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Kapitel 1

Besessenheit ist das, was diejenigen, welche von diesem Zustand nicht die leiseste Ahnung haben, als abtrünnig und verwerflich bezeichnen würden. Aber kann es etwas Schöneres geben, als sich bedingungslos an etwas festzuhalten, was den Wert des Lebens aufs Höchste beflügelt?

Es war nie einfach für mich, im Hause meiner Eltern, umgeben von zwei quirligen Schwestern, den Sinn meines eigentlichen Daseins zu erkennen. Selbst unser Lehrer resignierte all zu oft, weil mich der trockene Lernstoff nicht sonderlich interessierte. Und immer wieder musste ich am eigenen Leibe spüren, was es hieß, der Unaufmerksamkeit zu frönen. Das Resultat erwies sich als äußerst schmerzhaft, denn mein Vater hatte angeordnet, jeden Verstoß mit dem Rohrstock zu vergelten.

Meine jüngeren Schwestern, deren engelhaft wirkende Wesen wohl jeden davon abschreckten, ihnen körperlich etwas anzutun, traf es wenig. Stattdessen schoben sie mich vor, wenn sie etwas Unrechtes begangen hatten.

Ich besaß die Haarfarbe meines Vaters, ein nichts aussagendes braun.

Meine Augen waren verschiedenfarbig, bunt wie die Welt. So hatte sich Angelie immer ausgedrückt, wenn ich mal wieder bei ihr den benötigten Trost suchte.

Bald wehrte ich mich nicht mehr, gegen die mir zu Unrecht erteilte Bestrafung. Was hätte mir das auch genützt, da mir sowieso niemand beistand und es mir zunehmend schwerer fiel, mich gegen die Übermacht meiner Peiniger zu wehren.

Uns drei Mädchen, welche in einem vornehmen Herrenhaus am Rande jeglichen Geschehens lebten, beherrschte Weltfremdheit und eine aufgezwungene Kindlichkeit, welche uns selbst im Jugendalter wie kleine Mädchen erscheinen ließ. Wir trugen immer noch dieselben geflochtenen Zöpfe, welche jeden Tag aufs neue, liebevoll von unserer Gouvernante zusammengebunden wurden.

Zu den Mahlzeiten mussten wir pünktlich sein. Darauf legten unsere Eltern großen Wert. Vielleicht deshalb, weil es einer der wenigen Momente war, welchen wir alle gemeinsam miteinander verbrachten. Mein Vater durchlebte den Rest des Tages entweder in seinem Arbeitszimmer oder in den Reihen der Bänker, welche nur daran interessiert waren, das Geld der anderen Leute einzustreichen.

Und Mutter, die hatte nichts besseres zu tun, als den erwirtschafteten Gewinn auf dem schnellsten Wege wieder unter die Leute zu bringen.

Als mein Bruder Jeffrey damals zur See ging, war ich kaum zehn Jahre alt. Eines Tages war er einfach weg und es dauerte lange, bis wir Mädchen begriffen, dass er sobald nicht wiederkommen würde.

Unsere Gouvernante Angelie war eine junge, flatterhafte Person, die sich immer ins rechte Licht zu setzen wusste. Sie besaß eine Aura, der man sich nicht widersetzen konnte. Später wollte ich einmal genauso sein wie sie, dann würde sich mein Leben, um ein vielfaches verbessern, so glaubte ich.

Äußerlichkeiten waren Angelie sehr wichtig. Nur das zähle im Leben, betonte sie oft genug.

Manchmal, wenn ich mit ihr alleine war, dann steckte sie mir das Haar hoch, genauso wie sie das ihrige trug. Sie meinte, dass ich so viel hübscher aussehen würde. Am Ende blieben mir doch nur meine dicken, geflochtenen Zöpfe, da mein Vater nichts anderes duldete.

Was meine strengen Eltern tatsächlich dazu bewog, gerade sie in unsere Dienste zu nehmen, verstand ich damals nicht. Später wurde mir allerdings so manches klar. Der Eindruck musste wohl ein bleibender gewesen sein, den sie, nach ihrer Vorsprache, bei meinem Vater hinterlassen hatte. Zumindest besuchte sie ihn recht oft in seinem Arbeitszimmer.

Einmal am Tag, genau zur siebzehnten Stunde, betrat eine von den Putzkräften jenes heilige Reich. Es gab wohl bessere Arbeiten, denn mein Vater kontrollierte jeden einzelnen Handgriff und wies an, was genau gemacht werden sollte. Das ganze Prozedere dauerte genau eine halbe Stunde, dann schickte er das Dienstmädchen wieder hinaus.

Bis Punkt achtzehn Uhr, wenn wir dann das Abendessen einnahmen, verschanzte sich mein Vater zwischen seinen unzähligen Akten und ward bis dahin nicht wieder gesehen. Was er jedoch, bis zu dieser angegebenen Zeit veranstaltete, blieb lange ein wohlbehütetes Geheimnis.

Einmal hat mich allerdings so die Neugier geplagt, sodass ich mich gezwungen sah, mein Auge an die Öffnung des Schlüssellochs zu legen, um dem Rätsel einen Namen zu geben. Sie tauschten Küsse aus und hielten sich fest umschlungen. Das war alles, was ich wahrnahm, dann entfernten sie sich aus meinem Blickfeld und ich gab es auf, ihnen nachzustellen.

Es war mir ein Bedürfnis, meine Entdeckungen kundzugeben. Ich suchte meine jüngeren Schwestern Abby und Imogen auf und prahlte damit, dass unsere Gouvernante nicht nur uns ergeben sei. Natürlich dachte ich mir nichts dabei, denn man hatte mich nie über solche Dinge aufgeklärt. Anstatt mir Gehör zu schenken, lachten mich meine Schwestern nur aus. Sie betitelten mich sogar als Lügnerin, was ich so nicht hinnehmen wollte. Lautstark fing ich an zu protestieren.

Ob meine Mutter von unserem Gespräch etwas mitbekommen hatte, war mir nicht klar. Auf jeden Fall erschien sie unerwartet, um uns zum Abendessen abzuholen, was mich sehr verwunderte, denn für gewöhnlich waren wir selbst dazu angehalten, uns der Pünktlichkeit zu stellen.

„Ist denn etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie uns Mädchen, denn an unseren Gesichtern erkannte sie ganz deutlich, dass wir etwas vor ihr verbargen.

Unabhängig voneinander schüttelten wir unsere Köpfe, denn was hätten wir ihr sagen sollen? Wussten wir doch selbst nicht, was da in Vaters Arbeitszimmer tatsächlich vor sich ging. Was uns allerdings verwunderlich vorkam, war die Erkenntnis, dass wir die Einzigen waren, welche es mit der Pünktlichkeit an diesem Abend genau nahmen. Von unserem strengen Vater war weit und breit keine Spur. Und dabei hatte er uns doch immer wieder Strafe angedroht, wenn wir die Regeln nicht einhielten.

Mutter wirkte ziemlich ernst, beim Anblick des verwaisten Stuhles und verwies uns Kinder, auf unsere Plätze.

Das Abendessen wurde aufgetragen und ich verspürte plötzlich keinen Appetit mehr. Mir war klar, dass bald irgendetwas auf uns zu kommen würde, was den Seelenfrieden unseres Hauses störte.

Die Tür öffnete sich und herein trat tatsächlich mein Vater. Hastig rückte er die Jacke seines Anzuges zurecht. Ohne ein Wort begab er sich zu uns an den Tisch. Sein Blick musterte jedes einzelne unserer Gesichter, so als wartete er nur darauf, gefragt zu werden, weshalb er sich verspätet hätte.

Als ich an der Reihe war, neigte ich meinen Kopf hinab, auf den Teller und sonderte das Fleisch von dem Gemüse ab, als würden sich die beiden Dinge nicht miteinander vertragen. Das Kratzen meiner Gabel durchbrach ungewollt die eiskalte Stille, was niemanden wirklich zu stören schien, denn keiner der Anwesenden war wohl gewillt, das erste Wort zu sprechen. Zu unser aller Überraschung fand schon bald auch Angelie zu uns an den Tisch. Sie verwies auf die Zeit, denn pünktlich mit dem abendlichen Schlag zur siebten Stunde gingen wir zu Bett.

Unsere Nachthemden waren, wie an jedem Abend, auf unseren Betten zurecht gelegt.

Und als Angelie mir dann beim umkleiden half, lag es mir auf der Zunge, sie zu fragen, weshalb sie meines Vaters Arbeitszimmer aufgesucht hätte, wo doch nicht mal meine Mutter die Erlaubnis dazu besaß, jene Heiligkeit zu betreten. Ich ließ es bleiben, denn ich befürchtete, dass unsere Gouvernante mich dafür mit Verachtung strafen könnte. Und was gäbe es schlimmeres für mich, als den einzigen Menschen, welcher mir zugetan war, zu verlieren.

Im Gegensatz zu meinen Schwestern, welche nur mit sich selbst beschäftigt waren, packte mich abermals die Neugier. Ich wollte mehr erfahren, über das, was in unserem Hause vor sich ging.

Mir war nicht wohl, als ich den dunklen Gang, der zur Treppe führte, entlang schlich. Schon von weitem drangen ihre lauten Stimmen an mein Ohr. Ein heftiger Streit hatte sich zwischen meinen Eltern entfacht.

Meine Mutter warf meinem Vater an den Kopf, dass sie all die Demütigungen nicht mehr über sich ergehen lassen wollte und mit uns Kindern davon fahren würde.

„Niemals wirst du diese Erlaubnis von mir erteilt bekommen!“, brüllte mein Vater, außer sich vor Wut. Das war jedoch nicht alles, was meine Mutter zu hören bekam.

Das er sie nicht mehr begehre und das ihre Schönheit schon lange verwelkt sei, so wie eine vertrocknete, unansehnliche Rose, welche man aus den Büschen herausschnitt, um den neuen Knospen mehr Platz zu bieten.

„Das ist nun der Dank dafür, dass ich diesem Hause Kinder geschenkt habe und mir nichts wichtiger war, als dein Wohl. Ich habe mich für dich sogar mit meinem Bruder verworfen, welcher mir doch immer so am Herzen lag, nur weil du es von mir verlangt hast.“

„Du weißt genau, warum wir diesen Taugenichts aus unserem Leben gestrichen haben“, hielt mein Vater dagegen.

Meinen sicheren Platz, an der Balustrade, musste ich aufgeben, denn Mutter hatte wohl genug von dem ganzen. Hastig kam sie die Treppe hinauf geeilt. Mir blieb nichts weiter, als auf dem schnellsten Wege den Rückzug anzutreten. Unbemerkt suchte ich den Schutz meines Kinderzimmers auf.

Ich hörte das Einrasten ihrer Tür, was mir sagte, dass die Luft rein war.

Erneut wagte ich den Versuch, hinunter in die große Halle zu blicken, um herauszufinden, wie die Dinge sich entwickelten, denn ich ahnte, dass jenes Drama bei weitem noch nicht zu Ende war.

Meines Vaters Gesicht war mit seinen Handflächen überdeckt. Im Schein des gedämpften Lichtes wirkte sein Haar ergraut, was ihn viel älter erscheinen ließ. Die Vermutung lag nahe, dass er den Streit bereute. Womöglich war er sich über seine nächste Handlung unschlüssig, denn seine Füße durchquerten einmal den Raum, ohne sich zu entscheiden, wohin sie meinen Vater tragen sollten.

Die Tür, hinter ihm, öffnete sich. Herein trat Angelie. Sie schien meinen Vater trösten zu wollen, indem sie ihre Arme um ihn schlang. Ihre Lippen suchten verzweifelt nach den seinigen, welche er nicht freigeben wollte. Aber die Flehende verspürte nicht den Drang, aufgeben zu wollen, stattdessen wurden ihre Zuwendungen heftiger, welche meinem Vater offensichtlich nicht zusagten. Mit einem heftigen Stoß drängte er Angelie von sich weg und drehte ihr den Rücken zu.

Das Wort Liebe drang an mein Ohr. Verzweifelt warf sich die Gouvernante auf den Boden und eine Flut bitterer Tränen rann über ihre Wangen.

