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Er schaut übers Wasser, beobachtet die kleinen Wellen. Die Hände in den Taschen spielen mit Wollmäusen. „Wollen sie die Leute nicht befragen?“ Palat nickt, langsam, wendet sich ab vom Teich, schwer fällig. „Natürlich.“ „Sie warten bei Loch 8, da drüben. Es sind Freunde von mir, na ja, zumindest Stammgäste. Bitte seien sie nett und verdächtigen niemanden.“ Der Besitzer der Minigolfanlage, relativ jung und definitiv verärgert, schaut den Ermittler mit unverblümten Missmut an. „Nichts gegen sie, Sir. Aber ein verschwundenes Kind ist nicht gut fürs Geschäft.“ Palat nickt. „Nein, wirklich nicht.“ Der Ermittler schlendert zur Windmühle. Es weht kein Wind und die Blätter stehen still. Ein Pärchen, taufrisch verliebt und ein junger Mann, dessen Augen frohlocken. Palat kriegt seine kaum auf. Heute ist der 18. Juni, es fühlt sich an wie Herbst. „Sie waren gestern Abend hier?“ „Ja, bis kurz vor Schluss.“ Der Mann umarmt seine Freundin und Palat wundert sich, ob er selber wohl jemals wieder eine Frau umarmen wird. Das Gefühl ist ihm abhanden gekommen. „Und sie haben einen Jungen gesehen?“ „Nein, aber wir wünschen uns ein Kind.“ Seine Freundin lächelt, als könne es Palat Kinder regnen lassen. „Ich habe ihn gesehen.“ Der andere Zeuge hebt die Hand und schnippt mit den Fingern. Es sieht affig aus. „Ich habe einen Jungen gesehen, so um die, ja wie alt würde ich ihn schätzen...“ „8?“, fragt Palat. „Genau, ja 8 Jahre alt und mit braunen Haaren...“ „Nicht blond?“ „Wo sie es gerade sagen, ja blonde Haare hatte er, süßer Junge, ist ihm was passiert? Vielleicht war es Joule? Ist es ein Mordfall?“ „Kein Joule und kein Mordfall.“ „Nein?“ Der Minigolfchef hat sich unbemerkt herangeschlichen. Hoffnung klingt in seiner Stimme nach. Palat erklärt. „Nun, dem Paar wäre ein Kind aufgefallen, wo sie sich doch so sehr eins wünschen. Dieser junge Mann hier möchte bloß Aufmerksamkeit.“ „Nein, ich...“ „Doch. Ich fasse mich kurz. Jahrzehnte habe ich mit Verbrechen verbracht. Beinahe mein ganzes Leben. Deshalb fass ich mich nun kurz. Hier war kein Kind.“ Am Teich. Ein Kopf taucht auf, mit Taucherbrille. Das feuchte Neopren schillert im Morgenlicht. In der Hand ein Netz. An der Windmühle drehen sich die Blätter wieder, knirschend. Der junge Chef lächelt. „Ich kann nicht verstehen, wie die Mutter so etwas behaupten kann, ihr Kind hier auf meinem Platz verloren zu haben. Ich habe ja noch nicht mal sie selbst gesehen, geschweige denn ein Kind. Danke, Sir, dass sie das bestätigen können.“ „Ja, ja.“ Während Palat in seinen Manteltaschen nach dem Autoschlüssel kramt, schweigt sich die Gruppe an. Ehe sich der karge Abschied vollziehen kann, räuspert sich der Taucher hinter ihnen. Sie alle wenden sich dem Froschmann zu. Palat kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Im Netz, zwischen all den raus gefischten Golfbällen hängt ein Kinderschuh.
