Cover

1

Jetzt kam der Abschied. Ich stand in meinem leeren Zimmer, die Wände und der Boden waren rußgeschwärzt vom Rauch. Man konnte im ganzen Haus nicht übersehen, dass es gebrannt hatte, überall stank es und alles war grau. Die zweite Etage, da wo das Feuer angefangen hatte, war nicht mehr betretbar, weil die ganze Treppe abgebrannt war.
Das wars, mein Leben hier in Bad Oldesloe war vorbei. Eine Träne tropfte auf die Stelle wo früher mein Bett stand. Ich ging zum Fenster und schaute hinaus. Dieser friedliche Anblick ließ nicht vermuten, dass hier etwas schreckliches passiert war. Es sah aus wie ein Gemälde mit verschiedenen Ebenen. Ganz unten in einem dunklen Blau der glitzernde See. Darüber in verschiedenen Grüntönen erst die Kuhweide, dann die Felder und der Wald. Ganz oben in einem wundervollen Hellblau mit gelgentlichen weißen Schlieren der Himmel. Bald würde ich am Wochenende, anstatt an das Meer zu fahren, in den Bergen wandern. Das Meer würde ich am meisten vermissen.
"Katharina!", rief mein Vater von unten, "Es wird Zeit!"
Ich drehte mich um, ging raus und schloß die Tür hinter mir. Nie wieder würde ich dieses Zimmer betreten... hier wo ich so oft auf meinem Bett gelegen und in mein Kissen geweint hatte... hier wo ich so oft glücklich, zu flippiger Musik und nur mit einem Pijama bekleidet herumgehüpft war und getanzt hatte.
Seufzend ging ich nach draußen, wo mein Vater ungeduldig vor dem Auto stand. Mein Bruder und meine Schwester saßen schon, ich hatte das Gefühl, dass es für mich am schwersten war zu gehen. Meine Schwester war noch klein, sie hatte sich noch nicht so viel aufgebaut wie ich und mein Bruder hatte sowieso nie viele Freunde hier.
Ich schon... am vorigen Abend hatten sie eine Abschiedsfeier für mich gegeben.
Wortlos setzte ich mich ins Auto, steckte mir die Kopfhörer von meinem iPod in die Ohren und warf einen letzten Blick auf unser zerstörtes Zuhause.

*

Nach einer Stunde schlief meine Schwester endlich, mein Vater hatte es aufgegeben mich aufzumuntern und mein Bruder war still in sein Gameboyspiel vertieft. Ich hatte meine Ruhe, schaute deprimiert nach draußen und wunderte mich darüber, dass es nicht regnete, es hätte perfekt in das Szenario gepasst. In meinem Kopf spielte ich die Szene durch, wie in einem dramatischen Film...
Das schöne Mädchen muss umziehen. Es schaut traurig in den Regen. Plötzlich sieht es den Jungen, der ihr hinterher rennt, um seine ewige Liebe zu schwören. Er fleht sie an nicht umzuziehen. Sie schauen sich tief in die Augen. Küssen sich. Der Regen verzieht sich. Das Happy End ist perfekt.


Leider passte gar nichts von meiner Situation da rein.
Erstens regnete es nicht, zweitens hatte ich keinen Jungen, der unsterblich in mich verliebt war, und drittens würde ich mich nicht unbedingt als wunderschön beschreiben.
Wer findet langweilig runterhängende, brustlange, rote Haare schon hübsch? Dazu noch lästige Sommersproßen in einem schmalen Gesicht. Naja, wenigstens war ich nicht dick oder hatte O-Beine oder sowas.
Plötzlich wachte meine Schwester auf und meinte, dass sie ganz dringend aufs Klo müsste. War ja klar.
"Halt noch ein bisschen durch Süße, in zehn Minuten sind wir bei einer Raststätte.", beruhigte mein Vater sie. Ich hörte ihr Gejammer sogar durch die extra lautgestellte Rockmusik, die durch meine Ohren pustete. Als wir endlich anhielten, musste ich mitkommen und ihr helfen, meine Mutter war ja nicht da. Beim Händewaschen überlegte ich, wie es Natalie ging. Eigentlich dachte ich nicht viel über meine Geschwister nach, weil sie oft nervten und ich mich nicht sonderlich für ihre Gefühlslage interessierte, aber wie geht es einem sechsjährigen Mädchen, das seine Mutter vor einem Monat verloren hat?
Sie schien es völlig verarbeitet zu haben, oder sie war gut im Verbergen.
"Komm Kati, ich bin fertig, ich kann es kaum erwarten Viki wieder zu sehen-", sie plapperte fröhlich und ohne Unterlass. Naja das war beruhigender, als wenn sie ständig nach Mama fragen würde, oder still in einer Ecke sitzen und an die Wand starren würde. Wie in einem Gruselfilm.
Ich schüttelte mich und verbannte den Gedanken sofort wieder aus meinem Kopf.
Der Rest der Fahrt verlief ruhig.

*

"Hier ist es!", sagte mein Vater nicht ohne Stolz. Es war ein älteres aber trotzdem schönes, großes Haus. Hier könnte ich es sogar aushalten. Natürlich wartete mein Onkel schon ungeduldig auf der Holzveranda. Meine Schwester sprang sofort aus dem Auto, in die Arme ihrer gleichaltrigen Cousine Viktoria. Vitali, mein Bruder, hatte bestimmt nicht einmal bemerkt, dass wir angekommen waren. Ich nahm die Ohrhörer raus, steckte den iPod in meinen Rucksack, holte tief Luft und stieg aus dem Auto. Meine Tante umarmte mich stürmisch und murmelte: "Es tut mir so leid, ich weiß, dass das alles hier ganz schwer für dich ist-"
"Ist schon gut, Tante Lena, ich schaff das schon."
"Ja, ich weiß, du bist hier die Starke, aber es ist wirklich okay, ich bin für dich da."
Ich befreite mich und sagte leise: "Ich weiß das zu schätzen, vielen Dank, aber ich würde mir jetzt gerne das Haus anschauen."
"Oh natürlich." Sie ging einen Schritt zur Seite, "Such dir ein schönes Zimmer aus, dann können wir deine Sachen aus der Garage reinholen."
Ich sagte schnell, dass sie sich keine Umstände machen müssten, und ich das viel lieber alleine am nächsten Tag machen würde. Zum Glück widersprach sie nicht. Also ging ich hinein. Es war wirklich alles sehr schön und die Küche war riesig. Meiner Mutter hätte es sicher gefallen... ich sah sie vor mir...
Ihr lockiges Braunes Haar war locker hochgesteckt und es fielen einige Strähnen aus dem Knoten. Sie hatte sich eine knallgrüne Schürze um ihren runden Bauch gebunden. Ihre roten Apfelwangen und die Grübchen unterstrichen ihr liebes Gesicht. Sie wischte sich lachend Plätzchenteig aus dem Gesicht.


Schnell verließ ich die Küche und ging hinauf. Als ich oben angekommen war, zog eine Tür am Ende des Ganges sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war nicht blau, so wie die anderen auf dieser Etage, sondern Sonnengelb. Zielstrebig ging ich auf sie zu, zögerte jedoch sie zu öffnen. Als meine Hand für einen kurzen Moment über der Türklinke verweilte, kam es mir vor, als bekäme ich einen kleinen Stromschlag. Ich hielt die Luft an, öffnete die Tür und trat ein.

2

Ich lachte über meine Dummheit, was hatte ich erwartet? Ein Zauberzimmer? Irgendetwas Übernatürliches? Es war ein ganz normales Zimmer, sehr schön, aber nichts Überirdisches.
Ich entschied natürlich sofort, dass das hier mein Zimmer sein sollte, weil die komplette gegenüberliegende Wand aus Glas war. Es war ein wundervoller Ausblick, die Sonne ging gerade unter und verschwand hinter den Bergen. Berge! Ich legte mich mit meinem Rucksack als Kopfstütze auf den Boden und betrachtete das Schauspiel. Ich wusste nicht wie lange ich da gelegen hatte, als meine Tante sich neben mich auf den Boden setzte.
"Wunderschön nicht? Man sieht den Sternenhimmel. Das soll es sein? Dieses Zimmer?"
"Ja Lena, hier möchte ich bleiben."
Sie schaute mich an und sagte ernst: "Das bedeutet mir viel."

*

Solange die Möbel noch nicht da waren mussten wir drei Häuser weiter bei meinem Onkel und meiner Tante wohnen. Die erste Woche war schrecklich. Unter anderem schrecklich langweilig. Meistens war ich allein im neuen Haus, mein Vater musste irgendwelche Besorgungen machen oder etwas klären und meine Geschwister waren immer bei meinem Onkel, was mir eigentlich auch recht war, denn ich konnte kein quirrliges Mädchen gebrauchen, das mir immer im Weg stand. Genauso wenig wie einen nörgelnden Zwölfjährigen, der gerade in präpubertären Stimmungsschwankungen steckte. Ich verbrachte die Tage damit die Kisten aus der Garage in die einzelnen Zimmer zu sortieren, wenn ich müde war, oder keine Lust mehr hatte, ging ich in den Park. Die Schule würde erst in drei Wochen anfangen, damit wir Zeit hätten uns einzuleben. Ich traf niemanden in meinem Alter, im Park gab es nur junge Mütter mit Kinderwägen, oder junge glückliche Pärchen. Es war geradezu unheimlich wie perfekt hier alles zu sein schien, ich sah keine dicken alten Männer mit Haarausfall. Keine Obdachlosen, sogar in der Kleinstadt Bad Oldesloe hatte es einen gegeben. Am Abend setzte ich mich dann mit einem Buch, das ich schon beinahe auswendig kannte, auf den kalten Boden in meinem Zimmer und las. Manchmal ging ich auch joggen, denn dabei konnte man seine Gedanken immer schweifen lassen und außerdem machte es einen klaren Kopf.
Am Freitag lief ich mal wieder los, mit den Kopfhörern im Ohr und Musik auf voller Lautstärke. Ich nahm zwar kein Geräusch aus der Umgebung wahr, aber es war auch eher unwahrscheinlich, dass ich jemandem begegnete, da es halb neun Uhr abends war, und ich auf einem Weg neben einer Landstraße joggte, auf der ich noch nie ein Auto gesehen hatte, neben mir das Weizenfeld und dahinter die Berge. Gerade betrachtete ich gedankenverloren die untergehende Sonne, als ich plötzlich gegen etwas hartes prallte, sodass die Ohrhörer rausfielen, und ich fast umgekippt wäre, hätte eine starke Hand mich nicht festgehalten. Ich murmelte ein leises: "'tschuldigung!" und hob den Kopf, um dem Mann ins Gesicht zu schauen, er war so groß, dass ich den Kopf beinahe in den Nacken legen musste, also ging ich einen Schritt zurück und blickte in ein grinsendes, junges Gesicht. Der Riese war höchstens zwanzig Jahre alt.
"Kein Problem, der Sonnenuntergang ist wirklich schön. Bist du neu hier? Ich hab dich noch nie hier gesehen."
Ich musste schmunzeln, dieser Spruch war ein typisches Klischee.
"Ja, ich bin vor einer Woche hergezogen."
Er reichte mir freundlich die Hand, "Ich bin Ole, und wie heißt du?"
"Katharina. Meine Freunde nennen mich Kati."
Ich konnte nicht widerstehn zu fragen: "Sag mal, wie alt bist du eigentlich?"
Er lachte laut: "Siebzehn, ich weiß, ich bin ein bisschen groß."
Jetzt musste auch ich lachen: "Ein bisschen?! Ich würde sagen ein bisschen sehr

groß!"
"So kann man's auch sehen. Hast du hier eigentlich schon jemanden kennengelernt?"
Unglücklich erwiderte ich: "Nein, ich bin hier keinem einzigen in meinem Alter begegnet. Was macht man denn hier so nach der Schule?"
"Wie alt bist du denn?"
"Sechzehn."
Wieder huschte ein Grinsen über sein Gesicht,
"Wenn du Lust hast, kann ich dir am Sonntag zeigen, was wir so am Wochenende machen. Treffen? Hier, um vierzehn Uhr?"
Ich stimmte ohne zu überlegen zu, ein bisschen Abwechslung konnte schließlich nicht schaden.
"Geht klar, und was machen wir dann?"
Mit einem vielsagenden Blick meinte Ole: "Lass dich überraschen, ich sag nur, es wird ziemlich laut."
Langsam bekam ich ein bisschen Angst, aber ich ließ mich trotzdem darauf ein.
"Nagut, Sonntag um vierzehn Uhr, hier an diesem Baum, jetzt muss ich los, sonst macht meine Tante sich noch Sorgen."
Er begleitete mich noch ein Stück und dann verabschiedeten wir uns.
Als ich ins Haus meines Onkels kam, wartete Lena schon am Küchentisch.
"Hey Lena, ich hab heute beim Joggen einen Jungen kennengelernt."
Es freute sie sichtlich, dass ich so gut gelaunt war.
"Das ist aber schön, wie heißt er denn?"
"Ole, und er hat mich für Sonntag irgendwohin eingeladen, ich weiß aber nicht genau, was wir machen, er meinte, ich soll mich überraschen lassen."
Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und sagte: "Ich wünsch dir viel Spaß am Sonntag, ich wollte dich eigentlich fragen, ob du mit uns allen wandern gehen willst, aber jetzt geht es ja nicht mehr."
"Oh", sagte ich zögernd, "ich hoffe, das ist kein Problem... ich könnte auch absagen-"
"Nein! Auf keinen Fall, wir schaffen das auch ohne dich."
Es war ihr anscheinend sehr wichtig, dass ich dahin ging. Eigentlich wollte ich auch lieber Zeit mit gleichaltrigen verbringen, als mit der Familie wandern zu gehen, ich konnte mir schon das Genörgel von Vitali vorstellen. Außerdem wäre das mit dem Absagen sowieso kompliziert geworden, da ich weder Adresse noch Telefonnummer, geschweige denn Nachname von Ole hatte.
Fröhlich ging ich ins Bett.

