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Heimreise

Es dauerte noch einmal etliche Wochen, bis die junge Familie alles zu ihrer Zufriedenheit geregelt hatte. Ein Umzugsunternehmen mit Übersee - Erfahrung war bestellt worden und brachte einen Container für den Schiffstransport ihrer Habe vors Haus. Rahul wollte auch das Auto mitnehmen, was an sich kein Problem darstellte. Allerdings musste er es selbst nach Hamburg bringen zur Verschiffung. Jenny lief durchs Haus und machte einen genauen Plan, was letztendlich in den Container gepackt werden sollte. Das Kinderzimmer natürlich, Rahuls Schreibtisch und sein Computer obwohl er den nicht würde nutzen können, bevor nicht elektrischer Strom im Haus vorhanden war. Er bestand auch darauf, das riesige Kaminsofa mitzunehmen obwohl Jenny das für keine gute Idee hielt. Und natürlich Jennys Haushaltswaren, das gute Geschirr und die Gläser, die Schnellkochtöpfe genauso wie die gute Tisch - und Bettwäsche. Und nicht zu vergessen die ganzen Kleiderkisten. Sie sammelte in der gesamten Nachbarschaft Zeitungen zum verpacken der zerbrechlichen Sachen und Rahul schleppte von den Baustellen noch Unmengen an Plastikfolien und Styropor heran. Auch der Kinderwagen und die Wiege kamen in den Container, ebenso der Riesenteddy. Jenny hoffte, dass er durch eventuell durchdringendes Salzwasser keinen Schaden nehmen würde.

Aman konnte im Sportwagen sitzen; den würden sie zusammen gefaltet mit ins Flugzeug nehmen. Rahul hatte beschlossen, das sie bis Mumbai fliegen würden und dort Hrithik besuchen und vielleicht den netten Herrn…wie hieß er doch gleich? Ach ja! Herr Ajay Devgan! Rahul hatte seine Visitenkarte die ganzen Jahre über aufgehoben. Er würde ihn in Mumbai anrufen und seine kleine Familie vorstellen. In Mumbai wollte er dann ein bequemes Campmobil gebraucht kaufen, so das sie nicht gezwungen waren, mit Aman in den doch manchmal sehr einfachen Gasthöfen abzusteigen, sofern denn überhaupt einer vorhanden war. Seine Familie sollte es so angenehm wie möglich haben während der weiten Reise.

Aber endlich hatten sie es geschafft, alles war verstaut, der Container auf dem Weg nach Hamburg und zur Verschiffung und sie hatten alle nötigen Papiere für die Einreise zusammen. Sue und Pablo brachten sie zum Flughafen, sie gaben die Koffer auf - einer davon war alleine mit Amans Sachen gefüllt - und saßen dann bei Kaffee und Tee in einem Bistro zusammen. Sorcha hatte ein vom Tierarzt verordnetes Beruhigungsmittel bekommen und war brav in die Transportkiste gestiegen. Sie war schon auf dem Weg ins Flugzeug.

Junior fand die ganze Sache ungeheuer interessant und kommentierte das Ganze laut in seiner Babysprache.

„Wargh. Gleck. Mblib. Gooooh“. Und Ähnliches.

Rahul hatte den Zappelphillip auf den Schoß genommen, da er im Sportwagen energische Anstrengungen machte rauszuklettern. Mit gerunzelter Stirn sah der Kleine seinen Papa an und sagte sehr deutlich: „Gripp, Mampa!“

Jenny sah ihn liebevoll an und warf einen nachdenklichen Blick auf ihren Ehemann.

„Findest du?“, meinte sie dann lachend zu Amans Kommentar.

„Ja, ich denke du hast Recht.“

Rahul runzelte die Stirn und bedachte sie mit einem Blick wie ein Anstaltsdirektor, dem die bekannteste Irre im Haus gerade erklärt, sie sei Albert Einstein.

„Du willst doch wohl nicht behaupten, das du dieses Kauderwelsch verstehst, oder?“

„Wieso nicht? Ich verstehe ja auch dein Kauderwelsch, nicht wahr?“

Susanne zuckte und drohte an ihrem Kaffee zu ersticken. Jenny klopfte ihr hilfreich auf den Rücken.

„Nicht so gierig, liebe Sue, es nimmt dir niemand etwas weg!“

„Weißt du, ich glaube das ist eindeutig das, was ich am meisten vermissen werde“, keuchte Sue mit Tränen in den Augen.

„Eure kleinen Plänkeleien. Ich liebe es einfach! Nehmt doch bitte ein paar davon für mich auf Tonband auf und schickt sie nach Deutschland, ja?“

Rahul, der die ganze Zeit ungewohnt still und etwas in sich gekehrt dagesessen hatte, hob plötzlich den Kopf und lauschte.

"Was denn?“, fragte Jenny, die es bemerkt hatte. Aber jetzt hörte sie es ebenfalls. Gelächter und laute Stimmen, die rasch näher kamen.

Und dann kamen doch tatsächlich die gesamten Musketiere um die Ecke und steuerten auf sie zu. Sogar Herbert und Hilde waren dabei und alle mit den historischen Kostümen!

Rahul sprang auf, der Plastikstuhl fiel mit einem lauten Knall nach hinten.

Jenny langte fix nach dem Kleinen und Rahul stürmte lachend und weinend gleichzeitig auf seine Freunde zu.

„Himmel, ihr verrückten Boys! Was macht ihr denn hier?“

Lachend fielen ihm Alle um den Hals.

Die Überraschung war gelungen!

Ricky, der die Idee gehabt hatte erklärte jetzt quietsch vergnügt: „Was denkst du wohl, Mann? Das wir hier 'ne Bierwerbung drehen? Wir haben extra Bettlaken mit gebracht um euch hinterher zu winken. Ihr könnt doch nicht einfach so abhauen, ihr Ausreißer!“

Er hatte sich, während er sprach, schon den kleinen Aman geschnappt, der ihn gleich wieder erkannte und ohne Zögern begeistert zugriff, die schöne bunte Feder vom Hut riss und sich in den Mund stopfen wollte. Jenny schaffte es gerade noch, die Kunstfeder vor dem gefressen werden zu retten. Die Freunde legten ihre Hüte in sicherer Entfernung von den kleinen Händchen auf einen Tisch und Junior wurde von Einem zum Anderen weiter gereicht.

Rahul bestellte für alle ein Bier - außer für Herbert, der den Transporter fuhr - und Ricky hielt ganz ungewohnt feierlich sein Glas in die Höhe.

„Rahul, alter Kumpel, du solltest wissen, auch wenn du jetzt in die Ferne schweifst: Nur ein Wort von dir und wir sind da! Unser Schwur gilt auch über ein paar tausend Kilometer hinweg! Wir werden dich nicht vergessen! Und vielleicht könnt ihr uns ja mal besuchen. Alles Gute für euch!“

Sie tranken sich zu, dann wurde der Flug nach Mumbai aufgerufen und die kleine Familie begab sich mit ihrem plötzlich so sprunghaft angestiegenen Gefolge zum Ausgangsgate.

Bevor sie endgültig hindurch gingen, sammelten sich die Musketiere - mit Rahul und Pablo - noch ein letztes mal im Kreis.

„Einer für Alle…“, begann Pablo und seine Kameraden brüllten zurück: „…und Alle für Einen! Auf in den Kampf!“

 

Da sie mit einem Kleinkind reisten - Aman war zwei Tage zuvor ein Jahr alt geworden - bekamen sie eine Dreierreihe nahe bei der Tür an einer Fensterseite.

Aman wurde in die Mitte gesetzt, hatte aber am Stillsitzen nur wenig Interesse und turnte hin und her, über Papa weg hin zum Fenster und wieder zurück zu Mamas Seite. Als endlich ein letztes mal aufgefordert wurde sich bitte anzuschnallen, packte ihn Jenny energisch auf den Sitz zurück und zog den Gurt über ihm fest. Er quäkte und wollte sich wieder heraus winden, aber Rahul drückte ihn auf dem Sitz sanft, aber bestimmt nach unten und hielt ihn fest.

„Nein, Aman! Gib’ Ruhe! Schluss jetzt!“

Völlig erstaunt über den ungewohnt strengen Ton seines Vaters sah der Kleine abwägend zwischen seinen Eltern hin und her. Er versuchte es probeweise mit einer Schnute und drückte zwei Tränchen heraus, da aber keiner von den Großen reagierte, kuschelte er sich schließlich schmollend mit seinem inzwischen schon recht abgewetzten Plüschtiger in eine Ecke. Jenny nahm den Schnuller aus der Tasche, tunkte ihn kurz in ein kleines Plastiktöpfchen mit Honig und schob ihn Aman in den Mund. Die Beamtin an der Kontrollstelle hatte sich etwas gewundert und misstrauisch probiert, ob das Zeug in dem kleinen Behälter auch wirklich Honig sei.

„Glauben Sie mir“, versicherte ihr Jenny, „Honig ist ein Wundermittel, wenn man so einen Wirbelwind bändigen will!“

Rahul hatte sich zum Fenster gewandt und sah hinaus, aber Jenny ahnte, dass er in Gedanken ganz wo anders war. Als die Triebwerke ansprangen und das Flugzeug zum Start rollte, liefen ihm Tränen die Wangen hinunter. Jenny strich ihm zart über die Wange und nahm seine Hand. Er sagte nichts, drückte aber ihre Hand und hielt sie während des ganzen Starts fest bis sie über die Wolkendecke aufgestiegen waren. Dann küsste er ihre Finger und versuchte ein Lächeln.

„Danke, das du bei mir bist.“

Aman wurde von seinem Gurt befreit und wollte gleich wieder herum turnen, aber Rahul nahm ihn auf den Schoß und ließ ihn eine zeitlang hinaus gucken bis dem Unruhegeist die Wolken zu langweilig wurden. Zum weiteren Zeitvertreib beschloss der kleine Charmeur, die Stewardessen zu becircen, er lächelte jede strahlend an, die vorüber ging und keine konnte widerstehen. Das Ergebnis war ein extra Sortiment von Geschenkartikeln der Fluggesellschaft. In Frankfurt mussten sie wieder umsteigen. Jenny spürte sehr genau, das Rahul ziemlich neben sich stand.

„Schatz, kann ich etwas für dich tun?“

Er zuckte aus seinen Gedanken hoch und sah sie einen Augenblick überrascht an.

