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Verliebt?

Ich sah sie zum ersten Mal an der Supermarktkasse.
Ihre Augen.
Ihr Lächeln.
Ihr Gang.
Ich hatte noch nie so etwas vollkommen Perfektes und Reines gesehen. Es war nicht nur ihr blendendes Aussehen, nein. Auch ihr inneres „Leuchten“, ein helles Strahlen, ihre Art, wie sie die Gurken von Fließband nahm ohne den Krautsalat in der anderen Hand zu verlieren und trotzdem so umwerfend schön war, dass ich vergaß zu atmen. Unglaublich. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen, wie in diesen schrecklich kitschigen Schmachtfilmen. Nur eben viel intensiver.
Sie ging so unglaublich tief, dass ich vom ersten Augenblick an wusste: Das ist Sie.
Sie.
Die Frau, die mich den Rest meines Lebens begleiten wird. Die Frau, mit der es endlich klappen wird. Ich ließ die unbezahlten Katzenfutterdosen fallen und lief ihr hinterher. Wie ich fieberhaft nach Worten suchte, die ihrer gerecht werden würden. Wie ich nervös versagte. Wie ich mich schämte, Ihr hinterher zu schleichen.
Ein Verrückter.
Und Sie.
Ich lief ihr bis zur Haltestelle nach, saß nur einen Platz hinter ihr im Bus. Ich konnte ihr Shampoo riechen. Lavendel, glaube ich. Für einen Augenblick war ich so glücklich, dass ich die Welt um mich herum vergaß. Der Bus hielt, und schließlich stand ich vor dem Gebäude, in welchem dieses gottgleiche Wesen wohnte. Die Klingelschilder studierend, versuchte ich zu erraten, welches wohl ihr gehören würde. Kein Name schien zu passen. Also gab ich auf und fuhr benommen nach Hause. Sie ging mir den ganzen Abend lang nicht aus dem Kopf. Seit sie in mein Leben getreten war, fühlte ich mich zum ersten Mal lebendig, als ob ich sehr sehr lange geschlafen hätte und nun erwacht wäre.
Meine Katze Mimi strich mir miauend um die Beine und bettelte um Futter. Ich scheuchte sie weg. Schließlich hatte ich besseres zu tun! Zum Beispiel mir zu überlegen, wie ich den Namen der schönen Unbekannten herausfinden könnte. Nach einer schlaflosen Nacht beschloss ich um vier Uhr morgens zu ihr zu fahren und so lange im Treppenhaus zu warten, bis sie herauskommen würde.
Ich hatte schon viele kaputte Beziehungen hinter mir. Es lag immer an den Mädchen, mit denen ich mich traf. Etwas störte immer, passte nicht richtig zusammen. Aber bei ihr würde das anders sein, das fühlte ich genau.
Als ich schließlich in ihrem Haus war, kam mein Plan nicht mehr so genial vor. Da ich nicht wollte, dass sie mich sah, setzte ich mich auf den Treppenabsatz mit einer Tageszeitung. Nach dem ich wieder und wieder denselben Satz gelesen hatte, ohne auch nur eine Wort davon zu verstehen, öffnete sich im zweiten Stock rechts eine Tür. Die hohe Altbaudecke hallte von allen Seiten, als ein junger Mann um die Dreißig die Treppe hinunter stieg.
Ich gab vor weiterhin die Zeitung zu lesen. Mein Entsetzen jedoch, als meine Angebetete kurze Zeit später aus derselben Wohnung kam!
Dieser Schweinehund!
In Gedanken hatte ich schon die Einrichtung unsres Hauses geplant, und dann kommt dieser Lurch daher! Gefühle von Hass und Wut, stark wie noch nie, loderten in mir auf.
Dieser….!
Einen Ring hatte ich noch an keinem Finger gesehen, also war der Kampf noch nicht verloren. Blind vor Wut rannte ich in den nächstbesten Blumenladen und kaufte einen Strauß von 12 roten Rosen, die ich mit einer Karte „ Von deinem wahren Verehrer“ signierte und vor ihre Tür legte.
Dieses Schema wiederholte sich die nachfolgenden Wochen. Nie zeigte ich mich ihr direkt, aber sie fand jeden Tag kleine Aufmerksamkeiten von mir vor ihrer Tür vor. Wie ein romantischer Romeo kam ich mir vor! Nach einiger Zeit bemerkte ich jedoch, dass meine Geschenke (oft ungeöffnet) in ihrer Mülltonne landeten. Das frische und leichte Gefühl verflog augenblicklich und wurde ersetzt von rotem Hass überdeckt. Bestimmt war das das Werk ihres „ Freundes“.
Es wurde Zeit, aktiver in das Spiel einzugreifen. Ich wusste, dass sie jeden Sonntagmorgen an der Bäckerei an der Ecke ihre Brötchen kaufte. Ich sprach sie wie zufällig an der Theke an. Wie aufgeregt ich war! Zum Glück schien sie mich nicht wieder zu erkennen. Wir sprachen fast drei Minuten miteinander. Als sie gehen wollte, fiel ihr Schlüsselbund auf die Erde. Ich wollte ihr schon Nachlaufen, aber da kam mir eine bessere Idee. So könnte ich ihr noch näher sein… Bereits zwei Tage später waren die Eratzschlüssel fertig, „die Schlüssel zu ihrem Herzen“, wie ich sie scherzhaft bei mir nannte. Den Bund ließ ich an ihrer Joggingstrecke liegen, wo sie ihn bestimmt finden würde.
