Hallo liebe Leser,
Diese Geschichte habe ich vor ca. einem Jahr als Abschlussarbeit meiner Schule beendet.
Angefangen habe ich damit aber schon vor mind. 2 Jahren.
Es könnten noch einige Fehler zu finden sein, tut mir leid. Bitte lasst es mich wissen,
wenn ihr Einen gefunden habt.
Ich habe auch keine Absätze, da ich es als Datei hier her kopiert habe.
Aber wenn es fest stört, kann ich es ja noch ändern.
Ich hoffe, die Geschichte gefällt euch, viel Spass beim Lesen!!
Mercii
Figuren und Namen
Die Namen der Figuren sowie die Namen der Ortschaften in meiner Geschichte sind in Irisch geschrieben. Diesen Entscheid habe ich getroffen, weil ich es eine schöne Sprache finde und sie auch etwas Mystisches an sich hat. Die Namen habe ich nach dem Charakter oder der Eigenschaft des Objektes ausgesucht. Sie haben also immer eine Bedeutung. Hier sind alle Namen und deren Bedeutung zum Nachschauen aufgelistet. Um nicht alle Informationen im Voraus zu erfahren, empfehle ich, die Namen erst nachzuschlagen, wenn sie im Buch auftauchen. Die Namen sind jeweils kursiv gedruckt.
Aireagóir Cabhrach: Uhrmacher aus Iargúlta
Deutsch: hilfreicher Erfinder- Er konstruierte für die Rebellen einen mechanischen Vogel, der ihnen half, Botschaften zu verschicken.
Aonar: Unabhängiges und demokratisches Land auf Comhaontú
Deutsch: allein- Aonar ist die einzige Insel auf Comhaontú und ist somit völlig abgeschnitten vom Festland.
Ciúin: Anführerin der Rebellen
Deutsch: ruhig- Sie hatte eine sehr ruhige Persönlichkeit.
Comhaontú: Planet, auf dem die Geschichte spielt.
Deutsch: Vereinbarung- Alle Länder auf Comhaontú vereinten sich zu einem Pakt und schworen, als eine Welt zu bestehen und friedlich mit- einander umzugehen.
Dhá leathanach: Láidir's altes Schwert, das nun die Hauptfigur geerbt hat.
Deutsch: zwei Seiten- Láidir hat einen Schmied, der Waffen für die Marfachs herstellte, bestochen, ihm sein Schwert mit einer der unzerbrechlichen Klinge, der sogenannten "Marfachklinge", auszustatten. Weil der Schmied für Dreaded und Láidir arbeitete, war er also auf zwei Seiten.
Dreaded: König von Ollmhór
Deutsch: gefürchtet- Er brach den Schwur des Paktes und nahm ein Land nach dem anderen ein.
Iargúlta: Kleines Dorf in Aonar
Deutsch: entfernt- Die Lage des Dorfes ist sehr abgelegen.
Láidir: Anführer der Rebellen
Deutsch: stark- Da er in einem Steinbruch tätig war und dauernd Steine umherschleppen musste, war er sehr stark.
Marfach: Trupps von Dreaded
Deutsch: tödlich- Sie streifen durch die Städte und Dörfer und töten jeden, der ihnen zu nahe kommt oder versucht, sie anzugreifen. Ausserdem besitzen sie tödliche Kampfmethoden und Waffen. Sie sollen für Ordnung sorgen.
Ollmhór: Ursprüngliches Königreich von Dreaded
Deutsch: monströs- Ollmhór war einst ein kleines Königreich, doch da Dreaded nach unermesslicher Macht strebt, nahm er mehr und mehr Länder ein. So wurde sein Königreich immer monströser.
Shaoráil: Rebellengruppe
Deutsch: Freiheit- Die Gründer Ciúin und Láidir nannten sie so, weil sie für Freiheit und Frieden kämpften.
Síocháin: Region in Aonar
Deutsch: Frieden- Als Ciúin und Láidir diese Region für sich beansprucht haben, um dort ihr Haus 'glas Gerbera' zu bauen und um dort ungestört Pläne zu schmieden, gab ihr Ciúin den Namen Síocháin, da ihr der Friede sehr am Herzen lag.
Trodaí: Ehemaliger Angehöriger der Shaoráil
Deutsch: Kämpfer- Er hatte schon immer ein Kämpferherz. Er kämpfte an der Seite der Rebellen. Jetzt zieht er alleine durch Aonar und vernichtet soviele Marfachs wie möglich.
1. Kapitel
Bei den Klippen- die Geburt
Es ist dunkel und leise, bis ein heller Blitz den Himmel erleuchtet. Es ist eiskalt, als ich langsam wieder zu mir komme. Mein ganzer Körper ist durchnässt und ich habe einen salzigen Geschmack im Mund. Vorsichtig blinzeln meine Augen durch den prasselnden Regen in die düstere, kahle Landschaft. Ich zucke zusammen und weiche etwas zurück. Vor mir geht eine steile Klippe nach unten, die in einem tobenden, dunklen Meer endet. Spitze Felsen ragen zwischen den gewaltigen Wellen heraus, die gegen die hohe Felswand krachen. Ich versuche, mich langsam aufzurichten, doch es gelingt mir nur mit Mühe. Mein ganzer Körper zittert und ein gewaltiger Schmerz schiesst durch meinen Kopf. Der Boden ist nass und matschig. Im Schlamm kann man den Abdruck eines liegenden Körpers erkennen. Den Abdruck meines Körpers. Was ist geschehen? Wo bin ich? Ein letztes Mal wage ich mich vorsichtig an die fünfzig Meter tiefe Klippe. Mir wird schwindlig und schnell trete ich einen Schritt zurück. Ich will nur noch weg von diesem Ort. Ich will nach Hause. Doch da! Was war das eben? Mein Verstand scheint wohl dem Schwinden nahe zu sein. Ist da gerade tatsächlich etwas im Wasser aufgetaucht?
Ach quatsch- da war nichts. Oder etwa doch? Nun, ich weiss es nicht. Vielleicht ja, vielleicht nein. Mein Kopf tut zu fest weh, um nachdenken zu können. Alles schmerzt, von Kopf bis Fuss. Was nun? Soll ich schauen, ob da wirklich etwas war? Nein! Ich will nichts riskieren. Wer weiss, was das gewesen sein könnte. Am besten gehe ich einfach mal nach Hause. Doch Moment mal: Wo ist zu Hause eigentlich? Ich habe keine Ahnung wo ich bin. Aber das ist nicht das Einzige, das ich nicht weiss. Wer bin ich eigentlich und woher komme ich? Was ist nur geschehen? Ich kann mich an nichts erinnern. Denk nach, denk nach. Keine Chance, das grosse Loch in meinem Kopf bleibt gleich gross. Nicht einmal das kleinste Puzzleteil meiner Vergangenheit will zurückkehren. Am besten suche ich mir zuerst eine Unterkunft, denn die Dämmerung ist schon eingebrochen und ich habe keine Lust, im Dunkeln durch den Regen zu irren. Weit in der Ferne scheint ein schmaler, kiesiger Weg durch mein Ohr in das riesige Loch meines Kopfes zu führen und auf der anderen Seite wieder hinauszukommen, ohne jegliches Interesse, es stopfen zu wollen. Ich bin alleine und niemand kann oder will mir helfen. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als dem riesigen Loch entgegenzukommen und weiterhin dessen unauffüllbare Leere zu betrachten. Doch aufgeben will ich nicht. Auf gar keinen Fall! Ich werde die Reise auf mich nehmen und ich werde alles tun, um herauszufinden, wer ich bin. Mit diesen Gedanken ziehe ich also los.
2. Kapitel
Iargúlta- der Anfang
Nach gut einer Stunde Fussmarsch komme ich endlich in einem kleinen Dorf an der Küste an. Anders jedoch als an dem Ort wo ich aufgewacht bin, erstreckt sich hier ein langer hellbrauner Sandstrand. Nur ein gepflasterter Weg liegt zwischen dem einsamen Strand und der ersten Häuserreihe des Dorfes. Ohne Abstand reiht sich ein graues Steinhaus an das andere. Die Fenster sind zum Meer gerichtet. Aus einigen dringt sogar noch schwaches Licht. An manchen Wänden erstrecken sich breite Rollläden, hinter denen sich gläserne Schaufenster verbergen. Es riecht nach Fisch und Meerwasser. Ein langer hölzerner Steg ragt in das finstere, endlose Nichts hinaus und kleine Fischerboote schaukeln wild vor sich her. Es wird immer kälter und der Wind bläst immer stärker. Ein Holzbrett klappert ununterbrochen an den Türrahmen eines grossen Hauses. Die grosse Steinwand ist mit dicken, massiven Holzbalken versehen und endet in einem Spitz, der steil zum Himmel ragt. Das Dach besteht aus vielen Bündeln Stroh. Es scheint schon älter zu sein, denn einige Strohbündel faulen bereits. Hoffentlich ist das Dach dicht, denke ich besorgt. Auf dem hin und her baumelnden Brett steht gross "Iargúlta-Inn". Durch die alte, dunkelbraune Holztür dringt Musik und lautes Gelächter ins Freie. Ich nehme allen Mut zusammen und stosse die Tür ruckartig auf. Nachdem die Tür mit einem Quietschen aufging, schauen mich nun viele überraschte und verwunderte Augen an. Es scheint wohl, als habe niemand mehr mit Besuch gerechnet. An einigen Tischen sind noch Plätze frei und an anderen sitzen schweigend, alte Männer. Auf den meisten Holztischen stehen grosse Alekrüge, wie es sich gehört. Die einen sind schon fast leer, bei anderen überquillt der weisse Schaum auf den Tisch. In einer anderen Ecke legt sich langsam ein Tanz und auch die Musikanten unterbrechen ihr fröhliches Flötenspiel. Die Frauen tragen lange, einfarbige Kleider mit farbigen Stickereien am Rocksaum. Um die Bäuche schnüren sich lange Bänder, die hinten zu einer Masche gebunden werden. Die langen Trompetenärmel schweifen bei jeder Armbewegung hin und her. An den Füssen tragen sie balletähnliche Tanzschuhe. Immer noch starren mich alle fragend an. Gegenüber von mir, an der anderen Wand, steht eine Theke. Links davon führt eine robuste Treppe in den zweiten Stock. Langsam gehe ich auf die Theke zu, hinter der ein bärtiger alter Mann steht. Er hat eben noch einen leeren Alekrug fertig geputzt, doch nun tritt er vor mich hin und beginnt zu sprechen: " Willkommen in Iargúlta. Kann ich Ihnen helfen?" Die Gespräche werden wieder fortgesetzt und auch die Musiker spielen zaghaft weiter. "Ich suche eine Kammer für die Nacht und zwei einfache Verpflegungen," antworte ich entschlossen. Der Wirt weist mir einen Platz am Fenster zu. Ein jüngerer Mann sitzt mir gegenüber und isst seine Suppe fertig. Sein Gesicht ist unter der dunkeln Kapuze nur undeutlich zu erkennen. Ich hänge meinen Umhang an die Stuhllehne und setze mich. Die hellgrauen Handschuhe ziehe ich aus und stecke sie in die rechte Manteltasche. Neugierig blicke ich durch den Raum. Er ist vollkommen aus Holz, nur der Boden ist aus grossen, quadratischen Schieferplatten. Einige schwache Glühbirnen erleuchten den Raum mit warmem, heimeligem Licht. Trotzdem scheint es eine ungemütliche Spelunke zu sein. Durch die dünne Fensterscheibe kriecht die unangenehme Kälte in den bisher schon kühlen Raum. Der Wirt kommt mit einem Teller zu meinem Tisch und stellt ihn vor mir ab. Ich bedanke mich und schaue müde auf den mageren Inhalt. Er besteht aus Kartoffeln und drei Scheiben Speck, dazu ein halbes Stück Brot und ein voller Alekrug. Ich nehme das Brot in die Hand und stopfe einen grossen Bissen in den Mund. Der Mann, der mir gegenübersitzt, schiebt die Suppenschüssel zur Seite und blickt mich skeptisch an. Erst jetzt bemerke ich die riesige Narbe auf seiner linken Wange. Sie erstreckt sich von der Stirn über die gesamte Wange. Als er sieht, wie ich ihn anstarre, beginnt er mit mir zu reden: " Darf ich fragen, was Sie um diese Zeit in so einer abgelegenen Gegend suchen?" Ich schlucke den Klumpen in meinem Mund schnell runter und antworte rasch:" Das ist eine etwas kompliziertere Angelegenheit." "Nur zu", sagt der Mann, " ich habe Zeit." Ich lege das Brotstück zur Seite. Soll ich ihm wirklich sagen, was geschehen ist? Er wird es mir sowieso nicht glauben. Andererseits könnte er mir vielleicht helfen. "Nun ja, wie soll ich das erklären? Vor etwa zwei Stunden bin ich an einer Klippe, nicht weit entfernt von hier, aufgewacht. Ich lag am Boden und hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Das was jetzt kommt, scheint vielleicht etwas unglaubwürdig, aber ich versichere Ihnen, es ist die Wahrheit. Als ich aufstand und nach Hause gehen wollte, konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Also wollte ich mich auf die Suche nach meiner Vergangenheit machen. Schliesslich bin ich hier gelandet." Der Mann schaut mich grübelnd an und antwortet schliesslich: " Das ist aber wirklich ein verzwickter