Vorwort:
Dem irischen Volksglauben entsprechend gibt es furchterregende geisterhafte Todesfeen (im Original: Banshee), deren weithin hörbarer Klagegesang den Tod eines Mitglieds der Familie ankündigt, vor oder auf deren Haus sie singen. Die schrecklichen Klageweiber treten immer als Einzelwesen auf, die häufig zu einem bestimmten Familienclan gehören sollen. Äußerlich sind Todesfeen meistens alt, aber manchmal werden sie auch als langhaarige junge Frauen mit rotgeweinten Augen beschrieben, die ganz in flatternde lange weiße Gewänder gehüllt sind. Gelegentlich wird der magischen Kraft ihres Klagegesangs auch die unheimliche Macht angedichtet, dass er für alle tödlich sei, die ihn hörten.
Quelle: Harry Potter Wiki
Das Todeslied der Banshee
Nach all den Jahren stehe ich immer noch fassungslos an Ellens Grab und bedauere ihren Tod. Ich lege eine Lilie auf ihr Grab und frage mich, ob sie weiß, dass ich sie jeden Sonntag besuchen komme.
Ellen war meine Zwillingsschwester. Sie war ein fröhliches und aufgewecktes Kind.
Niemand hätte sich ausmalen können, dass sie im zarten Alter von 12 Jahren von dieser Welt scheiden würde.
Alles fing damit an das wir nach Castlebar, einer kleinen Stadt in Irland mit unseren Eltern zogen. Ellen und ich führten ein schönes Leben ohne Kummer oder Sorgen. Soweit wir dies eben als Kinder beurteilen konnten.
Oft streiften meine Schwester und ich durch die Straßen und jagten irgendwelchen imaginären Gestalten hinter her. Kämpften gegen Drachen und Hexen. Oder wir waren Prinzessinnen und hübsche Elfen, die den ganzen Tag tanzten und sagen.
Wir taten eben Dinge, die kleine Mädchen gerne mochten in diesem Alter.
Als wir nach der Schule nach Hause kamen und die unwichtigsten Dinge in unserem Leben erledigt hatten, wir nannten es Hausaufgaben, gingen wir stets nach draußen zum Spielen.
Noch immer muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, wie sehr wir uns gegen diese vermaledeiten Hausaufgaben gesträubt und mit unserer Mutter deswegen gestritten hatten.
Doch eines Tages änderte sich alles.
Es war an einem Freitag als Ellen stumm neben mir her lief und irgendwie traurig, ja fast apathisch wirkte. Für mich war dies ein sehr befremdliches Bild, da ich sie so nicht kannte. Ich versuchte sie zu ärgern aber sie ließ sich nicht darauf ein.
„Ellen was ist los mit dir? War irgendetwas in der Schule?“, wollte ich wissen. Doch Ellen schüttelte energisch mit ihrem Kopf.
„Nein ...“, murmelte sie kaum verständlich.
„Hattest du einen Streit?“
„Nein ...“, murmelte sie erneut. Ich blies meine Backen auf und stoßweise entwich die Luft, die ich darin einsperrte. Ich blieb stehen und packte sie am Arm. „Sag mir doch, was passiert ist?“, ganz allmählich begann ich mir Sorgen, zu machen. „Ich weis nicht, wie ich es sagen soll!“, begann sie leise. Sie schaute hektisch über ihre Schulter und zuckte zusammen, als sie eine Alte Frau mit ihrem kleinen Hund über die Straßen gehen sah.
„Nancy ich glaube ich habe heute Nacht eine Banshee gesehen ...“
„Eine was?“ , grinste ich.
„Na eine Banshee. Das ist eine Fee, die immer dann am Fenster erscheint, wenn jemand stirbt!“; versuchte sie mir zu erklären.
Mir blieb der Mund weit offen stehen. So etwas hatte ich ja noch nie gehört.
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Und wann hast du sie gesehen?“, fragte ich. Natürlich glaubte ich Ellen nicht. Ellen war bekannt dafür, das sie sich irgendwelche Monster ausdachte nur, um unseren Eltern einen gewaltigen Bären aufbinden zu können. Sie trieb oft solche Scherze mit uns. Ich erinnerte mich da an ein vermeintliches Monster in unserem Wandschrank. Pa musste den gesamten Kleiderschrank ausräumen, nur damit ich wieder in mein Bett ging. Natürlich fand unser Vater kein Monster darin. Das Einzige was er fand war ein alter grauer Teddybär. Ziemlich spektakulär.
Seit diesen Zwischenfall, glaubte ich Ellen solche absurden Geschichten nicht mehr. Na ja ich versuchte es zu mindestens. Aber auch ich war nur ein Kind und meine Fantasie, spielte mir darauf hin oft böse Streiche.
„Na heute Nacht ... sie hat geweint!“, erklärte sie mir.
