Cover

Prolog


Präsident Snow war weder zu übersehen, noch zu überhören. Seine Worte hallten durch ganz Panem. Das gesamte Land hielt den Atem an, als er den weißen Zettel aus dem Umschlag nahm. In wenigen Sekunden würde es verkündet werden. Niemand wollte wissen, was geschehen würde und doch war es mucksmäuschenstill, wie noch nie zuvor.Sachte zog er das Papier heraus und las es, wobei sich das Lächeln auf seinen Lippen nicht verlor. Ganz im Gegenteil, es schien immer größer zu werden, je mehr Zeit verging.„Das dritte Jubel-Jubiläum wird unvergesslich, dessen bin ich mir sicher. Es wird ein noch nie zuvor dagewesenes Spektakel. Es wird sogar den Triumph unserer letzten zwei Tribute in den Schatten stellen.“ Was meinte er damit? Keiner konnte es mit Sicherheit sagen. Das es grausam war, konnte sich allerdings jeder denken.„Liebe Bürger von Panem. Ich kündige hiermit die 75. Hungerspiele und zugleich das dritte Jubel-Jubiläum an. Wir durften zusehen, wie jeder Distrikt seine eigenen Tribute auswählte. Auch hatten wir schon die doppelte Anzahl von ihnen. Doch dieses Mal wird alles anders. Zur Feier werden ausschließlich Paare gelost. Geliebte, wie die Menschen sie nicht zu trennen vermögen. Liebende, die das Ende der Welt zusammen nicht fürchten. Das Alter spielt keine Rolle. Einzig das Gefühl ist es, das sie in die Arena bringt. Anstatt zwei Töpfen gibt es pro Distrikt nur noch einen, mit zwei Namen pro Zettel.“Panem war still. So still, als wäre in diesem Moment alles gestorben.