Der Anwesende ließ sich erweichen und reichte ihr seine Hand.

Erleichtert sprang Angelie in die Höhe. Als dann seine heftigen Küsse sie ereilten, verstand ich die Welt nicht mehr. Noch eben war er drauf und dran, sie hinauszuwerfen und plötzlich, binnen eines Augenblicks, hatte er seine Meinung geändert. Aber was dann geschah, erschreckte mich zutiefst. Es ging weit über das hinaus, was ich schon jemals gesehen hatte. Mein Vater zog Angelie das Kleid über die Schultern, sodass ihre nackten Brüste zum Vorschein kamen.

Ich lief zurück, in mein Zimmer und verkroch mich im Schutze meiner Bettdecke. War es denn möglich, dass ein Mann, vor Gottes Angesicht, zwei Frauen lieben konnte? Man hatte mich gelehrt, die Familie zu ehren und mich selbst von jeglichen Sünden fernzuhalten. Um so überraschter war ich jetzt, dass mein Vorbild, was meinen Vater an betraf, im Begriff war, jegliche Regeln zu brechen. Die Angst überkam mich, dass Gott uns alle für sein lasterhaftes Verhalten bestrafen würde.

 

„Lacey, wach auf! Du musst dich für das Frühstück fertigmachen!“, ertönte am Morgen die liebevolle Stimme Angelies, welche dafür Sorge zu tragen hatte, dass alle Kinder der Blairs sich wie immer, zur rechten Zeit, im Salon einzufinden hatten.

In aller Eile sprang ich aus dem Bett. Der Anblick meiner zwei Schwestern, welche bereits gewaschen und angezogen, voller Unruhe, auf mich warteten, versetzte mich in Panik.

Wie hatten unsere Eltern doch gesagt: „Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der bekommt auch nichts mehr von dem süßen Pudding ab.“

Der wurde nämlich immer zuerst aufgetischt, um uns Kinder zur Pünktlichkeit zu animieren.

Wie fast an jedem Morgen, beherrschte eisiges Schweigen das Geschehen, sodass ich mich selbst mit meinen Worten zurückhielt. Meine Augen wanderten abwechselnd zwischen den finsteren Mienen meiner Eltern hin und her. Wie Fremde saßen sie sich gegenüber.

„Können wir heute Nachmittag mit Angelie in den Park gehen?“, warf ich ein, um endlich dieser anhaltenden Tristesse ein Ende zu setzen.

Ein Schrecken durchzog mich, als meine Mutter das Besteck auf den Tisch warf und sich in aller Eile erhob.

„Hab ich etwas falsch gemacht?“, wollte ich wissen.

Mutter antwortete nicht. Sie verließ wortlos und ziemlich aufgebracht den Raum.

Es war das letzte Mal, dass sie an unseren Mahlzeiten teilgenommen hatte. Manchmal sah ich sie im Garten sitzen, wie sie ohne jegliche Reaktion auf den Boden starrte, so als wäre schon alles Leben aus ihrem Innersten entwichen. Dann fragte ich mich, ob sie wusste, dass es uns Kinder noch gab.

Zweimal in der Woche tauchte ein Arzt bei uns auf, welcher eine Vielzahl von Pillen zurückließ, die zur Genesung meiner Mutter beitragen sollten. Sie schluckte sie alle, genauso wie Angelie sie ihr verabreichte. Warum sie sich den Magen damit füllte, wenn sie sowieso nicht die gewünschte Wirkung mit sich brachten, war mir ein Rätsel. Was ich ja nicht ahnte, war die Tatsache, dass diese Pillen das ganze Gegenteil von dem bewirkten, was ich mir erhoffte. Sie war doch niemals ernsthaft krank gewesen.

Mein Vater erzählte uns Kindern, dass er nur noch wenig Hoffnung besäße, dass sie noch lange unter den Lebenden weilen würde. Ich machte mir schreckliche Vorwürfe und fühlte mich so unsagbar miserabel. Ich hoffte darauf, dass meine Mutter mich auf ihrer Reise ins Jenseits mitnehmen würde.

Als sie nicht mehr auftauchte, drängte es mich danach, trotz des Verbots meines Vaters, sie in ihrem Zimmer zu besuchen. Kalkweiß wirkte ihr Gesicht und ihre Augen waren geschlossen, als ich an ihr Bett herantrat. Ich nahm ihre Hand und hielt sie ganz fest. Sie hob nur langsam ihre Lider, so als wären sie mit Schwere behaftet.

„Ach, du bist es, mein gutes Kind“, sprach sie leise. „Bitte deinen Vater darum, Jeffrey einen Brief zu schreiben. Er muss herkommen, solange ich noch am Leben bin.“

Ein tiefer Schmerz durchzog mein Innerstes. Tod, mit diesem schrecklichen Wort wollte ich nichts zu tun haben. Sie sollte doch leben und für uns Kinder da sein, genauso wie eine gute Mutter es tat.

Vater schrieb den gewünschten Brief. Er sorgte jedoch dafür, dass jenes Schriftstück seinen Sohn niemals erreichte, denn wie sich später heraus stellte, hatte er ihn nie abgeschickt.

Es war auch kein Geheimnis mehr, dass mein Vater Angelie hörig war. Sie küsste ihn, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Auch die Nächte verbrachte sie schon längst in seinem Schlafzimmer. Und irgendwann, da kam der Tag, an dem sie an unseren Mahlzeiten teilnahm. Sie ließ sich stolz zu jenem Platz führen, welcher seit Tagen leer war. Niemand hatte sich bisher gewagt, jenen verwaisten Stuhl in Besitz zu nehmen, denn noch immer war die Aura meiner Mutter allgegenwärtig.

Ein zufriedenes Lächeln zierte Angelies Mund, was sie an uns Kinder weitergeben wollte. Ich jedoch, dachte an meine geliebte Mutter, welche bereits für tot erklärt schien, obwohl sie von Gott noch nicht dazu berufen war.

Stur blickte ich auf meinen Teller. Angelie war doch nur unsere Gouvernante und jetzt wollte sie einen Platz einnehmen, der ihr in keinster Weise zustand. Dieser Gedanke machte mich fast wahnsinnig.

Und das sie plötzlich viel eleganter gekleidet war, verstärkte meinen bereits vorhandenen, schlechten Gemütszustand erheblich. Pastelltöne waren ihre bevorzugten Farben, welche sie am liebsten trug.

Einmal sah ich meinen Vater, wie er Angelie ein Geschmeide um ihren schlanken Hals legte, welches meine Mutter oft getragen hatte, da sie es so mochte. Ich protestierte und schrie die Beiden an, dass es nicht rechtens sei, so etwas zu tun.

Mein Vater riss vor Schreck Angelie das kostbare Schmuckstück vom Hals und versteckte es sogleich in seiner Tasche.

„Komm doch mal her, zu mir!“, forderte die Gouvernante und winkte mich zu sich heran. „Du kannst mir glauben, dass ich sehr darum bemüht bin, euch eine gute Mutter zu sein. Väter sind genauso wichtig, jedoch können sie nicht jedes Problem ihrer Töchter lösen und dazu sind dann eben die Mütter da.“

Noch nicht vor allzu langer Zeit, stand mir der Sinn danach, genauso zu werden, wie meine einst so geliebte Gouvernante. Aber nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich nur noch Hass für sie empfand. Mittlerweile war ich alt genug, um zu verstehen, dass das ganze Leben nur ein Spiel war, indem es galt, sich seine Vorteile zu sichern. Das machte mich wütend und traurig zugleich, da ich doch begriff, dass unser aller Leben dem Untergang geweiht war.

Mutter schloss für immer ihre Augen an einem grauen, trüben Wintertag, als ich gerade kurz vor meinen sechzehnten Geburtstag stand. Für mich brach eine Welt zusammen, hatte ich mir doch immer eingeredet, dass noch alles gut werden würde.

Eine Woche nach der Beerdigung hörte ich einen der Transportwagen heranrollen. Ich wusste genau, warum er gekommen war.

So schnell ich laufen konnte, machte ich mich auf, das Zimmer meiner Mutter aufzusuchen. Alles, was ihr einst lieb und teuer war, würde dort bald nicht mehr vorhanden sein.

Das Schreibpult fiel mir auf. Die Schubladen waren allerdings verschlossen. Und so sehr ich auch an ihnen rüttelte, sie waren einfach nicht gewillt, sich zu ergeben.

Gleich würden sie kommen und mich hier erwischen, so glaubte ich und dann wären mir die verdienten Schläge meines Vaters gewiss.

Ein Brieföffner, der sich auf der Ablage befand, erlangte meine Aufmerksamkeit. Mit zittrigen Händen nahm ich ihn auf und versuchte mich daran, den Widerstand meines hölzernen Gegenspielers zu brechen. Was für einen Erfolg ich doch verbuchen konnte, als ich schließlich als Sieger hervorging. Da war sie, diese geheimnisvolle Kiste, welche Mutter wohl viel bedeutet haben musste, denn stets hielt sie sie unter Verschluss.

Ich verschanzte mich in meinem Zimmer. Die Kiste noch fester in meinen Händen, nachdem ich ihre schweren Schritte vernahm. Und als die Männer wieder verschwunden waren, machte ich mich auf, um nachzusehen, was sie übrig gelassen hatten. Zu meiner Verblüffung erwies sich der Raum als völlig leer. Selbst die Bilder waren von den Wänden verschwunden.

Angelie trat plötzlich an meine Seite. „Was für ein schöner Raum, so hell und freundlich. Eben das ideale Zimmer für ein Kind, welches ich irgendwann hoffe, zu empfangen.“

Für mich war es nicht verwunderlich, dass Angelie so befreit wirkte, denn nun stand ihr niemand mehr im Wege, der ein Hindernis für sie darstellte, die neue Herrin des Anwesens zu werden.

Immer wieder drängte sie meinen Vater dazu, sie zu heiraten. Doch der haderte noch mit dem Eheversprechen, da er von seinem schlechten Gewissen geplagt wurde, dass er womöglich an dem Tod seiner Gattin mitverantwortlich sei. Angelie wurde daraufhin hysterisch und verkroch sich in ihrem Schlafgemach. Natürlich hoffte sie darauf, dass er ihr reumütig folgen würde, denn mit ihren weiblichen Reizen bekam sie ihn immer herum.

Sie hörte seine Schritte und öffnete hastig die Bänder, oberhalb ihres Kleides.

„Du musst es mir versprechen, hörst du? Wenn du es nicht tust, dann kannst du gleich wieder gehen!“, sprach sie mit Nachdruck.

„Aber ich liebe dich doch“, wurde sie beschworen.

„Sag es, jetzt sofort!“, sprach Angelie und begann damit, sich auszuziehen.

Tatsächlich war mein Vater diesem jungen Ding, das nicht älter, als fünfundzwanzig Jahre alt war, auf Gedeih und Verderb verfallen. Ihr göttlicher, schneeweißer Körper trieb ihn fast in den Wahnsinn.

„Versprichst du es?“, säuselte sie und spreizte ihre Schenkel.

„Aber ja, alles was du willst!“, rief er, ohne darüber nachzudenken, was für schwerwiegende Worte gerade über seine Lippen gekommen waren. Das Einzige, was er jetzt noch wollte, war, seine Lust an ihrem Körper zu stillen, was sie ihm nicht verweigerte. Sie wand ihren Leib, wie eine Schlange, um ihrem Liebhaber das Gefühl zu geben, dass sie gierig sei, nach seiner körperlichen Wärme.

Als alles vorbei war, ließ er sich erschöpft auf ihr nieder. Sein schwerer Atem drang ihr ins Ohr.

„Wann willst du mich in die feine Gesellschaft einführen?“, fragte Angelie, ohne Umschweife.

Diesmal wollte sie sich nicht, wie die Male zuvor, mit dem Satz: „Bald mein Herz, bald“, begnügen. Nein, diesmal verlangte sie nach einer genaueren Antwort.

