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Traum-Traum

In der Nacht, irgendwann, die Uhr ist nicht zu entziffern, und ein Wecker ist ohne Belang, in dieser Nacht irgendwann fuhr sie hoch, aus dem Schlaf fuhr sie hoch, harsch und in Todesangst, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Sie setzte sich auf, ganz schnell, als könnte sie sich dadurch wieder in der Sicherheit des Bewussten festhängen, hielt sich das rasende Herz und wog sich in einem erdachten Takt, einer fernen Symphonie, die sie schon lange nicht mehr gehört hatte, aber dennoch für immer in sich trug.

Etliche Lidschläge später hatte sie sich wieder gefangen, das Herz galoppierte nicht mehr, der schwere Druck war gewichen. Sie atmete tief durch und versuchte, den fernen Lichtschalter zu erreichen. Während sie blind vor sich hintastete, tauchten brüchige Sequenzen des grässlichen Traums vor ihr auf. Sie war verfolgt worden, so schrecklich realistisch hatte es sich angefühlt, dass sie den heißen Atem ihres Schlächters tatsächlich im Nacken spüren konnte, drakonisch wütend, mit glühenden Augen, als wäre das der Moment vor dem letzten Gedanken. Und sie lief, im Traum, sie rannte, um ihr Leben, vor der Angst davon, über unebenes Gelände, sie konnte den Acker fühlen, baren Fußes wie sie war.

Auf der Bettkante sitzend schüttelte sie sich, immer wieder, damit auch die letzten Schuppen dieses irren Traumgeflechtes endlich aus ihrem Geiste rieselten. Wo war denn nur der Lichtschalter? Sie beugte sich vor, um ihre Hand an der rauen Tapete entlanggleiten zu lassen. Doch immer wieder fuhren ihre Finger ins Nichts.

Nachdem sie die Prozedur einige Male vollzogen hatte, bäumte sich ihr Herz erneut auf und fing zu schnauben an. Nein, nein, nein, da musste doch ein Schalter sein! Hier war immer ein Schalter gewesen. Fürwahr war er stets schwerlich zu ertasten gewesen, da er fern der Bettkante gelegen und dadurch nur mittels immenser Anstrengung erreichbar war, aber nun, da sie sich elendig anstrengte, ja fast außer Atem war vor Verausgabung, da musste sie ihn eigentlich längst erhascht haben.

Doch egal wie oft sie über die Wand glitt, immer wieder und wieder, da war nichts. Und je öfter sie darüber tastete, umso seltsamer kam ihr die Tapete vor. Ganz kalt und rau war sie, fast wie eine Steinmauer.

Sie fuhr mit den Fingernägeln darüber und erschrak, als ein schleifender Laut ertönte. Da erst merkte sie, dass es im Raum unüblich kühl, ja geradezu frostig kalt war. Sie sah es zwar nicht, doch sie glaubte zu spüren, wie ihr Atem die Luft bewölkte, ganz langsam bewölkte, während ihr Herz schon wieder in rasendem Takt durch ihre enge Brust galoppierte.

Und dann quietschte es. Ein Scharnier quietschte. In diesem Raum? Sie horchte in die Düsterkeit hinein, ob es weiterquietschte. Doch je mehr sie hören wollte und sich anstrengte, sich darauf zu bannen, umso heftiger schlug ihr Herz, bis in die Kehle, bis in die Ohren, und zuletzt hörte sie nichts außer ihr eigenes grässliches Pochen. „Wumm wumm wumm!“, immer wieder und in schnellerer Schlagfolge, es war als erdrückte sie das Gestampfe. Sie versuchte, sich dem Getöse zu entziehen, hielt sich die Ohren zu – und litt umso mehr, schmiss sich unter die Bettdecke – und bekam kaum noch Luft.

Dort - begraben unter den Daunen - glaubte sie wieder, das Scharnier zu hören, glaubte zu hören, dass dem Quietschen nun auch ein knarzendes Schreiten folgte. Und sie verfiel in ein schreckliches Zittern, grässlich unauflösbar, ein heftiger Reflex, der auch ihre Atmung umklammerte und ihre Zähne aufeinanderschlagen ließ. Das Zittern dauerte an, wurde immer heftiger und entzog ihr alle Kraft, so dass sie unter der Schwere der Decke in eine Schwärze fiel, die noch düsterer war, als all das, was vorher gewesen war. Die Luft entwich, der Puls schwamm mit.

Irgendwann wurde es im Raum wieder hell.

Doch unter der Decke blieb es schwarz.

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Tag der Veröffentlichung: 18.02.2017

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