph zusammen in einem Flieger, das käme einer Katastrophe nahe.

„Das geht nicht, du musst einen anderen Flieger nehmen“, sprach ich ohne nachzudenken.

„Wir können ja so tun, als seien wir uns noch nie begegnet“, scherzte mein Liebhaber und beugte sich über mich, um mir einen Kuss zu geben. Doch dabei blieb es nicht. Seine Hände suchten sich den Weg zu meinen Brüsten und umschlossen sie. Christophs Finger bohrten sich hinein, was mich fast in den Wahnsinn trieb. Seine Lippen bahnten sich ihren Weg über meinen Hals bis hin zu meinem Ohrläppchen.

„Ich muss zurück“, sprach ich leise.

„Aber jetzt noch nicht“, hauchte mir Christoph ins Ohr. Seine Hand glitt zwischen meine Schenkel.

Irgendwie war ich nicht mehr im Stande, irgend einen klaren Gedanken zu fassen. Ich ließ es geschehen, dass Christoph erneut in mich eindrang, was mein Innerstes erbeben ließ. Ich schwebte auf Wolke sieben, als meine Füße auf seinen Schultern lagen und er seinen Höhepunkt erreichte. Schweißgebadet trennten wir uns irgendwann voneinander.

„Der pure Wahnsinn“, ließ mein Liebhaber seinen Worten freien Lauf.

„Der jetzt ein Ende hat“, sprach ich und erhob mich augenblicklich. Unkontrolliert zog ich mir meine Sachen über. Ich hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich zu verschwinden, um das alles hinter mir zu lassen. Diese Liebschaft war hier und jetzt für mich beendet.

„Warte!“, rief Christoph irritiert, der plötzlich vom Bett aufsprang. Hastig ergriff er ein Stück Papier und kritzelte ein paar Zahlen darauf. Kurz darauf hielt er mir den Zettel entgegen „Hier, meine Telefonnummer.“

Ich riss ihm das Papier aus der Hand und verschwand auf mein Zimmer.

Antonios Gesicht war kreidebleich, als ich eintrat.

„Es, ich...“, fing ich an zu stottern.

„Ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht, meine Perle. Dachte schon, dir sei was passiert.“

Mir trieb es die Tränen in die Augen, weil ich mich so schämte. „Ich bin in der Lobby eingeschlafen“, log ich, weil ich zu feige dazu war, ihm die Wahrheit zu sagen.

Den ganzen Tag wich ich nicht mehr von der Seite Antonios. Nur zu den Mahlzeiten verließen wir unser Zimmer, ansonsten packten wir unsere Koffer oder schalteten den Fernseher ein.

Ich war froh, als der Bus, welcher uns zum Flughafen bringen sollte, endlich kam.

Ich würdigte Christoph keines Blickes, auch nicht, als er mich sachte von hinten an stupste. Zum Glück hatte das Antonio nicht bemerkt. Im Flieger saßen wir weit weg von ihm, das empfand ich als beruhigend.

In Frankfurt trennten sich unsere Wege.

„Wir sehen uns!“, rief uns Christoph hinterher als er zu den Taxis abbog.

Antonio wirkte verdutzt. „Kennen wir den?“

„Nicht das ich wüsste. Vielleicht hat der uns mal im Hotel gesehen. Manche haben ein gutes Menschengedächtnis.“

Antonio ließ die Sache auf sich beruhen. „Gib mir doch mal den Autoschlüssel.“

Noch immer ziemlich verwirrt, kramte ich in meiner Tasche herum. Zuerst fiel mir allerdings die Telefonnummer von Christoph in die Hände. Ein Seufzer löste sich aus meiner Brust.

Vielleicht rufe ich ihn einfach mal an, um mich mal - nur so - mit ihm zu treffen.

 

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Tag der Veröffentlichung: 26.07.2015

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