„Wie stellst du dir das vor? Es ist nicht so einfach, eine Gouvernante zu ehelichen, wenn man unter den Adligen einen hohen Stand besitzt.“

Angelies Gesichtszüge verfinsterten sich.

„Dann werde ich noch heute meine Koffer packen und für immer von hier verschwinden!“, kündigte sie an.

Natürlich blieb sie da und schon nach zwei Wochen begannen die Hochzeitsvorbereitungen.

Einmal nahm sie mich zur Seite und flüsterte in ihrer sanftmütigen Weise: „Wenn ich die Herrin in diesem Hause bin, dann werde ich deinem Vater neue Kinder schenken und für euch wird dann hier kein Platz mehr sein.“

„Vater wird uns niemals wegschicken!“, schrie ich ihr entgegen.

„Aber Kind, du musst das doch verstehen, dass ich bald andere Pflichten habe, als den lieben langen Tag mit euch einfältigen Mädchen zu verbringen.“

Das mein Vater hereinkam, war für mich ein Segen, denn von ihm erhoffte ich mir die nötige Unterstützung. Doch das, was er sagte, entsprach ganz und gar nicht meinen Vorstellungen. Angelie wäre diejenige, welche darum bemüht sei, das Leben uns Kindern so angenehm wie möglich zu machen. Undankbarkeit und Selbstsucht warf er mir vor. Ich solle endlich lernen, mich anzupassen.

Weinend lief ich davon. Am Fenster des Ganges, welches dem Garten zugewandt war, blieb ich haften. Ich beneidete meine beiden Schwestern, die zwischen den Bäumen so völlig unbedarft, sich gegenseitig zu fangen versuchten. Sie hatten sich und ihren Sinn für das Unwesentliche.

Um auf andere Gedanken zu kommen, beschloss ich, mich ihnen anzuschließen. Doch anstatt mich in ihrer Mitte aufzunehmen, suchten sie das Weite. Mein Schicksal war es wohl, für immer ungeliebt zu bleiben und in der Asche der Einsamkeit zu vergehen.

Kapitel 2

Wie lange ich mit meinem Schmerz im Schatten der alten Eiche zubrachte, war mir nicht bewusst. Aber als ich die Schritte vernahm, welche immer näher an mein Ohr drangen, da blickte ich auf, um herauszufinden, wer uns da besuchen kam.

Ich erkannte ihn genau, denn auch über die vergangenen Jahre hinweg, hatte sich sein Gesicht kaum verändert. Warum mein Bruder Jeffrey erst jetzt auftauchte, erschien mir schleierhaft, musste ihn doch der Brief meines Vaters schon längst erreicht haben.

„Bist du das, Lacey?“, rief er erfreut, was schlagartig

meinen ganzen Kummer vertrieb.

„Ja ich bin es, ja ich bin es!“, wiederholte ich und lief völlig überwältigt auf ihn zu.

Ich fiel meinem Bruder in die Arme und hatte nicht vor, ihn jemals wieder loszulassen.

„Ist denn noch jemand zu Hause?“, unterbrach Jeffrey unsere Zweisamkeit.

Ich antwortete nicht, denn ich wollte nicht zurück, in diese gottverdammten Mauern. Stattdessen drängte es mich dazu, mich weiterhin an Jeffreys Körper zu schmiegen, denn die behagliche Wärme, welche von ihm ausging, verlieh mir neue Kraft.

„Ist denn keiner da?“, ließ er nicht locker.

„Sie wird dich genauso hassen, wie mich!“, rief ich verärgert, als er im Begriff war, mich loszulassen.

Jeffrey verzog das Gesicht. „Wen meinst du?“, wollte er wissen.

„Na, Angelie natürlich, wen sonst? Sie wird bald Vaters neue Frau. Und sie hat vor, uns Mädchen aus dem Hause zu vertreiben.“

Ein schrecklicher Gedanke ereilte Jeffrey. Sie war tot, seine eigene Mutter und er hatte nicht einmal die Gelegenheit dazu gehabt, ihr lebe wohl zu sagen.

„Vater hat dir doch einen Brief geschrieben, dass du kommen sollst!“, meinte ich etwas irritiert.

Wir gingen ins Haus. Ich war gespannt auf Angelies Gesichtsausdruck, wenn Jeff plötzlich vor ihr auftauchen würde.

Sie sortierte gerade die Blumen, in einer von den unzähligen Vasen, welche überall verteilt im Hause herumstanden. Sie liebte diesen Duft der frisch aufgeblühten Rosen, wenn er sie überall hin begleitete.

Als sie uns bemerkte, sagte sie kein Wort, aber das musste sie auch nicht, denn ihre weit aufgerissenen Augen sprachen für sich. Gute sechs Jahre waren vergangen, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Ihre Hoffnung, er möge nie zurückkehren, blieb unerfüllt.

„Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, warum du nicht nach Hause kommst, wo deine Mutter dich doch so gebraucht hätte“, log sie.

Ihr Blick fiel wieder auf die Blumen, als gäbe es nichts wichtigeres. Doch dann entschied sie sich dafür, uns wiederum ihre Aufmerksamkeit zu schenken. „Euer Vater hat es wirklich nicht leicht gehabt, mit seiner Entscheidung, Abby und Imogen auf ein Internat zu schicken“, fing sie an, nach Mitleid ringend.

„Was?“, rief ich erschrocken. „Aber hier ist doch unser Zuhause und nirgends anders.“

Der sanftmütige Gesichtsausdruck, welchen Angelie nur zu gern benutzte, um die Welt, um sich herum, in ihren Bann zu ziehen, kam auch diesmal wieder zum Einsatz. „Jeff, es ist wirklich das beste Internat, von dem man nur gutes hört“, gab sie mit Nachdruck von sich.

„Und was ist mit mir?“, fragte ich, denn für ein Internat war ich eindeutig schon zu alt.

„Natürlich bleibst du hier, bei uns, bis wir etwas passendes für dich gefunden haben, wo du gut aufgehoben sein wirst“, versuchte mich Angelie zu beruhigen.

Diese Worte verstand ich nicht. Ich legte in ihren Sinn auch keinerlei Bedeutung, denn jetzt, wo Jeffrey da war, da begann das Leben, von dem ich immer geträumt hatte. Währenddessen meine Schwestern schon bald die Enge des Internats durchlebten, wurden meine Tage von einem Überfluss an Leichtigkeit beherrscht.

Auch die Ehe schien Angelie gut zu bekommen, denn sie fühlte sich Zuhause, in der Welt des Reichtums. Auf jedem Empfang, den sie gab, war sie die Schönste und dieser Umstand ließ sie meine Wenigkeit vergessen. Ich tat, was ich wollte, ohne jegliche Vorschriften.

Doch eines Tages änderte sich alles. Ihr Name war Haily und sie konnte, was ihre Schönheit an betraf, Angelie durchaus das Wasser reichen. Ich hasste Jeff dafür, dass er sie zum Tanze bat und so vertraut mit ihr umging. Hatte ich doch immer darauf gehofft, dass sich unsere Wege niemals trennen würden. Sie wohnten, Gott sei Dank, etliche Meilen von unserem Haus entfernt, was ein Wiedersehen eher erschwerte. Meine Welt war wieder in Ordnung, als sie endlich fort waren.

 

Jeff und mich drängte es zum See, da wir die Hitze des Tages kaum noch ertragen konnten.

Ich erinnerte mich daran, als wir Kinder noch klein waren, wir manchmal zum See hinunter gegangen sind. Mutter hatte einen Picknickkorb packen lassen, den Vater dann höchstpersönlich hinunter zum Ufer trug. Ich liebte diese seltenen Stunden, da sie etwas ganz besonderes waren.

Jeff entledigte sich seiner Kleidung und rannte unerschrocken in das kalte Nass hinein. Ich war mir noch unschlüssig, besser gesagt, ich traute mich nicht, meine Sachen abzulegen.

„Auf was wartest du noch!“, rief mir mein Bruder entgegen.

Das er sich plötzlich umdrehte, um zur Mitte des Sees zu schwimmen, verlieh mir ein wenig Mut. Eilig streifte ich mir das Kleid über die Schultern, dann hielt ich inne, um einen letzten Blick auf Jeff zu werfen, der sich nicht im geringsten um mich scherte. Meine Unterwäsche landete schließlich im Gras. Splitternackt nahm ich nun den Weg zum Ufer.

Ich sah ihn kaum, in den leichten Wogen, doch erkannte ich wohl, dass sein Blick auf mich gerichtet war. Ich verschränkte verschämt meine Arme vor den Brüsten, um das zu verbergen, was sich im Laufe der Jahre an meinem Körper verändert hatte.

Die wärmende Kraft der Sonne hatte bei weitem nicht mehr solche Macht, wie sie vorgab. Das Wasser, was den See erfüllte, fühlte sich eisig an und bald schon verspürte ich keine Lust mehr, weiterzugehen.

„Na komm schon, du Feigling!“, ließ Jeff aus der Ferne verlauten. Das brachte mich in Rage. Ohne es mir anmerken zu lassen, dass mein Körper mittlerweile völlig durch gefroren war, schritt ich voran.

Jeff tauchte unerwartet ab. Verwirrt blieb ich auf der Stelle stehen. Erst hatte er mich in diesen See gelockt und dann verschwand er einfach. Es hatte wohl keinen Zweck mehr, weiter nach ihm Ausschau zu halten, kam es mir in den Sinn. Also trat ich ziemlich verärgert den Rückweg an. Jedoch kam ich nicht sehr weit, denn ein paar Hände umklammerten blitzartig meine Hüften und rissen mich unter die Oberfläche des Wassers.

Jeff warf mir einen, von List durchtränkten Blick zu. Seine Finger bahnten sich ihren Weg über meine Haut. Meine aufkommenden Gefühle spielten verrückt und machten mir Angst. Ich versuchte ihn von mir weg zu stoßen.

Nach Atem ringend, tauchten wir auf. Jeff verfiel in ein entsetzliches Lachen, welches mich fast um den Verstand brachte.

„Was soll das?“, rief ich, außer mir.

Aber anstatt mir zu antworten, packte er mich erneut und begann damit, mich mit wilden Küssen zu bedecken. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe und war nicht mehr in der Lage, meinen eigenen Körper zu steuern.

„Das dürfen wir nicht“, hauchte ich in sein Ohr, als ich endlich begriff, was er vorhatte.

Jeff zog meine Schenkel in die Höhe. Tatsächlich vereinte er sich mit mir, was äußerst schmerzhaft für mich war, doch ich ließ ihn gewähren und unterdrückte meine Qualen, weil ich ihn liebte und das von ganzem Herzen.

 

Wir saßen noch lange am Flussufer, da wir nicht den Mut besaßen, nach Hause zu gehen. Sicher würde man uns ansehen, dass wir etwas Unrechtes getan hatten.

„Kannst du mir versprechen, dass du mich nie verlassen wirst?“, wollte ich wissen, um sicher zu gehen, dass Jeff das gleiche für mich empfand, wie ich für ihn.

„So ein Versprechen kann man nicht geben“, entgegnete er ziemlich unterkühlt.

„Wieso nicht?“, hakte ich nach.

Jeffrey drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Du kannst nicht mit mir zusammen bleiben, da du, für dich selbst, mit deinen jungen Jahren, noch nicht genug Erfahrungen gesammelt hast.“

Seine ausgesprochenen Worte schmerzten dermaßen, dass mir ungewollt die Tränen in die Augen schossen.

„Ich tue alles, was du willst, wenn wir nur zusammen bleiben können“, flehte ich.

Das die See Jeffs eigentliches Zuhause war, das wusste ich schon seit längerem. Wenn er von seinen Reisen erzählte, bekamen seine Augen ein gewisses Leuchten, was mich daran erinnerte, dass er eines Tages von hier fortgehen würde.

Das er in jedem Hafen eine andere Braut zurückgelassen hatte, verleugnete er nicht. Aber ich wollte doch die Einzige sein, welche sein Herz besaß.

