„Ich glaub ich bin gerade in Louis reingelaufen“, seufze ich. (Louis war einmal mein bester Freund, aber als meine Eltern ein kleines Vermögen erbten und ich an den „Reichen und Beliebten Tisch“ kam, fing er an mich zu hassen.)
„Süße mach dir doch keine Sorgen darüber. Wenn er meint dich so behandeln zu müssen, ist er es nicht wert, “ muntert mich Luna auf. Sie nimmt mich in Arm und geht mit mir Richtung Sekretariat, denn dort soll der neue Junge sein, dem wir die Schule zeigen müssen. Luna und ich sind Schulsprecher und Vertreter, deswegen wurden wir damit beauftragt, ihm die Schule so schmackhaft wie möglich zu machen.
Die Direktorin, eine junge aber strenge Frau, hat uns gesagt, dass er aus L.A. kommt. Daher war unsere erste bildliche Vorstellung von ihm, dass er braun gebrannt, groß, blond und blauäugig ist.
„Vielleicht ist er Fußballspieler oder er spielt Volleyball, dann würde unsere Schule endlich wieder gegen die Baseman Highschool gewinnen“ träumt Luna vor sich hin.
Als wir um die Ecke biegen sieht Luna den Jungen zuerst und bleibt wie erstarrt stehen. Zuerst fallen mir seine schwarzen Haare mit den kobaltblauen Strähnchen auf. Wir erholen uns von unserem Schock und gehen langsam auf ihn zu. Je näher wir ihm kommen, desto mehr Details fallen mir auf.
Seine Haut könnte man als edel bezeichnen, denn sie ist so blass, wie sie früher nur die reichen Leute besaßen. Durch seine Blässe bemerkt man sein schwarzes Lippenpiercing deutlich besser.
„Hey mein Name ist Samuel, aber jeder nennt mich Sam“, meint er grinsend. Während Luna sich vorstellt nickt er ihr kurz zu, schaut aber ab und zu mich an. Jedoch als ich mich vorstelle, tut er so als würde es ihn nicht interessieren. Ich bekomme ein ungutes Gefühl, als würde ich ihn kennen. Verunsichert durch sein Verhalten, winke ich ihm als Aufforderung uns zu folgen.
„Komm, wir bringen dich zu deiner Klasse.“ Neugierig fragt er Luna: „Bin ich mit einer von euch im Jahrgang, Süße?“ Anstatt ihm zu antworten, nicke ich bloß und es scheint mir so als wäre es ihm nicht Recht.
Schnell, damit kein unbehagliches Schweigen herrscht, erklärt Luna Sam die wichtigsten Dinge. „Ich weiß ja nicht wie das bei dir zu Hause war, aber unsere Mittagspause variiert je nach Unterrichtsplan. Das was ich jetzt sage wird dir sehr oberflächlich vorkommen, aber es ist uns sehr wichtig. :
Die Rangordnung!
Zuerst sind wir, die Beliebten und Sportler, dann die Reichen und zuletzt, das ist der ganze Rest, die Nerds und Unbeliebten, falls du etwas brauchst, sie machen alles für dich.“
Ich verabschiede mich von Luna mit einer Umarmung, da sie in unsere Parallelklasse geht und öffne die Tür zu unserer Klasse.
Während des Betretens, schreit mir mein Macho-Freund Marc zu: „Hey Blondie, schwing deinen hübschen Arsch hierher und setzt dich auf meinen Schoß!“. Meine Reaktion ist, meinen Mittelfinger in die Höhe zu zeigen, denn ich bin es schon gewohnt, diese Art von Sprüchen zu hören.
Plötzlich höre ich Sam sich räuspern und sagen: „Etwas Besseres hast du nicht auf Lager Bro?“
Geschockt aber gleichzeitig auch froh darüber, dass mich jemand beschützt, drehe ich mich zu Samuel um. Ich will mich gerade bei ihm bedanken, als Lenger, unser Englisch Professor, in die Klasse kommt, deshalb gehe ich schnell auf meinen Platz.
