Wann mein Engel von seinem Sockel fiel, auf den ich ihn stellte, kann ich zeitlich nicht mehr eingrenzen. Ich musste eine total blinde Phase gehabt haben, als ich seinem Vorstadtcharme verfiel. Sicher war, dass er krachend aufschlug und in tausend Teile zersplitterte.
Es geschah an einem der Abende, als ich noch bemüht war, die Krise unserer Zweisamkeit mit Mitteln zu unterlaufen, die aus heutiger Sicht reichlich naiv anmuten. Irgend ein blöder Ratgeber suggerierte mir nämlich, dass MANN zwar nicht auf die Aussicht reagierte, klärende Gespräche führen zu wollen, auf einen Strip dagegen immer.
Nach einem Besuch im Nagelstudio, das ich mit den sündigen Nägeln einer "femme fatal" verließ, übte ich vor dem Spiegel meine Überwältigungstaktik.
Ich tanzte meinen ersten Strip. Mein wohlgeformter Busen wippte aufreizend, das war nicht zu übersehen.
Ich legte mich so richtig ins Zeug und ließ die Hüften kreisen. Mit den Fingern zeichnete ich die Konturen meines Körpers nach.
Ich hatte mich mit einem duftenden Massageöl eingerieben, um die Haut zum Glänzen zu bringen. Mein Körper strahlte im Kerzenschein, fordernd und verführerisch. Eine einzige sexuelle Provokation.
Die Tanzstunden sollten sich nun bezahlt machen und das Blut meines Partners ordentlich in Wallung bringen.
Aufreizende Musik hatte meinen Auftritt angekündigt und ich schlug krachend die Tür zum Wohnzimmer auf.
Ich wollte endlich wieder Sex, doch er sah nur den Download-Button auf seinem Computer...
Das muss dann der Anfang vom Ende gewesen sein.
Ab wann ist eine Beziehung eigentlich beendet? Wenn der Satz fällt,
„Es ist Schluss. Aus und vorbei“. Oder „Entschuldige, ich habe eine Neue“?
Oder ist es schon vorbei, wenn man den Partner anschaut und sich fragt, was eigentlich so toll an ihm ist? Wenn er der Dreck unter den Fingernägeln oder die Haare aus der Nase nicht mehr entfernt, um mir zu gefallen?
Ist es zu Ende, wenn man mühsam darüber nachdenkt, welche positiven Eigenschaften er besitzt?
Es ist grauenvoll, wenn man keine findet. Man sucht und sucht.... Irgendwas musste er ja haben, sonst hätte man ihn doch sofort übersehen müssen!
Wieso habe ich mir gerade IHN ausgesucht? Oder doch er mich?
Habe ich den Knochen nur dankbar angenommen, aus Angst verhungern zu müssen?
Durchaus möglich, denn ich war mehr als ansprechbar.
Meine Jugendliebe hatte mich gerade verlassen und ich fühlte mich wie sechs Meilen schlecht geflickter Zaun.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach ihm gegriffen habe wie nach einem Rettungsanker, ist also nicht von der Hand zu weisen.
Man findet, das der Knochen, sich mal wieder duschen oder die Zehnägel schneiden könnte. Warum sagt man es nicht, wenn man in dieser "Was-will-ich-eigentlich"-Krise steckt?
Aus Rücksicht auf die Gefühle des anderen? Oder weil man beginnt Dinge, die man früher übersehen hat, hervor zuheben.
Warum?
Es war an der Zeit, eine POSITIV/NEGATIV-Liste seiner Charaktereigenschaften zu erstellen und ich nahm mir vor, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, er musste einfach gute Eigenschaften haben, ich sah sie nur sicher im Moment nicht.
Und dann saß ich ratlos vor meinem Blatt Papier und knabberte an meinen Stift.
Ich hatte mir fest vorgenommen, mit den positiven Eigenschaften anzufangen und verharrte, vor dem noch leeren Blatt. Es tat sich nichts.
Ich kramte in meinen Erinnerungen und kehrte zu unserem ersten Aufeinandertreffen zurück.
Vollidiot war das erste Wort das ich ihm gönnte, denn er hätte mich fast auf seine Kühlerhaube genommen.
Na gut, ich hatte gerade gedanklich damit gespielt, mir für den Mann, der mich soeben verlassen hatte, verschiedene Werbemethoden auszudenken, um ihn zurück zu erobern. Was dann dazu führte, dass ich meine Umwelt beim Überqueren der Straße nicht unbedingt wahrnahm.