„Alles in Ordnung, ich bin nur irgendwie….“

Er wusste wieder mal nicht wie er es in Worte fassen sollte.

„Hin und her gerissen, nicht wahr? Einerseits freust du dich, endlich deine Heimat wieder zu sehen, deine Eltern und natürlich Hrithik. Aber andererseits fehlen dir jetzt schon deine Musketiere und du erinnerst dich an die guten Tage die du in Deutschland hattest, nicht wahr?“

Er nickte und konnte wieder lächeln.

„Was würde ich nur tun, wenn ich dich nicht hätte?“

„Einen Seelenklempner suchen“, konterte sie ganz trocken.

„Aber der ist teuer und deine Frau macht die gleiche Therapie völlig kostenfrei.“

Rahul konnte nicht anders als wieder zu lachen.

„So etwas wie dich sollte es in jeder Apotheke zu kaufen geben.“

„Nicht so gut“, winkte Jenny aber lachend ab, „dann wäre ich ja nicht mehr einmalig.“

„Du hast wie immer recht, mein Herz.“

 

Aman murrte weil er in seinem Buggy angeschnallt war und nicht heraus klettern konnte. Bevor sie in das nächste Flugzeug stiegen lief Jenny noch schnell mit ihm zum nächsten Wickelraum, da er schon wieder streng duftete. Rahul hatte ihn aus dem Wagen gehoben, ihn auf Armeslänge von sich gehalten und das Gesicht verzogen.

"Jenny? Dein Sohn ist undicht!"

"Ach nein! Jetzt ist es also mein Sohn, ja? Aber wenn er fröhlich, brav und sauber ist dann ist es Deiner, wie?"

Sie sah Aman ins Gesichtchen.

"Männer! Komm bloß nicht auf die Idee und werde so wie dein Daddy! Einer von der Sorte reicht mir völlig. Wenigstens geht der schon alleine aufs Klo! Also, komm', Sohnemann!"

Rahul sah ihnen lachend hinter her, dann gingen seine Gedanken wieder auf Wanderschaft.

Er dachte an die vielen schönen Stunden die er in Deutschland verbracht hatte. Die meisten davon mit Jenny, einige auch mit seinen Freunden, den Musketieren. Er hatte Pablo kennen gelernt und Sue. Beides Menschen mit einem Herzen aus Gold. Und die Musketiere hatten sich ebenfalls als verlässliche Freunde erwiesen. Er wusste, Rickys Worte waren ernst gemeint. Sie würden kommen, wenn er sie rief. Selbst bis nach Indien, da war er sicher.

Er wusste durchaus, dass er mit dem Amt seines Vaters auch große Verantwortung übernehmen würde. Das Einverständnis des Ältestenrates voraus gesetzt.

Aber bis es so weit war wollte er seine Zeit mit seiner Familie noch genießen.

Rahul hatte sich noch keine näheren Gedanken darüber gemacht, wovon sie eigentlich leben würden in der nächsten Zeit und das wurde ihm jetzt bewusst.

Er musste ja arbeiten um Geld zu verdienen, aber im Moment sah er noch keine Möglichkeit dazu, wenn er im Dorf blieb.

Er hatte die gesamten Ingenieursgehälter der letzten Monate aufgespart und damit besaßen sie - zusammen mit Jennys Erbe - ein recht gutes Finanzpolster.

Aber trotzdem würde das nicht ewig reichen und das war es ja auch nicht, was sie Beide wollten. Er würde als Erstes ein Haus bauen für seine kleine Familie, danach Jennys Krankenstation. Viel Geld verdienen würde man natürlich auch damit nicht, aber es war ein Anfang und Jenny konnte sich austoben. Wahrscheinlich würde es auf die Eltern zunächst etwas befremdlich wirken, wenn er ihnen mitteilte, dass er nicht in ihrem Haus wohnen würde. In ganz Indien, besonders in ländlichen Gegenden, war es immer noch üblich das mehrere Generationen unter einem Dach wohnten. Aber er war es nicht gewohnt sein Heim mit Anderen zu teilen, er brauchte die Privatsphäre, die Möglichkeit seine Türe hinter sich zu schließen und die Welt draußen zu lassen.

Er hatte in seiner Studentenbude allein gelebt, anders als viele seiner Studienkollegen, und in Deutschland hatte er nur mit Jenny sein Heim geteilt.

Weil er es so wollte und nicht weil Andere das von ihm erwartet hätten.

Er schüttelte die schweren Gedanken ab als er seine beiden Liebsten kommen sah. Er würde alles mit Jenny besprechen, was ihm so durch den Kopf ging. Sie war eine kluge Frau und bisher war er immer gut damit gefahren wenn er auf Ihren Rat gehört hatte.

 

 Dank Aman zählten sie wieder zu den Ersten die einsteigen durften. Auf dieser längeren Flugstrecke war der Kleine zu Mamas Erleichterung sehr brav, verschlief einen großen Teil der Zeit, erzählte seinem Plüschtiger Geschichten, ließ sich auch brav wickeln und machte kein Theater beim Essen.

Am Flughafen in Mumbai herrschte das übliche Gedränge. Der Mann an der Passkontrolle hatte etwas komisch geguckt.

Ein indischer Mann und eine deutsche Ehefrau?

Er sagte aber nichts, ließ seinen Stempel über alle Papiere hüpfen und wünschte angenehmen Aufenthalt.

Jenny würde sich und den Kleinen innerhalb der nächsten vierzehn Tage beim nächsten zuständigen Foreigners Regional Registration Office anmelden müssen, das in der Nähe von Rahuls Heimatort lag. Das galt für Alle Ausländer - auch die im Ausland geborenen Inder - die beabsichtigten, länger als sechs Monate im Land zu bleiben.

 

Es dauerte eine Weile, bis alle ihre Koffer über das Gepäckband angekommen waren. Rahul hatte einen Gepäckwagen heran geholt und wuchtete jetzt ihre zurzeit ganze Habe auf das Gittergestell. Aman wurde trotz lautstarkem Protest im Buggy festgeschnallt. Nun mussten sie nur noch auf Sorcha warten, die mit einem Karren in die Halle gefahren wurde. Schon von Weitem hörten sie ihr freudiges Gebell. Jenny hatte die Leine in ihrer Tasche und leinte Sorcha jetzt an. Obwohl sie inzwischen gut ausgebildet war und sehr gut hörte, war auch für sie hier alles fremd und man konnte nie wissen.

 

Der versammelte Pulk der Taxifahrer wurde deutlich leiser als sie die kleine Familie mit ihrem umfangreichen Gepäck erblickten, aber Rahul steuerte ohne Umschweife auf das Erste Auto zu.

"Zum 'Hotel Highlands' , junger Mann. Und wenn möglich heute noch!"

Der Fahrer sah misstrauisch auf den Hund, aber der sprang ohne große Aufforderung in den Kofferraum des Kombis und legte sich auch gleich hin, so wie er es gelernt hatte.

Da Hrithik immer noch zeitweise im Hotel arbeitete, hatten sie sich für die ersten Tage dort eingemietet.

Als sie vor dem Hotel ausstiegen, blieb Jenny einen Moment stehen und sah die Fassade hinauf. Rahul ahnte ihre Gedanken.

"Als wäre es gestern gewesen, nicht wahr? Erinnerst du dich noch an Alles?"

"An jede Kleinigkeit, Rahul. Absolut Jede", meinte sie leise und nachdenklich.

Der Taxifahrer hatte inzwischen ihre Koffer ins Hotel gebracht. Sie hatten Hrithik vorher über Ankunftstag und - uhrzeit informiert und der hatte sie durch die riesigen Fenster erspäht und kam nun nach draußen gelaufen.

"Die Khan - Familie, na endlich! Willkommen zu Hause!" Er fiel Rahul um den Hals und freute sich wie ein beschenktes Kind. Dann begrüßte er Jenny. "Und deine Frau wird immer schöner! Hallo, Jenny, du Blume des Westens! Dass es dich in Indiens staubiges Hinterland verschlagen soll kann ich kaum glauben."

Jenny lachte herzlich. "Es hat mich ja schon einmal dahin verschlagen und ein paar Wurzeln sind dort geblieben. Hallo, Hrithik, schön dich wieder zu sehen! Ich nehme doch stark an unser Zimmer ist parat, oder?"

"Natürlich", versicherte Hrithik, während er mit ihnen hinein ging. "Auch das Kinderbettchen für den Kleinen steht bereit." Der Hund durfte für ein kleines Aufgeld ebenfalls ins Zimmer. In der Hotelhalle wollte Hrithik sich neben den Buggy hocken, aber da schob sich Sorcha dazwischen und zeigte ihre Zähne.

"Oh", lachte Hrithik und zog sich langsam ein Stück zurück, "das nenne ich doch mal ein Kindermädchen!"

Jenny nahm Hrithiks Hand.

"Brav, Sorcha, Freund", sagte sie sehr deutlich und dann durfte Hrithik sich ungeschoren neben den Kleinen hocken.

"Und das ist natürlich klein Aman. Sehr gut gemacht, Jenny!"

"Hey, hey!", protestierte der Papa.

"Und was ist mit mir?"

Hrithik sah in gespielt überrascht an. "Was hast du damit zu tun?"

Jenny lachte schallend und Rahul tat als sei er beleidigt.

"Na hör mal! Schließlich ist mein Sohn vom Hals abwärts ganz der Papa!"

"Stimmt, aber das gute Aussehen hat er von Mama."

"Mag sein", grinste Mama Jenny, "aber er ist jetzt schon genau so ein Charmeur wie sein Daddy und wenn er das bei behält stehen uns harte Zeiten bevor. Hrithik, wenn du nichts dagegen hast würde ich gerne einchecken und dann ein Stündchen oder so schlafen. Die lange Fliegerei hat mich ganz schön geschlaucht und der Kleine braucht auch ein bisschen Ruhe."

"Natürlich", entschuldigte sich Hrithik, "wo habe ich bloß meine Gedanken?"

Die kleine Familie wurde ordentlich registriert, bekam ihre Schlüssel und ging gemächlich in Richtung Aufzug.

"Können wir uns heute Abend treffen, Hrithik?"

Der sah kurz auf seine Uhr.

"Können wir. Ich kann um Sechs draußen vor der Tür warten, wenn's Recht ist. Dann gehen wir in das Lokal, wo wir damals Abschied gefeiert haben. Da kann der Kleine auch mit. Du weißt doch noch wo das ist, oder?" Die Frage hatte er an Rahul gerichtet und der nickte.

