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Schlaf gut Liam

Die schwarze Uhr tickt nicht richtig, rattert die Sekunden runter, flattert mit den Zeigern wild umher und kräht dabei. Die edle Couch ist aus Rindsleder und nicht bequem. Sie muht. Liam liegt da und kann nicht schlafen. Kein Schlaf seit Montag. Der Kalender hat Federn gelassen, mausert sich an der Zeit vorbei. Heute ist? „Wieso können sie nicht schlafen?“ Auf diese Frage ist Liam nie gekommen. Sarkasmus ist eine schleichende Krankheit. „Wie viel bezahl ich sie noch mal die Stunde.“ „Darüber sollten wir nicht reden Liam. Das ist nicht ihr Problem.“ „Danke Doc. Es fällt mir langsam schwer, klare Gedanken zu fassen.“ Der Psychologe schultert sein Knie über sein Anderes und runzelt gekonnt die Stirn. Wenigstens einer ohne Botox. „Waren sie schon beim Arzt?“ „Bei Zwei, nein Drei.“ „Und?“ „Und? Man hat mir Medikamente mit lustigen Namen zum Schlucken gegeben. Man hat mich zugestöpselt, mein traumlosen Schlaf überwacht, über Kameras zugekuckt, wie ich da liege, mit offenen Augen. Man ist zu der Überzeugung gelangt, man munkelt quasi, dass mit meinem Kopf was nicht stimmt.“ Das lange Quasseln hat Liam Kraft gekostet und er versinkt langsam in der Couch. Die Kuh ist tot, es lebe der Treibsand. Der Doc runzelt, als hätte man ihm das Gegenteil von Botox gespritzt. „Das kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Dazu müssten wir noch einige Sitzungen abhalten, vereinbaren sie später welche mit meiner Sekretärin.“ Ehe die Couch Liam gänzlich verschluckt, springt er auf. Unbeholfen und lächerlich. „Ich verstehe das nicht. Ich kann seit einer Ewigkeit nicht schlafen, habe Angst wahnsinnig zu werden und sie, lassen sich Zeit.“ „Liam, die menschliche Psyche lässt sich nicht in einer Stunde analysieren. Sie können nicht erwarten, dass ihre Insomnia von einem Tag auf den Anderen verschwunden ist.“ „Haben sie Sixth Sense gesehen?“ „Ich schaue nur gelegentlich Filme.“ „Haben sie oder nicht?“ „Nein.“ „Schade. Denn wenn sie mir nicht helfen können, knall ich sie ab. Ich kauf mir ne Knarre und knall sie ab.“ Dieses dämliche Runzeln, Falten so tief wie der Grand Canyon und genauso alt. Liam verlässt die Praxis, mit einem Triumphlächeln im hohlwangigen Gesicht. Keine weiteren balla balla Stunden.
Liam vergeht ohne dass es der Tag merkt. Er hat die Sonne nicht mal gesehen und scheißt darauf. Er kriegt den Kopf nicht mehr hoch. Normales Gehen mutiert zu Powerwalken, die Knie schmerzen, womöglich Gicht. Orientierung an den Bürgersteigen. Trautes Heim, allein. Schuhe aus, Socken auch. Fein geknüpfte Teppiche, kitzeln. Kalte Kacheln, Küche. Liam kann die Tage ohne Schlaf nicht mehr zählen. Er weiß nicht wo der Rekord liegt. Er hat keine Lust ihn zu knacken. Die Walnuss ist stärker als er. Der Nussknacker eine Fehlinvestition. Gut dass er Urlaub hat, sonst hätte man ihn gefeuert. Noch 2 Tage Urlaub. Zeit etwas anderes zu essen. Sandwichs, schön weich mit Marmelade. Lassen sich leicht zermatschen und runterwürgen. Liam verschluckt sich. Erstickt fast, an einem Sandwich. Er hustet und kotzt es raus. Kein Problem denkt er sich. Ich wisch das weg. Er legt sich hin und weint die ganze Nacht.
„Heute beginnt ein schöner Morgen.“ Liam guckt todmüde aus dem verdreckten Fenster. Sauberwischen und dann rausspringen. Der Werbeslogan der Zeitung spuckt ihm geradezu ins Gesicht. Feigling. In großkotziger Schrift hängt er an der gegenüberliegenden Hausfassade. Der Hörer wackelt leicht in seiner Hand, ebenso die dämlichen Tasten. Doch seine Hartnäckigkeit wird belohnt. Ein Zeitungstyp meldet sich nach Elisé in der Warteschleife. „Hier Michael.“ „Bin kein Feigling und Sie lügen!“ „Liam?“ Liam legt auf und will sich Frühstück machen. Der Kühlschrank ist leer, die Schränke leer, sein Magen leer. In seinem Kopf ist nur ein Name. Anna. Er vertippt sich schon wieder, diesmal weil sein Kopf wackelt wie ein Dackel. Gedankenshaker. A.B. „Wenn du was zu sagen hast, sprichs aus.“ Liam gehört zu den Leuten, die mit A.B. nicht sprechen. Er zieht sich noch kurz warme Sachen an, futtert sich zwei drei hautdünne Baumwollschichten an und verlässt bibbernd seine stickige Bude. Letzter Tag.
