Aus der Ferne sieht es aus wie das Abschlussgebet der Eucharistie: Frau Wischenfroi kniet andächtig auf einem Kissen vor ihrer Waschmaschine.
Vor ein paar Wochen ist sie vierzig geworden. Seither trägt sie nur noch schneeweiße Blusen zu knielangen Buntfaltenröcken mit Dehnbund. Die Röcke sind blass pastellfarben, die Oberteile aus glanzloser Seide.
Mit der rechten Hand greift sie in Richtung Trommel, während die andere in ihrem Gesicht herumgräbt. Ihr Blick wirkt wie gebannt, auf dem Guckloch bzw. dem, was dahinter ist. Sie öffnet die Waschtrommel und wuchtet einen Haufen weiße Wäsche in einen Korb. Frau Wischenfrois Augen sind rot; sie tränen. Noch einmal schnuppert sie in die ausgeräumte Waschmaschine hinein und seuzt laut auf. Anstalten aufzustehen macht sie nicht. Sie bleibt bedächtig kniend am Boden.
Plötzlich ertönt eine Stimme hinter ihr:
„Am besten kriechst du direkt in deine Maschine hinein … Dann wird wenigstens auch dein Kopf mal richtig durchgewaschen.“
Es ist Herr Wischenfroi. Er ist gut fünf Jahre älter als seine Frau und hält überhaupt nichts von dem neuen Reinlichkeitswahn seiner Frau. Ihrem neuen Modestil kann er erst recht nichts abgewinnen. Wenn es noch peppige Miniröcke und enganliegende Stretchoberteile wären …
Frau Wischenfroi lässt sich nicht beirren, kniet weiter, und spricht schallend in die Trommel:
„Unk du nur, Poldus! Aber ich sage dir: Diese Maschine ist echt groß in ihrer Leistung!“
Herr Wischenfroi schüttelt den Kopf, verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich lässig in den Türrahmen. Er betrachtet seine Frau ganz genau, wartet darauf, dass sie aufsteht. Weil sie es nicht tut, wird er ungeduldig – und murrt:
„Margot, nun wirklich … Du hockst da, als ob du gleich in das Ding reinkotzen wolltest …“
Frau Wischenfrois Leib zuckt. Sie wendet ihrem Mann langsam, fast mechanisch, den Kopf zu, bedenkt ihn mit einem finsteren Blick. Dann zischt sie:
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich diese superbe Waschleistung gefährden würde!?“
Ein lautes Stöhnen aus dem Türrahmen. Dann ist Herr Wischenfroi weg, sitzt alsbald wieder in seinem noch warmen Fernsehsessel, und zappt rastlos durch die Senderliste. Dabei murmelt er mürrisch vor sich hin:
„Jeden Tag dieselbe Prozedur … wäscht, kniet, inhaliert … in diesem albernen Fummel … zum Abgewöhnen … wie eine verdrehte Andacht … Ist sie am Durchdrehen? … Muss ich bald den Arzt rufen? … Oder wen ruft man, wenn die eigene Frau irr-“
Da lässt ihn ihr Schrillen zusammenzucken:
„Poldus! Es ist soweit! Sie hat den Curryketchup-Fleck nicht rausgekriegt!“
Herr Wischenfroi wirbelt herum. Da steht sie im Rahmen der Wohnzimmertür, mit aufgelöstem Blick, ein weißes T-Shirt in Händen, und es sieht so aus, als wolle sie gleich hineinheulen. Er besieht das Kleidungsstück genauer und tatsächlich: Die ach so tolle Maschine hat den Fleck nicht rausbekommen, stinkendes Bleichmittel hin oder her. Herr Wischenfroi versucht es auf die verspielte Art:
„Tja, meine Liebste … hättest du mal mit Lätzchen gegessen! … Nun ist die Maschine sicher kaputt …“
Als Antwort fliegt ihm das fleckige T-Shirt ins Gesicht. Der Chlorgeruch ist überwältigend. Er runzelt die Stirn. Pfui Teufel! Wie viele Tage schnüffelt sie schon diesen heftigen Geruch? Bevor er einen klaren Gedanken fassen und zurückrechnen kann, ertönt im Türrahmen hysterisches Geheul:
„Poldus, ich brauche eine neue! Eine nagelneue!“
Herr Wischenfroi zuckt zusammen. Er denkt zu wissen, um was es ihr geht, täuscht aber noch schnell an:
„'Ne neue Klamotte? Klar Schatz, geh dir schnell ein neues T-Shirt im Internet aussuchen!“
Seine Frau hat mit ihrem Kleidungsgeschmack offenbar aber auch jeden Sinn für Humor verloren. Sie stampft mit dem Fuß auf, verzieht das Gesicht zu einer Fratze und schreit:
„Du Arschloch! Ich meine eine neue Waschmaschine! Ich ertrage es nicht, wenn ich fortan mit den immergleichen, ekelhaften Flecken leben muss!“
Herr Wischenfroi fährt zusammen; die Beleidigung trifft ihn hart. Entsetzt inspiziert er ihr Gesicht, ihren Blick, ihre Augen. Noch nie hat sie so etwas zu ihm gesagt. Ist sie nun wahnsinnig geworden? Aber wenn er sie anschaut, glaubt er, in ihrem Blick eher Traurigkeit denn Wahn zu erkennen. Warum sagt sie dann so blödes Zeug? Ist das eine Phase? Die Wechseljahre? Sie war doch sonst nicht so … nicht so hysterisch … und auch nicht so hygienisch … rannte früher lieber immer in verbeulten, angerotzten Jeans herum … in verknautschten T-Shirts, angeschlissen, ausgewaschen, mit und ohne Fleck, und erst recht nicht weiß. Aber dann kam dieses schicksalshafte Datum … dieser seltsame Geburtstag. Was ist seither mit ihr geschehen?
