Es waren einmal vor langer Zeit zwei kleine Igelkinder, die ganz alleine unter einer Hecke lebten. Ihre Mutter war im letzten Jahr einfach fortgegangen und nicht zu ihnen zurückgekehrt. Die kleine Lissy und ihr Bruder Mo hatten immerzu gehofft und gewartet, dass sie wieder heimkommen würde, doch als dies nicht eintraf, übernahm Mo die Verantwortung für beide.
Er suchte Nahrung und führte Lissy als die Nächte länger und kälter wurden, in ein behagliches Winterquartier. Nun hatten die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings sie wieder geweckt und beide steckten ihre kleinen Igelnasen aus dem großen Laubhaufen hinaus. Mo erschrak. „Wo ist denn der Wald geblieben?“, fragte er seine kleine Schwester. Doch auch Lissy wunderte sich. Rings herum standen nur große Maschinen und Gestank erfüllte die Luft. Es war laut. Viel zu laut für die beiden.
„Wir müssen hier weg“, meinte Mo. „Wo sollen wir hin?“, fragte Lissy.
Ratlos krochen die zwei unter ihren Laubhaufen zurück, doch plötzlich begann die Erde unter ihnen zu zittern.
„Komm, wir müssen weglaufen! Schnell, lauf mir nach!“, rief Mo erneut und sah in das ängstliche Gesicht seiner Schwester. „Hier ist es nicht mehr sicher.“
Die beiden nahmen ihren ganzen Mut zusammen, krochen vorsichtig aus ihrem Versteck hinaus, und flohen vor dem Lärm in irgendeine Richtung.
Auf einmal verdunkelte sich die Sonne vor ihnen und ein großes Etwas kam unausweichlich auf sie zu. Die beiden rollten sich zusammen, zitterten und harrten der Dinge.
„Halt!“, schrie ein Bauarbeiter dem Baggerfahrer zu und winkte aufgeregt mit den Armen, bis der hielt. „Schau mal, da sind zwei Igelkinder!“
Theodor stieg von seinem Bagger herunter und betrachtete die beiden kleinen Wesen, die gerade vor ihm auf dem Weg lagen.
„Mensch Tony! Wie gut, dass du die zwei gesehen hast. Ich hätte sie glatt überfahren. Hol mal einen Karton. Hier können sie nicht bleiben. Ich nehme sie in der Mittagspause mit nach Hause. Die Kinder werden sich freuen.“
Vorsichtig hob Theodor die Kleinen in einen Karton, stellte diesen in den Schatten und nahm ihn schon einen Moment später mit.
Lissy und Mo hatten furchtbare Angst in diesem komischen Etwas. Es war dunkel und roch befremdlich. Zumindest waren sie zusammen und Mo sprach seiner kleinen Schwester Mut zu. „Menschen sind nicht so böse, wie du denkst. Es gibt auch Liebe. Zumindest hat Mama das mal gesagt. Uns wird schon nichts passieren und sobald wir hier raus kommen, laufen wir davon.“
Lissy schmiegte sich dicht an ihn und fühlte sich gleich viel besser.
Gespannt schauten Theodors Kinder auf den Karton, den ihr Vater von der Arbeit mitgebracht hatte. Sie juchzten vor Freude, als er ihn öffnete und riefen immer wieder „ach sind die niedlich!“
Längst hatten die Kinder Wasser bereitgestellt und Äpfel geholt, die sie für die Igel klein schnitten. „Meinst du, dass es den beiden bei uns gefällt?“, fragten sie Theodor mit großen Augen.
„Warum nicht?“, lächelte er zuversichtlich. „Der Igel, den ich im letzten bei dieser Baustelle aufgelesen habe, fühlt sich hier doch auch ganz wohl und ist nicht weggelaufen. Hoffen wir mal, dass sich die drei vertragen.“
Lissy und Mo staunten nicht schlecht, als sie aus ihrem Gefängnis befreit wurden und sich in einem Garten wiederfanden. Das frische Gras war von Laubbäumen umgrenzt und es gab kuschelige Hecken. „Hier ist es aber schön“, staunte Lissy, als Mo schon wieder davon laufen wollte. „Wollen wir nicht bleiben?“
Mo überlegte einen kurzen Moment. „Und die Menschen?“, fragte er unsicher zurück und hielt inne.
„Die sind sehr fürsorglich und lieb“, erklang auf einmal die sanfte Stimme ihrer Mutter. „Was bin ich froh, dass es euch gutgeht!“
Lissy und Mo jubelten und liefen schnell zu ihr. Natürlich gab es ein großes Freudenfest und die Igel waren sich sicher, dass Theodors Garten der schönste auf der ganzen Welt war. Hier würden sie niemals mehr weggehen und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie da noch heute.
Lektorat: Petra Peuleke
Tag der Veröffentlichung: 25.07.2019
Alle Rechte vorbehalten