Sein Gaul mit dem BMW Brandzeichen lässt er in der Stallung, soll er doch hupen. Taxileute verstehen seine Sprache nicht. Busfahren ist schwul und in der U-Bahn hat er Angst, dass ihm welche ihren Platz anbieten. Ist nicht weit bis zu Anna, nen Katzensprung. Liam kämpft sich durch die Straßen und Gassen, die Stadt ist ein Dschungel mit System. Ein räudiger Köter taucht von irgendwo auf und begleitet ihn. „Geh weg, ich hab selber nichts zu essen. Kannst froh sein, dass ich kein Chinese bin.“ Der Köter winselt, winselt sich in sein Herz und Liam kramt in seiner Hosentasche. Eine Hand voll Kleinviehmist und ab zum Stammkiosk. Liam klingelt den bärtigen Besitzer wach. „Ihre Zeitung wie immer?“ Kopfschütteln. „Eine Packung Gummibären.“ Ein ätzendes Quietschen hinter Liam, Reifen werden gehäutet, Blut spritzt auf Asphalt. Ein Mann stürmt aus seinem Wagen und brüllt dabei. „Scheiß Köter!“ „Hallo? Wollen sie die Gummibären noch oder was?“ Liam tagträumt. Antwort negativ und jetzt her mit der Zeitung. Titelseite hat kein Biss. Liam malt sich die Schlagzeile von Morgen drüber. ‚Ein Hundeleben’. Liam möchte lachen und kann nicht. All diese Schaulustigen widern ihn an. Schnell zu Anna.
Sie ist nicht da. Ein Zettel hängt an ihrer Wohnungstür im Dritten. Liam hat sich hochgekämpft, ein Herzinfarkt riskiert, um zu lesen, dass sie weg ist. „Bin weg seit Montag.“, steht noch am Ende und Liam ist genau dort. Er weiß nicht, bei wem er sich melden soll. Seitdem er schlaflos ist, haben sich alle abgekapselt, in Kapseln mit lustigen Namen drauf. Liam hat all seine Freunde geschluckt. Bitterer Nachgeschmack. Er hält sich am rostigen Geländer fest, liebäugelt mit dem tiefen Treppenhaus. „Wer sind sie? Was machen sie hier? Ist ihnen schlecht? Brauchen sie einen Arzt? Wer sind sie?“ So viele Fragen aus einem einzelnen Mund. Maschinengewehr. Ich knall den Psychiater ab, mit diesem Kerl im Anschlag. „Ich heiße Liam und bin Annas Freund.“ Mitleid füllt die Augen des Nachbarn, Hochwasseralarm, seine Hosen sind hochgekrempelt. „Ist Anna etwas zugestoßen? Wo ist sie?“ „Am Besten, ich rufe ihnen ein Taxi, der sie nach Hause zurückfährt.“ „Nein, nein, kein Taxi. Ich brauch kein Taxi, brauche Anna.“ „Sie ist nicht da.“ „Ach ne.“ „Sie ist im Krankenhaus.“ „Was ist passiert?“ „Sie wissen das nicht?“ „Was weiß ich nicht?“ „Ihr Taxi steht bereit.“ „Kein…“ Liam gleitet durch ein Wurmloch und landet im Fond des hellgelben Wagens. „…Taxi.“ „Wohin soll’s gehen Meister?“ Beide Augenpaare treffen sich im Rückspiegel Der Fahrer hat eine Solarium Jahreskarte. Die Sonne scheint ihm aus dem Arsch, während Liam in Bleichmittel badet. Zum Friedhof will er sagen. Da wo Leichen hingehören. Anna, Anna, Anna, hämmert der Rest an Verstand in seinem Erbenshirn. „Ins Krankenhaus.“
Liam genießt die Fahrt. Ohne Vorfall, ohne Köter. Sein Blick reicht nur noch ein Drittel am Horizont gemessen. Trotzdem, die 1/3 Welt gefällt ihm sehr. Größenwahn treibt ihn an, das Seitenfenster runterzukurbeln. Seine fettigen Haare wehen im Fahrtwind, seine markanten Wangenknochen umschmeichelt es, als wären sie Hügel. Mit sattgrünem Gras bedeckt. Liam sitzt in seinem Cabrio, neben ihm Anna. Sie fahren durch Schottland, ihr gemeinsamer Urlaub, ihre erste Reisezeit. „Ich muss dir was sagen.“ Liam lächelt blöd, wie Glückliche nun mal lächeln. Anna nimmt ihre Sonnenbrille mit der passenden Diobtrinzahl ab. „Was denn?“ Mein Gott, ihre Augen sind so grün wie dieses Land. „Ich habe spontan beschlossen hierher umzuziehen.“ „Wusste ja gar nicht, wie spontan du bist.“ „Du nimmst mich nicht ernst wie?“ „Wie sollte ich auch. Das ist unmöglich.“ Ihre Sonnenbrille verdunkelt die Welt. „Wir leben in Routine, mit kleinen feinen Jobs und sind bis zu 70% glücklich. Wieso sollten wir das aufgeben und hierher ziehen.“ Liam verschlingt all seinen Sarkasmus mit einem Happ und macht sich bereit für den kitschigsten Satz seines Lebens. „Weil deine Augen hierhin gehören.“ „Meister?“ „Willst du?“ Anna lacht.