3

Am nächsten Tag war ich mal wieder alleine beim Haus. Gerade war ein Laster mit unseren neuen Möbeln und den letzten Kisten gekommen, die jetzt alle auf dem Bürgersteig standen. Die Möbel wurden von den Möbelpackern reingetragen, doch als sie sich an die Kisten machen wollten, versicherte ich ihnen, dass ich das schon alleine schaffen würde, und dass sie jetzt gerne weiterfahren könnten. Was sie natürlich sofort taten. Es ging eigentlich auch ganz gut, bis auf ein paar sehr schwere Kartons mit meinen Büchern, die icb bis zum Schluss stehen ließ. Als ich mit allen leichten Kisten fertig war, und mich gerade mit einem sehr schweren Bücherkarton abmühte, kam ein großer, gutaussehender Junge mit braunen Haaren und einem freundlichen Gesicht auf dem Fahrrad vorbei. Als er sah, wie ich versuchte die Kiste hochzustemmen, hielt er an und stieg vom Rad.
"Braucht die Dame vielleicht ein wenig Hilfe?"
Ich schaute ihn böse an und sagte etwas schnippischer als beabsichtigt: "Nein danke, ich komme auch sehr gut ohne dich klar."
Er lachte nur und entgegnete: "So hab ich das gar nicht gemeint, ich sehe ja, dass du auch ohne mich klarkommst", das sagte er in einem sarkastischen Tonfall, der mir gar nicht gefiel.
"Ich dachte nur, dass ich dir die Arbeit auch abnehmen könnte, weil ein so süßes Mädchen wie du sicher etwas besseres zu tun hat. Man sollte die Möbelpacker, die dir die Arbeit überlassen haben, verklagen."
Er ließ sein Fahrrad auf den Rasen vor dem Haus fallen, kam rüber, nahm ohne auf meine Einwände zu achten den Karton hoch und fragte lässig: "Und wo darf ich den abstellen?"
Ich funkelte ihn an und sagte dann widerwillig: "Wenn es wirklich sein muss, komm mit."
Ich führte ihn die Treppe rauf in mein Zimmer und sagte ihm, er solle die Kiste in irgendeine Ecke stellen.
"Das Zimmer ist sehr schön, gehört es dir?", ich bildete mir ein ein bisschen Erfurcht in seiner Stimme zu hören. Seufzend setzte ich mich auf den Boden.
"Jetzt schon."
Er setzte sich neben mich. Seine Stimme hatte jeden Spott verloren, jetzt klang sie sanft und tröstend: "Du scheinst nicht sehr glücklich mit dem Umzug zu sein."
"Ich werds überleben."
Dann fing ich mich wieder, knuffte ihn in die Seite und grinste: "So du starker Mann, da du schon dabei bist, kannst du mir auch helfen die restlichen Kartons hochzubringen."
Er sprang auf, reichte mir die Hand und sagte: "Yes, Ma'am, wenn ich Ihnen vorher noch kurz aufhelfen dürfte?"
Ich stand ohne seine Hilfe auf und sagte: "Ein treuer Arbeiter muss sich auf seine Arbeit konzentrieren."
Er salutierte, "Yes Sir, äh ich meinte Madam... oder Miss?"
Wir lachten, "Ach egal, du weißt, was ich meine."
Ich rutschte vor ihm das Treppengeländer runter und rief: "Wer als letzter unten ist, ist eine lahme Ente!"
Als er aus dem Haus kam, saß ich schon gespielt gelangweilt auf einem Karton und gähnte: "Wo warst du denn? Ich warte schon seit Ewigkeiten!"
Er lachte und hob mich vom Karton. Empört rief ich: "Hey Sie Rowdy, lassen Sie mich sofort runter!"
Er gehorchte und bemerkte nebenbei: "Ma'am, ich muss anmerken, dass Sie sehr leicht sind, da muss man ja Angst haben, Sie zerbrächen gleich."
Ich schenkte ihm einen bösen Blick und sagte: "Versuch nur mich zu zerbrechen und ich breche dir etwas."
Er lachte, stellte die letzten zwei Kartons übereinander, hob sie hoch und ging wieder rein. Von Drinnen hörte ich noch: "Na dann kann ich ja beruhigt sein."
Ich setzte mich an den Straßenrand. Als er sich neben mich setzte fragte ich: "Mit wem habe ich hier eigentlich die Ehre?"
"Oh, wie unhöflich von mir", er nahm einen nichtvorhandenen Hut vom Kopf, deutete eine Verbeugung an und näselte: "Wenn ich mich vorstellen dürfte: Sir David, unwichtiger Schuhflicker. Meine Freunde nennen mich Dave. Und wie darf ich Mylady ansprechen?"
Ich lachte, sprang auf, machte einen Knicks und antwortete: "Prinzessin Katharina von Bad Oldesloe, schön Ihre Bekanntschaft zu machen."
Er grinste, "Da wir uns ja jetzt kennen, können wird die Formalitäten weglassen oder?"
"Ja klar. Auf welche Schule gehst du eigentlich?"
"Ostdorfer Gymnasium in Neumarkt. Und du?"
"Cool, da geh ich auch hin, aber erst in zwei Wochen, bis dahin muss ich hier noch alle Kisten auspacken und sowas."
"Oh, das klingt ja spaßig. Vielleicht kommst du ja in meine Klasse. In welchen Jahrgang gehst du?"
"In die Elfte."
Er stand jetzt auch auf, "Ja, das könnte sogar klappen. Du, ich quatsche wirklich sehr gerne mit dir, aber ich muss jetzt auch weiter, meine Mutter wartet auf ihr Brot."
Erst jetzt bemerkte ich die drei Brottüten in seinem Fahrradkorb.
"Oh klar, vielleicht sehen wir uns ja nochmal, bevor die Schule für mich anfängt."
"Kann gut sein, hast du morgen vielleicht Zeit? Ich könnte dich zu einer Probe von unserer Band mitnehmen."
"Nein leider nicht, ich bin schon von jemand anderem eingeladen."
Er sah ein bisschen enttäuscht aus, "Oh okay, dann vielleicht ein anderes mal."
Als er wegfuhr fiel mir ein, dass ich ja nicht mal seine Telefonnummer kannte. Ich rief ihm noch nach, aber wahrscheinlich hörte er mich nicht mehr. Mist, jetzt hatte ich schon einen netten Jungen kennengelernt, aber ich konnte mich nicht mit ihm in Verbindung setzen.
Typisch!

4
Am Sonntag war ich den ganzen Tag aufgeregt, da ich nicht wusste, was wir machen würden und mit wem, wusste ich auch nicht, was ich anziehen sollte, Später entschied ich mich für etwas Bequemes, einen Jeanslatzrock und ein gelbes T-shirt darunter. Ich musste nicht lange warten bis ich den riesigen Umriss von Ole sehen konnte, um ihn herum waren noch vier andere. Als sie näher kamen erkannte ich, dass es zwei Jungs und zwei Mädchen waren. Und einer von den Jungen war David. Als Ole mich sah, rief er: "Hey Kati!" Und sobald er in Reichweite war, grinste David mich an und sagte: "So sieht man sich wieder Mylady."
Ich lachte, knuffte ihn in die Seite und sagte: "Ich dachte, wir sind fertig mit den Formalitäten."
Überrascht fragte Ole: "Ihr kennt euch?"
David erzählte vom Vortag und danach stelle Ole mich allen vor. Das schüchterne Mädchen, das sich ihre langen blonden Haare zu zwei Zöpfen geflochten hatte war Lotta. Das andere Mädchen, mit den kurzen braunen Haaren hatte ein offenes, läcjelndes Gesicht und stellte sich als Karin vor. Sie war mir sofort sympatisch.
"Und das ist Basti.", stelle Ole den schmächtigen blonden Jungen vor, "So, da sich ja jetzt alle kennen, können wir ja los gehen."
Da fiel mir etwas ein: "Achja, wo gehen wir eigentlich hin?"
Alle schauten sich vielsagend an und fingen an zu grinsen, "Lass dich überraschen.", lachte Karin.
Die Jungs gingen vor und ich unterhielt mich mit Karin, Lotta ging eher abwesend nebenher. Ich erzählte, wo ich jetzt wohnte und auf welche Schule ich gehen würde. Es fiel mir nicht schwer mit Karin zu reden. Ihre lockere, offene Art steckte an, sodass wir sehr viel lachen mussten. Plötzlich rief Ole: "Da wären wir." Ich hatte kaum auf den Weg geachtet, jetzt standen wir vor einer alten Lagerhalle und ich schaute mich verwundert um. "Wo wären wir? Ich seh hier nichts, außer dieser Lagerhalle."
Lachend antwortete David: "Dann warte mal ab, was in

dieser Lagerhalle ist."
Plötzlich fiel mir ein, was er am Vortag zu mir gesagt hatte, es fiel mir wie Schuppen von den Augen und ich konnte einfach nur rufen: "Oh, mein Gott!"

5
Der Probenraum war einfach nur toll. Die Bühne, die mit schwarzem Teppich bezogen war, sah relativ profesionell aus.
"Wer hat den die Bühne gebaut?"
Nicht ohne stolz sagte Ole: "Na wir! Mit ein bisschen hilfe von Niklas, Davids Bruder und manchmal meinem Vater aber sonst haben wir alles alleine gemacht."
Ich schaute ihn verdutzt an , "Ernsthaft? Wie habt ihr das denn hingekriegt? Ihr seid ja richtig begabt."
Karin lachte: "Frag bloß nicht, gleich erzählen sie dir die ganzen handwerklichen Einzelheiten."
"Ich komm nochmal darauf zurück. Was spielt ihr denn für Musik?", fragte ich vorsichtig.
Ole musste über meinen misstrauischen Blick lachen: "Stehst du etwa nicht auf bayrische Volkslieder?"
Aber als David meinen erschrockenen Blick sah, warf er sofort ein, dass sie eine Rockband seien.
"Oh, wie toll!", ich konnte mich nicht zurückhalten, "Vielleicht könnt iht sogar mein Lieblingslied spielen!"
Während Basti auf die Bühne sprang und eine Decke von dem Schlagzeug zog, fragte er:
"Das könnte gut sein, was ist denn dein Lieblingslied?"
"Rock n Roll Quuen von-"
"Geht klar Kleine." Ole wuschelte mir durch die Haare.
"Hey, ich bin nicht klein, du bist hier der Riese!"
Lachend begaben sich nun auch Dave auf die Bühne. Ich warf einen Blick in Richtung Karin und Lotta, "Macht ihr nicht mit?"
"Nein", sagte Karin, "Wir sind nur Zuschauer, wir sind hauptsächlich mitgekommen, damit du nicht so allein mit diesen Rowdys dastehst."
Sie kicherte und flüsterte mir ins Ohr: "Ich glaube, Dave hat ein Auge auf dich geworfen."
Ich spürte, wie das Blut in meine Ohren stieg und sagte schnell: "Ach was, das bildest du dir bloß ein-"
"Ruhe bitte", rief David, "Meine sehr geehrten Damen, hier ist ein Lied für unseren Neuankömmling Kati. Wir wünschen viel Spaß."
Er verbeugte sich, und dann fing er an Gitarre zu spielen. Sie spielten einfach unglaublich. David war Gitarrist, Basti Bassist und Ole saß am Schlagzeug. Als das Lied vorbei war, jubelte ichund rief: "Wow, das war genial! Ihr seid echt gut. Wie nennt ihr euch eigentlich?"
Die drei schauten sich an und zuckten mit den Schultern, "Keine Ahnung", sagte Ole, "darüber haben wir uns noch nie Gedanken gemacht."
Die Probe machte sehr viel Spaß, während die Jungs übten, feuerten wir sie an, ich war genau in meinem Element. Nach der Probe gingen wir noch in ein Café, aßen Kuchen, redeten und lachten viel.
Plötzlich fragte Karin: "Kati, warum seid ihr eigentlich mitten im Schuljahr hergezogen?"
Alle Blicke richteten sich neugierig auf mich. Ich schaute auf meinen Erdbeerkuchen und sagte: "Unser Haus ist abgebrannt."
"Oh, wie ist das denn passiert?"
Ich wusste, dass das irgendwann kommen musste, und es war mir lieber jetzt, da alle zuhörten, als es immer wieder durchzukauen. Ich schluckte meinen Bissen runter, holte tief Luft und begann zu erzählen:
"Meine Geschwister und ich waren in der Schule, mein Vater bei der Arbeit. Meine Mutter war noch zu Hause, weil sie Krankenschwester war und Spätschicht hatte. Sie wollte das Mittagessen machen und stellte eine Pfanne mit Öl auf den Herd. Plötzlich klingelte das Telefon. Sie ging ran und vergaß über das telefonieren die Pfanne völlig. Als sie den Rauch bemerkte, stand der Herd schon in Flammen. Sie warf ein Handtuch rauf, um das Feuer zu ersticken, aber es war zu klein und fing Feuer. Brennendes Fett spritzte ihr ins Gesicht... Als .. als ein Nachbar die Feuerwehr rief, stand die erste Etage schon in Flammen. Sie fanden sie unten am Treppenabsatz mit schweren Verbrennungen und brachten sie sie natürlich sofort ins Krankenhaus. Ich wurde in der Schule angerufen. Meine Geschwister waren nicht erreichbar und mein Vater brauchte immer mindestens eine Stunde um nach Hause zu kommen... an jenem Tag stand er noch im Stau." Ich hatte nicht die Kraft weiter zu erzählen. Eine Träne tropfte in meinen Kakao und ich spürte, wie sich ein Arm um meine Schultern legte. Keiner traute sich etwas zu sagen.
"Mein Vater rief alle Verwandten an, und da mein Onkel erzählte, dass drei Häuser weiter ein altes Ehepaar aus einem gut erhaltenen Haus ausgezogen waren, und die Firma meines Vaters in Neumarkt auch eine Filiale hat, zogen wir kurzerhand hierher."
David, dessen Arm um meine Schultern lag, drückte mich noch etwas fester an sich und ich wehrte mich nicht.
"Das tut mir leid.", sagte KArin leise. Ich versuchte die Stimmung etwas aufzubessern und sagte: "Mhm.. dafür hab ich hier ein paar tolle Leute kennengelernt, und eine geniale Rockband."
Ole spielte und fragte: "Willst du das Stück noch essen?"
Ich musste lachen: "Okay, jetzt weiß ich, warum du so ein Riese bist, so viel wie du isst, muss sich das ja irgendwo absetzen."
Die traurige Atmosphäre war wie weggeblasen.
"Nein, er hat nur zu viele Fruchtzwerge gegessen.", lachte Dave.

