Das Experiment
Der Forscher schwenkt das Reagenzglas und die grünlich leuchtende Flüssigkeit schwappt dabei gegen die Wände des Glases. Eine Handlung, die er bereits seit Jahren ausführt und im Laufe der Zeit nahezu perfektioniert hat.
Eine Perfektion, auf die er rückblickend, nie verzichten würde. Es ist die Essenz der Entdeckung, die er liebt, der er etwas abgewinnen kann und das einzige was für Ihn wirklich zählt.
Alles andere ist nur Füllstoff, Mittel zum Zweck, eine Anreihung von Ereignissen, anonymen Objekten, anonymen Subjekten, unbedeutend, da nur das wahre, was zählt, hier entsteht. Wo immer alles entsteht. Bei jemandem der Wissen wie ein Schwamm einsaugt, mit dem, was er weiß, nie zufrieden ist und etwas Neues wissen und entdecken will.
Etwas ist dieses Mal jedoch anders als sonst und ein leichtes zittern durchfährt seinen Arm.
Er weiß, dass es auch gleich kommen wird, ihn unterbrechen könnte, doch er darf nicht aufhören, nicht jetzt, will nicht aufhören, nicht bevor die Umwandlung der Lösung vollständig ist. Er braucht keine Ablenkung und schon gar nicht davon.
„Eine schöne blaue Farbe muss es haben.“, denkt er sich flüsternd und schon ist es auch da, er muss sich zurückhalten und darf sich nicht verkrampfen, „Nur weiter machen, nicht aufhören.“, tönt es knisternd durch den Lautsprecher seines Anzuges durch das sonst tote Labor.
Dunkel ist es draußen und der Herbstwind rüttelt an den Fenstern der äußeren Laborbereiche, den Bereich der unwissenden, der zitternden Nichts-Nutzen, die nie jemals etwas wagen, während der Regen in ungleichmäßigen Abständen, mal stärker und mal schwächer an den Fensterscheiben trommelt.
Der Forscher hört es allerdings nicht in seinem Reinraum. Seinem Reinraum, ein Klang wie ein liebliches Glockenspiel, für ihn wie Weihnachtsmusik in einer Kapelle, ein zwitschern eines Blaukehlchens, sein Reinraum.
Würde es sehen, könnte es sehen, wo es ihn mehr mit der Dunkelheit verband als Ihm bewusst war, doch es interessierte Ihn schon lange nicht mehr. Die restlichen erstickten Geräusche der Melodie des Regens würden sowieso nicht an seine Ohren dringen, bedingt durch seinen ABC-Anzug, der Ihn schon so lange treu ist und ihn erfolgreich von der Außenwelt abschottet.
„Es gibt wichtigere Dinge im Leben. Es muss einfach klappen!“, schreit er im letzten Satz schon panisch. Sie jagen ihm nun vom Arm, über die Schulter bis in die Brust und er ringt nach Luft, vor Zorn, von einem ungebändigten Willen getrieben und vor Schmerzen, höllischen Schmerzen.
Schmerzen die er bereits schon einmal durch litt und dagegen er seine kleinen weißen, gehassten, Helferlein bekam, die er sich immer, trotz Ekel herunterwürgte, täglich, drei Mal täglich, nur heute nicht, vielleicht auch gestern nicht. Er wusste es nicht, nicht mal seit wie lange er hier im Labor ist.
Er krümmt sich, schielt auf das Reagenzglas und versucht es weiter zu schwenken, röchelnd zieht ihn die Schwerkraft gen Boden, wie eine Schrottpresse, die langsam aber stetig einen Cadillac in Ihrem gierigen Schlund fressen wird. Etwas altes, ehrwürdiges, unendlich erhabenes, das nicht vergehen darf und doch von dem kalten Raum der Zeit gefressen wird, weil es einfach kein Bestand mehr haben darf und die Existenz-da-seins-Berechtigung abgelaufen ist.
„Nicht jetzt. Nicht so. Nicht so kurz vor meinem Ziel. Ich muss doch noch… muss doch noch, das Reagenzglas...“, und seine Stimme erstirbt in der Leere dessen, wo er am liebsten ist, röchelnd um Atemzüge ringend.
Die Farbe der Flüssigkeit färbt sich in dem nun ruhenden und nicht mehr geschwenkten Reagenzglas, erst blau und wechselt anschließend in einem schwarz über, das Licht erlischt und die Flüssigkeit scheint in einem schwarzen Loch eingesogen zu werden, eine schwärze um die, die Dunkelheit sie beneiden würde.
Doch davon bekommt der nun am Boden liegende Forscher nichts mehr mit. Am Boden, mit der rechten Hand noch in Richtung des Herzens greifend, verkrampft, in seinem Atemzug, mit der anderen noch das Reagenzglas haltend und haucht so, seinen letzten Atemzug aus, nicht wissend, dass das, was er im Reagenzglas erschaffen hat, nicht das ist, was er jemals erwartet hat.
Die sonst so warmen, freundlichen Augen starren nun Leer gegen die dunkle weiße Decke und verblassen im Angesicht des Todes, werden Trüb, das Licht verschwimmt ins dunkle, letzte Nervenlichter flackern. Leise gleitet sein Bewusstsein davon, im Geiste noch das Reagenzglas schwenkend, zusehend und wartend ob sich die Flüssigkeit färbt, ins leere, ins nichts davon.
Der Körper erschlafft, endgültig, und die Hände lösen langsam Ihren harten Griff um das Reagenzglas, mit dem stopfen darauf und es rollt leicht klirrend unter seinen, nun ehemaligen, immer aufgeräumten und gut sortierten Labortisch, um dort zu liegen bis ein unbedarfter nichts wissender Kretin diese öffnet.
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Tag der Veröffentlichung: 19.06.2017
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