Cover

1

Es war ein ganz normaler Montagmorgen. Ich hörte meinen Wecker um vier Uhr und wusste, dass ich in zwei Stunden aufstehen musste. Der Wecker der um fünf klingelte, sagte mir, dass ich mich darauf vorbereiten konnte, in einer halben Stunde von dem Wecker um halb sechs darauf hingewiesen zu werden, dass ich in einer halben Stunde aufstehen musste. Der Wecker um sechs, diente einfach nur dazu, dass der Wecker um halb sechs auf etwas hinweisen konnte, da ich zwischen dem Klingeln des Halb-sechers und des Sechsers eh nicht mehr schlafen konnte, wegen der Angst zu verschlafen. Für Sie mag das alles verrückt und sinnlos klingen, aber für mich hatte es durchaus eine Logik:
Es war die Vorbeugung des Verschlafens, denn wenn ich verschlafe, habe ich nur drei Möglichkeiten:


1.Ich gehe ungeduscht, das heißt verschwitzt, stinkend und mit fettigen
Haaren zu Schule und werde zum Stinkstiefel des Jahres ernannt.
2.Ich gehe geduscht, aber mit nassen Haaren zur Schule, erkälte mich und bin dann die ganze nächste Woche krank, oder
3.Ich gehe geduscht, mit trockenen Haaren, geschminkt und vorbereitet in die Schule, versäume dann aber die erste Stunde.

Und da mir keine dieser drei Möglichkeiten zusagt, versuche ich das Verschlafen vorzubeugen. Also, nachdem ich aufgestanden bin, und geduscht hatte, machte ich schnell meine Hausaufgaben, packte einen Apfel in meine Tasche und ging los.


Gedankenverloren ging ich also meinen Schulweg, den ich schon in und auswendig kannte (auf dem ich manchmal sogar noch ein Buch las) und betrachtete die Autos, die in einer viel zu hohen Geschwindigkeit, neben mir her rasten. Als ich in einem tollen schwarzen Mercedes, einen tollen braunhaarigen Jungen sah, der der Welt den Stinkefinger zeigte. Er saß am Steuer und sah schlecht gelaunt aus [was man an seiner Hand auch bestätigen konnte]. Ich habe immer den Drang schlecht gelaunten Menschen noch mehr auf die Nerven zu gehen, ich weiß auch nicht wieso, mein Überlebensinstinkt ist halt nicht so ausgeprägt wie bei normalen Menschen. Also grinste ich ihn an und winkte, wie eine geistig etwas zurückgebliebene. Erst schaute er verwundert, dann lachte er, nahm die Hand runter, grinste zurück und fuhr an mir vorbei. „Hm“, dachte ich mir, „der Typ war irgendwie süß. Aber es ist auch typisch, dass ich mich immer bei den Tollen peinlich benehme und die dann auch schnell wieder weg sind.“ Ich seufzte atmete tief ein und spazierte gemächlich weiter Richtung Schule.

Schule. Was soll man dazu sagen? Jeder kennt es und keinen interessiert es, also werde ich das Thema hier auch nicht weiter ausbreiten. Achja, wer sich bis jetzt dachte: „Diese Bekloppte da, die will doch nur nichts von der Schule erzählen, weil sie die totale Außenseiterin war, keine Freunde hatte und abgesehen von der Schule auch kein andres Hobby, der irrt sich. Teilweise. Um alles richtig zu stellen: Ja, ich war/bin bekloppt. Nein, ich war/bin keine Außenseiterin, doch ich hatte/habe Freunde und ja, ich hatte keine anderen Hobbys, aber war trotz angeborener Unsportlichkeit nicht dick. So. Und damit möchte ich das Thema auch wirklich beenden, denn ich finde es auch nicht interessanter als andere. Okay Sie halten mich bestimmt noch mehr für bekloppt, wenn ich jetzt vom durchaus interessanten Schulweg erzähle. Aber egal, das ist meine Geschichte!
Also, als ich dann den [alltäglichen] Weg nach Hause ging und [mal wieder] ein Buch las [das totlangweilig war, aber da ich nichts besseres zur Hand hatte, herhalten musste] wurde ich angehupt. Ich schaute überrascht auf, um zu schauen, ob ich gemeint war und lächelte umso überraschter, als ich merkte, dass ich gemeint war. Ein schwarzer Mercedes fuhr langsam neben mir her, am Steuer ein blonder Junge und auf dem Beifahrersitz der Tolle vom Morgen. Ich lächelte sie an, der Blonde sagte was zu dem Tollen, der Tolle antwortete, der Blonde lachte und der Tolle wurde rot, knuffte den Blonden in die Seite, sagte irgendwas und sie brausten davon. Der Blonde winkte noch zum Abschied, aber der Tolle fand anscheinend die Air-bag-Anleitung ganz interessant, denn er tat so als würde er sie aufmerksam durchlesen. Ich grinste und dachte: „Das wird bestimmt noch lustig.“