*

Als ich um neunzehn Uhr nach Hause kam, waren die anderen noch nicht da. Ich nutzte die Ruhe, um mir ein ausgiebiges Bad zu nehmen, doch als ich fertig war, und sie immer noch nicht da waren, machte ich mir Sorgen. Es war jetzt schon zwanzig Uhr, ich rife meine Tante auf dem Handy an, doch keiner nahm ab. Vielleicht hatten sich sich verirrt, oder einer von ihnen hatte sich verletzt, aber warum riefen sie dann nicht an? Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich konnte niemanden anrufen... außer... Ich hatte auf dem Heimweg einen zettel mit Davids Handynummer in meiner Tasche gefunden. Ich wusste nicht, ob er selbst oder Karin ihn mir zugesteckt hatte, aber in dem Moment war mir das egal, ich musste mit jemandem reden. Also wählte ich kurzerhand die Nummer und wartete. das Tuten kam mir minutenlang vor.
"Ja hallo, hier ist David?"
"Hey Dave, äh.. hier ist Kati, ich wusste nicht, wen ich anrufen sollte, und ich fand einen Zettel mit deiner Nummer in meiner Tasche-",
"Kati was ist los?"
Ich war völlig verdutzt und wusste ein Sekunde lang nicht, was ich sagen sollte, doch dann platzte ich raus: "meine Familie ist in den Begren wandern gegangen, und sie sind immer noch nicht zu Hause! Vielleicht ist jemandem etwas passiert, oder ein wildes Tier hat sie angefallen, oder-"
"Beruhig dich erstmal, ich bin mir sicher, dass dein Onkel und deine Tante sich bestens in den Wäldern und Bergen auskennen, sie gehen öfter wandern. Und wenn ihnen etwas passiert wäre, hätten sie sicher angerufen."
Ich war den Tränen nahe, "Aber warum haben sie dann nicht abgenommen oder sich gemeldet?"
Ich hörte ein Hupen im Hintergrun und fragte: "Fährst du etwas gerade Auto?"
"Ja", sagte er mit einer beruhigenden, sanften Stimme, "warte, ich komme vorbei."
Ich wollte noch etwas einwenden, aber er hatte schon aufgelegt. Fünf Minuten später hörte ich ein Auto in der Einfahrt. Ich ging zur Tür, und als ich sie öffnete, stand David schon vor mir. Ich wollte gerade wieder anfangen mich aufzuregen, doch er schob mich ins Wohnzimmer und drückte mich auf die Couch. Er schien sich im Haus meines Onkels sehr gut auszukennen.
"Warte, ich hol dir erst mal was zu trinken und dann hörst du mir gut zu. Okay?", er sagte das sanft, aber trotzdem bestimmt. Ich konnte nur nicken. Als er mir ein Glas Wasser in die Hand drückte und mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass ich trinken sollte, fragte ich mich ernsthaft, woher er wusste, wo die Küche und die Gläser waren.
"Also", fing er an und setzte sich neben mich, "ich bin mir hunderprozentig sicher, dass es deiner Familie gut geht. Wahrscheinlich hat dein Onkel das ahndy nur ausgemacht, weil er nicht von der Firma angerufen werden wollte, das macht er jedesmal. Und deine Tante hat nicht abgenommen, weil sie in einem Gasthasu sind. Das ist übrigens auch der Grund dafür, dass sie noch nicht da sind."
Ich schaute ihn fassungslos an.
"Woher weißt du das? Und wieso kennst du dich hier so gut aus?"

*

"Ich war hier mal Babysitter, das ist alles. Und du brauchst dir jetzt keine Sorgen zu machen."
"Hmm..", ich nahm noch einen Schluck Wasser und dachte nach, "ich vertraue dir mal.."
Seine Miene hellte sich auf.
"Das ist schön."
Es schien ihm viel daran zu liegen. Dann fiel es mir ein: "Jetzt erzähl mir mal, wohin du gerade unterwegs warst, dass du einfach so mal den Kurs wechseln kannst."
Er lachte und sagte: "Ich war gerade auf dem Weg nach Hause, weil ich noch bei Ole war."
"Achso", sagte ich verlegen, "und was meinst du, wann die anderen wiederkommen? Es ist halb neun und ich mag nicht alleine sein."
"Meistens kommen sie um zehn oder so. Ich kann mit dir warten, wenn du möchtest."
Ich wollte es gerne, aber trotzdem erwiderte ich: "Das musst du nicht! Du bist bestimmt schrecklich müde. Ich kann auch alleine warten, wirklich!"
Er lächelte, "Schon gut, ich bleibe trotzdem."
Ich stand auf und ging in die Küche, "Hast du Hunger?"
Er kam hinterher, grinste mich an und sagte: "Bärenhunger" Ole wollte mich mit Fruchtzwergen mästen."
Ich lachte und fragte ihn, was er essen wollte.
"Alles was Sie kochen, Madam. Kann ich Ihnen behilflich sein?"
Ich drückte ihm eine Paprika in die Hand und sagte: "Wir machen Pizza, okay?"
Er war einverstanden und machte brav alles was ich ihm sagte. Als dann die Pizza im Offen backte, setzten wir uns ins Wohnzimmer und er fragte, ob wir nicht einen Film schauen wollten.
"Gerne, ich weiß nur nicht, wo Peter die versteckt hat."
David stand auf, öffnete wie selbstverständlich einen Schrank und präsentierte mir die größte Disneyfilm-Sammlung, die ich je gesehen hatte. Ich lachte: "Disneyfilme, wie süß! Wollen wir 'Ariell die Kleine Meerjungfrau' gucken?"
Er grinste mich an, "Wie Sie wünschen."
Also guckten wir Ariell und aßen Pizza. Ich war total entspannt, aber jedes mal, wenn wir uns aus Versehen berührten ging ein Ziehen durch meinen Bauch, sodass ich meine Hand schnell wieder wegzog. Als der Film vorbei war, war es schon halb zehn und ich wurde langsam müde, aber ich wollte nicht ins Bett gehen bevor meine Familie da war. Der Fernseher ging aus und wir saßen im Dunkeln nebeneinander auf dem Sofa. Es kam mir vor, als knisterte die Luft, und ich atmete ganz leise. Ungefähr eine Minute lang sagte keiner etwas, dann fasste ich mir ein Herz und flüsterte: "Und was machen wir jetzt?"
Ich spürte wie er aufstand und merkte, wie eine kleine Welle der Enttäuschung in mir hochstieg. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich war für ihn nur eine Freundin. Wahrscheinlich ging er mit allen Mädchen so um. So herzlich. Besorgt. Sanft. Ich redete mir ein, dass ich mir diese Spannung zwischen uns in der Dunkelheit nur eingebildet hatte. Wunschdenken. Er machte das Licht an und ich war für einen kurzen Moment geblendet, sodass ich die Augen schließen musste. Als ich sie wieder öffnete, war es wieder Dunkel und ich war verwirrt. Plötzlich ging auf der Ablage neben mir eine kleine Tischlampe an. Ein angenehmes weiches Licht durchflutete jetzt den Raum. David setzte sich wieder neben mich. Plötzlich rutschte mir eine Frage raus: "Magst du mir was vorsingen?"
Er schaute mich verdutzt an und ich bereute es sofort. Ich spürte wie das Blut in meine Wangen schoss und murmelte sofort: "Schon gut, tut mir leid."
Er lächelte, "Nein ist schon gut, ich singe dir gerne was vor, aber warte kurz."
Damit stand er auf und ging aus dem Zimmer. Ich fragte mich, was er wohl machen wollte, als ich die Haustür hörte. Warum ging er nach draußen? Hatte ich ihn vergrault? Ich hörte eine Autotür knallen und keine dreißig Sekunden später kam er mit einer Gitarre wieder ins Wohnzimmer. Ich musste gähnen und er fragte lächelnd: "Soll ich dir ein Schlaflied spielen?"
"Wenn du magst", murmelte ich. Erst jetzt merkte ich, wie erschöpft ich war. Er setzte sich und fing an zu spielen. Es war wundervoll.. ich schlief ein.

Ich wurde von dem Geräusch der Haustür geweckt. Mein erster Gedanke war: Ist er gegangen?

Da hörte ich eine überraschte Stimme: "Oh hallo David, was machst du denn hier?"
Es war meine Tante. Dave flüsterte: "Sie hat sich Sorgen gemacht, als ihr noch nicht da wart und hat mich angerufen. Ich wusste natürlich wo ihr wart, aber sie klang so panisch, da dachte ich, ich komme am besten her. Wir haben uns eine Pizza gemacht und einen Film geguckt und vor einer halben Stunde ist sie eingeschlafen."
"Achso", flüsterte jetzt auch meine Tante, "vielen Dank, ich hätte wirklich anrufen sollen, aber ich dachte, sie kommt ganz gut alleine klar. Es tut mir so leid-"
"Ich glaube so schlimm war es gar nicht, du solltest dir keine Vorwürfe machen."
Sie bedankte sich noch einmal und fragte dann: "Soll ich dich nach Hause fahren?"
"Nein danke, so weit ist es nicht, die drei Straßen schaffe ich auch alleine."
"Nagut.", brummte jetzt mein Onkel, ich nahm an, dass mein Vater Natalie ins Bett brachte. Ich hörte wie die Haustür zu ging und nahm meine ganze Kraft zusammen um aufzustehen, denn ich hatte keine Lust auf der Couch im Wohnzimmer zu schlafen. Ich merkte, wie meine Tante was sagen wollte, aber als sie sah, wie müde ich war, ließ sie mich in Ruhe. Ich träumte sehr schön.