"Als ob ich das vergessen würde!"

Hrithik winkte noch und die Khans betraten den Lift.

"Als ob ich das je vergessen könnte", meinte Rahul leise.

"An dem Tag habe ich geglaubt, dass mir jemand ganz langsam das Herz heraus reißt. Du musstest zurück und ich konnte nicht mit, musste dich gehen lassen. Und es war ganz und gar nicht sicher ob ich dich je wieder sehen würde. Wenn das mit dem Visum nicht geklappt hätte….."

Seine Hände verkrampften sich um die Griffe des Buggys, daß das Plastik gefährlich knackte. Jenny legte rasch eine Hand auf seine Schulter.

"Du hättest mich wieder gesehen, so oder so", unterbrach sie ihn. "Wenn du nicht hättest kommen können, hätte ich in Deutschland alles verkauft und wäre so schnell wie möglich zu dir gekommen, Liebling. Ich wäre nicht alleine geblieben in Deutschland, Rahul. Das hätte ich nicht ausgehalten!"

Er nahm sie in die Arme und küsste sie, bis Aman begeistert Applaus klatschte und krähte.

Rahul lachte herzlich, beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Wange.

"Und der Hartnäckigkeit und Zähigkeit deiner Mama verdanke ich, dass ich heute euch Beide habe und der glücklichste Mann auf der Welt bin!"

Jenny lachte und wuschelte ihm durchs Haar.

"Dann komm', du glücklichster Mann der Welt, wir sind da."

Rahul ging mit dem Schlüssel in der Hand voraus und Jenny folgte ihm mit Aman und dem Kinderwagen durch die alt ehrwürdigen Gänge. Sie hatten - wie Jenny bei ihrem ersten Besuch - ein geräumiges Zimmer zur Gartenseite hin und Jenny öffnete als Erstes die großen Flügeltüren zum Balkon. Rahul nahm den kleinen Aman auf den Arm und trat hinter ihr hinaus.

"Erinnerst du dich noch was dir damals bei deiner Ankunft hier durch den Kopf gegangen ist?"

"Nichts, denke ich. Ich war innerlich wie tot. Ich weiß noch, ich habe auf solch einem Balkon gestanden und mich gefragt ob das wohl der Duft Indiens sei. Aber erwartet habe ich nichts."

Sie drehte sich lächelnd zu ihm hin.

"Und schon gar nicht hätte ich geglaubt, hier die Liebe wieder zu finden. Und mein Lebensglück. Ein so vollkommenes Glück, das ich dafür mein altes Leben aufgebe und ein Neues beginne. Mit dir. Und dem Kleinen. Und hoffentlich noch vielen weiteren Kleinen!"

Sie lachte, kitzelte den Junior, der vergnüglich quietschte und küsste seinen Papa.

Papa quietschte allerdings nicht, sondern hatte das Tanzen der funkelnden Bernsteinsplitter in den Augen, das sie so gut kannte.

"Es ist ja nicht das erste mal, dass ich einen Neuanfang wage. Aber Dieser soll der Letzte sein, Rahul. Und ich werde dafür kämpfen! Mit allen Waffen, wenn es sein muss! Für meine Familie werde ich durchs Feuer gehen! Ich lasse mir nichts mehr wegnehmen oder kaputt machen, nie mehr!"

Rahul sah sie erstaunt an. Jenny hatte plötzlich gar nicht mehr sanft geklungen sondern stählern wie Titan, kämpferisch, wie eine Amazone. Er wusste nicht welches Bild sie dabei vor Augen hatte und strich ihr beruhigend über den Arm.

"Sei unbesorgt, ich werde mit dir kämpfen! Immer, solange auch nur ein Funken Leben in mir ist."

Die Zornesfalte auf ihrer Stirn glättete sich wieder und sie nahm dankbar seine Hand und ging mit ihm hinein.

 

 

Sie schliefen einige Stunden erschöpft von der Reise, obwohl Rahul eigentlich etwas anderes im Sinn gehabt hatte. Aber auch ihm waren die Augen zu gefallen, sobald er im Bett lag.

Einzig Sorcha lag wachsam auf dem Balkon und sog all die fremdartigen Gerüche ein die von nun an zu ihrem Leben gehören würden.

 

 

Wie verabredet trafen sie sich mit Hrithik am Abend vor dem Hotel. Jenny hatte etwas Bedenken wegen des Hundes aber er beruhigte sie.

"Du kannst den Hund mit hinein nehmen. Erstens sieht man, dass er gut erzogen ist und außerdem können wir uns ja auch in den Garten setzen, wenn das für den Kleinen nicht zu kalt ist."

Da es aber immer noch über fünfundzwanzig Grad waren jetzt am Abend, hatte Jenny keine Bedenken. Sie suchten sich einen passenden Tisch unter einem ausladenden Schirm und bestellten zunächst gekühlte Getränke und - zumindest was die Khans betraf - ihr erstes original indisches Abendessen.

Da Hrithik immer noch keine feste Anstellung gefunden hatte, bestanden die Beiden darauf ihn einzuladen. Er dankte.

"Kann ich das irgendwie wieder gut machen?"

"Kannst du", nickte Rahul.

"Ich habe ja die nächste Zeit noch keinen Strom zu Hause und also auch kein Internet. Du kannst für uns Firmenadressen heraussuchen und uns Telefonnummern zusenden per sms. Ich habe sonst keine Möglichkeiten, die Baufirmen zu kontaktieren, die wir brauchen."

"Und als Dank werde ich mich mit Hilfe von Sue informieren lassen, ob es nicht eine deutsche Firma mit einem Werk hier unten gibt, die noch einen tüchtigen Maschinenbauer brauchen können", setzte Jenny noch hinzu.

Hrithik lachte herzlich. "Ich sehe schon, ihr seid ein eingespieltes Team. Und falls doch noch nicht ganz, seid ihr auf dem besten Weg dahin."

Er hob sein Glas.

"Also, noch einmal ein herzliches Willkommen zu Hause, Rahul! Und möge es hier für dich ein Zuhause werden, liebe Jenny."

Er trank einen Schluck, dann grinste er breit.

"Und wenn du mal eine Pause brauchst von diesem Wirrkopf, dann komm' nach Mumbai! Bei mir darfst du jederzeit unterkriechen."

"Nichts da", widersprach Rahul. "Meine Frau schlüpft nirgends unter, schon mal gar nicht bei dir. Das hättest du wohl gern!" Jenny lachte ihn aus. "Wenn du mir keinen Grund gibst, brauche ich auch nicht zu schlüpfen. Zum Wohl!"

Sie hatten sich viel zu erzählen und verbrachten einen angenehmen Abend. Amman schlief im Wagen ein, die weite Reise hatte den kleinen Kerl geschafft und der kurze Schlaf am Nachmittag hatte bei Weitem nicht aus gereicht.

Rahul kam noch einmal auf seinen für ihn wichtigen Punkt zurück.

"Hrithik, ich will morgen recht früh los gehen und ein Campmobil kaufen. Wir wollen damit bis zu meinen Eltern fahren, damit wir mit Aman die Landhotels meiden können. Da traue ich der Hygiene nicht so ganz. Du kennst nicht zufällig einen guten und vor Allem ehrlichen Händler, oder?"

Tatsächlich wusste Hrithik Rat.

"Ein früherer Nachbar hat sich ein neues Campmobil gekauft, ein Riesenschiff. Und jetzt will er seinen Gebrauchten verkaufen. Der ist im guten Zustand, zwei Jahre alt und es ist alles drin. Sagt er zu mindest."

Rahul lachte und legte einen Arm um seine Frau.

"Zum Glück habe ich ja einen ausgezeichneten Mechaniker dabei, der die Maschine auf Links drehen und alles genau begutachten wird!"

Jenny sah ihn kopfschüttelnd von der Seite an. "Das vergisst du wohl auch nicht, was?"

Er lachte.

"Wie könnte ich? Das war eine der ersten Besonderheiten, die mir an dir aufgefallen sind!"

"Und außerdem muss ja wenigstens Einer in der Familie Ahnung von Technik haben. Au!! Danke!"

Hrithik verzog schmerzlich das Gesicht. Sein Freund hatte ihn unterm Tisch kräftig vors Schienbein getreten.

"Warte mal ab, bis bei uns zu Hause Solarzellen und Windkraftanlagen aufgebaut werden und vielleicht ein kleines Wasserstauwerk. Dann kommt meine Zeit", brüstete sich Rahul.

"Und unser Haus und die Krankenstation müssen eben erst mal ohne Strom auskommen. Jenny wird mit Doktor Stein in Verbindung treten - du weißt doch noch, der mich damals behandelt hat - und der wird uns weiterhelfen."

"Mal was ganz Anderes", warf Hrithik ein, "warum seid ihr eigentlich nicht gleich bis Delhi geflogen? Das wäre doch viel näher an eurem endgültigen Ziel."

"Weil wir erst dich besuchen wollten, du frecher Kerl! Und dann noch einen älteren Herrn den ich damals am Flughafen kennen gelernt habe. Und außerdem möchte ich die gleiche Strecke abfahren die wir damals gefahren sind. Das heißt", wandte er sich an Jenny, "wenn du nichts dagegen hast."

Die lächelte ihren Gatten liebevoll an. "Ich hätte es selbst vorgeschlagen wenn du nichts gesagt hättest. Ich möchte unbedingt Madhuri besuchen und das Hochzeitsdorf, außerdem die Bauernfamilie, bei der wir übernachtet haben und natürlich Martin und Geeta. Ich glaube du kannst auch Gedanken lesen."

Rahul nickte. "Wenn wir die anderen Dörfer umgehen und höchstens mal zum Einkaufen anhalten, sollten wir trotzdem schnell genug sein. Bei den Steins werden wir mindestens einen Tag bleiben müssen, denke ich. Und du kannst mit dem Doc besprechen, was du anfangs alles für deine Krankenstation brauchst."

"Schlangenserum", kam ihr spontan in den Sinn. Unwillkürlich seufzte sie dann. "Und einen Kühlschrank dafür. Und noch eine Unmenge anderes Zeug. Aber zuerst das nahe Liegende. Was machen wir also morgen?"

Rahul überlegte nur kurz.