„Ein Schuh?“ „Von einem Kind.“ „Überrascht?“ Palat liebt diesen Park. Er hat sich seit 20 Jahren nicht verändert. Die Enten, denen er Brotreste zu wirft, quaken immer gleich. Beruhigend. „Allerdings.“ „Du hast also gedacht, ich binde dir einen Bären auf.“ „Nicht doch, Leon. Nur weil ich ein alter Mann bin, kurz vorm Ruhestand und leicht zu veräppeln.“ Lachen am anderen Ende. „Der Letzte, der sich als dein Enkel ausgeben wollte, sitzt dank dir im Knast.“ „Es war leicht ihn zu enttarnen. Ich habe keine Enkel, keine Kinder. Ich bin der Letzte meiner Art.“ „Willst du am Fall dran bleiben, alter Dinosaurier?“ „Noch lebe ich, also ja.“ Ein Jogger hat sich hierher verirrt, sieht die vielen Enten und den alten Mann. Und muss schmunzeln. Ein seniler alter Kauz, der mit Enten redet. Das Headset am rechten Ohr übersieht er „Gut. Ich schick dir die weiteren Daten per mail. Oder willst du sie altmodisch bei mir abholen?“ „Netter Versuch.“ „Du kommst mich nie im Revier besuchen, Pal.“ „Du weißt genau, weshalb ich nicht gerne dort bin.“ „Sie haben nicht über dich gelacht.“ Palat hat keine Brotreste mehr, die Enten bleiben trotzdem. Lauschen. „Ich statte den Eltern einen Besuch ab.“ „Mach das Pal, aber eines noch.“ „Ja?“ „Hast du von Joule gehört?“ Palat denkt an den Affen, der schnippt. „Der Künstlername eines Irren, der jedes Jahr ein Kind tötet und es Erlösung nennt.“ „Seit 10 Jahren hat ihn niemand geschnappt.“ „Ganz ehrlich, Leon. Glaubst du wirklich, ...“ „Man weiß nie. Ich mach dieses Jahr hier Urlaub.“ „Was ist mit Paris, mit Rom?“ „London tut es auch. Auch wenn ich in diesem Dunst eingehe, wie eine Rose ohne Liebe.“ „Wünsch mir Glück, du Poet.“ „Übernimm dich nicht, Rentner.“ „Danke.“ Palat stemmt sich hoch, mit schmerzvollem Gesicht. Die Enten quaken ihn an.
„Der Junge verschwindet zwei Mal, taucht wieder auf, verschwindet ein drittes Mal und taucht diesmal nicht mehr auf.“ Palat liest seine mail zu Ende und kombiniert vor sich hin. Nichts. Er nimmt sich eine Tablette und würgt es mit süßem Apfelsaft runter. Dann klappt er sein Laptop zu und steigt aus. Die Gegend in der die Eltern wohnen ist vom Aussterben bedroht. Greenpeace juckt es nicht. Palat gibt den alten Bauten, den verbrauchten Gesichtern, die ihn teils müde, teils böse anglotzen, höchstens noch 3 Jahre. Hier werden Mülltonnen durchsucht, weil eine winzig kleine Hoffnung keimt. Vielleicht findet man was. Eine alte Dame steht unter einem Baum und weint, weil ihr Piepmatz nicht runter kommt. Palat kann in der Baumkrone keinen Vogel erkennen. Das Haus der Eltern erstreckt sich auf eine Nische zwischen zwei Buden. Ein gequetschtes Leben. Palat hat Bedenken anzuklopfen, doch die Tür hält stand. Schlurfende Schritte, dann eine Frage auf die Palat mit Polizei antwortet. Die Tür öffnet sich einen Spalt und Zwielicht sickert raus. Im Hintergrund, der Schatten einer Frau. Der Dienstausweis, den er ihr hin hält, scheint bekannt. Palat darf eintreten. Einen Flur gibt es nicht, ebenso wenig wie eine Begrüßung. „Liss, nehme ich an?