6
"Guten Morgen Kati!",
wurde ich am nächsten Morgen gut gelaunt von meiner Tante empfangen, "Gut geschlafen?"
Ich schielte sie verschlafen an,
"Ja, sehr gut sogar."
Mir entging nicht, wie sie einen vielsagenden Blick mit meinem Onkel wechselte. Mein Vater war schon arbeiten und meine Geschwister in der Schule. Für sie fing die Schule früher an, weil sie den ganzen Tag nichts zu tun hatten. Ich setzte mich und Peter stellte mir eine Tasse Kaffee hin.
"Peter, du weißt doch, dass ich keinen Kaffee trinke."
Er schaute mich grinsend an.
"Und ich verstehe immer noch nicht wieso. Du bist morgens immer so verpennt."
Ich stand wortlos auf, ging ins Badezimmer, ließ das Waschbecken mit eiskaltem Wasser volllaufen, steckte meinen Kopf hinein und kam mit tropfendem Gesicht wieder in die Küche.
"Seh ich immer noch müde aus?"
Beide lachten.
"Außerdem ist Kaffee erstens nicht gut fürs Herz und zweitens bekommt man davon gelbe Zähne."
Den letzten Punkt unterstrich ich mit einem breiten Grinsen, sodass alle meine strahlend weißen Beißerchen zu sehen waren. Meine Tante lachte,
"Na da ist jemand aber gut gelaunt. Das hat nicht zufällig etwas mit dem gestrigen Abend zu tun?"
Ich merkte wie das Blut in mein Gesicht stieg, schaute schnell auf meinen Teller und steckte mir ein Stück Pfannkuchen in den Mund. Lena lchte wieder, schaute auf die Uhr und sagte dann: "Schatz, du musst los, sonst kommst du zu spät!"
Peter sprang auf, drückte seiner Frau einen Kuss auf die Wange und eilte hinaus. Während ich aß, schaute ich nicht auf, aber ich merkte wie der neugierige Blick von Lena auf mir ruhte. Ich kaute meinen letzten Bissen bedächtig, schluckte, trank einen Schluck Milch und blickte endlich in das ungeduldige Gesicht meiner Tante. Dann platzte es aus ihr heraus: "Was war da eigentlich gestern?"
Ich dachte nach. Was sollte ich ihr erzählen?
"Ähm.. David hat es dir doch schon gesagt. Ich hatte Panik, rief ihn an und er kam vorbei."
Doch sie gab sich damit nicht zufrieden.
"Und?"
Ich stellte mich unwissend: "Was und?"
"Empfindest du du was für ihn?"
Mist. Jetzt hatte sie das ausgesprochen, was ich die ganze Zeit ohne Erfolg versucht hatte zu verdrängen.
"Ähm.. ich weiß nicht genau.. ich glaube schon."
Sie grinste selbstzufrieden, das gefiel mir gar nicht. Ganz unschuldig sagte sie: "Achso, okay. Ähm, soll ich dir im Haus helfen?"
Der Themenwechsel verwirrte mich völlig.
"Was? Öhm, nein, ich muss nur noch ein paar Bücher einräumen und Natalies Schrank zusammen schrauben. Das schaffe ich auch alleine, aber danke."
"Nagut."

*

Die Arbeit war schnell getan und ich langweilte mich. Ich ging in mein Zimmer, das außerordenlich kahl war mit seinen weißen Wänden und ohne Poster oder Fotos an der Wand. Ich überlegte, ob ich es streichen sollte, aber das konnte auch warten. Nach kurzen Überlegungen und nachdem ich den Weg auf einer Karte erkundet hatte, entschied ich mich dazu mit dem Fahrrad nach Neumarkt zu fahren um meine neue Schule zu begutachten (und vielleicht meine neuen Freunde zu treffen). Natürlich hatte ich das Pech genau dann einzutreffen, als gerade große Pause war, sodass mich viele Leute neugierig anschauten. Ich wusste nicht was ich machen sollte, also entschied ich mich dazu, das Sekretäriat zu suchen um zu fragen, ob ich früher zur Schule gehen durfte. Ich schaute mich um, ob ich jemanden den ich kannte sah, da hörte ich schon die fröhliche Stimme von Karin: "Hey Kati, was machst du denn hier? Ich dachte du fängst erst nächste Woche an!"
Spätestens jetzt richteten sich alle Augen auf mich. Ich versuchte die Blicke zu ignorieren und sagte locker: "Ja, dachte ich auch, aber da ich fertig im Haus bin und keine Lust habe mich eine Woche lang zu langweilen, dachte ich, ich frag mal nach, ob ich früher kommen kann. Könnt ihr mir das Sekretäriat zeigen?"
Die anderen, also Ole, Basti und Lotta waren auch da, aber David konnte ich nirgends entdecken. Ich unterdrückte den Drang nach ihm zu fragen. Mit ihrer herzlichen Art hakte Karin sich bei mir unter und führte mich quer über den Schulhof zum Schulgebäude. Drinnen war es völlig still, die anderen mussten draußen warten, damit es nicht komisch aussah, wenn ein Haufen Schüler ins Sekretäriat spazierte. Meine Freundin klopfte laut an die Tür und trat dann ohne zu wareten ein.
"Hallo Frau Schmidt, das hier ist-"
"Katharina Sperling."
Als ich sie unterbrach, schaute Karin mich erst verdutzt an und grinste dann. Sie wusste, dass ich keinen Sprecher brauchte. Die nette alte Frau mit den ungefähr fünf Zentimeter dicken Brillengläsern lächelte mich an und sagte: "Oh hallo, ich habe erst in einer Woche mit dir gerechnet. Was kann ich für dich tun?"
"Äh ja, ich wollte fragen, ob ich früher anfangen könnte, weil mit dem Umzug schon alles geklärt ist und ich mir dachte, dass es besser wäre, je früher ich wieder zur Schule gehen könnte."
Die Augen, die durch die Brillengläser riesig waren, schauten mich erstaunt an,
"Oh, das ist aber schön. Wenn du möchtest kannst du diese Woche bei deiner Klasse Probeunterricht machen und dann am Montag richtig anfangen. Es würde dann jetzt gleich losgehen."
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte es mir nochmal überlegen, aber Karin rief schon: "Oh, das ist super, dann können wir dir hier alles zeigen!"
Beide schauten mich erwartungsvoll an, also nickte ich und bedankte mich. Wir drehten uns schon um und wollten gehen, da hielt meine Freundin nochmal inne.
"Noch eine Frage Frau Schmidt, hat David Sprinkler sich heute bei Ihnen abgemeldet?"
"Ja." Jemand anderes hätte natürlich nachgefragt, warum sie fragte, aber Frau Schmidt war nicht so. Wir gingen raus und in dem stillen Flur konnte ich mir die Frage nicht mehr verkneifen.
"Wieso? Wo ist Dave?"
Irgendwie ist mir klar gewesen, dass sie grinsen würde, aber ich ignorierte es einfach und schaute sie fragend an.
"Er hat mir heute morgen eine SMS geschickt, in der stand, dass er verschlafen hat und heute mal nicht zur Schule kommen würde."
Sie kicherte, "Also, wenn er gewusst hätte, dass du kommen würdest, wäre er sicher noch im Pyjama angerannt gekommen."
Ich spürte wie das Blut in mein Gesicht schoss und murmelte: "Ach was, was du dir immer einbildest."
Mittlerweile waren wir wieder bei den anderen auf dem Schulhof und Ole fragte laut: "Was bildet sie sich ein?"
Ich versicherte ihm, dass niemand sich irgendwas einbildete und wir ließen das Thema ruhen, da es klingelte.

*

Mathe war für meine Freunde die dritte Stunde, für mich die erste. Die Lehrerin war sehr sympathisch. Ich stellte mich kurz der Klasse vor, und setzte mich dann an einen leeren Doppeltisch, da die anderen Plätze schon besetzt waren. Ich kam eigentlich ganz gut mit und freute mich, dass ich nicht so viel nachzuholen hatte. Danach hatten wir Französisch, was schon etwas schwieriger war, weil sie hier eine Lektion weiter waren als wir in Bad Oldesloe. Karin sagte mir, dass wir heute nur fünf Stunden hätten, weil ein Lehrer krank war. In der zweiten großen Pause fragte Lotta, die den ganzen Tag noch nichts gesagt hatte, wo denn David sei.
"Verschlafen", antwortete Karin, "wahrscheinlich hat er gestern so viel Mist mit Ole gebaut, dass er so aufgedreht war, dass er nicht mehr schlafen konnte."
Sie warf Ole einen missbilligenden Blick zu, doch der beteuerte: "Im Gegenteil! Er war gestern total abwesend, starrte die ganze Zeit vor sich hin und als ich ihn aus Spaß gefragt hab, von wem er denn träume, wurde er ganz rot und sagte, ich solle keinen Mist reden."
Ich hatte das Gefühl, dass Lotta etwas säuerlich aussah, als ich schuldbewusst sagte: "Ich glaube, das war eher meine Schuld."
Alle schauten mich überrascht an und Basti war derjenige der fragte: "Wie kommst du denn darauf?"
"Ich hatte gestern Panik, und weil jemand", ich schaute demonstrativ in Karins Richtung, "seine Handynummer in meine Tasche gesteckt hatte und ich nicht wusste wen ich sonst anrufen sollte, hab ich ihn einfach angerufen und er bestand darauf vorbeizukommen."
Karin platzte heraus: "Wieso hattest du denn Panik? Was war denn los?"
Das war mir peinlich. Ich schaute auf den Boden und murmelte: "Als die anderen um neun noch nicht da waren, hab ich Panik bekommen, weil ich gedacht habe, ihnen wäre etwas passiert. Ich wusste ja nicht, dass sie nach dem Wandern noch irgendwo anders hingehen. Da ist David sofort gekommen um mich zu beruhigen und weil er mich danach nicht alleine warten lassen wollte, haben wir uns eine DVD angeschaut. Deswegen ist er erst gegen elf Uhr nach Hause gegangen, als die anderen gekommen sind, aber da habe ich schon geschlafen."
Jetzt sah Lotta wirklich sauer aus. Ich verstand nicht wieso, aber als sie gerade den Mund öffnete um etwas zu sagen, flüsterte Karin ihr etwas zu laut ins Ohr: "Halt dich zurück, sie kann nichts dafür!"
Nun verstand ich gar nichts mehr, aber da es klingelte, ging das unter. Ich folgte Ole und Basti in die Klasse und bemerkte erst dort, dass Karin und Lotta noch draußen sein mussten. Ich entschied mich, mich da raus zu halten und setzte mich. Nach Englisch stiegen die anderen in den Bus. Ich verabschiedete mich und sprang aufs Fahrrad. Auf dem Rückweg hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich ließ die mir letzten Tage noch einmal durch den Kopf gehen und kam zu dem Schluss, dass ich hier glücklich werden könnte.

7

Zu Hause erzählte ich meinem Vater erstmal, dass ich schon am nächsten Tag zur Schule gehen würde, und dass wir jetzt in unserem neuen Haus wohnen könnten. Er umarmte mich und sagte: "Das machst du ganz toll, Süße. Vielen Dank. Es tut mir leid, dass ich nicht sehr hilfreich war-"
"Ach quatsch! Du weißt, dass mir das gar nichts ausmacht. Ich kriege das auch ganz gut alleine hin." Ich grinste ihn an, "Und außerdem habe ich auch schon ein paar tolle Leute kennen gelernt. Ich bin glücklich."
"Das ist super. Ich hoffe wir werden hier alle glücklich."

Die erste Nacht in meinem neuen Himmelbett war merkwürdig. Ich lag bis zwei Uhr nachts wach und betrachtete die Sterne, die ich durch das Panoramafenster sehen konnte. Ich nahm mir vor die weißen Wände am nächsten Tag nach der Schule zu streichen. Ob David morgen wohl in der Schule sein würde? Ich dachte an unseren kuscheligen Abend zurück und schlief mit dem schönen Gedanken ein, dass es solche Abende in Zukunft vielleicht öfter geben würde.