Wenn schon, das gab ihm noch lange nicht das Recht mich über den Haufen zu fahren und genau das sagte ich ihm dann auch ziemlich deutlich.
Ein Wort gab das andere, er war guter Stimmung und reagierte eher belustigt und schon fünf Minuten später saßen wir in seinem Wagen bei angeregter Unterhaltung.
Es ergab sich, dass wir in derselben niederschmetternden Situation steckten.
Seine Freundin war gerade mit einem Italiener durchgebrannt und seine Bude hatte sie auch leer geräumt. Wir redeten und redeten. Ertränkten unseren Liebeskummer in billigem Sangria aus der Tankstelle und vertrösteten einander auf bessere Zeiten.
Von da an trafen wir uns öfter und ich begann diese Unterhaltungen zu lieben, bis ich glaubte, auch ihn zu lieben.
Nun hätte ich also als positive Eigenschaft sein „Verständnis“ erwähnen können, jedoch gab es das nach fünf Jahren Beziehung nicht mehr.
An irgendeiner Haltestelle auf dem Weg durchs Leben, verlor er dieses Gespür.
Es hatte keinen Zweck mehr, jetzt noch danach zu suchen, es gab kein Fundbüro auf dieser Strecke.
Ich überlegte also weiter. Es musste etwas geben, sonst hätte ich doch den ganzen Mann schon unterwegs verlieren müssen.
Rein äußerlich war er eine angenehme Erscheinung, das heißt damals. Im Laufe der Zeit legte er sich, aus Mangel an Bewegung, ein enormes Fettpolster-Depot an. Seine Betriebsamkeit stand auf Sparflamme.
Grundsätzlich habe ich nichts gegen eine Gewichtszunahme, aber 25 Kilo waren dann doch recht viel.
Mein vorsichtiger Hinweis, eine Diät samt Sportprogramm, könne da hilfreich sein, quittierte er mit zwei Wochen Schweigsamkeit und der anschließenden Aussage, meine Oberflächlichkeit habe ihn schon immer gestört.
Soviel zur „Toleranz“ und „Kritikfähigkeit“, die ich gerne auf seine Positivliste gesetzt hätte.
Dann war da noch seine Art mich zum Lachen zu bringen. Ich lache unwahrscheinlich gerne. Aber ab dem dritten Jahr unseres Zusammenlebens gab es keinen Grund mehr dazu. Er entwickelte eine ausgeprägte Ader mir jeden Tag zu vermiesen und versprühte seinen Charme offensichtlich anderweitig.
Ich unterhielt mich derweil mit meinem Kater, der mir geduldig zuhörte und nicht zum Widerspruch neigte.
Während Kater Lucky mit dem Füllen seines Futternapfes und ein paar Streicheleinheiten absolut zufrieden war, hatte mein menschlicher Partner nur noch die Napffüllung im Sinn. Für den Rest schien er keine Verwendung mehr zu haben.
Womit wir beim Thema Intimität wären. Nicht das unser Liebesleben je explosiv und feurig gewesen wäre, aber inzwischen gab es nicht mehr, als ein gelegentliches Auflodern. Es war verpufft.
Eine gelöschte Kerze verursachte eine höhere Rauchentwicklung.
Anfangs schob ich es noch auf die Dauer unserer Beziehung und das nun der wohlbekannte Alltag beginnen würde, da etwaige Rest-Schmetterlinge ebenfalls davon geflattert waren. Später stellte ich fest, das Sex in unserer Beziehung noch nie die Hauptrolle spielte.
Ich sprach ihn eines schönen Tages darauf an und erntete außer bitterbösen Blicken eine knallharte Retourkutsche.
Er meinte, das läge ja wohl nicht an ihm. Eine frigide Frau zufrieden stellen zu müssen, wäre eben keine leichte Aufgabe. Er sah bei dieser bösartigen Behauptung aus, als sei er durchaus in der Stimmung, ihr noch ein paar Gemeinheiten der Extraklasse folgen zu lassen.
Ich gab mich mit dieser Antwort vorerst zufrieden und schaute in meinen Duden nach einer passenden Behauptung, die auf Männer zutraf. Leider fiel mir kein passendes Synonym für ihn ein, daher fragte ich ihn, ob er schwul sei. Er meinte, dass ich nicht ganz dicht wäre. Nun damit hatte er eine weitere positive Eigenschaft verloren. „Einfühlungsvermögen“.
Die Sache mit dem Sex ließ mir natürlich keine Ruhe. Weder war ich frigide noch er schwul. Also musste es eine andere Ursache geben. Der nötige Schwung fehlte.
Ich beschloss meine Unterwäscheabteilung aufzustocken und ging shoppen.