„Und wie sieht diese Banshee aus?“, fragte ich zum Schein interessiert.
„Sie ist alt und hat weißes Haar und weiße Kleidung und rote Augen!“, sie klang so überzeugend.
Ich nickte nur und schallt sie ohne es ihr ins Gesicht zu sagen ein „verrücktes Huhn“.
„Ellen bitte sei mir nicht böse, aber ich glaube du hast schlecht geträumt, es ist alles in Ordnung!“, versuchte ich sie zu beruhigen.
Sie atmete sichtlich aus und schenkte mir ein zaghaftes Lächeln. „Vielleicht hast du ja recht!“,
auf ihrem Gesicht breitete sich ein zaghaftes spitzbübisches Grinsen aus.
Plötzlich spürte ich einen kühlen Lufthauch in meinem Nacken. Ein Berg aus Eis schien mir in die Magengegend zu rutschen. Ich blickte mich um und sah hinter einem Baum, den Umriss einer alten Frau, sie trug ein weißes Gewand und ihr Haar hing ihr in langen Strähnen herab. Ihre knochige Hand ruhte auf dem Baumstamm und es schien als würde sie sich darin hinein krallen. Ich schluckte schwer und schloss meine Augen, als ich sie wieder öffnete, war sie verschwunden. Ellen trieb mich mit ihren Geschichten wirklich noch in den Wahnsinn. Ich stampfte mit meinem Fuß auf, gleich wohl als wollte ich den Spuk vertreiben: „Wegen dir bin ich schon ganz wuschig im Kopf!“, knurrte ich ihr entgegen.
„Aber ...“, murmelte sie.
„Kein aber, erzähl das ja nicht Mum! Du weißt, wie sie auf deine Geschichten immer reagiert!“
Ich packte sie wieder am Handgelenk und schleifte sie nach Hause, zum herum toben war mir die Lust vergangen. Mein Magen verkrampfte sich, als ich jemanden weinen hörte. Noch nie hatte ich solch Wehklagen vernommen. Es kroch in die Glieder und fraß sich direkt in dein Gehirn.
Immer wieder blickte ich über meine Schulter hinweg. Allmählich übermannte mich die Angst. Was war, wenn meine Schwester recht hatte? Wenn diese Banshee wirklich an ihrem Fenster gesessen war? Für mich entwickelte sich der Weg nach Hause zum reinsten Spießrutenlauf. Wo hin ich sah, überall, sah ich nur noch sie. Ellen, die das Gleiche sehen musste, klammerte sich fest an meinem Arm. Wir beide waren heilfroh, als wir zu Hause angekommen waren.
Wir verriegelten augenblicklich die Türen und schlossen die Fenster. Immer wieder spähten wir hinter den Vorhängen hervor, um nach diesem Wesen Ausschau zu halten. Aber nach einer Weile beruhigte ich mich wieder und ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Auf dem Küchentisch klebte ein kleiner gelber Post-it Zettel. Ich nahm ihn in die Hände und las ihn:
Hallo Kinder,
Oma musste ins Krankenhaus! Ich denke das Dad und ich recht spät nach Hause kommen werden.
Seid schön brav und stellt keinen Unfug an.
Ich hab euch lieb!
Mummy
Ellen blickte mich an und sagte: „Glaubst du das Oma sterben wird?“
Es klang aus ihrem Mund, als ob sie wirklich daran glauben würde.
Ich zog meine Augen zu Schlitzen und knallte den Zettel, den Mum uns geschrieben hatte vor Wut auf den Küchentisch.
„Hör auf so etwas zu sagen! Hier wird keiner sterben, Oma nicht, Mum und Dad nicht, ich nicht und schon gar nicht DU! Ich denke wir haben uns das irgendwie eingebildet.Wie immer!“
Ellen nickte. Schweigsam ging sie ins Wohnzimmer um den Fernseher anzuschalten. Und ich stand mit zittrigen Knien noch immer in der Küche.
Von dem, was ich gesagt hatte, war ich nicht wirklich überzeugt. Ich besaß schon immer ein recht großes Mundwerk, aber dies war nur ein Schutzwall. Niemand sollte merken, wie ängstlich ich tatsächlich war. Und schon gar nicht Ellen. Da ich keine Geräusche aus dem Wohnzimmer vernehmen konnte, ging ich langsam in dieses.
Wie eine Salzsäule stand meine Schwester in der Mitte des Raumes und starrte eine hagere Gestalt mit weißem Haar und Gewand an.
„Ellen was ist los mit dir?!“, fragte ich, da ich noch nichts bemerkt hatte.
Ellen sagte nichts. Sie hob ihren rechten Zeigefinger und deutete an das Fenster. Schnell drehte ich mich um und mir blieb ein Schrei regelrecht in der Kehle stecken. Die Banshee saß auf der breiten Fensterbank und sah uns mit einem wehleidigen Blick an.