Lenger sieht Sam und begrüßt ihn mit den Worten: „Ahja genau, du musst Samuel Mager sein.
Willkommen in dieser wunderbaren Klasse!“ Dabei schaut er unsere Jungs warnend an, denn unsere Klasse ist in der Schule bekannt dafür, dass viele unserer Mitschüler die Klasse bzw. die Schule, wegen uns, wechseln.
Leider, deutet er auf den leeren Platz neben mir und will damit klar machen, dass Sam sich dorthin setzen soll. Sam grinst mich leicht an, setzt sich und packt einen Block mit einem Kugelschreiber aus.
Mit meiner rechten Hand streiche ich mir mein blondes Haar aus dem Gesicht. Während ich darüber nachdenke mir mein Haar wieder schneiden zu lassen, lege ich meine Hand mit der inneren Seite nach oben schauend auf den Tisch.
Kalte Finger berühren mein Handgelenk, deswegen schaue ich auf und bemerke Sam´s fragendes Gesicht.
Ich vergesse oft, dass man meine alte Narbe, so gut sehen kann.
Schnell denke ich mir eine Ausrede aus, nehme seinen Block und kritzle hin.
Unfall + beißende Hunde = große Narbe
Bevor ich ihm seinen Block wiedergeben konnte, schnappt sich Lenger den Block und liest mein geschriebenes. „Soso, hast du jetzt Angst vor Hunden?“
Rot anlaufend, nicke ich und wünsche mir im Erdboden versinken zu können.
Da er mich genug blamiert hat, gibt Lenger Sam den Block zurück und lässt das Thema in Frieden. Noch immer rot in Gesicht schaue ich auf die Tischplatte und bemerke deswegen Sam´s Blick nicht.
Als die Pausenglocke läutete, packe ich langsam meine Sachen ein, damit ich als eine der letzen die Klasse verlassen konnte, da ich meine Ruhe haben wollte.
Ich hab auf dem Schulgelände einen Platz gefunden, der sehr selten benutzt wird, daher ist es mein Rückzugsort, den ich über alles liebe.
Dieser Ort ist im obersten Stockwerk, früher war dort die Schulbibliothek, aber seitdem die Schule renoviert wurde ist sie unten im ersten Stock, jedoch haben sie den Raum so gelassen wie er war.
Hohe Wände, die mit einem sanften braun Ton gestrichen sind. Der Verputz bröckelt zwar an ein paar Stellen, trotzdem hat es eine Atmosphäre, die mich an zu Hause erinnert, mit seinen Fensterbänken, wo man sich gemütlich hin kuscheln kann um lesen zu können. Doch dieses Mal will sich das Gefühl von Ruhe nicht einstellen, ich hab die alten Holzbalken schon oft knarren gehört, aber heute, ist es so als würde mich etwas gleich überfallen.
Deswegen packe ich mein Buch „Der Verrat der Wandler“ in meine Umhängetasche und gehe durch den großen Raum, um zur Tür zu kommen.
Als ich die Tür von außen zumachen will, höre ich auf einmal ein räuspern.
Überrascht drehe ich mich um und sehe Sam in einer Ecke stehen. Verärgert darüber das er mich verfolgt, gehe ich ihn an: „Warum gehst du mir nach? Gibt es nicht andere Weiber denen du nachspionieren kannst?“ Schnippisch kontert er: „Wenn du wirklich glaubst ich spioniere dir nach, musst du dich für echt großhaltig halten. Nein ich folge dir nicht, ich habe mich verlaufen, weil ich auf der Suche nach dir war. Es war bloß ein Zufall, dass ich hier gelandet bin.“ Da ich mit seiner Antwort nicht gerechnet habe schaue ich ihn perplex an und entschuldige mich. „Warum hast du mich gesucht?“
Auf einmal fängt er an herum zu stammeln. „Naja vorhin in der Stunde meintest du, dass du die Narbe von einem Hundebiss hast, aber ich habe deinen Blick gesehen und in dem konnte man ablesen, dass das bloß eine Lüge war. Deswegen wollte ich dir einfach anbieten, das du gerne mit mir über alles reden kannst, auch wenn es nur so Lappalien sind wie dein großer Schwarm oder wer dir heute auf die Nerven geht“. Mit großen Augen schaue ich ihn an und denke mir, woher diese Verwandlung auf einmal herkommt, da er vorher leicht abweisend war. Genau diesen Gedanken teile ich ihm auch mit. Er war sich nicht sicher, wie ich bin und war deswegen so unfreundlich, ist seine Antwort darauf.