Nächster Tag. Alles wie immer. Junge nicht da. Ist mir egal. Über nächster Tag. Alles wie immer. Junge nicht da. Hoffnung zerstört. Über über nächster Tag. Alles wie immer. Junge nicht da. Trauer.

„Mist“, dachte ich am Freitag, auf dem Weg nach Hause, „warum bin ich so enttäuscht? Das war eine einmalige Sache, und an Liebe auf den ersten Blick glaub ich eh nicht.“ Drei Schritte weiter änderte ich meine Meinung: „Oder doch? Ich meine, wieso sollte ich denn sonst die ganze Zeit darauf hoffen ihn wieder zu sehen? Hmm.. egal, ich werde ihn einfach vergessen!“

Na ja, so einfach war das mit dem Vergessen wohl doch nicht. Ich hab mir Stundenlang Gedanken gemacht, doch dann verdrängte ich sie einfach und nahm meinen normalen Tagesablauf wieder auf. Ich hielt immer noch ständig nach einem schwarzen Mercedes Ausschau, hatte manchmal sogar einen gesehen, aber dann wurde meine Hoffnung meist schnell wieder zerstört, als ich hinter dem Steuer, einen dicken, alten hässlichen Geldsack sah, der mit seinen goldenen Ringen an seinen dicken Wurstfingern spielte.
Am Mittwoch, als ich beim Kreisverkehr gerade über den Zebrastreifen ging, hielt ein schwarzer Mercedes und wartete. Ich warf einen kurzen Blick hinter die Windschutzscheibe und ging dann gemächlich weiter. Plötzlich schaute ich noch mal genau hin, und da saß er! Blickte mich an, sah irgendwie nachdenklich aus und fuhr dann einfach weiter. Kein Gruß, kein Lächeln, nicht mal gewinkt hatte er. Ich war grenzenlos enttäuscht. Wahrscheinlich hatte er mich eh schon vergessen, wie konnte ich nur davon ausgehen, dass er noch wusste wer ich war? Ich entschied mich dafür, doch nicht die Straßenseite zu wechseln, ging wieder zurück und ging nun links, auf der falschen Seite. „Uh“, dachte ich, „das Mädchen ist heute mal mutig.“ Und lachte im bitteren Sarkasmus. „Hrmpf, das war’s dann wohl mit meiner Laune, adé.“ Ich steckte die Stöpsel, meines iPods in die Ohren, stelle die lauteste Rockmusik ein, die ich immer für schlechte Tage hatte und ging, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, zügig weiter. Plötzlich kam der schwarze Mercedes zurück, ich nahm mir fest vor ihn zu ignorieren, konnte es aber nicht lassen, einen neugierigen Blick in seine Richtung zu werfen. Er war Rechts rangefahren, hatte die Beifahrertür aufgemacht und sprach irgendwie in meine Richtung [der Junge nicht der Mercedes], hinter ihm warteten schon zwei Autos. Ich drehte mich um, aber es war keiner weit und breit in der Nähe, also ging ich davon aus, dass er mit mir redete. Mein Herz klopfte schneller, als ich die Ohrenstöpsel raus nahm und zu ihm hin ging. Ich lächelte ihn an und fragte höflich was er wollte, er sah ein wenig verplant aus und meinte nur: „Äh, kannst du bitte erst mal einsteigen, ich verursache hier grad ein kleines bisschen Ärger.“ Inzwischen standen schon über fünf Autos hinter ihm und hupten lautstark, also nahm ich schnell meinen Rucksack ab, setzte mich einfach hin und schloss schnell die Tür. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz gleich aus meiner Brust sprang. So was hatte ich noch nie gemacht, aber irgendwie vertraute ich ihm. Er fuhr schnell weiter und ich wollte gerade protestieren, dass ich zur Schule aber in die andere Richtung musste, doch da fing er schon an zu reden: „Tut mir Leid, dass ich so unhöflich bin, aber ich bin heute irgendwie verplant.“