Fall. Nun, ich kann dir nicht helfen mein Junge. Tut mir wirklich leid. Ich bin mir sicher, du findest deine Antworten. Viel Glück noch." Mit diesen Worten erhebt er sich und schiebt den Stuhl zur Seite. Traurig bedanke ich mich. Wäre auch zu schön gewesen, wenn er etwas gewusst hätte. Er schiebt den Stuhl wieder an den Tisch und läuft in Richtung Theke, um zu zahlen. Dabei stösst er meinen Umhang zu Boden. "Entschuldigung!" Wirft der Mann schnell ein und bückt sich, um ihn aufzuheben. "Macht doch nichts. Schönen Abend noch," erwidere ich gelassen. Hastig geht er zur Theke, stellt das Geschirr ab, bezahlt und verlässt das Gasthaus mit schnellen Schritten. Mein Blick trifft auf den Boden, genauer gesagt auf einen kleinen, metallenen Gegenstand. Ich bücke mich und hebe ihn auf. Es handelt sich um einen kleinen Schlüssel. Den hat sicher der Mann von vorhin verloren, denke ich grübelnd. Ich springe auf und will aus dem Gasthaus stürmen, doch da erkenne ich eine seltsame Gravur auf dem Schlüsselkopf. So schnell wie er aus dem Gasthaus gelaufen ist, ist der bestimmt schon über alle Berge. Ich schaue mir den Schlüssel also genauer an. Auf dem Kopf ist ein eingraviertes "S" zu sehen. Was mag das bedeuten? Ich blicke umher. Niemand scheint in meine Richtung zu schauen. Schnell stecke ich den Schlüssel in die Jackentasche und setze mich wieder. Hastig verdrücke ich die restlichen Kartoffeln und den Speck. Das kalte Ale kippe ich in einem Schluck den Hals hinunter. Ich stehe auf und nehme den Umhang von der Stuhllehne. Vorsichtig balanciere ich den leeren Teller und den Krug zur Theke und stelle es ab. "Ich bin sehr müde und ich würde gerne auf mein Zimmer gehen," sage ich mit überzeugender Stimme. Der Kellner dreht sich zu einem Holzbrett an der Wand, nimmt einen Schlüssel vom Nagel und antwortet schliesslich: "Selbstverständlich! Ich hoffe, das Abendessen war Ihnen genehm. Folgen Sie mir bitte." Mit müden Schritten klettere ich hinter dem Wirt die Treppe hinauf. Auf dem zweiten Stock angelangt, passieren wir viele Türen. Sie sind mit 10, 11, 12 und so weiter angeschrieben. Schliesslich machen wir bei der Nummer 19 halt. Der Wirt stösst die Tür auf und bittet mich, einzutreten. Ich stolpere in den Raum und schliesse die Tür, nachdem mir der Wirt den Schlüssel übergeben und das Zimmer verlassen hatte. Ich blicke nun in eine kleine Kammer. An der Wand gegenüber befindet sich ein Fenster und rechts daneben ein kleiner Tisch. An der linken Wand, etwa in der Mitte, steht ein Bett. Der Rahmen ist komplett aus Holz gebaut und eine weiss-rot karierte Bettdecke verdeckt die Matratze. Ich setze mich an das Fussende und schaue in den Spiegel an der rechten Zimmerwand. So sehe ich also aus? Hätte schlimmer kommen können. Wie alt bin ich wohl? Ich schätze mich etwa 23 Jahre. Oder doch älter? Nein, nein, 23 ist eine schöne Zahl. Noch keine grauen Haare und keine Falten im Gesicht. Auf meinem Kopf sitzt ein dunkelbrauner Bürstenschnitt. Auch meine grossen Augen sind braun. Ich habe einen nicht zu grossen Mund und einen nicht zu langen Hals. Mein Äusseres scheint mich wohl doch nicht so fest zu interessieren. Trotzdem muss die Kleidung von oben bis unten begutachtet werden. An den Füssen trage ich hellbraune Fellstiefel. Vom Matsch sind sie im Moment aber mehr dunkel- als hellbraun. Mit einem Hauch von Dreck, denke ich und zaubere mir ein Lächeln aufs Gesicht. Die Hose ist aus schwarzem, glattem Leder. Ich spüre aber, dass sie wesentlich robuster ist, als sie aussieht. Komischerweise besitzt sie keinerlei Taschen. Über meinen Rücken erstreckt sich ein langer, dunkelblauer Umhang. Am oberen Ende ist eine bestickte Kapuze angebracht. Eine dicke, schwarze Wildlederjacke spendet mir den nötigen Schutz vor der Kälte. Rasch befreie ich mich von Umhang, Jacke und Hemd und starre fassungslos auf meinen Körper. Ein breites Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit. Gar nicht mal so schlecht, denke ich stolz und fahre vorsichtig über meinen muskulösen Bauch. Zufrieden lasse ich mich auf das Bett sinken. Ich schliesse die Augen, doch plötzlich kommt mir der seltsame Schlüssel wieder in den Sinn. Was hat nur dieses "S" zu bedeuten? Vielleicht steht es für den Gegenstand, den er öffnet. Ich überlege fieberhaft. Vielleicht ein Schrank? Oder etwa eine Schatzkiste? Das wäre nicht übel. Jetzt muss nur noch jemand eine Schatzkarte verlieren und ich würde zum Piraten. Mit diesen Gedanken schliesse ich langsam wieder meine Augen und schlafe ein.
Ein grosses Haus steht am Rande einer hohen Klippe. Die crèmefarbene Hausfassade blendet einen regelrecht durch den hellen Schein der Sonne. Das Gebilde sieht aus wie ein riesiger Quader. Auf dem Dach steht ein grosses, gläsernes Gewächshaus. In der Mitte der mir sichtbaren Hauswand ragt ein pompöser Balkon über die unterhalb liegende Tür hinaus. Der riesige, prachtvolle Garten ist von einer hohen Mauer umgeben. Eine breite Landstrasse führt zu einem verrosteten Tor. Es ist völlig mit Kletterpflanzen überwuchert. Doch durch das Grün und das Rot einiger Rosen, die sich den Metallstäben entlang ranken, ist deutlich ein grosses "S" zu sehen. Plötzlich stehe ich im Inneren der Mauer auf einem schmalen Kiesweg. Links und rechts vom Weg erstrecken sich zwei Gartenbeete. Darin wachsen viele grüne Blumen. Ich wusste gar nicht, dass es grüne Blumen gibt. Eine leichte Brise weht und lässt die Blumen in Richtung Schloss schauen. Auf dieses Zeichen gehe ich weiter. Vor mir protzt eine gewaltige Holztür. In der Mitte befindet sich ein Türklopfer. Er hat die Form eines Löwenkopfes. Mit seinem Mund hält er einen grossen Metallring fest. Ich klopfe einige Male an die Tür, doch nichts tut sich. Plötzlich scheint sich der Löwenkopf zu bewegen. Mit einem lauten Gebrüll öffnet er den Mund. Sein Schlund und seine Zähne werden immer grösser. Ängstlich trete ich ein Stück zurück, doch es ist zu spät. Ohne dass ich mich hätte wehren können, werde ich durch eine schmale, schwarze Röhre gezwängt und am anderen Ende wieder herausgespuckt. Fassungslos stehe ich inmitten eines langen Flurs. An den Wänden hängen grosse Gemälde. Doch für diese interessiere ich mich nicht. Langsam schlendere ich über den roten Teppich, bis ich zu einer Treppe gelange. Zielstrebig steige ich die Stufen in den zweiten Stock hinauf. Ich öffne die erste Tür und stehe nun in einem grossen Büro. Es ist sehr hell, da der Raum von mehreren grossen Fenstern geschmückt ist . Meine Augen sind jedoch auf einen grossen antiken Schreibtisch gerichtet. Auf der Tischplatte häufen sich Stapel von Briefen, Papieren und anderen interessanten Dokumenten. Doch wie hypnotisiert streckt meine Hand nach meiner Hosentasche und ich ziehe einen kleinen Schlüssel heraus. Mit seiner Hilfe gelingt es mir, eine Schublade zu öffnen. Ich ziehe sie langsam auf und zum Vorschein kommt...
Mist, genau im spannendsten Moment muss ich aufwachen. Dieser Traum hätte mir Antworten auf etliche Fragen geben können. Beinahe löste sich das Rätsel um die Schatztruhe. Warum mussten mich diese fiesen Sonnenstrahlen ausgerechnet jetzt auf den harten Boden der Realität zurückbringen. Auf den Boden der Unklarheit und der Unwissenheit. Verschlafen setze ich mich auf die Bettkante und reibe mir die kleinen Augen. Mit langsamen Bewegungen ziehe ich die nun trockenen Kleider an. Plötzlich fahre ich auf und meine Hand greift hastig in die linke Jackentasche. Gierig umfängt sie einen kleinen, kalten Gegenstand. Der Schlüssel ist noch da! Ich darf ihn auf keinen Fall verlieren!, rede ich mir ein. Schliesslich verlasse ich den Raum, schliesse hinter mir ab und gehe Richtung Treppe. Aus Zimmer 16 kommt gerade ein anderer Gast. Er begrüsst mich mit einem freundlichen "guten Morgen" und ich tue dem ebenso. Gelassen schlendern wir die Treppe hinunter und treten in den Speisesaal. Es sind nur wenige Gesichter zu sehen. Es scheinen aber nicht die Gleichen wie gestern Abend zu sein. Mit schnellen Schritten kommt der Wirt auf uns zu und zeigt auf zwei Plätze an einem kleinen Tisch in einer Ecke des Raumes. Wir setzen uns und warten auf das Frühstück. Es ist still. Einige sitzen schweigend an ihren Tischen oder essen ihre Mahlzeit. Es scheint mir schon fast unheimlich still, also versuche ich, ein Gespräch mit meinem Gegenüber zu beginnen: "Sind Sie auf der Durchreise?" frage ich neugierig. Er blickt vom Tisch auf und antwortet: "Ja, kann man so sagen. Ich komme nicht von Aonar." "Aonar?", unterbreche ich ihn. "Ja, Aonar. Wir sind hier in Aonar. Das Land, indem wir uns befinden, heisst Aonar," antwortet der Mann verwundert. Wie peinlich, nicht einmal den Namen des Landes zu wissen, indem man ist. Er sieht mich an, als wüsste ich nicht einmal den Namen des Planeten, auf dem wir uns befinden. Aber ich kann mich nun mal wirklich nicht erinnern. Aber das lasse ich lieber. Ich habe den Mann schon genug verwirrt. "Und Sie, woher sind Sie?" Na toll. Da hast du es. Was soll ich nun antworten? "Äh, ich, ich komme von hier. Ich musste nur im Gasthaus übernachten, weil sich mein Haus im Umbau befindet." Jetzt schaut er mich noch verdutzter an als vorher. Das war aber auch eine tolle Antwort. Nicht zu wissen, in welchem Land man sich befindet und dann noch zu sagen, man wohne hier. Etwas ungläubig blickt er mich an und sagt schliesslich: " Ach so." Zu meiner Rettung kommt nun endlich der Wirt mit zwei Tellern und zwei Bechern in den Händen. Ich bediene mich und stecke mir ein Stück Käse in den Mund. Der Mann schaut ebenfalls auf seinen Teller und bedient sich schliesslich auch. Nachdem ich die vier grosszügigen Stücke verdrückt habe, gönne ich mir einen Bissen vom Butterbrot. Irgendwie passt das nicht so gut zusammen. Da ich aber scheinbar nicht heikel bin, verdrücke ich auch das Brot mit einigen Bissen restlos. Rasch schütte ich alle Milch die im Becher war den Hals hinunter und stehe auf. Ohne dass der Mann etwas sagen konnte, gehe ich mit dem leeren Teller und Becher Richtung Theke. Dort angekommen, stelle ich beides ab und wende mich an den Wirten: " Ich würde gerne weitergehen." "Wie Sie wollen. Sie müssen mir nur noch den Schlüssel abgeben und bezahlen, " antwortet er gelassen. Bezahlen? Oh nein. An das habe ich gar nicht gedacht. Plötzlich beginnt sich mein ganzer Körper zu erwärmen und Schweissperlen bilden sich auf meinem Gesicht. Habe ich überhaupt Geld bei mir? Voller Hoffnung taste ich meinen Mantel ab und zu meiner Verwunderung klimpert darin tatsächlich etwas. Eilig greife ich in die rechte Tasche und ziehe einen ledernen Geldbeutel hervor. Ich öffne ihn, erspähe einige Geldmünzen und leere sie auf der Theke aus. Nebenan den Schlüssel. Mit gekonnten Bewegungen zählt er die Münzen und schiebt mir diejenigen, die zu viel sind, zu. Ich werfe sie zurück in den Beutel und lasse ihn wieder verschwinden. Der Wirt bedankt sich und ich verabschiede mich. Als ich zur Tür gehe, schaue ich nochmals zum Tisch in der Ecke. Der Mann blickt mich fragend an. "Vergessen Sie's einfach. Sie haben mich nie gesehen," rufe ich so deutlich wie möglich durch den Raum. Hoffentlich kommt der Mann je wieder auf andere Gedanken, denke ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Ich habe wirklich keine Lust auf Erklärungen. Mit dieser Tatsache ist die Sache für mich abgehakt und ich verlasse das Gasthaus gut gelaunt.