Meine Traurigkeit animierte ihn dazu, mich in seine Arme zu schließen, um mir Trost zu spenden, was ich sogleich als ein Zeichen seiner Reue deutete. Doch meine Wahrnehmung erwies sich als falsch, denn anstatt mich leidenschaftlich zu küssen, berührten Jeffs Lippen nur meine Stirn. Ich hasste diesen Zustand, dass er mich jetzt, nachdem was passiert war, tatsächlich wie seine Schwester behandelte.

Mich drängte es nicht danach, unseren Platz am See, jemals wieder zu verlassen. Sollte es doch unser geheimer Ort werden, an dem ich alles vergessen wollte, was den Trübsinn in mein Herz brachte. Doch Jeff war es, welcher wenig später zum Aufbruch drängte, da er glaubte, dass sie sowieso, früher oder später, nach uns suchen würden.

Als wir zu Hause eintrafen, verlieh uns Angelie, wie sooft, keinerlei Beachtung. Neue Vorhänge für den großen Salon hatten Vorrang.

„Ich weiß nicht, wie wir das alles schaffen sollen“, sprach sie völlig aufgelöst. „Ich habe ja gleich gesagt, dass wir mit der Verschickung der Einladungen noch mindestens zwei Wochen hätten warten sollen. Nun ist es zu spät. Uns bleibt nur die Hoffnung, dass Gott ein Einsehen mit uns hat.“

Was Angelie damit meinte, war nichts anderes, außer, dass es wiedereinmal Zeit war, einen Empfang zu geben. Jedoch nicht ohne ihren Reichtum, nach außen hin, zu präsentieren. Sollten etwa die Leute denken, dass sie nichts mehr besäßen?

„Wenn doch die Einrichter etwas flexibler wären, dann müsste ich nicht mehr um den Zustand meines Herzens bangen, welches mir im Moment ziemlich zu schaffen macht, da es vor lauter Aufregung unregelmäßig zu schlagen scheint“, übertrieb Angelie maßlos. „Lacey, denkst du, die neuen Vorhänge passen zu den Sitzpolstern der Stühle oder sollte ich eher einen helleren Ton wählen?“

Ich zuckte mit den Schultern, da ich noch immer meinen Körper nicht unter Kontrolle hatte. Die Tatsache, dass mich Jeff, noch nicht mal vor einer Stunde, entjungfert hatte, ließ mich keinen klaren Gedanken mehr fassen.

„Ach, was frag ich dich überhaupt, wo du doch keinerlei Sinn für das Schöne besitzt“, meinte Angelie sichtlich beleidigt, da ich ihr nicht zustimmend beipflichtete.

Jeff und ich gingen wieder nach draußen. Erleichtert atmete ich auf, war ich doch tatsächlich der Annahme, man könnte mir ansehen, dass ich meine Unschuld verloren hatte.

Die Lässigkeit, mit der sich Jeff gegen die Wand lehnte, imponierte mir. Überhaupt bewunderte ich ihn, nicht zuletzt für seine Lebenserfahrung, welche ihn so weltoffen erscheinen ließ. Ich liebte sein braunes Haar, was dem meinigen so ähnlich war. Der Stolz in meinem Inneren, dass ich jetzt jemanden besaß, der mir zugetan war, war immens.

„Es macht dir doch nichts aus, dass ich fast um zehn Jahre älter bin, als du?“, wollte er wissen.

Ich konnte nicht verstehen, warum er mich das fragte, hatte ich ihm doch nie einen Grund zu der Annahme gegeben, dass unser Altersunterschied für mich irgendwie relevant sei. Kurzentschlossen legte ich meine Arme auf seine Schultern, um ihm sanft über den Nacken zu streichen.

„Es ist mir egal, wie alt du bist, weil ich dich liebe, wie keinen anderen“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Jeffreys Lächeln wirkte plötzlich so gequält, dass ich mich fragte, ob er tatsächlich gewillt war, seine Lebensjahre für mich zu opfern, egal was uns die Zukunft auch bringen würde.

Das wir uns, als Bruder und Schwester, vor dem Herrn versündigten, indem wir unsere Liebe auslebten, war mir schon lange klar. Was Jeffrey wirklich darüber dachte, wusste ich nicht, aber das ich ihm nicht einerlei war, jenes zeigte er mir ganz deutlich.

Langsam schob sich seine Hand oberhalb meines Ausschnittes. Mir wurde schwindlig vor Erregung, sodass ich alle Mühe hatte, mich auf meinen Füßen zu halten. Gierig umschloss er meine Brust. Ein Stöhnen drang über seine halb geöffneten Lippen. Ich drängte mich an seinen Körper, denn auch ich fühlte dieses innere Verlangen, mich mit ihm zu vereinigen. Aber da, wo wir uns gerade befanden, war es für uns zu unsicher, um uns der Liebe hinzugeben.

Es war mir egal, ob Jeff eher unsanft meinen Arm ergriff, um mich in die naheliegende Scheune zu zerren. Am Ende wäre ich sowieso mitgegangen, egal was er auch angestellt hätte.

Er warf mich auf das staubige Stroh und schob ungeduldig meinen Rock über meine mit Strümpfen bedeckten Knie. Dann zog er mir die Unterwäsche über die Hüften und warf sie in einem hohen Satz davon. Sein Blick senkte sich auf meine blanken Brüste, die sich aus der Enge meines Kleides befreit hatten. Jenes erregte Jeff so sehr, dass er nicht mehr an sich halten konnte.

Meine Schenkel waren bereits gespreizt, sodass er freien Zugang hatte, um endlich in mich einzudringen. Ich schrie auf, als er den Akt vollzog. Jeff schien das in keinster Weise wahrzunehmen, denn seine Gier schien grenzenlos zu sein.

Wie besessen bewegte er sein Becken auf und ab. Ich versuchte in seinem Rhythmus zu bleiben, da ich doch alles dafür tun wollte, um ihn glücklich zu machen.

Es dauerte nicht lange, da war alles vorbei. Jeff ließ von mir ab und warf sich neben mich ins Stroh. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an.

„Bist du denn verrückt geworden?“, raunzte ich ihn an und zog ihm das Ding aus dem Mund, da mich die Angst überkam, dass ein Feuer unser aller Leben in Gefahr bringen könnte. Jeffrey lachte mich aus und bezeichnete mich als überängstlich.

„Ist da wer?“, vernahmen wir plötzlich eine Stimme.

„Verdammt!“, schimpfte mein Bruder, sprang auf und riss mich hoch. Unbehelligt verließen wir die Scheune und versteckten uns zwischen den aufgeschichteten Holzscheiden, welche nicht weit entfernt, uns den nötigen Schutz boten.

„Ich muss zurück!“, brüllte ich Jeff entgegen, welcher mir augenblicklich mit seiner Hand den Mund verschloss.

„Willst du etwa, dass sie uns finden?“, meinte er ziemlich brüskiert darüber, dass beinahe unser Versteck aufgeflogen wäre.

Doch, was nützte uns das, würde man uns doch sowieso auf die Schliche kommen, denn meine Unterhose befand sich noch immer in der Scheune.

Die Hoffnung, dass mein Vater jenes verhängnisvolle Indiz niemals zu Gesicht bekommen würde, zerschlug sich augenblicklich, als der Bursche, welcher bei uns in Brot und Lohn stand, in seinen Händen einen Gegenstand fest umschlungen hielt, der mir sehr bekannt vorkam. Jeff drängte mich zurück, als ich beschloss, mein Eigentum zurückzuholen.

„Jedem könnte das Ding gehören“, versuchte er mich zu beruhigen.

Natürlich könnte dies der Fall sein, aber was wir nicht bedachten, war die Tatsache, dass meine mit Spitzen besetzten Hosen keiner Dienstmagd zuzuschreiben waren. Unser Glück war es, dass jenes verdächtige Teil niemals das Innere unseres Hauses erreichte, sondern der Knecht es lieber seiner Angebeteten zukommen ließ, die nichts gegen so schöne, feine Unterwäsche einzuwenden hatte.

Jeff riet zur Vorsicht. Er meinte, dass wir nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen wären. Allerdings hielt ich diesen Zustand der Enthaltsamkeit nicht lange aus. Immer wieder drängte es mich in seine Nähe, denn ich wollte seine Umarmungen spüren, welche mir doch so sehr fehlten.

„Ich kann so nicht leben!“, waren meine Worte, als Jeff den üblichen Sicherheitsabstand einhielt, da er glaubte irgendjemanden von dem Dienstpersonal gesehen zu haben.

„Ich will, dass es wieder so wird, wie am See“, verlangte ich.

„Wir können aber kein Risiko eingehen“, gab mir mein Bruder zu verstehen.

„Und wie soll es dann weiter gehen?“, fragte ich, in meiner Verzweiflung.

Wir verabredeten uns für die kommende Nacht. Dann, wenn alle zu Bett gegangen wären, genau dann, wollte ich Jeff aufsuchen. Niemand würde sich um uns scheren und wir könnten uns lieben, solange uns der Sinn danach stand.

Den Rest des Tages fiel es mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, fühlte ich mich doch so einsam.

Wie eine Katze lag ich am Abend, in meinem Zimmer, auf der Lauer und wartete darauf, dass mein Vater und Angelie endlich ihr Schlafzimmer aufsuchen würden. Erst dann fühlte ich mich sicher.

Mich überkam die Wut, als sie auch, zu späterer Stunde, keinerlei Anstalten machten, meinem Wunsch zu folgen. Schließlich begab ich mich in den Schatten des Treppengeländers und blickte missmutig nach unten.

Ja, sie waren immer noch da. Mein Vater strich über Angelies Bauch. Ein Stich schoss mir durchs Herz. Was für eine Katastrophe, dachte ich. Wenn Angelie tatsächlich ein Kind unter ihrem Herzen trug, dann war ich verloren.

Ich beschloss, Jeffrey gleich aufzusuchen, denn ich musste ihm unbedingt von meiner Beobachtung berichten.

Weinend kroch ich zu ihm ins Bett und suchte nach dem nötigen Trost. Meines Bruders Zärtlichkeiten ließen mich alles vergessen, was mich vorher so bewegt hatte.

Gegen Morgen verschwand ich wieder in meinem Zimmer, um mich für das Frühstück fertig zu machen. Ich ahnte ja nicht, was mich im Salon erwartete. Angelies feinem Gehör war nicht entgangen, dass Jeff, in der vergangenen Nacht, in seinem Zimmer nicht allein war. Das lustvolle Stöhnen, was unser Liebesspiel ummantelte, trug Konsequenzen mit sich.

Angelies derbe Worte: „Sie treiben es miteinander!“, durchzogen plötzlich die allmorgendliche Stille, als ich eintraf.

Ich blickte auf. Was hatte sie gesagt? Angsterfüllt sah ich meinen Vater entgegen, welcher zu Stein erstarrt war.

„Lacey, sag, dass das nicht war ist!“, sprach er, sich langsam wiederfindend.

Tränen der Verzweiflung bildeten sich in meinen Augen.

„Ich kann es nicht abstreiten, dass ich Jeff liebe“, entgegnete ich.

Als mein Bruder hinzukam, wurde er mit einer heftigen Ohrfeige begrüßt, welche Vaters Wut widerspiegelte.

„Sie ist deine Schwester, du Taugenichts. Geh zu einer Hure und befriedige dort deine Fleischeslust!“, schimpfte er.

Ich hasste Jeff dafür, dass er meinem Vater nicht Rede und Antwort stand, mich verführt zu haben. Stattdessen setzte er ein beleidigtes Gesicht auf und warf mir einen Blick entgegen, so als sei ich an allem schuld.

Ich lief hinaus, um mit meinem Schmerz alleine zu sein. Warum hatte Jeffrey nicht zugegeben, dass er mich liebte? Ich verdrängte den furchtbaren Gedanken, er könne mich womöglich nur dazu benutzt haben, um seine Triebe auszuleben, vehement beiseite. Wahrscheinlich fühlte sich mein Bruder nur befangen. Der Schock darüber, dass sie erkannt hatten, dass wir mehr, als nur Geschwisterlichkeit füreinander empfanden, saß sicher tief.

Er würde es sagen, ja, er würde es ihnen sagen, dass wir zusammengehörten und nichts uns trennen könne.