"Frühstücken. Dann den Camper kaufen. Kannst du mit kommen, Hri?"

Als sein Freund nickte fuhr er fort: "Den Wagen betanken und dann los. Ein kurzer Stopp bei Herrn Devgan. Erinnere mich bitte daran, dass ich ihn nach dem Frühstück kurz anrufe. Und dann weiter. Ich weiß nicht ob wir des Nachts durch fahren können, das kommt auf den Zustand der Straßen an. Außerdem müssen wir wohl auch damit rechnen, dass mal eine Brücke nicht mehr vorhanden oder nicht benutzbar ist."

"Lieber keine Nachtfahrten", meinte Jenny. "Am Ende passiert noch was mit dem Wagen und dann stehen wir schön dumm da. Aber ansonsten hast du meine Zustimmung. Wir müssten noch eine Babywanne kaufen für Aman. Die brauche ich unterwegs."

Rahul sah sie etwas irritiert an.

"Haben wir die nicht mitgenommen?"

"Doch", lachte Jenny, "aber die schwimmt noch irgendwo auf dem großen Ozean im Container. Hoffentlich!"

"In Ordnung, also eine Babywanne. Schreibe besser auf was wir sonst noch einkaufen müssen, dann holen wir gleich alles wenn wir den Wagen haben."

"Das werde ich wohl erst sehen wenn ich einen Blick in den Camper geworfen habe. Aber auf jeden Fall brauchen wir genug Trinkwasser. Und Ersatzkannister für den Sprit."

Rahul nickte lachend. "Du wirst das schon machen."

Hrithik wollte noch so Einiges wissen über die Leute die er bei seinem Besuch in Deutschland kennen gelernt hatte und Rahul erzählte bereitwillig.

Jenny sah aber bald auf die Uhr. "Wir sollten allmählich sehen, dass wir ins Bett kommen, Rahul. Morgen haben wir viel vor und ausschlafen ist wichtig. Noch einmal in einem richtigen Bett schlafen!"

Das brachte sie mit so einem drolligen Gesichtsausdruck heraus, dass die Männer herzlich lachten.

 

In dem riesigen Bett kuschelte sich Jenny ganz dicht an Rahul. "Die erste Nacht in meiner neuen Heimat. Irgendwie kann ich es noch nicht so richtig glauben, das wir wirklich unterwegs sind. In ein neues Leben.

Er lachte leise. "Sollten wir diesen Start nicht gebührend feiern?"

Rahul hatte begonnen, zarte hin gehauchte Küsse auf ihren Hals zu setzen, knabberte an ihrem Ohr und Jenny wurde es heiß unter der Bettdecke.

"Wir werden Aman aufwecken", gab sie zu bedenken. Aber der Tiger war nicht mehr zu bremsen.

"Ich werde sehr leise sein. Und du auch, mein Täubchen."

Langsam schob er sich über sie.

Ihre leisen Laute dämpfte er mit Küssen und Beide wurden wieder hinauf gerissen in einem Strudel aus Gefühlen.

 

Rahul erwachte von Amans Gebrabbel. Es musste noch sehr früh sein, die Sonne war noch nicht zu sehen. Söhnchen saß in seinem Bettchen und diskutierte mit dem Plüschtiger. Einen Augenblick musste Rahul überlegen wo er war.

Dann drehte er den Kopf zur Seite, aber der Platz neben ihm war leer.

Er runzelte die Stirn und lauschte.

Kein Geräusch zu hören.

Erst als ihm klar wurde das auch der Hund nicht da war ging ihm ein Licht auf. Natürlich! Jenny war mit dem Hund nach draußen gegangen, damit Sorcha ungestört ihre Geschäfte erledigen konnte. Aman sah, dass Papa wach war und krähte gleich los.

Rahul stand auf, hob den Kleinen aus dem Bettchen und schnupperte.

"Puh! Mama hätte dich mit nehmen sollen zum Gassi gehen! Na, es hilft ja nichts. Mal sehen, ob wir das hinkriegen. Was meinst du?"

Der Minikhan strahlte und sagte: "Mampa, gleh, puh."

Rahul lachte. "Mit 'Puh' hast du völlig Recht! Also los!"

In Amans Koffer waren genug Pampers - Windeln für die nächsten Tage und der Wicht war bald fertig gewickelt und angezogen.

Da es noch nicht mal fünf Uhr war - wie Rahul bei einem Blick auf seine Uhr festgestellt hatte - nahm er den Kleinen mit ins große Bett.

Sie hatten es sich gerade gemütlich gemacht, als Jenny leise durch die Tür kam, sah dass ihre beiden Männer wach waren und beglückte Beide mit einem Kuss.

Sie setzte sich mit auf das Bett und eine Zeitlang spielten sie mit dem Kleinen, dann ging Rahul duschen und sich anziehen.

Sie waren auch die Ersten im Restaurant, für Aman wurde ein Hochstuhl gebracht und er futterte mit Begeisterung alles was seine Mama ihm unter die Nase hielt. Dabei sah er sich wieder neugierig um so das auch ein wenig von der Marmelade an die Ohren und seine Haare gelangte. Jenny schüttelte lachend den Kopf.

"Bevor wir raus gehen, werde ich die kleine Fressraupe noch mal waschen müssen. Du kannst ja inzwischen diesen Herrn Dings….anrufen. Wie hieß er doch gleich?"

"Herr Devgan. Ja, das hätte ich fast vergessen. Das werde ich von der Lobby aus erledigen. Wir treffen uns dann dort."

 

Hrithik, der wieder vor dem Hotel gewartet hatte führte sie zu der Adresse des Camper -Verkäufers. Sie wurden freundlich begrüßt und der Herr machte ein bedenkliches Gesicht, als Jenny Rahul die Hundeleine in die Hand drückte und in den Wagen stieg. Sie drehte wirklich jede Schraube um, besah sich die Anschlüsse für die Gasflaschen die sie zum Kochen brauchen würden, auch die Toilette und den Wassertank sowie das Abwassersystem.

Ein Blick in jeden Schrank um festzustellen was eventuell noch an Hausrat gebraucht wurde aber hier war der Wagen sehr gut ausgestattet.

Völlig verwirrt war der Eigentümer, als sie die Motorhaube öffnete, einen Blick in den Motorraum warf und unter Anderem Batterie, Kabelverbindungen und Kühlwasser prüfte.

Dann krabbelte sie kurzerhand unter den Wagen und besah sich noch die Bremsen, Bremsleitungen, Achsen, Stossdämpfer und Etliches mehr.

Rahul sprang schnell zum Wagen hin und sah nach der Handbremse.

Seine übereifrige Gattin sollte ja nicht schon beim Herz - und Nierentest des Autos überrollt werden.

 

Letztendlich war sie aber mit Allem zufrieden.

"In Ordnung. Wir könnten ihn nehmen. Jetzt kommt es nur auf den Preis an."

Der Eigentümer nannte seinen Preis und Jenny überfiel ein krampfhaftes Husten. Rahul nickte dem Herrn freundlich zu und schickte sich an zu gehen.

Sie einigten sich endlich bei etwa zwei Drittel des ursprünglich geforderten Preises.

Kind und Hund wurden eingeladen und auch Hrithik, den sie unterwegs am Hotel absetzen wollten.

Jenny hatte während des Frühstücks ihre Einkaufsliste fertig gestellt und sie besorgten noch alles Nötige. Dann fuhren sie zum Hotel zurück um den Rest ihres Gepäcks zu holen.

Hrithik verabschiedete sie herzlich.

"Ich wünsche euch eine sichere Fahrt. Und ruft an wenn ihr zu Hause seid. Und kommt mal 'rüber nach Mumbai wenn ihr etwas Zeit habt."

Rahul nickte.

"Ich werde spätestens her kommen müssen wenn der Container mit unserem Hausstand ankommt. Die weitere Verfrachtung von dem ganzen Zeug muss organisiert werden; wahrscheinlich werde ich ein Umzugsunternehmen suchen müssen mit einem großen LKW. Oder ich fahre den Laster und du, Hrithik kannst unser Auto fahren wenn du uns helfen willst. Ich weiß noch nicht genau, mal sehen.

Auf jeden Fall werde ich mich bei dir melden!

Also, lass die Ohren nicht hängen, alter Freund. Wir sehen uns!"

Amman riss dem neuen Onkel zum Abschied noch schnell ein paar Haare aus und sogar Sorcha ließ sich dazu herab kurz über seine Finger zu lecken.

Dann drückte Rahul aufs Gas und hupte kurz, sie winkten noch und waren unterwegs.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freunde am Wegesrand

 

Herr Devgan und seine Gattin freuten sich aufrichtig über ihren Besuch, bestaunten den kleinen Aman und sahen respektvoll auf Sorcha. Sie blieben etwa zwei Stunden, dann drängte Jenny zum Aufbruch.

Das Hochbett über der Fahrerkabine nutzten sie als Stauraum und Aman schlief in der ausgepolsterten Babywanne. Wenn ein Bad fällig war wurden Kissen und Decken einfach heraus genommen und danach in die getrocknete Wanne zurück gepackt.

 

An diesem ersten Abend im Freien hatte Rahul ein Feuer angezündet um Raubzeug genau so wie unerwünschte Insekten fern zu halten. Der Camper hatte Gazefenster, aber wenn man draußen saß stürzte sich gleich ein ganzes Geschwader an Moskitos auf jede freie Hautstelle trotz Einreibemittel.

Jenny hatte den Kleinen zum Schlafen gelegt und kam nun aus dem Wagen. Rahul saß am Feuer, der flackernde Flammenschein beleuchtete sein nachdenkliches, ernstes Gesicht.

Sie trat hinter ihn, legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn aufs Haar. Dann setzte sie sich neben ihn und nahm seine Hand.

"Was geht dir durch den Kopf? Man kann direkt sehen wie dein Denkapparat rattert."

Rahul lachte leise, dann wurde er wieder ernst.

"Jenny, ich glaube ich habe mich hier in ein Abenteuer gestürzt ohne richtig darüber nach zu denken. Ich bin ein ausgebildeter Ingenieur und hatte in Deutschland ein Spitzeneinkommen. Aber in meinem Dorf werde ich arbeitslos sein. Ich weiß nicht wie ich meine Familie ernähren soll ohne Arbeit. Bis wir etwas mit Verdienstmöglichkeiten aufgebaut haben können unter Umständen Jahre vergehen. Was machen wir bis dahin? Ich könnte mir Arbeit suchen in Delhi bei irgendeiner Firma, aber dann wären wir dauernd getrennt. Das möchte ich nicht.