3. Kapitel
Die Brieftaube- die Schule
Die Sonne scheint und viele Menschen schreiten durch die gestern noch leeren Strassen. Auch die Fischerboote legen nicht mehr am Steg an, sondern treiben als kleine Punkte in weiter Ferne des Ozeans. Wohin soll ich nun gehen? Grübelnd schaue ich mir ein Schaufenster nach dem anderen an. Beim Vorbeigehen erkenne ich Kleider, Schuhe, Lebensmittel und vieles mehr. Doch vor einem Schaufenster bleibe ich interessiert stehen. Im Innern steht ein seltsamer Gegenstand, den ich noch nie gesehen habe. Er sieht aus wie ein grosser Vogel. Doch seine Flügel sind nicht aus Federn. Sie sehen viel robuster aus. Auch der Kopf und der Schnabel scheinen nicht naturgetreu zu sein. Es sieht vielmehr aus, wie ein mechanischer, blecherner Vogel. So etwas Seltsames habe ich bestimmt noch nie gesehen. Ich kann mich zwar nicht mehr an alles erinnern, aber das kommt mir jetzt doch etwas zu eigenartig vor. Wozu mag dieser Vogel nur gut sein? Dieses merkwürdige Gebilde muss ich mir unbedingt näher anschauen. Entschlossen stosse ich die Tür auf und trete wissbegierig ein. Der hohe Klang einer kleinen Glocke ertönt durch den Raum, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt. Nicht nur der Vogel scheint etwas Seltsames an sich zu haben. Der ganze Raum strahlt eine mystische Atmosphäre aus. Der Saal ist komplett aus Holz gebaut und bei jedem Schritt knarrt der Boden unter meinen Füssen. Der ganze Raum schimmert in einer hellbraunen, goldenen Farbe. Hinter einem roten Vorhang kommt plötzlich ein kleiner alter Mann zum Vorschein. Er trägt einen langen, grauen Bart und auf seiner spitzen Nase sitzt eine runde Hornbrille. Über seiner Kleidung trägt er eine weinrote, lange Arbeiterschürze, an der einige Taschen angebracht sind. Aus manchen schauen kleine Schraubenzieher heraus und aus anderen kleine Hämmerchen. Der Mann tritt in meine Nähe und fragt mit freundlicher Stimme: "Guten Tag, womit kann ich Ihnen behilflich sein?" Ich blicke wild um mich und gebe schliesslich zur Antwort: "Ich will mich ein bisschen umsehen, wenn das recht ist." Auf dem Gesicht des Mannes bildet sich ein Lächeln und er erwidert hastig:" Sehr gerne. Wenn Sie fragen haben, dürfen Sie sich gerne an mich wenden." Ich bedanke mich und gehe etwas umher. Der alte Mann verschwindet wieder hinter dem Vorhang. Mit grossen Augen gehe ich von einer Vitrine zur nächsten. In einigen liegen fein verzierte Taschenuhren in allen möglichen Grössen. Mein Blick richtet sich zur Wand. Viele, mit Mustern verzierte Wanduhren ticken vor sich hin. Alle tragen verschiedene Farben und eine ist schöner und aussergewöhnlicher als die andere. Das muss eine gewaltige Arbeit gewesen sein, diese Uhren von Hand zu verzieren. Wenn ich mich hier in einem Uhrenladen befinde, was hat dann der merkwürdige Vogel hier verloren? Ich trete näher an die Vitrine im Schaufenster, um das mechanische Gebilde genauer zu untersuchen. Seine Flügel hat er weit ausgespannt, als wollte er jeden Moment den Himmel emporsteigen. Das, was wie Federn aussieht, sind in Wirklichkeit Federförmige Metallplatten. Die einzelnen Plättchen sind sorgfältig übereinander geschichtet worden. Als ich näher hinschaue, erkenne ich am Körper viele unterschiedlich grosse Zahnrädchen. Sie scheinen sich aber nicht zu drehen. Zwischen den Zahnrädern ist ein kleines, rostiges Schlüsselloch zu sehen. Der lange Schwanz des Vogels besteht ebenso wie die Flügel aus verschieden langen Metallfedern. Der Hals sieht aus wie der bewegliche Armabschnitt einer alten Ritterrüstung. Trotz den rundlich abgeschliffenen Platten kann er sich höchstwahrscheinlich bewegen. Auch die Gelenke an den beiden Flügelenden scheinen betriebsfähig zu sein. Über dem Hals befindet sich ein sorgfältig ausgetüftelter Kopf. Die Form des Kopfes ist schwer zu definieren. Er sieht aus wie eine metallene Kugel mit je einer rundlichen Delle auf beiden Backen. Als Augen wurden zwei grün-blau leuchtende Edelsteine eingesetzt. Dank dem durchsichtigen Material der Dellen kann man ins Innere des Kopfes blicken. Es ist ein riesiges Gewirr aus Zahnrädern und grünen und roten Drähten. Der graue Schnabel ist geschlossen. Die Beine sind leicht angewinkelt und enden an zwei greiffesten Klauen. Mein Blick schwenkt zu einem kleinen, verstaubten Zettel auf der Vitrine:
Brieftaube
Aireagóir Cabhrach
Calafortstrasse 12
Neben dem Geschriebenen ist deutlich ein handgezeichnetes, "S" zu erkennen. Moment mal! Dieses "S" habe ich doch schon einmal gesehen. Schnell fasse ich in meine linke Manteltasche und ziehe den kleinen Schlüssel, den der Mann im Gasthaus verloren hatte, heraus. Tatsächlich, die zwei Buchstaben sind identisch. Ich zucke zusammen, denn mit lauten Schritten kommt der Ladenbesitzer auf mich zugerannt. " Nicht berühren! Sie haben ja keine Ahnung, wie wertvoll diese Brieftaube ist. Ihre Konstruktion hat mich fast zwei Jahre gekostet und sie ist das einzige Exemplar in ganz Aonar." Vor lauter Schreck lasse ich den Schlüssel fallen. In meinem Magen braut sich ein mulmiges Gefühl zusammen und ich bringe kein einziges Wort mehr heraus. Verwundert starrt der Mann auf den Schlüssel, der nun zwischen seinen und meinen Füssen liegt. Ich bücke mich hastig und hebe ihn auf. Der Mann scheint sich dafür zu interessieren und lehnt sich weit zu meiner Hand vor. Voller Neugier flüstert er leise: "Woher hast du diesen Schlüssel?" Mir fällt nichts ein und deshalb empfinde ich es als das Beste, ihm die Wahrheit zu sagen: "Den hat ein Mann im Gasthaus gestern Abend verloren." "Verloren? Das ist unmöglich! Wie sah der Mann denn aus?" fragt er besorgt. Ich überlege einen Moment und antworte schliesslich:"Ich denke, er war ungefähr 35 Jahre alt. Er hatte eine grosse Narbe auf seiner linken Wange. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern." Der Mann fährt mit einer Hand durch sein Gesicht und antwortet fassungslos: "Aber das kann nicht sein. Trodaí war hier?" Nervös blickt er durch den Raum: "Oh nein, wenn du wüsstest, wie gefährlich es ist, hierüber zu sprechen." Schnell läuft er zum Schaufenster und lässt mit einer raschen Handbewegung einen braunen Fensterladen runter. Mit der anderen Hand greift er nach einem Schlüssel, dreht ihn im Schloss und steckt ihn wieder ein. Dann wendet er sich zu mir und zieht mich an der Hand hinter den Vorhang in eine Nebenkammer. Es ist sehr dunkel, da der Raum keine Fenster besitzt. Nur das schwache Licht einer Glühlampe erleuchtet den kleinen Raum. In der Mitte der Kammer steht ein kleiner Tisch. Darauf stapeln sich Haufen von kaputten Uhren und Werkzeugen. Schnell räumt er die Unordnung vom Tisch und weist mich auf den ihm gegenüberstehenden Stuhl. Aufgeregt setzt er das Gespräch fort: "Hast du eigentlich eine Ahnung, wem du begegnet bist? Er hat den Schlüssel bestimmt nicht verloren. Warum hast du ihn gestohlen?" Weisst du wer das war? Ich weiss ja nicht mal wer ich bin- denke ich und antworte schliesslich:" Nein, hören Sie mir zu. Ich habe weder diesen Schüssel gestohlen, noch weiss ich, wer dieser Mann war." Misstrauisch schaut er mir in die Augen: "Ach wirklich? Und was tust du denn hier in dieser abgelegenen Gegend?" "Das ist etwas komplizierter. Aber ich muss es ihnen ja wohl erklären, obwohl Sie es mir sowieso nicht glauben werden. Seit gestern kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich weiss nicht einmal, wie ich heisse. Ich bin mit einem schmerzenden Kopf, irgendwo in der Nähe von hier, am Rande einer Klippe, aufgewacht. Es regnete, also wollte ich ins Trockene. Da fand ich das Iargúlta-Inn und übernachtete dort. Ich weiss, ich weiss. Ich würde es ja auch nicht glauben, wenn mir jemand so eine Geschichte erzählen würde. Aber ich bitte Sie, Sie müssen mir glauben!" Noch immer misstrauisch blickt er mir scharf in die Augen und beginnt mit ernster Stimme zu sprechen: "Ganz recht, ich würde es auch nicht glauben, wenn es mir jemand anderes sagen würde und ich glaube es auch ihnen nicht! Also los, raus mit der Sprache, wieso haben Sie diesen Schlüssel gestohlen? Wussten Sie wozu er dient, oder ging es ihnen einfach nur ums Geld?" Fassungslos und erschrocken zugleich schaue ich ihm ins Gesicht: Jetzt habe ich mir so viel Mühe gegeben, es einigermassen glaubhaft klingen zu lassen und jetzt das. Ein Dieb soll ich sein. Dabei war ich doch bloss freundlich. Ich hätte ihn auch einfach auf dem Boden liegen lassen können, wo ihn irgendeiner von diesen besoffenen Leuten mitgenommen und wahrscheinlich verloren hätte. "Zum letzten Mal. Ich bin kein Dieb und ich habe diesen Schlüssel nicht gestohlen! Ich wollte ihn dem Mann bringen, doch er war zu schnell," antworte ich genervt. Der Kopf des Mannes wird knallrot und sein Atem immer schneller. Er holt tief Luft und brüllt mit lauter Stimme: "Hör mir mal zu, Junge! Dieser Schlüssel war entscheidend für unser aller Schicksal. Und wenn du glaubst, dass Trodaí ihn einfach so verlieren würde, hast du dich gewaltig getäuscht. Er wurde dazu auserwählt, ihn zu beschützen und bei keinem ist er besser aufgehoben. Also jetzt frage ich dich zum letzten Mal: Warum hast du ihn gestohlen?" Jetzt wird's mir zu viel und ich beuge mich weit über den Tisch und antworte genervt: "Haben Sie schon mal daran gedacht, dass, wenn dieser Schlüssel so wichtig ist und er ihn nie verlieren würde, er ihn mir absichtlich hinterlassen hat? Aber was soll's, mit ihnen hat es ja sowieso keinen Zweck zu reden." Das war unklug, denn mit festen Griffen packt er mich an den Schultern und zieht mich kurzerhand über den ganzen Tisch. Erschrocken liege ich am Boden und versuche mich wieder aufzurichten. "Gar nicht so schlecht für einen alten Mann wie Sie", huste ich durch den Raum. "Pass lieber auf was du sagst! Gegen mich hast du keine Chance." Das werden wir ja noch sehen, denke ich hochnäsig. Zielstrebig greife ich nach dem Stuhl neben mir und hebe ihn auf. Die Stuhlbeine nach vorne gerichtet, laufe ich auf den Mann zu, um ihn mit aller Wucht an die Wand zu drücken. Geschickt jedoch weicht er meinem Vorhaben aus und ich rase mit einem lauten Knall gegen die steinharte Wand. Schon wieder liege ich auf dem Boden. "Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein," lacht der Mann mit vollem Recht. Das war nun aber auch wirklich voraussehbar und dumm, denke ich stinksauer. Das war es aber noch lange nicht, ich lasse mich doch nicht von so einem alten Mann demütigen. Rasch und ohne jegliche Anmerkungen darüber, dass mir dieses Missgeschick auch nur ein bisschen wehgetan hat, richte ich mich wieder auf. Meine Augen funkeln vor Wut und meine Hände ballen sich schlagartig zu riesigen, luftlöcherfreien Fäusten zusammen. Ich werde es ihm zeigen. Also starte ich einen erneuten Angriffsversuch. Diesmal jedoch ohne irgendwelche Hilfsmittel. "Nur Sie und ich", schreie ich ihn an. "Wie Sie wollen", antwortet der alte Mann freudig. Wie kann man nur so starrköpfig sein?, frage ich mich. Ich koche fast über vor Wut und er steht da, gelassen, als hätte er den Kampf schon längstens gewonnen. Aber warte nur, dem werde ich es zeigen! Reflexartig nehme ich meine Arme nach oben und halte meine Fäuste schützend vor das Gesicht, als ich sehe, wie sich mein Rivale zum Duell bereit macht. Nach einigen Schlägen ins Leere, tut er dem ebenso und wir schauen uns mit scharfen Blicken in die Augen. Er, mit einer noch immer ruhigen aber selbstbewussten Aura und ich, mit einem Blick, der vor lauter Wut schon fast unheimlich scheint. Meine Hände zittern, so aufgeladen bin ich und mein Kopf, so heiss wie ein Schmiedeofen, wartet nur darauf, loszulegen. Wird höchste Zeit, diese gewaltige Energie freizusetzen.
Mit diesen vielversprechenden Gedanken tätige ich den ersten Schlag, der seinen Zweck nur knapp verfehlt. Eine zweite Hand, die ihr Ziel jedoch nicht verfehlt, kommt ins Spiel. Das Ziel war mein Gesicht und die Faust war hart wie Stein. Es kommt mir vor, als hätte mich die gesamte Kraft meines Daseins verlassen und ein pochender Schmerz fährt durch meinen Körper. Ich bereue es schon jetzt, diesen Kampf angetreten zu haben. Wieso nur, wieso muss ich nur so stur sein? Ich fasse mir an die Stirn, doch der Schmerz lässt nicht nach. "Was, willst du schon aufgeben?", fragt der Mann höhnisch. Niemals, ich werde nicht verlieren! Reiss dich zusammen, reiss dich zusammen, hämmere ich mir in den Kopf. Mit einem trüben Blick betrachte ich meine missliche Lage, in welche ich nie hätte kommen sollen. Ich kneife die Augen zusammen und öffne sie wieder. Doch es bringt nichts. Mein Feind bleibt weiterhin verschwommen. Das war ein gefährlicher Treffer. Wieso habe ich den nicht kommen sehen? Streng dich an! Trotz heftiger Kopfschmerzen versuche ich es noch einmal und schlage dem Mann mit aller noch in mir steckenden Kraft meine Faust ins Gesicht. Doch auch dieser Versuch bleibt erfolglos. Und da passiert es:
Angewurzelt wie ein Baum stehe ich da und kann mich nicht bewegen. Ich kann meinem Schicksal nur ins Auge blicken und hoffen, dass es so schmerzlos wie möglich abgehen wird. Doch dies war leider nur eine Hoffnung. Mein Gesicht dreht sich ab, als die riesige Faust auf meiner Wange aufprallt. Niemals hätte ich mir erträumt, einen solchen Moment erleben zu müssen, doch ich bin selber schuld. Mein Kopf fühlt sich bleischwer an und ich kann meine Augenlieder kaum noch offen halten. Nur ein immer lauter werdendes Pfeifen hat sich in mein Ohr eingenistet. Alles andere scheint meinen Körper verlassen zu haben. Ich bin leer, aber trotzdem reisst mich die Schwerkraft zu Boden. Mein Kopf scheint zu zersplittern wie ein kaputtes Weinglas, als er mit einem Knall auf dem Fussboden aufprallt. Mir war noch nie so schlecht und die Kopfschmerzen sind unerträglich.