Schulterzuckend schlendere ich mit ihm zurück zu den Klassen.
„Wenn ich fragen darf, die Direktorin meinte du kommst aus L.A, aber du siehst nicht sehr braun aus, daher keimt in mir die Frage auf, von woher kommst du?“ frage ich ihn neugierig. Nach einer langen Nachdenkzeit, erwidert er lachend: „Nun ja ursprünglich komme ich aus Österreich, aber ich habe voriges Jahr in San Diego gelebt.“
Auf einmal, ohne jede Vorwarnung, drängt Sam mich gegen die Wand und nähert sich meinem Gesicht. Mein Gefühl sagt mir, dass er mich küssen will, aber mein Verstand ist überfordert mit Unwissenheit. Kurz bevor er meine Lippen berührt, springt der Wassersprinkler an und durchnässt uns, innerhalb von ein paar Sekunden. Fluchend tritt Sam zwei Schritte nach hinten. Bevor ich zu realisieren beginne, was gerade beinahe passiert wäre, rennt Sam davon. Perplex schaue ich ihm hinterher und ärgere mich über meine Naivität.
Später am Nachmittag treffe ich mich mit Luna. Durch den Wasserauslöser wurden wir frühzeitig entlassen. Wie immer plappert Luna ohne Punkt und Komma, als es mir zu viel wird, lasse ich die Bombe platzen: „Sam wollte mich küssen!“ Zuerst versteht sie meine Aussage nicht, als sie jedoch zu realisiert, welchen Satz ich gerade von mir gegeben habe, forscht sie mich aus: „Was, wann, wie, wo und warum ausgerechnet du und nicht ein anderes X-beliebiges Mädchen aus unserer Schule?“ Ich erzähle ihr, fast, die ganze Geschichte und ende mit: „Keine Ahnung was er von mir will.“
Mit großen Augen schaut sie mich an und will sofort alles analysieren.
Nach geschlagenen zwei Stunden, kann ich endlich nach Hause gehen. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber, es ihr erzählt zu haben.
Völlig erschöpft falle ich in mein Bett und schlafe gleich ein.
Am nächsten Morgen fällt mir das Aufstehen sehr schwer, obwohl ich sonst immer eine Frühaufsteherin bin, aber bei dem Gedanken heute Sam wieder zu sehen, überkommen mich gemischte Gefühle. Ich bin immer noch verwirrt, weshalb Sam mich küssen wollte. Da mein Wecker keine Ruhe gibt, stehe ich auf und mache mich für die Schule fertig.
Nach dem Duschen mustere ich meinen Körper kritisch: mein Aussehen gefällt mir im großen und ganzen, aber manchmal wünsche ich mir größer zu sein, denn nach meinem Geschmack sind 165 cm doch etwas zu klein für ein 19-jähriges Mädchen, wie ich es bin. Viele meiner Freunde meinen oft: „Für so eine kleine Person hast du doch ein viel zu großes Ego, oder es steckt zu viel böses in dir. “
So gut wie immer, lache ich über diese Witze, hin und wieder denke ich mir bloß:“Wenn die nur wüssten, welche Schicksalsschläge ich schon hinter mir habe, würden sie wissen, dass das nur Selbstschutz ist.“
Jedes Mal wenn ich darüber nachdenke, überfällt mich eine Gänsehaut, denn ich bin immer noch im Verarbeitungsmodus und es geht alles nur sehr langsam.
Um mich zu beruhigen, schaue ich in den Spiegel und konzentriere mich auf meine grau-blauen Augen.
Diese Methode ist meistens nützlich, doch manchmal macht es das nur noch schlimmer.
Dieses Mal hilft es.
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2016
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