Und unser gespartes Geld reicht nicht ewig, außerdem müssen wir davon unser Haus und die Klinik bezahlen und noch etliches andere. Ich habe wohl nur an mich selbst gedacht, habe nur gesehen, dass ich wieder zurück in meine Heimat komme. Meinst du nicht, dass ich übereilt gehandelt habe? Plötzlich sehe ich überall Hindernisse und bin voller Zweifel, Jenny."

Sie strich beruhigend über seinen Arm.

"Was immer du auch tust, ich werde da sein. Wir werden es schaffen. In kleinen Schritten, immer Einen nach dem Anderen. Ich werde bei der nächsten erreichbaren größeren Bank ein Konto einrichten und Sue kann einen Teil von unserem Geld rüberschicken. Dann bauen wir unser Heim. Vorerst kann ich meine Patienten auch zu Hause versorgen oder einen mobilen Dienst einrichten mit dem Auto. Ich werde Gemüse anbauen in einem eigenen Garten und Hühner anschaffen. Wir werden nicht verhungern, Rahul. Du bist jung und energiegeladen, du hast gute Ideen und große Pläne für unseren kleinen Ort und ich auch. Du wirst es schaffen, ich weiß es."

Er drehte sich in ihre Richtung, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie sehr zart mit einem Gefühl von Erleichterung und Dankbarkeit.

"Danke. Für deine Liebe, deine Stärke, dein Vertrauen. Und das du da bist. Du bist meine Energiequelle, Jenny. Ohne dich würde ich untergehen. Du bist unbestritten der Stärkere von uns Beiden."

Sie lachte. "So etwas Ähnliches hast du schon mal gesagt, erinnerst du dich?"

"Ja", nickte er lächelnd, "und ich habe recht behalten."

 

Sie besuchten die fleißige Madhuri in ihrer Teppichwerkstatt und erkannten sie kaum wieder.

Madhuri hatte ihr Haus renoviert, ihre Kinder gingen wieder zur Schule und sie hatte ein Mädchen ins Haus genommen die ihr bei der Hausarbeit half.

Auch Madhuri freute sich ehrlich über ihren Besuch. Jenny erzählte ihr, dass sie nun im Land bleiben würden, sie aber trotzdem wie gewohnt ihre Teppiche weiter an die Adresse ihres Büros in Deutschland schicken sollte. Nur der Name habe sich geändert, erklärte Jenny und notierte für Madhuri die neue Agenturbezeichnung, in der statt ihrem Namen jetzt Pablo eingetragen war.

Das kleine verschlafene Dorf, wo ihrer Beider Schicksalsengel zum ersten Mal beschlossen hatten zusammen zu arbeiten lag verschlafen im Morgenlicht des nächsten Tages. Die Frauen und auch der größte Teil der Männer waren auf den Feldern bei der Arbeit. Das Auftauchen

eines so großen Fahrzeugs erregte einen mittleren Aufruhr bei denen, die noch im Dorf geblieben waren.

Ihre Gastgeberin gehörte zu denjenigen die im Haus geblieben waren. Sie kam jetzt neugierig herbei gelaufen und erkannte Jenny wieder, die ausgestiegen war und lachend auf sie zu ging.

Erstaunt riss die kleine Frau die Augen auf.

"Willkommen, Willkommen!", rief sie dann.

"Was für eine Freude!"

Wieder und wieder wurde Jenny umarmt und dann an andere, neugierig herbei gekommene Frauen weiter gereicht, die sie ebenfalls erkannten und ihrer Freude genauso lautstark Luft machten.

Rahul stand etwas abseits und lachte. Er kannte die Gepflogenheiten in seinem Land und wusste, dass die Frauen Jenny sehr herzlich, ihn dagegen nur zurückhaltend begrüßen würden.

Eines der größeren Kinder war indes losgelaufen um die Männer vom Feld zu holen.

So wurde auch Rahul noch herzlich begrüßt. Sie wurden gleich von der Menschenmenge getrennt, die Frauen wollten Jenny mitziehen ins Haus ihrer ehemaligen Gastgeberin, sie machte sich aber freundlich los und stieg zuerst wieder in den Wagen um Aman heraus zu holen. Der kleine Racker hatte geschlafen, war nun noch etwas zerknittert und versteckte sein Gesichtchen schüchtern unter Mamas Haaren. Aufgeregtes Geschnatter bei den Frauen, anerkennendes Schulter klopfen bei den Männern.

"Mein Sohn Aman", erklärte Rahul stolz und die gesamte Männerschar war wieder voll des Lobes.

Jenny freute sich, dass sie wenigstens einen Teil des Stimmengewirrs verstand. Wie aus dem Nichts standen plötzlich Tische und Bänke auf dem Dorfplatz, die Frauen brachten an Essbarem heraus, was die Küchen hergaben und schon war das Begrüßungsessen in vollem Gange.

Die Dorfgemeinschaft war etwas erstaunt gewesen, als Rahul darauf bestand das Frau und Kind neben ihm saßen, gestatteten aber diesen kleinen Ausrutscher ihrer Gäste. Rahul wusste durchaus, dass er gegen diverse Anstandsregeln verstieß aber das war ihm egal. Er wollte seine kleine Familie nahe bei sich haben. Wie schnell konnte etwas passieren, besonders mit seinem Sohn und er wäre dann nicht schnell genug zur Stelle. Nein, lieber riskierte er einen tadelnden Blick von den alten Männern. Er wollte auch ein Zimmer im Haus ihrer ehemaligen Gastgeber ablehnen, aber Jenny legte eine Hand auf Seine und nickte zur Beruhigung.

Jenny lachte und gab ihm einen Kuss, der sein Erwachen enorm beschleunigte. Aman war auch wach und versuchte gerade aus seinem Wannenbettchen zu klettern. Er kippte damit um und brüllte erschrocken los. Sorchas Miene deutete völliges Unverständnis an. Menschenwelpen waren doch wirklich unheimlich empfindlich!

 

Ein weiteres Mal erzeugte ihr Erscheinen einen kleinen Menschenauflauf. Die Schwester am Empfang erkannte ihren ehemaligen Patienten gleich wieder, ihre Augen wurden kugelrund und sie sprach sehr schnell ins Mikrofon, wobei sie vor Aufregung ins Stolpern geriet.

Es dauerte nur Sekunden, dann waren eilige Schritte aus allen Richtungen zu hören. Durch die Flügeltüren rechts und links der Empfangstheke quollen Schwestern und Ärzte hervor, wie das Wasser aus einem gebrochenen Damm.

Jenny wurde von den Schwestern herzlich umarmt, Aman gebührend bewundert. Rahul hatte den kleinen Mann auf die Theke gesetzt und sich schützend davor gestellt. Geschickt langte der Kleine hinter sich, griff zielsicher in die Box mit den Büroklammern und wollte sich ernsthaft eine Handvoll davon in den Mund stopfen. Gerade noch rechtzeitig hielt Rahul ihm die Hand fest und pulte die Klammern aus dem Fäustchen.

"Nein, Aman! Das ist nichts zum essen! Finger weg! Jenny, Hilfe…."

Mama Jenny hatte den Hilferuf aufgefangen und reichte rasch ein weiches Brötchen hinüber.

Aber Aman sah gar nicht ein warum er die glänzenden Dinger nicht essen sollte, brüllte zornig und warf das Brötchen in die Ecke. Jenny setzte ein strenges Gesicht auf.

"Wie du willst, junger Mann. Dann gibt es eben nichts. Gib mir den Kleinen, Rahul, und hole bitte den Buggy aus dem Wagen."

Aman fegte noch schnell einen Stapel Notizzettel und eine Box mit Stiften von der Theke, bevor er im Buggy angeschnallt wurde.

Rahul verzog bei dem Wutgebrüll das Gesicht. Jenny beruhigte ihren Gatten.

"Ich gehe mit dem Kleinen in den Hof hinaus, bis er sich wieder abgeregt hat. Unterhalte du dich erstmal mit den Leutchen hier, ohne Sirenengeheul im Hintergrund. Wenn dein Ableger sich beruhigt hat komme ich wieder hinein."

Rahul nickte erleichtert und Jenny steuerte den Buggy durch die Flügeltür und den Gang hinunter in den Innenhof. Amman betrachtete interessiert die vielen Vögel, die in den Bäumen und Büschen im Garten herum schwirrten und vergaß bald sein Gebrüll. Er bekam ein Fläschchen mit Saft und ein weiteres Brötchen, das er friedlich mümmelte. Jenny verließ den Innenhof durch eine Gartentür, wanderte einmal um die Klinik herum nach vorne auf den Parkplatz und ließ Sorcha aus dem Camper. Der Hund schnupperte nur kurz und lief dann erst einmal ins nächste Gebüsch um dort etwas zu hinterlassen. Dann durfte sie noch ein halbes Stündchen herum streichen und musste dann wieder einsteigen, da sie in die Klinik natürlich nicht hinein durfte.

Rahul kam mit dem ganzen Gefolge auf den Parkplatz hinaus. Er hatte erfahren das Martin Stein zwei freie Tage hatte und erst übermorgen wieder in der Klinik sein würde. Jetzt wollte er schnell weiter um die zwei Tage für ihren Besuch zu nutzen. Die kleine Familie wurde herzlich verabschiedet.

Rahul enterte den Fahrersitz, bevor seine Frau reagieren konnte. Jenny hatte den Junior in seinem Kindersitz angeschnallt, sah ihren Gatten an und runzelte wortlos die Stirn.

"Ich bin wieder wach, Weib! Ich werde fahren, das Stückchen bis zu den Steins werde ich wohl noch gerade so hin kriegen."

Ihr letztes Etappenziel erreichten sie zwei Stunden später. Natürlich hatte jemand vom Krankenhaus angerufen und ihre Anreise angekündigt.

Martin und Geeta standen schon wartend vor dem Haus. Rahul hupte ein paar mal als er auf das Gelände einbog.

Der Wagen war kaum zum Stillstand gekommen als er auch schon hinaus sprang und dem Doktor lachend um den Hals fiel. "Hallo, Doc! Mann, tut das gut euch wieder zu sehen!"

Der so Begrüßte lachte ebenfalls freudig.

