Hilf mir dich zu verstehen. St.2
Blaue Augen starrten in die Bäume. Sie beobachteten wie sich die Baumkronen im Wind wiegten, wie die Vögel kreisten und wie das Laub unter den winzigen Hufen eines kleinen Rehes knisterte. Jenny saß da, wie gelähmt. Ihren Rücken an einen Baum gepresst, ihre Arme hingen an ihr herab als wären sie Gummi. Sie bließ trübsal, wusste nicht was sie von der ganzen Situation halten sollte. Sie konnte es nicht verstehen, ihr war nicht klar warum, sie konnte es sich auch nicht erklären. Für sie war alles verstrickt. Und sie wußte nicht warum. War sie daran Schuld? Hätte sie helfen können? Schuldgefühle quälten sie, jedes mal wenn sie die Augen öffnete.
Sie schaute nach unten. Das Wasser rauschte, kleine Wellen preschten an die Felsen und der geruch von frischem, nassen Holz stieg in ihre Nase. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Wie hatte sie nicht bemerken können das es Cathy schlecht ging? Das sie sich umbringen wollte? Und bei dem Gedanken das sie von hier gesprungen war, kamen ihr die Tränen. Cathy, ihre beste Freundin hatte sich umgebracht... Cathy... Ihr kleiner Teddybär. Sie war so hübsch gewesen, mit ihren hellblonden Haaren, ihren kleinen Grübchen an der Wange und ihren strahlenden grünen Augen, die immer perfekt umschminkt waren. Doch seit wann hatten sie nicht mehr gestrahlt, wann hatte Cathy den Glanz in ihren Augen verloren?
Jenny griff in ihre Tasche. Als sie am späten Nachmittag einen Zettel auf ihrem Bett gefunden hatte, der mit mintgrünem Papier umwickelt war, sorgfältig und ordentlich. Ja, sofort hatte sie gewusst das er an sie adressiert war, von Cathy.
Sie hatte ihn noch nicht geöffnet, die Nachricht von Cathys tod hatte sie zu sehr überwältigt. Und als sie den Brief nun fest an ihre Brust drückte, fühlte sie sich ihr ganz nah, so als würde sie direkt neben ihr sitzen. Sie sah sie vor sich, mit ihrem einzigartigen Lächeln, ihrem rotem Sommerkleid und einer schwarzen Schleife im Haar. Jenny musste schmunzeln. Dann viel ihr Blick wieder auf den mintgrünen Umschlag in ihren Händen. Sie holte tief Luft und öffnette ihn. Sofort stach ihr die makelose Schrift ihrer Freundin ins Auge. Sie war schon immer neidisch darauf gewesen. Sie erkannte die umrisse eines Tropfens, einer Träne. Und viele weitere getrocknete Tränen folgten... >>Liebe Jenny,<< schrieb sie.
>> du warst eine der wenigen positiven Entscheidungen meines Lebens. Wir waren immer unzertrennlich, auch wenn wir uns gestritten haben, haben wir gelacht. Wir haben viel erlebt, haben Freude und Leid geteilt, waren zusammen unschlagbar...
Doch als ich dich gebraucht habe, warst du nicht da.
Ich bin nicht sauer auf dich, nein keineswegs, auch nicht enttäuscht.
Im Moment weiß ich eigentlich gar nicht wer ich bin, was ich fühle...
Ich meine es ist alles nur gelogen... Die Vorstellung das guten Menschen nur gutes widerfährt und in der Welt ein Zauber liegt und dass die Gütigen und die Gerechten die Früchte ernten. Nein, es gibt viel zu viele gute Menschen die Leiden müssen, als das das war sein könnte. Es gibt zuviele unbeantwortete Gebete. Jeden Tag ignorieren wir wie kaputt unsere Welt doch eigentlich ist! Und wir gaukeln uns vor das alles wieder gut wird, alles wieder wie früher wird, aber nichts wird gut. Und wenn man das weiß, dann gibt es kein zurück mehr. Es gibt keinen Zauber in der Welt, jedenfalls nicht heute...
Ich musste mir einreden das ich glücklich bin, aber richtig glücklich bin ich nicht, und wenn ich versuche das zu ändern, versuche mich zu erinnern wie sich glücklich sein früher angefühlt hat, dann weiß ich es nicht.... Ich spüre keine Freude, keinen Schmerz, keinen Mut, keine Hoffnung. Ich fühle nichts und doch so viel...
Jenny... meine Süzze, sei mir nicht böse, verzeih mir, bitte...
Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich bin innerlich zerbrochen. So oft. Und glaub mir, wenn es eine einzige möglichkeit für mich gegeben hätte weiterzumachen hätte ich sie ergriffen...
Aber Jenny... Die gab es nicht!
Ich weiß noch nichteinmal selbst was los ist. Alles fühlt sich so falsch und richtig an. Es ist trotzdem unüberwindbar.
Ein letzter Brief und ich will das du ihn liest, im Herz ein Gewitter im Kopf ein Krieg. Ein allerletzter Brief und ich will das du ihn liest und ich schließ mit der Zeit ab. Mit der Zeit in der ich unglücklich war, in der ich mich selbst kaputt gemacht habe...
Und Jenny... ich gebe dir keine Schuld, geb du dir keine Schuld und lass dir auch keine Schuld geben... Denn ich selbst habe mich aufgeben. Habe aufgehört an mich zu glauben, und aufgehört zu leben...
Jenny, sei mir nicht böse, verzeihe mir... Bitte.
Ich werde dich IMMER lieben und ich werde dich NIE vergessen!
Keine Angst... Ich passe hier oben auf uns beide auf. Ganz sicher.
Cathy <<
Jenny schloss ihre Augen. Sieh atmete schwer und ihr Herz schlug schnell. Sie versuchte ihre Tränen zurückzuhalten. Sie stand auf, schüttelte das Laub und die Erde von ihrer Jeans ab und voller Hoffnung schaute sie hoch zu den sich im Wind wiegenden Baumkronen, hoch zu den vögeln und hoch in den wolkenbedeckten Himmel und schrie aus vollem Herzen " ICH VERRZEIHE DIR CATHY! " und als sich ein Sonnenstrahl durch die Wolken drängte wusste Jenny dass Cathy auf sie beide aufpassen würde. Ganz sicher.
Tag der Veröffentlichung: 31.12.2012
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