The worst time is the night before


Meine Hände zitterten, mein Atem ging schnell und es schien mir, als wäre die gesamte Welt stehengeblieben. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an den morgigen Tag. Denn dann würde die Ernte stattfinden.„Tief einatmen, Kay“, flüsterte mir Nate ins Ohr.„Alles wird gut.“ Ich schüttelte wild mit dem Kopf, während mir die Tränen über die Wangen rannten, als wollten sie ebenfalls vor unserem möglichen Schicksal fliehen. Mein Mund öffnete sich, doch kein Laut wich heraus. Lediglich ein tiefes Schluchzen entwich mir und ich presste meine Lippen wieder aneinander.„Shh, shh.“ Nate versuche mich zu beruhigen und ich kuschelte mich in seinen Schoß und suchte nach seiner Hand, die mir Schutz bringen sollte. Ich tastete nach ihr und verschränkte unsere Finger. Sie passten so perfekt ineinander, dass ich einfach daran glauben musste, wir wären füreinander bestimmt. Und genau dieses Gefühl würde uns ins Elend stoßen."Wir werden sterben, Nate.“ Kam es plötzlich.„Das ist nicht gesagt, Schatz. Die Ernte ist doch erst morgen.“ Natürlich hatte er recht. Noch waren unsere Namen nicht genannt und dennoch redete mir eine innere Stimme ein, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis es so weit war. Vielleicht besaß ich ja eine Gabe? Seit Tagen träumte ich schließlich davon, dass wir zusammen in der Arena sterben würden. Verschiedene Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab. Eine schrecklicher, als die andere und immer nahmen sie dasselbe Ende.„Wir werden gezogen, glaub mir doch.“ Diesmal war es Nate, der mit dem Kopf schüttelte.„Du weißt, dass ich dir alles glaube, aber das hier ist etwas Anderes. Ich will es einfach nicht glauben. Sei mir bitte nicht böse.“ Das war ich nicht. Schließlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die Zuversicht mit ihm zu teilen. Ich wollte doch an das gute Schicksal glauben, das uns verschonen würde und uns eine Zukunft schenkte. Trotz dem Schleier vor meinen Augen, der durch die Tränen entstanden war, fand ich seine Lippen und presste meine gegen die seinen. Ich wünschte mir, dass dieser Moment nie wieder aufhörte. Ich wünschte mir, dass die Zeit stehenblieb oder wir den Augenblick in ein Glas füllen konnten, damit wir ihn immer wieder erleben konnten.Bevor das Jubel-Jubiläum verkündet worden war, herrschte Hoffnung bei uns. Nate hatte die Jahre überstanden, ohne als Tribut gezogen zu werden. Ich hatte gedacht, die Angst ihn zu verlieren wäre somit erloschen. Ich hatte wirklich daran geglaubt, dass ihm nichts mehr passieren konnte. Selbst wenn ich in die Arena hätte gehen müssen, würde er leben. Doch selbst dieser Schimmer an Hoffnung war mir genommen worden. Wir beide hatten einen Plan gehabt. Sobald wir alt genug waren, um nicht mehr bei den Hungerspielen mitmachen zu können, wollten wir heiraten. Uns ein Haus bauen, Kinder kriegen. Eine richtige Familie sein, wie wir es für richtig hielten. Weder seine noch meine Eltern waren aus armen Kreisen, weshalb es für uns nicht sonderlich schwer gewesen wäre.Aber dieser Traum war wohl nur eine Seifenblase gewesen, dessen hauchdünne Wand mit den Worten Präsident Snows geplatzt war. Und nun befanden wir uns in einem Schuppen hinter meinem Haus, ich lag auf seinem Schoß, küsste ihn und wollte die Welt einfrieren.Wie schnell sich Bedürfnisse doch ändern konnten.In der Ferne läutete eine Glocke. Das Zeichen, das Mitternacht war.Nate löste sich aus dem Kuss und seufzte.„Ich muss gehen, Kay.“ Sofort meldete sich meine Panik zurück. Nein, er durfte jetzt nicht gehen. Er konnte mich doch nicht einfach hier alleine lassen, wenn uns morgen vielleicht ein schreckliches Schicksal erwartete. Wir mussten doch zusammenbleiben. Für immer.„Geh nicht“, bat ich ihn unter erneut aufkommenden Tränen, die er mit dem Daumen wegwischte. Anschließend lächelte er mich an, was völlig unerwartet kam.„Weißt du eigentlich, dass ich dich liebe?“ Ich lächelte ebenfalls.„Natürlich.“ Ich betrachtete unsere Hände, die sich immer noch nicht voneinander gelöst hatten. „Weißt du denn, dass ich dich liebe?“„Glaubst du wirklich daran?“ Er kratzte sich an seinem Kinn und schien seine Frage nicht aussprechen zu wollen.„Ich meine, denkst du echt, wir werden die Tribute für unseren Distrikt sein?“„Es ist nur so ein Gefühl“, antwortete ich. Es brachte nichts, wenn ich ihm plötzliche Zuversicht vorspielte, er würde merken, dass ich ihn anlog. Nate kannte mich einfach zu gut.„Ist es stark?“„Das Gefühl?“, fragte ich leicht verwirrt. Selbst in der Dunkelheit, die nur durch den Schimmer einer fast abgebrannten Kerze unvollkommen war, konnte ich seine ernste Miene sehen. Seine Augen, die sonst immer nur strahlten, starrten in die Finsternis und fixierten irgendeinen Punkt in der Ferne, den ich nicht ausmachen konnte.„Ja, es ist sehr stark. Ich träume sogar davon.“ Für einige Minuten blieb es still, keiner wagte etwas zu sagen, das die Stimmung noch mehr trüben würde. Unsere Lage war kritisch, aber nicht hoffnungslos. Wenn wir Glück hatten, war das Schicksal gnädig mit uns und würde uns verschonen. Doch ich wagte nicht daran zu glauben. Denn die Gläubigen, die Hoffnungsvollen traf der Schlag immer am Härtesten. Sie waren naiv, wie kleine Kinder und schienen rosarote Wolken zu sehen. Angst und Schrecken war ihnen unbekannt, sie kannten nur das Licht und die Wärme, die man ihnen ihr Leben lang bot. Bis zu dem Moment, in dem sie in die Hölle gestoßen wurden und die Glut um sie herum fanden, aus der sie nicht entfliehen konnten. Sie beteten, waren sich sicher, es handle sich lediglich um einen Albtraum, da die Realität doch nicht so aussah. Ihnen war Brutalität und Hass unbekannt. Bis zu dem Moment, in dem sie in die Arena geholt wurde. Dort wartete dann der Teufel persönlich, um sie zu holen.

