Ich war knapp 30 Jahre meines Lebens stark übergewichtig, 20 davon adipös.
Meiner körperlichen „Andersartigkeit“ wurde ich mir sehr früh bewusst – allerdings weniger, weil mich das Übergewicht gesundheitlich beeinträchtigte, sondern vielmehr aufgrund der abwertenden und/oder ablehnenden Reaktionen meiner Umwelt.
So werde ich niemals vergessen, wie wir mit der Schulklasse vor einem Raum warten mussten. Das Zimmer war noch abgeschlossen, nur der Lehrer hatte den Schlüssel; alle waren ob dessen Verspätung frustriert und suchten nach Themen, an denen sie sich abreagieren konnten. Und dann fragte mich eine Klassenkameradin plötzlich nach meiner Kleidergröße. Keine Ahnung, wie sie darauf kam und warum ich überhaupt reagierte, noch weniger weiß ich, warum ich ihr die Wahrheit sagte und nicht einfach irgendeine kleinere Größe herbeifantasierte. Tatsächlich aber sagte ich ihr die korrekte Größe. Daraufhin sah sie mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich vorher nie gesehen hatte, eine Miene, gemischt aus Spott, Verachtung, Abscheu und Überraschung. Und dann sagte sie sinngemäß: „Das ist ja entsetzlich. Ich habe zehn Größen weniger!“ Das hatte gesessen. Seitdem habe ich dieses Mädchen gehasst. Und vor allem gefürchtet.
Sie wurde zu einer von den Vielen, die es damals schafften, mich bis ins Mark zu verletzen. Diese Vielen wuchsen zu einer Masse. Die Masse gegen meine Masse. Und meine Maße. Feinde. Durch das, was sie sagten. Aber vor allem durch die Art, wie sie es sagten und durch die Weise, wie sich mich ansahen.
Doch zurück zu meinem „Werdegang“:
Ich fing mit dem Zunehmen an, als meine Kindergartenzeit zu Ende ging. Damals war ich in den letzten Monaten meines fünften Lebensjahr. Warum das Gewicht in dieser Zeit plötzlich immer weiter anstieg, kann ich bis heute nicht konkret an einem bestimmten Ereignis festmachen. Vielleicht schlug mir der bevorstehende neue Lebensabschnitt als Schülerin dermaßen aufs Gemüt, dass ich mich mit einer Hülle aus verstärktem Körperspeck dagegen wappnen wollte? Bewusst ist mir das heutzutage nicht (mehr). Bewusst ist mir aber, dass ich schon immer sehr empfindlich war und mir seelische Schieflagen seit jeher rasch auf den Körper geschlagen sind. Auch heutzutage machen sich minimale psychische Probleme sofort als Dermatosen, Schnupfen, usw. bei mit bemerkbar.
Was auch immer der Auslöser bzw. die Grundlage des ansteigenden Gewichts war: Fakt ist, dass das Problem da war und immer größer wurde, von Jahr zu Jahr, von Klasse zu Klasse, durch die Kleidergrößen hindurch, in immer ausladendere Dimensionen hinein.
Irgendwann war es sogar soweit, dass ich zwecks Fertigung einer passenden Hose zum Damenschneider gehen musste – und das mit gerade einmal 12 Jahren! Das Ganze war nicht nur übermäßig teuer, sondern auch überaus peinlich und entwürdigend. Die dazugehörige Schneiderin entpuppte sich auch nicht gerade als sonderlich sensibel, während sie Maß nahm und rügte ruppig an meinen Rundungen herum. Dabei heraus kam eine schrecklich unförmige Hose in einer Farbe, die (nicht nur) für mich selbst gewöhnungsbedürftig war – in Weinrot, weil sie mir von meiner Familie aufgedrückt und bezahlt wurde. Meckern half nicht, weder vorher noch danach. Als Kind darf man noch nicht seinen Geschmack vertreten, und wenn man es tut, dann hört sowieso niemand zu. Das Kind wird offenbar als nicht richtig zurechnungsfähig gewertet – ist das eigentlich in allen Familien so? Mir wäre eine ganz normale in Jeansblau jedenfalls lieber gewesen. Aber das war meiner Familie wohl zu gewöhnlich – wenn man schon eine maßanfertigen ließ, dann doch bitte in einer ausgefallenen Farbe! Wahrscheinlich fand der Familienrat die Farbe auch noch besonders schön … Oder … vielleicht war der Stoff in dieser seltsamen Farbe auch einfach am Günstigsten (was durchaus ein relevantes Kriterium sein mag, wenn die ganze Abmesserei und das Nähen schon ein Vermögen verzehren).
Von dieser hässlichen Buxe mal ganz abgesehen: Die Zeit, in der ich mich draußen aufhielt, wurde immer unangenehmer für mich. Die Sprüche derber. Mit fortschreitender Pubertät auch immer sexueller und dadurch besonders entwürdigend. Und meine eigene Unzufriedenheit mit mir selbst stieg auch immer weiter an. Jeder Blick in den Spiegel wurde zum Spießrutenlauf. Vor lauter Speck kamen bei mir kaum weibliche Konturen durch. Stattdessen hatte ich spätestens ab 13 Jahren mit immer mehr Pickeln zu kämpfen. Dazu dann noch die Proportionen des Körpers vom Hals hinab: Aufgedunsen, unweiblich, breitschultrig, eher männlich denn weiblich. Zum Verzweifeln!
Es musste also etwas getan werden. Das befand auch meine Familie. Man schickte mich zum Hausarzt, zum Sport, in die Kirche und probierte mit mir diverse Diätkonzepte durch – am Anfang war ich stets hoffnungsvoll, am Ende leider immer frustriert und resigniert.
Im Folgenden berichte ich über verschiedene Methoden, die ich während meiner Jugend ausprobiert habe – und in diesem Zuge natürlich auch über den nicht vorhandenen Erfolg der Prozeduren.
Warum ich das mache? Um zu rekapitulieren, wie bescheuert ich in dieser Zeit war. Um zu sehen, dass ich fest im Sog einer „Ich MUSS jetzt abnehmen und schütte jeden Dreck in mich rein bzw. probier jedes Folterwerkzeug aus!“-Spirale war. Hatte ich den einen Quatsch durchexerziert, folgte der nächste Mist. Zwar wirft dieses Aufdecken nicht gerade einen rühmlichen Blick auf meinen Verstand. Aber was soll's! Ich bin mir sicher, dass in dieser Drucksituation – sei es während des Erwachsenwerdens, sei es aber auch in jeder anderen Lebensphase, in der wir akzeptiert, geliebt und begehrt werden wollen – viele Menschen mit (massivem) Übergewicht auf diesen ganzen Schund der Diätindustrie reinfallen könnten. Also ist dieser peinliche Seelenstriptease nicht nur als geistiger Offenbarungseid, sondern vielmehr als Warnung zu verstehen.
Damit das Ganze übersichtlich bleibt, unterteile ich in Sport- und Ernährungsmethoden. Zunächst kommen die Sportprozeduren, dann die Ernährungsmethoden.
So, und nun viel Spaß beim Lesen und Miterleben!
– das klingt nach Schweiß und Tränen. Oder zumindest sollten dabei Schweiß und Tränen fließen, wenn man sein Ding denn durchzieht. In meinem Fall, mit dem massiven Übergewicht, hätte ich mit eiserner Willenskraft wahrscheinlich tonnenweise Körperflüssigkeiten produzieren. Tat ich aber leider nicht. Tatsächlich war der Begriff „Sport“ in meinem Leben zwar immer irgendwie präsent, aber mit Herzblut ausgeführt habe ich ihn nie.
Immerhin: Ich begann recht früh mit „Sport“, oder besser gesagt: mit regelmäßiger Bewegung. Schwer vorstellbar, dass man dann so aus dem Leim gehen kann, oder? Wie gesagt: Ohne Herzblut hinter einer Sache ist alles nichts. Da nützen dann auch so vermeintliche Wunder-Tools wie „Bauchweg-Trainer“ nichts.
Also los, gehen wir die „Sportmethoden“ doch mal einzeln durch – oder zumindest die wichtigsten davon! Das hier sind die 10 skurrilsten Aktivitäten, mit denen ich meinem Moppeldasein entgegenzuwirken versuchte:
Ja okay,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2019
ISBN: 978-3-7438-9619-2
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