“ „Aha.“ „Sie wissen, weswegen ich hier bin?“ Sie nickt. Sie hat kurzes Haar, platt auf dem Kopf liegend und ein nichtssagendes Gesicht. „Wegen ihm.“ Sie lächelt. „Hat sich ihr Sohn oder jemand anderes bei ihnen gemeldet?“ „Nö.“ „Heute morgen haben wir einen Schuh gefunden.“ „Soll ich jetzt jubeln?“ „Sorgen machen sie sich keine?“ Sie mustert ihn komisch, lächelt weiterhin und nickt. „Fynn, kann auf sich selbst aufpassen, auch nur mit einem Schuh. Ich muss jetzt arbeiten.“ „Bitte?“ Sie latscht in ein Allzweckzimmer, hier kann man essen, glotzen, schlafen. Die Fenster sind zu und Sauerstoff ist knapp. Alles wirkt zu gestopft, leblos wie erschossene Tiere. Sie setzt sich an einen Tisch und gabelt sich einen Hörer. „Mein Opa ist grad gekommen. Stört doch nicht, oder? Okay, machen wir weiter.“ Sie schließt die Augen und fängt an zu stöhnen. Säuselt perverse Wörter und heuchelt Liebe vor. Erotikhotline. Telefonseelsorge. Palat ignoriert es, so gut er kann. „Wie kommt es, dass ihr Sohn zwei Mal weg läuft?“ „Gucken sie doch, hier ist kein Platz für ihn. Nein, nicht du, mein Schatz. Ich red mit meinem Opa. Ja, ich sag es ihm. Er sagt, sie sollen verschwinden.“ Sie lächelt Palat an. Der Ermittler weiß, dass hier nichts weiter raus zu holen ist, außer Hohn. „Eines noch, Madam, wo kann ich ihren Mann finden?“ „Meinen Mann?“ Das Lächeln mutiert zum Lachen. „Den finden sie im Altenheim, da wo er hingehört.“ „Ist das ein Scherz?“ Sie hält kurz den Hörer zu. „Ich kenne nur einen Witz. Mein Leben.“ Dann lacht sie wieder. Sie nimmt ein Zigarettenblättchen, schreibt etwas drauf und reicht es ihm. „Hier bitte, die Adresse. Jetzt gehen sie und finden sie meinen Sohn.“ Sie lacht in den Hörer. „Nein, ich bin Jungfrau, ehrlich, ich hab kein Kind.“ Palat türmt. Draußen atmet er tief durch und versucht verzweifelt nach zu denken.
„Etwas stimmt nicht, Leon.“ „Was meinst du?“ „Ich denke, sie wollten ihn loswerden.“ Palat stellt die These in den Raum, nackt und angreifbar. Als kein Kommentar erfolgt, spinnt er seine Idee weiter. „Eine Mutter, wie sie desinteressierter nicht sein könnte. Weder vermisst sie ihren Sohn, noch liebt sie ihren Mann. Der Altersunterschied mag eine kleine Rolle spielen. Armut jedoch um so mehr.“ „Die bisherigen 9 Opfer stammen auch aus sozial schwachen Familien.“ Palat sitzt noch in seinem Wagen, den er vor dem Altenheim geparkt hat. Den Seniorenbunker hat er gut im Blick. Der bewölkte Himmel und die schwüle Hitze drücken die Stimmung auf Null. „Leon, ich bitte dich, Joule?“ „Du hast Recht. Wir haben noch nichts in der Hand. Außer einem Kinderschuh. Und außerdem verschwinden dauernd welche Kinder.“ „Stimmt.“ „Prima, dann ist der Fall wohl gelöst. Wir müssen nur noch die Leiche des Jungen finden.“ „Sei bitte nicht so sarkastisch. Ich schließe eine Entführung ja nicht aus. Nur glaube ich nicht daran.“ „Wieso sollten die Eltern vorher ihr Kind als vermisst melden? Zwei Mal?“ „Das werde ich den Vater fragen.