Ihr Atem war kühl und sie stieß kleine Luftwirbel aus. Ellen hatte begonnen zu weinen.
„Geh bitte weg!", flehte ich sie weinend an.
Die Frau sagte nichts, sie sah nur Ellen an und streckte ihre Hand aus. Während sie dies tat, kam aus ihrem lippenlosen Mund ein qualvolles und doch zugleich schönes Lied:
Hush, child, darkness will rise from the deep,
and carry it out into sleep, child.
Darkness will rise from the deep,
and carry it out into sleep.
Wie in völliger Trance bewegte sie sich auf diese Wesen zu. Ich versuchte Ellen von ihr weg zu schieben, aber ich war einfach zu schwach.
„Ellen nein, geh nicht zu ihr hin! BITTE!“, schrie ich nun. Doch Ellen hörte mich nicht mehr. Ihre Augen waren leer. Ihr Geist war vernebelt von diesem Lied, welches nicht von dieser Welt zu stammen schien.Nun hatte sich die Fee des Todes von der Fensterbank erhoben und schritt mit weit geöffneten Armen Ellen entgegen. Wie eine liebende Mutter schloss sie letztendlich meine Schwester in die Arme. Sie drückte Ellen fest an sich und wiegte sie hin und her.
Weinend ging ich auf die Knie und blickte der Fee ins Gesicht. Ich bettelte, wie ich noch nie zuvor gebettelt hatte. Aus Angst urinierte ich auf den Boden. Mitleidig sah mich die Banshee an und wiegte Ellen als sei sie ihr Kind. Sie hauchte ihr sogar einen lippenlosen Kuss auf die Stirn. Für einen kurzen Moment sah es so aus als wolle Ellen sich ihrem Bann entziehen. Denn sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, gleich wohl als wollte sie sagen: „Nancy hilf mir doch!“
Aber wie hätte ich ihr helfen können? Sie lag in den Armen eines Wesens, das ich bis heute nicht verstehen kann!
Als Ellen schlaff in ihren Armen ruhte und ihr Kopf leblos nach hinten glitt, da ertönte zum letzten Male ihr Lied:
Hush, child, darkness will rise from the deep,
and carry it out into sleep, child.
Darkness will rise from the deep,
and carry it out into sleep.
Das Haar der Todesfee umspielte sanft das leblose und bleiche Gesicht meiner Schwester.
Tröstend blickte mich die Todesfee mit ihren roten Augen an. Und in diesem Moment wurde mir bewusst, das ich meine Schwester wohl nie mehr wieder sehen würde. Was es hieß tot zu sein, lernte ich an diesem Freitag. Es hieß Abschied nehmen für immer und bis zum heutigen Tage war dies wohl die schwerste Lektion, die ich jemals erlernen musste.
Behutsam legte die Banshee Ellen auf den Boden nieder und verschwand so, wie sie gekommen war, im Nichts.
Man fand uns einige Stunden später am Boden liegend. Ellen war tot und ich stand unter Schock. Unsere Eltern riefen den Rettungsdienst.
Doch für Ellen kam jede Hilfe zu spät. Man hatte bei ihr ein angeborenes Aneurysma
diagnostiziert, was letztendlich zum Tode geführt haben musste.
Was mich betraf, so verbrachte ich meine gesamte Jugend in Psychiatrien und Psychotherapien um meinen Wahn, welchen ich entwickelt hatte, Einhalt zu gebieten.
Kein Arzt, kein Therapeut und auch kein Seelsorger glaubten meiner Geschichte. Banshees gehörten nicht in die Realität. Sie waren Zeugnisse meiner Verrücktheit!
Und doch gab es diese Wesen! Ich lernte einige Menschen kennen die eine ähnliche Geschichte zu erzählen wussten. Waren diese Menschen verrückt, genau so, wie ich es war?
Nun ja vielleicht. Für die einen gibt es sie für die anderen eben nicht.
Ich gehe nach Hause, da es angefangen hat zu schneien. Es ist sehr kalt und meine Brust fängt plötzlich an, zu schmerzen. Und da höre ich es, worauf ich seit mehr als 50 Jahren gewartet habe. Ich höre das Klagelied einer Banshee. Unserer Banshee:
Hush, child, darkness will rise from the deep,
and carry it out into sleep, child.
Darkness will rise from the deep,
and carry it out into sleep.ig werden lässt.
Ich bleibe still stehen als ich sie erblicke. Sie breitet ihre Arme aus und wartet auf mein Kommen. Ich lasse sie nicht warten. Ich komme.
Ende
Texte: Liedtext Mordred´s Lullaby
by Heather Dale.
Cover: Bild eines mir nicht bekannten Künstlers.
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme es allen Menschen, die an einer Legasthenie leiden und sich oft ausgeschlossen fühlen wegen ihrem Handicaps