Als ich an diesem Tag nach Hause kam, war ich von einer solch unbändigen Freude erfüllt, dass mir der Brief von meiner Arbeitsstelle mit der Kündigung kaum störte. Sollten sie doch! Dann werde ich noch mehr Zeit für Sie haben!
Mimi schien beleidigt zu sein. Wahrscheinlich war sie eifersüchtig auf die neue Frau in meinem Leben. Jedenfalls lag sie seit Tagen verschlafen in der Ecke. Egal. Ich hatte Wichtiges zu erledigen.
Am nächsten Vormittag, als sie bei der Arbeit war, betrat ich zum ersten Mal die Altbauwohnung. Geschmackvoll eingerichtet, wie ich es von ihr erwartet hatte, in Pastelltönen gehalten. Im Schlafzimmer blieb ich besonders lange.
Ich legte mich in unser zukünftig gemeinsames Bett. Schnupperte an ihren Cremes und Parfum Flakons. Berührte jedes ihrer Kleider. Bewunderte ihre Photos. Sie sah auf jedem so glücklich aus. Aber wer macht schon Photos von den Augenblicken, in denen er traurig war? Eines der Photos wollte ich mitnehmen. Es zeigte sie, in ihrer strahlenden Intensität, und ihren Freund vor irgendeinem Palmenstrauch. Es war wohl im Urlaub, sie sahen beide so gebräunt aus. Ich knickte sein Gesicht weg und steckte mir das Photo in die Brieftasche. Ein nur schwacher Abklatsch von ihr, aber fürs erste musste ich mich damit zufrieden geben.
Ich kam täglich in ihre Wohnung, natürlich nur wenn sie und er nicht da waren. Endlich musste ich nicht mehr den Blumenstrauß wie ein Verbrecher vor die Tür legen. Ich legte ihn jetzt immer auf ihr Bett. Auf ihre Seite natürlich.
Danach verfolgte ich meine Liebste auf Schritt und Tritt. Jemand musste ja auf sie aufpassen. Sie schien nicht einzusehen, dass ich nur das Beste für sie wollte.
Diese „50-Meter-Abstand-Halten“ Regelung konnte sie ja wohl nicht ernst gemeint haben. Ich bin nicht einmal zum Gerichtstermin erschienen. Ihr Freund hatte ihr bestimmt diesen Floh ins Ohr gesetzt. Dieser Typ machte nur Ärger.
Seit Tagen war ich jetzt hinter ihm her, ununterbrochen. Ich war kein einziges Mal zu Hause gewesen. Geschlafen hatte ich kaum, gegessen ebenfalls nicht. Das hier war wichtiger als das Alles. Ich wusste, dass mein Äußeres nicht unbedingt einladend war, aber ein Mann muss eben tun, was ein Mann tun muss.
Dunkle Wolken schienen sich über mir zusammenzubrauen, als ich all meinen Mut nahm und ich zu dem mir inzwischen so wohlbekannten Haus ging.
Die Waffe hatte ich vor ein paar Wochen von einem Freund billiger bekommen.
Ich fühlte mich jetzt seltsam ruhig, fast schon taub, als könnte mir nichts mehr anhaben.
So leicht. Schwerelos.
Zum ersten Mal seit Wochen war sie nicht mehr in meinen Kopf. Die wohlige Leere hatte sich wieder ausgebreitet. Ich entsicherte die Waffe bereits auf der Straße. Ich glaube, dass muss schließlich mein verhängnisvoller Fehler gewesen sein. Ich torkelte gegen die verschlossene Haustür. Sie hatten die Schlösser ausgewechselt! Ich hämmerte gegen sie und fuchtelte mit meiner Waffe durch die Gegend, rief immer wieder Ihren Namen. Warum wollte sie mich nicht? Warum ER? Ich?
Als die Polizei kam, lag ich bereits verzweifelt schluchzend am Boden, die Waffe harmlos in der Hecke.
Ich kam eine Nacht in U-Haft, wurde aber bis zur Gerichtsverhandlung freigelassen, weil ich keine „unmittelbare Gefahr“ darstelle.
Gefahr? Ich?
Ironie des Schicksals.
Man würde mich allerdings im Auge behalten, so wurde ich gewarnt. Nach fünf Tagen betrat ich also zum ersten Mal wieder meine Wohnung.
Etwas war anders, das spürte ich genau. Es war kein direktes Gefühl, eher ein unterbewusstes Unwohlsein. Dann sah ich sie. Sie lag nicht einfach ruhig und friedlich da, ihr magerer Körper war merkwürdig verrenkt und verdreht auf der Sofalehne.
Ein einziger Vorwurf an mich.
Das Fenster und die Wände um sie herum waren voller Kratzspuren. Sie war verdurstet.
Als ich meine kalte Mimi berührte, wurde mir zum allerersten Mal wirklich bewusst, was ich getan hatte, wohin mein Weg mich geführt hatte.
Bei der Gerichtsverhandlung erschienen weder sie noch er persönlich. Vertreten durch Anwälte. Feiglinge. Mimi.
Mein Anwalt sagte etwas, ihr Anwalt sagte etwas, der Richter sagte etwas. Ich verstand sie nicht. Ich dachte nur an den verdrehten Körper in meinem Wohnzimmer. Nur vom letzten Satz des Richters bekam ich etwas mit. Es fielen die Wörter Stalker. Psychiatrische Einweisung. Und:
„Glücklicherweise keine Opfer“ .

„Keine Opfer“.
Darüber muss ich immer noch nachdenken.

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Tag der Veröffentlichung: 08.04.2009

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