“ „Du gehst also ins Altenheim?“ Palat guckt sich im Rückspiegel an. Guckt weg, hin zum Altenheim. Die ersten Sommerregentropfen fallen vom Himmel, fließen an der Windschutzscheibe entlang, tropfen auf den kargen Boden und versickern darin. „Ja, damit ich weiß, was bald auf mich zukommt.“ „Sei jetzt du nicht sarkastisch.“ Palat ist müde. Die Tür seines Ford quietscht, als er aussteigt. Der prasselnde Regen zwingt ihn, gebückt auf den Eingang zu zu gehen. Drinnen angekommen, fällt Palat zunächst die spärliche Möblierung auf. Dann die klinisch weißen Wände und zuletzt der Durchzug. Bei der Hitze stellt es für die Angestellte eine Wohltat dar, für die Bewohner hingegen ein Lebensrisiko. Egal. Palat kann nirgends eine Information oder Anmeldung entdecken. So wendet er sich an den erstbesten Pfleger, der ihm in den leeren Gängen begegnet. Er schiebt einen Rollwagen vor sich her, in dem gelbliche Bettwäsche aufgestapelt liegt.„Suchen sie wen?“ Der Mann hat eine sehr tiefe Stimme und ebenso tief hängende Lippen, die beim Sprechen hoch und runter zucken. „Ich bin Polizeiermittler und suche einen Mister Abram.“ Die Lippen machen einen gewaltigen Sprung nach oben. „Ha! Was wollen sie von dem? Hat er was ausgefressen?“ „Wo finde ich ihn?“ „Kommen sie, was im Altenheim geschieht, bleibt auch im Altenheim.“ „Sagen sie mir einfach wo er ist.“ „Wie sie wollen, Zimmer Nr.102. Geradeaus und die erste links. Schauen sie sich ruhig drinnen um, vielleicht gefällt es ihnen ja.“ Palat braucht keine 2 Minuten, dann steht er bereits vor der verblichenen Tür. Ohne anzuklopfen tretet er ein. Es ist ein kleiner Raum mit einem Bett, einem Nachttisch, einem Eisenschrank und mit Vorhängen ausgestattet. Persönliche Sachen aufzustellen ist erlaubt, doch davon fehlt jede Spur. Ein sehr alter Mann sitzt auf einem Stuhl, dicht am Fenster. Schaut hinaus in die Welt, obwohl die Vorhänge zugezogen sind. „Mister Abram?“ „Jeden Tag Nebel. Ich sehe nichts.“ Palat schließt hinter sich die Tür. „Ich habe einige Fragen an sie Abram.“ „Was, wer?“ Jetzt erst dreht er sich zu Palat um. Schaut ihn aus halb blinden Augen an. „Kommen sie von draußen?“ „Ja, Abram.“ Palat zuckt zusammen, denn plötzlich schreit ihn Abram an. „Raus mit ihnen, raus!“ Sein Kopf läuft rot an und Palat hat Angst, gleich einem spontanen Suizid beiwohnen zu müssen. „Ich habe nur einige Fragen, mehr nicht.“ Die Adern übersehte Stirn von Abram glättet sich langsam und tausende Falten gesellen sich zu seinem unschuldigen Lächeln. „Oh, Besuch! Willkommen, setzen sie sich.“ Palat beschleicht das Gefühl, es hier mit einem Irren zu tun zu haben. Trotzdem setzt er sich auf die Bettkante. „Ich komme von ihrer Frau.“ „Meiner Frau?“ Abram zuckt mit der rechten Hand hoch und schlägt sich ein, zwei Mal kräftig gegen die Stirn. Wenigstens schreit er nicht, denkt sich Palat. „Ihre Frau, Liss.“ „Das ist meine Tochter. Ich habe nämlich keine Frau, ich kriege ihn nicht mehr hoch, ich brauche keine Frau.“ „Wie lange sind sie schon hier, Abram.