*

Ich war überrascht, als es am nächsten Morgen um sieben Uhr klingelte und David vor der Tür stand.
"Die anderen haben mir erzählt, dass du früher in die Schule kommst und da ich gestern keine Chance hatte dich zu fragen, dachte ich, ich schau mal vorbei." Er grinste mich an und ich war für zwei Sekunden verzaubert. Als ich mich fing, fragte er: "Willst du mit in unserer Fahrgemeinschaft fahren? Ich fahr mit dem Auto meines Bruders und da wir noch einen Platz frei haben-"
"Gerne", unterbrach ich ihn, "aber bist du nicht etwas zu früh?"
Verlegen sagte er: "Ja, ich wusste ja nicht, ob du geplant hattest mit dem Fahrrad zu fahren. Ich kann auch wieder gehen und komme dann in einer halben Stunde nochmal vorbei."
Ich versicherte beinahe schon hysterisch: "Nein!... Ich meine das ist kein Problem für mich, komm doch rein."
Als ich die Tür weiter öffnete und zur Seite trat um ihn herein zu lassen, fiel mir ein, dass ich noch im Pyjama war, weil ich gerade gefrühstückt hatte. Ich ging zur Treppe und sagte im Gehen: "Setz dich doch ins Wohnzimmer, ich zieh mich schnell an."
Während ich vor meinem Kleiderschrank stand und mir dem Kopf darüber zerbrach, was ich anziehen sollte, rief er von unten herauf: "Lass dir ruhig Zeit, ich wollte nicht, dass du wegen mir hetzen musst."
Da es schon morgens ziemlich heiß war, entschied ich mich für einen luftigen grünen Rock und antwortete: "Schon gut, ich hab sowieso getrödelt. Gut, dass du mich erinnerst mich zu beeilen."
Ich griff mir ein weißes Top, zog es schnell über meinen Kopf, nahm mir noch das silberne Armbändchen, dass mir meine beste Freundin Donata zum Abschied geschenkt hatte, ung ging runter.
"Kannst du mir mal helfen, das zu zumachen?"
Ich hielt ihm meine Hand hin. Er machte das Bändchen fest und stand dann von der Couch auf. Ich übersah nicht den schnellen, prüfenden Blick, den er meinem Outfit schenkte und musste grinsen, als er beiläufig bemerkte, dass ich heute sehr schön aussähe. Ich ging in die Küche, fragte ihn, ob ich ihm einen Kaffee anbieten könne und setzte mich wieder an meine Cornflakes, als er ablehnte. Ich spürte seinen Blick und als ich aufblickte bestätigte sich mein Gefühl. Er beobachtete mich aufmerksam. Dann, als wäre er aus einem Tagtraum erwacht, fragte er: "Wo sind eigentlich deine Geschwister und dein Vater?" Nachdem ich meinen letzten Bissen zu Ende gekaut und geschluckt hatte, stand ich auf um meine Schüssel in die Spülmaschine zu stellen.
"Mein Vter ist schon arbeiten und meine Geschwister in der Schule. Mein Bruder geht auf die Realschule. Ich geh jetzt schnell Zähne putzen und dann können wir los, okay?"
Während ich meine Zähne putzte und Haare kämmte, stand er im Türrahmen und beobachtete mich wieder. Es war mir unangenehm, dass er warten musste, also beeilte ich mich. Als wir endlich losgingen fragte ich mich, wo das Auto war. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte er: "Wir müssen noch kurz zu mir, um das Auto und meinen Bruder abzuholen."
Also gingen wir zu ihm. Er wohnte wirklich nur drei Straßen weiter. Ein etwas älterer, gutaussehender Junge öffnete die Tür, lächelte mich freundlich an und sagte: "Hi, ich bin Niklas, und du musst Katharina sein."
Ich entgegnete: "Du kannst mich Kati nennen, schön dich kennenzulernen."
Niklas warf David einen vielsagenden Blick zu und dieser bekam plötzlich einen hochroten Kopf und schaute auf den Boden. Ich musste grinsen, knuffte Dave in die Seite und fragte: "Wollen wir jetzt los, oder habt ihr noch was zu erledigen?"
"Klar", sagte er, nun wieder ganz locker, "ich hol nur noch schnell meine Tasche. Zwei Sekunden."
Er sauste ins Haus und Niklas fragte mich, ob ich auch Geschwister hätte. Ich hatte das Geühl, dass er es schon wusste, antwortete aber trotzdem: "Ja, eine sechsjährige Schwester und einen zwölfjährigen Bruder."
"Achso, schade."
Ich schaute ihn verwundert an.
"Wieso schade?"
Er lachte: "Wäre ja möglich, dass du noch eine große Schwester hast, die genauso hübsch ist wie du."
Ich spürte wie das Blut in meine Ohren schoss und lachte: "Achwas, du bist ein Schleimer!"
In dem Moment kam David wieder.
"Worüber lacht ihr denn?"
"Ach nichts", sagte sein Bruder, "ich hab mich nur erkundigt, ob sie eine Schwester hat, bei der ich Chancen hätte."
Ich war wie verzaubert, als Dave mich anzwinkerte und grinsend sagte: "Naja, 'ne Chance hätte er vielleicht, aber ich weiß nicht, ob dabei das rauskommt, was er sich erhofft."
Ich rief gespielt empört: "David! Keine versauten Witze mit Minderjährigen okay?"
Lachend stiegen wir in den schwarzen Mercedes, der sieben Sitze hatte. David saß am Steuer, Niklas auf dem Beifahrersitz und ich hinten. Erstaunt fragte ich: "Niklas, das ist dein Auto?"
Nicht ohne Stolz antwortete er: "Ja, Dave und ich haben zusammengelegt, aber ich hab den Großteil bezahlt."
"Wow.", war das einzige was ich sagen konnte, zur sichtlichen Zufriedenheit der Brüder.
Als erstes holten wir Lotta ab. Sie beäugte mich argwöhnisch, murmelte ein kurzes "Morgen" und setzte sich dann so weit wir möglich von mir weg. Niklas flüsterte David etwas ins Ohr, dieser guckte sofort ernst und sagte ungewohnt kalt: "Morgen Lotta."
Damit war die Begrüßung beendet. Als Ole als nächstes abgeholt wurde, war die Stimmung wieder etwas lockerer, er machte die ganze Zeit Scherze, sodass alle außer Lotta lachten, als wir Karin abholten. Sie war überglücklich, dass ich da war, begrüßte mich herzlich mit einer Umarmung und wir zwei setzten uns nach ganz hinten. Sobald Basti im Auto war, nahmen wir Kurs auf Neumarkt. Basti, der in der Mitte saß, unterhielt sich angeregt mit Ole, über irgendeine Rockband, David konzentrierte sich auf die Straße, Niklas machte manchmal irgendwelche Bemerkungen wie "Pass in der Kurve auf" oder "Nicht so schnell". Lotta schaute abwesend aus dem Fenster und ich unterhielt mich mit Karin.
"Wie hast du das mit dem abholen geklärt? Hat er dich angerufen oder du ihn? Ach übrigens, du siehst toll aus heute. Hat Dave das erwähnt?"
Sie fragte mich leise aus, und ich musste lachen.
"Karin, reg dich mal ab, ja er hat gesagt, dass ich heute gut aussehe, aber das muss nichts zu bedeuten haben."
Ich sah das Funkeln in ihren Augen und machte mich schon gefasst, als Niklas laut sagte: "Liebe Fahrgäste, thank you for traveling with Sprinkler Carlines. Ausstieg beidseitig."
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir schon auf dem Schulparkplatz waren. Wir stiegen aus und Niklas sagte zu David: "Ich hab heute zwei Stunden länger als ihr. Wartet ihr oder fahrt ihr mit dem Bus?"
Karin sagte sofort: "Also ich habe nichts dagegen zu warten. Wir können doch in die Stadt und ein Eis essen oder so. Oder was denkt ihr?"
Wir stimmten ihr alle zu und so gingen wir zum Biologieunterricht. Es stellte sich heraus, dass der leere Platz neben mir David gehörte. Er saß nur allein, weil er das Schuljahr eine Woche später angefangen hatte, sodass die anderen Plätz schon besetzt waren, als er gekommen ist. Ich konnte mich kaum konzentrieren, weil ich die ganze Zeit den Drang hatte ihn anzuschauen. Seine Braunen Haare glänzten so schön im Licht. Seine braunen, leuchtenden Augen mit dem weichen Blick... seine markanten Züge, die Nase, die weiche, reine Haut, die sich über seine Wangenknochen spannte. Er war wunderschön. Er schaute mich an, schaute den Lehrer an, der mit einer eintönigen, schläfrigen Stimme irgendetwas über Hormone erzählte, verdrehte die Augen und grinste mich frech an. Ich lächelte und machte mir dann ein paar Notizen über die Schilddrüse, damit ich zu Hause nicht vor einem völlig leeren Ordner saß. Als ich wieder aufblickte, schaute David schnell wieder nach vorne und tat so, als würde er zuhören. Ich drehte mich zu Karin um, die eine Reihe hinter mir saß. Sie grinste mich an, formte mit den Fingern ein Herz und hielt es so, dass Dave und ich nebeneinander darin waren. Ich wurde rot, guckte sie missbilligend an und tat dann so, als würde ich etwas ganz interessantes in meinem Ordner nachlesen. Sie musste lachen.
"Karin, was gibt es denn da zu lachen? Kannst du uns an deinem Spaß teilhaben lassen?"
Sie antwortete unschuldig: "Nein, Herr Sobczak , ich musste nur an einen lustigen Film denken, indem eine Frau eine schiefe Nasenscheidewand hatte, sich verschluckte und alles aus der Nase wieder heraus kam."
Herr Sobczak lachte einmal kurz auf, und sagte dann: "Das ist wirklich lustig, aber es hat nicht viel mit dem aktuellen Thema zu tun, bittte konzentriere dich wieder auf meinen Vortrag."
"Ja, Herr Sobczak.", antwortete sie brav und tat dann so, als würde sie gespannt zuhören. Der Lehrer fuhr fort. Ole zeigte Karin einen Daumen und sie grinste ihn an.

*

In der großen Pause fragte Ole alle, was sie heute machen würden.
"Ich geh mit Lotta Tennis spielen", sagte Karin, "Kati, möchtest du vielleicht mit?"
Lotta schaute sie böse an, und als ich antwortete, dass ich leider keine Zeit hätte, weil ich mein Zimmer streichen wollte, wirkte sie erleichtert. Ich fragte mich einmal mehr, was sie gegen mich hatte.
"Cool, wir können dir ja helfen! Mit ein paar starken Männern an deiner Seite wirst du bestimmt schneller fertig.", schlug Ole vor. Dave ging sofort darauf ein: "Ja, das macht bestimmt Spaß-"
"Ich kann heute nicht, ich muss zur Fahrschule.", unterbrach Basti ihn.
Ich beteuerte, dass es nicht nötig wäre, aber David und Ole bestanden darauf, mir zu helfen. Also war es abgemacht.
Nach der Schule gingen wir wie besprochen Eis essen und hatten viel Spaß. Als wir gerade auf dem Rückweg zur Schule waren, klingelte Oles Handy und nachdem er aufgelegt hatte, sagte er: "Tut mir leid, aber ich kann heute doch nicht mitkommen. Meine Mutter hat sich irgendwie den Knöchel verstaucht und jemand muss meine kleine Schwester vom Kindergarten abholen."
"Achso", ich konnte die Enttäuschung nicht verbergen, "ist schon okay, dann mach ichs halt alleine."
Ich überhörte nicht die Freude in ihrer Stimme als Lotta sagte: "Oh, das ist aber schade."
Karin warf ihr einen warnenden Blick zu, doch die freudige Miene von Lotta verfinsterte sich sofort als David anbot: "Achwas, ich kann dir auch ohne Ole helfen, alleine wirst du heute doch nicht fertig."
Halbherzig versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass er das nicht brauche, aber er bestand darauf mir zu helfen. Was mich natürlich sehr freute. Niklas wartete schon am Auto und diesmal fuhr er. Karin schaute mich vielsagend an und ich konnte sie nicht davon abhalten sich auf den Beifahrersitz zu setzen und David dazu zu bringen, sich zwischen mich und Lotta zu setzen.
In den Kurven lehnte sich Lotta übertrieben zu Dave hin und spielte mit ihren langen blonden Haaren. David beachtete sie gar nicht und versuchte sich mit mir zu unterhalten. Ich war natürlich sehr glücklich, wollte mich aber nicht zwischen die beiden drängen, also antwortete ich immer nur kurz angebunden mit "Ja", "Nein", "Cool" oder "Achso". Nachdem wir Basti abgesetzt hatten, ging David dazu über sich mit Ole über Fußball zu unterhalten. Da Karin mit zu Lotta kam, musste Ole als nächstes aussteigen. Eine drückende Stille machte sich im Auto breit. Karin unterbrach sie, indem sie mich fragte: "Und in welcher Farbe willst du dein Zimmer streichen?"
"Ich glaub ich hab im Keller irgendwo Eimer mit grüner Farbe gesehen. Und da ich die Farbe so schön frisch und hell finde, denke ich mal grün."
Ich wendete mich an David: "Aber wenn die Farbe nicht da ist, müssten wir nochmal zum Baumarkt. Ich hoffe, das macht dir nichts aus."
Es machte ihm nichts aus. Es kam mir vor, als ließe Lotta uns nur widerwillig zu zweit auf der Rückbank zurück. Als ich mich mit einer Umarmung von Karin verabschiedete, flüsterte sie mir "Mach dich ran, Süße!" ins Ohr und grinste mich an. Ich knuffte sie in die Seite und stieg lachend wieder ins Auto. Lottas Haus (oder eher Villa) war abseits, sodass wir ungefähr zehn Minuten zu den Sprinklers fahren mussten. Ich unterbrach die kurze Stille mit einer Frage, die mir schon seit dem letzten Tag auf der Zunge lag: "Du David, kann es sein, dass...",
er schaute mich neugeirig an, "Ja?"
"Kann es sein, dass Lotta irgendwie... was von dir will?"
Niklas prustete los und Daves Miene verfinsterte sich. Ich bereute die Frage sofort und murmelte schnell: "Tut mir leid-"
"Nein", unterbrach er mich, "schon gut, du hast ja Recht. Sie will schon seit der fünften Klasse was von mir. Früher waren wir besser befreundet, doch als sie mir in der achten Klasse beichtete, dass sie in mich verliebt ist, hab ich ihr erklärt, dass ich sie eher als Schwester und Freundin liebe. Das hat sie eine Zeit lang aus der Bahn geworfen, doch später ging es wieder. Das einzige Problem ist, dass sie sehr eifersüchtig sein kann."
Ich wollte fragen, ob sie denn auch einen Grund dazu hätte, hielt mich dann aber zurück und beschränkte mich auf ein kurzes "Achso."
Dann ergriff Niklas das Wort: "Katilein, lass dich davon nicht beeinflussen. Es ist nicht deine Schuld, dass sie dich so abblockt. Es geht ihr eher um Dave, ich glaube es gefällt ihr nicht, wie ihr euch immer anguckt."
David und ich wurden rot und betrachteten eingehend unsere Schuhe. Niklas lachte und murmelte etwas, das sich verdächtig nach "Kinder" anhörte. Als wir bei ihrem Haus angekommen waren, fragte er: "So. Braucht ihr das Auto, oder soll ich euch fahren?"
Sofort meinte Dave: "Wir müssen vielleicht noch zum Baumarkt, ich nehm das Auto."
"Okay."
Wir drei stiegen aus, Niklas klatschte seinen Bruder ab und flüsterte ihm etwas ins Ohr, sodass dieser wieder rot wurde, ihn in die Seite knuffte und schnell "Tschüss Bruder" sagte. Ich verabschiedete mich auch und setzte mich auf den Beifahrersitz.