„Hm?“ „Meister, sie bluten.“ Liam hasst diese Wurmlochreisen. „Was ist, sind wir da?“ „Gleich, aber sie bluten Mann.“ Liam kuckt an sich runter. Nix. Nur ein Skelett in xxl Klamotten. Ohne einen Flecken Blut. „Ich blute nicht.“ „Na klar doch. Im Gesicht. Sieht ziemlich übel aus.“ Liam blickt in den Rückspiegel und sieht seine zermatschte Stirn. Aus zwei ekligen Wunden läuft Blut. Es tut gar nicht weh. „Dat sollten sie sich mal verarzten lassen, wenn sie schon mal hier sind.“
Stichwort, Liam steigt aus, pfeift aufs Trinkgeld und torkelt an kranken Menschen vorbei ins Krankenhaus. Gott hat Beton geschissen. Jemand steht hinter der Infotheke und fragt ihn wie es nur besorgte Krankenschwester können. „Bitte?“ „Wo finde ich Anna?“ „Oh mein Gott.“ Es raschelt, als wenn eine Zeitung beiseite gelegt wird. „Oh mein Gott. Ihre Stirn!“ „Liam winkt ab. „Ist nicht so schlimm wies ausschaut, ehrlich, es schmerzt kein bisschen. Wo finde ich Anna?“ „Auf keinen Fall! Sie müssen zuerst in die Ambulanz. Und zwar sofort!“ Liam ist es egal. „Ich will zu Anna! „Wo ist sie?“ Zwei Herzschläge später. Zwei Pfleger in geheucheltem Weiß verschleppen ihn. Schleppen ihn durch Gänge, während er nur Anna schreit. „Sie hatten wohl zu wenig Schlaf, wie?“ „Anna!“ „Und es tut gar nicht weh, wenn ich zum Beispiel mit meinem Finger auf ihre Stirn drücke?“ „Anna!“ „Hat er jetzt Aua geschrieen oder?“ „Nein , diese dämliche Anna.“ „Anna!“ Liam landet in einem high tech Bett. Stöpsel überall dran. Videokameras an. Beobachtung. Liam rührt sich nicht. Ein Kasten der unentwegt piept, zeigt an, dass er lebt. Ein Verband verdeckt den hässlichen Unfall. Anna steht neben ihm am Bett. Zwei Jahre lang. „Liam?“ Nie hat er geantwortet. Die Liebe hat Anna nie verlassen. Michael, sein bester Freund und Kollege, legt eine Hand auf ihre Schulter. Von all den Freunden hat seine Freundschaft am Längsten gehalten. „Lass uns lieber gehen, Anna.“ „Nein, ich möchte dabei sein.“ „Du weißt, wir haben alles versucht.“ „Ja.“
Michael geht, kullert davon wie ne Kapsel. Anna bleibt. „Liam? Hörst du mich?“ Piep, piep. „Weißt du noch, damals, Schottland. Du hattest mich etwas gefragt, vor dem Unfall. Weißt du noch?“ Piep, pause, piep. „Ja, ich will.“ Beim letzten Wort erstickt sie in Tränen. Grüne Tränen fallen auf Liam wie leichter Sommerregen.
Der Chefarzt schaltet die Geräte aus, als wäre er ein scheiß Elektriker. „Liam?“ Ein letztes Piepen, endlos lang. „Schlaf gut.“

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Tag der Veröffentlichung: 31.01.2009

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