“ „Seit Gestern, nein nicht ganz, schon immer. Wissen sie, es kommt mir vor, als ob ich einen langen dünnen Weg gehen würde. Immerfort, Tag und Nacht.“ Abram summt vor sich hin. Palat guckt auf seine Uhr. Zeit für eine Überraschungsfrage. „Wieso haben sie zwei Mal versucht ihren Sohn loszuwerden?“ „Es kommt mir vor, wie gestern. Ich wollte ihn absetzen, wie einen Hund. Doch diese Augen, wissen sie, es waren meine Augen.“ Abram schielt an Palat vorbei zur Tür. „Raus!“ Diesmal überrascht Palat sein Geschrei nicht. Abram schnaubt für ein paar Sekunden, Sabber läuft an seinem Kinn hinunter, dann wischt er ihn sich mit dem Ärmel ab und lächelt Palat an. „Ein hübscher Junge war er.“ „Er ist verschwunden, Abram, wissen sie wo er ist.“ „Tot.“ Abram lacht auf. „Er ist tot. Mein Junge ist tot. Ich liebe ihn trotzdem, denn ich werde hier gut versorgt, bleibe am Leben...“ Abram springt auf, mit einer Wucht, die Palat selbst aufspringen lässt. „Sterben! Ich und sie, alle sollten sterben dürfen. Raus mit ihnen! Sterben sie draußen, hier sterbe ich. Raus!“ „Was ist hier los?“ Eine Schwester stürmt herein und meint die Sache mit einem Blick erkannt zu haben. „Sie haben hier nichts verloren. Gehen sie bitte. Sofort!“ Sie lassen Abram allein. Die Tür filtert nur die Wörter raus, der Hass dringt hindurch. „Ich bin..“ „Sie könnten meinetwegen Jesus persönlich sein, ist mir egal. Gehen sie.“ Palat, immer noch leicht irritiert, schlafwandelt durch die Gänge, gefolgt von verstohlenen Blicken aus halboffenen Türen. Draußen heißt ihn der Regen willkommen.
„Sie haben Leon verpasst. Er ist vor kurzem weggefahren. Hat nämlich Urlaub.“ „Ich habe doch eben noch mit ihm telefoniert.“ Palat spürt, wie sein Gesicht hochrot angelaufen ist und ärgert sich, dass er jetzt wie eine überreife Tomate ausschaut. Der Inspektor kann gut Schauspielern, schmunzelt noch nicht einmal über Palat.„Vor nicht mal einer Stunde erst.“ „Tja, wie gesagt, knapp verpasst.“ Palat schweift mit dem Blick durchs Revier. Halb verwaist und still. Nur das Tippeln von Tastaturen weht durch die Luft. „Es geht um den vermissten Jungen.“ „Sir?“ „Er wurde nun bereits zum dritten Mal als vermisst gemeldet. Leon wollte, dass ich gucke, ob an der Sache was dran ist.“ „Sir, welcher Junge denn?“ Da ist sie. Die Erkenntnis. Sie tut weh. Sie beißt. Palat verwechselt sie fast mit einem Herzinfarkt. Er lässt den Fall nochmal Revue passieren. Die Nachricht von einem vermissten Jungen hätte ein Treiben wie in Pamplona ausgelöst. „Drittes Mal, hin oder Her.“, flüstert Palat. „Wie bitte?“ Die Mutter lacht ihn aus, weil sie weiß, wer es getan hat, wer ihr geholfen hat. Wenn jemand zwei Mal versagt, muss ein Profi ran. Palat wird aus seinem Winterschlaf geweckt, um den Jungen zu finden. „Wieso ich?“ „Kann ich ihnen irgendwie helfen?“ Palat blinzelt. „Ja. Wo ist er hin?“ „Ich weiß nicht, ob ich ihnen das sagen darf.“ „Wir sind Freunde.“ Zusätzlich zeigt Palat ihm seinen Ausweis. „Am See. Er wollte zu seiner Hütte am See.“ „Danke.“ Palat verlässt das Revier. Paar Sekunden später kommt ein Postbote rein, mit einem Lied auf den Lippen. „Jimi hat für euch paar ganz nette Briefe dabei. Grüße aus dem Staatsgefängnis.“ „Hm?“ „Hey, wieso lachst du nicht? Ist es wegen dem alten Kerl, der im Treppenhaus beinahe gestolpert wäre? Stimmt mit ihm was nicht?“ Der Inspektor schüttelt den Kopf. „Nein, nein, nur ein wenig senil glaube ich.“
