„Ach du traust dich eh nicht!“ „Aber du oder was?“ Wir standen vor dem alten Fachwerkhaus, am Ende unserer Straße. Alt, verwittert und unheimlich. Mir lief immer ein leichter Schauer über den Rücken, aber das konnte ich ja schlecht vor Ed sagen. Großspurig sagte er nochmal: „Wetten du traust dich nicht?“ Na toll, wenn ich ablehnte, wäre ich ein Feigling, wenn ich annahm, müsste ich da rein. Ich biss mir auf die Lippe und schaute ihn direkt in seine feixende Visage. Beste Freunde können an den Nerven nagen. Grimmig gab ich, „Ich tue es. Aber wann?“, zurück. „Heute Nacht, um elf Uhr treffen wir uns hier, wenn du dich traust...“ Er grinste noch breiter, drehte sich um und ging die Straße rauf. Ich ließ meinen Blick über die Mauern, die Tür, die obere... Ich stieß einen leisen, kurzen Schrei aus. Da hatte sich doch was hinter dem Fenster bewegt. Ich starrte angestrengt hinauf. „Kommst du?“, schrie Ed, und riss mich aus meiner Starre. Ich rieb mir die Augen und lief zu ihm, ohne mich noch mal umzuschauen...
Es war kurz nach elf, wir standen im Schein der Laterne auf dem Bürgersteig. Warum war es so still? Man hätte eine Feder fallen hören können. Ich schluckte und murmelte: „Auf geht’s.“, „Ich komm mit zur Tür“, flüsterte Ed, wenigstens hörte ich seiner Stimme auch eine gewisse Furcht an. Wir überquerten die Straße, Meter um Meter verlangsamte ich meine Schritte, aber doch kam ich an der morschen Tür an. „Zehn Minuten.“, erinnerte Ed mich unnötiger Weise. Mit fester Stimmte sagte ich „Kein Ding“, und drückte die Tür auf. Sie quietschte nicht, seltsam..
Doch dafür fiel sie hinter mir mit einem dumpfen Schlag ins Schloss, was mich sofort zusammen fahren ließ. Warum nur, war ich solch ein Feigling? Ich legte den Schalter der silbernen Taschenlampe um, und sie erstrahlte. Ich leuchtete umher, ein Raum mit dunklem Dielenboden. Überall standen, mit weißem Tuch abgedeckte, Möbel. Außer einer großen Standuhr, die sehr staubig war. Durch das Glas konnte man nicht einmal mehr das Ziffernblatt erkennen. Ich ging näher und rieb mit meinem Ärmel darüber, doch nichts zu machen, es wurde nicht klar. Da bemerkte ich eine Tür. Wenn ich schon mal da war, dann konnte ich auch einen, sagen wir Rundgang, machen. 'PochPoch PochPoch', mein Herz schlug mir schon die ganze Zeit bis zum Hals, und dieses Pochen übertönte sogar meine Schritte. Ich drückte die Türklinke runter und wollte sie aufdrücken, dann fiel mir auf, dass ich ziehen musste. Auch diese öffnete sich ohne jegliches Geräusch..
Der nächste Raum war anscheinend die Küche. Ich konnte im Schein der Lampe ein altes Modell eines Kühlschranks erkennen und auch eine Eckbank, und davor ein langer Tisch. Aber am interessantesten schienen mir doch die Stufen die in die nächste Etage führten. Unheimlich, wie schnell Angst sich in Neugier verwandeln kann. Ich ging also auf die Stufen zu, und leuchtete hinauf, ich konnte nichts erkennen. Ich atmete durch, ein fauliger Geruch lag in der Luft, und stieg die Stufen hinauf, die ein wenig knarrten. Unwillkürlich verkrampfte sich meine zitternde Hand um die Taschenlampe, Stufe für Stufe, Schritt für Schritt, kam ich am oberen Ende der Treppe an. Ein durchdringendes Gongen durchfuhr das Haus, die Standuhr. Es musste Viertel nach sein, aber es interessierte mich nicht, ich wollte nun das Zimmer finden, hinter wessen Fenster ich etwas gesehen hatte.. oder es zumindest glaubte....