*

Wir fanden die Eimer im Keller. Gerade als wir alles abgeklebt hatten und anfangen wollten zu streichen, kam mein Vater nach Hause. Er schaute kurz ins Zimmer und sah wie wir beide gerade lachten, weil wir uns gegenseitig mit grüner Farbe eine Kriegsbemalung verpasst hatten. Er grinste und fragte: "Kommt ihr zu Recht, oder soll ich euch helfen?"
"Ich glaub, wir kriegen das auch alleine hin, aber danke Papa. Das ist übrigens David."
Ich legte meinem Indianerfreund einen Arm um die Hüfte, weil ich zu klein war, um ihn um seine Schulter zu legen. Dave stellte sich, gut erzogen wie er war, mit einem "Hallo, ich helfe Ihrer Tochter heute ein bisschen" vor, und mein Vater verabschiedete sich wieder. Von hinter der Tür hörten wir noch wie er lachte: "Aber versucht mehr Farbe auf die Wand zu bringen, als auf eure Gesichter."
Ich grinste David an und sagte: "Ist bestimmt ein toller erster Eindruck."
Er verpasste mir noch einen Strich im Gesicht und sagte dann: "Okay, lass uns anfangen, sonst werden wir gar nicht mehr fertig heute. Zum Glück haben wir nur drei Wände zu streichen."
Wir lachten beide und machten uns an die Arbeit. Es machte riesig viel Spaß. Als wir endlich fertig waren, gingen wir noch einen Kakao trinken, wir hielten beide nicht viel von Kaffee.
Am Ende des Tages ging ich bei meiner Tante schalfen, weil die Farbe noch trocknen musste und es in meinem Zimmer noch ziemlich nach Farbe stank. Ich schlief ausgezeichnet.

8

Während dem Rest der Woche versuchte ich Lotta näher zu kommen und ihr nicht zu viele Gründe zu geben sich über mich zu ärgern. Dabei war es unumgänglich David nicht so oft anzuschauen und mich möglichst nicht neben ihn zu stellen oder zu setzen. Ich saß meistens auf dem Beifahrersitz. Das fand ich zwar auch schrecklich, aber ich wollte es mir nicht von Anfang an mit jemandem verderben. Leider nützte es nicht sehr viel. Lotta ging mir immer noch aus dem Weg.
Dementsprechend war die Stimmung am Freitag auf der Rückfart von der Schule eher gedrückt. Nachdem Ole aus dem Auto gestiegen war, bermerkte ich im Rückspiegel, wie Dave Lotta böse anblickte, weil sie das selbe bei mir tat. Als wir bei dem großen godenen Tor angekommen waren, dass das Grundstück von Lotta begrenzte, von dem aus sie aber noch 500 Meter zum Haus laufen musste, sagte sie: "Ihr könnt mich heute hier raus lassen."
Ich sah wie David die Fäuste ballte und dann sagte: "Ich steig mit dir aus. Niklas du bringst Kati nach Hause, ich komme mit dem Bus nach."
Keiner wagte zu widersprechen. Als die beiden ausstiegen, fuhr Niklas sofort los. Da es um eine Kurve ging, sah ich nur noch, dass Dave ziemlich wütend aussah. Niklas sagte nichts, also sprudelte ich los: "Oh mein Gott, das ist alles meine Schuld! Wegen mir ist Lotta sauer und deswegen ist Dave auf sie sauer. Ich habe die ganze Harmonie zerstört. Am besten ich rede mit keinem von den Beiden mehr. Oder noch

besser ich wechsle die Schule, damit sie mich vergessen können-"
Niklas machte eine Vollbremsung (da wir noch auf dem privaten Waldweg der Heyd's waren, war es eher ungefährlich, aber ich erschrak trotzdem). Er nahm meine Hand, schaute mir tief ind die Augen und sagte: "Katharina, jetzt hörst du mir mal ganz genau zu, okay?"
Ich konnte nur nicken, Niklas hatte den selben hypnotischen Blick wie sein Bruder.
"Du sollst aufhören dir Vorwürfe zu machen! Das ist eine Sache zwischen David und Lotta. Sie hat nicht das Recht dich so zu verachten. Du kannst doch auch nichts dafür, wenn er-", er unterbrach sich, als ob er schon zu viel gesagt hätte. Er lockerte seinen Griff, schaute wieder nach Vorne und fuhr dann weiter. Auf der weiteren Fahrt sagte keiner mehr etwas.

*

Nachdem ich mit meiner Schwester etwas gekocht und meine Hausaufgaben erledigt hatte, entschied ich mich dafür Joggen zu gehen. Ich musste nachdenken. Ich suchte meinen iPod, den ich, seitdem ich gegen Ole gelaufen bin, nicht mehr benutzt hatte, konnte ihn jedoch nicht finden. Also sagte ich meinem Vater bescheid und lief kurzerhand ohne los. Ich nahm den gleichen Weg wie damals. Irgendwann sah ich am STraßenrand einen Baumstumpf. Ich setzte mich und brach in Tränen aus. Irgendwie ist es doch schlimmer geworden, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich wusste, dass ich mir keine Vorwürfe machen sollte, aber diesen Streit gab es doch wirklich nur, weil ich da war oder? In diesem Moment vermisste ich meine Mutter mehr als jemals zuvor. Sie hätte mich in den Arm genommen und gesagt, dass alles wieder gut wird. Solche Sätze wie "Schatz, mach dir keine Sorgen" oder "Süße, das wird schon wieder" schwirrten mir im Kopf herum, aber schenkt man ihnen nicht viel mehr Beachtung, wenn sie jemand sagt, den man liebt? Ja klar, ich hatte meinen Vater und meine Tante, aber das war nicht dasselbe. Ich schlang meine Arme um meine Knie, schloss die Augen und weinte still vor mich hin. Irgendwann hörte ich ein Auto vorbeifahren, machte mir aber keine Gedanken, schließlich war neben mir eine öffentliche Straße. Auch als es sich so anhörte, dass das Auto ungefähr hundert Meter von mir entfernt zum Stehen kam und die Autotür auf und zu ging, rührte ich mich nicht. Es wäre mir nur Recht, wenn ein paar Gangster vorbei kämen und... was auch immer mit mir machen würden. Ich hörte Schritte näher kommen und presste die Augen noch fester zusammen. Erst als sich jemand neben mich setzte und den Arm um mich legte, öffnete ich die Augen und blickte erstaunt in das Gesicht von David. Ich wollte gerade Luft holen um etwas zu sagen, doch er legte mir seinen Zeigefinger auf den Mund und machte "Pscht." Also hielt ich den Mund.
"Kati", fing er an, "als ich dich das erste mal gesehen hab, dachte ich nur sowas wie 'Oh, ein süßes Mädchen braucht Hilfe, ich glaube ich halt mal an'. Aber dann... als ich dich während der Probe da stehen sah.. ich weiß nicht, es kam so plötzlich... dieses Gefühl.. dass ich für immer bei dir sein will."
Ich schaute ihn mit großen Augen an. Diesen Moment hatte ich mir so sehr herbei gesehnt, doch jetzt wo er da war, konnte ich es nicht glauben. Ich konnte nicht anders, ich fiel ihm um den Hals und musste ihn einfach küssen. Es war wunderschön. Als ich etwas locker ließ, löste er sich und ich bereute es natürlich sofort. Ich murmelte: "Tut mir leid."
Er grinste, stand auf, nahm mich ganz fest in den Arm und sagte: "Salzig. Warum hast du geweint?"
Ich schmiegte mich an ihn. Ich wollte ihn nie weider los lassen und nuschelte in seine Brust: "Keine Ahnung. Meine Mutter fehlt mir."
Er vergrub seine Nase in meinen Haaren und flüsterte: "Das tut mir leid."
Und nach einer kurzen Pause: "Deine Haare duften eifach herrlich."
Ich lachte und wollte ihn von mir wegdrücken, aber er hielt mich weiter fest und sagte: "Lass uns noch ein Stück spazieren gehen."
Ich merkte bei dem Versuch ihn zu küssen, dass ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste. Er grinste mich an und sagte: "Das kommt davon, wenn Ole mir Fruchtzwerge andreht."

*

Nachdem mich David noch zur Tür gebracht hatte und ich mir sicher war, dass er mich nicht mehr sehen konnte, rannte ich sofort zu meiner Tante rüber. Die saß gemütlich und zufrieden lächelnd am Küchentisch und wartete schon auf mich. Ich wusste, dass sie uns Arm in Arm vorbeigehen gesehen hatte. Als ich ganz aufgeregt anfangen wollte zu erzählen, lachte sie nur und rief: "Ganz ruhig, Kati! Setz dich erstmal, ich bringe dir ein Glas Wasser."
Das erinnerte mich an den Abend, an dem David genau dasselbe zu mir gesagt hatte. Ich lachte und setzte mich.

*

„Kati, das ist so klasse!“, rief Karin und nahm mich glücklich in den Arm. Wir hatten uns am Samstag zum Einkaufen verabredet und standen nun in einer teuren Boutique, in der uns alle Leute anblickten. Ich schob sie lachend zur Seite und flüsterte: „Karin, ich wäre dir sehr verbunden, wenn du nicht unbedingt die ganze Welt davon in Kenntnis setzt.“
Sie grinste mich an und sagte: „Zur Feier des Tages kaufen wir dir das mit Abstand hübscheste Kleid im ganzen Land. Damit dein Schatz dich morgen in voller Pracht genießen kann.“
Ich stöhnte, „Aber bitte etwas leichtes. Kein Folterwerkzeug für den Roten Teppich oder so.“
Sie grinste, zog mich aus dem Laden und sagte: „Dann weiß ich schon genau, wo wir schauen können.“
Es erwies sich, dass „ich weiß schon genau wo“ bei Karin Baumann so viel bedeutete wie „wir klappern einfach jeden Laden ab, irgendwo muss doch was dabei sein“. Es machte viel Spaß. Mit ihr konnte man fröhlich kichernd an einem Haufen Jungs vorbeigehen ohne sich blöd vorzukommen. Dieses Mädchen hatte einfach keine Hemmungen. Als sie sich beim Eisessen den halben Eisbecher auf die Hose kippte, lachte sie nur und sagte wie ein unschuldiger Engel: „Ups. Das muss wohl in die Wäsche.“
Am Ende des Tages saßen wir in meinem Zimmer auf dem Boden und begutachteten unsere Beute. Ich war vollkommen zufrieden. Das Kleid, das wir gefunden hatten, war ebenso einfach wie schön: Es war ein luftiges, weißes Sommerkleid. Um das Ganze ein bisschen aufzupeppen, hatten wir dazu einen knallroten Taillengürtel gekauft. Natürlich noch weiße Sandaletten mit zehn-Zentimeter-Absätzen.
„Damit du keine Probleme hast ihn zu erreichen“, hatte Karin gelacht.
Sie hatte sich ein paar bunte T-Shirts mit fröhlichen Mustern und Aufdrucken wie „Cool is what I am“ (Was natürlich völliger Sarkasmus war) und eine Kette gekauft. Ich probierte mein Kleid an, führte es meiner Familie vor und bekam viele Komplimente. Als wir wieder in meinem Zimmer waren, fragte ich meine Freundin: „Glaubst du Dave gefällt es auch?“
Sie lachte und antwortete: „Ich glaube, der würde dich sogar vernaschen, wenn du einen ölverschmierten Overal anhättest.“
„Okay, so würde ich es nicht gerade formulieren.“
Karin lächelte mich an und versicherte mir, dass ich toll aussah.