"Gib auf, oder hier auf dem Boden liegen und weinen ist deine letzte Tätigkeit!"
ein helles Licht,
verschwommene Silhouetten.
" Deine letzte Tät..Cha. Deine letze Chance. Dies ist deine letze Chance, wenn er es jetzt nicht schafft, dann nie!"
ein helles Licht,
zwei Gestalten
und ein Gefühl:
Angst
"Wir müssen es versuchen Doktor. Ich hoffe doch schwer, Sie haben ihr Elixier weiter ausgebessert!" "Natürlich habe ich es versucht. Aber ich kann nichts garantieren." "Na gut. Also, los!"
eine Hand,
eine Spritze
und danach:
SCHWARZ
Meine Augen öffnen sich schlagartig und wie besessen blicke ich um mich: "Was war das? Was war das? Dieser Mann, den habe ich schon einmal gesehen. Wer war das?", schreie ich zappelnd durch den Raum.
Der alte Mann, der mich mit grossen Augen anstarrt, versucht mich zu beruhigen, doch es gelingt ihm nicht: "Beruhigen Sie sich. Das war doch nichts. Sie waren bewusstlos, sie haben nur geträumt." "Nein, bestimmt nicht. Es war alles so echt. Die Gefühle, die beiden Männer. Einen von ihnen habe ich schon einmal gesehen. Ich bin mir ganz sicher. Er hatte dieselbe Narbe im Gesicht wie der Mann, den ich gestern im Gasthaus gesehen habe. "Trodaí, oh nein," flüstert der Mann besorgt. "Wie war das?" frage ich ihn mit ernster Stimme: "Was haben Sie gesagt?" Schnell schaut er vom Boden auf und beginnt irgendwelche unverständliche Sätze zu murmeln. "Ich.. ähm.. ich habe nur laut gedacht. Es... ähm.... ich.... also ich meinte." Lange Zeit schweift sein Blick durch die Kammer, als suche er etwas, um mich ablenken zu können. Sein Blick bleibt auf einem Stück Metall haften: "H..hier, lass uns herausfinden, was es mit deinem Schlüssel da auf sich hat!" Meinem Schlüssel? Ich dachte, ich habe ihn geklaut. Was ist nur geschehen, dass der Mann plötzlich das Geheimnis um diesen Schlüssel preis gibt? Ich packe ihn und laufe dem Mann eilig hinterher, bis wir bei der Vitrine, in der dieser merkwürdige Vogel steht, Halt machen. Ich strecke dem stolzen Erfinder den Schlüssel hin und er zieht aus seiner Arbeiterschürze ebenfalls einen hervor. Vorsichtig dreht er den kleineren in einem Schloss, welches an der rechten Seite der Vitrine angebracht ist. Dank zwei Scharnieren gelingt es ihm, die vordere Scheibe mühelos zur Seite aufzuklappen. Der Geruch von Metall und Öl liegt in der Luft. Präzise betrachtet der Erfinder sein Meisterwerk von Kopf bis Fuss. Dann steckt er den anderen Schlüssel vorsichtig in das von Zahnrädern umgebene Schlüsselloch. Langsam dreht er ihn im Uhrzeigersinn. Gleichzeitig bewegen sich auch die vielen Zahnräder zögerlich. Plötzlich tritt ein immer lauter werdendes Surren in den Vordergrund und die Zahnräder beginnen, sich immer schneller zu drehen. Das Schlüsselloch scheint das Herz des Vogels zu sein, denn, wie die von einem ins Wasser fallenden Stein ausgehenden Wellen, beginnen sich immer mehr Zahnräder zu drehen. Das Surren wird immer lauter und auf einmal schaut mir der Vogel mit hell aufleuchtenden Augen ins Gesicht. Spinne ich jetzt vollends oder bewegt sich sein Kopf wirklich?, denke ich und starre mit gross aufgerissenen Augen auf die Brieftaube. Tatsächlich! Der Vogel blickt wild um sich.
"Zur Seite!", ruft der Mann und zieht mich zu sich. Im selben Moment richtet sich der Vogel auf und schiesst mit einem kräftigen Flügelschlag durch die Vitrine. Sie zerfällt in tausend Stücke, die nun zerstreut auf dem Boden herumliegen. Zum Glück bin ich nach hinten gewichen , denn beinahe hätte mich einer der gewaltigen Flügel im Gesicht gestreift. Jetzt beginnt der Vogel sogar Geräusche von sich zu geben. Es ist aber kein Gezwitscher, wie man es sich sonst von Vögeln gewohnt ist. Nein, es tönt viel mehr wie Schreie. Ja, der Vogel schreit. Was hat er nur? Er schlägt noch immer wild um sich und stösst immer wieder mit dem Kopf gegen die Zimmerdecke. Das arme Tier, denke ich. Bis mir einfällt, dass er ja gar kein echtes Lebewesen ist. "Was ist denn los mit ihm?", brülle ich durch den ohrenbetäubenden Lärm. Da antwortet der mit beiden Armen in der Luft herumwirbelnde Erfinder: "Geh zurück. Ganz nach hinten zur Wand! Er ist schon lange nicht mehr in Bewegung gesetzt worden. Ich denke, er ist verwirrt und hat ein wenig Angst." "Angst? Wie kann denn ein blechernes Kunstwerk Angst haben?", schreie ich ihn an. Ein zorniger Blick erfasst mein Gesicht: "Er hat sehr wohl Gefühle und versteht jedes Wort, das du sagst. Also sei still!" Der Mann versucht noch immer, den wilden Vogel mit streicheln und Worten wie: "Ist doch gut, du kennst mich doch, ist doch alles gut," zu beruhigen. Nach einer Weile gelingt es ihm sogar und das unzähmbar geglaubte Biest lässt sich langsam auf die Überreste der Vitrine niedersinken. Neugierig streckt er seinen Hals in meine Richtung und mustert mich von oben bis unten. Irgendwie habe ich das Gefühl , sein Blick hat etwas Skeptisches an sich. Doch nun schaut er mich an, als wolle er etwas von mir. Vorsichtig trete ich näher an den Vogel heran. Sein Blick schweift zum Schlüssel, der immer noch im Schlüsselloch an seiner rechten Körperseite steckt. Dann schaut er mich fragend an. "Was, ob ich den Schlüssel gefunden habe?" frage ich ihn stirnrümpfend. Jetzt glaube ich schon selber, dass er mich versteht. Doch zu meinem Erstaunen nickt sein Kopf hastig. Mit gross aufgerissenem Mund starre ich nun in seine fragenden Augen: "Ja, den hat ein Mann gestern Abend im Gasthaus verloren. Er hiess, glaube ich, Trodaí." Ich schaue unsicher zum ängstlich wirkenden Erfinder. Er weiss sofort, auf was ich hinaus will und nickt schnell. Dieser Mann war also wirklich Trodaí, wer auch immer das sein mag. Auf einmal beginnen die Augen des unruhigen Vogels wortwörtlich vor Freude zu funkeln und aufgeregt wackelt er mit seinem hinteren Federbusch. Er kennt ihn wohl auch. Irgendwie habe ich so das Gefühl, jeder kennt ihn. Nun ja, ausser mir eben. Das muss sich schleunigst ändern! Ich will auch wissen, wer dieser scheinbar legendäre Mann ist. Ein Krächzen lässt mich von meinen Gedanken aufblicken und ich schaue dem Vogel gespannt zu, wie er mit seinem Schnabel auf den Scherben der Vitrine herumpickt. Es scheint, als suche er etwas Bestimmtes. Auf einmal weist er mit seinem Kopf auf ein Stück Papier hin, das nun unter den Scherben hervorgekommen ist. Es ist die Visitenkarte. Mit der Spitze des Schnabels zeigt er gezielt auf das Geschriebene: Brieftaube. Was will er damit nur sagen?, überlege ich fieberhaft. "Ach so", fällt es mir ein, "du bist die Brieftaube! du willst wissen, wer ich bin. Tja, wenn ich das wüsste. Leider weiss ich gar nichts mehr über mich, über irgendjemanden oder irgendetwas. Mir muss wohl jemand mächtig was über den Schädel gezogen haben." Die Taube findet das wohl nicht so lustig wie ich, denn mit ernster Miene betrachtet sie mich nochmals von oben bis unten. Was will sie denn jetzt schon wieder? Langsam habe ich diese Rätsel satt. Ich bin doch kein Detektiv. Wenn, dann bräuchte ich eher einen und zwar so bald wie möglich. Zu meiner Zufriedenheit passiert nun endlich einmal etwas Spannendes. Dasselbe Surren wie vorhin ertönt, doch komischerweise beginnt das arme Tier wie verrückt Rauch von sich zu geben. Ich muss husten und der Mann neben mir streckt mir eilig ein Taschentuch hin. Mit der anderen Hand hält er sich selbst eines vor die Nase. Schnell greife ich zu und tue es ihm gleich. Der ganze Raum ist voller Rauch und ich kann kaum noch an die andere Wand blicken. Doch etwas sehe ich sehr wohl. Es kommt mir vor wie ein Déjà-vu, als der geöffnete Schnabel des Vogels plötzlich immer grösser und grösser wird. Wie der Löwenkopf in meinem Traum, denke ich wohl ein bisschen zu laut: "Was hast du gesagt?" Hilflos, doch mit einem Blick, der um jeden Preis etwas unternehmen will, schreit er mich an: "Was hast du getan? Die Brieftaube hat noch nie so viel Rauch von sich gegeben, " ruft der Erfinder empört. Doch ich bemerke seine Worte kein bisschen und schaue gespannt auf den immer grösser werdenden Schnabel. Sein Radius scheint immer weiter und weiter zu wachsen. Doch auf einmal ist der Spuk vorbei und das Surren lässt nach. Der Vogel macht keinen Wank und steht da, als hätten wir ihn nie in Bewegung gesetzt. "War es das, oder kommt noch mehr?", frage ich den Mann gespannt. Ahnungslos zuckt er mit den Schultern und wedelt mit dem Taschentuch vor seinem Gesicht herum. Ich blicke erwartungsvoll auf den Vogel, aber nichts passiert. Scheint, das war es wirklich. Aber was sollte das? Doch da erkenne ich, dass etwas zu seinem Schnabel herausschaut. Was ist das?, denke ich und trete näher heran. Sieht aus wie eine Schriftrolle. Vorsichtig ziehe ich sie aus seinem Schlund und rolle sie auf. Jetzt kommt auch der Erfinder in meine Nähe, um sich das Stück Papier genauer anzusehen. "Was ist das?", fragt er mich mit weit aufgerissenen Augen. "Das ist eine Art Karte, glaube ich zumindest," gebe ich unsicher zur Antwort. Das Papier scheint schon älter zu sein, denn es ist schon ganz vergilbt. Am oberen Rand des Blattes steht in verschnörkelter Handschrift:
Dies ist der Weg zum Ursprung der grünen Gerbera
Was mag das nur zu bedeuten haben? "Was ist die grüne Gerbera?", frage ich interessiert. Der Mann überlegt eine Weile, doch dann hebt er seinen Kopf und antwortet: "Die Gerbera ist eine Blume. Ich weiss, dass Blumen eigentlich nicht grün sind, aber wie du vielleicht weisst, hat jede Farbe eine Bedeutung. Grün zum Beispiel steht für Hoffnung, ebenso wie die Gerbera. Man sagt auch: Gerbera, durch die alles besser wird. Diese Blume ist das Zeichen der Shaoráil. Aber der Ursprung der grünen Gerbera," überlegt er kurz, "damit könnte das Haus von Ciúin und Láidir gemeint sein. Aber wozu?" Shaoráil, Ciúin und Láidir? "Wer sind diese Leute?", frage ich den Mann skeptisch. Er überlegt lange, doch dann antwortet er schliesslich: "Nun gut, ich werde es dir erzählen, aber schht!" Er beginnt mit einem Seufzen:
"Da muss ich etwas weiter ausholen. Das Ganze begann vor einiger Zeit: Es war schrecklich, als die skrupellose Armee von Dreaded begann, ein Land nach dem anderen einzunehmen. Niemand war vor ihm sicher, bis eine Rebellengruppe, die Shaoráil, begann, Widerstand zu leisten. Ihre Anführer waren Ciúin und Láidir, ein Ehepaar aus Aonar. Sie versuchten, so viele Länder wie möglich zu retten. Ihr Motto war: Immer so gewaltfrei wie möglich vorzugehen. Das ist das, was ich am meisten bewundert habe." Lange starrt er vor sich hin und fährt nach einiger Zeit fort:
"Vor 5 Jahren gründeten sie diese Rebellengruppe. Immer mehr Erwachsene schlossen sich ihr an. Zusammen kämpften sie nicht nur für Aonar, sondern für alle Länder auf Comhaontú , die betroffen waren. Comhaontú ist übrigens der Planet, auf dem wir uns befinden, falls das deinem Gedächtnis auch entfallen sein sollte." Ein kalter, finsterer Blick erreicht sein Gesicht. Mein Blick. Falls das deinem Gedächtnis auch entfallen sein sollte. Phh, etwas mehr Respekt bitte. Ich bin schliesslich ein Opfer der Vergessenheit. Das ist ja nicht meine Schuld. Ich höre die besorgte Stimme des Erfinders und höre ihm also wieder aufmerksam zu: "Da Aonar eine kleine, unbedeutende Insel ist, liess Dreaded uns in Ruhe. Dies nutzten Ciúin und Láidir aus und begannen, die Rebellengruppe zu bilden. Als sie eine kleine Stadt im Norden verteidigten, hatte Dreaded es satt, dass diese kleine Insel dauernd Widerstand leistete. Also schickte er alle Truppen los und tötete gut die Hälfte der Rebellen. Unter den Toten befanden sich auch die Anführer. Nach diesem Vorfall löste sich der Rest der Gruppe auf. Sie wollten das begonnene Werk von Ciúin und Láidir nicht mehr ohne sie fortsetzen. Keiner fühlte sich gut genug, in ihre Fussstapfen zu treten. Ein guter Gefährte von ihnen, der ebenfalls an ihrer Seite kämpfte, war Trodaí. " "Dieser Trodaí- war das der Mann im Gasthaus?", frage ich behutsam. "Ja, gemäss deiner Beschreibung war er es." In meinem Kopf bildet sich ein Gemisch aus Unklarheit und Angst. Eine Rebellengruppe und dann dieser Dreaded. Herrscht auf der ganzen Welt Krieg? Bin ich hier sicher? Und noch dieser merkwürdige Vogel. Wozu ist der bloss gut? Behutsam frage ich ihn: "Diese Brieftaube. Was ist sie genau und wozu ist sie gut?" Er lächelt ein wenig und beginnt fachmännisch über den Vogel zu sprechen: "Na gut, ich vertraue dir auch dieses Geheimnis an. Aber natürlich unter höchster Geheimhaltung. Wenn ich dich jetzt so anschaue, scheinst du mir doch ein anständiger Kerl zu sein. Die Brieftaube ist ein einmaliges Exemplar. Natürlich von mir ,Aireagóir Cabhrach, ausgeklügelt und angefertigt worden. Sie diente nur zu einem Zweck. Zur Überlieferung von Nachrichten unter den Rebellen. Sie wurde oft eingesetzt , da das die schnellste und sicherste Methode war, Botschaften untereinander auszutauschen. Ich weiss, dass es gefährlich ist, sie im Schaufenster herumstehen zu haben, aber ich brachte es nicht übers Herz, sie zu vernichten. Natürlich weiss niemand ausser mir und den Rebellen, wozu sie gedient hat. Wenn jemand fragt, sage ich immer, sie diene nur zu Dekorationszwecken." Grübelnd antworte ich:
