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Kaum hatte der Junge das Abteil betreten, da spürte er, dass etwas nicht stimmte. Der einzige Reisende im Abteil war ein schmächtiger, dunkelhäutiger Mann, der in der Ecke saß. Er hatte jene gemessene und selbstsichere Art, die Angehörige seiner Rasse - er sah aus wie ein Inder - in England zur Schau zu tragen pflegen. Ein leicht widerlicher Geruch lag in der Luft. Noch nach Jahren wurde die Erinnerung an diesen schrecklichen Nachmittag in dem Jungen lebendig, wenn er Moschusduft roch.
Er begab sich auf die andere Seite des Abteils und setzte sich auf den gegenüberliegenden Eckplatz. Diese Vorortzüge hatten keine durchgehenden Korridore. Der Mann betrachtete ihn mit einem freundlichen Lächeln. Der Junge erwiderte kurz das Lächeln, aber er wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Er verspürte nur ein heftiges, unbestimmtes Unbehagen. Aber es wäre doch lächerlich gewesen, jetzt noch aus dem Abteil zu springen. Der Zug ruckte an und setzte sich in Bewegung.
Das Lächeln des Mannes verblasste nicht. „Na hoffentlich hält der Zug bald!“, dachte der Junge. Er klammerte sich an seinen Rucksack. Darin war ein wenig Geld, eine Flasche Wasser und Brot, sowie eine kleine Decke. Er hatte zu seiner Mutter gesagt, er ginge zelten. Doch er wollte mit seinem Kumpel alleine im Wald übernachten - ohne Zelt. Das Geld hatte er nur für den Zug mitgenommen. Diesen würde er nie verlassen. Der Mann stieg nicht aus. Der Junge auch nicht. Er musste bis zur Endstation durchfahren. Endlich, nach langer Zeit, erreichten sie besagte Station. Der Mann lächelte immer noch. Als der Junge aufstehen wollte, hielt der Mann ihn zurück. „Aber hier ist Endstation!“, rief der Junge. „Nicht für dich, Fabian“, erwiderte der Mann mit einer rauchigen, katzigen Stimme. Woher kannte er seinen Namen? Plötzlich erschienen verschwommene Bilder von Menschen in dem Zug. Eine Frau erschien direkt neben Fabian. „Ist hier noch ein Platz frei?“, fragte sie mit derselben rauchigen Stimme wie der Mann. „Natürlich!“ Der Mann wies auf den Platz neben ihm. Die Frau setzte sich auf den Platz zwischen Mann und Fenster. Als Fabian aus diesem Fenster hinaussah, stieß er einen erschrockenen Schrei aus. Der Zug fiel gradewegs hinab, durch den Erdboden hindurch. Je tiefer sie fielen, desto mehr Personen erschienen. Fabian lief zur Spitze des Zuges, zu dem Schaffner. Dieser saß dort, mit dem Rücken zu Fabian. „Entschuldigung, aber könnten sie vielleicht anhalten? Ich möchte aussteigen!“ Plötzlich drehte sich der Kopf des Schaffners herum, nach 180° blickte er Fabian direkt in die Augen. Dann bleckte er die kleinen spitzen Zähne und sagte rauchiger als alle anderen: „Dieser Zug hält nicht.“ Und drehte den Kopf in die ursprüngliche Position zurück. Schreiend lief Fabian zurück, der Zug war mittlerweile voller Menschen, doch er rempelte niemanden an. Plötzlich trat jemand Fabian in den Weg. Fabian versuchte schlitternd zuhalten, doch er schaffte es nicht rechtzeitig. Er schlitterte geradewegs auf den Mann zu und dann - durch ihn hindurch! Alle leeren Blicke dieser geistesähnlichen Gestalten waren nun auf ihn gerichtet. Der Zug fiel immer noch. Tiefer, immer tiefer. Von überall her blitzten diese kleinen spitzen Zähne. Und dann - RUMS! Der Zug fuhr wieder auf den Schienen. Fiel nicht mehr. Fabian stieg an der nächsten Station aus. Was war geschehen? Wo war er? Er hörte Stimmen. Überall. Rauchige, kratzige Stimmen. Kein Entkommen. Und dann legte sich ein Hand auf seine Schulter. Fabian wirbelte herum. Diese Hand auf seiner Schulter gehörte dem Mann aus dem Zug. Fabian hatte ihn nicht aussteigen sehen. „Es ist Zeit, Fabian!“, sagte er. Der Bahnstieg verschwamm. Die Züge, die Schalter, einfach alles wurde unscharf. Nur der Mann war deutlicher als je zuvor. Die Hand ruhte immer noch auf seiner Schulter. Dann wurde die Umgebung wieder deutlich. Aber sie waren woanders. Nicht mehr auf dem Bahnsteig, sondern in einer dunklen, , kalten, feuchten Höhle. Es tropfte überall von den Wänden. Im Kreis um Fabian und den Mann standen diese Geister. Bläulich schimmernd blickten sie unheilvoll in ihre Mitte. „Egal wo du bist, wir finden dich!“, sagte eine dieser rauchigen Stimmen. Fabian hasste sie. Die Worte hallten in der Höhle umher, und so konnte Fabian nicht feststellen, wer gesprochen hatte. Und dann erinnerte er sich. Die Stimme gehörte dem Schaffner. „Wir brauchen deine Hilfe!“, sagten die anderen Geister. Plötzlich verschwanden einige Geister und die anderen Geister rückten zusammen, sodass sich die Lücken füllten. So wurde der Kreis immer kleiner, bis Fabian schließlich in mitten von 8 Geistern stand. Sie waren zwar weniger, aber näher. Fabian fiel ein, dass er ja durch sie hindurch laufen konnte. Also lief er los, prallte jedoch gegen einen der Geister. Ein grässliches Lachen erfüllte die Höhle, die Geister grinsten; ihre Münder spalteten ihr Gesicht wie ein klaffender Schnitt und Fabian wurde verrückt. Er fiel zu Boden, wusste nicht mehr, wo oben, unten, links oder rechts war. Und dann merkte er, dass er fiel. Tiefer, tiefer, tiefer. Unten prallte er auf. Erschrocken über den plötzlichen Aufprall öffnete er die Augen. Sein Rücken schmerzte. Aber er lag in keiner Höhle. Es war halb 6 morgens. Er lag in seinem Zimmer. Er war nur aus dem Hochbett gefallen. Schlaftrunken ging er ins Bad, um seine Zähne zu putzen. Er nahm die Zahnpastatube und schmierte etwas von dessen Inhalt auf seine Zahnbürste. Als er jedoch den Mund öffnete, blitzten dort spitze gelbe Zähne.

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Tag der Veröffentlichung: 06.05.2009

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