*

Am nächsten Morgen stand ich um Acht Uhr auf, da meine Verabredung mit Dave um elf war und ich mir Zeit lassen wollte. Ich duschte gründlich und schrubbte jeden Zentimeter meines Körpers mindestens fünfmal bevor ich meine Zähne putzte und frühstückte. Danach föhnte ich mir die Haare und entschied mich sie offen zu lassen. Ich zog mein Outfit an, steckte noch eine rote Blume in mein Haar und ging los. Als ein großer blonder Junge mir hinterher pfiff, musste ich unwillkürlich lächeln.
Niklas öffnete die Tür und sah genau so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Erst überrascht, wortlos und dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Bevor er etwas sagen konnte, sagte ich charmant lächelnd: „Hi, ist David da?“
Er setzte an um ihn zu rufen, überlegte es sich jedoch anders und sagte dann: „Ja klar, ich schau mal nach wie lange er noch braucht. Du kannst solange reinkommen.“
Ich dachte daran, dass ich, wenn ich reinkommen wollte, meine Schuhe ausziehen musste, und das würde zu lange dauern, also erwiderte ich: „Ähm.. nee, ist schon gut, ich warte hier draußen.“
Mit einem Blick auf meine Füße machte ich ihm klar wieso. Er lachte und sagte: „Okay, dann warte kurz.“
Er ging die Treppe rauf und ich hörte noch wie er „Hui“ sagte, bevor sich eine Tür schloss. Keine fünf Minuten später kam Dave schon runter. Mit kurzen Hosen und einem T-Shirt sah er sportlich und nett aus wie immer. Seine braunen Haare waren noch nass und standen in alle Himmelsrichtungen ab. Ich musste lächeln, als er eine halbe Sekunde innehielt und dann sagte: „Du siehst toll aus.“
„Danke, du auch. Kommst du raus?“
Nachdem er seine Schuhe angezogen hatte, kam er. Dave nahm mich in den Arm und wirbelte mich in der Luft herum. Als ich mich an ihm festhalten musste, um nicht umzufallen, lachte er und küsste mich.
Glücklich gingen wir spazieren.

„Du Dave?“
„Ja?“
Wir waren gerade im Park und genossen die Sonne. Er hatte seinen Kopf in meinen Schoß gelegt und die Augen geschlossen. Ich kraulte seinen Kopf und betrachtete ihn nachdenklich.
„Was hast du am Freitag eigentlich zu Lotta gesagt?“
Er öffnete die Augen, schaute mich ernst an und setzte sich auf.
„Willst du das wirklich wissen?“
„Ja.“
David zupfte eine Blume aus dem Rasen, rollte sie zwischen seinen Fingern hin und her, betrachtete sie und sagte: „Ich hab ihr gesagt, dass das so nicht weitergeht. Sie ist ausgewichen und hat gefragt, was ich denn meine. Ich war wütend und sagte, dass sie es genau wüsste. Sie fauchte mich an, was ich denn erwarte. Du musst wissen, wir können beide sehr temperamentvoll werden.“
Ich blickte meinen Freund erstaunt an, „Lotta? Ich kann mir vorstellen, dass sie mir gegenüber zickig ist, aber dass sie dir standhalten kann?“
Er lachte auf, „Wenn du wüsstest! Wenn wir uns streiten, bin ich meistens der, der Nachgibt.“
„Aha..?“
„Wie auch immer. Sie schreite mich an: ‚Was erwartest du denn? Mich lässt du elf Jahre lang links liegen, und dieser… Was auch immer springst du sofort an den Hals!‘ Ich schaute sie geschockt an, ‚Ich hab dich niemals links liegen gelassen. Du weißt ganz genau, dass du mir viel bedeutest, aber halt nicht auf die selbe Art und Weise. Und Kati bedeutet mir auch viel. Ich finde es schade, dass du das nicht akzeptieren kannst. Entscheide dich! Entweder du akzeptierst sie oder du verlierst einen Freund.‘ Dann bin ich gegangen.“
„WAS?! Du hast sie meinetwegen vor die Wahl gestellt? Oh mein Gott. Sie hasst mich!“
Mein Freund war die Ruhe selbst.
„Quatsch. Ich weiß, dass sie dich eigentlich mag. Sie will es sich nur selbst nicht eingestehen, weil sie dich beneidet. Ich bin mir sicher, dass sie noch heute Abend anrufen und sich entschuldigen wird.“
Ich war schockiert, „Sie hat sich noch nicht gemeldet?“
„Nein, aber wie gesagt, das wird sich bestimmt heute ändern.“
Eine Zeit lang sagte keiner mehr etwas. Dann fragte ich: „Wie kommt es eigentlich dazu, dass ihr so lange befreundet seid? Ich weiß, das klingt jetzt gemein, aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass sie mal lacht oder fröhlich sein kann.“
Dave schaute mich erstaunt an.
„Lotta? Sie ist die Fröhlichkeit in Person! Sie lacht ständig, ist immer aufgedreht und hat verrückte Ideen. Es ist wirklich schade, dass du sie von ihrer schlimmen Seite kennenlernen musstest. Sie ist eigentlich ein wundervoller Mensch.“
Ein Glanz, der mich unbehaglich herumrutschen ließ, trat in seine Augen, als er von seiner langjährigen Freundin sprach. Plötzlich war es, als würde er aus einem Traum erwachen.
„Genau wie du. Nur, dass es bei dir noch was anderes ist, was mich innehalten lässt. Diese liebenswürdige, kecke und doch so unschuldige Art an dir, weckt in mir das Bedürfnis dich festzuhalten und nie wieder loszulassen.“
Ich schmiegte mich an ihn und murmelte: „Lässt sich einrichten.“
Er lächelte und küsste mich.


9

Am Montag saß anstatt Niklas ich auf dem Beifahrersitz, sodass Lotta, als alle da waren zwischen ihm und Karin saß. Er redete viel und Lotta beteiligte sich- was mich sehr wunderte- angeregt an dem Gespräch. Sie fixierte ihn irgendwie ziemlich, wobei sie völlig vergaß mich mit bösen Blicken zu taxieren. Ich musste an dem Tag zu Frau Schmidt um meinen Stundenplan abzuholen, die vorangegangene Woche war ja bloß Probe. Erst als David mir zum Abschied einen kurzen Kuss gab, konnte ich eine Reihe von Emotionen auf ihrem Gesicht erkennen: Überraschung. Hass. Nachdenklichkeit. Und dann Gleichgültigkeit. Ihr Blick wanderte von mir zu Dave, wieder zurück und dann sagte sie zu Niklas: „Tschüss bis später!“
Dave grinste mich an und flüsterte mir dann während er meine Wange mit seinen weichen Lippen streifte: „Ich glaube Lotta ist über mich hinweg.“
Ich knuffte ihn in die Seite und rief: „Naja, bis gleich Leute, ich mach mich auf den Weg.“
Während ich auf das Hauptgebäude zuging, hörte ich noch wie Ole und Basti beinahe gleichzeitig fragten: „Dave, du Aufreißer, was läuft denn da?“
Karins Lachen begleitete mich noch bis vor die Tür.

*

Meiner Bitte folgend bekam ich den selben Stundenplan wie Karin Baumann. Als ich (zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn) zu Biologie dazustieß, blickten mich zweiundzwanzig neugierige Gesichter vielsagend an.
„Oh nein.“, stöhnte ich. Wie nicht anders zu erwarten wussten wahrscheinlich schon alle Bescheid, dass „die hübsche Neue“ mit dem beliebtesten Jungen des Jahrgangs zusammen war. Ich versuchte das Getuschel und die neugierigen Blicke zu ignorieren und setzte mich auf meinen Platz. Da der Lehrer mich nicht beachtet hatte, küsste David mich flüchtig auf die Wange und flüsterte, während erneutes Geschnatter losging: „Tut mir leid. Luise hat unser Gespräch mitgehört, und wie du weißt, kann sie nichts für sich behalten.“
Ich lächelte gezwungen und erwiderte nur: „Schon gut, du bist gut für meinen Ruf.“
Er grinste gequält und als der Lehrer um Ruhe bat, drehte er sich wieder nach vorne.

„Also, ich finde es ja schlimm, wenn eine sich nach der ersten Woche schon an den nächstbesten ranmacht. Ich meine, die kennt Dave doch nicht mal richtig!“
Ich ballte instinktiv die Fäuste in meinem Schoß. Was ist, wenn es wirklich zu früh war? Vielleicht liebte David mich ja gar nicht? Er konnte mich gar nicht richtig kennen-, Dave griff nach meiner Hand und sagte, als ob er meine Gedanken gelesen hätte: „Mach dir keine Gedanken wegen denen. Ich bin mir hundertprozentig sicher. Und wenn ich noch einen Tag neben dir hätte sitzen müssen, ohne dass du das weißt, dann wäre ich wahnsinnig geworden.“
Ich lächelte ihn an und versprach ihm mich nicht von dem Gerede der anderen beeinflussen zu lassen.
Für die Mittagspause schlug Karin vor zu einem Café in der Stadt zu gehen, was alle für eine tolle Idee hielten, da ich von einem Haufen fragender Mädchen belagert wurde.
„Ihr kanntet euch schon vor der Schule? Wie habt ihr euch kennengelernt? Wie hat er es dir gesagt?“
Als es klingelte und Dave mir einen Arm um die Taille legen wollte, räusperte sich jemand hinter uns. Ich drehte mich genervt um (ich hatte genug von der Fragerei) und wollte gerade zu einer forschen Bemerkung ansetzen, als ich überrascht innehielt und Lotta schüchtern murmelte: „Öhm.. Kati? Macht es dir was aus, wenn wir zusammen gehen? Ich wollte mit dir reden.“
„Äh…“, ich guckte Dave fragend an und als er mir aufmunternd zunickte, sagte ich zu. Karin und die Jungs gingen ungefähr zehn Meter vor uns.
Als Lotta mir um den Hals fiel und „Es tut mir so leid!“ schluchzte, schauten sich die anderen kurz nach hinten um, doch als sie meinen hilflosen Blick sahen, drehten sie sich mit einem hämischen Grinsen wieder um und Ole hustete etwas, das sich verdächtig nach „nächstes Opfer“ anhörte.
„Schon gut. Alles okay. Ich verzeihe dir.“
„Wirklich? Ich meine, ich war wirklich ein Biest-“
„Nein nein, es ist wirklich gut. Hör bitte auf zu weinen okay?“
Sie ließ mich los, rieb ihre Augen, lächelte mich an und hakte sich bei mir unter.
„Klasse! Dann können wir ja jetzt von vorne anfangen. Oh mein Gott! Ich hatte gerade einen Geistesblitz! Zur Feier des Tages gehen wir heute alle gemeinsam aus. Was sagst du dazu Kati?“
„Naja ich-“, ich schaute in ihr glückliches Gesicht und konnte einfach nicht „Nein“ sagen.
„Nagut-“
„Juhu! Lass uns den anderen Bescheid sagen!“
Sie zog mich schnell mit sich mit. Ich war völlig überwältigt, so hatte ich sie noch nie erlebt.
David war nicht sehr begeistert von der Idee.
„Ich weiß nicht, wollen wir nicht lieber etwas ruhigeres machen? Einen DVD-Abend oder so?“
„Ach Dave! Biiiiiiiittöööö“, Lotta hängte sich an seinen Arm und guckte ihn aus Hundeaugen an, „das wird sicher toll“ wir können-“
„Okay, okay!“