Ich beobachtete ihn, und fand, dass er süß war, wenn er verplant war. Seine Haare standen in alle Richtungen zu Berge, er trug eine gemütliche Jogginghose und ein enges blaues T-Shirt, dass seine muskulöse Brust betonte. Ich war so fasziniert von seinen Augen, die so warm und braun waren, wie flüssige Schokolade und wollte am liebsten in ihnen baden, er schaute mich verwirrt an, „Äh, möchtest du nicht irgendwas sagen? Irgendwie hab ich mir dich gesprächiger vorgestellt.“ Ich riss meinen Blick von seinen Augen los, grinste ihn an und sagte: „Hallo, mein Name ist Carolina Wagner, und mit wem habe ich hier die Ehre?“ Er lachte plötzlich und ich dachte schon, dass es jetzt aus ist, aber dann grinste er: „Tut mir Leid, ich heiße Anton.“ „Äh, und möchtest du mich entführen oder so? Weil, wenn nicht, würde ich g.. nee, müsste ich theoretisch in die Schule, und die liegt, falls du es noch nicht weißt, in der anderen Richtung.“ Er dachte kurz nach und stellte dann vorsichtig eine Frage: „Würdest du für mich einen Tag schwänzen?“ Ich überlegte kurz und fragte meinerseits, ob es sich denn lohnen würde. Er grinste mich schief an, und sagte: „Das musst du entscheiden. Ich will kein schlechter Einfluss sein.“ Ich musste lachen, „Weil es ja auch überhaupt kein schlechter Einfluss ist, einen zum Schwänzen zu überreden“, und nach kurzem Zögern: „Ach was soll’s, ein Tag im siebzehnjährigen Leben schadet bestimmt nicht. Lass uns was Verbotenes tun!“ Er drückte aufs Gas und sagte: „Ich hab dich doch gar nicht überredet!“ Ich war nie ein Freund von Lügen oder Ausreden: „Dein schiefes, unwiderstehliches Grinsen ist für mich eine Art des Überredens.“, sagte ich anklagend. Er dachte kurz nach, „Soso, siebzehn bist du? Hmm...“ Ich schaute ihn an: „O Gott, das klang irgendwie hinterhältig.“ Er blickte mich erschrocken an und sagte schnell: „Nein tut mir leid, war nicht so gemeint, ääh wollen wir irgendwo hingehen, damit ich mich mal sammeln kann, ich bin grad durcheinander.“ „Nagut, wo wollen wir denn hin?“ Er grinste mich an und sagte dann: „Soll ich dir meine Lieblingsstadt zeigen?“ Ich schaute ihn kritisch an, „So willst du doch wohl nicht durch Hamburg laufen oder?“ Er blickte mich erstaunt an, „Woher-?“ Ich grinste, „Das ist auch meine Lieblingsstadt, und ich geh mal davon aus, dass wir Seelenverwandte oder so sind, sonst würde ich nicht hier sitzen.“
(Mal ganz abgesehen davon, dass HH auf seinem Nummernschild stand ;) )
Er lachte, dann wurde er ernst, schaute an sich herunter und fragte wieder vorsichtig: „Äh.. irgendwie hast du Recht, hast du ein Problem damit, wenn wir vorher noch ganz kurz bei mir vorbei schau’n, und ich mich umziehe?“ „Bei dir?! Wie alt bist du eigentlich?“ Er rieb sich müde die Schläfen, „Können wir vielleicht erst mal zu mir, ich kann mich nicht konzentrieren.“ Ich grinste ihn an: „Solange, du mich nicht vergewaltigst, oder sonstiges habe ich nichts dagegen.“ Er grinste zurück, „Habe ich nicht vor.“