Ratlos sieht er sie an. Um eine Antwort bemüht. Er sucht nach beruhigenden Worten, die sie runterbringen, die ihr zeigen, dass er sich Sorgen macht. Doch ihm fällt nichts Passendes ein. Also murmelt er nur:
„Öhm … okay.“
Kampflos in den Maschinen-Neukauf. Wenn es sie denn glücklich macht.
Er überlegt gerade, was so ein Modell mit superber Waschwirkung kosten könnte, da kommt sie plötzlich auf ihn zugeschossen, platziert sich vor ihn, verstellt seine Sicht auf den Fernseher, und schnauzt ihn dann an:
„Sag mal, bin ich dir nun gar nichts mehr wert?“
Er erschrickt. In jeder Hinsicht. Ihr rüder Antritt lässt ihn zusammenzucken. Aber vor allem macht ihm das, was sie äußert, zu schaffen. Wieso „nichts wert“? Hat er ihr nicht gerade eine neue Maschine zugesagt? Ist das nicht das Äußerste, was er tun kann? Was könnte er mehr tun? Eine Maschine herbeibeamen? Denkt sie, er sei Superman, der losfliegen und in Windeseile mit einer niegelnagelneuen Maschine zurücksausen könnte?
Das wäre ja ganz was Neues, dass sie das dächte …
Herr Wischenfroi schaut seiner Frau nun sehr direkt in die Augen und versucht, mit seinem Blick in sie zu dringen. Herrgott, irgendwo darin muss doch noch ein normaldenkender Rest sein, einer mit dem er Kontakt aufnehmen, mit dem er nun vernünftig kommunizieren kann. Er stiert und stiert und stiert. Solange bis Frau Wischenfroi entnervt ihre hysterischen Gesichtszüge von sich schmeißt, den Blick abwendet und sich stöhnend auf die Armlehne des Fernsehsessels ihres Mannes fallen lässt. Der Sessel kippelt gewaltig. Frau Wischenfroi ist beileibe kein Leichtgewicht. Aber zum Glück handelt es sich bei dem Sessel um Topware; Fernsehsitzmöbel sind Herrn Wischenfrois heilig – da kauft er stets nur die besten und haltbarsten Stücke. Und weil sie auch haltbar bleiben sollen, tätschelt er seiner Frau vorsichtig den Hintern und flüstert ihr sanft ins Ohr:
„Schatzilein, schmeiß dich bitte nicht nochmal so auf die Lehne. Du weißt doch, was für ein teures Teil das ist …“
Im nächsten Augenblick springt Frau Wischenfroi förmlich auf, was den Sessel wiederum hefig beben lässt, und rauscht aus dem Raum. Ohne ein weiteres Wort. Sie rennt in ihre Waschküche und schmeißt die schwere Tür hinter sich zu. Dann ertönt lautes Schluchzen. So laut, dass Herr Wischenfroi fröstelnde Angst überkommt, seine Frau könnte die Waschmaschine starten und sich vor lauter Unglück darin ertränken. Doch er zögert, ihr nachzurennen, weil er sich eigentlich nicht vorstellen kann, dass solch ein Szenario technisch realisierbar ist. Die teuren Maschinen von heutzutage werden doch wohl Schutzvorrichtungen haben …
Er versucht sich abzulenken. Doch das Fernsehprogramm hält nichts Interessantes bereit.