"Hallo, Patient! Gut siehst du aus! Und bist jetzt ein richtiger Ingenieur wie ich gehört habe. Und Familienvater! Hast dich ja ganz schön gemausert! Herzlich willkommen!"

Jenny hatte Geeta begrüßt, die ihr gleich klein Aman abgenommen hatte.

"Das ist aber mal ein Prachtkerlchen!"

"Nicht wahr?", rief Rahul dazwischen, "ganz wie sein Papa!"

Geeta lachte herzlich. "Hoffentlich hat er auch etwas Gutes von seiner Mama geerbt."

Das Prachtkerlchen hatte sofort die schöne Perlenkette am Hals der neuen Tante erspäht und begann flugs seine Erwürgungsversuche. Bevor ernsthafter Schaden entstehen konnte an Mensch und Kette nahm Jenny den Zwerg wieder an sich und entwandt ihm das gute Schmuckstück. Und Junior vergaß sogar sich zu beschweren bei so vielen neuen Eindrücken.

Auf der Terrasse war der Tisch gedeckt für ein spätes Mittagessen und die Khanfamilie ließ sich dankbar in den weichen Korbmöbeln nieder. Zu Jennys Erstaunen brachte das Hausmädchen sogar einen Hochstuhl nach draußen. Geeta lachte.

"Den brauchen wir bald selbst! In etwa sieben Monaten werden wir auch so ein niedliches Kerlchen haben. Oder Töchterchen."

Das niedliche Kerlchen hatte sich von Papas Schoß geschlängelt und machte gerade jetzt

Anstrengungen, alleine aufzustehen. Er fasste mit beiden Händen nach der Tischdecke und zog ordentlich daran. Jenny konnte gerade noch die andere Seite der Decke packen um das gute Geschirr vor dem Absturz zu retten. Rahul schnappte den Krümel und verfrachtete ihn in den Hochstuhl, was wieder mit wütendem Gebrüll honoriert wurde.

Aman heulte wie eine Sirene bei Fliegeralarm, als sei das gesamte japanische Kamikaze - Geschwader im Anflug. Jenny sah Martins Gesichtsausdruck und lachte.

"Besser, du gewöhnst dich dran! Rahul hat auch immer noch Probleme damit."

"Ich weiß nicht, wie sie das macht", versuchte der genervte Papa den Lärm zu übertönen.

"Jenny müsste eigentlich schon einen Gehörschaden haben. Sie kann einfach darüber hinweg hören und bleibt auch noch gelassen, wenn sich bei mir schon sämtliche Trommelfelle verabschiedet haben!"

Martin lachte laut. "Da steht mir ja noch Einiges bevor. Aber vielleicht habe ich ja mehr Glück."

"Hast du nicht! Du wirst gefälligst solidarisch sein und genau so mit leiden wie alle Väter", orakelte Rahul düster.

Zur Rettung väterlicher Gehörgänge wurde die kleine Sirene erfolgreich mit Brei und Tee bestochen. Steins hatten auch schon ein Kinderbett angeschafft; es wurde ins Gästezimmer gestellt und Aman hatte die große Ehre, das Bettchen einzuweihen.

Die plötzlich eingetretene Stille draußen nutzten die Hunde zu einem fröhlichen Spiel. Sorcha hatte aufgeregt geschnüffelt und einmal kurz gebellt, als sie die beiden Hunde der Steins über die Wiese laufen sah. Da aber Jenny kein Okay gegeben hatte blieb sie brav beim Tisch liegen. Frauchen bemerkte die Aufregung des Hundes.

"Sind eure Beiden streitsüchtig?"

Martin schüttelte den Kopf.

"Eigentlich nicht. Versuch es einfach."

Auf Jennys Handzeichen hin schoss Sorcha davon wie ein weißer Blitz.

"Wann habt ihr den Hund angeschafft?", wollte Martin wissen.

"Ziemlich direkt nach der Geburt Amans", gab Rahul Auskunft. "Jenny ist der Ansicht, das Aman was für seine Charakterstärke tut, wenn er mit dem Hund aufwächst. Bis jetzt teilt er allerdings mit Sorcha nur das gesunde Selbstbewusstsein."

Jenny musste über sein komisches Gesicht herzlich lachen.

"Warte mal ab, bis Aman aus dem Welpenalter heraus ist! Dann wird Sorcha ihn erziehen. Sie lässt sich schon jetzt längst nicht mehr alles gefallen so wie am Anfang. Keine Sorge, sie wird ihn nicht beißen, vielleicht mal ein bisschen in die Windel zwicken, aber er wird lernen, das er zum Beispiel seine Finger von ihrem Futter zu lassen hat."

Der erstaunten Geeta erzählte sie, wie sie des Öfteren in ihrem deutschen zu Hause den quirligen Sprössling am Mundraub gehindert hatte. Jennys Geschichten über Amans gesammelte Heldentaten lösten bei den Anderen größte Heiterkeit aus.

"Wirklich bewundernswert, wie du das alles so gelassen wegsteckst", staunte Geeta lachend.

Aber Jenny winkte ab.

"Der dicke Nerv kommt automatisch mit dem Kind, zumindest war das bei mir der Fall. Außerdem haben wir einen Weg gefunden um die Kleinkindzeit gut zu überstehen. Unsere Nachbarn haben den Kleinen einmal im Monat am Wochenende zu sich genommen und dann konnten wir Beide uns ausruhen und wieder etwas Zeit zu Zweit verbringen. Glaub' mir, das hat meine Ehe gerettet."

"Nicht nur Deine", stimmte Rahul grinsend zu.

"Das erste kinderfreie Wochenende haben wir praktisch nur im Bett verbracht. Und das werde ich mit meinen Eltern ebenfalls genau so regeln, sonst sehe ich schwarz für unser Liebesleben und Amman bleibt ein Einzelkind."

Martin klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter, Jenny warf Geeta einen sprechenden Blick zu und lachte dann.

"Hast du eine Ahnung! Wir Frauen können ganz schön erfinderisch sein wenn es darum geht unsere Wünsche zu befriedigen. Aber mit so einem Großeltern - Arrangement ist es natürlich um Vieles besser."

Rahul sah sie mit großen Augen an, sagte aber nichts.

Martin Stein kam auf Jennys geplante Krankenstation zu sprechen.

"Du hast es dir also wirklich in den Kopf gesetzt? Dann werde ich natürlich helfen so gut ich kann. Sage mir nur rechtzeitig Bescheid und ich werde alles Nötige als Second -Hand besorgen, genau wie ich es am Anfang bei mir gemacht habe. Und für Verbandsmittel, Handschuhe und ähnliches Verbrauchsmaterial gebe ich dir die Adresse von meinem Großhändler in Delhi."

Jenny nickte erfreut.

"Das hilft auf jeden Fall weiter. Natürlich brauchen wir auch irgendwann einen richtigen Arzt. Vielleicht kannst du ja dann auch Einen auftreiben."

Sie lachte schelmisch.

"Er darf auch gerne Second - Hand sein. Und wenn wir großes Glück haben findet er im Dorf eine Frau und bleibt uns länger erhalten. Aber zu aller erst brauchen wir elektrischen Strom im Dorf, der ist auch für die Notfallstation ganz wichtig. Ich denke wir werden von verschiedenen Firmen Kostenvoranschläge erstellen lassen und dann entscheiden, aber ich weiß schon, dass es keine billige Angelegenheit werden wird.

Zum Glück ist unser Finanzpolster recht gut. Trotzdem werden wir gut überlegen und rechnen müssen. Falsche Investitionen können wir uns nicht erlauben. Unser Freund in Mumbai kann uns bezüglich der Firmensuche weiterhelfen. Er kann von dort die wichtigsten Kontakte knüpfen. Aber fürs Jetzt und Hier kannst du mir vielleicht mit ein paar Kleinigkeiten aushelfen, Martin. Für meine Notfalltasche sind mir ein paar Sachen ausgegangen."

"Klar, kein Problem. Stelle eine Liste zusammen, ich werde in der Klinik anrufen und lasse Alles herbringen."

Rahul hatte dem Gespräch gelauscht und lachte jetzt leise.

"Da sieht man wieder mal, was Jennys Berufung zu sein scheint. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht sie das auch knallhart durch. Ich habe das in den letzten Jahren oft genug mit bekommen, wenn Sue und Jenny ihre widerspenstigen Geldgeber freundlich, aber genau so unnachgiebig auf Zwergengröße zusammen gefaltet haben. Und die waren hinterher noch dankbar das sie so einigermaßen ungeschoren davon gekommen sind."

Er bedachte sein Finanzgenie mit einem liebevollen Blick.

"Den Finanzierungskram werde ich dir überlassen und eher den praktischen Teil unserer Bauprojekte übernehmen. Ich denke mal, dass ich damit nichts falsch machen kann."

Jenny stand spontan auf, ging zu ihm hinüber und küsste ihn herzhaft.

"Wofür war das denn?", fragte er sichtlich überrascht und zog sie rasch auf seinen Schoß.

"Dafür das du immer das Gleiche denkst wie ich. Ich hätte genau Das vorgeschlagen. Ich den theoretischen und du den praktischen Teil."

"Wir sind eben ein gutes Team", lachte er und drückte sie fest an sich.

 

Am nächsten Morgen während des Frühstücks stellte Jenny ihre Liste zusammen, Martin rief in der Klinik an und die ganze Sendung würde bis zum Mittag geliefert werden.

Rahul wanderte mit Martin an diesem Vormittag wieder über das weitläufige Grundstück.

Sie hatten ausführlich über Rahuls Pläne gesprochen.

"Ehrlich gesagt habe ich jede Menge Zweifel, das ich wirklich alles umsetzen kann was ich mir vorgenommen habe", gestand Rahul seinem neuen Freund - und sich selbst - ein.

Aber der war eher zuversichtlich. "Das Wichtigste hast du schon hinter dir. Du hast eine großartige Frau an der Seite. Ich kenne Jenny schon sehr lange und weiß das sie sich für dich und den Kleinen notfalls auch in Stücke hauen lässt. Das wird natürlich nicht passieren. Aber du kannst sicher sein, das sie immer hinter dir steht um dich aufzufangen. Meine Geeta ist ganz ähnlich."

Ein leises Lachen.

"Ehrlich gesagt glaube ich manchmal, dass ich Jennys Charakter als Vorbild vor Augen hatte, als ich mich für Geeta entschieden habe. Du kannst dich als glücklichen Mann ansehen, Rahul."