2

Er hatte eine dieser tollen Wohnungen, mitten in der Stadt, in diesen alten Häusern, mit roten Blumen vor den Fenstern, in einer Allee voller wunderschöner Ahornbäume. Als er die Tür öffnete, war ich wie verzaubert. Anton ging rein, entschuldigte sich für die Unordnung, und meinte, dass ich es mir bequem machen könnte. Voller Erfurcht, betrat ich das alte, dunkle Parkett und betrachtete die altmodische, wunderschöne Einrichtung. Das Licht schien direkt durch ein Fenster, ins Wohnzimmer, indem ich stand. Ich hatte mich in diese Wohnung verliebt. Ich folgte ihm automatisch ins Schlafzimmer, und mir fiel die Kinnlade runter. Direkt vor dem Fenster stand ein Ahornbaum, ein Lichtstrahl fiel direkt auf ein riesiges Himmelbett, ich muss sagen, ich habe eine Schwäche für Betten. Ich konnte nicht wiederstehen, ich warf mich drauf, legte mich auf den Rücken und schaute an die Decke. Er lachte, und während er sich eine Hose aus dem großen alten Schrank nahm fragte ich, ob wir nicht lieber hier bleiben wollten. Er betrachtete mich eingehend und sagte dann langsam: „Hm, könnten wir machen, wenn du unbedingt willst.. Wann muss ich dich eigentlich wieder nach Hause bringen?“ Ich schaute auf die Uhr, es war gerade mal halb neun. „Also da ich theoretisch um zwei Uhr Schluss hab, sollte ich um zwanzig nach ungefähr zu Hause sein.“ Er ging ins Bad, kam in Jeans wieder raus und setzte sich zögernd an den Bettrand, langsam hatte ich den Eindruck, dass er mir etwas sagen wollte. Ich wollte gerade fragen, als mein Magen so laut knurrte wie eine Bärenmutter, die ihre Jungen verteidigt. Und da ich mir dieses Beispiel gerade aus dem Finger gesogen habe und gar nicht weiß wie eine Bärenmutter klingt, die ihre Jungen verteidigt sage ich es noch mal einfacher: Er knurrte sehr, sehr laut. Anton sprang sofort auf und sagte: „Oh, das hab ich ja ganz vergessen, du musst ja am Verhungern sein, lass uns rüber gehen ins Café und ich bestell dir das beste Frühstück, dass du dir vorstellen kannst, keiner macht so gute Pancakes wie unser Bo!“ Ich schaute ihn verwundert an, „Der Typ heißt nicht wirklich Bo oder?“ Er lachte, „Nein, Boris, aber er verabscheut diesen Namen und ist sehr empfindlich deswegen.“ Ich grinste ihn an; „Wer kann’s ihm verdenken? Welche grausame Mutter nennt ihr Kind Boris?“ Er schaute mich streng an und ich formte brav mit meiner Hand die Mund-abschließ-und-Schlüssel-wegwerf-Bewegung.
Er lächelte zufrieden und reichte mir dir Hand. Das war unsere erste Berührung und ich werde sie nie vergessen. Tausend kleine Blitze fuhren durch meine Hand, den Arm hinauf, und bis tief in mein Herz, so dass es den Rest des Tages unter Strom stand. Der übrigens toll war.
Wir sind nach dem Frühstück (das wirklich das beste war, was ich je gegessen hatte) noch an der Alster und am Hafen spazieren gegangen, er hat mir wundervolle kleine Läden gezeigt, die nur ein echter Hamburger kennen kann. Er ließ mich an der Biegung vor meinem Haus aus dem Auto, und wir verabredeten uns für den nächsten Tag nach der Schule. Um Punkt drei an der selben Stelle. Ich schaute ihm noch tief in die wunderschönen, warmen, braunen Augen und versuchte mir diesen Anblick bis zum nächsten Tag auf zu bewaren, denn ich wusste, ich würde es nicht lange ohne sie aushalten.

„Mist.“, dachte ich, als ich auf meinem Bett lag und die Decke anstarrte, „Ich hab mich doch nicht wirklich in einen wildfremden Kerl verliebt, der mich mal so eben entführt. Mist, mist, mist. Das kann doch nicht gut gehen.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /