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Querulanten

Oh, wie ihn sein Quälgeist wieder nervte! Wie so oft in den letzten Jahren hatte er erst sanft angeklopft, um dann in ein immer heftigeres Wummern zu verfallen – und schließlich, ja schließlich, hatte er sich einfach mit scharf geschliffenen Messern über ihn hergemacht! Einfach? Ja, so einfach war das! Wenngleich er es in den letzten Tagen nicht nur einmal, sondern mehrmals getan hatte.

Hartmann rutschte auf dem harten Stuhl herum. Nicht einmal ein Kissen boten sie hier an! Er war weiß Gott kein Anhänger von jenem überflüssigen Quatsch, den man heutzutage beispielsweise in all den verweichlichten Wellnessschuppen fand. Aber ein Stuhlkissen – daran hätte man doch denken können, ach was müssen! Zumal hier eigentlich niemand quietschfidel sein dürfte.

Wobei, wenn er sich in dem proppenvollen Raum umsah, fand er eigentlich keinen, bei dem es auch nur annähernd so zu pressieren schien wie bei ihm. Keine schmerzverzerrten Mienen, nicht mal Anspannung, von Ächzen ganz zu schweigen. Unnütze Geldverschwendung war das! Kamen alle angerannt, nur um sich wichtigzutun!

Da! Die Quasselstrippe zu seiner Rechten! Die Alte hatte ihn schon genervt, kurz nachdem er reingekommen und sich auf den Steinklotz gesetzt hatte: Blablabla, das Wetter, blablabla, die Politik, blablabla, Schauspieler XY poussiert mit YY rum! Er wunderte sich, dass sich das Gossip-Gespenst nach einigen Minuten von ihm abgewandt und auf ein anderes Opfer gestürzt hatte. Auf die Qualle nämlich, die zu ihrer Rechten saß. So ein richtiges Opfer war die aber gar nicht, so willig wie die sich in das Gequassel einbrachte. Vielmehr entpuppte sich das schwabbelige Persönchen im Laufe des Gelabers als perfekte Tratschthemenlieferantin, die mit Namen aufwartete, von denen Hartmann noch nie gehört hatte.

Links von ihm sah es aber auch nicht besser aus – dort hing so ein halbes Kind rum, ja es hing, unten locker, oben verkrampft, mit baumelnden Beinen, als säße es auf einem dampfenden Donnerbalken. Zu seiner Zeit hätte man solchen Querulanten, solchen Nervtötern, eine Ohrfeige verpasst und dann hätten sie in stiller Würde dagesessen, um sich auf ihre Wange zu konzentrieren! Heutzutage tobten aber überall nur noch Wilde herum. Auf dem Schulhof, sowieso, in den Lehrerzimmern aber auch längst; dummerweise war dort längst jene Generation zugange, die früher mit Faulheit und Furzkissen geglänzt hatte. Apropos! Irgendwer in diesem Raum litt unter entsetzlicher Flatulenz!

Auch wenn dies dem Gnom neben ihm - ein Junge wohl - durchaus zuzutrauen war und er diese Perfiderie nach dem Einkreischen von Quengelware sicher schon oft genug eingesetzt hatte – er war es in diesem Fall nicht. Nein, Hartmann hielt vielmehr die Tante, die genau gegenüber von ihm saß, für die furzende Übeltäterin! Was hatte die denn eigentlich hier zu suchen? Quicklebendig saß sie da und wischte auf ihrem Telefonierapparat herum. Dabei grinste sie auch noch wie eine Blöde. Nein, wer so grinste, war fürwahr quietschfidel! Sie war offenbar dermaßen erquickt, dass ihr Fürze entwichen – Wallungsluft, eben weil es ihr saugut ging.

Hartmann schnaubte. So ging das nicht. Er würde sie in die Schranken weisen müssen! Niemand hatte das Recht, einen geschlossenen Raum zu verunreinigen. Diese Handysüchtige schon gar nicht, auch wenn sie sich wahrscheinlich für irre hip und quirlig hielt. Ja, sie war bestimmt so ein richtiger Querkopf, der alles bekam, was er nur wollte, notfalls durch den Einsatz unlauterer Mittel, eben einer jener sich für omnipotent haltenden Quereinsteiger, die meinten, jede Branche mit eigenen Spielregeln neumischen zu können.

Unfassbar, was sie nun tat! Sie hielt das Handy an ihr Ohr und telefonierte! Ja, war die Frau denn nicht mehr ganz frisch? Erst den Raum kontaminieren und dann noch laut in die Strippe tönen? Nein, nun wurde es Hartmann zu bunt! Er stand auf und wollte gerade in ihre Richtung stapfen, als die Tür aufflog und ihn eine Arzthelferin herausbeorderte.

Er folgte ihr willig, zum einen, weil er der verseuchten Luft somit entfliehen konnte, zum anderen, weil er nun endlich mit seinem Arzt, einem gewieften Querdenker, über sein schreckliches Gesundheitsproblem reden durfte. Dieser Mann war eine Koryphäe auf seinem Gebiet und viel weiser als alle anderen ortsansässigen „Ärzte“, die kaum mehr als wilde Quacksalberei betrieben. Hartmann verstand allerdings nicht, warum dieser fähige Mediziner die ganzen Simulanten in seinem Wartezimmer überhaupt bei ihm vorsprechen ließ.

Als die Sprechstundenhilfe Hartmann in ein freies Behandlungszimmer brachte und sich dann verabschiedete, lächelte sie ihn besonders lange an, ja, sie grinste fast. Hitze stieg in seinen Wangen hoch. Er war sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst. Aber er wusste natürlich auch, dass der Doktor nur die freundlichsten, fähigsten Kräfte angestellt hatte.

Im Nebenzimmer ertönte plötzlich schallendes Gelächter. Wahrscheinlich hatte der Arzt erkannt, dass sein Wartezimmer querbeet mit arbeitsunlustigen Querulanten besetzt war.

Dann öffnete sich die Tür. Der Doktor! Hartmanns Herz fing zu rasen an. Just in dem Moment, als der Arzt ihm die Hand hinhielt, entfuhr Hartmanns Hintern ein unüberhörbares Stöhnen.

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Tag der Veröffentlichung: 10.07.2018

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