"Sie sagten, es wäre gefährlich, sie hier stehen zu haben. Aber wieso denn? Ist diese Armee dann doch nach Aonar gekommen?" Schnell schüttelt er den Kopf und sagt empört:" Oh nein. Aonar ist noch immer ein von Ollmhór unabhängiges Land. Das ist das Land, von dem aus Dreaded herrscht. Seit die überlebenden Rebellen einen Teil seiner Armee umgebracht haben, hat er etwas Respekt vor uns. Doch immer mehr Schiffe legen an der Ostküste an. Er schickt kleine Trupps los, die die Dörfer und Städte durchlaufen. Damit will er verhindern, dass keiner mehr Pläne schmieden und eine neue Rebellengruppe errichten kann. Manchmal streifen sie auch bei uns umher. Wenn du auf einen solchen Trupp stossen solltest, halte dich zurück und provoziere sie nicht. Sie heissen nicht umsonst "Marfach", was tödlich bedeutet. Sei dir sicher, die achten nicht auf Verluste." Also mit so einem Trupp werde ich wohl noch fertig, denke ich aufgebracht. Der Zorn und meine Gedanken sind meinem Gesichtsausdruck wohl zu entnehmen, denn rasch antwortet er:
"Das haben schon viele gedacht. Ich werde dich auf dem Friedhof besuchen, bei all denen, die es versucht haben. Ihre Rüstung ist vollkommen aus Stahl und undurchdringlich für jede Klinge. Sie besitzen Schwerter mit einer Marfachklinge, die unzerbrechlich ist. Lass es also lieber sein. Obwohl, du kannst dich ja an nichts mehr erinnern. Vielleicht möchtest du ja ein neues Leben beginnen und Trodaís Handwerk folgen. Er ist der Einzige den ich kenne, der es vermag, einen ganzen Trupp alleine zu besiegen. Wie wär's? Wir könnten dringend jemanden wie dich gebrauchen." Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Da beginnt man sein Leben wieder neu zu ordnen und könnte alles tun und lassen und dann dies: Krieg! Das kann es doch nun wirklich nicht sein, denke ich genervt. "Nein danke, ich habe Besseres vor." Mit diesen Worten lehne ich sein nicht gar so reizendes Angebot ab und wende mich wieder der Karte in meiner Hand zu:
In schwarzer Farbe ist eine längliche, ausgefranste Insel zu sehen. Mit blauer Tinte wurden einzelne Ortschaften hereingekritzelt. Mit grossen Punkten sind wohl die Städte und die grösseren Ortschaften markiert und mit den kleineren Punkten die Dörfer. So klein ist also diese Insel- denke ich abschätzig. Anders als Aireagóir, der mir stolz einige Ortschaften nennt: "Siehst du, da unten, im untersten Zipfel an der Westküste der Insel, sind wir. Und etwas weiter oben, in der Mitte, befindet sich Loch Uachtair, was so viel wie "oberer See" bedeutet. Die Ortschaft liegt nämlich am Ufer des oberen der zwei untereinander liegenden Seen Aois. Aois wiederum bedeutet das Alter. Diese Seen sind schon hier seit Anbeginn der Zeit. Seit es Comhaontú gibt, gehören diese Gewässer zu der bezauberndsten Gegend auf der ganzen Welt. Und der Punkt dort in der Mitte der Insel, an der Ostküste, ist Aigéan Chathair. Eine wundervolle Hafenstadt, in der viele Dampfschiffe anlegen. Diese exportieren Waren von Caipitil, unserer Hauptstadt, auf das Festland und umgekehrt. Ich weiss noch genau, als ich früher mal dort war..." Oh nein, im ernst? Jetzt habe ich wohl das Unaufhaltbare erreicht. Ein alter Mann, der freudig von seinen alten Zeiten "als man noch jung war" erzählt und erzählt und beinahe vergisst, Luft zu holen- ob ich wohl auch so schlimm werde?, denke ich genervt. Obwohl, von meinen ersten 20 Lebensjahren werden meine Enkel wohl nicht so viel hören. Oder sollte ich ihnen etwa erzählen, dass ich in einen Unabhängigkeitskrieg verwickelt war und beinahe den Angreifer besigt hätte, als mir plötzlich jemand seine Flinte über den Kopf gezogen hatte? Ja, das wäre doch mal eine Heldengeschichte. Tja, leider wäre die Wahrheit wohl nicht so ruhmreich. Wahrscheinlich würde sie etwa so klingen: Ein ungeschickter, unerzogener Bengel, der bei Regen den Kopf nicht bei der Sache hatte, ausrutschte und auf den Kopf fiel. Die Nachwirkungen: Ein heftiger Gedächtnisschwund, den er für den Rest seines Lebens mit sich herumträgt. "Das interessiert mich ja wirklich sehr, aber sollten wir nicht langsam herausfinden, was es mit dem "Weg zum Ursprung der grünen Gerbera" auf sich hat?", frage ich Aireagóir und halte ihm die Karte unter die Nase. Er greift danach und untersucht sie mit scharfen Blicken. Sein Zeigefinger streift sachte über die Oberfläche, bis er vor einem grünen Punkt halt macht. "Hier, der grüne Punkt müsste es sein. Dort befindet sich das Haus von Ciúin und Láidir, den Gründern der Rebellengruppe." Super!, denke ich mir. Es musste ja gerade der am weitesten von hier entfernte Punkt sein. "Weit im Norden an der Westküste Aonars liegt eine verlassene und abgelegene Gegend, die Síocháin. Nicht viele Menschen besuchen dieses Gebiet. Denn dort im Nirgendwo liegt das für die Bewohner schon fast heilige Haus "glas Gerbera". ''Glas'' bedeutet so viel wie grün. Hinter diesen Mauern begann alles. Die Shaoráil, die Rebellion, die Hoffnung. Doch all dies ging an einem einzigen Tag verloren. An diesem denkwürdigen Tag starben die mutigen Helden eines jeden Bürgers auf Comhaontú. Der Tag, an dem Ciúin und Láidir ihr Leben für die Freiheit liessen. Seit diesem Geschehnis betrat ,als Zeichen der Ehre, keiner je wieder dieses Haus und so geriet es nach und nach in Vergessenheit. Die Leute wollen gar nicht mehr daran denken, dass es je andere Zeiten gab. Sie haben die Hoffnung verloren. Es muss also schon einen Grund geben, warum dich jemand dorthin schickt. Aber ich nehme an, du weisst wie immer nicht warum." Sein Blick schaut mich bettelnd und ängstlich an. Ich habe verstanden, dass dies nicht einfach irgend eine Karte ist. Es verbirgt sich mehr dahinter. Aber wer will, dass ich dorthin gehe und warum? Wie immer stehe ich vor einer geschlossenen Tür. Den Schlüssel? An einem Ort, wo ich ihn nie finden werde. Was dahinter liegt? Die Antworten auf alle meine Fragen. Ich habe keine Chance, sie zu öffnen. Ich kann nur weitergehen und durch die nächste Tür in einen mir völlig fremden und unbehaglichen Raum treten. So, wie ich jetzt wohl zu diesem Haus gehen muss, ohne zu wissen, was mich dort erwarten wird. Dieser Ort könnte alles Mögliche verbergen, Gefahren aber auch Antworten. Ich blicke lange ins Leere und überlege fieberhaft. Doch dann nehme ich einen tiefen Atemzug und lege meine rechte Hand auf Aireagóirs Schulter:
"Ich werde herausfinden, was es mit der Karte und diesem Ort auf sich hat. Ich habe zwar keine Ahnung, was mich dort erwarten wird, aber ich muss es wagen."
4. Kapitel
Die Reise zur Síocháin- die Lehre
Der Regen prasselt ununterbrochen auf das dem Einsturz naheliegende Dach dieser alten, kleinen Hütte.
Einen halben Tagesmarsch habe ich schon hinter mir und seit ich Iargúlta verlassen habe, ist nichts mehr von diesem schönen, sonnigen Morgen übrig. Keine Menschenseele habe ich angetroffen und keine Ortschaft gefunden. Ich bin schon wieder alleine. Alleine und verloren, wie ich es wahrscheinlich auch immer bleiben werde. Vielleicht ist es meine Bestimmung, mich selbst, ohne jegliche Hilfe durch mein leeres Leben zu kämpfen. Vielleicht ist es auch besser so. Keine nervigen Leute, die dir dauernd sagen, was du nicht weisst, selbst die Antwort auf deine Fragen aber nicht wissen. Wie ein hilfloses Kind irre ich in der Gegend herum. Es scheint mir schon fast so, als wolle die Welt selbst nicht, dass ich die Wahrheit und die Antworten auf meine Fragen erfahre. Manchmal, in den Momenten, in denen ich verloren vor all diesen verschlossenen Türen stehe, spricht sie zu mir: "Lass es sein. Es ist besser für dich, so wie es ist." Wieso muss ausgerechnet ich vor diesen Türen stehen. Vor diesen Türen, die nicht aufgehen wollen. Vor diesen Türen, die es als das Beste für mich erachten, geschlossen zu bleiben. Aber das ist mein Leben! Ich will bestimmen, was ich wissen soll und was nicht! Ich will entscheiden, welche Türe sich öffnen soll und welche nicht! Ich will endlich diesen Schlüssel finden, mit dem ich alles ans Licht bringen kann.
Lautlos öffnet sich die Tür, an welche ich soeben geklopft habe. Mit schnellen Bewegungen schüttle ich den Regen von meiner Kleidung und stosse die Tür ganz auf. Ein unordentlicher, schmutziger Raum liegt vor mir. An einer Wand ein Ofen. Den Rest kann ich nicht von Abfall und Gerümpel auseinander halten. In einer Ecke stapeln sich alte, verstaubte Kartonschachteln und Holzkisten. Der Boden ist mit einer dicken Dreckschicht überzogen und von der Decke rieselt Sägemehl auf meinen Kopf. Hier wohnt bestimmt keiner mehr, denke ich entsetzt. An einer Wand entdecke ich zu meiner Zufriedenheit eine durchlöcherte Matratze am Boden. Das wird bestimmt gemütlich, flüstere ich mit hochgezogenen Augenbrauen und reibe mir gleichzeitig über die Arme. Es ist kalt. Mein Blick schweift auf einen nicht besonders stabil aussehenden Stuhl. Ich hebe ihn auf und schmeisse ihn kurzerhand auf den Boden. Der Stuhl zerbricht in tausend Stücke. Das Holz ist morsch und eignet sich deshalb nicht besonders gut, um ein Feuer zu entfachen, aber es wird schon gehen. Es muss!, hoffe ich bettelnd. Ich hebe die einzelnen Stücke auf und staple sie im Cheminéeofen. Das Feuer zu entfachen braucht seine Zeit. Ich bin sehr ungeschickt und benötige deshalb eine Weile, bis das aneinander reiben meiner beiden Steine einen Funken erzeugt. Doch endlich habe ich es geschafft. Das Feuer brennt. Nahe an den Flammen kauernd und eingepackt in einer verstaubten Decke, die ich gefunden habe, denke ich darüber nach, wie es nun weitergehen soll. In einer Hand halte ich ein Schwert, welches mir Aireagóir gegeben hat, falls ich doch einmal auf eine Marfach stossen sollte. Es ist nicht besonders gross, aber es wird seinen Zweck erfüllen. Die Klinge ist aus massivem Stahl und scheint unzerbrechlich zu sein. Es handelt sich um einer der berühmten Marfachklingen. Sie hat scharfe Kanten, die in einem Bogen zu einem Spitz zusammenlaufen. Der Griff besteht aus dunklem, glattem Holz. Dank der sorgfältigen Behandlung ist die Maserung deutlich zu erkennen. Die ebenfalls hölzerne Parierstange rollt sich an beiden Enden wie die Tentakel eines Tintenfisches auf. Auch am Ansatz der Klinge, entlang zur Spitze, überwuchern hölzerne, mit grünen Perlen versehene Tentakel, den Stahl. Es sieht wunderschön aus. Aireagóir sagte mir, es sei das Schwert von Láidir, welches er in seiner letzten Schlacht bei sich trug. Der Name ist Dhá leathanach. Es sei sehr wertvoll und ich solle vorsichtig damit umgehen. Ich werde natürlich mein Bestes geben, aber ich kann nichts garantieren, wenn es zu einem Kampf kommen sollte, denke ich, während ich das Schwert erstaunlich gekonnt in der Luft herumwirble.