Kapitel 3

Alles war vorbereitet, für den großen Empfang, welcher unser Haus wieder in das rechte Licht setzen sollte, denn schon seit längerem machte ein Gerücht die Runde, dass Gottlosigkeit unsere Mauern beherrschte. Nur aus reinem Anstand nahmen Jeff und ich an dieser Zeremonie teil, die doch aus nichts anderem bestand, als aus Heuchelei und falschem Getue.

Den ganzen Abend versuchte mich Angelie vehement von meinem Bruder fernzuhalten, somit wollte sie den anderen wohl beweisen, dass unser Verhältnis nicht so eng war, wie es die Meisten annahmen. Jedoch machte ihr meine Hartnäckigkeit einen Strich durch die Rechnung, denn Angelie, welche es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mich als ihre Gefangene zu betrachten, war gleichzeitig dazu angehalten, sich den feinen Damen der Gesellschaft zu widmen, um ihren niederen Stand, den sie trotz ihrer Heirat mit meinem Vater immer noch innehielt, möglichst schnell vergessen zu lassen.

Ich nutzte diese Momente natürlich schamlos aus, um mich an Jeffs Fersen zu heften. Wie sehr wünschte ich mir doch einen Moment mit ihm allein, denn seine leichte Art, mit der er die Damenwelt bezirzte, war unwiderstehlich. Ich versuchte mir einzureden, dass er dies nur tat, um von unserem Verhältnis abzulenken. Aber irgendwann waren diese Schmeicheleien, welche er dem weiblichen Geschlecht zukommen ließ, nur noch widerlich. Ich bat ihn, mit hinaus zu kommen, um uns der Zweisamkeit hinzugeben. Aber Jeffrey weigerte sich. Er meinte, es sei nicht von Vorteil, das Fest zu verlassen, denn die Dinge seien gerade dabei, sich zum positiven zu entwickeln. Er war dafür, sich weiterhin in acht zu nehmen. Lautstarke Vorwürfe meinerseits, waren die Folge. Das er nicht im geringsten an meinen Gefühlen interessiert sei, lastete ich ihm an.

Mein Vater tauchte auf. Zu meiner Verärgerung nahm er Jeff mit sich. Eine kleine Männerrunde, die sich am Ende des Salons eingefunden hatte, war sein Ziel. Ich wäre ihnen so gern gefolgt, aber das ausdrückliches Verbot meines Vaters hielt mich davon ab. Nun stand ich allein da und niemand schien sich wirklich für mich zu interessieren.

Ich beschloss, mich auf einen der freien Stühle zu begeben, um das Geschehen besser beobachten zu können. Etwas versteckt, in der Menge, machte ich plötzlich ein Gesicht aus, welches mir wohl gekannt war. Haily unterhielt sich angeregt mit Angelie. Sie waren so vertraut miteinander, dass man den Eindruck gewann, sie seien gar Freundinnen. Ich hasste diesen Anblick und wendete mich verärgert von ihnen ab. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich für manche doch nicht so uninteressant war, wie ich angenommen hatte, denn ich konnte ganz genau beobachten, wie mich einige der Gäste, aus der Ferne, mit ihre Aufmerksamkeit bedachten. Und ich konnte es ihnen von den Lippen ablesen, dass sie nicht gut auf mich zu sprechen waren.

Jeff kam zurück, um mich zum Tanzen mitzunehmen, was mich wieder in eine bessere Stimmung versetzte. Doch statt diesen ausgelassenen Zustand mit mir zu teilen, blieb mein Bruder eher ernst, was mich stutzig machte.

„Was ist denn mit dir, du Spaßverderber“, stachelte ich ihn an.

„Was soll sein?“, antwortete er desinteressiert und versuchte ein Lächeln aufzulegen.

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas vor mir verheimlichen wollte. Doch mein Bruder war nicht bereit dazu, mir auf meine Fragen Rede und Antwort zu stehen. Stattdessen tat er so, als wüsste er nicht, was ich meinte.

Nach zwei Tänzen gaben wir auf. Ich verspürte einen solchen Durst, dass ich meinen Bruder bat, mir eine Erfrischung vom Buffet zu holen. Erst zu spät bemerkte ich meinen Fehler, ihn weggeschickt zu haben.

Angelie und Haily liefen Jeffrey geradewegs in die Arme. Ich ahnte, was sie vorhatten. Ohne Umschweife machte ich mich auf, zu ihnen vorzustoßen. Angelies Blick traf mich aufs Heftigste, als sie mich wahrnahm. Ich konnte beobachten, wie sie Haily etwas zuflüsterte, was jene veranlasste, sich sofort den Arm von Jeff zu greifen, um ihn auf das Tanzparkett zu geleiten. Ich konnte es nicht verhindern und die Eifersucht packte mich.

Wie sie sich bewegte, dieses hinterhältige Biest, welches bereit war, meines Bruders Verstand zu lähmen. Wie ich sie doch hasste, dieses elende Geschöpf, was glaubte zur Königin geboren zu sein, um sich an dem zu vergreifen, was einzig und allein mir gehörte. Ich hoffte darauf, dass Jeffs Lächeln nur aufgesetzt war und nicht etwa aus seinem Herzen heraus kam.

Das Angelie sich noch immer in der Nähe des Tanzpaares befand, hielt mich zurück, meinen Plan, die Beiden auf dem schnellsten Wege zu trennen, zu verwirklichen.

Erleichterung stellte sich in meinem Innersten ein, als die Kapelle endlich, das in die Länge gezogene Musikstück beendete.

Aber anstatt zu mir zurückzukehren, zog es Jeff lieber vor, Haily zu folgen.

Eine kleine Gruppe, in der sich erneut vier Männer versammelt hatten, sahen sie als ihr Ziel an. Ich beschloss, ihnen dieses Mal tatsächlich zu folgen, um herauszufinden, was sie vorhatten, denn ihre Gesichter wirkten ernst.

„Wo willst du denn hin?“, fragte Angelie, welche plötzlich vor mir auftauchte und unsanft meinen Arm ergriff.

„Ich will zu Jeff!“, meinte ich trotzig und versuchte mich loszureißen. Doch Angelie dachte nicht daran, mich freizugeben, stattdessen bohrten sich ihre Finger in mein Fleisch hinein, sodass es anfing zu schmerzen.

„Du tust mir weh!“, rief ich so lautstark, dass sich die Leute in unserer unmittelbaren Nähe nach uns umdrehten und Angelie nichts weiter blieb, als mich loszulassen.

„Du wirst schon sehen, was du davon hast!“, bekam ich zu hören.

Sie blieb zurück und ich lief los.

„Jeffrey, Jeffrey! Komm, lass uns tanzen!“, forderte ich und riss meinen Bruder aus dem Schoße des Geschehens heraus.

Ich hielt es nicht aus, ich musste ihn einfach fragen, was der Inhalt der vorangegangenen Zusammenkunft gewesen war. Jeff schluckte und verlor augenblicklich seine Gesichtsfarbe, was mich äußerst beunruhigte.

„So rede doch mit mir!“, herrschte ich ihn an und heftete meinen Blick abwartend auf sein Gesicht.

„Ich erkläre es dir, wenn du heute Nacht zu mir kommst“, versuchte er meine Neugier fürs Erste zu stillen.

Nur ungern gab ich mich mit diesen nichtssagenden Worten zufrieden, denn Angelie suchte erneut meine Nähe. Sie hatte beschlossen, mich für den Rest des Abends, nicht mehr außer acht zu lassen.

Wie eine Ewigkeit erschien es mir, bis die letzten Gäste endlich den Weg nach Hause antraten.

Statt auf mein Zimmer zu gehen, rannte ich, wie vom Teufel getrieben, durch den Gang. Ich riss die Tür zu Jeffreys Zimmer auf und stürzte mich in seine Arme.

„Es gibt doch nichts, über was ich mir Sorgen machen müsste, oder?“, fragte ich mit der Naivität eines verstörten Kindes, welches nicht wahrhaben wollte, dass das bisher durchlebte Märchen aus nichts, außer einer Scheinwelt bestand.

Jeff hielt mich fest. Ich flehte ihn an, mir endlich zu sagen, was geschehen war.

„Haily und ich werden heiraten“, sprach Jeff kaum hörbar.

Mein Herz krampfte sich zusammen.

Diese verlogenen Heuchler hatten es die ganze Zeit geplant und mir blieb ihr falsches Spiel verborgen, da der Zustand der Liebe mich mit Blindheit geschlagen hatte.

Jeff strich sich nervös durch sein Haar. „Das sie hübsch ist, täuscht doch nicht über die Tatsache hinweg, dass sie spindeldürr ist und man Angst haben muss, dass man ihr wehtut, wenn man ihr zu nahe kommt.“

Diese Worte kränkten mich zutiefst, zeugten sie doch davon, dass Jeff mit diesem Miststück wahrhaftig vorhatte, den Akt zu vollziehen. Mir war das alles zu viel, war ich doch diejenige, welche Jeff ganz für sich haben wollte.

„Warum hast du das alles zulassen?“, jammerte ich unter Tränen.

Wie es tatsächlich dazu gekommen war, jenes wusste mein Bruder selbst nicht. Plötzlich war in aller Munde, dass Haily einen Verehrer hatte, den vorher niemand so richtig kannte.

Die Heirat war beschlossene Sache. Was für mich zurückblieb, war, mich in meiner Einsamkeit zu suhlen, wenn sie Anfang der Woche kamen, um ihn abzuholen.

Man lernte ihn an, in der Bank von Rensfield, die Hailys Vater gehörte. Jeden dieser Tage hasste ich. Was mir blieb, war, sehnlichst auf die eintreffende Kutsche zu warten, die mir meinen Jeff, wie an jedem Freitag, zurück brachte.

Den ganzen Nachmittag lungerte ich vor unserem Haus herum, denn ich wollte seine Ankunft auf keinen Fall verpassen. Doch er kam nicht und Angelie erzählte mir, wenig später, dass er das Wochenende bei Haily verbringen würde.

Ich ließ mir nichts anmerken und machte mich auf zum See, um meinen unterdrückten Tränen freien Lauf zu lassen. Die Enttäuschung, allein gelassen zu sein, betrübte mich zutiefst. Er hatte es doch versprochen. Nein, er hatte es mir sogar geschworen, zu mir zurückzukehren.

Meine Augen waren auf die Mitte des Sees gerichtet. Ein Glücksgefühl durchzog mich, denn ich glaubte tatsächlich Jeff in den leichten Wogen wahrzunehmen. Ich wusste es doch, dass er mich nicht im Stich lassen würde.

Um keine Zeit zu verlieren, entledigte ich mich hektisch meiner Sachen. Jede Minute, mit ihm, schien mir doch so kostbar.

Wie ein Fisch wand ich mich durch das Wasser. Dann tauchte ich auf, um zu sehen, wo er geblieben war. Das Einzige, was ich entdecken konnte, war ein Teil einer morschen Wurzel, welche sich vor meinem Angesicht hin und her bewegte.

„Verdammt noch mal!“, schrie ich verärgert durch die Gegend. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich am ganzen Leib zitterte.

Enttäuscht kehrte ich ans Ufer zurück und warf mich, so nackt, wie ich war, ins Gras. Todessehnsucht packte mich, sodass ich den Willen verspürte, mich im See zu ertränken. Er verschluckte mich mit Haut und Haar, ließ mich dahin schweben wie eine Wassernixe, welche noch nie etwas anderes gesehen hatte.

Panik überkam mich, als ich keine Luft mehr bekam. Er wollte mich nicht, dieser verdammte See und spuckte mich wieder aus. Ich ging enttäuscht ans Ufer zurückging.

Als die Sonne hinter den Bäumen verschwand, beschloss ich, nach Hause zurückzukehren.

„Wo warst du denn die ganze Zeit? Wenn du noch etwas zu essen willst, dann musst du in die Küche gehen!“, erboste sich Angelie, über mein spätes Eintreffen.

Ich verspürte nicht den geringsten Appetit und beschloss gleich, zu Bett zu gehen.