Dann kracht und scheppert es.
Er legt die Fernbedienung auf den Tisch und horcht. Sie wird es ja wohl nicht doch versuchen?
Ein lauter Knall.
Und dann noch einer.
Herr Wischenfroi steht auf – und kommt dabei fast zu Fall, weil das Sofa nun bedrohlich wankt. Nanu, hat sie ihm ein Beinchen abgebrochen? Das muss er unbedingt zur Sprache bringen, sobald der Zeitpunkt angemessen ist.
Ein weiterer Knall. Verdammt, was ist das?
Herr Wischenfroi hetzt los, in die Waschküche.
Doch dort ist alles ganz anders, als er es erwartet hatte. Sie sitzt nicht in der Trommel und kniet diesmal auch nicht davor. Stattdessen steht sie in gewaltiger Pose vor dem Gerät und torpediert dessen Unterbau mit herben Fußtritten. Herr Wischenfroi stöhnt leise auf. Nun ist sie wirklich durchgedreht. Er stürzt auf seine Frau zu, umfasst sie, will sie von ihrem Tun abbringen. Doch sie reißt sich los und tritt weiter auf die bereits verbeulte Metallformation ein. Herr Wischenfroi bekommt es nun wirklich mit der Angst zu tun, wird von einem Zittern erfasst. So entschlossen und fixiert hat er seine Frau lange nicht mehr gesehen. Er quiekt:
„Margot! Bitte hör auf!“
Und sie hält tatsächlich inne. Als hätte sie nur auf seine Stimme gewartet, lässt sie umgehend von der zerdellten Hülle ab, seufzt und sieht auf ihre Füße. Dann druckst sie etwas hervor, was er kaum versteht:
„Leopold, ich lass mich scheiden.“
Sein Zittern wird stärker. Das kann sie doch nie und nimmer gesagt haben. Er fragt nach, noch immer ungewohnt schrill:
„WAS?“
Frau Wischenfroi geht zum Wäschekorb und wirft ihrem Mann etwas daraus ins Gesicht. Es ist ein heißgekochter Schlüpfer, nicht mehr strahlend weiß, aber immerhin ohne Flecken, mittlerweile erkaltet. Er sieht ihn einen Moment lang fragend an, überlegt, ob es seiner oder ihrer ist. Die Augen noch immer auf dem Kleidungsstück, fragt er:
„Wieso denn? … Was ist denn? … Es war doch nichts. … Oder?“
Nun schmeißt Frau Wischenfroi sämtliche Kleidungsstücke aus dem Korb nacheinander in Richtung ihres Mann: Shirts, Blusen, Slips, Socken, alles mehr oder weniger weiß. Dann folgt ihre Stimme, die ihm ins Gesicht klatscht:
„GENAU! NICHTS! Seit Wochen, Monaten, Jahren – nichts. Ich kann mir das Hirn wegbleichen! Bescheuerte Dinge tun! Aussehen wie eine alte Priestermagd! Interessiert dich alles nicht!“
Während er sich die Kleidungsstücke vom Leib schält und dabei fast vom Chlorgeruch überwältigt wird, sucht Herr Wischenfroi nach Worten. Sie kommen nur vereinzelt aus ihm heraus:
„Gewähren lassen … neu erfinden … nächste Lebensphase …“
Einmal noch donnert Frau Wischenfroi ihren Fuß mit Schmackes gegen die Maschine. Dann brüllt sie:
„Herrgott Leopold! Hast du nun zu lange an dem Scheißwaschmittel geschnuppert!?“
Sie rennt zu einem Schubladenschrank und zieht eine Atemschutzmaske sowie eine Taucherbrille hervor. Damit wedelt sie plakativ vor seiner Nase herum.
Er steht da, mit offenem Mund, folgt mit den Augen dem Gebaumel der Schutzapparatur. Sie besieht seinen Blick, verdreht die Augen und zischt:
„Nächste Lebensphase, ja? Gut, dann müssen wir sie eben jetzt angehen!“
Sie stapft zur Tür, dreht sich im Rahmen zu ihm um und sieht ihn mit einem Blick an, den er nicht deuten kann. Kühl, kühn, herausfordernd. Ihre letzten Worte hallen durch den Waschraum:
„Pass auf, dass du nicht mit deinem Sessel verwächst!“
Dann hört er sie rennen, hört, wie die Wohnungstür ins Schloss fällt, hört, wie ihr Auto mit quietschenden Reifen davonfährt. Er fühlt sich, als schaue er einen Film. Einen, den er doch bloß früh genug wieder ausgestellt hätte.
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2017
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