Wieso nur sehne ich mich so sehr danach, es endlich einsetzen zu müssen? Es ist ja nicht so, als hätte ich Erfahrung mit so etwas. Aber irgend ein Gefühl, tief in mir, will, dass ich endlich loslege und kämpfe. Es ist nicht, weil ich es toll finde, mein eigenes Schwert zu haben, oder weil ich stolz darauf bin, dass mein Schwert eine der Marfachklingen besitzt. Nein, es ist etwas anderes. Es ist, als stünde ich vor all diesen dummen, gemeinen, geschlossenen Türen und das einzige, das ich in der Hand halte ist mein Schwert. Was würdest du in solch einer Situation tun? Würdest du nicht auch alles unternehmen, um endlich durch diese Türen brechen zu können? Ja, das muss es sein. Meine Begierde, diese Türen endlich zu durchschreiten und einen Raum vor mir zu sehen, indem alle meine Antworten offen auf einem Tisch liegen. Um das zu erreichen, werde ich das Schwert wohl brauchen müssen, gewollt oder ungewollt. Mit diesen Gedanken lege ich die Waffe nieder und lege mich hin. Eine ganze Weile schweifen meine Gedanken noch in der Zukunft umher, bis ich endlich einschlafe.
"Wir müssen es versuchen Doktor."
eine Hand,
eine Spritze,
Schwarz
Wach auf, wach auf! Schweissgebadet sitze ich auf der alten, verstaubten Matratze und fahre verzweifelt durch mein Haar. Nicht schon wieder dieser Traum. Oder war es überhaupt ein Traum? Ich sehe sie vor mir. Diese grosse Spritze, was hat sie nur mit mir angestellt? Schnell ziehe ich den rechten Ärmel meines Hemdes nach oben und blicke suchend auf meinen bleichen Arm. Keine Anzeichen eines Spritzeneingriffes zu sehen. Doch nur ein Traum? Aber es war doch so real. Und diese Stimme. Ich bin mir ganz sicher. Das muss der Mann aus dem Gasthaus gewesen sein. Das war eindeutig Trodaí. Aber was soll das bedeuten? Was will mir dieser Traum sagen? Mir reicht es! Nicht schon wieder Fragen. Ich will Antworten! Stinksauer packe ich mein Zeug zusammen und öffne die Tür schwungvoll. Die Sonne blendet und fröhliches Vogelgezwitscher liegt in der Luft. Bin ich wirklich am gleichen Ort wie gestern Abend? Noch schien der Ort der Schrecklichste und Verlassenste auf ganz Comhaontú zu sein und heute ist es ein Paradies. Grüne Wiesen, soweit das Auge blicken kann. Eine kühle Brise weht durch mein Haar und ein paar weisse Wolken sind am hellblauen Himmel zu sehen. Der perfekte Tag zum Wandern, denke ich aufgestellt und bringe meine Füsse in Bewegung. Doch in welche Richtung müssen sie mich tragen? Weit und breit ist kein Weg zu erkennen. Ein riesiger grüner Teppich liegt vor mir. Ich greife nach der Karte, die mich früher oder später zu meinem Ziel bringen wird. Ich bin noch immer sehr skeptisch und ich weiss, um ehrlich zu sein, gar nicht, ob ich überhaupt am Ziel angelangen will. Vielleicht sollte ich doch ein neues Leben, ein anderes Leben ohne Fragen beginnen. Doch es würde mir sowieso nicht gelingen. Eines Tages würde mich alles wieder einholen und ich würde es bereuen, dass ich damals nicht einfach dieser dummen Karte, das Einzige, an das ich mich klammern kann, gefolgt wäre. Vielleicht werde ich es nicht schaffen und tappe weiterhin im Dunkeln. Aber vielleicht werde ich auch siegen.
Dann werde ich derjenige sein, der mein Leben in der Hand hält.
Ein leises Geräusch aus der Ferne lässt mich aufhorchen.
Neugierig krieche ich den vor mir liegenden Hügel hinauf, um zu sehen, was sich als Nächstes anbahnt. Und ich hatte vollkommen recht mit "Anbahnen". Etwas sehr erfreuliches ist es nämlich nicht. Schnell lege ich mich zwischen die hohen Grashalme und blicke vorsichtig nach unten.
Mindestens 20 Mann, bewaffnet, gut trainiert, eine Marfach!
Oh nein, was tu ich denn jetzt? Ich kann doch nicht einfach zusehen, wie sie zum nächsten Dorf marschieren und dort Terror und Angst verbreiten. Womöglich ist sogar Iargúlta das Ziel. Nein, das kann ich nicht zulassen, denke ich entschlossen. Meine Kampfkünste sagen mir zwar, dass ich es lassen soll, doch mein Verlangen nach Rache ist stärker. Mit einer Handbewegung ziehe ich mein Schwert und blicke es hoffnungsvoll an. Lass mich nicht im Stich!- flüstere ich, bevor ich langsam aufstehe. Einen Plan habe ich nicht. Die Angst jedoch ist nun deutlich zu spüren. Was soll's? Wird schon schief gehen! Langsam erhebe ich mich und schleiche mich gebückt dem Feind an. Der Zeitpunkt scheint gut. Keine Blicke wurden auf mich gerichtet. Jetzt oder nie!
Mit diesen Worten laufe ich, das Schwert erhoben, auf die Truppe zu. Den Überraschungseffekt habe ich verspielt. Meine schnellen und lauten Schritte auf dem kiesigen Weg sind unüberhörbar. Mir steht also ein harter Kampf bevor. Das Gefühl in meinem Bauch, dass mir deutlich ein Nein sagen will, wird immer stärker, doch für einen Rückzug ist es nun zu spät. Ein Kommando - und alle Kämpfer bringen sich in Position. Der vorderste Mann sieht mich mit scharfen Augen und gehobenem Arm an. Seine Rüstung: Schwarz wie die Nacht und sein Schwert, welches er in die Höhe hält, unbezwingbar. Nicht mehr lange und er wird das Zeichen zum Angriff geben. Das Zeichen für mich- mein Bestes zu geben. Auch wenn es aussichtslos scheint. Was denkst du da, hör auf damit!, keine negativen Gedanken mehr. Keine Zeit mehr zum Überlegen! Das erste Schwert trifft wie ein gewaltiger Hammer auf meine Klinge. Nicht vorbereitet auf eine solche Kraft, lasse ich das Schwert ungewollt zu Boden sinken. Streng dich an, streng dich an! Nun gilt es ernst! Die Kampfansage ist erteilt worden. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt! Geschickt weiche ich dem nächsten Stoss aus und mache eine gekonnte Rolle, bevor ich meinem Gegner mit voller Wucht meine Klinge in den Bauch ramme und somit den ersten Mann ausser Gefecht setze. Volltreffer! Genau so soll es sein! Autsch, ein stechender Schmerz ist zu spüren. Schnell schweift mein Blick auf den tiefen, blutigen Schnitt in meinem rechten Arm und ich falle schmerzhaft zu Boden. Der nächste Kämpfer steht mir gegenüber. Doch nicht nur er sehnt sich nach einem Kampf. Auch alle anderen, die mittlerweile angespannt um mich herum stehen. Wie konnte das nur geschehen?, denke ich besorgt. Ich sitze in der Falle, ohne Ausweg, ohne Hilfe. Okay, meine ich das immer nur, oder habe ich wirklich keine Freunde? Niemanden der mir hilft oder sich um mich sorgt? Wie es scheint ist es so, denn die Spitze einer der vielen auf mich gerichteten Marfachklingen gleitet immer näher auf mein Gesicht herab, bis sie schliesslich einen Millimeter über meinen Augen halt macht. Was ist los, wieso tötet er mich nicht einfach? Sein Blick ist weniger grausam, mehr entsetzt und voller Schmerz. Ist es so eine Qual, mich ansehen zu müssen oder wieso macht er so ein verzerrtes Gesicht? Meine Frage klärt sich schnell, denn wie aus dem Nichts sinkt der Soldat auf den harten Grund des Jenseits. Die Augen sind nun nicht mehr auf mich gerichtet, wohl eher auf den Mann, der mir gegenübersteht. Rachesüchtige Blicke erfassen seine, mir nicht unbekannte Figur. Doch ich habe nicht lange Zeit, um zu werweissen, wer er ist. Die Schlacht geht weiter. Jedoch ohne mich. Wie ein Haufen Hyänen stürzen sich die Kämpfer auf ihre Beute. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob mein Retter wirklich das Opfer ist, denn gekrümmt landet eine Hyäne nach der anderen auf dem Boden. Den Schmerz in meinem Arm ignorierend, stehe ich schnell wieder auf. Ich bin schliesslich ein harter Krieger und habe sogar einem Mann das Licht für immer ausgelöscht. Doch was ich nun erblicke, übersteigt meine Vorstellungskraft. Wie konnte dieser Mann nur so viele Soldaten alleine beseitigen? Ich dachte, es gäbe nur einen, der es vermag, ein solches Werk zu vollbringen. Trodaí! Ich schaue ihn geschockt an, doch viel ist von seinem Gesicht nicht zu erkennen. Wieder verdeckt eine Kapuze das wahre Gesicht hinter all den Geschichten. Endlich lerne ich ihn persönlich kennen. Ich bin mir sicher, er wird mir mit meinem Gedächtnisschwund weiterhelfen können. Mit einem Ruck entzieht er einem der vielen toten Körper das Schwert. Ich muss leer schlucken und wegschauen. Die Klinge ist rot. Blut tropft auf den Boden, wo es sich in einer immer grösser werdenden Blutlache wieder findet. Reiss dich zusammen und sei kein Feigling! Vorsichtig streicht er das Stück Metall über seinen dunkelblauen, mit mystischen Mustern versehenen Umhang. Erst jetzt fällt es mir richtig auf, welch ein dunkler und düsterer Eindruck seine Kleidung hinterlässt. Es könnte einem fast Angst machen, aber das soll wahrscheinlich auch der Zweck sein. Gekonnt lässt er das Schwert in einer Halterung an seinem Rücken verschwinden. Zwei gekreuzte, lange Metallgriffe schauen nun über seinen Schultern hervor. Ich komme nicht einmal mit einem Schwert zurecht und er benutzt gleich zwei. Respekt!
Moment mal, wieso läuft er denn auf einmal weg? Irgendwie habe ich Angst, den "Meister" aufzuhalten. Aber wenn ich es nicht tue, werde ich nie weiterkommen. "Hey, wohin gehen Sie?" Der Assassine bleibt stehen und dreht sich langsam um: "Kennen wir uns?" fragt er und streicht die Kapuze von seinem Kopf. Ich erschrecke und weiche etwas zurück. Dieselbe Narbe auf der Wange! Es muss Trodaí sein!
Im Tageslicht scheint sie jedoch grösser, als ich sie in Erinnerung habe. Doch dies ist nicht der Grund, weshalb ich so zusammengezuckt bin. Was ich damals im Gasthaus nicht sehen konnte, lässt einen nur hoffen, niemals das Gleiche erleben zu müssen. Die gesamte linke Seite seines Gesichtes ist ein riesiger Brandfleck. Die Strukturen, welche die Verbrennung zurückgelassen hat, sind noch deutlich zu sehen. Niemals wird er sie loswerden. Sie werden ihn bis an sein Lebensende prägen. "Schönes Gesicht, nicht wahr?", sagt er spöttisch. "Das habe ich einem solchen Trupp zu verdanken. Pass das nächste Mal ein bisschen mehr auf!" Wieder dreht er sich um und versucht, vor mir zu flüchten, doch das wird ihm nicht gelingen. "Bleiben Sie stehen! Ich muss mit ihnen sprechen!" "Das können wir doch auch währenddem Weiterlaufen, oder nicht?" Ich schaue ihn nachdenklich an und greife schliesslich nach der Karte. "Ich weiss aber nicht, in welche Richtung ich gehen muss," schreie ich, währenddem ich versuche, die Karte zu studieren und mit Trodaís schnellen Schritten mithalten zu können. Eine Augenbraue hochgezogen, wirft er ebenfalls einen Blick auf den Fetzen Papier. "Wohin soll es denn gehen?", fragt er, als sei ihm die Antwort darauf unbekannt. Dabei weiss er das doch ganz genau. Er hat mir ja den Schlüssel gegeben, damit ich ihn dorthin, in die Síocháin, bringe. Wozu weiss ich jedoch noch nicht. Wird Zeit, ihn zur Rede zu stellen: "Als ob Sie nicht wüssten, dass ich in die Síocháin gehen muss, um dort einen Schlüssel abzuliefern." Ein fieses Lächeln macht sich auf Trodaís Gesicht breit: "Woher sollte ich das wissen? Ein Schlüssel, das tönt interessant. " Nun gut. Wenn er das kann, tu ich das eben auch, so tun, als wüssten wir nicht, worum es geht. Nur dass ich wirklich nicht weiss, worum es geht und er wahrscheinlich schon. "Es ist auch sehr interessant und sehr gefährlich..." Sein spitzbübisches Grinsen wird immer breiter und breiter. Er weiss genau, dass ich nicht die Wahrheit sage und keinen blassen Schimmer habe, um was es eigentlich wirklich geht. Ich lasse also die Aufzählung aller mir nur erdenklichen, heldenhaften Adjektive und laufe ihm genervt hinterher.
