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Ausweg


Kalter Wind bließ ihr durch die Haare, ein Nebelschleier lag vor ihr und ihre Augen wirkten trüb. Ihre Mimik ausdruckslos. Sie saß einfach nur da, ihren Rücken an einen Baum gelehnt und ihren Blick zu dem Flussufer gerichtet. Sie überlegte schon lange, sehr lange. Sie wollte es tun, sie sah einfach keinen anderen Ausweg. Niemand konnte ihr helfen, niemand wollte es. Sie fühlte sich allein gelassen, überfordert, verletzt. Niemand hatte ihre Probleme bemerkt, niemand hatte die Wunden an ihren Armen und Beinen bemerkt und niemand sah wie sie sich Tag für Tag quälte. Sie wusste wenn sie jetzt sprang gab es kein zurück mehr, sie wusste auch das sie den Menschen wehtun würde die sie liebten. Doch sie sah kein Licht mehr im Tunnel... seit 5 Monaten.

Sie hielt ihre Füße ins Wasser. Kälte durchzuckte sie und sie fing an zu zittern. Der Wind wurde weniger und ihr blassblondes Haar wirbelte nicht mehr so umher. Ihre Gedanken kreisten und sie versuchte sich zu erinnern wann sie das letzte mal aus reinem Herzen gelächelt hatte, aber sie konnte es nicht.

Als sie ihre Wade in das klare Wasser tauchte durchfuhr sie ein Schmerz. Ein Schmerz der von innen kam, von ihrem Herz. Und plötzlich kamen all die Erinnerungen, all das was sie in letzter Zeit verdrängt hatte hoch. Sie hörte die Beleidigungen ihrer mitschüler, sie sah die abstoßenden blicke der anderen in der Cafeteria und das getuschel über sie, vor sich. Ohne es zu wollen lief ihr Träne über ihre gerötete Wange. Und es wurden immer mehr. Sie schluchzte.
Alles hatte mit einem Wort angefangen, es war nicht ernst gemeint aber trotzdem hatte es sie tief getroffen. Damit fingen ihre schlafprobleme an. Nacht für Nacht hörte sie es.
Später als einer ihrer Mitschüler ihr Handy nahm und einen privaten Eintrag, in dem sie in der letzten Nacht alle ihre Gefühle verpackt hatte, las. Kurz darauf fing das Getuschel an, sie wurde verspottet wenn sie sich auch nur einmal bewegte.
Zuhause war sie meist allein. Als sie sich zufällig an einem Messer geschnitten hatte und das Blut gerinnen sah, fühlte sie einen befreienden schmerz. Er ließ sie all ihre Sorgen vergessen, wenn auch nur kurz.
Darauf hin verschwand sie jeden Nachmittag in ihr bisher kaum genutztes Zimmer. Der erste Schnitt fiel ihr schwer, der zweite brannte höllisch auf ihrer bleichen Haut, bis der dritte endlich die ersehnte Hilfe brachte.

Ein Knistern holte das zierliche, blasse Mädchen zurück in die reale Welt. Und alles was sie in diesem Moment dachte war: jetzt ist jetzt. Sie ließ alles noch ein letztes mal auf sie wirken. Das Grün der gräser, das Blau des Nachthimmels und den weißen hellen Schein des Mondes Sie atmete die frische Waldluft ein und fuhr ein letztes mal mit ihrer Hand über die raue Rinde einer Birke bevor ihr Körper ins Wasser gleitete. Und das letzte was sie mit ihrem Blut schrieb war: "ICH LIEBE DICH"

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Tag der Veröffentlichung: 31.12.2012

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