Am nächsten Morgen ging es mir sehr schlecht. Hohes Fieber beherrschte meinen Körper. Dennoch versuchte ich aufzustehen, um meinen Zustand bekannt zu machen.

„Auch das noch!“, schimpfe Angelie.

Mein Vater wurde herbeigerufen, der wegen mir einen wichtigen Termin versäumte.

„Was machst du uns denn für Ärger?“, beklagte er sich bei mir und schickte mich zurück auf mein Zimmer.

Angelie überkam ein Nervenzusammenbruch. Wie von Sinnen wiederholte sie immer wieder den selben Satz: „Unser Kind wird sterben. Ja, es wird sterben.“

Damit war natürlich nicht ich gemeint, sondern das Leben, was sich in ihrem Leib heran entwickelte.

 

Am darauffolgenden Montag kam Jeffrey zurück. Ich verspürte allerdings kein Interesse daran, ihm zu begegnen, da ich über seine ungeplante Abwesenheit i noch immer beleidigt war.

Da es mir schon bedeutend besser ging, beschloss ich, mich durch die Hintertür davonzuschleichen. Im Wäldchen, welches sich unweit von unserem Haus befand, wollte ich mich verstecken.

Die dicht gewachsenen Bäume nahmen mich beherrschend in ihrer Mitte auf, so als sei ich ein Parasit, den sie nicht wieder loslassen wollten. Ich irrte umher, als wäre mir diese Gegend völlig fremd.

„Jeffrey!“, rief ich verunsichert.

Wieso kam er nicht, um nach mir zu sehen?

Ich erkannte die Lichtung und lief, so schnell ich konnte, darauf zu. Vielleicht war er wieder gefahren, nachdem er bemerkt hatte, dass ich mich nicht im Haus befand.

Die Kutsche hatte ihren Weg, zurück nach Rensfield genommen, was ich als großes Unglück empfand. Resigniert setzte ich mich auf die Stufen, vor unserem Haus. Ich glaubte zu träumen, als ich die Stimme meines Bruders vernahm, welcher sich meines Erachtens direkt hinter mir, in unserem Haus befand.

Die Tür öffnete sich. Heraus kam nicht Jeff sondern Haily, beschwingt wie immer.

„Lacey!“, sprach sie mich an. „Was machst du denn hier draußen?“

Ich verspüre keine Lust, mit ihr zu reden und ließ sie links liegen.

Endlich trat auch Jeff zur Tür heraus. Das ich mich ausgerechnet genau vor dem Haus befand, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Sein Lächeln schlug um, in eine bitter ernste Miene.

„Du Lügner!“, raunzte ich ihn an und lief davon.

Natürlich wollte ich ihm eine Chance geben, mir zu folgen, deshalb verkroch ich mich da, wo er mich am leichtesten finden würde, nämlich am See.

Am Ufer angekommen, hoffte ich darauf, dass er tatsächlich gewillt war, nach mir zu suchen. Wahrscheinlich würde Haily nicht bereit dazu sein, ihn gehen zu lassen.

Das Rauschen der hohen Gräser ließ mich aufhorchen. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen. Was, wenn es wieder nur eine Einbildung war, die mich heimsuchte? Doch dann hörte ich meinen Namen, was mir den Hinweis darauf gab, noch klar bei Verstand zu sein.

Ohne ihn gesehen zu haben, rief ich: „Warum hast du mich so lange warten lassen? Ist dir denn diese Haily wichtiger, als ich geworden?“

Jeff schnellte aus dem hohen Gras zu mir heran. „Was redest du da für einen Unsinn. Das du mir wichtig bist, habe ich dir doch oft genug bewiesen, oder nicht?“

Das hatte er wohl, aber nur dann, wenn er sich meinen Körper zu Eigen machen wollte. Nur dann versprühte er seinen Charme, dem ich natürlich nicht widerstehen konnte.

„Du musst mir nichts mehr vormachen. Ich bin alt genug, um zu verstehen, dass man das Glück nicht ewig festhalten kann.“

Wahrhaftig hatte ich allen Mut verloren. Ich musste damit leben, dass sich die Dinge geändert hatten.

Jeff zog mich zu sich heran und ich ließ es geschehen, auch wenn ich innerlich eine Blockade verspürte, der Wärme seines Körpers zu begegnen.

„Wir kommen euch besuchen, sooft wir können, dann schleichen wir uns davon und sind ganz für einander da“, versuchte mich Jeff zu trösten.

Für mich waren das alles nur leere Versprechungen, denn diese elende Kreatur, welche den klangvollen Namen Haily trug, war in unser Leben gedrungen. Sie würde sicher alles daran setzen, Jeff für sich zu beanspruchen.

„Morgen früh reisen wir wieder ab“, meinte mein Bruder, ziemlich niedergeschlagen.

Wieso redete er jetzt schon vom Abschied, wenn wir uns doch gerade erst wiedergefunden hatten?

Ich lehnte mich zurück und sah den Wolken hinterher, wie sie sich schwebend davonmachten. Jeff hielt einen Grashalm in der Hand und kitzelte mich an der Nase, was mich zum Lachen brachte.

„Und wenn ich ein Kind von dir bekäme, was wäre dann?“, wollte ich wissen.

Jeff wirkte überrascht. Er gestand mir, dass ihn seinerzeit, als er mit dem Schiff in Fernost unterwegs war, eine schlimme Infektion erwischte, an der er fast zugrunde gegangen wäre.

Mit einer dermaßen schlechten Neuigkeit hatte ich nicht gerechnet, erhoffte ich mir doch tatsächlich mit Jeffrey irgendwann ein gemeinsames Kind zu haben.

„Wenn man es so betrachtet, erweist sich dieser Umstand für uns sogar als äußerst vorteilhaft, denn was wäre, wenn du wirklich schwanger würdest? Es ist nicht gut, wenn sich das gleiche Blut miteinander vermischt. Eine Missgeburt könnte die Folge sein.“

Ich wollte das nicht hören und wendete mich von ihm ab.

„Nun sei doch nicht so“, gab er amüsiert von sich und begann damit, mir über die Hüfte zu streichen. Erbost ergriff ich seine Hand und schüttelte sie von mir weg, um ihm begreiflich zu machen, dass ich nicht sein Spielzeug war, was man benutzen konnte, wenn man gerade Lust dazu hatte.

Natürlich erhoffte ich mir, dass Jeff meine Zurückweisung nicht ernst nehmen würde, denn ich wollte ihn, ja, ich wollte ihn wirklich und das jetzt sofort. Zu meinem Glück gab mein Bruder tatsächlich nicht auf. Er beugte sich über mich.

Seine Finger bahnten sich den Weg unter meinen Rock. Mein aufkommendes stöhnen, was ich selbst nicht mehr unter Kontrolle hatte, veranlasste Jeffrey dazu, sich schleunigst seiner Hose zu entledigen. Meine derb gewebte Unterwäsche hielt ihn allerdings davon ab, endlich zum Zuge zu kommen. Ich entschloss mich dazu, mich deren höchstpersönlich zu entledigen, um Jeff die Gelegenheit zu geben, mich endlich zu besteigen.

Wie besessen liebten wir uns, denn vielleicht war es gar das letzte Mal, dass wir uns so nahe standen.

 

Mein helles Kleid wies einige Grasflecke auf, als wir wieder zu Hause eintrafen. Das machte mir nichts aus, sollte doch jeder sehen, dass Jeff und ich zusammen gehörten. Beabsichtigt schritt ich an Haily vorbei, um ihr zu zeigen, dass sie nicht den Hauch einer Chance besaß, Jeffs Herz zu erobern. Aber dieses Biest war wohl nicht bereit, so einfach aufzugeben.

„Willst du nicht hinaufgehen, um nachzusehen, dass die Dienerschaft nichts vergessen hat?“, rief sie meinem Bruder entgegen, welcher gerade den Weg zu uns fand.

„Was soll das?“, fragte ich erstaunt, hieß es doch, dass sie erst morgen früh die Reise, zurück nach Rensfield, bestreiten wollten. Jeff schluckte und fand keine Worte.

„Ich habe den Wagen, der dein Hab und Gut in unser zukünftiges Haus befördern wird, schon für heute geordert. Angelie meinte, dass wir mit den Hochzeitsvorbereitungen keine Zeit verstreichen lassen sollten.“

Das Haily so redete, zeugte wohl von ihrer inneren Angst, Jeffrey tatsächlich an mich zu verlieren. Meine Hartnäckigkeit, nicht aufgeben zu wollen, schien ihr ein Dorn im Auge zu sein. Wenn sie wieder in Rensfield ankämen, dann würde sie meinen Bruder, wie eine Spinne in ihrem Netz verankern, um ihn dort, bis in alle Ewigkeit zu belassen. Doch ich würde einen Weg finden, in ihr gottverdammtes Haus einzudringen, um meinen Jeffrey aus ihren Fängen zu befreien.

Der Transportwagen rollte an. Koffer, Möbelstücke und persönliche Dinge, welche Jeff an seine verlassene Heimat erinnern sollten, wurden verladen. Durch Hailys organisatorisches Geschick ging alles ziemlich schnell von statten, sodass bis zu ihrer eigentlichen Abreise noch ganze zwei Stunden blieben.

Ich war fest davon überzeugt, dass Jeff bereit war, mir diese Zeit zukommen zu lassen, doch Haily hatte sich an seinem Arm festgeklammert und war nicht gewillt, ihn jemals wieder los zu lassen.

„Wir sollten uns vor der langen Fahrt noch ein wenig die Füße vertreten“, säuselte Haily ihrem Zukünftigen entgegen und riss ihn regelrecht zur Türe hinaus. Mich drängte es danach, ihnen heimlich zu folgen. Ich wollte wissen, wie nahe sich die Beiden wirklich standen. Sie nahmen den Weg zum Wäldchen.

Als Jeffrey damit begann, Hailys Nacken mit Küssen zu bedecken, überkam mich der Wille, ihn von ihr wegzureißen. Doch ich wollte sehen, wie weit er vorhatte, zu gehen. Sie machten halt, an einem umgestürzten Baumstamm, um sich niederzulassen.

Das brachliegende Geäst erwies sich für mich, als ein hervorragendes Versteck. Was für ein glücklicher Umstand, denn nun konnte ich auch jedes einzelne Wort vernehmen, was das vermeintliche Pärchen von sich gab. Jeff schien mehr zu wollen, als nur Küsse auszuteilen, wogegen sich Haily zu wehren versuchte.

„Du weißt doch, dass es mir mein Glaube nicht gestattet, den Akt schon vor der Ehe zu vollziehen“, waren ihre Worte, die ich mit äußerster Genugtuung vernahm.

Zu meinem Unglück gab plötzlich ein morscher Ast unter meinen Füßen nach, der ein ziemlich lautes Geräusch von sich gab. Jeff und Haily horchten auf und blickten genau in meine Richtung.

„Lacey, wieso bist du uns denn gefolgt?“, fragte Jeff ziemlich verärgert.

Bevor ich etwas zu meiner Verteidigung vorbringen konnte, begann Haily sich einzumischen: „Es ist eine Schande, wie sich deine Schwester benimmt. Ich werde meinem Vater, nach unserer Ankunft in Rensfield, davon in Kenntnis setzen müssen, was hier vor sich geht“, zischte sie.

Ich verfiel in ein schallendes Gelächter, da ich ihre Drohung nicht ernst nahm.

Was konnte sie schon ausrichten, gegen meine Macht, welche ich besaß. Ich war gewillt, sie zu vernichten, kostete es mich, was es wolle.

„Wir müssen los, sonst wird uns die Dunkelheit verschlingen und du weißt doch, dass mich dieser Zustand äußerst unleidlich werden lässt“, fing Haily an, um endlich aus der elenden Situation herauszukommen.

Was sie damit meinte, war nichts anderes, als die Tatsache, dass sie hysterische Anfälle bekam, sobald der Himmel sich verdunkelte, da sie glaubte, dann von Räubern heimgesucht zu werden.