Rahul nickte ernst.

"Das tue ich, ganz sicher. Sie wird mir auch helfen, die Ältesten im Dorf zu überzeugen, das die Neuerungen die wir einführen nur gut für Alle sind. Und im Überzeugen ist sie wirklich gut!"

"Oh, ja", lachte Martin, "davon kann ich auch ein Liedchen singen! Willst du mal raten, wer in Afrika meistens die Oberhand hatte bei unseren Projekten?"

"Da brauche ich nicht zu raten", grinste Rahul.

Martin zeigte ihm die Solaranlage und auch das Regenwasser - System und Rahul merkte sich technische Daten und andere wichtige Dinge für seine eigenen Pläne.

 

Jenny und Geeta waren unterdessen - natürlich - mit Gedanken rund ums Baby beschäftigt.

Jenny konnte gute Ratschläge geben im Umgang mit Schwangerschaftsproblemen und weinenden Babys.

"Aman hat mich ganz schön geplagt und ich habe Rahuls Nerven auf eine harte Probe gestellt. Er hat sich aber tapfer geschlagen und nicht zurück gebrüllt, wenn ich mal ausgerastet bin. Und er ist wirklich ein toller Papa, kann seinen Sohn wickeln und Fläschchen wärmen und sogar Babybrei kochen. Ich weiß, dass so etwas keinem traditionell denkenden indischen Mann einfallen würde. Kinder versorgen ist Frauensache. Aber da werde ich neue Sitten einführen.

Und Papa Rahul wird dafür als leuchtendes Beispiel herhalten.

Er wird den Männern zeigen, dass auch ein richtiger Mann sich keinen Zacken aus der Krone bricht, wenn er mal sein Kind füttert oder ins Bett bringt und ihm eine Gutenachtgeschichte erzählt.

Genauso wie sie lernen werden, das der Sohn nicht unbedingt den Beruf des Vaters erlernen muss. Wenn der Vater Bauer ist muss der Sohn nicht zwangsläufig auch Bauer werden.

Wir werden in den Schulen beobachten, welche Kinder so intelligent sind um für eine höhere Schulbildung in Frage zu kommen.

Auch die Mädchen!

Und diese Kinder werden dann von uns privat gefördert.

Unser Dörfchen soll wachsen und an Lebensqualität dazu gewinnen.

Ich weiß, dass in vielen Dörfern die jungen Leute abwandern, weil es keine Arbeit gibt.

Das werden wir verhindern, indem wir versuchen werden Arbeitsplätze im Dorf zu schaffen. Ich will ein kleines Hotel bauen und mit den unterschiedlichen Reiseanbietern in Kontakt treten.

Wir würden geführte Fotosafaris für Naturliebhaber anbieten, mit Übernachtung in Zeltcamps.

Außerdem möchte ich eine Ranger Station ansiedeln, vom WWF oder einer ähnlichen Organisation.

Beides - Hotelbetrieb und Rangerposten - würden Arbeitsplätze ins Dorf bringen."

Geeta hatte mit zunehmendem Erstaunen zugehört.

"Ich habe damals wirklich nicht falsch gelegen mit meiner Vorhersage.

Ich habe Martin prophezeit, dass du neuen Schwung ins Land bringen würdest.

Das er so umfangreich ausfallen würde, hätte ich allerdings nicht gedacht.

Du wirst viel Stärke brauchen, wenn du das wirklich alles durchsetzen willst."

Aber Jenny war sich ganz sicher.

"Die nötige Stärke bekomme ich durch meine Familie. Mein Mann ist meine Energiequelle und er sagt das Selbe von mir. Wir bauen uns gegenseitig auf, Geeta. Ich glaube, so etwas wie bei uns gibt es nur sehr selten. Aber es funktioniert ausgezeichnet. Natürlich haben wir auch unsere Meinungsverschiedenheiten, aber die sind glücklicherweise selten. Und bis zum Schlafengehen haben wir immer alles wieder ins Lot gebracht."

Geeta nickte und umarmte ihre deutsche Freundin.

"Ich weiß, du wirst es schaffen."

 

Beim friedlichen Abendessen - Jenny hatte Aman schon vorher in weiser Voraussicht gefüttert und ins Bett gebracht - entdeckten die beiden Paare weitere Gemeinsamkeiten.

Auch versicherte Jenny, dass sie bei der nächsten Geburt rechtzeitig in die Klinik kommen würde.

"Ich bitte darum", meinte Rahul sehr ernst.

"So eine Geburt wie bei Amman, und dann kein Arzt und keine Hebamme in der Nähe, geschweige denn medizinische Versorgung? Das würde mir den Rest geben!"

Martin lachte herzlich.

"Das wollen wir doch nicht riskieren, nicht war? Also komm, Jenny, wenn es so weit ist. Den guten Service kennst du ja noch aus Erfahrung. Und da dich Alle kennen wirst du versorgt werden wie eine königliche Hoheit."

 

Frühzeitig am anderen Morgen verabschiedeten sie sich herzlich.

"Und wenn ihr mal Urlaub zu Zweit braucht, bieten wir euch das Gästehaus an", bot Martin augenzwinkernd an.

"Ich hole euch dann mit dem Heli ab."

Ein letztes Winken und Hupen, dann brach die junge Familie auf zu ihrem endgültigen Ziel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alte und neue Heimat

 

Auf der letzten kleinen Anhöhe vor dem Dorf hielt Rahul den Wagen an und stellte den Motor ab.

Nachdenklich sah er hinunter zu dem Ort seiner Kindheit, wo er so viele glückliche Jahre verbracht hatte.

Und wo er entschieden hatte die Liebe seines Lebens nicht mehr gehen zu lassen.

Nun war er zurück gekommen, mit seiner eigenen Familie, und vor seinem inneren Auge entstanden Bilder von der Zukunft ; wo ihr gemeinsames Haus stehen würde und die Krankenstation, das Versorgungshaus mit der Solar - und Windkraftanlage und das Waschhaus für die Frauen.

Auch für Jennys kleines Hotel und die Rangerstation hatte er bald einen geeigneten Platz entdeckt.

Wie üblich erahnte Jenny seine Gedanken.

"Ich weiß, es wird schön werden", sagte sie ganz sicher. "Wir werden das Beste daraus machen. Ich rechne damit, dass es Rückschläge und Behinderungen geben wird, aber zusammen werden wir es schaffen. Und wir werden glücklich sein."

Er atmete einmal tief durch, lächelte dann, beugte sich hinüber und küsste seine Frau, die er bewunderte für ihre Stärke, ihren Mut und ihre anscheinend nie versiegende Tatkraft.

"Ich habe es wohl schon öfter gesagt, aber ich danke dem Himmel jeden Tag dafür, dass du bei mir bist. Ich weiß nicht, wie ich die Jahre davor ohne dich auskommen konnte."

Jenny lächelte ihn liebevoll an.

"Dito."

Rahul startete den Wagen und fuhr langsam den Rest des Weges bis hinunter ins Dorf.

 

 

Jenny hatte sie per Telefon angekündigt und sie wurden vor dem Elternhaus von einem regelrechten Empfangskomitee erwartet. Mit allen zeremoniellen Ehren wurden sie von den Eltern empfangen, beugten sich nieder und berührten ehrerbietig die Füße der Älteren, die Mutter setzte Jedem - auch dem Kleinen - einen roten Punkt aus Hennapaste auf die Stirn. Ein Pfad aus Reispuder wurde vor ihnen ausgestreut, den sie barfuss beschritten bis ins Haus.

Dann fiel die ganze zeremonielle Strenge von ihnen ab und alle fielen sich um den Hals zur Begrüßung.

Rhea hatte Aman auf den Arm genommen, der schon den roten Punkt großzügig übers ganze Gesicht verteilt hatte und aussah wie ein Indianer auf dem Kriegspfad.

Rahul erntete ein weiters Mal anerkennendes Schulterklopfen. "Gut gelungen, mein Sohn", lachte Opa Raj.

"Na ja", meldete sich die Mama des gelungenen Objektes zu Wort, "bei der Herstellung war er ja ganz hilfreich, nur die Auslieferung hat er wie alle Väter mir überlassen."

Ihr Schwiegervater lachte herzlich.

"Deine bestechende Logik ist wie immer nicht zu bestreiten, Tochter! Ich nehme an du bist immer noch die Bessere bei euren Streitgesprächen?"

"Natürlich", konterte Jenny mit einem breiten Grinsen. "Schließlich weiß dein Sohn doch was gut für ihn ist. Nicht wahr, mein Schatz?"

Der Schatz sagte nichts, seufzte aber so theatralisch das Alle lachten.

 

Auch hier im Heimatort wurde am Abend ein großes Begrüßungsessen aufgefahren. Die junge Familie bekam einen Ehrenplatz an der aufgebauten Tafel und Amman bestaunte mit großen Augen die fremden Menschen und die zahlreichen flackernden Feuer.

Die gute Sorcha hatte sich neben dem Buggy nieder gelassen und knurrte Jeden an, der auch nur in die Nähe kam ohne Herrchen oder Frauchen.

Rahul hatte unmissverständlich klar gemacht, das der Hund zur Familie gehörte und gewissermaßen Amans Leibwache war.

Die Dorfbewohner akzeptierten das - wenn sie es auch nicht alle verstehen konnten - und machten einen ehrfürchtigen Bogen um Hund und Kind.

Nur wenn Jenny oder Rahul den Kleinen auf den Schoß nahmen durften Fremde sich dem Kind nähern.

 

Im Haus der Eltern waren für die kleine Familie zwei Zimmer geräumt worden. In dem Kleineren hatte man ein großes Bett für das Ehepaar und ein Kleineres für das Kind aufgestellt. Außerdem einige Schränke für ihre mit gebrachten Sachen. In dem Größeren standen eine Sitzgarnitur und einige kleinere Möbelstücke.

Außerdem hatte das Zimmer einen großen Kamin, was besonders Jenny begrüßte. So konnte sie an kühlen Abenden die Räume anwärmen.

 

Beim Frühstück am nächsten Morgen gab es die erste kleine Diskussion zwischen Vater und Sohn.

"Ich werde nach dem Frühstück gleich mit Jenny losgehen und ihr zeigen, wo ich unser Haus hinbauen will. Ich wäre dir sehr dankbar, Mama, wenn du so lange auf den Kleinen aufpassen könntest. Und morgen müssen wir mit dem Dorfauto in die nächste Stadt fahren und Jenny und den kleinen im Meldebüro anmelden."