I hate destiny because it hates me


Nevia Hutton stand auf dem riesigen Podest. Ihr rotes Haar war aufwändig zu großen Locken gedreht worden, die ihr fast schon mit gezwungener Leichtigkeit über die Schultern fielen. Ich kannte Nevia, wenn sie nicht gerade für die Hungerspiele vor der Kamera stand. Sie war nett, verständnisvoll und extrem chaotisch. Jedes Mal, wenn wir uns über den Weg liefen, hatte sie gerade etwas verloren und war auf der Suche danach. An einigen Tagen vergaß sie sogar, was genau sie eigentlich verlegt hatte. Es war also immer ein kleines Abenteuer sich mit ihr abzugeben.Mir kam es falsch vor mitten in der Menge zu stehen und auf sie herauf zu blicken, als könnte ich es nicht erwarten ihren Worten zu lauschen. Diese Aussage hätte nicht weniger korrekt sein können. Ich hasste die Hungerspiele. Ich hasste die Menschenmasse, die sich alljährlich zur Ernte traf. Ich hasste das Jubel-Jubiläum. Ich hasste meinen Namen. Das einzige, das ich in diesem Moment nicht hasste war Nate.Nate, der mir immer Halt gab. Nate, der jederzeit für mich da war. Nate, den ich liebte. Nate, der der Grund dafür war, das ich in dieser Situation steckte. Seine Persönlichkeit und sein Aussehen war dafür verantwortlich, dass ich mich in ihn verliebt hatte, wie es stärker unmöglich war. Er hatte mich mit seiner Art verzaubert, als wäre er ein Meister der Zauberkünste und ich war mit Freunden sein Opfer.Jedoch war auch ich schuld. Ich trug ebenfalls die Last auf mir.Gäbe es mich nicht, hätte ich Nate nie in diese Lage gebracht. Ich ganz alleine hatte mit meinem Gewissen zu kämpfen, weil ich sein Grund war. Ich war sein Grund, um als Tribut ausgelost zu werden.Am liebsten hätte ich geschrien. Mein gesamter Körper schien gegen diesen Augenblick zu sein. Meine Füße wollten laufen. Meine Fäuste wollten schlagen. Meine Lungen aufhören zu atmen. Mein Herz aufhören zu lieben.Doch war die Liebe etwas Gutes oder Schlechtes? In der letzten Nacht hatte ich viel darüber nachgedacht. Ich hatte dieses Gefühl stets als das schönste der Welt angesehen und empfunden. Aber wenn es uns dieses Schicksal bereit hielt, konnte es doch nur böse sein oder? Ich wusste es nicht. Auf diese Frage hatte ich noch keine Antwort gefunden, würde sie womöglich nie bekommen.„Hier bin ich.“ Eine Hand fand die meine und umschloss sie fest. Ich brauchte nicht einmal aufzusehen, um zu wissen wessen Finger ich gerade spürte.„Ich dachte schon du kommst nicht“, flüsterte ich. Mir war nicht wohl dabei zu wissen, dass mich die Anderen hören konnten. Die Gespräche zwischen mir und Nate waren privat. Sie waren nur für unsere Ohren bestimmt und nicht für Fremde, die in den Worten nicht dieselbe Bedeutung fanden wie wir es taten.„Würde ich dich je im Stich lassen?“ Er schnaufte, als hätte ich ihn beleidigt.In jeder anderen Situation wäre ich ihm spätestens jetzt um den Hals gefallen. Hätte seinen Nacken gepackt und ihn so lange geküsst, bis ich wieder Sauerstoff brauchte. Jedoch nicht heute.Nicht, wenn die Hungerspiele dran waren. Nicht, wenn die Ernte in wenigen Minuten beginnen würde. Nicht, wenn die Chance bestand, dass ich in die Arena musste.„Herzlich Willkommen zu den 75. Hungerspielen, meine Lieben.“ Nevia begann zu sprechen.„Wie ihr alle wisst handelt es sich dieses Jahr gleichzeitig um das dritte Jubel-Jubiläum.“ Sie räusperte sich. Ich konnte ihr ansehen, dass es ihr gegen den Strich ging, ein Lächeln in dieser Position zu dieser Zeit auf die Lippen zu zaubern, doch es blieb ihr nichts weiter übrig. Ganz Panem sah ihr gerade zu. Sie musste also ihren Part spielen und das so gut wie möglich.„Bevor wir die Tribute ziehen, die die Ehre haben Distrikt 8 bei den Hungerspielen zu vertreten, sehen wir uns noch einmal die Bekanntgabe an, damit auch jeder Bescheid weiß.“ Als hätte irgendjemand diese Szenerie noch nicht tausende Male gesehen. Selbst ich, die weinend, zitternd und schreiend vor dem Bildschirm gesessen war, hatte es unzählige Male wiederholt. Jedes Wort Präsident Snows konnte ich mittlerweile auswendig. Immer war Nate neben mir gesessen, hatte meine Hand gehalten und mich danach in die Arme genommen, um mich zu trösten. Doch an diesem Tag durfte ich es mir nicht leisten auch nur bei dem Gedanken daran eine Träne zu vergießen. Ich musste eine Maske aufsetzen, stark und gefasst wirken, sonst hatte ich alle Augen auf mir. Genau das galt es zu verhindern.Die gesamte Zeit, während der Part abgespielt wurde, sah ich auf meine Füße und summte ein Lied in Gedanken, um mich abzulenken.Es funktionierte.Die Welt um mich herum existierte so gut wie nicht. Hier und dort vernahm ich einen Laut, der mich nur dazu brachte schneller und intensiver zu singen, sodass ich nichts hörte.„Kay.“ Nate drückte meine Finger fester und ich wusste, dass ich nun aufpassen musste.Nevia begann erneut die Stimme zu erheben.„Nun ist der Augenblick gekommen. Die zwei Tribute von Distrikt 8 werden nun gewählt.“ Sie ging zu einem Tisch, wo eine einzige Urne stand und beförderte ihre Hand inmitten all der Zettel, auf denen je zwei Namen geschrieben standen.Ich vernahm wie einige die Luft scharf einzogen oder völlig erstarrten, als sie sie wieder heraus nahm.Mein Herz begann stärker zu pochen. Es wollte ausbrechen, explodieren. Schneller und schneller schlug es, sodass der Schmerz irgendwann einsetzte.Nevias Mund öffnete sich und vier Worte verließen ihren Mund. Ich wollte nicht hören. Wollte den Kopf schütteln und ein Lied singen. Wollte schreien und toben. Wollte weglaufen und mich unter dem Bett verstecken. Wollte auf der Stelle sterben.„Kayla Edwars und Nathanael Linney.“
Meine Welt bracht zusammen.

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Tag der Veröffentlichung: 26.04.2014

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