Es war einer dieser letzten warmen Tage im Sommer. Man konnte in der Luft riechen, dass bald der Herbst herein brechen würde. Anton genoss seinen Spaziergang mit Maja, seiner Labradorhündin. Auch sie tollte im Wald, den sie gerade durchquerten, munter umher. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und Anton zog sich die Jacke, die er bisher in der Hand gehalten hatte, über. Dies war seine Lieblingsstrecke. Er wollte sie noch ein letztes Mal in vollen Zügen auskosten, bevor die kalten und schmuddeligen Tage die Gassitouren zu einem notwendigen Übel machten.
Maja war bereits 10 Jahre alt und Anton war stolz darauf, wie gut erzogen sie doch war. So konnte er sie beruhigt auch ohne Leine laufen lassen.
Er schaute seiner felligen Freundin zu, wie sie nach einer Fliege schnappte. Dann ließ er seinen Blick in die Wipfel der Bäume gleiten, deren Blätter sich schon teilweise rot verfärbt hatten. Es war ein wunderschöner Anblick.
Als er aus seiner Trance erwachte, suchte er den Weg vor sich nach Maja ab. Keine Spur. Er pfiff durch die Zähne; das übliche Kommando, um sie zurück zu holen. Doch noch immer regte sich nichts. Eine Unruhe beschlich ihn. Seine Maja würde niemals absichtlich einen Befehl missachten. Was war geschehen?
„Maja?“, rief er in die Stille des Waldes hinein. Er lief vor und zurück, schaute in die Büsche am Wegesrand und wusste selbst nicht, was er erwartete. Maja würde wohl kaum mit ihm verstecken spielen. Immer und immer wieder pfiff er durch die Zähne und wurde von Mal zu Mal ungeduldiger. Er malte sich Horrorszenarien aus, wie jemand Maja verschleppte oder sie von einem Jäger für Wild gehalten wurde.
Anton wusste nicht, wie lange er nach ihr suchte. Er bemerkte, wie kalt ihm plötzlich war, aber ob dies von seiner Panik herrührte oder an der mittlerweile untergegangen Sonne lag, vermochte er nicht zu sagen.
Schließlich ließ er sich niedergeschlagen auf einer Bank nieder, die am Wegesrand stand. „Maja“, rief er noch einmal entkräftet und pfiff durch die Zähne. Da raschelte es hinter ihm. Erschrocken sprang er auf und erwartete ein wildes Tier, das sich ihm zähnefletschend gegenüberstellte.
Stattdessen blickte er in die treuen Augen seiner vermissten Fellnase. Er wusste nicht, ob er wütend oder erleichtert sein sollte, doch bevor er sich für eine Reaktion entscheiden konnte, viel ihm auf, dass die Hündin etwas im Maul trug. Ein kleines dreckiges Bündel.
„Aus!“, schimpfte Anton und nahm ihr das Bündel aus dem Maul. Es fühlte sich merkwürdig klumpig und unerwartet schwer an. Er hielt es eine Zeitlang angewidert von sich weg und beschloss letztendlich, einen Blick hinein zu werfen.
Er schob die Stofffetzen zur Seite, in denen das Etwas eingewickelt war. Als er einen Blick auf das Innere werfen konnte, hielt er verwundert inne. Er hatte keinen Schimmer, was er dort in den Händen hielt. Anton erkannte nur braun-rote Klumpen, was er für Schlamm hielt. Außerdem faserige Strukturen, dessen Material er nicht bestimmen konnte. „Diese Umweltverschmutzer“, murmelte Anton, während er den Haufen in einen nahen Mülleimer warf. Er hielt Majas Fund für Müll, den jemand beim Campen oder Spazieren achtlos weggeworfen hatte. Das würde auch den verwesten Gestank erklären, der Anton in die Nase gestiegen war.
Maja schlich um ihr Herrchen herum, teils beschämt, weil sie wusste, dass sie etwas falsch gemacht hatte, aber auch enttäuscht, weil Anton ihr Geschenk nicht behalten hatte.
Den gesamten Weg nach Hause lief sie nah bei ihm und wich ihm nicht mehr von der Seite. Erschöpft kamen beide schließlich im warmen Heim an und während sich Maja auf ihrer Decke zusammen rollte, ließ Anton sich aufs Sofa fallen. Er schaltete den Fernseher ein, doch schlief ein, bevor er nach einem spannenden Sender suchen konnte.
Mit einem steifen Nacken erwachte Anton aus seinem unruhigen Schlaf. Maja lag noch immer auf ihrer Decke, schaute aber zu ihm auf, als er sich regte und streckte.
Anton griff nach der Fernbedienung, die in die Sofaritze gerutscht war, und wollte gerade den Fernseher ausschalten, als er erkannte, was dort gerade lief. Auf einem Nachrichtensender sah er einen Reporter in einem Waldstück stehen, das von hellen Scheinwerfern erleuchtet war. Im Hintergrund war reges Treiben auszumachen, das in erster Linie von Polizisten und Spürhunden dominiert wurde.
„..behauptet nach wie vor, nicht am Mord beteiligt gewesen zu sein. Er habe die Leiche allerdings gefunden. Nach Absprache mit seinem Anwalt hat er schließlich eben jenen Ort bekannt gegeben, der sich in einem Waldstück hier am Rande eines Dorfes in der Pfalz befindet. Zurzeit wird hier alles abgesucht und gesichert. Ich halte Sie weiterhin auf dem Laufenden“.
Anton fiel mit einem lauten Scheppern die Fernbedienung aus der Hand, als er im Hintergrund sah, wie sich mehrere Beamte über genau den Mülleimer beugten, in dem er vor wenigen Stunden erst den, wie ihm jetzt bewusst wurde, blutdurchtränkten Klumpen menschlicher Überreste entsorgt hatte.
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2017
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