"Ich dachte, ihr wohnt bei uns?", fragte Rhea sichtlich irritiert.

"Natürlich wohnen sie bei uns", sagte der Vater. "Ein Haus bauen? So ein Unsinn! Wozu soll das gut sein?"

Aber Rahul blieb dabei.

"Ich werde für meine Familie ein Haus bauen, Vater. Erstens wird unsere Familie noch wachsen und zweitens braucht Jenny für die Übergangszeit ein Behandlungszimmer, bis die Krankenstation fertig ist, die sie ebenfalls aufbauen möchte. Und drittens bin ich es nicht gewohnt, mit Anderen mein zu Hause zu teilen. Erinnere dich daran, wie wir in Deutschland gewohnt haben. Ich möchte für meine Frau im eigenen Haus allen nur möglichen Komfort ein richten, der mir mit den hier erreichbaren Mitteln möglich ist. Mit Stromversorgung und Wasser im Haus. Jenny ist mir freiwillig in meine Heimat gefolgt und soll es so leicht wie möglich haben bei der vielen Hausarbeit. Außerdem werden wir ein Mädchen als Hilfe einstellen, wenn die Krankenstation fertig ist. Jenny hat heilende Fähigkeiten, das weißt du, Vater. Und sie wird sie zum Wohle aller Menschen hier und im ganzen Umland einsetzen.

Es ist ihr eigener Wunsch und ich werde ihn erfüllen und unterstützen, so gut ich kann."

Rahul hatte sich in Fahrt geredet und Raj Khan hatte mit größtem Erstaunen zugehört.

Jetzt stieß er ein kleines, aber wohlwollendes Lachen aus.

"Tochter, ich staune immer mehr! Noch nie zuvor war mein Sohn so zielstrebig und erwachsen wie jetzt. Du hast wirklich ein Wunder vollbracht! Also baue dein Haus, Rahul. Und du deine Krankenstation, Jenny. Ich freue mich, das du unserem Dorf und seinen Bewohnern soviel Zuneigung entgegen bringst." Jenny lächelte ihn warm an.

"Wie könnte ich nicht? Dieses Dorf - ihr eingeschlossen - habt mich vom ersten Tag an mit offenen Armen empfangen. Und jetzt bin ich Teil dieser Gemeinschaft und werde meinen Teil zu Gesundheit und Wohlstand für Alle beitragen."

 

"Ich habe mir ein Haus nahe am Flussufer vorgestellt, mit Innenhof und Dachterrasse. Ein überdachter Unterstand fürs Auto daneben. Und vielleicht einen Garten mit einer Mauer drum herum für dich. Außerdem will ich einen Brunnen bohren lassen innerhalb des Geländes mit einer Pumpe damit wir fließendes Wasser im Haus haben. Martin hat ein ähnliches System an seinem Haus. Es ist zum Teil mit dem Solarstrom verbunden und kann sogar warmes Wasser aus der Leitung bieten. Wie groß möchtest du dein Haus haben?"

Die beiden jungen Leute waren nach dem Frühstück auf die Anhöhe gestiegen und hatten sich dort im trockenen Gras nieder gelassen. Rahul zeigte Jenny von hier oben, wo er sich den Bau des Hauses gedacht hatte.

"Groß", antwortete sie jetzt.

"Mit viel Platz für Kinder und Gäste. Und der Möglichkeit eventuell noch etwas anzubauen. Eine große Küche. Einen Wirtschaftsraum. Und einen Keller unter dem Haus, zumindest unter einem Teil, den man als kühlen Vorratsraum nutzen kann. Wir sollten mit gebrannten Ziegeln bauen - wie die Adobehäuser in Mexiko - oder mit modernen Hohlblocksteinen. Die halten im Sommer kühl und wärmen im Winter. Weißt du was eine römische Heizung ist?"

Er schüttelte den Kopf und sie erklärte es ihm.

"Man legt unter den gesamten Grundriss des Hauses - oder zumindest unter alle Räume die beheizt werden sollen - einen von Pfeilern gestützten Hohlraum an mit vergitterten Schachtöffnungen nach oben in die Räume. Im Keller oder einem Nebenraum wird ein gemauerter Ofen aufgebaut, der mit Holz oder anderem Material befeuert wird. Der Ofen erwärmt die Luft in dem Hohlraum, die warme Luft steigt nach oben durch die Schächte in die Räume. Der Rauch des Ofens wird durch einen seitlichen Schornstein nach draußen geleitet. Da wir hier keine Zentralheizung bauen können wie in Deutschland halte ich das für eine gute Idee. Es sollte funktionieren. Außerdem ist es sicherer als ein offener Kamin, wegen der Kinder."

Rahul schüttelte lachend den Kopf.

"Wer von uns Beiden ist hier eigentlich der Ingenieur?"

Jenny winkte ab.

"Ich bin nur Ingenieur der Antike. Es kam mir eben so in den Sinn."

"Du hast Recht, die Sicherheit der Kinder geht absolut vor, und Amman kann keine Schnuller mehr grillen in der Kaminasche."

Rahul wollte sich telefonisch mit einem Studienkollegen in Verbindung setzen, von dem er wusste, dass der sein Architekturstudium abgeschlossen hatte und bereits erfolgreich in seinem Beruf arbeitete.

 

 

Am Nachmittag fuhren sie mit dem klapprigen Gemeinschaftsauto in die nächste größere Stadt und meldeten Jenny und den Kleinen ordnungsgemäß an, dann wollte Jenny in der gegenüber liegenden Bank noch ihr Konto eröffnen. Das erwies sich jedoch zunächst als Problem. Der Manager der Bank begrüßte Rahul und warf nur einen Blick auf die Frau.

"Was kann ich für Sie tun?", fragte er freundlich geschäftsmäßig an Rahul gewandt.

"Für mich nichts, aber meine Frau möchte hier ein Konto eröffnen. Das besprechen Sie am Besten mit ihr selbst."

Der Herr staunte.

"Es ist eigentlich in unserem Haus nicht üblich mit Frauen Geschäfte zu machen."

"So? Warum nicht?", wurde er von seinem weiblichen Gegenüber gefragt.

Der Manager lächelte etwas säuerlich und sprach wiederum in Rahuls Richtung.

"Manche Banken mögen das so handhaben, aber wir sind der Meinung das Frauen einfach nicht ausreichend geschäftsfähig sind und in der Regel nicht so logisch denken können wie die Männer. Wir machen allgemein Geschäfte mit den Herren."

Jenny zog missbilligend und gekonnt eine Augenbraue hoch, der Rest ihres Gesichtes erstarrte zum Pokerface.

Rahul sah das und versuchte krampfhaft nicht zu grinsen. Der selbstherrliche Bankmensch wurde - wie Rahul bei den Steins erzählt hatte - freundlich aber bestimmt auf Zwergengröße zusammen gefaltet und eines Besseren belehrt.

Am Schluss der Verhandlung war er höchst geehrt eine so gebildete und noch dazu für hiesige Verhältnisse vermögende Kundin zu haben.

"Ich sehe, Sie sind ein Mann mit Verstand", meinte Jenny noch gnädig zum Abschluss.

"Ich freue mich mit Ihnen Geschäfte zu machen. Machen Sie weiter so, dann werden Sie es noch weit bringen."

Sie nickte ihm hoheitsvoll zu und verließ hoch erhobenen Hauptes die Bank.

Draußen kugelte sich Rahul vor lachen.

"Frau, du bist wirklich einmalig! Ich hätte keine Minute länger da drinnen sitzen dürfen, sonst wäre ich geplatzt!"

Jenny schnaubte leise.

"Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte dem eitlen Fatzke was zwischen die Hörner gegeben! Frauen können nicht logisch denken? Frechheit! Spatzenhirn!"

"Dann komm', du Finanzgenie, ich würde gerne etwas essen bevor wir zurück fahren."

Er lachte noch als sie längst wieder auf dem Rückweg waren.

 

 

Abends beim Essen erzählte Rahul seinen Eltern von Jennys Glanzleistung. Die Mutter lachte laut, obwohl der Vater zunächst die Stirn runzelte.

"War das diesem Herrn gegenüber nicht etwas unhöflich?"

"Unhöflich?", staunte Jenny. "Dieser Kerl war unhöflich, und zwar grob unhöflich. Geradezu unverschämt. Tut gerade so, als ob wir Frauen nicht selbstständig denken könnten. Eine Frechheit! Aber wir sind ja noch handelseinig geworden."

Rahul lachte leise. "Ich habe dir doch gesagt, Pa, das Jenny in Geldsachen knallhart ist. Da lässt sie sich nicht das Heft aus der Hand nehmen. Außerdem hat sie viel mehr Erfahrung in diesen Dingen als ich."

Der Vater nickte und sagte nichts mehr.

 

Wieder einen Tag später läutete in der Mittagszeit Rahuls Handy. Der Frachthafen in Mumbai, der die Ankunft ihres Containers ankündigte. Rahul wollte mit dem Bus nach Delhi und dann mit dem Flieger weiter nach Mumbai reisen. Dann würde er weiter sehen was zu machen war.

"Wirst du hier alleine zurecht kommen, Jenny?", fragte er sie als sie abends im Bett lagen.

„Ich werde ein paar Tage weg sein. Ich denke ich werde einen LKW mieten und Hrithik kann mir helfen, er kann das Auto fahren und ich den Laster. Das heißt, falls das billiger ist als ein Umzugsunternehmen."

Sie beruhigte ihn.

"Wir werden klar kommen. Ich werde mich mit hitzigen Diskussionen zurück halten und brav kleine Brötchen backen, bis du wieder da bist."

Er lachte.

"In Ordnung, aber lass dir trotzdem nicht alles gefallen. Notfalls hast du Mutters Unterstützung."

 

Rahul rief nach dem Frühstück Hrithik an, der sich gerne bereit erklärte zu helfen und sich außerdem freute seinen Freund wieder zu sehen.

Dann buchte er den Flug nach Mumbai.

Sein Ticket würde am Schalter hinterlegt werden.

Jenny packte für ihn eine kleine Tasche für die paar Tage und ging mit ihm das kurze Stück bis zu der Landstraße wo der Überlandbus

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.06.2016
ISBN: 978-3-7396-6114-8

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