Die Welt ist hektisch. Sie ist bunt, grell. Die Autobahn ist voll. Palat wird geschnitten und oft hupend überholt. Kinder zeigen ihm Grimassen, Erwachsene den Finger. Der Regen hat aufgehört. In Palat' s Kopf regnet es immer noch. Sein rechtes Ohr juckt vom Headset. Sein Laptop hat keinen Akku mehr. Die Tabletten liegen bereitwillig auf dem Beifahrersitz. Palat nimmt die Ausfahrt, fährt an Landstraßen entlang, vorbei an x beliebigen Städten. Die Städte werden kleiner und seltener. Dann biegt Palat ab, ein Wald kommt ihm entgegen. Palat ist richtig, sein implantiertes Navi im Kopf funktioniert einwandfrei. Die Blätter hoch oben im Geäst reinigen die roten Sonnenstrahlen, der Schotterweg massiert die profillosen Reifen. Ein Headset fliegt durch die Luft. Der Wald endet und Palat ist da.
Am See. Er geht am Ufer spazieren. Enten quaken leise in der Böschung. Der Himmel ist blau, vermengt mit rot. Die Sonne geht im See baden. Palat sieht Leonard am Steg verträumt dastehen, an einem Glas nippen. Kein unnötiger Laut dringt hier ein. Lärm liegt anderswo. Im Morgen, nicht im Jetzt. Palat ist beim Steg angelangt. „Ein schöner Ort.“ Leonard trinkt sein Glas aus. „Du kommst mich also doch besuchen.“ „Ich war bei Abram und im Revier.“ „Hast du also deine Angst überwunden. Schön.“ Leonard wirft sein Glas ins Wasser. „Der See ähnelt dem Teich beim Minigolfplatz, nicht wahr.“ Stille. Wellen auf dem Wasser. „Leon?“ „Ja?“ „Wo ist der Junge?“ Joule dreht sich um. Die Haut ist leicht gebräunt. Falten sind kaum welche da, dafür jedoch umso markanter. Die Augen scheinen blau und aufgeweckt. Die Nase liegt gerade und um den Mund herum haben sich leichte Grübchen gebildet. Palat wird klar, wie lange er seinen Freund schon nicht gesehen hat. „Du willst wissen, wo der Junge ist. Glaubst du denn, dass er lebt?“ Die Sonne ist zur Hälfte bereits versunken. „Sonst wäre ich nicht hier, nehme ich an.“ „Ja, er lebt, irgendwo versteckt. Tief, tief unten.“ „Wo ist er?“ Palat ist es egal, dass seine Stimme vibriert. „Pal, mein Freund, ich habe eben Gift getrunken.“ „Was?“ „Ich war immer so gern im See schwimmen. Nie habe ich es bis zum anderen Ufer geschafft. Vielleicht heute.“ Joule kippt nach hinten. Wasser spritzt bis zum Steg hoch. Palat beugt sich nach vorne, hält sich die Hand vor die Augen. Die Sonne blendet. „Wo?“ „Vor dir,...., mein...“ Joule schwebt im klaren Blau. Sein Gesicht ist erstarrt. Es liegt ein Lächeln darin, wie das eines Kindes.

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Tag der Veröffentlichung: 30.11.2009

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