*

Nach der Schule gingen wir Mädels noch in die Innenstadt und fuhren danach mit dem Bus zu Karin um uns hübsch zu machen. Die Jungs wollten nicht mit und vergnügten sich derweil anders.
"Glaubst du kurze Haare würden mir stehen?"
Lotta saß gerade vor dem Spiegel in Karins Zimmer und machte sich mit einem Lockenstab Locken. Ich schaute sie schockiert an.
"Spinnst du?! Ich beneide dich um deine wundervollen langen blonden Haare!"
Sie drehte sich um und fragte ganz erstaunt: "Wieso das denn?"
Und dann plötzlich bestimmt und eindringlich: "Jedes zweite Mädchen hat langweilige blonde Haare. Aber so eine wundervolle einzigartige Farbe wie Rot gibt es selten. Du solltest stolz sein!"
Ich war vollkommen baff. Karin blickte zwischen uns hin und her und fing plötzlich an lauthals zu lachen. Lotta wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu und grinste von Ohr zu Ohr. Karin wurde ganz rot und ich musste auch lachen. Zwei Minuten später kugelten wir drei uns auf dem Boden. Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, entschieden wir uns, noch eine Kleinigkeit zu essen. Gegen halb sechs kamen die Jungs um uns abzuholen. Wir hatten abgemacht nach Nürnberg zu fahren, dort erst kegeln zu gehen und danach in einen Club zu gehen, der vor kurzem eröffnet hatte.
Als Dave, Ole und Basti in Karins Zimmer kamen, biss ich gerade in einen Karottenstreifen, während ich interessiert die Wand betrachtete. Karin hatte ihre ursprünglich weiße Wand über und über mit einem schwarzen Edding bemalt. Es war unglaublich, wie detalliert die Ornamente waren. Man konnte genau erkennen, wie meine Freundin sich gefühlt hatte, während sie gezeichnet hatte. Ein paar harte, spitze Formen, standen vermutlich für Wut, sie gingen in fließende Figuren mit großen, schwarz ausgemalten Flächen über, von denen ich glaubte, dass sie Trauer darstellen sollten. Und dann waren noch die wunderschönen blumigen und frischen Muster, die den Großteil der Wand bedeckten und Freude symbolisierten. Ich war überwältigt.
David zog mich von hinten an sich, küsste mein Ohrläppchen und flüsterte mir ein "Hallo" ins Ohr. Es war mir unangenehm, dass er so zärtlich vor den anderen war, vor allem vor Lotta. Ich drehte mich um, gab ihm einen kurzen Kuss auf den Mund und schlüpfte dann unter seinen Armen hindurch. Er schaute mich verständnislos an, doch bevor er etwas sagen konnte, fragte Basti, ob wir jetzt los wollten.
"Klar", ich ging schnell zu den anderen rüber und wir verließen das Haus.
Im Auto war Dave ungewöhnlich still. Während die anderen sich angeregt unterhielten, fuhr er konzentriert und nachdenklich. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil er ja nicht wusste, warum ich so abweisend gewesen war. Ich nahm seine rechte Hand, die auf seinem Schoß lag, ganz fest in meine Hände. Er lächelte mich traurig an, und starrte dann wieder auf die Straße.
Als wir bei der Kegelbahn angekommen waren, sagte ich den anderen, dass sie schonmal vorgehen und die Getränke bestellen sollten.
"Hey, tut mir Leid wegen eben Dave, bitte sei nicht sauer auf mich. Ich fühle mich nur unwohl, wenn wir vor den anderen rumturteln, vor allem wegen Lotta."
Er schaute mich so traurig an, dass es mir beinahe das Herz zerriss.
"Das ist okay. Es liegt nicht an dir, du brauchst kein schlechtes Gewissen oder so zu haben."
"Woran denn? Sag es mir bitte, es tut mir weh, wenn ich dich so sehe."
Plötzlich umarmte er mich fest.
"Ich weiß nicht, ich glaube ich hab Angst dich zu verlieren. Ich hab schon so oft etwas wegen meiner Gedankenlosigkeit oder Ungeduld vermasselt."
Ich drückte ihn ein wenig weg, um ihm in die Augen zu schauen, und er ließ mich sofort los. Ich nahm seinen Arm, schaute ihm ganz fest in die Augen und sagte: "Hey, pass auf, du wirst mich nicht verlieren. Ich kann gar nicht mehr ohne dich leben. Jeder macht mal Fehler, aber sie sind dazu da um zu lernen, mal ganz davon abgesehen, dass du ja nicht wissen konntest, was ich denke. Also hör jetzt auf dir Vorwürfe zu machen und lächel wieder, wenn ich dich so sehe, habe ich ja Angst jeden Moment in Tränen auszubrechen."
Er lachte leise, "So schlimm?"
"Und wie!"
Ich küsste ihn lange und leidenschaftlich und als wir Hand in Hand zu unseren Freunden stießen, lächelte er wieder.
Das Kegeln machte sehr viel Spaß, auch wenn ich beispiellos versagte. Als wir nach zwei Stunden beschlossen, uns langsam auf den Weg zu machen, fühlte ich mich müde und ausgelaugt. Ich hatte das Gefühl, dass ich krank werden würde. Dave beobachtete mich besorgt, als ich etwas wackelig auf den Beinen war, nachdem wir aus dem Auto gestiegen waren.
"Lotta, pass auf, dass Ole aufpasst, das Dave nichts trinkt", kicherte Karin, "wir wollen heute ja lebend nach Hause kommen."
Während die anderen herumalberten und versuchten die Türsteher dazu zu bringen uns rein zu lassen, hielt ich mich im Hintergrund und versuchte meine Kräfte zu sammeln, da ich meinen Freunden den Abend nicht vermiesen wollte.
Als wir letztendlich doch in den Club kamen, wollte ich sofort wieder raus. Ich bekam in der heißen, stickigen Atmosphäre kaum Luft, und das Laserlicht und die laute Musik pochten in meinem Kopf. Ich hatte das Gefühl, gleich zusammenzubrechen.
"Ich geh mal kurz an die frische Luft!", rief ich Dave zu.
"Warte ich komme mit."
Er gab den anderen ein Zeichen, legte einen Arm um mich und bahnte uns einen Weg durch die Menschenmenge. Draußen steuerte er eine Bank etwas abseits des Laternenlichts an.
"Hey, alles okay mit dir?"
"Ja...", plötzlich gaben meine Beine nach und alles wurde schwarz.


"Nichts ernstes... psychosomatisch... zu viel Stress... viel durchgemacht."
Plötzlich fühlte ich etwas extrem kaltes auf meiner Brust. Ich keuchte und drehte mich auf die Seite. Wo war ich? Was war passiert? Wem gehörte diese Stimme?
"Danke Doktor, wir rufen Sie an, falls etwas ist."
Eine Tür wurde geschlossen.
"Kati..."
Schlagartig brachen alle Ereignisse der letzten Wochen über mich herein. Davids Stimme hatte mich zurückgeholt.
"Dave!"
"Oh, sie ist wach! Kati, du hast uns einen schönen Schrecken eingejagt!", das war die Stimme meiner Tante.
"David?"
"Ich bin hier.", er nahm meine Hand. Ich öffnete die Augen und war überrascht, dass ich alles klar und deutlich sehen konnte. Ich war in meinem Zimmer in meinem Himmelbett. Dave saß auf der Bettkante und schaute mich besorgt an. Meine Tante stand dahinter, trat unruhig von einem Bein aufs andere und fragte plötzlich: "Soll ich euch alleine lassen?"
David antwortete sofort: "Nein musst du nicht-"
"Doch, ich glaube, ich koche uns mal eine Suppe.",
dann ging sie und schloss die Tür hinter sich. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade aus einem hundertjährigen Schlaf aufgewacht. Irgendwie fühlte ich mich eingeengt, da bemerkte ich, dass ich noch meine Klamotten anhatte, eine Röhrenjeans und ein enges schwarzes Top.
"Dave, kannst du mir einen Piyama aus der obersten Schublade meines Schrankes geben?"
"Klar", er ging rüber zum Schrank, öffnete die Schublade und fragte: "Welchen möchtest du denn?"
"Gib mir den, den du am hübschesten findest."
Er lachte, "Okay, auf deine Verantwortung."
Er brachte mir einen Apricotfarbenen Seidenpiyama, der aus Shorts und einem Spagetti Top bestand. Ich lachte, stand auf und zog mich mit dem Rücken zu ihm um. Danach krabbelte ich wieder unter die Decke. Dave saß wieder auf der Bettkante. Eine zeitlang sagte keiner etwas, bis ich fragte: "Magst du dich nicht zu mir ins Bett legen? Wenn du da so sitzt, komme ich mir so krank vor."
Er lachte leise, "Mit Klamotten?"
Ich rückte ein großes Stück in die Bettmitte und klopfte auf den freien Platz neben mir. Er seufzte, schlüpfte unter die Decke und legte sich auf den Rücken, sodass ich meinen Kopf auf seine muskulöse Brust legen konnte.
"Wusstest du, dass ich ein Kuschelmonster bin?"
David lachte, gab mir einen Kuss auf den Kopf und sagte: "Ich merks."
Dann sagte keiner mehr etwas und ich lauschte seinem Herzschlag. Er legte die Arme um mich und atmete ganz ruhig.
"Ich liebe es, deinem Herzen zuzuhören", nuschelte ich in seine Brust.
"Es schlägt nur für dich", murmelte er. Ich musste lächeln. Er war kurz davor einzuschlafen. Als draußen eine Autohupe erschallte, grummelte er und fragte, ob wir uns anders hinlegen könnten. Ich drehte mich auf die Seite, sodass er dasselbe machen und einen Arm um mich legen konnte. Ich war hellwach. David roch an meinem Haar und murmelte: "Mhm... ich liebe dein Haar", dann strich er es hinter mein Ohr, "Ich liebe dein Ohr... ich liebe deine Augen..."
Ich kicherte, "Dave, magst du mir nicht erzählen, was vorhin passiert ist?"
Mein Freund stöhnte, "Muss das jetzt sein?"
"Ja bitte."
"Na gut."
Er legte sich wieder auf den Rücken und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Ich legte meinen Kopf wieder auf seine Brust und er begann zu erzählen:
"Als du umgekippt bist, konnte ich dich zum Glück noch auffangen, bevor du auf den Boden fallen konntest. Ich kontrollierte, ob Atem und Puls normal waren und-"
"Woher?-"
"Ich war mal Schulsanitäter. Wie auch immer, als alles in Ordnung war, brachte ich dich ins Auto, sagte den anderen kurz bescheid, und fuhr dich dann nach Hause. Da bei euch niemand aufmachte, nahm ich deinen Schlüssel und legte dich ins Bett. Danach rief ich bei Lena an und sie kam rüber. Ich erzählte ihr, was passiert war und sagte zwar, dass du nur schläfst, aber sie bestand trotzdem darauf, dass ein Arzt kommen sollte. Tja, und dann bist du aufgewacht, weil der Hirni dich mit einem eiskalten Stetoskop abgehört hat."
Ich musste lachen, weil Dave sich so über den Arzt aufregte.
"Wow, danke David, was würde ich ohne dich nur machen."
"Mhm... ohne mich wärst du gar nicht erst umgefallen."
"Hä?", ich war verwirrt, "Wie kommst du denn darauf?"
Er schaute an die Decke und sagte zwischen zusammengebissenen Zähnen: "Der Doc hat gesagt, dass das alles wegen Stress war."
Ich verstand gar nichts mehr, "Ja, und?"
"Ja und ich hab mich vorhin so kindisch benommen, dass du dir zu viele Gedanken darüber gemacht hast."
Ich konnte nicht anders, ich musste lauthals lachen. Dave guckte mich verwirrt an, "Warum lachst du?"
"Du.. du glaubst wirklich, dass... dass ich wegen dir gestresst bin?", prustete ich, "Ich sag das ja nur ungern, aber du bist wirklich meine geringste Sorge."
Er setzte sich auf, guckte mich erst fassungslos an, und fing dann auch an zu lachen. Plötzlich klopfte es an der Tür.
"Ja?", kicherte ich, "Herein?"
Meine Tante schaute vorsichtig ins Zimmer und strahlte dann übers ganze Gesicht, als sie uns beide lachend auf dem Bett sah.
"Die Suppe ist fertig. Soll ich sie raufbringen, oder kommt ihr in die Küche?"
"Wir kommen runter, oder Dave?"
"Wie du willst, mir ist das relativ egal."
"Okay Lena, zwei Minuten."
"Nagut.", sie verschwand wieder. Ich hüpfte auf, gab David einen Kuss auf die Stirn und sprang rüber zu meinem Schrank. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ich sah im Spiegel, dass mein Freund mich lächelnd beobachtete, als ich einen Pulli und eine Jogginghose über meinen Piyama zog.
"Kommst du?"
Er strahlte mich an, stand auf, und ging dann mit mir runter.
Als wir am Küchentisch saßen, fiel mein Blick auf die Uhr, die über der Tür hing.
"Oh mein Gott, es ist ja schon halb zwölf! Wo sind denn Paps, Natalie und Vitali?!"
"Die sind noch bei uns drüben, dein Vater war mit Peter aus und jetzt schauen sie irgendeinen Film im Fernsehen."
"Achso... weiß er etwas von heute Abend?"
"Nein, ich-"
"Gut, es geht mir ja gut, und er hat genug um die Ohren."
"Okay."
Ich beobachtete David, der im Halbschlaf seine Suppe löffelte und bemerkte:
"Dave? Ich glaube, du solltest nach Hause ins Bett."
Dass er nicht widersprach, selbst nicht, als meine Tante sagte, dass sie ihn bringen würde, überzeugte mich endgültig, dass er kurz vorm Umfallen war. Ich verabschiedete mich mit einem Kuss und fing an das Geschirr zu waschen. Ich war hellwach. Plötzlich kam mein Vater etwas beschwipst rein und fragte mich, warum ich noch wach war.
"Ich war heute aus, und bin noch gar nicht müde, aber geh du ruhig ins Bett."
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und stapfte die Treppe rauf. Ich ging davon aus, dass meine Geschwister bei meinem Onkel schlafen würden. Fünf Minuten später kam Lena wieder und trank noch eine Tasse Tee mit mir, bevor auch sie sich verabschiedete.
Ich ging auch ins Bett und ließ den Tag nochmal revue passieren. Heute war so viel passiert:
Ich hatte mich mit Lotta vertragen, hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Dave, ich war Kegeln und in einem Club, wenn auch nur für fünf Minuten. Ich bin in Ohnmacht gefallen, gerettet worden und ich hatte mit meinem Freund gekuschelt. Im großen und ganzen hatte der Tag ein positives Fazit. Nur leider war ich jetzt so aufgedreht, dass ich erst gegen vier Uhr einschlief.

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Tag der Veröffentlichung: 25.05.2010

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