"Wir sollten aber auf den richtigen Weg, ich will mich nicht noch einmal verlaufen!" "Wir sind schon auf dem richtigen Weg. Du warst immer auf dem rechten Weg!", ruft er seinem neuen Gefährten, mir, entgegen. Ich brauche einige Zeit, bis ich verstehe, was er damit meinte. Doch dann wird es mir klar und ich schlendere gelassen, seine Ausrüstung heimlich bestaunend, Richtung glas Gerbera.
5. Kapitel
glas Gerbera- Das Ende
Schon eine Woche! Eine lange, harte Woche mit diesem Assassine. Wie kann man nur so eine Ausdauer haben? Meine Beine tun weh, mein Hals ist ausgetrocknet und mein Magen knurrt. Alles zusammen- es könnte nicht schlimmer sein! Aber ich darf ja nicht mehr meckern, sonst läuft er noch schneller. Also lasse ich es lieber sein. Mit müden, schmerzenden Füssen tappe ich Trodaí langsam und erschöpft hinterher. Wie viele Schritte werden meine Beine noch aushalten, bevor ich qualvoll krepiere? Ich weiss es nicht und um ehrlich zu sein, will ich es auch gar nicht wissen. Ich will nur lebend bei diesem Haus ankommen und diesen Schlüssel dort abliefern. Gelangweilt lasse ich ihn durch meine schwitzenden Hände gleiten und werfe ihn anschliessend in hohem Bogen in die Luft. Meine Konzentration hält sich in Grenzen. Vor meinen Füssen landet der Schlüssel, nachdem er meine Hände verfehlt und eine Bruchlandung gemacht hat. Mühsam bücke ich mich, um ihn aufzuheben. "Hör auf herumzuspielen, wir sind da!", ruft Trodaí genervt. Schnell erhebt sich mein Blick und erfasst etwas nicht gar so Fremdes: "Das ist genau dasselbe Tor, wie in meinem Traum," flüstere ich und betrachte es von oben bis unten. Dasselbe verrostete Metall, dieselben Steinsockel auf beiden Seiten und dasselbe, verschnörkelte "S", wie im Traum. Doch wozu steht es hier? Keine Mauer umgibt das vor uns liegende Gelände. Was macht dieses Tor also mitten auf dem Pfad, wenn man einfach daran vorbeilaufen kann? Nicht einmal zugeschlossen ist es. Fragend dreht sich mein Gesicht zu meinem Gefährten: "Hier ist nichts als ein altes Tor, das ohne Sinn und Zweck auf unserem Weg steht, was soll das?" Kopfschüttelnd antwortet er: "Es hat alles seinen Zweck! Das ist nicht einfach irgend ein unnützes, altes Tor.
Es signalisiert eine Grenze. Hier beginnt die Síocháin! Lange ist es her, seit ich diese Grenze überschritten habe. Zu lange!" Sein Blick wirkt traurig und verärgert. Sicherlich ist es hart für ihn, nach all dem, was passiert ist, hierher zurückzukommen. Zuerst der Krieg und dann der Tod seiner Anführer. Wieso wollte er dann unbedingt mitkommen? Welche Rolle spielt er in dieser Geschichte? Das werden wir hoffentlich bald herausfinden. In Gedanken vertieft, fährt seine Hand über das rostige "S". Ich denke, er braucht noch Zeit, doch die habe ich nicht. Wie lange musste ich es nun schon mit ihm aushalten? Ich will meine Schatzkiste, die mich bestimmt schon sehnlichst erwartet. Brüderlich lege ich meine Hand auf seine Schulter und blicke in seine traurigen Augen. Es kommt mir vor, wie an einer Beerdigung. Doch zum Trauern ist keine Zeit:
"Komm, wir müssen weiter," sage ich mit sanfter Stimme. Ein schwaches Nicken gibt mir das Zeichen. Ich stosse das Tor langsam auf. Ich will das denkwürdige Stück ja nicht kaputt machen. In meinem Traum würden wir jetzt in einem Garten voller Blumen stehen und vor uns würde ein riesiges Haus stehen, doch ich sehe weder Blumen, noch ein Haus. Nur kahle, kleine Büsche abseits des Weges, der am Horizont nicht aufzuhören scheint. In eine seltsame Gegend bin ich hier geraten, denke ich bekümmert und ziehe vor lauter Angst vor dem Ungewissen mein Schwert. Man kann nie wissen. Ein undefinierbarer Geruch liegt in der Luft. Es riecht nach Dreck und Verwesung. Seit die Menschen nicht mehr hierher kommen, scheinen die Aasgeier die einzigen Nutzer dieser Fläche zu sein. Ein vergessener Zipfel der Insel. Der perfekte Ort, um einen Hinterhalt zu planen!, kommt es mir voller Schrecken in den Sinn. Schnell drehe ich mich nach allen Seiten, doch da ist nichts. Trodaí scheint es aber auch nicht mehr so geheuer zu sein, denn auch er hält in einer Hand sein Schwert. Hier ist nichts Gutes am Werk, das ist sicher! Nicht einmal die Wiese ist heil geblieben. Eine braune, verdorrte Einöde voller Gefahren und... Schlamm? Hastig ziehe ich meinen Fuss aus der matschigen, blubbernden Brühe. Sind wir in einem Sumpf gelandet? Doch da bemerke ich, dass ich vor lauter Unachtsamkeit einige Meter vom Weg abgekommen bin. Die Wiese ist verschwunden. Ein Moor prägt nun die unbehagliche Landschaft. Dunkle Bäume ragen aus der Brühe heraus. Ihre Äste sind teilweise vollkommen mit Moos überwachsen und von einigen Stellen hängen Moosfetzen, die gespenstisch im Wind wehen, herab. "Pass auf, wo du hintrittst und bleib auf dem Weg, oder das Moor lässt dich für immer verschwinden!" Schnell greift Trodaís Hand nach meinem Ärmel und zieht mich mühsam aus dem braunen Schlamm. Beinahe wären meine Stiefel stecken geblieben. Ein gefährlicher Ort ist das. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier einmal Leute ein- und ausgegangen sind. Wie hat die Síocháin wohl früher ausgesehen? Ich glaube, das Haus, vordem ich stehe, kennt die Antwort. Wir haben es geschafft, endlich hat das Warten ein Ende. "Ist das glas Gerbera?", frage ich Trodaí erwartungsvoll. Er nickt und bleibt neben mir stehen. Meine Vision hat sich also bewahrheitet! Dasselbe Haus, wie in meinem Traum. Die crèmefarbene Fassade ist zwar unter dem verdorrten Efeu nicht mehr gut zu erkennen. Der riesige Balkon oberhalb der Haustür erkenne ich aber wieder. Sogar der Löwenkopf, der mich im Traum durch die grosse Tür geschleudert hat, ist an der rechten Stelle. Was wollte mir dieser Traum sagen? Was verbirgt sich in der Schublade im Büro des 2. Stockwerkes? Zeit, es herauszufinden! Mit diesem Vorsatz trete ich einige Schritte näher an die Tür. Hoffentlich gelange ich dieses Mal eleganter ins Innere, hoffe ich und blicke misstrauisch auf den Löwenkopf. Nichts geschieht. Nun nähert sich auch Trodaí dem Tor ins Ungewisse. Ihn halten jedoch keine Hemmungen auf, es zu betreten und zielstrebig greift er nach dem Raubtier. Ich schrecke auf und laufe ein Stück rückwärts. Ein verwirrter Blick erfasst mein ängstlich wirkendes Gesicht. Eine Erklärung wäre nun angebracht: "Ich hatte einen seltsamen Traum, worin exakt dieses Haus hier zu sehen war. Als ich anklopfen wollte, verschlang mich der Löwe und sog mich in seinen Schlund. Ich landete auf einem Gang und vor mir war eine Treppe. Ich stieg ein Stockwerk nach oben und betrat ein Büro. Wie von Zauberhand lenkte mich mein Verstand zu einem Schreibtisch, an dem ich eine Schublade öffnen sollte. Doch bevor ich den Inhalt erkennen konnte, wurde ich leider von der Sonne aufgeweckt." Verstört beobachte ich, wie sich Trodaís Ausdruck schlagartig von überrascht zu bekümmert änderte. Er weiss etwas! "Das war nur ein Traum, nichts weiter. Es gibt nicht nur ein grosses Haus auf der Welt!" Natürlich nicht, aber bestimmt nicht zwei, die genau gleich aussehen. Irgendetwas weiss er, aber was? An der Tür tut sich etwas. Ich dachte, hier wohnt niemand mehr. Verwundert sehe ich, wie sich die Pforte langsam öffnet. Wer mag wohl zum Vorschein kommen? Mein Schwert ist bereit, falls es zu einem Hinterhalt kommen sollte, doch wird es so enden? Im Türrahmen steht eine alte, kleine Frau in einem schwarzen, langen Kleid. Eine weisse Schürze hat sie um die Hüfte gebunden. Scheint nur eine harmlose Hausfrau zu sein, also versorge ich die Waffe wieder. Mit freundlichen Blicken nähern wir uns der Dame: "Ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Womit kann ich ihnen dienen?" Sie sieht mich nicht. Nur für den Mann neben mir hat sie Augen. "Wir wollten nicht stören, aber könnten wir vielleicht ihre Toilette benutzen?" Was soll das? Wir sind doch nicht den ganzen weiten Weg hierher gekommen, nur, um auf die Toilette zu gehen! Doch hier ist noch etwas anderes im Spiel. Der Blick, wie sie sich angesehen haben. Das war bestimmt ein Geheimcode, um hineinzugelangen. Doch was befindet sich denn im Haus? Ich traue der ganzen Sache langsam nicht mehr! Doch ich muss wohl gehorchen, um an meinen Schatz zu gelangen. Also folge ich den zweien in die Dunkelheit. Die Tür fällt hinter uns ins Schloss und ich kann nichts mehr erkennen. Meine Hand fährt angespannt zum Griff meines treuen Begleiters. Ich schwitze! Doch plötzlich erhellt sich meine ungemütliche Lage. Es blendet regelrecht. Ein so starkes Licht? Es kommt nicht von einer normalen Glühlampe. Es sieht eher aus, wie mehrere Glasrohre, die der Decke nach verlaufen und den gesamten Gang beleuchten. Doch das ist nicht das einzige, hochmoderne Gerät in diesem alten Haus. Überall an der Wand sind irgendwelche leuchtenden Knöpfe zu sehen. In meinem Traum war das alles völlig anders! Was geht hier nur vor sich? Zu meiner Rechten sehe ich eine völlig andere Welt als diejenige, in der ich mich befinde. Ein Raum voller Bildschirmen, Knöpfen und Männer mit eigenartigen Waffen. Sie alle starren mich an, als wäre ich ein Verbrecher. Ich drehe mein Gesicht schützend ab und folge weiterhin meinem Begleiter. Die Treppe! Nur noch dort nach oben und ich habe es geschafft. Doch es geht nicht in diese Richtung. Trodaí weist mir mit ernster Miene einen anderen Weg.
Wir steigen die Stufen herab. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das WC nicht im Keller befindet, was also suchen wir dort unten?
Auf einmal machen wir halt. Wissbegierig zwänge ich mich zwischen die schweigenden Gestalten, um zu sehen, warum es nicht mehr vorwärts geht. Eine eiserne Tür versperrt uns den Weg. In der Mitte ist deutlich ein grosses "S" zu sehen. Existiert sie doch noch? Die Rettung all derer, die sich wehren? Die Shaoráil ? Es bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Wie aus dem Nichts zaubert die alte Dame ein Kärtchen in ihre Hand und hält es vorsichtig über einen roten Strahl. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ohne sie auch nur zu berühren, öffnet sich die Tür und wir können eintreten. Vor uns liegt nun eine schmale, dunkle Steintreppe. Ich darf wieder einmal nicht als Erster gehen, also stelle ich mich in die Mitte. Je weiter wir nach unten klettern, desto stickiger und feuchter wird die Luft. Erst jetzt bemerke ich die unterirdische Bauart des Schachtes. Alles ist aus Stein gebaut. Von einigen tropft kaltes Wasser auf den Boden, wo es sich in grossen Pfützen sammelt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht umfalle. Zwei Metallschienen im Kies erschweren das mühsam, gebückte Gehen. Wozu war dieser Gang wohl einmal da? Heute dient er offensichtlich als Geheimgang, aber wohin führt er? Durch das düstere Licht einiger Fackeln erkenne ich das Ende des Ganges- ein Raum.
Ich glaube langsam nicht mehr an ein gutes Ende. Mein Herz schlägt wie wild. Ich bin angespannt wie noch nie. Was soll das? Ist das ganze doch ein Hinterhalt? Die Frau tritt zur Seite und gibt mir das Zeichen, einzutreten. Auch Trodaí folgt mir in die Kammer. Hinter uns zweien schliesst sich eine weitere Metalltür wie von Geisterhand.
"Was soll das Ganze?", frage ich Trodaí misstrauisch. Die Hand immer noch griffbereit in der Nähe meines Schwertes. Plötzlich wird es hell. Schon wieder dieses grelle Licht. Schnell halte ich eine Hand vor die Augen und blinzle vorsichtig durch den Raum. "Setzen Sie sich doch!", hallt eine tiefe Stimme durch das Zimmer. Meine Augen haben sich langsam an das Licht gewöhnt. Nun sehe ich es deutlich. Vor mir steht ein grosser, ovaler Tisch, an dem einige Leute sitzen. Trodaí macht einige Schritte nach hinten, als würde er nicht mehr gebraucht werden, als wäre sein Job erledigt. Dieser miese Kerl! Seine Aufgabe war es von Anfang an, mich hierher zu locken. Die Spielchen sollen endlich aufhören!