Ich folgte ihnen, wie ein Schatten, bis sie das Haus erreicht hatten. Das Gefährt nach Rensfield stand schon parat.

Wie ein Fremder ergriff Jeff flüchtig meine Hand. Dann verschwand er, Haily folgend, in der Kutsche und fuhr davon. Seine ganzen Habseligkeiten, die sich in dem Wagen danach befanden, schlossen sich ihnen an. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er nie mehr in dieses gottverlassene Haus zurückkehren würde.

Was Angelie mir dann eröffnete, konnte ich kaum glauben. In nicht ganz fünf Wochen sollte das große Ereignis stattfinden, welches Haily Twigley und Jeffrey Blair für immer miteinander verbinden sollte. Und alle, selbst ich, waren dazu eingeladen. Ich sah mich noch lange nicht bei jener Eheschließung, denn Angelie war drauf und dran, in den nächsten Tagen ihr Kind zu gebären, was unsere Reise in Frage stellte.

 

Kapitel 4

Schon seit längerem hatte Angelie nach einem passenden Kindermädchen Ausschau gehalten, welches dazu bereit war, sich des Kindes anzunehmen, was noch in ihrem Bauch ruhte. Man konnte sogar den Eindruck gewinnen, dass Angelie ihren Zustand der Schwangerschaft regelrecht verabscheute.

Mein Vater machte schon lange einen großen Bogen um sie, wahrscheinlich aus Angst, ihr wehzutun.

Angelie wollte schön sein und dabei ihrem Gatten doch gleichzeitig etliche Kinder gebären, damit er Stolz auf sie war und ihm für seine Manneskraft alle Ehre zufiel.

Die neue Kinderfrau, welche mehr oder weniger das große Los gezogen hatte, die nächsten Jahre im Hause der Blairs verbringen zu dürfen, war ein Mädchen, welches das Opfer einer Vergewaltigung gewesen war. Das Kind, was sie selbst gebar, machte keinen einzigen Atemzug, nachdem es den Leib der Mutter verlassen hatte. Als Angelie davon erfuhr, machte sie sich höchstpersönlich auf, das bedauernswerte Wesen aufzusuchen, aber nicht um ihr Mitleid kundzugeben, nein, das lag nicht in ihrer Natur. Sie kam einzig und allein aus dem Grund, sich selbst davon zu überzeugen, dass dieses Mädchen im Stande war, trotz der Totgeburt, ein Kind mit ihrer Milch zu versorgen. Außerdem ging das Gerücht um, dass Gott vergessen hätte, sie mit Schönheit zu segnen und das waren ideale Voraussetzungen, um eben jene in ihren Dienst zu nehmen.

In allen Punkten erwies sich die Begutachtung für Angelie, als äußerst zufriedenstellend. Oh ja, sie war genau die Richtige für ihre Zwecke. Man würde ihre neue Herrin vielleicht sogar als wohltätig und aufopfernd bezeichnen, so ein armseliges Geschöpf aufgenommen zu haben.

Als Angelie dann in den Wehen lag, und quälende Schmerzen ihren Körper heimsuchten, erschien neben ihrem Bett die neue Amme, welche engelsgleich auf die Geplagte hinwegsah. Ihr Lächeln wirkte trügerisch. Die Fremde legte ihre Hand auf den Bauch der Schwangeren und sprach ein paar Worte aus, welche Angelie nicht verstand. Ein Fluch! Ja, es musste ein Fluch sein, den diese Hexe, in Engelsgestalt, ihr auferlegte, so kam es der werdenden Mutter plötzlich in den Sinn.

„Verschwinde, du Ausgeburt des Bösen!“, rief die, mit Fieber geplagte, mit ihrer letzten Kraft.

Der Engel löste sich in Luft auf und eine der Hebammen begann damit, Angelies Stirn mit einem feuchten Tuch zu bedecken. Stunden, von erneuten Qualen getragen, ließen in ihr unbändigen Hass aufkommen. Wieso musste sie ihren Körper für etwas hergeben, was kaum noch zu ertragen war? Ihre Schreie wurden lauter, als das Kindchen endlich beschloss, seine schützende Höhle zu verlassen.

Ich verbrachte derweil meine Zeit, draußen, auf dem Gang und erhoffte mir, einen Blick auf mein Geschwisterchen werfen zu können.

Die neue Amme eilte hektisch an mir vorbei. Ihr Gesicht fiel mir auf, denn alles, was dort vorhanden war, passte irgendwie nicht richtig zusammen. Ihr Kopf war so rund wie einer von den Eierkuchen, die wir manchmal zum Frühstück aßen und ihre Nase klein und dick, was nicht gerade ansehnlich aussah. Noch dazu kam, dass sie sehr schmale Lippen besaß, die wie ein, mit Bleistift gezogener Strich wirkten.

„Wo ist sie denn, wo ist sie denn nur, verdammt noch mal!“, drang es aus dem Schlafzimmer heraus.

Eine der Hebammen zeigte sich und nahm das arme Geschöpf, dessen Unsicherheit nicht zu übersehen war, unter ihre Fittiche. Angelie atmete sichtlich auf, als sie sah, dass ihre vorangegangene Eingebung nur ein Hirngespinst war.

Vor ihr stand wahrlich nicht der Engel, welcher sie heimgesucht hatte, sondern eine Gestalt, deren Scheußlichkeit sie selbst erschreckte. Die Angst davor, von ihrem Gatten mit der Kinderfrau betrogen zu werden, hatte sich somit erledigt.

„Nun macht schon!“, ermahnte Angelie die Hebammen, welche das Neugeborene, was ein Junge war, einer gründlichen Wäsche unterzogen. Doch der neue Erdenbürger schien daran keinen Spaß zu haben und schrie, was seine Lungen hergaben.

„Habt ihr denn kein Verständnis, ihr emotionslosen Wesen, die ihr mir nicht mal ein wenig Ruhe gönnt!“, fing sie an zu jammern, denn ihre Nerven lagen mittlerweile blank.

„Du da, komm her, und sag mir deinen Namen, damit ich weiß, wie ich dich anreden soll!“, lautete ihre Forderung, nachdem die Amme den Buben aufgenommen hatte, um ihn aus dem Zimmer zu tragen.

„Zilla, heiße ich“, schoss es aus dem Mädchen heraus.

„So, Zilla also“, wiederholte Angelie abschätzig.

„Frag den Vater des Kindes, welchen Namen es tragen soll.“

 

„Kann ich es sehen?“, fragte ich erwartungsvoll, nachdem Zilla an mir vorbeizog, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Dem Vater gebührt immer das Vorrecht, den Neuankömmling zuerst zu begutachten“, sprach sie ein wenig erhaben und setzte ihren Weg fort.

„Ein Knabe!“, triumphierte Mr. Blair, nachdem die Amme ihm im Salon aufgesucht hatte, wo er sich in einer Herrenrunde dem Kartenspielen widmete.

Das Gesicht Zillas erreichte eine stinkende Wolke, erfüllt von dem Nebel einer brennenden Zigarre, welche Mr. Blair genüsslich rauchte.

„Die Herrin fragt, welchen Namen das Kindchen tragen soll“, versuchte die Amme, ihre Stimme wiederzufinden, die durch den beißenden Qualm sehr in Mitleidenschaft gezogen war.

„Komm, setzt dich her und leiste uns Gesellschaft“, forderte Mr. Blair.

Aber Zilla fand, dass es für das Kind nicht gut war, dieser schlechten Luft ausgesetzt zu sein.

„Na mach schon!“, wurde sie ermahnt.

Mr. Blair zog den leeren Stuhl neben sich zurecht, sodass Zilla darauf Platz nehmen konnte. Das Kindchen, welches vorher eher recht still gewesen war, fing nun an, zu schreien. Die Amme kannte genau den Grund für diesen Gefühlsausbruch. Der Drang nach Nahrung, löste diesen Umstand aus.

Das Kartenspiel erlag nun einer plötzlichen Unterbrechung, denn Mr. Blair hatte noch nicht seine Einwilligung dazu gegeben, dass es der Amme gestattet war, sich zu entfernen.

Unter den aufmerksamen Blicken der Anwesenden blieb Zilla nichts weiter, als ihre Brust zu entblößen, um dem jämmerlichen Geschrei endlich ein Ende zu setzen. Sie wagte sich nicht, in die Gesichter der anwesenden Herren zu blicken, da sie sich so furchtbar erniedrigt vorkam. Eilig legte sie den Buben an, welcher sofort sein Gezeter beendete.

Geschlagene zwanzig Minuten dauerte das ganze Prozedere, denn das Kind verfiel immer wieder in einen leichten Halbschlaf. Was niemand wusste, war der Umstand, dass ich nach wie vor, den Drang verspürte, den Neuankömmling, welcher tatsächlich dazu bereit war, diese elende Welt zu erkunden, in Augenschein zu nehmen.

Ich hörte nicht, was sie sprachen, denn sie gaben ihre Worte gedämpfter von sich, aber dennoch erkannte ich ganz deutlich, dass es Zilla nicht recht war, was in dem Raum vor sich ging. Sie hatte den Jungen von der Nahrungsquelle genommen und legte ihn an ihre Schulter. Mein Vater hatte nun nichts besseres zu tun, als selbst Hand an der Amme Brust zu legen.

Ich bekam es mit der Angst zu tun, als die Kinderfrau anfing, am ganzen Leibe zu zittern.

Wie vom Teufel getrieben, riss ich die Tür auf und fand mich plötzlich inmitten der Herrenrunde wieder. Mein Vater legte schlagartig sein vorhergegangenes, widerwärtiges Lachen ab und löste seinen Griff von Zilla.

„Darf ich ihn sehen?“, fragte ich, so unschuldig wirkend, wie möglich.

Mein Vater sollte auf keinen Fall glauben, dass ich irgendetwas mitbekommen hätte. Er wand seinen Blick von mir ab und beäugte nun erneut Zillas Gestalt. Was wäre wohl gewesen, wenn sie ihn alleine angetroffen hätte? Wo doch seine frisch erwählte, junge Gattin, um die ihn jedermann hier insgeheim beneidete, mit Unpässlichkeit geschlagen war.

Es wäre ihm wohl egal gewesen, ob sie seinem Ideal entsprach oder nicht. Immerhin waren in der Nacht alle Katzen grau, so hatte er einmal von sich gegeben, als er, wie ein läufiger Hund, jedem Rockzipfel hinterher stieg, um seine Befriedigung zu erlangen.

„Na, geht schon!“, meinte mein Vater, an uns gerichtet und nahm erneut seine Karten auf, als sei es nie anders gewesen.

 

Mit der Zeit freundete ich mich mit der Amme ein wenig an und jedes Mal, wenn das Wetter schön war und sie beschloss, mit Hayden an die frische Luft zu gehen, fragte sie mich, ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten. Obwohl Zilla über die ganze Sache kein Wort verlauten ließ, wirkte sie doch ziemlich erleichtert, dass sie das Martyrium, was meinen Vater an betraf, hinter sich gebracht hatte. Ich freute mich darüber, einen Blick auf den kleinen Hayden werfen zu dürfen, welcher ein so friedliches Gesicht an den Tag legte, dass es mir ein paar Tränen in die Augen trieb.

Zilla bettete den Jungen in dem schicken Kinderwagen, der meinem Vater wohl ein Vermögen gekostet haben musste. Er wollte den Leuten zeigen, dass ihm, für das Wohl seines Sohnes, nichts zu teuer war.

An den schlechteren Tagen blieb mir allerdings nichts weiter, als meine Stunden damit zu verbringen, die unnütze Zeit, welche mich tagtäglich heimsuchte, mir irgendwie zu vertreiben. Dann holte ich Mutters geheimnisvolle Kiste hervor, in der unzählige Dinge zum Vorschein kamen. Vorwiegend waren es Briefe, alte Fotos und kleine persönliche Erinnerungsstücke, welche wohl von ihren früheren Reisen stammen mussten.

Ich stieß auf ein Foto, was mich zum Nachdenken brachte. Es war ein Mann der Kirche, welcher zum Gebet die Hände zusammengefaltet hielt. Ich fragte mich, weshalb meine Mutter ausgerechnet ein Foto eines mit Gott verbundenen aufbewahrte.