Das nötige Kleingeld dafür „lieh“ ich mir von seinem Konto. Schließlich sollte er auch etwas davon haben.
Ich duschte, rasierte mich in Form und zwängte mich in die sexy Wäsche.
Leider musste ich danach feststellen, dass er in der Zwischenzeit, mal eben, in die Videothek gefahren war. Ich dachte noch, ok, ein schöner Film dazu, das passt.
Also positionierte ich meinen gut verpackten Leib in den Sessel, zog den Bauch ein und schob meine Brüste dekorativ hervor.
Zupfte hier und da die spärliche Hülle aus Stoff zurecht und hoffte auf seine baldige Rückkehr, es wurde mir in dem Outfit doch etwas kühl.
Ich habe drei volle Stunden gewartet, dann hielt ich das enge Rüschen-Korsett nicht mehr aus. Die passenden Strapse schnürten meine Blutzufuhr in den Beinen ab und die einzig bequeme Position, die mir möglich war, verursachte bereits Druckstellen. Ich zog mich also wieder aus und schlüpfte in mein Lieblingsshirt. Eine weitere Stunde später schlief ich im Sessel ein.
Das Klimpern eines Schlüsselbundes weckte mich und schlaftrunkend begrüßte ich ihn. Er schaute mich nur abschätzend an und fragte mich etwas unmotiviert, wann ich mal wieder zum Frisör gehen würde.
Autsch, das hatte gesessen.
Die Wäsche brachte ich am nächsten Tag zurück, mit der Begründung, dass es das falsche Geschenk gewesen sei. Ich entschied, das „geliehene“ Geld dennoch auszugeben und besorgte mir neue Schuhe.
Die machen ja bekanntlich die Frauen glücklich.
Glücklich machten sie mich zwar nicht, aber sie waren bequem.
Ich machte mir nun doch Sorgen, woran es wohl läge, dass er mich so ignorieren konnte. Ich hatte mich nicht allzu sehr verändert in den letzten Jahren. Die Haare waren etwas kürzer, die Waage spuckte stets den gleichen Körperfettanteil aus und auch sonst fand ich mich durchaus ansehnlich.
Gut ich bin gereift in dieser Zeit. Habe versucht mich weiterzuentwickeln und auch mal durchzusetzen, was mir allerdings eher selten gelang.
Er war sehr dominant, mein Lebensabschnittgefährte, eine zweite Meinung neben seiner, war eine zuviel.
Reichte das denn für eine derart massive Ablehnung aus?
Ich begann zu ahnen, dass ich vielleicht doch nicht der richtige Topf zum Deckel war. Vielleicht war ich eine Pfanne, auf die nicht einmal ein Universaldeckel passte. Ich glaubte doch wirklich immer noch, dass es an mir liegen würde. War ich doch frigide und zickig?
Womit wir auch schon wieder bei besagter Liste wären. Ich war ratlos.
Auf der POSITIV-Seite tummelten sich kleine Strichmännchen und Fragezeichen.
Also beschloss ich, endlich mit der NEGATIV-Seite anzufangen, damit überhaupt ein sinnvolles Wort, auf dem Blatt Papier stehen würde. ...
Meine Seite der negativen Eigenschaften war zum Schluss so voll, dass ich die Überschrift „Positiv“ streichen musste, um weiterschreiben zu können. Es war frustrierend. Ich hätte gern ein gutes Haar an ihm gelassen, allerdings entwickelte er einen starken Hang zur Glatzenbildung. Das erschwerte die Sache enorm.
Da Frau sich aber bekanntlich nicht so schnell von alten Sachen trennen kann, habe ich weitere 2 Jahre gehofft, diese positive Seite der Liste noch füllen zu können.
In der Zwischenzeit ertrank ich allerdings in Selbstmitleid zu ertrinken.
Die Angst allein dazustehen, war größer, als weiter mit einem Langweiler und Nörgler zu leben.
Der Pfeil der Erkenntnis traf mich zwischen Frühstück und Abwasch.
Ich warf das Geschirrtuch in die Ecke, kündigte meinen Hausfrauenvertrag und gönnte mir eine Eis-Orgie vor dem Fernseher.
Warum lügt man sich eigentlich selbst an? Wahrscheinlich weil man glaubt, die Wahrheit nicht ertragen zu können!
Kurz nach dieser, zugegeben, späten Einsicht habe ich den Zettel zusammen mit dem Mann entsorgt. ...
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An dieser Stelle nochmal vielen Dank an Lieschen, die mir bei der Überarbeitung auf die Sprünge half.