"Nein! Sagen Sie mir was hier los ist, oder..." Meine Hand zieht reflexartig das Schwert an meinem Rücken. "Oder was! Deine Kampfkünste schüchtern hier niemanden ein," lacht Trodaí und lehnt sich an die Wand.
Wütend presse ich die Lippen zusammen. Wenn blicke töten könnten, würdest du jetzt nicht mehr so dumm grinsen!, denke ich, meine Fäuste geballt. "Lassen Sie uns alles erklären, aber zuerst nehmen Sie Platz und geben Sie ihre Waffen ab!", sagt der alte Mann im Anzug wieder. Doch ich werde nicht kooperieren. Niemals! "Nein, ich werde gar nichts abgeben. Was wird hier für ein falsches Spiel getrieben? Ich habe keine Lust mehr, ihre Spielfigur zu sein. Sagen Sie mir endlich, weshalb ich hier bin!" Das Feuer in mir ist nicht mehr zu kontrollieren. Zornig erhebe ich mein Schwert, um es anschliessend mit aller Wucht in den Tisch zu rammen. Doch dazu kommt es nicht. Eine Hand hält die Klinge fest. Schlagartig drehe ich mich um und stosse meinen Gegner weg, doch der lässt nicht locker. Natürlich nicht. Diesen Assassinen bringt aber wirklich nichts klein. Mit einem Ruck reisst er mir die Waffe aus der Hand und wirft sie entschlossen auf die andere Seite des Raums. Ich versuche, hinterherzuspringen, doch ich habe keine Chance. Wie ein harter Fels stürzt er sich auf mich und reisst uns beide zu Boden, ohne dass ich mich wehren kann, ohne Ausweg. Ich dachte, Trodaí sei der Held der Nation, doch ich würde ihn töten, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte. Gewaltsam werde ich auf den mir zugewiesenen Stuhl gehoben, auf welchem ich doch bitte sitzen bleiben soll. Ein gutes Dutzend Gesichter schauen mich an- Erwachsene und besorgte Gesichter. Von der alten Frau, bis zum jungen Schnösel in Anzug mit Krawatte. Alle scheinen nicht gerade wenig Geld zu haben und alle haben irgendwelche Abzeichen an der Brust. Mit welchen Leuten habe ich mich nur angelegt? "Wir verstehen, Sie sind verwirrt. Lassen Sie uns nun alles erklären und wir können anständig miteinander umgehen." Das ist leicht gesagt, aber richtig glaubwürdig klingt es nicht, solange ich Trodaí kampfbereit hinter meinem Rücken habe. "Sie haben die grosse Ehre, uns alle besser kennen zu lernen. Sie wissen nicht wer wir sind, doch wir kennen Sie schon lange. Ich bin der Präsident des weltweiten Sicherheitsdienstes "nua Gerbera", was so viel wie "neue Gerbera" bedeutet. Wir sind die Nachfolger der ehemaligen Rebellengruppe Shaoráil, von der Sie bestimmt schon einiges gehört haben. Nur ist unser Ziel nicht Vernichtung, sondern die weltweite Sicherheit aller Bürger Comhaontús."
"Das wollten wir auch!", ruft der Assassine hinter mir. "Natürlich!", erwidert der alte Mann hastig. "Doch wir sind weder auf Triumph, noch auf Zuwuchs aus. Wir handeln verdeckt, ohne dass es jemand realisiert. Das macht alles viel einfacher." "Immerhin haben wir uns nicht versteckt!", wirft der ehemalige Rebell wieder ein. Der Präsident blättert gelassen in einem Stapel Papier und legt ihn wieder auf den Tisch. "Wie dem auch sei, ich darf ihnen nun stolz die Männer und Frauen neben mir vorstellen. Ich präsentiere: Die Herrscher der Welt. Die Könige und Königinnen Comhaontús." In diesen Menschenkreis bin ich also geraten. Aber was haben die hohen Tiere der Welt denn mit so einer kleinen Maus wie mir zu tun. Ich will doch einfach nur erfahren, wer ich bin! Noch immer weicht kein Auge von mir, als wäre ich ein Magnet. Noch immer stinksauer und nicht bereit zu kooperieren, schaue ich den Mann auf der anderen Tischseite scharf an. "Beginnen wir nun mit Ihnen: Wer sind Sie?" Lass es sein, du kannst es, du kannst dich zusammenreissen!
Mein gesamter Körper könnte an Ort und Stelle explodieren, so wütend bin ich. Was denken die sich denn dabei? Nehmen wir doch einfach den ersten Menschen den wir finden mit und fragen ihn aus lauter Spass, wer er ist. Doch Wut ist nur ein Zeichen der Schwäche! Ich bin stark:
"Ich dachte, Sie könnten mir das sagen." Mein scharfer Blick noch immer auf den Mann gerichtet. "Tut mir leid, ich schätze, dazu bin ich nicht in der Lage. Aber keine Angst, wir wissen genug über Sie. Sie können sich seit ihrem Wiederbewusstsein bei den Klippen an nichts mehr erinnern,
nicht wahr?" Natürlich nicht! Deshalb bin ich ja hier, denke ich verzweifelt. "Und Sie können sich auch wirklich an gar nichts mehr erinnern?" Noch immer zornig, schüttle ich langsam den Kopf. Wieso ist das so von Nöten? In was bin ich da bloss reingeraten? Habe ich gegen die nationalen Sicherheitsvorschriften verstossen oder weshalb sitze ich auf diesem Stuhl? Ich höre, wie sich die Versammelten um den Tisch unterhalten. Wildes Gerede bricht aus. Doch nach einem lauten Schlag auf die Tischplatte wird es wieder still und der Präsident widmet sich nun Trodaí zu: "Gute Arbeit, Sie haben es geschafft!"
die Hand
eine Spritze
SCHWARZ
Oh nein! Dieser Mann, er soll verschwinden! Die Tür hinter mir hat sich geöffnet und zum Vorschein kommt mein wahrscheinlich grösster Erzfeind. Der Doktor, was will er von mir? Ich habe ihn doch in meinen Alpträumen gesehen, er hat mich betäubt. Ich muss hier weg! Das ist eine Falle, ich bin mir ganz sicher! "Oh, darf ich Ihnen unseren Hausdoktor vorstellen. Er hat Sie mittels neuster Technologie die ganze Zeit überwacht, damit Sie sich auf der Reise hierher nichts ansteckendes eingefangen haben." Er kommt auf mich zu. Ich muss ihn aufhalten, er will bestimmt nicht, dass ich gesund bleibe! "Guten Tag, zu meiner Zufriedenheit hat ihr Körper ein beeindruckendes Abwehrsystem." Ganz genau. Und dieses sagt mir, ich soll von hier verschwinden. Voller Panik springe ich auf und lasse den Stuhl ungewollt nach hinten kippen. Ein lauter Knall hallt durch den Raum. Schon wieder ist die gesamte Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Auch Trodaí hat meinen Fluchtversuch bemerkt und steht mir bereits gegenüber. "Dieses Mal gewinne ich!", flüstere ich rachesüchtig und ramme ihm mit voller Wucht einen Fuss in den Bauch. Und wirklich.- dieses Mal konnte er dem Angriff nicht standhalten. Schmerzhaft prallt sein Rücken an die harte Steinwand. Der Ausgang ist frei, also nichts wie raus! So schnell mich meine Beine tragen können, rase ich in den niedrigen Gang und stürme Richtung Treppe. Höchste Zeit, dem Büro einen Besuch abzustatten und das Geheimnis aus der Schublade zu enthüllen. Ich spüre so ein Gefühl in mir. Nicht unbekannt, aber noch nie so stark. Meine dunkle Seite! Jeder, der mir in den Weg steht, wird büssen!, denke ich selbstsicher. War das die richtige Treppe? Oder doch die da vorne? Oh nein, ich habe mich verlaufen. Voller Schreck höre ich einige Stimmen hinter mir. Sie tönen nicht gerade erfreut, also renne ich einfach weiter. Weg von den Stimmen, weg von meiner Bestimmung. Ich will mein Leben selber leben und nicht von anderen Leuten gelenkt werden. Die Schritte hinter mir werden immer lauter und vielzähliger. Ich muss mich verstecken, schnell, hier durch die Tür. Es ist stockdunkel. Ich sehe nichts. Leise taste ich die Wand nach einem Lichtschalter ab. Die glatte Oberfläche ist kalt und feucht. Ein Schauer zieht durch meinen Körper. Klick! Ich habe ihn gefunden. Ach du Schreck, lieber werde ich gefangen, als noch eine Sekunde länger in diesem Raum zu verharren. Die weissen Platten auf dem Boden und an den Wänden, die Tischchen und die Schränke mit all den Gläsern und Geräten und dann diese Liege. Zitternd kauere ich mich in eine Ecke und starre, hastig schnaufend, nach vorne: Dort habe ich gelegen. Genau dort hat mir der Doktor diese Spritze verpasst. Danach konnte ich mich an nichts mehr erinnern, doch damit ist nun Schluss! Mit einem Knall zerberstet die Tür und ein ganzer Trupp bewaffneter Soldaten steht vor mir. Ich weiss zwar nicht, was das für komische Waffen sind, doch was ich sehe, ist, dass alle auf mich gerichtet sind. "Was wollt ihr schon aus dieser Distanz anrichten? Ihr müsst schon zu mir kommen, um zu kämpfen," schreie ich, mittlerweile stehend. Da sehe ich plötzlich Trodaí hereinstürmen, doch es war zu spät: "Feuer!"
der Mann
ein Schuss
und danach?
NICHTS
Dies war deine letze Chance!
"Wieso mussten Sie ihn erschiessen? Wir hätten ihn retten können!" Die Soldaten neben Trodaí versuchen mit aller Kraft, ihn stillzuhalten, doch er wehrte sich, wo es nur geht. Ihm gegenüber, der Präsident, des ihm nur allzu bekannten Sicherheitsdienstes: "Hören Sie auf damit. Wir beide wissen ganz genau, dass es nie geklappt hätte. Die Idee war gut, ihn zu betäuben, damit er sich nicht mehr an seine Taten erinnern kann. Doch wie lange hätte das gewirkt?" "Es hätte funktioniert, doch Sie mussten ihn ja unbedingt wieder in dieses Haus schleppen." Sein Körper ist glühend heiss. Die Wut unbegrenzt, doch der Mann mit aller Macht bleibt ganz ruhig. "Wie haben Sie sich das denn vorgestellt? Er lebt einfach ein ganz normales Leben, wie alle anderen? Nein, er musste wieder hierher kommen. Wir mussten sicher sein, dass alles in Ordnung ist. Trodaí, ich weiss, es ist schwer zu begreifen für Sie , aber er war nun mal Dreaded und das hätten wir auch nie ändern können. Das Böse in ihm wäre immer wieder von neuem gewachsen. All diese Schlachten und Kriege, die er geführt hat, all die Todesopfer, das kann man nicht einfach so löschen. Es lag in seiner Natur." Die Soldaten haben noch immer Mühe, den Assassine still zu halten, doch trotz all der Kraft war er innerlich zerbrochen. Er kann es nicht verstehen, er will es nicht verstehen:
"Ich dachte, wir seien die Shaoráil. Ich dachte wir sind diejenigen, die keine Gewalt anwenden und jedem eine Chance geben wollen." Seine Augen füllen sich mit Tränen. "Nein Trodaí, das sind wir nicht mehr. Wir versuchen nur, sie zu ersetzen und Frieden zu schaffen. Auch wenn es dafür einen Krieg mit all seinen Opfern braucht! Und die Chance auf Leben hatte Dreaded. Wir gaben ihm sogar drei! Ich weiss noch genau, als wir ihn das erste Mal aufwachen liessen, war die Dosis zu schwach und er tickte völlig aus. Danach haben wir zusammen mit dem Doktor eine neue Formel entwickeln lassen. Sie sollte ihm nicht nur seine Erinnerung nehmen, sondern ihm auch einen neuen, friedlicheren Charakter geben. Es schien zu funktionieren, doch als er auf Sie traf, war alles wieder wie vorher. Er ging auf Sie los und das gesamte Gasthaus musste geräumt werden, um die Leute zu schützen. Wir waren uns von Anfang an sicher, wir geben ihm nur drei Chancen und die hatte er. Hätte der Doktor die Dosis noch einmal erhöht, wäre er sofort gestorben. Er war einfach zu jung. Niemand kann mit 16 Jahren König werden. Es gab keine Hoffnung mehr für ihn. Das war mir schon immer klar. Aber du wolltest das ja nicht glauben. Dies war seine letzte Chance und er hat sie vermasselt!"
Dreaded: König von Ollmhór und Hauptfigur dieser Geschichte
Deutsch: gefürchtet- Er brach den Schwur des Paktes und nahm ein Land nach dem anderen ein. Als Ende seiner Taten sah man seinen Tod, doch ein verbleibender Mann der Shaoráil war dagegen. Trodaí sah das Gute in ihm, doch dies konnte den Schmerz und den Hass Dreadeds nicht mindern. Seine Vergangenheit hätte ihn nie in Frieden leben lassen. Doch das wird Trodaí nie glauben. Er hätte niemals aufgegeben und für ihn gekämpft wie ein echter Shaoráil ! Dreaded s Charakter konnte niemand verändern, das war klar. Er war immer auf Gewalt aus, er konnte nicht ohne sie leben. Das wurde ihm von Geburt an eingebläut. Wäre er nicht durch die falsche Tür in den Operationssaal gelaufen, hätte er sich auf den Weg in den 2. Stock gemacht, um seinen "Schatz" zu erobern.
In der Schublade befinden sich seine alten Waffen!
"Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife
vergraben hat. Aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt."
- Mark Twain, Schriftsteller
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2016
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