Da ich mir darauf keinen Reim machen konnte, legte ich es achtlos beiseite. Die kleine Engelsfigur, welche ganz unten in der Kiste zum Vorschein kam, erlangte eher meine Aufmerksamkeit. Ihre Augen wirkten leer. Allgemein sah sie ziemlich traurig aus, so als beweinte sie jemanden, welcher soeben vom Tod heimgesucht wurde.

Für heute hatte ich genug. Ich entschied mich dafür, alles zusammen zu packen. Jedes Erinnerungsstück war nun wieder an seinem rechtmäßigen Platz, nur das Bild, mit dem Mann in schwarz, das lag immer noch da. Abraham Fitzgerald, lautete die Unterschrift, welche mit äußerster Sorgfalt, auf der Rückseite des Fotos, niedergeschrieben war. Jenes half mir auch nicht weiter, da ich noch nie von diesem Namen gehört hatte. Kurzerhand warf ich den Unbekannten zurück zu den anderen Sachen und versteckte die Kiste im Wirrwarr meines unaufgeräumten Schrankes.

 

Angelie erholte sich derweil nur schwer. Die Geburt hatte ihr ziemlich zugesetzt. Sie ließ sich nur ungern blicken, denn ihr Körper wies noch immer nicht die gewünschte frühere Form auf.

Meine Befürchtung, nicht an der Hochzeit Jeffreys teilnehmen zu können, trieb mich fast in den Wahnsinn. Wenn meine Stiefmutter nun unpässlich war, jene lange Reise anzutreten? Mussten wir dann alle darunter leiden?

„Aber nein“, versuchte mich Zilla zu beruhigen. Es wäre doch schade, wenn niemand aus diesem Hause, bei den Twigleys auftauchen würde. Mein Vater hätte neulich noch gesagt, dass er auf jeden Fall hinfahren würde, mit oder ohne seine werte Gattin.

Diese Worte waren keinesfalls eine Beruhigung für mich, denn mich holte die Befürchtung ein, mein Vater könnte mich vielleicht absichtlich zurücklassen, da er doch wusste, wie ich zu Jeff stand. Wahrscheinlich glaubte er gar, dass durch mich, das ganze Spektakel einen bitteren Beigeschmack bekommen könnte. Aber zu meiner Freude, entschloss sich mein Vater dazu, mich doch noch mitzunehmen.

Zwei Tage vor unserer Abreise trafen auch meine beiden Schwestern Abby und Imogen ein, welche ich kaum wiedererkannte. Unser Haus wurde durch sie wieder lebendig und verflogen war der ganze Trübsinn, der sich in den Wänden festgebissen hatte. Währenddessen sie von ihrem aufregendem Dasein im Internat berichteten, blieb mir nichts weiter, als ihnen voller Spannung zu zuhören. Mein eigenes Leben wirkte, gegen ihres, so grau und belanglos, dass ich sie schon fast dafür beneidete, die Enge in unserem Haus nicht ertragen zu müssen.

 

Mit jeder Meile, die wir vorwärts kamen, begann mein Herz schneller zu schlagen. Es drängte mich danach, mich endlich wieder in Jeffs Arme zu werfen, um ihn anschließend mit tausenden von Küssen zu bedecken. Ich war mir sicher, dass er einen Weg finden würde, mit mir, auch wenn es nur für wenige Momente wäre, sich heimlich zu verabreden.

Die Müdigkeit holte mich irgendwann ein und entführte mich in meine eigene Traumwelt. Unzählige Blumen säumten meinen Weg, den ich besonnen zurücklegte. Mich umhüllte ein weißes Kleid, welches mit edler Spitze besetzt war. Von allen Seiten jubelten sie mir zu und bewarfen mich mit blutroten Rosenblättern. Ich schrie auf, vor Glück, als ich Jefffrey erkannte, welcher am Ende des Weges auf mich wartete. Ein danach gab es nicht, denn meine Freude, über jenen erdachten Zustand, wirbelte mein Innerstes komplett durcheinander, sodass ich ungewollt in die Realität zurückkehrte. Die Blicke meiner Mitreisenden trafen mich auf entsetzliche Weise, so als hätte ich etwas schlimmes verbrochen.

„Wieso hast du Jeffs Namen genannt?“, wollte mein Vater wissen.

„Das habe ich nicht!“, fing ich an zu schimpfen.

„Das hast du wohl!“, mischte sich Imogen ein.

Ich warf ihr einen bösen Blick entgegen. Sie verspürte keine Lust mehr, noch irgendein Wort von sich zu geben.

Nach reichlichen vier Stunden Fahrt erreichten wir endlich unser Ziel. Das erste Gesicht, welches uns entgegen strahlte, war ausgerechnet das von Haily, womit meine ohnehin schon schlechte Laune endgültig dahin war.

Sie kam gerade von einem kurzen Spaziergang zurück und hatte daraufhin nichts besseres zu tun, als meine Schwestern herzlichst zu umarmen. Sie ließen sich auf ihre Freundlichkeit ein und schienen gar entzückt von ihrer Frische.

Ich versteckte mich hinter meinem Vater, um dieser widerlichen Zeremonie zu entgehen.

„Was ist denn! Willst du Haily nicht guten Tag sagen?“, empörte er sich.

Notgedrungen löste ich mich, aus dem Schutze seiner Deckung, um ihm jenen ausgesprochenen Gefallen zu tun.

Hailys Miene wirkte plötzlich wie versteinert, als ich an sie herantrat.

„Wie schön, dich zu sehen“, fing sie an, zu heucheln, nur um der Mitgereisten Willen, da sie wohl so etwas erwarteten. Ich sah es ihr an den Augen an, dass sie mich am liebsten, wie eine Furie zerfleischt hätte, wenn ihr nur die Gelegenheit dazu gegeben wäre.

Sie schlug vor, ins Haus zu gehen, was mir sehr gelegen kam. Natürlich musste sie auf angeberische Weise ihren Reichtum präsentieren, das war mir klar. Aber mir stand der Sinn nach etwas ganz anderem. Ich wollte unbedingt Jeff sehen.

Mit Absicht blieb ich zurück. Ich tat so, als beeindruckte mich die hochgewachsene Fassade des herrschaftlichen Hauses. Wahrhaftig ließen die anderen mich stehen, um Haily zu folgen.

Wo steckte er bloß? fragte ich mich, war doch unsere Ankunft bereits in aller Munde. Selbst das Dienstpersonal wollte sehen, wer diejenige war, die mit dem Bräutigam ein Verhältnis hatte. Was natürlich nicht der Wahrheit entsprach, denn für mich bestand die Beziehung noch immer und auch, wenn die anderen versuchten, diesen Umstand herunter zu spielen, lag es bei weitem nicht in meinem Interesse, so zu tun, als sei alles vorbei. Ich ging um das Haus herum, um endlich herauszufinden, wo Jeff steckte. Das Wiehern von Pferden erreichte mein Ohr, was mich dazu animierte, die nahegelegenen Stallungen aufzusuchen.

„Jeffrey!“, schallte meine Stimme durch die Halle.

Zu meiner Enttäuschung ereilte mich nicht der gewünschte Satz: „Ja, hier bin ich!“, sondern nur die aufkommende Unruhe der scheuenden Tiere, denen meine Stimme fremd erschien.

Ich kam zu der Einsicht, dass es hier keinen Sinn mehr ergab, weiter zu suchen. Vielleicht war er schon längst im Haus und ich vergeudete hier nur meine kostbare Zeit.

Das Tor war so gut wie erreicht, als mich plötzlich jemand zur Seite riss.

„Lacey, bist du etwa allein hier?“, rief mir Jeff entgegen.

„Aber natürlich! Denkst du etwa, dass ich wild auf die Gesellschaft deiner Zukünftigen bin“

„Auf ihre Gesellschaft vielleicht nicht, aber womöglich auf die meinige“, säuselte mir mein Bruder entgegen und schloss mich voller Euphorie fest in seine Arme.

Meine Lippen berührten die Haut, oberhalb seines halb geöffneten Hemdes.

„Ich liebe dich, noch mehr als mein eigenes Leben“, drang es aus meinem tiefsten Innerem heraus. „Wenn dieser Moment doch nie verginge und wir einfach unser Leben so bestreiten könnten, wie es uns gefiele.“

Jeff schien belustigt. „Des öfteren kommt es vor, dass man nicht im Stande dazu ist, jenes Leben zu führen, nachdem einem der Sinn steht. Doch es gibt Mittel und Wege diesem Umstand zu umgehen, indem man, in jedem noch erdenklichen Moment, die Gunst der Stunde nutzt, wenn du verstehst, was ich meine.“

Ich verstand sofort und folgte meinem Bruder in eine von den leeren, mit Stroh ausgelegten Pferdeboxen. Ausgehungert vor Lust warf sich Jeffrey auf mich.

Wie ein wildes Tier, welches seine Macht auszuspielen versuchte, drängte es ihn, sich meinen Körper zu eigen zu machen. Der dünne Stoff meines Kleides hielt diesem Druck allerdings nicht stand und riss entzwei, was mich zutiefst verärgerte, denn das Kleid war neu und ziemlich teuer gewesen. Vor Wut, über diese Unannehmlichkeit, stand mir nicht mehr der Sinn danach, Jeffrey willig zu sein. Ich versuchte mich gegen seine Zudringlichkeit zu wehren, was mir allerdings nicht gelang, denn mein Bruder drückte mich ziemlich unsanft zurück, auf den mit Stroh bedeckten Boden.

„Wenn du es nicht willst, so sag es, dann werde ich gehen und dich in Ruhe lassen, für den Rest deines Lebens!“, bekam ich zu hören.

Mit zitternden Händen umschloss ich Jeffs Leib und zog ihn an mich heran. Ohne ihn hatte doch mein ganzes Dasein keinerlei Sinn mehr. Obwohl es mir schwerfiel, gab ich alles, um seinen Durst nach Liebe zu stillen.

„Habe ich es doch gewusst, dass du mich nicht enttäuschen wirst“, kam es Jeff über die Lippen, als er sich von mir herab bewegte, um sich neben mir niederzulassen. Nun endlich bot sich auch für mich die Gelegenheit, mich zu erheben, um dem jämmerlichen Zustand meines Kleides nachzugehen. Was sich mir bot, war ein Anblick des Grauens. Unaufhaltsam sammelten sich Tränen in meinen Augen, die sich wenig später, zu dutzenden über meine Wangen ergossen.

Was sollte ich ihnen antworten, wenn sie mich darauf ansprachen?

„Das sieht nicht gut aus, wirklich nicht“, meinte Jeffrey, was mich ganz und gar verzweifeln ließ.

„Du könntest sagen, dass du hinten, am Wäldchen, gestürzt seist. Dort liegt zuweilen allerlei Holz herum. Man könnte dir keinen Vorwurf machen, da du ja die Gegend nicht kennst.“

Obwohl mir dieser besagte Ort, von dem Jeff sprach, ziemlich unbekannt war, gab ich alles, um meinen Vater glaubend zu machen, dass ich mir tatsächlich, durch jenes erfundene Missgeschick, mein bestes Kleid ruiniert hatte.

Die Wut meines Vaters war immens. Er erhob die Hand gegen mich, um mir augenblicklich meine Strafe zu erteilen.

Zu meinem Glück öffnete sich, gerade im richtigen Moment, die Tür und herein trat ausgerechnet Haily, welche angab, mich schon überall gesucht zu haben. Erstaunen machte sich auf ihrem Gesicht breit, als sie wahrnahm, wie schrecklich ich aussah. Mit all meinem schauspielerischen Können versuchte ich nun, auch ihr meine Version von dem Missgeschick, was mich doch nur in meiner Phantasie ereilte, näher zu bringen.

Sie zeigte mir ihr Mitgefühl, indem sie meine Hand umschloss und mir anbot, jenes Dilemma wieder in Ordnung bringen zu dürfen.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Cover: pixabay
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2015
ISBN: 978-3-7368-8829-6

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