Nun stand ich in einem fensterlosen Raum, aber wieder dieser dunkle Dielenboden, doch keine Möbel. Nur eine Tür, an der rechten Seite, dies musste der Raum hinter dem Fenster sein. Ich ging langsam auf die selbige zu, wieder staute sich Spannung auf. Eine Hand auf meiner Schulter, ich fuhr herum. Und atmete erleichtert aus, als ich in Eds Gesicht sah. „Du Penner! Du hast mich erschreckt!“ Er grinste: „Ich wollte nach dir schauen, es ist schon halb.“ „Was? So schnell, ich dachte die Uhr gongt alle Viertel Stunde.“, sagte ich ein wenig verwirrt. „Welche Uhr?“, fragte Ed. Ich guckte ihn etwas verdutzt an, „Hast du sie nicht gehört? Sie ist doch so laut!“ Verunsichert schaute er mich an: „Es hat keine Uhr geläutet, komm lass uns gehen...“ Ich konnte die Angst, die Unsicherheit in seiner Stimme hören. Das lies mich böse lächeln. „Nein, ich will wissen was hinter dieser Tür ist“, sagte ich, und erschrak vor meiner eigener Stimme, sie klang dunkel, böse... „Nein, bitte..“, setzte Ed an, aber ich drehte mich einfach um und ging auf die Tür zu. Ich hatte das Gefühl magisch von ihr angezogen zu werden. Ich hörte Eds Stimme, doch fern, weit weg, nicht bei mir...
Ich drückte die Tür, auf und trat ein.
Durch das Fenster schien das schwache Licht der Straßenlaterne, ich tat ein paar Schritte vorwärts. Die Tür flog hinter mir zu, ich drehte mich um. Hinter mir stand eine schreckliche Gestalt aus meinen kühnsten Alpträumen. Ausgehungerte Blick, wild abstehende Haare, zerrissenes Nachthemd, ein scharfes Messer in der Hand und einen markerschütternden Schrei ausstoßend. Ich riss meine Augen auf. Es sprang auf mich zu, ich tat einen Satz zurück, an der Tür ruckelte es. Ich hörte Ed schreien: „Ben, was ist los??! Warum ist die Tür zu!?!! Been?!“ Das Etwas rappelte sich auf, es war gestürzt. Ich schrie zurück: „Lauf, renn, frag nicht, flieh!!“ Drehte mich um, rannte auf das Fenster zu, und drehte hektisch am Hebel. „Ahhhh“, ein Schmerz in meiner linken Schulter. Das Fenster sprang auf, ich dachte nichts, ich sprang hinaus. Und landete auf feuchtem Gras, wurde von jemanden hochgezogen. Es war Ed. „Wir müssen hier weg“, stöhnte ich, die Wunde brannte, solch einen Schmerz hatte ich noch nie gespürt. Trotzdem lief ich los, und Ed mir hinterher. Ein Gedanke trieb uns an: „Weg, einfach weg!“
Wir rannten, um unser Leben, keine Ahnung ob es uns gefolgt war. So gelangten wir zur Polizeistation, erzählten alles, außer Atem, verängstigt, mit schmerzender Schulter. Doch sie glaubten uns nichts, kein Wort. „Jungs, ich habe keinen Nerv für eure Horror Märchen, die alte Hütte wird morgen abgerissen, da wohnt niemand und nichts drin, seit Jahren. Ich fahre dich jetzt ins Krankenhaus.“ Wir konnten sie nicht überzeugen, ich wurde verarztet.
Es ist jetzt schon etwas her, das Haus ist abgerissen. Doch es vergeht kein Tag, kein Augenblick ohne das die Angst in meinem Nacken sitzt. Die Angst, dass ich diesen ausgehungerten Blick noch einmal begegne, dass es noch mal um mein Leben geht...
Tag der Veröffentlichung: 04.02.2013
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